Unbändig berührt

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Aus der Reihe: Berührt #4
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Kapitel 4

Marek

»Alter, siehst du scheiße aus!« Mitleidig lachend schloss sein bester Freund die Tür hinter sich und musterte ihn von oben bis unten, bevor er die Nase rümpfte. »Wann hast du das letzte Mal geduscht, sag mal?«

»Donnerstag?«, überlegte Marek laut, konnte sich aber nicht wirklich daran erinnern. Es konnte auch Mittwochabend gewesen sein.

Frank schüttelte den Kopf. »Heute ist Sonntag. Hast du Fieber?«

»Grad eben nicht. Hab vorhin eine Tablette genommen, nachdem es heute Vormittag immer schlimmer wurde«, antwortete er und war froh, dass es ein Kombipräparat auch gegen Schmerzen gewesen war, denn sein Hals brachte ihn immer noch um.

Frank schürzte die Lippen und der Dom in ihm blitzte hervor. »Dann geh jetzt duschen. Mit Fieber ist das echt unangenehm, also nutz die Gelegenheit. Ich mach uns derweil Kaffee.«

»Keinen Kaffee«, protestierte Marek, denn das hatte er heute früh schon probiert und es war nicht so gut ausgegangen. »Aber du kannst mir einen Tee machen.«

Der ungläubige Blick seines Freundes war herrlich. Oder er wäre es gewesen, wenn es ihm nicht immer noch so beschissen gegangen wäre. »Tee? Du stirbst ja wirklich.«

»Arsch«, knurrte er und machte sich auf den Weg ins Bad.

Frank lachte jedoch nur. Marek schloss die Tür hinter sich und schälte sich aus seinem Bademantel und dem Schlafzeug. Die Dusche war herrlich, aber lange konnte er das heiße Wasser nicht genießen, denn sein Kreislauf war immer noch im Keller.

Eingewickelt in zwei flauschige Handtücher direkt aus dem Trockner schleppte er sich leicht fröstelnd in sein Schlafzimmer und seufzte angesichts der Schmutzwäsche auf dem Boden. Wenn er gewusst hätte, dass aus dem kleinen Kribbeln in der Nase binnen weniger Stunden eine ausgewachsene Grippe werden würde, hätte er die Wäsche am Donnerstag noch erledigt.

Immerhin fand er frische Unterwäsche, einen Kapuzenpullover sowie eine noch halbwegs saubere Jogginghose und ging anschließend ins Wohnzimmer zurück. Bei Franks Anblick musste er unweigerlich lachen.

Ganz Dom hatte er das Zepter an sich gerissen. Auch wenn Marek das sonst kaltließ, musste er zugeben, dass ihm Franks Bedürfnis, die Kontrolle zu übernehmen, jetzt mehr als entgegenkam. Frank hatte alle Fenster aufgerissen, bereits den Tisch abgeräumt und sammelte gerade benutzte Taschentücher in eine Plastiktüte, wobei er ein Paar Einmalhandschuhe sowie einen Mundschutz trug.

»Hat Noah dich dazu gezwungen?«, fragte Marek amüsiert und deutete auf die Schutzausrüstung.

Frank verdrehte die Augen, nickte aber. »Sonst lässt er mich zu Hause nicht mehr rein. Und ich muss mich desinfizieren, bevor ich wieder ins Auto steige. Ich wette, er hat die Flasche mit dem Desinfektionsmittel abgewogen, um zu überprüfen, ob ich es auch wirklich benutzt habe.«

»Paranoider Hypochonder.« Schwerfällig ließ Marek sich aufs Sofa fallen. »Danke fürs Aufräumen.«

»Kein Ding, auch wenn du offenbar immerhin in der Lage warst zu kochen.«

Blinzelnd schüttelte er den Kopf. »Ich hab nicht gekocht.«

Frank zog die Augenbrauen hoch. »Da steht ein halb voller Topf Suppe auf deinem Herd.«

»Oh. Die ist von Jonas.«

»Wer ist denn Jonas?«

»Mein neuer Nachbar. Er war gestern zweimal hier.« Marek erzählte von Jonas' Besuchen und als er fertig war, grinste sein bester Freund.

