Siebenkäs

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Beilage zum zweiten Kapitel

Regierung des H. R. R. freien Marktfleckens Kuhschnappel

Ich hab' es schon in zwei Kapiteln zu sagen vergessen, daß der freie Reichsmarktflecken Kuhschnappel, wovon ein Namenvetter im erzgebürgischen Kreise liegen sollNach neuen Berichten ists mehr ein Reim als ein Vetter, das Dorf Potschappel bei Dresden. , in Schwaben auf der Städtebank von 31 Städten als de 32ste angesessen ist. Schwaben kann sich überhaupt für eine Bruttafel oder ein Treibhaus der Reichsstädte halten, dieser deutschen Niederlassungen und Absteigequartiere der Göttin der Freiheit, welche Leute von Geburt als ihre Hausgöttin anbeten und die nach der Gnadenwahl Sünder selig macht. Ich muß hier endlich den allgemeinen Wunsch eines guten Abrisses von der kuhschnappelischen Regierungsform erhören; aber wenige Leser werden wie Nicolai, Schlözer und ähnliche es mir glauben, mit welcher Not und mit welchem Aufwande von Briefporto ich hinter bessere Nachrichten von Kuhschnappel gelangte, als öffentlich herumlaufen, da Reichs- wie Schweizerstädte ihre Honig-Wachsgewirke ja verkleben und verbauen, als wären ihre Verfassungen gestohlne, noch mit den rechtmäßigen Namen gestempelte Silbergeschirre, oder als wären die Städtchen und Ländchen Festungen – (was sie doch nur mehr gegen die Bürger sind als gegen die Feinde) –, von welchen kein Abriß den Fremden zuzulassen.

Die Verfassung unseres merkwürdigen Reichsplatzes Kuhschnappel scheint ursprünglich der Vorriß gewesen zu sein, welchen Bern, das am Ende nahe genug liegt, in der seinigen kopierte, aber mit dem Storchschnabel ins Größere. Denn Bern hat seinen Großen Rat wie Kuhschnappel, dort macht er so gut Krieg und Frieden und Todesurteile wie in Kuhschnappel und besteht aus Schultheißen, Seckelmeistern, Vennern, Heimlichern, Ratherren, nur aus mehren als in Kuhschnappel; ferner hat Bern seinen Kleinen Rat gleichfalls, welcher Präsidenten, Gesandten und Gnadengelder hergibt und dem Großen nachwächset – die zwei Appellationkammern, die Holz-, Jäger-, Reformationkammern, die Fleischtax- und andern Kommissionen sind offenbar (denn auf die Ähnlichkeit der Namen ist genug zu bauen) nur gröbere Fraktur-Auszeichnungen der kuhschnappelischen Grundstriche.

Die Wahrheit aber zu sagen, hab' ich diese Vergleichung zwischen beiden Freistaaten nur gemacht, um Schweizern, besonders Bernern, ohne viele Worte faßlich zu werden, vielleicht auch gefällig. Denn in der Tat erfreut sich Kuhschnappel einer viel vollkommnern und mehr aristokratischen Verfassung als Bern, die noch in Ulm und Nürnberg teilweise zu finden wäre, wenn beide nicht während der Revolution-Witterung mehr zurück als vorwärts gekommen wären. Vor kurzem waren Nürnberg und Ulm so glücklich, wie Kuhschnappel noch ist, daß sie nicht von gemeinen Handwerkern, sondern bloß von gutem Adel regieret wurden, ohne daß ein gemeiner Bürger sich in Person oder durch StellvertreterDenn die wenigen sogenannten Ratfreunde (aus dem Bürgerstande), die in Nürnberg und Kuhschnappel unter den Patriziern sitzen, haben zwar ihren Sitz, aber keine andere Stimme als eine fremde; und der übrigen ruhigen Stellvertreter, wodurch der dritte Stand wirklich Sitz und Stimme in der Regierung hat, gleichsam durch vidimierte Kopien der Köpfe, nämlich durch Steuergelder, deren können sogar nie genug vorhanden sein. hätte im geringsten darein mischen können: jetzt leider scheint man in beiden Städten das Faß des Staats, weil der obere Bierhahn saures Gesöff herausließ, unten einen Zoll hoch über der Hefe des Pöbels angezapft zu haben. – Ich kann aber hier unmöglich weiter gehen, wenn ich nicht einen zu gewöhnlichen Irrtum über große Städte aus dem Wege räume.

