BGB-Erbrecht

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I. Allgemeines

186

Gem. § 2253 kann der Erblasser ein Testament sowie einzelne in einem Testament enthaltene Verfügungen jederzeit widerrufen. Er ist also an ein Testament – anders als an vertragsmäßige Verfügungen in einem einen Erbvertrag (→ Rn. 275 ff.) und teilweise auch an wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament (→ Rn. 247 ff.) – zu Lebzeiten nicht gebunden. Dies ist letztlich ein weiterer Aspekt der Testierfreiheit.[1]

187

Schützenswerte Interessen der bisher im Testament Bedachten stehen dem Widerruf nicht entgegen. Das Testament wird erst im Zeitpunkt des Todes wirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt erwirbt der jeweils Bedachte keine Rechte, insb. auch kein Anwartschaftsrecht.[2] Dies gilt auch dann, wenn der Erblasser seine Verfügung dem Bedachten mitgeteilt hat. Denn der Erblasser könnte selbst durch einen Vertrag nicht auf das Widerrufsrecht verzichten (§ 2302). Allenfalls in extrem gelagerten Ausnahmefällen kann eine Haftung aus § 826 in Betracht kommen.[3]

188

Da auch der Widerruf eine letztwillige Verfügung ist, kann nur ein Testierfähiger sein Testament widerrufen.[4] Eine besondere Widerrufsfähigkeit gibt es hingegen nicht mehr. § 2353 Abs. 2 a.F., der Erleichterungen für den Widerruf durch Entmündigte vorsah, ist mit der Abschaffung des Rechtsinstituts der Entmündigung gegenstandslos geworden. Ein Betreuter (§§ 1896 ff.) kann sein Testament jederzeit widerrufen, sofern er nicht testierunfähig (§ 2229 Abs. 4) ist.[5]

Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 8 Widerruf eines Testaments › II. Widerrufsarten

II. Widerrufsarten

189

Ein Testament kann nur auf vier Arten widerrufen werden (numerus clausus)[6]: durch ein Widerrufstestament (§ 2254, → Rn. 190), durch eine spätere, mit dem früheren Testament in Widerspruch stehende Verfügung (§ 2258, → Rn. 191 ff.), durch Vernichtung oder Veränderungen der Testamentsurkunde (§ 2255, → Rn. 194) und beim öffentlichen Testament durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung (§ 2256, → Rn. 202 f.). Die bloße Billigung des Verlusts der Testamentsurkunde[7] oder die bloße Äußerung des Erblassers, dass er davon ausgehe, dass das Testament unwirksam geworden sei[8], bewirken hingegen keinen wirksamen Widerruf. Andererseits ist es jedoch aufgrund der Gleichwertigkeit aller Testamentsformen irrelevant, welche Form das zu widerrufende Testament hat (eigenhändiges oder öffentliches, ordentliches oder außerordentliches): Jedes Testament kann grundsätzlich in jeder der vier genannten Formen widerrufen werden.[9] Einzige Ausnahme ist der Widerruf durch Rücknahme aus amtlicher Verwahrung (§ 2256); er ist auf öffentliche Testamente beschränkt (→ Rn. 202).


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1. Widerrufstestament, § 2254

190

Erstens kann der Widerruf gem. § 2254 durch ein reines Widerrufstestament erfolgen, das sich auf den Widerruf eines Testaments oder darin enthaltener Regelungen beschränkt. Da es sich um ein Testament handelt, muss es allen gesetzlichen Anforderungen der gewählten Testamentsform entsprechen.[10] Der Widerruf braucht nicht ausdrücklich erklärt werden („hiermit widerrufe ich“), sondern es genügt, wenn die Widerrufsabsicht dem Testament im Wege der Auslegung entnommen werden kann[11] (Bsp.: handschriftlicher und unterschriebener Zusatz auf einer maschinengeschriebenen Testamentsabschrift, der erst in Verbindung mit dieser einen vollverständlichen Sinn erhält[12]).