»Steht er auf dich?«

»Ach, Quatsch«, entgegnete er abwinkend. Sein strohblonder Nachbar war zwar echt attraktiv, aber nach allem, was er erzählt hatte, wohl eher hetero. »Er lässt sich gerade von seiner Frau scheiden. Ich denke, er wollte einfach nur nett sein. Und sichergehen, dass in der Wohnung direkt über ihm keiner verreckt.«

Frank schürzte die Lippen und nickte. »Kann ich nachvollziehen.« Er brachte die Mülltüte in die Küche und kam mit zwei dampfenden Tassen zurück. Marek war sich sicher, dass in Franks Kaffee war, aber dieser stellte einen Pfefferminztee vor ihm ab. Langsam konnte er Tee nicht mehr sehen, nur vertrug er im Moment nichts anderes.

»Wie war es gestern? Hattet ihr Spaß?«, wollte er wissen, nachdem er einen Schluck getrunken hatte, und zog die Beine auf die Couch hoch, denn er fing wieder an zu frieren.

»Und ob.« Franks Augen fingen richtig an zu leuchten, sodass Marek noch mehr bereute, es nicht zur Party geschafft zu haben. »Die Location ist schon der Hammer und die Gäste waren bunt gemischt. Allerdings weiß ich nicht, ob dir die Workshops gefallen hätten, aber Noah und ich haben einiges über Atemkontrolle gelernt. Das wollte er ja schon lange mal ausprobieren, aber es war mir zu gefährlich, ohne fachkundige Anleitung an seinem Hals rumzudrücken oder ihm Mund und Nase zuzuhalten.«

»Und die gab es gestern?«

»Ja. Du kennst Hektor?«

Marek nickte, denn er hatte sich auf der Frühlingsparty kurz mit dem Dom unterhalten. Er hatte eine süße Sub, mit der er alle Hände voll zu tun hatte. »Flüchtig.«

»Der hat es demonstriert.«

»Ah, cool.« Frank hatte recht, Atemkontrolle war nicht unbedingt etwas, das Marek heißmachte, aber er freute sich, dass Frank es mit seinem Sub hatte ausprobieren können. »Und wie hat es Noah gefallen?«

Franks Grinsen war Antwort genug.

»Hat euer Anhängsel sich auch amüsiert?«, fragte er betont beiläufig, aber sein bester Freund durchschaute ihn natürlich.

Auf das wissende Schmunzeln folgte jedoch ein mitfühlender Blick. »Ich fürchte, Ian ist vergeben. Jedenfalls habe ich Noah gerade bei ihm und seinem Dom abgesetzt.«

»Oh. Das ging schnell«, bemerkte Marek überrascht. »Hast du nicht geschrieben, dass er auf der Suche ist?«

»Ja, war er eigentlich auch, aber anscheinend hat er sich da selbst was vorgemacht. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist sein bester Freund sein Dom. Oder wäre es gern... So richtig habe ich die Hintergründe nicht kapiert. Noah weiß da besser Bescheid, wollte mir aber keine Details verraten. Subgeheimnis, meint er.« Frank verdrehte die Augen, aber Marek verstand, was er ihm sagen wollte. Nur weil er ein Dom war, bedeutete das nicht, dass sein Sub keine Privatsphäre haben durfte. »Ich glaube, den Dom kennst du aber auch. Dieser gebürtige Russe, der ziemlich gut mit Hektor und seiner Sub befreundet ist.«

Überrascht blickte er von seiner Tasse auf. »Du meinst Boris? Dunkle Haare, hübscher Kerl, etwa so groß wie ich?« Als Frank tatsächlich nickte, zog Marek die Augenbrauen hoch. »Bist du dir sicher? Der ist doch hetero.« Zumindest hatte er ihn bisher immer nur mit Frauen gesehen, aber so gut kannten sie sich eigentlich nicht.

»Ich habe vorhin kurz mit ihm persönlich gesprochen, also ja, ich bin mir sicher, dass es Boris ist. Anscheinend ist er bi.«

»Ah, okay, das kann natürlich sein.« Er freute sich für Ian, dass dieser so schnell jemanden gefunden hatte, der sich seiner annahm, denn er hatte damals tatsächlich ziemlich verloren gewirkt. Auch wenn das Marek die Aussicht auf ein baldiges Ende seiner Sexflaute nahm, allerdings war er gerade sowieso nicht in der Lage, auch nur an ein Spiel zu denken.