Die Behemoths und Kunturs unter den Städten – Petersburg, London, Wien – sollten, wollte man, die Gleichheit der Freiheit und die Freiheit der Gleichheit allgemein einführen; diesen Endzweck erraten die wenigsten Statistiker, aber er ist so klar. Denn eine Hauptstadt von 2¼ Stunde in Umfang ist gleichsam ein Ätnas-Kessel von gleichem Umkreise für ein ganzes Land und hilft der Nachbarschaft nicht bloß, wie der Vulkan, durch ihre Auswürfe, sondern durch ihre Einfüllungen (Repletionen) auf; sie säubert mit Erfolg das Land von Dörfern und später von Landstädten – diesen ursprünglichen Wirtschaftgebäuden der Residenzen –, indem sie von Jahr zu Jahr immer mehr auseinanderrückt und sich so mit den Dörfern vermauert und verwächst und umrankt. Man weiß, daß London schon die nächsten Dörfer in seine Gassen verwandelt hat; aber nach Jahrhunderten müssen die länger und auseinander wachsenden Arme jeder großen Stadt nicht bloß die Dorfschaften, sondern auch die Landstädte ergreifen und zu Vorstädten erheben. Dadurch werden nun die Steige und Felder und Wiesen, die zwischen der Riesenstadt und den Dörfern lagen, wie das Bette eines Flusses überdeckt mit einem Steinpflaster, und der Ackerbau kann folglich nur noch in – Blumenscherben am Fenster blühen. Ohne Ackerbau seh' ich nicht, was Ackerbauleute anders sein können als Tagediebe, die kein Staat duldet; da man aber einen Fehler besser verhütet als bestraft, so muß der gute Staat solches Landvolk, noch ehe dasselbe zu Tagedieben geworden, wegräumen, es sei durch wirksame Inhibitoriales der Bevölkerung oder durch dessen Abraupen oder durch Veredlung in Soldaten und Bedienten. In der Tat würden in einem Dorfe, das ein eingefügter Zwickstein einer Stadt, eine eingereifte Faß-Daube des Heidelberger Residenzfasses geworden wäre, noch übrig gebliebne Bauern ebenso lächerlich als müßig sein: die Korallengehäuse der Dörfer müssen gleichsam ausgeleert sein, ehe sie das zusammengetürmte Riff oder Eiland einer Stadt erbauen.

Dann ist wohl der schwerste Schritt zur Gleichheit getan; jetzo müssen die innern Feinde der Gleichheit, die Bürger, ebensogut wie die Bauern von der Hauptstadt bekämpft und womöglich ausgereutet werden, welches mehr ein Werk der Zeit als besonderer Verordnungen ist. Inzwischen ist das, was einzelne Residenzstädte hie und da geleistet haben, wenigstens ein Anfang. Dürfte man sich aber das Ideal ausmalen, daß einmal wirklich sich die zwei mächtigsten Oppositionparteien und Widerlagen der Gleichheit, Bürger und Bauern, aus den Riesenstädten durch eine lange Reihe von Glückzufällen verloren hätten; ja daß mit dem Ackerbau sogar der niedere Adel, der ihm abgelegen, zugleich gefallen wäre: so würde eine edlere Gleichheit, als in Gallien war, wo nur lauter gleicher Pöbel wohnte, auf die Erde kommen, es würde lauter gleichen Adel geben, und die gesamte Menschheit besäße dann einen Adelbrief und lauter echte Ahnen. In Paris schrieb die Revolution alles wie in den ältesten Zeiten mit lauter kleinen Buchstaben; nach meiner Voraussetzung würden dann wie in den spätern lauter Anfang- oder Kapitalbuchstaben gebraucht, die jetzo nur wie Türme aus vielen kleinern vorragen. Wenn aber auch ein solcher hoher Stil, eine solche Veredlung der Menschheit nur eine schöne Dichtung bliebe und man nur mit dem kleinern Glücke zufrieden sein müßte, daß in den Städten, wie jetzo eine Judengasse, so eine Bürgergasse übrig bliebe: so wäre genug für die geistige Menschheit in den Augen eines jeden erbeutet, der bedenkt, wie ausgebildet der hohe Adel ist, besonders der Teil desselben, der den größten ausbildet. –

