Zensur im Dienst des Priesterbildes

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Im Anschluss fragte Crottogini, ob die Schwierigkeiten im Internat oder in den Ferien stärker spürbar gewesen seien. Die Antworten fielen hier jedoch sehr spärlich aus, da nur die überwiegend Schweizer Befragten in einem Internat lebten. 378 Schweizer (88,9%) beantworteten ihm die Frage. 153 schrieben, in den Ferien seien die Schwierigkeiten ausgeprägter gewesen, 147 hätten keinen Unterschied feststellen können. Nur 78 hätten die Probleme deutlicher im Internat empfunden. Dies erklärte Crottogini damit, dass „[d]er geregelte Tageslauf, die frohe Spiel- und Arbeitsgemeinschaft und die Schwierigkeit sich [im Internat; J. S.] abzusondern“, zumindest dem einen oder anderen Seminaristen „im Gegensatz zum allzu freien Ferienbetrieb eine starke Hilfe in den sexuellen Schwierigkeiten“609 geboten habe.

Die Frage nach der Überwindung („Kamen Sie relativ rasch und leicht über die Schwierigkeit hinweg oder nicht?“) wurde immerhin von 392 Schweizern (92,2%) und 186 Ausländern (94,9%) beantwortet. Insgesamt seien zwei Drittel nur schwer über ihre sexuellen Probleme hinweggekommen, während es einem Drittel leichter gefallen sei. Nur sechs Kandidaten gaben an, ihre Schwierigkeiten noch nicht im Griff zu haben und noch immer regelmäßig zu masturbieren.610 Diese niedrigen Zahlen kämen zustande, folgerte Crottogini, weil „ein junger Mann, der nach erlangter Geschlechtsreife dem Sexualtrieb immer wieder unterliegt, in der Regel kaum den zölibatären Priesterberuf anstrebt.“611 Außerdem seien auch die Priestererzieher verpflichtet, einem solchen Seminaristen von seinem Wunsch abzuraten.612

Zum Abschluss des Bereichs Sexus bat er um Auskunft, ob ihr Priesterberufswunsch durch diese Pubertätsschwierigkeiten ernsthaft in Frage gestellt worden sei. Alle antworteten, davon 200 Schweizer (47,1%) und 65 Ausländer (33,2%) bejahend.613 Die Mehrheit von 221 Schweizern (52%) und 115 Ausländern (58,7%) sahen ihren Berufswunsch dadurch nicht in Frage gestellt. Nur sieben Schweizer und 16 Ausländer gaben an, zur Zeit der Schwierigkeiten sei der Berufswunsch noch nicht vorhanden gewesen.614 Diejenigen, deren Wunsch ins Wanken geraten war, fühlten sich aufgrund ihrer sexuellen Verfehlungen nicht mehr würdig und fähig, einst dem hohen und reinen Priesterideal gerecht zu werden.615 Crottogini merkte hier an, viele der Jugendlichen übersähen die einfache Tatsache, „daß die vom Priesterberufsideal geforderte sichere Beherrschung des Sexualtriebs im Normalfall erst der Preis für ein langes, hartes, oft von Niederlagen gezeichnetes Ringen und Kämpfen darstellt.“616

Aufgabe eines klugen Erziehers in dieser Zeit sei es, den jungen Menschen auf diese Wirklichkeit aufmerksam zu machen, damit er nicht den Mut und das Vertrauen in die Realisierbarkeit des hohen Berufsideals verliere. „Wir haben es hier mit einem Gefahrenmoment zu tun, das vor allem von den verantwortlichen Erziehern unserer studierenden Jugend ernst genommen werden muß.“617 In der Zusammenfassung dieses Abschnitts stellte Crottogini deshalb gerade die Unzulänglichkeiten der Erzieher nochmals klar heraus:

„Rund zwei Drittel der befragten Priester und Priesteramtskandidaten hatten während der Reifezeit mit großen sexuellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Unter diesen Schwierigkeiten steht die Onanie an erster Stelle. […] Häufig und oft mit einem bittern Unterton wird von den Beantwortern darauf hingewiesen, daß ihnen viele dieser Schwierigkeiten erspart geblieben oder wenigstens erleichtert worden wären, wenn sie von den verantwortlichen Erziehern rechtzeitig aufgeklärt oder von einem Beichtvater in ihrer Not richtig verstanden worden wären. Bei schwach der Hälfte unserer Theologen führten die großen Schwierigkeiten der Reifezeit zu einer ernsthaften Gefährdung des jugendlichen Berufswunsches. […] Doch liegt die Vermutung nahe, daß es keine Ausnahmefälle sind. […] Es scheint, als ob von den maßgebenden Erziehern – wozu wir auch die Beichtväter der Jugendlichen rechnen – in der Behandlung der sexuellen Schwierigkeiten der Pubeszenten immer noch viel bloße Oberflächenarbeit geleistet wird, statt zu einer positiven, verstehenden Behandlung der Probleme vorzustoßen, wie sie uns vor allem von der Tiefenpsychologie nahegelegt wird.“618