»Konntest du meine Eintrittskarte zurückgeben?«, fragte er hoffnungsvoll.

Frank verzog das Gesicht. »Leider nicht. Aber du bekommst einen Nachlass auf das Ticket für die Adventsparty im Dezember. Meld dich einfach bei Roland, wenn du weißt, ob du hinkommst.«

»Na ja, immerhin.« Während sein bester Freund von der Party und dem Workshop schwärmte, trank Marek seinen Tee und genoss es, mal länger als eine Stunde wach zu sein und sich mit jemandem zu unterhalten.

Jonas war am Vortag ja nur kurz da gewesen und die meiste Zeit hatten sie sich angeschwiegen. Dabei war er ihm gar nicht schüchtern vorgekommen. Im Gegenteil, so offen, wie sein Nachbar über seine Familie und die Scheidung gesprochen hatte, schien er keine Berührungsängste gegenüber Fremden zu haben. Aber vermutlich war Marek keine sehr angenehme Gesellschaft gewesen und Jonas hatte es recht schnell bereut, dass er extra für ihn gekocht hatte.

»Hörst du mir noch zu, Hase?«

Mit zusammengekniffenen Augen sah er Frank an, der ihn amüsiert musterte. Er hätte ihm nie bestätigen dürfen, was sein Nachname auf Deutsch bedeutete, aber der Kerl war einfach neugieriger, als gut für ihn war. »Fick dich.«

Sein bester Freund grinste. »Woran hast du denn so intensiv gedacht, dass du mir nicht mehr zuhören konntest? An deinen sexy Nachbarn?«

»Woher weißt du, dass er sexy ist?« Die Worte waren raus, ehe er seinen Fehler bemerkte. Normalerweise war er nicht so dämlich, aber sein Hirn war Matsch.

Frank nahm darauf keine Rücksicht, sondern lachte sich ungeniert kaputt. »Das war schon fast zu einfach.«

Seufzend schüttelte Marek den Kopf. »Ja, ich hab gerade an Jonas gedacht. Aber nicht so, wie du denkst.« Okay, er log gerade seinen besten Freund an, aber was forderte der ihn auch heraus, wenn er krank war? »Wie soll ich mich bei ihm für das Essen bedanken, ohne dass es komisch wirkt?«

»Komisch?«

»Na, eigentlich würde ich ihn einfach zum Essen beim Asiaten um die Ecke einladen und wir sind quitt, aber was, wenn er es als Date versteht?«

Frank schmunzelte. »Wäre es denn eins?«

»Nein!« Er musste husten und nachdem er sich beruhigt hatte, schaute er Frank grimmig an. »Es wäre kein Date. Nur ein Dankeschön.«

»Ist ja schon gut.« Amüsiert hob Frank abwehrend die Hände und tat wenigstens so, als würde er über das Problem nachdenken. »Lad ihn doch einfach hierher auf eine Pizza ein. Das wirkt unverfänglicher und er war ja schon mal hier. Ist also nicht so, als würdest du ihm dein Schlafzimmer zeigen wollen.«

»Nee, das geht nicht. Dann denkt er, ich hab ihm nicht zugehört, als er sich darüber beschwert hat, dass seine Teenagertochter lieber Pizza isst als sein selbst gekochtes Essen«, warf Marek ein, auch wenn Frank das vorher nicht hatte wissen können.

 

Der seufzte. »Dann bring ihm einfach ein Sixpack Bier runter und sag brav Danke schön, dass Sie mich nicht sterben gelassen haben.«

»Und wenn er Weintrinker ist? Das weiß ich ja nicht.«

Frank lachte. »Ist doch scheißegal! Die Geste zählt.«

»Hm.« Marek spürte, dass sein Gesicht langsam wieder warm wurde und er allmählich stärker fror, also schien das Fiebermittel seine Wirkung zu verlieren. »Ich glaub, ich muss wieder ins Bett. Vielleicht fällt mir später noch was Besseres ein.« Das Glucksen seines besten Freundes ließ ihn argwöhnisch zu ihm rübersehen. »Was?«