Aber diese Nobilitierung der gesamten Menschheit gewähren uns die Reichsstädte viel sicherer als die größten Residenzstädte. Dieses führt mich auf Kuhschnappel zurück. Man scheint in der Tat zu vergessen, daß es zu viel gefodert ist, wenn die vier Quadrat-Wersten, die eine Residenz etwan groß ist, mehr als 1000 Quadratmeilen des umliegenden Landes überwältigen, verdauen und in Bestandteile von sich verwandeln sollen, so wie die Riesenschlange größere Tiere verschluckst, als sie selber ist. London hat nicht viel über 600000 Bewohner: welche ungleiche Macht gegen die 5½ Millionen des ganzen Englands, denen die Stadt allein entgegenarbeiten und Flügel und Zufuhr abschneiden soll, Schott- und Irland nicht einmal eingerechnet! – So steht es mit guten Reichsstädten nicht: hier ist die Zahl der Dörfer, Bauern und Bürger, die bezwungen, ausgehungert und weggetrieben werden sollen, in einem richtigen Verhältnisse gegen die Größe der Stadt, der Patrizier oder regierenden Geschlechter, die sich damit zu befassen haben und den ebnenden Schlichthobeln der Menschheit vorarbeiten. Hier ists nicht schwer, den Bürger als einen groben Bodensatz, der im Adel schwimmt, niederzuschlagen. Es ist, wenn es ihnen mit dieser Niederschlagung mißlingt, bloß die Schuld der Patrizier selber, weil sie oft am falschen Orte schonen und die Bürgerbank für eine Grasbank im Garten halten, deren Gras zwar für das Niedersitzen und Erdrücken wächset, die man aber doch immer begießet, damit sie unter so vielen Steißen nicht verdorre. Wenn es nichts als freie Menschen, und zwar von der edelsten Klasse, nämlich Reichsfreie und Semperfreie geben soll: so müssen durch Auflagen und Losungen die bürgerlichen Zimtbäume gänzlich abgerundet werden – welches nur pöbelhafte Autoren Schinden und die Haut über die Ohren ziehen nennen –, worauf die Bäume ohnehin verfalben und ausgehen. Freilich kostet diese Reichsfreiheit Menschen. Aber mich bedünkt, eine solche werde durch die wenigen Tausende von Leuten, die sie kostet, wohlfeil genug erkauft, da früher Amerikaner, Schweizer und Holländer für eine weit engere ganze Millionen Menschen bar auf den Tisch des Schlachtfeldes hingezahlt und hingeschossen. Auch fallen neuere Staaten selten in den Fehler der neuern Schlachtenmaler, an welchen man Überladung mit Personen aussetzt. Vielmehr sollte man es mehr bemerken, mit welchen klug gewählten und treibenden Mitteln mehre deutsche Länder die Bevölkerung als eine Krankheitsmaterie und Menschen-Plethora – wie jeder gute Arzt tut – nach unten ableiten, nämlich nach dem gerade unter Deutschland liegenden Nordamerika.

 

Kuhschnappel hat, um zum vorigen umzukehren, vor 100 Städten den Vorsprung. Ich gebe zu, daß Nicolai beteuert, die vorigen 60000 Nürnberger wären gerade noch halbiert da, nämlich 30000, und dies ist etwas; aber gleichwohl kommen noch immer 50 Bürger (und mehr) gegen 1 Patrizius zu stehen, welches stark ist. – Hingegen bin ich zu jeder Stunde durch Tauf- und Sterbelisten darzutun erbötig, daß im Reichsmarktflecken Kuhschnappel beinahe nicht mehr Bürger als Patrizier leben, welches um so wunderbarer ist, da die letzten – wegen ihres Hungers – schwerer zu leben haben. Ich frage, welcher neuere Staat kann so viele Freie aufzeigen? Waren nicht sogar im freien Athen und Rom – in West-Indien ohnehin – mehr Knechte als Freie, daher man jene durch keinen besondern Anzug zu bezeichnen wagte? Und sind nicht noch in allen Staaten mehr Lehn- als Edelleute, obgleich diese längst in stärkerer Anzahl vorhanden sein könnten, da Bauern und Bürger nur von der Natur, die Patrizier hingegen sowohl von der Natur als von der Kunst aus Reichs- und Fürsten-Kanzeleien nachgesäet werden? –