2. Spätere, mit dem früheren Testament im Widerspruch stehende Verfügung, § 2258

191

Wenn mehrere Testamente eines Erblassers vorhanden sind, so ist zu prüfen, ob diese in ihrer Gesamtheit den Willen des Erblassers repräsentieren oder ob eine spätere Verfügung mit einer früheren in Widerspruch steht. Wenn und soweit ein solcher Widerspruch besteht, wird die frühere Verfügung gem. § 2258 Abs. 1 durch die spätere aufgehoben. Anders als beim Widerrufstestament gem. § 2254 tritt die Aufhebung gem. § 2258 Abs. 1 kraft Gesetzes ein; es bedarf hierfür weder eines Widerrufswillens noch der Kenntnis des Erblassers von der früheren Verfügung.[13]

192

Die Aufhebungswirkung reicht nach dem klaren Wortlaut von § 2258 Abs. 1 nur soweit, wie sich die Verfügungen widersprechen. Ein Widerspruch liegt zum einen vor, wenn mehrere letztwillige Verfügungen sachlich nicht miteinander vereinbar sind, die getroffenen Anordnungen sich also gegenseitig ausschließen.[14] Doch selbst wenn die einzelnen testamentarischen Anordnungen sachlich miteinander in Einklang stehen, liegt ein Widerspruch dann vor, wenn nach dem Willen des Erblassers die spätere Verfügung allein und ausschließlich gelten soll, weil er seine Erbfolge damit abschließend regeln wollte.[15]

Beispiel:

Wenn zunächst A als Alleinerbe eingesetzt wurde und in einem späteren Testament B zu 2/3 als Erbe eingesetzt wurde, so liegt hinsichtlich des verbleibenden 1/3 an sich kein Widerspruch vor, sodass A Erbe zu 1/3 wird. Allerdings kann sich ggf. im Wege der Auslegung ergeben, dass A gerade nicht mehr Erbe werden, sondern im Übrigen die gesetzliche Erbfolge gelten sollte. Vor der Überprüfung, ob ein Widerspruch zu einer früheren Verfügung besteht, ist das spätere Testament daher nach den allgemeinen Regeln auszulegen (→ Rn. 323 ff.).

193

Wenn das spätere Testament gem. §§ 2254-2256 widerrufen wird, etabliert § 2258 Abs. 2 die widerlegbare Auslegungsvermutung[16], dass das frühere Testament im Zweifel wirksam sein soll, wie wenn es nicht aufgehoben worden wäre. Wird das spätere Testament hingegen nicht widerrufen, sondern aus anderen Gründen gegenstandslos (z.B. wegen des Vorversterbens des Bedachten), so bleibt das frühere Testament gem. § 2258 Abs. 1 aufgehoben und damit unwirksam.[17]

3. Widerruf durch Vernichtung oder Veränderungen der Testamentsurkunde, § 2255

194

Gem. § 2255 S. 1 kann ein Testament durch Vernichtung oder Veränderungen an der Testamentsurkunde widerrufen werden. Um den Erblasser vor unüberlegten und übereilten Widerrufen abzuhalten[18] und Rechtssicherheit zu gewährleisten[19], ist allerdings erforderlich, dass der Erblasser die Testamentsurkunde vernichtet oder an ihr Veränderungen vornimmt, durch die der Wille, eine schriftliche Willenserklärung aufzuheben, ausgedrückt zu werden pflegt (Widerrufshandlung, → Rn. 195 ff.) und dass der Erblasser dabei in Aufhebungsabsicht handelt (→ Rn. 200). Der Widerruf gem. § 2255 S. 1 ist somit dogmatisch ein Widerruf durch konkludentes Handeln[20], sodass Testierfähigkeit erforderlich ist[21]. Obgleich auch § 2255 für alle Testamentsformen gilt, wird ein Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde typischerweise nur bei eigenhändigen Testamenten relevant, da sich öffentliche Testamente in amtlicher Verwahrung befinden sollten und die Rücknahme aus derselben regelmäßig schon zum Widerruf gem. § 2256 (→ Rn. 202 f.) führt.[22]

 

a) Widerrufshandlung

195

Vernichtung bedeutet die vollständige körperliche Zerstörung der Testamentsurkunde, z.B. durch Verbrennen oder Zerreißen[23] (als ausreichend angesehen wurden dabei auch tiefe, von zwei Seiten erfolgte Einrisse der Testamentsurkunde[24]). Die bloße Vernichtung einer Kopie oder Abschrift genügt nicht.[25]