Zum Themenfeld Eros erfragte Crottogini, ob es jemals in der Pubertät oder danach eine tiefere Liebe zu einem Mädchen gegeben habe.619 Im zutreffenden Falle bat er, anzugeben, ob das Mädchen davon gewusst habe, ob es zu einer Freundschaft gekommen sei, wie lange diese ggf. gedauert habe und was die Trennung bewirkt habe. Abschließend wurde gefragt, ob sich diese Erfahrung positiv oder negativ auf die spätere Entwicklung ausgewirkt habe. Crottogini ging es bei diesen Fragen allerdings weniger um den sexuellen als um den Bereich der sinnlichen Anziehung und dessen Rückwirkung auf den Berufswunsch der Theologen.620 Von allen Befragten erhielt er Auskunft und etwas weniger als die Hälfte hatte von einer Liebe zu einem Mädchen zu berichten (41,9% Schweizer/46,9% Ausländer). Die knappe Mehrheit ohne solche Erfahrungen führte Crottogini zum Teil auf fehlende Kontaktmöglichkeiten zurück. Dem größeren Teil gestand er aber zu, sich schon vor der Reifezeit ausschließlich auf das Berufsideal des Priesters konzentriert zu haben. Im Konkreten gingen die Angaben auseinander: Bisweilen sei es bei einer einseitigen Liebe geblieben (37,4%/17,4%), teilweise habe es ein gegenseitiges Verliebtsein gegeben (12,6%/9,8%), mehrheitlich sei es aber zu einer echten freundschaftlichen Beziehung gekommen (50%/72,8%). Auch die Dauer dieser Erfahrungen hätte stark von mehreren Wochen bis hin zu mehreren Jahren variiert. Mancher Teilnehmer habe es absichtlich beim Verliebtsein belassen, ohne eine tatsächliche Freundschaft einzugehen, um sein Berufsziel nicht zu gefährden.621 Diejenigen, die eine Freundschaft eingegangen waren, hätten sie aber überwiegend positiv gewertet (von 154 Beantwortern 107 positiv, 13 negativ, 34 noch unklar wegen zu geringen zeitlichen Abstands). Acht der Befragten gaben an, die Freundschaft dauere aktuell noch an.

„Es handelt sich in all diesen Fällen um eine rein erotische [in Abgrenzung zur sexuellen; J. S.] Beziehung, die von sieben im Hinblick auf ihre bisherige charakterliche und berufliche Entwicklung positiv gewertet wird. […] Beachtet werden muß, daß nur einer dieser acht Beantworter, ein 44jähriger Ordensmann, bereits Priester ist, während die andern sieben erst in den ersten Semestern des Theologiestudiums stehen.“622

Aufgrund dieser Antworten stellte Crottogini die von ihm beispielhaft belegte gängige Ansicht in Frage, Mädchenfreundschaften seien für Priesterkandidaten schädlich.623 Für die Mehrheit der Teilnehmer registrierte er positive Auswirkungen solcher Freundschaften. Ob eine solche deswegen aber empfehlenswert sei, hielt er für nicht entscheidbar. Dazu müsse man die innere und äußere Entwicklung der Beantworter bis zum Ende verfolgen können:

„Gelingt es nämlich dem jungen Menschen nicht, ein derartiges Liebeserlebnis sowohl verstandes- wie gefühlsmäßig positiv aufzuarbeiten, so kann es, wie die Tiefenpsychologie lehrt, nach Jahren oder gar Jahrzehnten plötzlich wieder im Bewußtsein auftauchen und dann für den reifen Mann und Priester noch zur Gefahr werden.“624