Wäre die Beilage nicht eine Abschweifung, von welcher man gewöhnlich Kürze fodert: so wollt' ich weitläuftig genug dartun, daß Kuhschnappel noch in mehren Vorzügen manchen Schweizerstädten, wo nicht vor-, doch gleichstelle, z. B. in gutem Abschleifen und Verlängern des Richtschwertes und überhaupt im Handhaben eines rechten knotigen, gestachelten Stab-Wehes – in der geistigen Fruchtsperre, nicht gegen das Ausland, sondern gegen das Innere, um Gedanken und hundert anderes geistiges Zeug nicht einzulassen – und sogar selber im grünen Markt oder Handel mit jungen Leuten; denn was eben letzten anlangt, so ist bis heute der Absatz von jungen Kuhschnapplern nach Frankreich zu Türstehern und zu Kronvorfechtern nur darum so flau, weil die Schweizer den Markt greulich mit kräftigen Jünglingen überfahren, die sich vor jede Türe und (ists Krieg) vor jede Kanone stellen: wahrlich, sonst sollte vor mehr als einer Türe ein Kuhschnappler stehen und sagen: kein Mensch zu Hause. (Ja noch jetzo bei der zweiten Auflage darf ich behaupten, daß Kuhschnappel seinen Titel Reichsmarktflecken wie eine zweite Kurwürde noch fortbewahrt und seine alten Gedanken-Einfuhr- und Nachrichten-Ausfuhrverbote und seinen Blut- oder lebendigen Menschenzehent für Frankreich so gut fortsetzt wie die Schweiz, welche dem Kastellan auf der Wartburg gleicht, der den unauslöschlichen, von Luther gegen den Teufel geworfenen Dintenklecks stets auf der Wand von neuem auffärbt.)

Drittes Kapitel

Flitterwochen Lenettens – Bücherbräuerei – der Schulrat Stiefel – Mr. Everard – Vor-Kirmes – die rote Kuh – Michaelis-Messe – the Beggars' Opera – Versuchung des Teufels in der Wüste oder das Männchen von Ton – Herbstfreuden – neuer Irrgarten

Die Welt konnte sich nicht stärker verrechnen, als daß sie erwartete, am Montage unsern allgemeinen Helden im Trauerwagen und Leichenmantel und mit Trauermanschetten und angelaufenen Schuhschnallen als Leidtragenden über die Scheinleiche seines Glücks und Kapitals anzutreffen.

Himmel! Wie kann aber die Welt in solchem Grade fehlschießen? Der Advokat war nicht einmal in Viertels-Trauer, geschweige in halber, sondern so aufgeräumt, als hab' er selber dieses dritte Kapitel vor sich und fang' es grade so an wie ich hier.

Der Grund war: er faßte eine gute Klage gegen seinen Vormund Blaise ab, stattete sie mit mehren satirischen Zügen aus, die bloß er selber verstand, und reichte sie bei der Erbschaftkammer ein. Nur etwas in der Not getan, so ists schon etwas. Das Glück schicke uns eine noch so unfreundliche frostige Herbstluft auf den Hals – zerbricht es uns nur nicht wie Schwänen das oberste Flügelgelenk: so wird uns allemal das Geflatter, das wir damit machen, wo nicht in ein wärmeres Klima tragen, doch ein wenig selber in Wärme bringen. – Der Frau verbarg Firmian Siebenkäs aus Gründen der Liebe den Aufschub der Erbschaft wie den verjährten Tausch-Handel mit seinem Namen: er vertrauete darauf, daß eine eingehegte Advokatenfrau niemals einem vornehmen Patrizier in die häusliche Karte werde schauen können.