196

Mit Veränderung ist eine körperliche Veränderung der Testamentsurkunde gemeint, ohne dass diese dabei völlig zerstört wird.[26] Beispiele sind Durchstreichen[27], Ausradieren, Schwärzungen oder Ausschneidungen[28] von Textteilen oder das Zerknittern zu einem Knäuel[29].[30]

197

Umstritten ist die Wirksamkeit von Ungültigkeitsvermerken (z.B. „ungültig“, „annulliert“). Einer Ansicht nach stellen sie nur dann einen wirksamen Widerruf dar, wenn die Form des § 2254 eingehalten wird; dies wird damit begründet, dass es sich nicht um eine Widerrufshandlung, sondern eine Widerrufserklärung handele.[31] Die ganz h.M. sieht derartige Vermerke indes zu Recht auch ohne Unterschrift des Erblassers als wirksam an.[32] Denn § 2255 verlangt gerade nicht die Einhaltung der Testamentsform; entscheidend ist nach dem Wortlaut vielmehr eine Handlung, durch die der Aufhebungswille „ausgedrückt zu werden pflegt“ und genau dies ist bei derartigen Ungültigkeitsvermerken der Fall.

198

Ähnliches gilt für den gleichfalls umstrittenen Fall, dass der Erblasser die unversehrte Testamentsurkunde in den Papierkorb wirft. Große Teile der Literatur wollen dies nicht ausreichen lassen, weil der Erblasser die Testamentsurkunde jederzeit unbeschädigt wieder aus dem Papierkorb entnehmen könne und es somit an einer Veränderung fehle.[33] Andere bejahen eine wirksame Widerrufshandlung jedenfalls dann, wenn sich in dem Abfallbehälter Stoffe oder Flüssigkeiten befinden, die eine Veränderung der Testamentsurkunde herbeiführen.[34] Nach allgemeiner Lebenserfahrung bezweckt das Wegwerfen in den Papierkorb indes gerade die Vernichtung des Schriftstücks; es handelt sich somit zutr. Ansicht nach ebenfalls um eine Handlung, durch die der Aufhebungswille „ausgedrückt zu werden pflegt“ i.S.d. § 2255 S. 1.[35]

199

Die Vernichtung bzw. Veränderung muss durch den Erblasser höchstpersönlich erfolgt sein. Eine zufällige Vernichtung bzw. Veränderung (z.B. Krieg, Brand, Hochwasser) erfüllt den Tatbestand des § 2255 S. 1 nicht.[36] Ebenso wenig genügt eine Vernichtung oder Veränderung durch einen Dritten (vgl. §§ 2064 f.).[37] Der Erblasser kann sich jedoch einer anderen Person bedienen, die als unselbstständiges, nicht mit eigenem Entscheidungsspielraum ausgestattetes „Werkzeug“ in seinem Auftrag und mit seinem Willen die Handlungen vornimmt.[38] Sofern eine solche „Willensbeherrschung“ vorliegt, ist es irrelevant, ob der Erblasser bei der tatsächlichen Vernichtung/Veränderung der Testamentsurkunde durch den Dritten persönlich anwesend ist.[39] Wie jeder Widerruf muss die Ausführungshandlung aber jedenfalls noch zu Lebzeiten des Erblassers erfolgen.[40] Nicht möglich ist auch eine nachträgliche Genehmigung einer durch einen Dritten autonom vorgenommenen Vernichtung/Veränderung; denn § 185 ist auf tatsächliche Handlungen nicht anwendbar.[41]

b) Aufhebungsabsicht

200

Der Erblasser muss in Aufhebungsabsicht gehandelt haben. Wenn feststeht, dass der Erblasser die Testamentsurkunde verändert oder vernichtet hat, so wird die Aufhebungsabsicht vom Gesetz allerdings widerleglich (§ 292 ZPO)[42] vermutet (§ 2255 S. 2). Die Vermutung des Aufhebungswillens kann z.B. als widerlegt angesehen werden, wenn der Erblasser in einem Testament Verfügungen durchgestrichen hat und feststeht, dass die Streichungen lediglich der Vorbereitung eines neuen Testaments dienten, in dem inhaltlich gleiche Verfügungen wieder getroffen werden sollten.[43] Gleiches gilt, wenn feststeht, dass der Erblasser das Testament nur versehentlich vernichtet hat (z.B. weil ihm nicht klar war, dass es sich bei dem Dokument um ein Testament handelte[44] oder weil es zwischen einen Stapel anderer Dokumente geraten war[45]).