Ende eine Beziehung nicht glücklich, bestehe eine nicht zu vernachlässigende Gefahr im möglichen „Weiberhaß“625, ‚jene[r] unselige[n] Verschließung und Verhärtung des Herzens, die den Priester unfähig macht für jeden echten seelischen Kontakt […] und […] ihn zum […] verbissenen und verbitterten Junggesellen werden läßt“626. Grundsätzlich gestand Crottogini aber ein, dass die Frage, ob und wie stark sich Mädchenliebe oder -freundschaft schließlich hemmend oder fördernd auf den Berufswillen der Theologen auswirke, mit den Mitteln seiner Erhebung von einem rein psychologischen Standpunkt aus keiner objektiven Lösung zuzuführen sei.627

Im letzten Bereich thematisierte Crottogini schließlich den Zölibat.628 Die Teilnehmer sollten ihren Verzicht auf die eheliche Gemeinschaft und Familie aufgrund des Zölibats einstufen, und angeben, ob er ihnen leicht, schwer oder sehr schwer falle. Bei einer Antwort mit mindestens „schwer“, bat Crottogini noch um konkretisierende Ergänzungen: Ob es der Verzicht auf das eigene Kind und Heim sei oder der Verzicht auf die seelische Ergänzung durch eine verstehende Gattin oder die Angst vor der Macht des Sexualtriebes oder priesterlicher Einsamkeit. Antworten erhielt er von nahezu allen – von 606 Teilnehmern (98,9%). Zwei Fünftel bewerteten den Verzicht als leicht und waren somit von den Folgefragen nicht betroffen. Diese Teilnehmer waren überwiegend diejenigen, die zuvor angegeben hatten, keine Freundschaft mit einem Mädchen gehabt zu haben. 342 bewerteten den Verzicht als schwer, insgesamt 13 als sehr schwer. Die jeweiligen Begründungen dürfe man nicht exklusiv verstehen, erklärte Crottogini, weil viele Beantwortende mehrere Motive genannt hätten.629 Angst vor fehlender seelischer Ergänzung und den Verzicht auf Heim und Kind bereite die meisten Sorgen. Der Verzicht auf eine eigene Familie werde demnach als das größte Opfer empfunden. Der Verzicht auf sexuelle Betätigung hingegen spiele nur eine untergeordnete Rolle. Die geringe Angst vor priesterlicher Einsamkeit überraschte Crottogini nicht. Diese Einsamkeit sei zwar eine der schwersten Belastungen des Priesterlebens, doch „tritt […] dieses Belastungsmoment in den Jahren der Vorbereitung auf das Priestertum und auch in den ersten Priesterjahren weniger spürbar hervor.“630

Im anschließenden Kapitel setzte Crottogini die erhobenen inneren und äußeren Faktoren in Beziehung zueinander und untersuchte, wie sie sich gegenseitig bedingt haben könnten. Dabei ging er zunächst auf den Zeitpunkt der Entstehung und die Umstände der Berufsgenese, die erste Bekanntgabe, die inneren und äußeren Krisen, die endgültige Festlegung auf den Ordens- oder Weltpriesterstand und schließlich auf die inneren und äußeren Motive der letztlichen Berufsentscheidung ein.631 Hinsichtlich der Entstehung des Berufswunsches arbeitete er drei Phasen heraus: Die erste Berufswunschphase war meist der kindliche Berufswunsch vor dem 11. Lebensjahr.632 Darauf folgte die Phase des Abenteuerberufswunschs zwischen dem 11. und 16. Lebensjahr.633 Theologen, die sich nach dem 16. Lebensjahr zum Priesterberuf entschieden, bezeichnete er als „Spätberufene“634. Bei 90%, so Crottoginis Ergebnis, sei schon vor dem 16. Lebensjahr eine Neigung zum Priesterberuf spürbar gewesen. Meist sei eine Beeinflussung von außen nötig gewesen (z. B. direkter persönlicher Kontakt mit einem Geistlichen, Primizfeiern, Exerzitien).635 Damit bestätige sich die Wichtigkeit dieser der katholischen Kirche von jeher bewussten Zusammenhänge.636

 

Für ein objektiveres Bild zog Crottogini nun auch die Ergebnisse des „kleinen“ Fragebogens (des „Laien-Fragebogens“) heran, den diejenigen erhalten hatten, die ihr Berufsziel aufgegeben hatten.637 Dieser Fragebogen, der reinen Vergleichszwecken diente, zielte vornehmlich auf die Gründe und Umstände ab, ob und warum sich jemand erst für und schließlich gegen den Priesterberuf entschieden hatte. Crottogini kam auf diese Weise an Vergleichsmaterial von 627 Maturanden und 24 Laienakademikern. Von diesen gaben nun zwei Drittel an, sich in der Kindheit, in der Volks- und in der Mittelschulzeit ernsthaft damit auseinandergesetzt zu haben, Priester zu werden. 67% hätten die Idee aber noch vor oder in der Reifezeit verworfen.638