»Schon gut. Geh ins Bett und denk weiter über deinen sexy Nachbarn nach.«

»So habe ich das überhaupt nicht gemeint«, verteidigte Marek sich und stand demonstrativ auf. »Findest du allein raus?«

Franks Schultern bebten. »Ein bisschen mehr Dankbarkeit wäre angebracht, immerhin habe ich deine keimverseuchte Bude aufgeräumt. Hey, lad mich doch zum Essen ein. Kein Date natürlich, nur ein kleines Candle-Light-Dinner unter Freunden.«

»Ty idioto!«, motzte er und musste dann selbst lachen, denn wenn der Idiot es so formulierte, klang es in der Tat nach einem Date, auch wenn er selbst nie etwas von Kerzenschein gesagt hatte. »Ich bin krank, Mann. Mein Gehirn läuft nur auf Stand-by.«

»Dann ab ins Bett. Ich komme die Tage noch mal her. Schreib mir eine Einkaufsliste, wenn du fit genug bist, um dir wieder selbst was zu kochen.« Franks Grinsen war fies, aber Marek wusste seine Fürsorge zu schätzen.

»Danke. Bestell Noah schöne Grüße.«

»Mach ich.«

»Und huste ein bisschen in seiner Gegenwart für mich, ja?«

Frank lachte. »Such dir bloß mal einen eigenen Sub, den du ärgern kannst.«

Seufzend wandte Marek sich um und ging ins Schlafzimmer. »Wenn das so einfach wäre...«

Es war ja nicht so, als hätte er noch nicht versucht, jemanden für eine langfristige Beziehung zu finden. Zwar lebten sie in einer Großstadt, aber die Anzahl schwuler oder bisexueller Subs war dennoch begrenzt. Im Prinzip sah man auf den Partys immer nur die gleichen Gesichter. Außerdem war er über dreißig und hatte einen osteuropäischen Akzent. Bisher hatte er noch keinen Sub getroffen, der mehr als nur ein bisschen Spielen hinter geschlossenen Türen zugelassen hatte. Das war okay, da waren schließlich nie romantische Gefühle beteiligt gewesen. Aber in einer Beziehung würde er sich auf keinen Fall wie ein schmutziges Geheimnis behandeln lassen.

»Hey, da findet sich schon einer«, meinte Frank mitfühlend und blieb an der Schlafzimmertür stehen. »Vielleicht hast du Glück und er wäscht gern Wäsche.«

»Verpiss dich einfach«, murmelte Marek, woraufhin sein Kumpel lachte.

»Bis die Tage.«

»Bis dann.«

Er hörte noch, wie die Wohnungstür zugezogen wurde, dann konnte er sich nicht mehr gegen die Müdigkeit wehren.

Kapitel 5

Jonas

Er liebte seine Tochter und mochte ihre Freundinnen, aber Teenager waren verdammt anstrengend. Vor einer Stunde hatten sie zu dritt das Wohnzimmer in Beschlag genommen, um die Präsentation für ihre Gruppenarbeit zu basteln. Statt sie am Computer zu erstellen, wie Jonas vorgeschlagen hatte – immerhin hingen sie sonst auch ständig an den Handys oder chatteten an ihren Laptops –, wollten sie lieber eine altmodische Präsentation mit einem Plakat und Anschauungsmaterial. Was sie noch nicht hatten, aber zumindest ein Stück Seife war ja schnell besorgt.

Offenbar war ihnen jedoch nicht klar gewesen, dass man zur Plakaterstellung mindestens Schere, Kleber und Papier, im Idealfall noch Texte und Bilder zum Präsentationsthema brauchte. Daher verbrachten sie eine gefühlte Ewigkeit damit, das Material zusammenzusuchen, was Jonas kopfschüttelnd und ungeduldig beobachtete. Er hasste es, untätig rumzusitzen, aber solange die Mädels noch zum Inhalt ihres Vortrags recherchierten, blieb ihm nichts anderes übrig.

Mit dem Biologiebuch und einer Liste mit Seitenzahlen fuhr er schließlich noch mal in seine Praxis und kopierte gefühlt das halbe Buch. Er hatte keine Ahnung, ob er sich damit strafbar machte, aber seine Mitarbeiterinnen waren schon gegangen und die Ruhe war gerade sehr angenehm.