c) Beweislast

201

Wenn das Testament unauffindbar ist oder zerstört bzw. mit Veränderungen aufgefunden wird, so spricht keine Vermutung dafür, dass dies durch den Erblasser erfolgte.[46] Im Prozess verteilt sich daher die Beweislast nach der allgemeinen Regel, dass derjenige, der aus einem Umstand Rechte herleitet, diese auch beweisen muss. Inhalt und Formgültigkeit des Testaments muss somit der testamentarische Erbe beweisen.[47] Den Widerruf hingegen muss derjenige beweisen, der sich auf die Unwirksamkeit des Testaments beruft.[48]

4. Rücknahme des Testaments aus der amtlichen Verwahrung, § 2256

202

Die Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der amtlichen Verwahrung gilt gem. § 2256 Abs. 1 S. 1 als Widerruf. Diese Widerrufsfiktion ist Konsequenz des – nach der Rückgabe nicht mehr gewährleisteten – Schutzes vor Verfälschungen.[49] Ein in amtliche Verwahrung gegebenes privatschriftliches Testament (vgl. § 2248) kann der Erblasser hingegen jederzeit herausverlangen, ohne dass dadurch das Testament unwirksam würde (§ 2256 Abs. 3).

203

Aufgrund der Widerrufswirkung stellt die Rücknahme eines öffentlichen Testaments eine Verfügung von Todes wegen dar.[50] Daher ist die Testierfähigkeit des Erblassers erforderlich.[51] Die Widerrufswirkung tritt auch dann ein, wenn der Erblasser keinen Widerrufswillen hatte.[52] Dies wird aufgrund der Belehrungspflicht des § 2256 Abs. 1 S. 2 über die Folgen der Rückgabe jedoch nur selten vorkommen. Im Einzelfall kann allerdings eine Anfechtung des Widerrufs wegen Drohung[53] sowie in speziell gelagerten Ausnahmefällen ggf. auch wegen Irrtums[54] erfolgen. Selbst wenn das öffentliche Testament zugleich der Form des § 2247 entspricht, bleibt es nach der Rücknahme nicht als privatschriftliches bestehen.[55]

Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 8 Widerruf eines Testaments › III. Beseitigung des Widerrufs

III. Beseitigung des Widerrufs

1. Widerruf des Widerrufs

204

Als weiteres Element der Testierfreiheit[56] eröffnet das Gesetz dem Erblasser in § 2257 die Möglichkeit, ein Widerrufstestament gem. § 2254 (→ Rn. 190) seinerseits jederzeit zu widerrufen. Im Zweifel (d.h. soweit kein gegenteiliger Wille des Erblassers feststellbar ist) gilt dann wieder die ursprüngliche Verfügung. Der Widerruf kann uneingeschränkt durch Widerrufstestament (§ 2254), Vernichtung oder Veränderung des aufzuhebenden Widerrufstestaments (§ 2255) oder durch Rücknahme eines öffentlichen Widerrufstestaments aus amtlicher Verwahrung (§ 2256) geschehen.[57]

205

Zum gleichen Ergebnis führt die Regelung des § 2258 Abs. 2 für den Widerruf einer späteren abweichenden Verfügung: Wird der erste Widerruf widerrufen, so ist im Zweifel das frühere Testament in gleicher Weise wirksam, wie wenn es nicht aufgehoben worden wäre.[58]

206

Ein gem. § 2255 oder § 2256 erfolgter Widerruf kann hingegen nicht widerrufen werden, da es sich in diesen beiden Konstellationen nicht um einen Widerruf kraft Testaments handelt.[59] Hier bleibt dem Erblasser nur die Errichtung eines neuen Testaments.[60] Dies bedeutet insb. auch, dass ein gem. § 2255 durch Zerreißen eines Testaments erfolgter Widerruf nicht durch erneutes Zusammenkleben widerrufen werden kann.[61]