Zur Bekanntgabe des Berufswunsches konnte Crottogini unter den Theologen ermitteln, dass die meisten zunächst mit ihren Eltern darüber gesprochen hatten. An nächster Stelle rangierten erst Priester (auch etwa der Beichtvater) als Ansprechpartner, dann Freunde, Geschwister, Lehrer und andere Verwandte. Hier fand es Crottogini bezeichnend, dass sich mehr als 90% der Befragten daran erinnern konnten.639

Zu inneren und äußeren Krisen (Berufskrisen) gab nur etwas mehr als ein Drittel an, keine nennenswerten Schwankungen erlebt zu haben. Die restlichen Befragten (69,4% der Schweizer, 58,7% der Ausländer) nannten vor allem Schwierigkeiten in den Bereichen Sexus, Eros und Zölibat. Bei 271 Schweizern (63,8%) und 117 Ausländern (59,7%) sei dadurch der Berufswunsch ernst in Frage gestellt worden.640 Zeitlich sei das meist mit der Reifephase einhergegangen. Psychologisch fand Crottogini dies aber leicht erklärlich: Da in dieser Zeit der Reife eine Umwertung der Werte stattfinde, sei es nicht verwunderlich, wenn auch das kindliche Ideal des Glaubens und des Berufes davon erfasst würde.641 Aber auch hier erkannte Crottogini Problemstellen seines eigenen Projekts:

„Erst wenn wir in der Lage wären, neben den ‚positiven‘ auch die Zahl der ‚negativen‘ Fälle zu ermitteln, d. h. die Anzahl jener Jugendlichen, die infolge der obigen Schwierigkeiten am früher angestrebten Priesterberufsideal endgültig irre wurden, könnten wir uns über die wirkliche Tragweite dieser phasenbedingten Berufskrise ein objektives Urteil erlauben.“642

Deshalb stellte er wieder einen Vergleich mit der Gruppe der Laien („Ehemalige“) an, von denen zwei Drittel (67%) angaben, den einstigen Berufswunsch aufgegeben zu haben. „Wie bei den Theologen, so fiel auch bei diesen ‚Ex-Theologen‘ die verhängnisvolle Berufskrise meistens mit den Anfängen der Pubertätskrise zusammen.“643 Crottogini leitete ab, die Merkmale der ersten Phase der Reifezeit („innere Unbestimmtheit, Unsicherheit, Unabgeklärtheit und affektive Labilität“644) stellten für das naive Berufsstreben jugendlicher Priesterkandidaten eine ernste und schwere Belastung dar, denen der Großteil der jungen Männer nicht gewachsen gewesen sei. Wobei Crottogini weniger solche Krisen als Problem bewertete, sondern eher ihr Fehlen:

„Da dieser Tatbestand [der ernsten Belastung und Herausforderung; J. S.] Anspruch auf eine gewisse Allgemeingültigkeit erhebt, sollte er vor allem von Eltern und Erziehern angehender Priesteramtskandidaten beachtet werden. […] Es handelt sich dabei nicht um etwas Abnormales. Vielmehr sollten die Erzieher sich klar darüber sein, daß es für die Weiterentwicklung und die Stetigkeit in der späteren Berufsausübung nicht ohne weiteres ein gutes Omen ist, wenn der Jugendliche diese Phase ohne jede Störung durchläuft.“645

Viele dieser Jugendlichen, so Crottogini weiter, die ihr Ideal einst aufgaben, wären trotz ihrer sexuellen Schwierigkeiten durchaus fähig und letztlich auch bereit gewesen, dem Priesterberufsideal die Treue zu halten. Allerdings habe ihnen in diesen Sturm- und Drangjahren eine Erzieherpersönlichkeit gefehlt, die nicht nur das notwendige innere Verständnis für die entwicklungsbedingten Schwächen aufgebracht, sondern auch den Mut gehabt hätte, mit entsprechenden Forderungen an ihren jugendlichen Idealismus heranzutreten.646 Im Hinblick auf andere Berufswünsche hätten bei der Theologengruppe diejenigen, die überhaupt eine Alternative zum Priestertum wahrgenommen hätten (ca. 50%), sich meist vorstellen können, Arzt oder Lehrer zu werden. In beiden Berufen sah er Parallelen zum Priesterberuf, da lehren und erziehen bzw. helfen und heilen gemeinsame äußere Tätigkeiten von Lehrern bzw. Ärzten und Priestern seien.647