Als er sich auf den Heimweg machte, kam er im Treppenhaus an der Praxis von Mareks Hausarzt vorbei und warf unweigerlich einen Blick auf die Tür. Es wäre natürlich ein zu großer Zufall gewesen, aber er hatte seit anderthalb Wochen lediglich Schritte und das Plärren des Fernsehers von oben gehört, seinen Nachbarn aber nicht getroffen. Marek bewegte sich allerdings wieder mehr, daher brauchte er sicher keine Hilfe und Jonas wollte sich auch nicht aufdrängen, nur weil es ihn auf seltsame Weise in die fremde Wohnung zog.

Er wusste nicht mal, wieso der Mann ihn dermaßen faszinierte und er immerzu an ihn denken musste, schließlich hatte Jonas ihn nicht gerade in seinem besten Zustand kennengelernt. Aber vielleicht war es genau das, was ihn noch umtrieb. Sicher wäre seine Neugierde befriedigt, wenn er ein paar Worte mit Marek gewechselt hatte, ohne dass der dabei drei Taschentücher vollschnodderte.

Auch wenn Jonas nur wenige gute Freunde hatte – wovon die meisten, um nicht zu sagen alle, im Moment zu Anja hielten, weil sie offenbar der bescheuerten Ansicht waren, dass man nur noch mit einem von ihnen befreundet sein konnte –, lernte er gern neue Leute kennen. An seinem Arbeitsplatz kam es leider meist nur zu eher einseitigen Unterhaltungen, denn mit offenem Mund sprach es sich so schlecht.

Als er die Haustür hinter sich schloss und die Treppe zu seiner Wohnung hinaufstieg, ertönte Theas Stimme: »Soll ich ihm sagen, dass Sie hier waren?«

»Schon gut. Ich schreibe ihm einfach.«

»Okay. Sagen Sie mir trotzdem, wer Sie sind? Mein Vater wird das wissen wollen.«

Jonas war die Treppe hochgeeilt, bevor Marek antworten konnte. »Hey!«

Sein Nachbar drehte sich zu ihm um und lächelte. »Hallo.« Er sah schon viel besser aus, nicht mehr so verrotzt, und seine Augen strahlten viel mehr. Außerdem umgab ihn eine ganz andere Aura. Ohne Fieberwangen und schmuddeligen Bademantel strahlte Marek Autorität aus.

»Oh, gut. Hast du die Kopien?«

Theas Frage unterbrach ihren Blickkontakt. Jonas händigte ihr die Zettel samt ihrem Biobuch aus und als sie ins Wohnzimmer verschwunden war, bedeutete er Marek, ihm in die Küche zu folgen.

»Darf ich dir was anbieten?«

»Ich wollte mich für deine Hilfe bedanken.«

»Oh, das hast du doch schon«, entgegnete Jonas, als Marek ihm eine Flasche reichte, in der Wein, Met oder auch einfach nur Apfelsaft hätte sein können, denn er verstand die Worte auf dem Etikett nicht. »Danke schön.«

Marek blickte über seine Schulter, doch was auch immer er hatte sagen wollen, verkniff er sich und sah sich stattdessen neugierig um. Ihre Wohnungen waren identisch geschnitten, nur dass Jonas eine offene Küche hatte und bei Marek eine Wand eingezogen worden war.

»Was treiben die drei da?«

Er folgte Mareks Blick zum Esstisch im Wohnzimmer. »Sie basteln ein Plakat für die Schule.«

»Scheiße, der Kleber hält nicht. Wie alt ist der denn?«, wollte Maria prompt wissen.

Thea zuckte mit den Schultern und drehte sich zu Jonas um. »Hast du noch Kleber?«

»Ich schaue gleich mal.«

»Kannst du jetzt nachsehen?«

Da er wusste, dass sie das Plakat am nächsten Tag brauchten, sah er Marek entschuldigend an. »Tut mir leid, ich mache uns gleich Kaffee, ja?«

Lächelnd nickte dieser und folgte ihm ins Wohnzimmer. Die Mädels berieten energisch, fast schon hysterisch, wo sie Text und Bilder platzieren sollten, während Jonas zum Schrank ging und in der Schublade wühlte, aber außer Briefumschlägen, Kulis und Büroklammern fand er nichts Brauchbares.