2. Anfechtung des Widerrufs

207

Die Anfechtung ist dagegen bei jeder Art des Widerrufs möglich, denn anfechtbar sind nicht nur Testamente, sondern jegliche letztwillige Verfügung.[62] Dass eine Anfechtung (anders als ein Widerruf) insb. auch bei den Widerrufsformen der §§ 2255, 2256 möglich ist, ist auch sachlich gerechtfertigt: Für einen Widerruf besteht hier kein zwingendes Bedürfnis, weil der Erblasser ja neu testieren kann; wenn sich hingegen erst nach dem Tod des Erblassers herausstellt, dass sich dieser beim Widerruf im Irrtum befand, so besteht ein legitimes Bedürfnis nach der Eröffnung einer Anfechtungsmöglichkeit.[63]

208-

210

Lösung der Ausgangsfälle

Fall 10 (→ Rn. 185):

Das Zerreißen des Testaments ist ein Widerruf gem. § 2255 S. 1. Durch das erneute Zusammenkleben des Testaments könnte der Erblasser den Widerruf widerrufen haben. Ein Widerruf gem. § 2255 S. 1 ist jedoch nicht widerruflich (→ Rn. 206).

Fall 11 (→ Rn. 185):

Das Durchstreichen einzelner Verfügungen ist im Regelfall als Widerruf i.S.d. § 2255 S. 1 anzusehen (→ Rn. 196). Ein Widerruf des Widerrufs ist dann nicht mehr möglich (→ Rn. 206). Hier liegt jedoch schon kein Widerruf der Verfügungen vor, da durch das Vorhandensein der wiederholten Ausführungen in der zweiten Urkunde die Vermutung des § 2255 S. 1 widerlegt ist. Die Streichungen dokumentieren nicht einen Aufhebungswillen, sondern dienen nur der Vorbereitung eines neuen Testaments (→ Rn. 200).[64]

Fall 12 (→ Rn. 185):

S könnte aufgrund des Testaments vom 1.2.2010 Alleinerbe der E geworden sein. Dieses Testament könnte die E jedoch am 1.3.2018 durch ein Widerrufstestament gem. § 2254 wirksam widerrufen haben. Der Widerruf muss dabei nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich auch konkludent ergeben, wenn die Widerrufsabsicht dem Testament im Wege der Auslegung entnommen werden kann (→ Rn. 190). Dies war hier der Fall, denn aus dem mit Orts- und Zeitangabe versehenen und unterschriebenen Vermerk „Das mache ich hiermit rückgängig“ auf der Abschrift ergab sich klar die Widerrufsabsicht (vgl. → Rn. 190).

 

Dieser Widerruf könnte jedoch wiederum selbst widerrufen worden sein. In Betracht käme ein Widerruf durch Vernichtung der Testamentsurkunde gem. § 2255 mit der Folge, dass dann im Zweifel das Testament vom 1.2.2010 (in dem S zum Alleinerben eingesetzt wurde) wieder wirksam würde. Problematisch ist insofern zunächst, dass das Verbrennen (= Vernichtung) nicht durch E selbst, sondern durch H erfolgte. Der Erblasser muss die Vernichtungs-/Veränderungshandlung zwar prinzipiell höchstpersönlich vornehmen; er kann sich jedoch einer anderen Person bedienen, die als unselbstständiges, nicht mit eigenem Entscheidungsspielraum ausgestattetes „Werkzeug“ in seinem Auftrag und mit seinem Willen die Handlungen vornimmt (→ Rn. 199). Sofern eine solche „Willensbeherrschung“ vorliegt, ist es irrelevant, ob der Erblasser bei der tatsächlichen Vernichtung/Veränderung der Testamentsurkunde durch den Dritten persönlich anwesend ist (→ Rn. 199). Problematisch ist hier indes schon, ob tatsächlich eine derartige „Willensbeherrschung“ vorlag. Denn E hatte H nicht selbst mit der Vernichtung beauftragt, sondern ihr dies nur durch T übermitteln lassen; zudem war zunächst unklar, welches Dokument überhaupt gemeint war; von einer Weisung der E an einen als bloßes Werkzeug eingesetzten Dritten ohne jeglichen Entschluss- und Handlungsspielraum kann bei einem solchem Ablauf schwerlich gesprochen werden.[65] Dies kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, da die Vernichtung jedenfalls nicht mehr zu Lebzeiten der E erfolgte und schon deshalb keinen wirksamen Widerruf darstellen konnte (→ Rn. 199). Das Widerrufstestament vom 1.3.2018 wurde somit nicht wirksam widerrufen.