Zu der Frage nach der Entscheidung zwischen Welt- und Ordenspriesterberuf berichteten 66,5%, erst eine Weile unentschlossen gewesen zu sein, bevor sie sich endgültig entschieden hätten.648 Dabei ging es Crottogini nicht mehr um die grundsätzliche Frage, Priester werden zu wollen oder nicht, sondern nur noch um die Wahl der Lebensform. Im Durchschnitt sei diese Entscheidung in der Adoleszenz gefallen, ein für Crottogini erwartungsgemäßes Ergebnis, weil diese definitive Entscheidung einen hohen Grad innerer Reife und äußerer Sachkenntnis voraussetze.649 Als den entscheidenden äußeren Faktor für die Wahl der Lebensform ermittelte er den persönlichen Kontakt zu einem Welt- oder Ordenspriester. Eltern, Freunde, Publikationen und katholische Schulen folgten erst an weiterer Stelle. Seine Frage nach den entscheidenden inneren Faktoren für die Wahl der Lebensform war nur bedingt eindeutig auswertbar, weil es auch hier wieder Mehrfachnennungen gab.650 70% aller Teilnehmer aber gaben an, sich von gott- oder gemeinschaftsbezogenen Beweggründen haben leiten zu lassen.651 Insgesamt wertete Crottogini noch aus, die „Weltkleriker ließen sich in ihrer endgültigen Berufswahl mehrheitlich von sozialen Motiven leiten, während die letzte Berufsentscheidung der Ordenskleriker vorwiegend unter dem Einfluß religiöser Werte stand.“652 Er bedauerte, keine genaueren Aussagen machen zu können.653

In seinen Schlussbetrachtungen betonte Crottogini zusammenfassend noch einmal die besondere Rolle des Priestererziehers: Der Erzieher müsse unbedingt von den natürlichen entwicklungsbedingten Schwierigkeiten der Kandidaten wissen. Nur dann werde er die Krise, selbst wenn sie mit der Preisgabe des kindlichen Tdeals ende, nicht zu tragisch nehmen, andererseits aber doch alles einsetzen, um den Jugendlichen in ihrer oft harten Berufsnot beizustehen. Allein so könne man vielen die innere Berufssicherheit wieder schenken können. Die übrigen könne er aber immerhin in dieser Zeit von einer definitiven Berufsentscheidung abhalten, bis man das angestrebte Berufsziel objektiv bewerten könne.654 „Durch eine solche, von einem klugen Erzieher geleitete Verzögerungs- und Ermutigungstaktik könnte von den vielen, objektiv – wie wir gesehen haben – oft gar nicht gerechtfertigten ‚Pubertätsabgängern‘ vermutlich mancher dem Priesterberuf erhalten bleiben.“655

2.2.3 Das Promotionsverfahren und die geplante Veröffentlichung

Anfang 1954 reichte Crottogini seine Dissertation bei seinem Erstgutachter Montalta ein. Sein Zweitgutachter war Norbert Luyten OP.656 Die Gutachter kamen zur übereinstimmenden Bewertung summa cum laude.657 Die sich anschließenden mündlichen Prüfungen am 15. Mai habe er auch mit Auszeichnung bestanden, berichtete Crottogini in einem Brief an seinen Generaloberen am 23. Mai 1954.658 Im selben Brief beschrieb er die aktuelle Uneinigkeit zwischen ihm und Montalta über den Ort der Drucklegung. Montalta sei viel daran gelegen, die These in dessen Reihe Arbeiten zur Psychologie, Pädagogik und Heilpädagogik im Universitätsverlag zu veröffentlichen. Die finanziellen Bedingungen seien aber ungünstig. Crottogini sei deshalb vom Generalökonom der SMB gebeten worden, noch andere Angebote einzuholen. Er sei dem auch nachgekommen, habe aber bislang keine Antworten erhalten.659 Die Frage der Drucklegung war vor allem finanziell relevant: Die von der Hochschule geforderte Auflage von 50 gedruckten Pflichtexemplaren wäre eine kostspielige Angelegenheit geworden und, da er aufgrund seines Armutsversprechens nur über ein kleines monatliches Taschengeld verfügte, zu Lasten der Missionsgesellschaft gegangen.660 Konnte er aber einen Verlag finden, der seine Dissertation in seinem Verlagsprogramm veröffentlichte, könnten die Bedingungen angenehmer und die Eigenbeteiligung niedriger ausfallen. „Bereits der erste Verlag, der Benziger Verlag in Einsiedeln, war sofort bereit, meine Dissertation zu veröffentlichen.“661 Ob Crottogini überhaupt weitere Verlage kontaktierte, geht aus seinen erhaltenen Aufzeichnungen nicht hervor. Am 18. Juni 1954 erhielt Montalta einen Brief von Oscar Bettschart, Direktor des Benziger Verlags in Einsiedeln, in dem er sich auf ein vorheriges Telefonat bezog: „[V]on der Arbeit von CROTTOGINI werden 200 Exemplare in der Wissenschaftlichen Reihe des Institutes erscheinen und 50 Exemplare als Dissertation.“662 Daneben sollte eine normale Buchausgabe in den Handel gehen.663