»Ist das ein Provisorium oder schon euer richtiges Plakat?«

Überrascht sah Jonas zum Tisch hinüber. Thea und ihre Freundinnen starrten Marek an, als hätte er sie gerade persönlich beleidigt, während dieser abschätzig die Collage aus sechs weißen Blättern betrachtete.

Thea fasste sich als Erste und stemmte auch gleich die Hände in die Hüften. »Was haben Sie gegen unser Plakat?«

»Es sieht unmöglich aus.« Ohne auf das empörte Keuchen der Teenager zu achten, deutete sein Nachbar auf das Papier. »Die Blätter sind krumm und schief zusammengeklebt und man sieht überall lose Ecken. Damit blamiert ihr euch doch, egal, was ihr noch drüberpappt.«

»Wir hatten nicht mehr genug Klebestreifen«, verteidigte Maria ihr... Werk.

Marek nickte verständnisvoll. »Ich habe Packpapier oben.« Er blickte zu Jonas rüber und schmunzelte. »Kleber auch.«

»Echt? Klasse!«

»Oh, das ist nicht nötig«, versicherte Jonas im gleichen Moment, doch Marek winkte nur ab.

»Ist kein Problem.« Mit diesen Worten verließ er das Wohnzimmer und kurz darauf wurde die Wohnungstür geöffnet.

Da er sie anscheinend offen ließ, ging Jonas in den Flur und musste schmunzeln, als sein Nachbar keine zwei Minuten später mit einer Rolle Packpapier zurückkam und grinsend zusätzlich zwei Klebestifte schwenkte.

»Du bist meine Rettung«, sagte er nun doch eher erleichtert, dass er nicht noch ins Schreibwarengeschäft musste.

»Nicht der Rede wert. Schon gar nicht so wertvoll wie Suppe zur Genesung.« Marek zwinkerte und für einen Moment verschlug es Jonas die Sprache, sodass er lediglich blinzeln konnte, während sein Nachbar an ihm vorbei ins Wohnzimmer ging. Hat der gerade... geflirtet?

»Perfekt!«, jubelten die Mädels, was ihn aus seiner Starre holte.

Eilig schloss er die Tür und folgte Marek.

»Wieso haben Sie so was parat? Sind Sie Künstler?«

»Künstler? Weil ich Packpapier und Kleber besitze?« Mareks Lachen war ansteckend, sodass Jonas unweigerlich lächelte, während er zu ihnen an den Tisch trat. »Nein, ich brauche das Papier, um die Pakete an meine Eltern einzuschlagen.«

»Aha.« Thea blickte ihn argwöhnisch an. »Wer sind Sie überhaupt?« Ihr Blick zuckte zu ihrem Vater. »Woher kennst du ihn?«

»Oh, tut mir leid, Schatz. Das ist Herr Zając.« Jonas sah unsicher zu Marek rüber, weil er seinen Namen sicherlich nicht richtig ausgesprochen hatte, woraufhin dieser grinste.

»So ähnlich.«

Mist. »Tut mir leid.«

Marek winkte ab und wandte sich wieder Thea und ihren Freundinnen zu. »Sagt einfach Marek.«

Sie musterte ihn irritiert, denn es kam nicht so oft vor, dass Erwachsene ihr kurz nach dem Kennenlernen erlaubten, sie beim Vornamen zu nennen. Ihre Freundinnen hingegen starrten Marek wenig verhohlen und viel zu verträumt an.

»Er wohnt in der Wohnung über uns«, erklärte Jonas, woraufhin Thea sich entspannte, nickte und sich dann daran machte, ein ausreichend großes Plakat von der Rolle zu schneiden. »Danke für das Material«, sagte Jonas an seinen Nachbarn gewandt. »Was bekommst du dafür?«

»Den versprochenen Kaffee«, antwortete er grinsend und Jonas musste erneut unweigerlich lachen.

Wenn das so weiterging, verwandelte er sich noch in einen ständig kichernden Teenie. Bevor er sich noch mehr blamieren konnte, ging er in die Küche und setzte Kaffee auf. Marek folgte ihm und beobachtete ihn, wobei er sich gegen den Schrank lehnte.