Was konnte überhaupt einem Menschen viel fehlen, der aus seiner stillen Woche eines Einsiedlers auf einmal in die Flitterwochen eines Zweisiedlers gefahren war? Jetzo erst faßte er seine Lenette recht in zwei Arme – vorher hatt' er immer seinen im Leben ab- und zuflatternden Freund fest mit der Linken an sich gehalten –, und sie konnte sich nun in seinen Herzkammern viel bequemer ausbreiten. Und die scheue Frau tat es wohl, soweit sie wagte; sie bekannte ihm, obwohl furchtsam, es sei ihr fast lieb, daß der unbändige Saufinder nicht mehr unter dem Tische liege und greulich vorgucke; ob sie aber nicht über den wilden Herrn desselben das nämliche gedacht, wäre nie von der gehorsamen Gattin herauszubringen gewesen. Sie erschien dem Advokaten ordentlich als eine Tochter; und der kleinen Eigenheiten konnte sie dem hoch erwachsenen Vater gar nicht genug haben.

– Daß sie ihm, wenn er ausging, so lange nachsah, als die Gasse lang war, dies war noch nicht das Halbe gegen das Nachlaufen mit der Bürste bis über die Haustüre hinaus, wenn sie oben von hinten an seinem Schanzlooper unten solche Straßenpflaster anklebend angetroffen, daß sie ihn durchaus wieder ins Haus zurück ziehen und darin den Rocksaum so sauber abbürsten mußte, als zolle man in Kuhschnappel das Pflastergeld wirklich für ein Pflaster. Er hielt der Bürste still und küßte sodann und sagte: »An der Innenseite sitzt wohl noch allerhand, aber keine Seele siehts, und komme ich wieder, so kratzen und schaben wirs droben miteinander heraus.«

Seiner Erwartung und Foderung wurde es ordentlich zu viel – aber seiner Wiederliebe nicht –, daß sie jeden Wunsch und Wink nicht bloß jungfräulich erhörte, sondern auch töchterlich befolgte und bediente. »Ratskopisten-Tochter«, sagte er, »sei mir nur nicht gar zu gehorsam; ich bin ja nicht dein Vater, ein Ratskopist, sondern nur ein Armenadvokat und habe dich geehlicht und schreibe mich Siebenkäs meines Dafürhaltens.« – »Auch mein sel. Vater«, versetzte sie, »hat wohl selber manche Sachen im stillen mit seiner eigenen Hand konzipiert und solche nachher ordentlich und sauber mundiert«; aber diese seltsame Kreuz- und Querantwort gefiel doch dem Advokaten sehr wohl; und wenn sie vor lauter Verehrung seiner nicht einen einzigen Spaß verstand, den er über sich selber machte – es sei nun, daß sie seinem ironischen Selbererniedrigen widersprach, oder dem ironischen Selbererhöhen ganz beifiel –: so schmeckten dem Advokaten diese geistigen Provinzialismen seiner Gattin nicht schlecht. Sie konnte ohne Bedenken sagen: fleuch, reuch, kreuch, anstatt fliehe, rieche, krieche; diese religiösen Altertümer aus Luthers Bibel waren recht brauchbare Beiträge zum Idiotikon ihrer Empfindungen und seiner Honigwochen. – Als er einmal eine sehr artige Haube, die sie voll Vergnügen den drei von ihr zuweilen leicht geküßten Haubenköpfen nacheinander aufprobiert hatte, auf ihr eigenes Köpfchen vor dem Spiegel mit den Worten stülpte und zog: »Setz auf und sieh hinein, dein Kopf ist vielleicht so gut als einer von Holz«, so lächelte sie ungemein vergnügt und sagte: »Du willst unsereins nur immerdar flattieren.« Man glaub' es mir, dieses naive Unverstehen rührte ihn so, daß er sich zuschwur, solche Scherze nirgends mehr vorzubringen als nur in sich und bei sich. Aber was ist dies gegen eine höhere Flitterwochenfreude? Diese war, daß seine Lenette ihm am nächsten Bußtage durchaus nicht erlaubte, sie zu küssen, als sie ihn mit ihrer Weiß- und Rot-Blüte der Jugend in den schwarzen Kopfmanschetten oder Spitzen und aus dem dunkeln Kleiderlaube dreifach verschönert anblickte: –Dergleichen weltliche Gedanken«, sagte sie, »schicken sich vor der Kirche gar nicht, wenn man schon seine Bußkleider anhat, sondern man wartet.« – »So will ich – sagt' er zu sich – doch wie eine Nordwest-AmerikanerinAn der Küste des nordwestlichen Amerika vom 50. bis 60. Grad nördlicher Breite tragen die Weiber in der durchlöcherten Unterlippe hölzerne Suppenlöffel, und zwar desto größere, je vornehmer sie sind; bei einer Frau war der Löffel 5 Zoll lang und 3 Zoll breit. Langsdorfs Bemerkungen auf einer Reise um die Welt, Bd. 2. einen Suppenlöffel fünf Zoll lang und drei Zoll breit durch meine Unterlippe stecken und ihn herumtragen, wenn ich je wieder bei der andächtigen Seele auf Löffeln und Küssen falle, wann sie schwarz angezogen ist und die Glocken lauten.« – Und er hielt, obgleich selber kein sonderlicher Kirchengänger, ihr und sich Wort. So sind wir Männer aber in der Ehe, ihr Bräute!