Folglich bleibt es dabei, dass das Testament v. 1.2.2010 wirksam widerrufen wurde, sodass mangels gültiger Verfügung von Todes wegen die gesetzliche Erbfolge eingreift, d.h. T und S werden Erben zu je 1/2 (§ 1924 Abs. 1, 4).

Anmerkungen

[1]

Vgl. BeckOGK/Grziwotz § 2253 Rn. 1; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 1.

[2]

Vgl. MüKoBGB/Leipold, 7. Aufl. 2017, § 1922 Rn. 163; s. ferner auch BGH v. 14.12.1995 – IX ZR 242/94, NJW 1996, 1062, 1063; Staudinger/Kunz, 2017, § 1922 Rn. 108.

[3]

Vgl. Staudinger/Oechsler, 2018, § 826 Rn. 469.

[4]

Vgl. OLG Hamm v. 6.10.1988 – 15 W 354/88, Rpfleger 1989, 23; BeckOGK/Grziwotz § 2253 Rn. 1.

[5]

Vgl. MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 1953 Rn. 7; Staudiner/Baumann, 2018, § 2253 Rn. 15.

[6]

Vgl. RG v. 11.5.1922 – IV 331/21, RGZ 104, 320, 323; BeckOGK/Grziwotz § 2253 Rn. 13 m.w.N.

[7]

Vgl. BGH v. 10.5.1951 – IV ZR 12/50, NJW 1951, 559.

[8]

Vgl. RG v. 11.5.1922 – IV 331/21, RGZ 104, 320, 323.

[9]

Vgl. nur MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2253 Rn. 3.

[10]

Vgl. BeckOGK/Grziwotz § 2254 Rn. 5; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 10.

[11]

Vgl. BGH v. 8.7.1981 – IVa ZR 188/80, NJW 1981, 2745; BayObLG v. 24.1.2003 – 1Z BR 14/02, NJW-RR 2003, 659, 660; OLG Köln v. 8.2.2006 – 2 Wx 49/05, NJOZ 2006, 2152, 2153.

[12]

Vgl. BGH v. 25.10.1965 – III ZR 47/64, NJW 1966, 201.

[13]

Vgl. BGH v. 8.7.1981 – IVa ZR 177/80, NJW 1981, 2745; OLG Düsseldorf v. 19.2.2016 – I-3 Wx 40/14, FGPrax 2016, 176, 180.

[14]

Vgl. BGH v. 8.7.1981 – IVa ZR 177/80, NJW 1981, 2745 f.; OLG Düsseldorf v. 19.2.2016 – I-3 Wx 40/14, FGPrax 2016, 176, 180.

[15]

Vgl. BGH v. 8.7.1981 – IVa ZR 177/80, NJW 1981, 2746; OLG Düsseldorf v. 19.2.2016 – I-3 Wx 40/14, FGPrax 2016, 176, 180.

[16]

Vgl. MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2258 Rn. 9.

[17]

Vgl. BayObLG v. 30.11.1995 – 1Z BR 86/95, MittBayNot 1996, 116; BeckOGK/Grziwotz § 2258 Rn. 19.

[18]

Vgl. BGH v. 10.5.1951 – IV ZR 12/50, NJW 1951, 559; Staudinger/Baumann, 2018, § 2255 Rn. 3; MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2255 Rn. 1.

[19]

Vgl. BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 1.

[20]

Vgl. BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 1; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 15.

[21]

Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – I-3 Wx 141/13, RNotZ 2014, 445, 449; MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2255 Rn. 3; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 15.

[22]

Vgl. nur Staudinger/Baumann, 2018, § 2255 Rn. 7; BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 2. Ein Widerruf gem. § 2255 kommt jedoch z.B. in Betracht, wenn das öffentliche Testament noch nicht in amtliche Verwahrung genommen wurde, der Notar es dem Erblasser nach mehreren von diesem unbeantworteten Fragen zurückschickt und der Erblasser es dann vernichtet (vgl. BGH v. 16.9.1959 – V ZR 20/59, NJW 1959, 2113).