Im Juni 1954 stand damit zumindest fest, dass der renommierte Verlag aus Einsiedeln mit Zweigstelle in Köln das Buch verlegen würde. Der Verlag war bereit, die Dissertations-Exemplare Crottoginis mit seinem Honorar für die Exemplare aus dem

Handel zu verrechnen.664 Knapp zwei Wochen später, am 2. Juli, erhielt Crottogini deshalb zwei Ausfertigungen des Verlagsvertrags.665 Zu diesem Zeitpunkt trug das Werk noch den Originaltitel Die Wahl des Priesterberufes als psychologisch-pädagogisches Problem. Am 13. Juli schickte Crottogini die Verträge unterschrieben zurück – vermutlich nach vorheriger Konsultation mit seinem Generaloberen bzw. dem Generalökonom – und bedankte sich für die „großzügigen Bedingungen“666. Einzig die genaue Anzahl der Exemplare bedürfe noch einer Absprache mit seinem Oberen und Montalta.667 Man einigte sich auf ein Treffen in Zürich noch im Juli 1954, um weitere Details persönlich zu besprechen.668 Wiederum fast zwei Wochen später erhielt Crottogini auch einen unterschriebenen Verlagsvertrag für seine Unterlagen zurück und Bettschart beteuerte noch einmal, sich zu freuen, dass der Grundstein zu einer guten Zusammenarbeit gelegt worden sei.669 In den Sommermonaten kam es zu einem persönlichen Kennenlernen. Am 9. September 1954 schrieb Bettschart an Crottogini:

„Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verbunden, wenn Sie uns Ihr korrigiertes Manuskript einsenden könnten, weil ich es in der nächsten Zeit in den Satz geben möchte. Wie steht es um die Vorbesprechungen, über die wir uns das letzte Mal unterhalten haben? Ferner würde mich interessieren, was nun mit Prof. Montalta herausgekommen ist.“670

Wenige Tage später erhielt er von Crottogini das Manuskript. Er habe es noch um die neueste Literatur und ein paar wenige von den Gutachtern gewünschte sachliche Klarstellungen ergänzt.671 Crottogini schrieb außerdem, er habe sich mit Montalta auf 160 Reihen- und 40 Dissertationsexemplare geeinigt. Crottoginis Mitbruder Hans Krömler habe sich außerdem zu einer Vorbesprechung in der Schweizerischen Kirchenzeitung bereit erklärt.672 Aus zeitlichen Gründen könne das jedoch nicht vor Dezember 1954 geschehen.673 Crottogini sprach dann zudem selbst die Frage nach dem Titel der Arbeit an: „Auch wäre es gut, wenn wir uns bis zu diesem Datum über den endgültigen Titel der Buchausgabe einigen könnten. Ich habe ungefähr zehn Vorschläge zur Hand, von denen mich aber keiner recht befriedigt.“674

 

Der nächste erhaltene Brief stammt wieder von Crottogini und datiert auf den 5. Oktober 1954.675 Er lässt zwischenzeitliche Kontakte zwischen Bettschart und Crottogini vermuten. Zunächst übersandte Crottogini einige seiner Titelvorschläge an Bettschart. Dabei erwähnte er mehr beiläufig, er habe die „beiliegende Druckerlaubnis […] ohne Schwierigkeiten erhalten, nachdem Prof. Luyten und Montalta ihr Gutachten vorlegten. Das Imprimatur der Gesellschaft muss nicht hineingedruckt werden.“676 In einem Interview 2011 erklärte Crottogini:

„Aufgrund des Themas meiner Arbeit wurde mir geraten, den Bischof von Chur darum zu bitten, offiziell die kirchliche Druckerlaubnis, das Imprimatur, zu erteilen. Dadurch erhoffte man sich, mögliche Vorbehalte einiger Pfarrer bereits vornherein zu zerstreuen. Der Bischof von Chur, den ich gut gekannt habe, bat mich darum, ihm ein Gutachten der Universität und von einem meiner Mitbrüder zu schicken. Daraufhin habe ich das Imprimatur sehr schnell erhalten.“677

Am 7. Oktober 1954 bat Crottogini in einem Brief an die Philosophische Fakultät, seine Pflichtexemplare auf 30 reduzieren zu dürfen, weil seine Dissertation in der Reihe Arbeiten zur Psychologie, Pädagogik und Heilpädagogik der Professoren Montalta und Dupraz erscheinen werde.678 Die auf den gleichen Tag datierte Antwort im Auftrag des Dekans teilte ihm mit, sein Gesuch müsse zur Annahme der Fakultät (dem Fakultätsrat) vorgelegt und von ihr beschlossen werden. Die Vorlage würde in der ersten Sitzung des neuen Semesters geschehen.679 Auf seiner Sitzung am 21. Oktober entsprach der Fakultätsrat Crottoginis Gesuch. Der Dekan teilte ihm am 22. Oktober schriftlich mit, die neue Zahl an Pflichtexemplaren betrage 30.680

Als nächstes standen noch redaktionelle Arbeiten an. Dazu zählte auch die Frage nach den verschiedenen Ausgaben seines Buches. Die Unterschiede zwischen der einfachen Buchausgabe und der Reihenausgabe mussten besprochen werden. Um die Ausgaben für die Reihe zu besprechen, fragte Bettschart bei Crottogini am 11. November 1954 nach einem Termin mit Montalta an.681 Crottogini antwortete direkt, schlug ein Treffen vor und erkundigte sich auch nach dem weiteren Vorgehen: „Wann darf ich etwa die ersten Druckbogen zur Durchsicht erwarten?“682 Bei einem Treffen in Zürich Ende November wurden schließlich die offenen Fragen geklärt.683 In den ersten Wochen des Jahres 1955 tauschten sich Bettschart und Crottogini noch mehrfach über kleinere Fragen der Aufmachung aus („Problematisch sind mir nur die Tabellen. Ich glaube, dass alle […] Tabellen vom übrigen Text durch eine leichte Umrahmung abgehoben werden sollten“684). Ein erster Abschluss lässt sich in einem Brief Crottoginis an Bettschart vom 28. April 1955 ausmachen: Er informierte Bettschart, Montalta wünsche „unbedingt einen Umbruch der Reihenexemplare zur Einsicht“685, bevor der Titel in den endgültigen Druck gehe. Von Crottoginis Seite aus dürfe aber „[f]ür die Aufarbeitung der Buch- und Dissertationsausgabe […] nun alles bereit liegen.“686 Die Reihenausgabe werde sich wahrscheinlich etwas verzögern, was aber der vorherigen Einsichtnahme Montaltas in das Muster geschuldet sei.687 Mit Blick auf die bald anstehende endgültige Drucklegung wandte sich Crottogini erneut an die Philosophische Fakultät. Er bat, den vereinfachten Titel seiner Dissertation „auch für die Drucklegung der Pflichtexemplare gutzuheissen.“688 Der Dekan antwortete ihm, eine besondere Erlaubnis der Fakultät sei nicht nötig.689 Mit diesem Wissen informierte Bettschart Crottogini am 3. Mai, die Buchausgabe werde nun druckbereit gemacht.690

Nahezu seit Beginn 1955 wurde Crottoginis Arbeit Werden und Krise des Priesterberufes prominent beworben. Bereits im Februar 1955 war eine mehrteilige Besprechung der Arbeit durch Crottoginis Mitbruder Krömler in der überregionalen Schweizerischen Kirchenzeitung erschienen.691 Im März folgte eine kurze Buchempfehlung des Freiburger Regens Egidius Holzapfel im Oberrheinischen Pastoralblatt.692 Mindestens im Anzeiger für die katholische Geistlichkeit schaltete Benziger eine Anzeige693 und die Schweizer Verlags- und Buchhandlungskette Räbers nahm den Titel in ihr Oster- und Frühjahrsprospekt auf.694 Die wahrscheinlich größte Aufmerksamkeit erregte das Buch allerdings durch die Besprechung in der Herder Korrespondenz im Mai 195 5695, die berichtete, in „einigen Wochen“696 werde der Titel im Benziger-Verlag erscheinen.