Daraus werdet ihr nun leicht erraten, wie selig vollends der Advokat in seinen Honigwochen wurde, als Lenette gar das, was er sonst selber, und zwar recht erbärmlich und verdrüßlich tat, für ihn auf das schönste besorgte und durch unverdroßne Feg- und Bürst-Arbeit seine dithyrambische Karthause so sauber, grade und glatt herstellte wie eine Billardtafel; ganze Honigbäume voll Fladen pflanzte sie in seine Honigwochen, wenn sie so am Morgen wie eine fleißige Biene um ihn herumsumsete und wenn sie im kleinen Bienenkörbchen – er selber prozessierte ruhig in seinen Akten weiter und bauete am juristischen Wespenneste – Wachs eintrug, Zellen bauete, Zellen säuberte, fremde Körper auswarf und Ritzen zuklebte, und wenn er dann auf einmal aus seinem Wespenneste einen zufälligen Blick auf die niedliche Gestalt im nettesten Hauskleidchen warf. Wie oft legte er nicht die Feder in den Mund und hielt ihr über das Dintenfaß die aufgemachte Hand hin und sagte hinter der Feder: »Gedulde dich doch ums Himmels willen nur bis nachmittags, wo du sitzest und nähst: so sollst du ja belohnt und geküßt werden hinlänglich, wenn ich auf- und abspaziere.«

Damit aber keine Leserin sich in Angst setze über Versäuerung solcher Honigwochen durch den enterbenden Spitzbuben Blaise: so frag' ich jede bloß dies: hatte der Advokat nicht eine Silberhütte und ein Pochwerk von sieben gangbaren Prozessen, die voll lauter Silberadern waren? – Hatt' ihm nicht sein guter Leibgeber auf vier Glückrädern einen Regiment-Geldwagen nachgefahren, auf welchem aufgeladen waren zwei Brillentaler von Julius Herzog zu Braunschweig, ein gräflichreußischer Dreifaltigkeit-Taler von 1679, ein Schwanz- oder Zopfdukaten, ein Mücken- oder Wespentaler, fünf Vikariatdukaten und eine Menge Ephraimiten? Denn er durfte ohne Bedenken dieses Münzkabinett verkalken und verflüchtigen, da es sein Freund nur aus Spott gegen die, die mit 100 Talern einen kaufen, in seinen Taschen angelegt hatte. Beide lebten überhaupt in einer Gütergemeinschaft des Körpers und Geistes, die wenige fassen; sie waren so edel geworden, daß zwischen dem Nehmer und Geber einer Gefälligkeit kein Unterschied mehr blieb, und sie schritten über die Klüfte des Lebens aneinandergeknüpft, wie die Kristallsucher auf den Alpen sich gegen den Sturz in Eisspalten durch Aneinanderbinden decken.