[23]

Vgl. BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 1; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 12.

[24]

Vgl. BayObLG v. 18.3.1996 – 1 ZBR 67/95, FamRZ 1996, 1110, 1111.

[25]

Vgl. KG v. 6.1.1995 – 1 W 7563/93, NJW-RR 1995, 1099.

[26]

Vgl. BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 5; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 13.

[27]

Vgl. OLG Düsseldorf v. 29.9.2017 – I-3 Wx 63/16, FamRZ 2018, 712 Rn. 27.

[28]

Vgl. OLG Hamm v. 14.8.2007 – 15 W 331/06, FGPrax 2008, 32, 33.

[29]

Vgl. BayObLG v. 20.3.1980 – 1 Z 18/80, BayObLGZ 1980, 95, 97.

[30]

Vgl. BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 5.

[31]

Vgl. Lange/Kuchinke, ErbR, 5. Aufl. 2001, § 23 II 1 e.

[32]

Vgl. RG v. 23.3.1911 – IV 268/10, JW 1911, 545; KG v. 31.1.1957 – 1 W 2539/56, NJW 1957, 1364; Leipold, ErbR, 21. Aufl. 2016, Rn. 336; Brox/Walker, ErbR, 28. Aufl. 2018, § 13 Rn. 3; Palandt/Weidlich, 78. Aufl. 2019, § 2255 Rn. 6 m.w.N.

[33]

Vgl. Brox/Walker, ErbR, 28. Aufl. 2018, § 13 Rn. 3; MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2255 Rn. 6.

[34]

Vgl. Staudinger/Baumann, 2018, § 2255 Rn. 15.

[35]

Vgl. BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 6; Erman/S. Kappler/T. Kappler, 15. Aufl. 2017, § 2255 Rn. 3.

[36]

Vgl. BGH v. 10.5.1951 – IV ZR 12/50, NJW 1951, 559; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 16.

[37]

Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – I-3 Wx 141/13, RNotZ 2014, 445, 446; BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 6; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 14.

[38]

Vgl. OLG München v. 11.4.2011 – 31 Wx 33/11, NJW-RR 2011, 945; OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – I-3 Wx 141/13, RNotZ 2014, 445, 446; MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2255 Rn. 13 m.w.N.

[39]

Vgl. BayObLG v. 10.2.1992 – 1 Z 57/91, FamRZ 1992, 1350; OLG München v. 11.4.2011 – 31 Wx 33/11, NJW-RR 2011, 945; BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 8; Erman/S. Kappler/T. Kappler, 15. Aufl. 2017, § 2255 Rn. 5; a.A. Staudinger/Baumann, 2018, § 2255 Rn. 22.

[40]

Vgl. OLG München v. 11.4.2011 – 31 Wx 33/11, NJW-RR 2011, 945; MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2255 Rn. 13.

[41]

Vgl. BGH v. 10.5.1951 – IV ZR 12/50, NJW 1951, 559; Staudinger/Baumann, 2018, § 2255 Rn. 24; MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2255 Rn. 13; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 15.

[42]

Vgl. BayObLG v. 7.7.1997 – 1Z BR 118/97, BayObLGZ 1997, 209, 211; OLG Düsseldorf v. 29.9.2017 – I-3 Wx 63/16, FamRZ 2018, 712 Rn. 34.

[43]

Vgl. BayObLG v. 7.7.1997 – 1Z BR 118/97, BayObLGZ 1997, 209, 211 f.; OLG Düsseldorf v. 29.9.2017 – I-3 Wx 63/16, FamRZ 2018, 712 Rn. 34 ff.

[44]

Vgl. AG Neumünster v. 13.12.65 – 3b LwH 43/65, SchlHA 66, 83.

[45]

Vgl. BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 10.

[46]

Vgl. BayObLG v. 21.7.1992 – 1Z BR 58/92, FamRZ 1993, 117; BayObLG v. 21.2.2005 – 1Z BR 101/04, FamRZ 2005, 1866 Rn. 31; LG Duisburg v. 2.8.2005 – 7 T 49/05, RNotZ 2005, 549, 550.