Zu diesem Zeitpunkt, so Crottogini, seien zwar bereits 4000 Exemplare gedruckt, aber noch nicht gebunden gewesen.697 Die verhältnismäßig hohe Auflage für einen vergleichsweise teuren Titel lässt darauf schließen, dass sich der Verlag einigen Erfolg von diesem Buch versprach.698 Dafür spricht zudem, dass Bettschart auch Übersetzungen des Werkes plante.699

Seit Mai 1955 wurden jedoch Bedenken gegen die Publikation laut. Die Bedenken richteten sich gegen die Seiten über Sexus, Eros und Zölibat und stellten die Opportunität einer Veröffentlichung solchen Materials in Frage. Versuche, mit dem Apostolischen Stuhl eine Lösung zu finden, verzögerten sich.700 Mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit und die anhaltenden Publikationsschwierigkeiten schrieb Crottogini am 4. Juni 1956 erneut an die Philosophische Fakultät. Er entschuldigte die Abgabeverzögerung seiner Pflichtexemplare.701 Die Veröffentlichung und damit auch die endgültige Drucklegung der Dissertation seien auf unerwartete Schwierigkeiten gestoßen. Deshalb sei es ihm bis zur Stunde nicht möglich gewesen, die verlangten Pflichtexemplare abzuliefern.702 „Ich hoffe, dass dies aber bis spätestens Ende dieses Jahres möglich wird. Hätten Sie also die Güte, den Ablieferungstermin für die Pflichtexemplare bis Ende 1956 zu verlängern?“703

Crottoginis Hoffnung erfüllte sich nicht. Genau zwei Wochen später erhielt er das Dekret, das die Veröffentlichung des Buches verbot.704 Mit der Sitzung des Fakultätsrats vom 23. Juni 1956 wurde er schließlich ausnahmsweise von der Ablieferung der Pflichtexemplare befreit.705 Am 11. Juli antwortete ihm der Kanzler der Universität, das Doktordiplom sei bereits in der Druckerei. Crottogini werde es noch im Sommer 1956 erhalten.706 Damit hatte er das Promotionsverfahren erfolgreich abgeschlossen.

2.3 Rezeption

Verlag und Autor war ursprünglich gleichermaßen daran gelegen, den Priesterberuf intensiv zu bewerben, um die Verbreitung zu steigern. Vorabbesprechungen in (Fach-)Zeitschriften waren dafür ein beliebtes und günstiges Mittel. Um das Buch besprechen zu können, das bislang nicht im Laden erhältlich war, erhielten die Verlage Manuskripte bzw. Umbruchexemplare. Diese enthielten bis auf wenige Details (z. B. fehlendes Vorwort und Register) den druckfertigen Text.707 Vor dem Hintergrund des späteren Publikationsverbots stachen zwei Rezensionen wegen ihrer Ausführlichkeit hervor. Dabei handelte es sich um die Besprechungen in der Schweizerischen Kirchzeitung und in der Herder Korrespondenz zwischen Februar und Mai 1955. Darüber hinaus gab es nur wenige veröffentlichte Besprechungen. Zwar waren weitere Besprechungen geplant, gingen aber nicht in Druck.708

2.3.1 Rezensionen

2.3.1.1 „Schweizerische Kirchenzeitung“

Crottogini hatte schon seit September 1954 mit seinem Mitbruder Krömler besprochen, dieser werde eine Rezension zum Priesterberuf schreiben.709 In einer mehrteiligen Serie sollte die Besprechung zu Beginn des Jahres 1955 in der überregionalen Schweizerischen Kirchenzeitung (SKZ) erscheinen. Dabei sollten die Teile der Besprechung nicht nur separat abgedruckt, sondern, weil Krömler sehr beschäftigt war, auch zeitlich versetzt verfasst werden. Wann immer er einen weiteren Beitrag fertiggestellt hatte, sandte er ihn zunächst an Crottogini. Am 27. November 1954 schrieb er so an Crottogini: „Beiliegend der 2. Beitrag. Den 3. schreibe ich eben.“710 Der erste Teil von Krömlers Serie erschien am 17. Februar 1955 unter der Überschrift „Werden und Krise des Priesterberufes. Vor- und Zwischenbemerkungen zu einem neuen Buch“711. Im Laufe der nächsten Wochen folgten vier Fortsetzungen. Krömlers Besprechung umfasste insgesamt zehn Seiten und war damit für eine Buchvorstellung sehr umfangreich.712