»Was ist das? Wein?«, fragte Jonas und deutete auf die Flasche, die sein Nachbar ihm mitgebracht hatte.

»Wodka. Polnischer Wodka. Der beste, den du kriegen kannst.«

Beeindruckt betrachtete er die Flasche, deren gewöhnliches Etikett offenbar täuschte. Er war nicht der größte Trinker, aber hin und wieder wusste er einen guten Tropfen zu schätzen. »Etwas für den besonderen Moment also. Danke schön.« Lächelnd sah er Marek an, der zufrieden nickte.

Während Jonas Kaffeetassen und Milch rausholte, wurden die Stimmen der Mädels lauter und er befürchtete, dass die Plakatklebeaktion heute noch in Streit ausarten würde.

Marek schien es auch mitzubekommen, denn er beugte sich vor und warf einen Blick zum Esstisch. »Sieht so aus, als würdest du den Wodka früher brauchen als erwartet, hm?«

Jonas musste lachen. »Kann durchaus so kommen.«

Sein Nachbar grinste. »Wieso ist sie denn hier? Hattest du nicht gesagt, sie kommt immer nur am Wochenende?«

»Jedes zweite, ja. Aber da sie den Vortrag zu dritt halten müssen und die anderen hier in der Innenstadt wohnen, wäre es heute Abend ziemlich spät geworden bis nach Unterbach raus. Deswegen hat sie gefragt, ob sie mit ihren Freundinnen herkommen und dann über Nacht bleiben kann. Ich hab mittwochs nur vormittags Sprechstunde, daher war es kein Problem.«

 

»Ah, verstehe.«

Der Kaffee war mittlerweile durchgelaufen, sodass Jonas ihn in Tassen füllte und auf Mareks deutete. »Milch oder Zucker?«

»Schwarz, bitte.«

Er reichte ihm eine Tasse, kippte Milch in seine eigene und überlegte, ob sie es sich antun sollten, sich ins Wohnzimmer zu setzen, oder ihren Kaffee lieber im Stehen tranken. Beides war nicht gerade prickelnd, aber in der Küche hatte er keine Sitzgelegenheit und das Schlafzimmer wäre wohl auch kein passender Ort.

»Papa?«

»Ja?« Erwartungsvoll drehte er sich zu Thea um, die tief durchatmete. »Braucht ihr noch was fürs Plakat?«

»Nein, aber wir werden uns bei der Aufteilung nicht einig. Kannst du mal gucken?«

»Oh, klar.« Er hatte keine Ahnung von Plakaten, aber er fühlte sich geehrt, dass sie es überhaupt in Erwägung zog, ihn zu fragen. Zusammen mit Marek folgte er ihr zum Tisch. »Wo liegt das Problem?«

Minutenlang ließ er sich sämtliche infrage kommenden Positionen für Text und Bilder zeigen, aber letztlich war es nur eine optische Entscheidung. Den fachlichen Teil hatten die Mädels gut gelöst.

Bevor er sich für eine der Möglichkeiten entscheiden musste, stellte Marek seine Tasse auf dem Tisch ab und verschob ein paar der Zettel. Seine Idee wirkte systematischer und damit übersichtlicher, daher sprach Jonas sich dafür aus, aber das war offenbar nicht das, was die Mädels sich vorgestellt hatten.

»Wir machen es doch lieber selbst«, beschloss seine Tochter, lächelte dabei aber wenigstens höflich.

Marek schien nicht böse zu sein, nahm kopfschüttelnd und sichtlich amüsiert seine Tasse und zuckte mit den Schultern, bevor sie sich aufs Sofa setzten.

»Bist du eigentlich wieder fit genug für die Arbeit?«, wollte Jonas wissen, auch wenn Marek völlig gesund wirkte.