[47]

Vgl. OLG Koblenz v. 18.12.2015 – 1 W 622/15, FamRZ 2016, 1487 Rn. 9; BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 14; MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2055 Rn. 16 m.w.N.

[48]

Vgl. OLG Koblenz v. 18.12.2015 – 1 W 622/15, FamRZ 2016, 1487 Rn. 9; BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 14; MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2055 Rn. 16 m.w.N.

[49]

Vgl. MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2256 Rn. 1, 9.

[50]

Vgl. BGH v. 30.1.1957 – V ZR 186/55, BGHZ 23, 207, 211; BayObLG v. 9.3.2005 – 1Z BR 108/04, FamRZ 2006, 294; OLG München v. 11.5.2005 – 31 Wx 19/05, ZEV 2005, 482; OLG Köln v. 12.7.2013 – 2 Wx 177/13, NJW-RR 2013, 1421.

[51]

Vgl. BayObLG v. 9.3.2005 – 1Z BR 108/04, FamRZ 2006, 294; OLG Köln v. 12.7.2013 – 2 Wx 177/13, NJW-RR 2013, 1421.

[52]

Vgl. BayObLG v. 15.12.2004 – 1Z BR 103/04, FGPrax 2005, 72.

[53]

Vgl. Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 27.

[54]

Vgl. OLG Düsseldorf v. 23.12.2015 – I-3 Wx 285/14, FGPrax 2016, 130; krit. dazu jedoch BeckOGK/Grziwotz § 2255 Rn. 20; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 27; Musielak ZEV 2016, 353, 356 f.

[55]

Vgl. Palandt/Weidlich, 78. Aufl. 2019, § 2256 Rn. 1; Kipp/Coing, ErbR, 14. Aufl. 1990, § 31 II 3 Fn. 18; Schlüter/Röthel, ErbR, 17. Aufl. 2015, § 18 Rn. 15.

[56]

Vgl. Staudinger/Baumann, 2018, § 2257 Rn. 2; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 27.

[57]

Vgl. MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2257 Rn. 3; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 27.

[58]

Vgl. auch Schlüter/Röthel, ErbR, 17. Aufl. 2015, § 18 Rn. 17.

[59]

Vgl. Staudinger/Baumann, 2018, § 2257 Rn. 3; MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2257 Rn. 3; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 30; Palandt/Weidlich, 78. Aufl. 2019, § 2257 Rn. 2; in Bezug auf § 2256 auch: BayObLG v. 13.2.1973 – 1 Z 108/72, BayObLGZ 1973, 35, 36 f.; BayObLG v. 6.7.1990 – 1a Z 30/90, NJW-RR 1990, 1481, 1482; OLG Düsseldorf v. 23.12.2015 – I-3 Wx 285/14, FGPrax 2016, 130.

[60]

Vgl. MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl. 2017, § 2257 Rn. 3; Hellfeier, ZEV 2003, 1, 3; Lange, ErbR, 2. Aufl. 2017, § 32 Rn. 30.

[61]

Vgl. BayObLG v. 21.2.1996 – 1Z BR 35/96, NJW-RR 1996, 1094, 1095. Dazu Hohloch, JuS 1997, 172; Hohmann, ZEV 1996, 271 f.

[62]

Vgl. Erman/M. Schmidt, 15. Aufl. 2017, § 2078 Rn. 4; vgl. für den Fall des Widerrufs gem. § 2256 auch OLG Düsseldorf v. 23.12.2015 – I-3 Wx 285/14, FGPrax 2016, 130 f.; vgl. für den Fall des Widerrufs gem. § 2255 auch RG v. 21.3.1921 – IV 486/20, RGZ 102, 69, 70.

[63]

Vgl. RG v. 21.3.1921 – IV 486/20, RGZ 102, 69, 70.

[64]

Nach BayObLG v. 7.7.1997 – 1Z BR 118/97, NJW-RR 1997, 1302 = JuS 1998, 178 m. Anm. Hohloch.

[65]

Vgl. OLG München v. 11.4.2011 – 31 Wx 33/11, NJW-RR 2011, 945.