»Ja, morgen geht es wieder los. Mir ging es am Montag schon wieder ganz gut, aber da ich in einer Kita arbeite, meinte der Arzt, ich soll sicherheitshalber bis heute zu Hause bleiben, um kein Kind anzustecken.«

Ziemlich überrascht sah Jonas zu ihm rüber. »Du bist Erzieher?«

»Oh, Gott bewahre, nein!«, entgegnete Marek sofort gespielt erschrocken, bevor er grinste. »Ich bin Haustechniker. Ich mag die Kleinen. Sie sind süß und freuen sich immer so drollig, wenn sie mir helfen dürfen, aber ich würde mich nicht den ganzen Tag um sie kümmern wollen.«

Jonas sah zu Thea und ihren Freundinnen rüber, die immer noch über die endgültige Gestaltung ihrer Präsentation diskutierten, und nickte. »Kann ich verstehen.«

Marek lachte leise, trank seinen Kaffee aus und stand auf. In der Hoffnung, dass er sich eine zweite Tasse holte, blickte Jonas ihm nach, aber sein Nachbar stellte die Tasse in die Spüle und kam zurück.

»Ich verabschiede mich dann mal«, verkündete er und machte einen Schritt auf die Mädels zu. »Viel Erfolg bei eurer Präsentation über... Seife?«

Thea nickte. »Zusammensetzung und Herstellung.«

»Ah, cooles Thema«, meinte Marek und lächelte sie an. »Ihr rockt das schon. Sieht auf jeden Fall echt gut aus.«

Die Mädels strahlten um die Wette. Seine freundliche, fast schon kumpelhafte Art faszinierte Jonas zutiefst. Die meisten seiner Freunde konnten schon mit ihren eigenen Teenagern kaum was anfangen, geschweige denn mit fremden. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass viele Leute zwar kleine Kinder mochten und kein Problem damit hatten, zu deren Vergnügen mal ein paar Bausteine übereinanderzustapeln oder einen Buntstift in die Hand zu nehmen, sie aber blockierten, sobald jemand mit Pubertätshormonen vor ihnen stand.

Marek hatte definitiv keine Berührungsängste. Er zwinkerte ihnen noch mal zu, was bei allen dreien für rote Wangen und verlegenes Lächeln sorgte, dann begleitete Jonas ihn zur Wohnungstür.

»Danke für den Kaffee.«

»Danke für Papier und Kleber«, entgegnete er, woraufhin sein Nachbar schmunzelte. »Ich bringe dir die Klebestifte zurück, sobald die Mädels damit fertig sind.«

Marek nickte und zog die Tür auf. »Also, ich schätze, wir sehen uns.«

»Ja, ganz bestimmt«, antwortete Jonas eilig nickend und war überrascht davon, wie sehr er sich bereits jetzt auf das nächste Treffen freute, denn er fand es sehr schade, dass Marek schon ging. »Zur Not hast du ja meine Nummer. Falls du einen Rückfall oder so erleidest und dein Kumpel nicht gleich kommen kann. Oder was anderes ist.« Halt die Klappe, Jonas, du plapperst.

Marek lächelte jedoch. »Stimmt. Soll ich dir noch meine geben, falls bei dir mal was ist?«

»Ja!«, platzte es viel zu schnell aus Jonas raus und er zerrte eilig das Handy aus der Hosentasche. Er wurde nervös und da er die Funktion zum Erstellen eines neuen Kontakts nicht gleich fand, nahm Marek ihm das Smartphone aus der Hand, tippte seine Nummer auf dem Hauptbildschirm ein und drückte auf Zu Kontakten hinzufügen. Er speicherte die Nummer unter seinem Namen ab und gab Jonas dann das Handy zurück.

»Einfach anrufen oder per WhatsApp schreiben. Kein Badezimmerstalking mehr.«

Mareks strenge Stimme und die beschämende Rüge schickten ein Kribbeln durch Jonas' Bauch. Seine Wangen wurden kochend heiß und er heftete seinen Blick auf den Fußboden. Kurz klang es, als würde Marek nach Luft schnappen, doch als er zaghaft in dessen Gesicht sah, lächelte sein Nachbar.

»Bis bald, Jonas.«

»Bis bald. Und danke für den Wodka und das Papier und den Kleber. Noch mal.«

Marek schmunzelte. »Kein Problem. Schönen Abend noch.«

»Dir auch!« Er wartete noch, bis sein Nachbar den Treppenabsatz verlassen hatte, dann schloss er die Tür und lehnte sich tief durchatmend dagegen.

Wow. Er hatte keine Ahnung, was gerade passiert war, aber... heilige Scheiße, wow.

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