Gleichwohl kam er an einem Marientage gegen Abend auf einen Gedanken, welcher alle geängstigten Leserinnen seiner Geschichte ganz aufrichten wird und der ihn selber seliger machte als der größte Brotkorb mit Fruchtkörbchen oder als ein Korb Wein. Er wußte aber schon voraus, daß er den Gedanken haben würde; im Elend sagt' er allemal: Es soll mich wundern, was für ein Hülfmittel ich da wieder ausspannen werde; denn verfallen werd' ich so gewiß auf eines, als ich vier Gehirnkammern beherberge.« – Der beglückende Gedanke, wovon ich rede, war, das zu machen, was ich hier mache – ein Buch, obwohl ein satirischesDas Buch kam 1789 in der Beckmannschen Buchhandlung in Gera unter dem Titel: »Auswahl aus den Papieren des Teufels« heraus. Ich werde weiter hinten meine Meinung über jene Satiren zu äußern wagen. Hier fuhr aus den aufgezognen Schleusen des Herzens ein reißender Strom von Blut unter das Räder- und Mühlenwerk seiner Ideen hinein, und die ganze geistige Maschine klapperte, rauschte, stäubte und klingelte – es waren schon einige Metzen gemahlen fürs Werk. Ich kenne keinen größern geistigen Tumult – kaum einen süßern – in einem jungen Menschen, als wenn er in der Stube auf- und abgeht und den kühnen Entschluß fasset, ein Buch Konzeptpapier zu nehmen und ein Manuskript daraus zu machen – ja man kann darüber disputieren, ob der Konrektor Winckelmann und der Feldherr Hannibal hurtiger die Stube auf- und abliefen, als beide des ebenso kühnen Sinnes wurden, nach Rom zu gehen. Siebenkäs mußte, da er eine Auswahl aus des Teufels Papieren zu schreiben beschlossen, zum Hause hinaus und dreimal um den Marktflecken laufen, um die rollenden beweglichen Ideen durch müde Beine wieder fester in die rechten Fugen einzuschütteln. Er kam, müde vom innern Verglühen, zurück – sah nach, ob genug weißes Papier zu Manuskripten da sei – und lief auf seine ruhige Haubensteckerin zu und küßte sie so schnell, daß sie kaum die Stecknadel aus den Lippen – den letzten Dorn an diesen Rosen – ziehen konnte. Unter dem Kusse befestigte sie, hinunterschielend, ganz ruhig mit der Nadel ein Band an einem Haubenflügel. »Freu dich doch«, sagt' er, »tanze mit mir herum – ich schreibe morgen ein Opus, ein Buch. – Brat nur heute abends den Kalbskopf, ob es gleich wider unsere 12 Eß-Gesetztafeln läuft.« Er und sie hatten sich nämlich sogleich am Mittwoch als eine Speise-Gesetz-Kommission niedergesetzt; und es war unter den 39 Artikeln einer sparenden Tisch-Ordnung auch dieser durchgegangen und dekretiert, daß sie sich abends wie Brahminen ohne Fleisch behelfen wollten, ganz schlecht und nur mit Fleisches-Wertem. Er hatte aber die größte Mühe, bis er seiner Lenette beibrachte, daß er schon mit einem Bogen von der Auswahl aus des Teufels Papieren den Kalbskopf wieder zu erschreiben verhoffen dürfe und daß er nicht ohne Grund sich selber einen Fasten-Erlaß erteile; denn Lenette dachte wie der gemeine Mann oder wie der Nachdrucker, ein geschriebenes Buch werde wie ein gedrucktes bezahlt, und dem Setzer gehöre fast mehr als dem Schreiber. Sie hatte in ihrem Leben noch nichts von dem ungeheuren Ehrensold vernommen, welchen deutsche Autoren gegenwärtig ziehen; sie war wie Racinens Frau, die nicht wußte, was ein Vers oder ein Trauerspiel ist, und die gleichwohl damit die Haushaltung bestritt. Ich meines Orts würde aber keine an den Altar und in das Hochzeithaus führen, die nicht wenigstens einen Perioden in meinen Werken, über welchem mich der Tod mit seiner Sanduhr erworfen, unter meiner Firma recht gut hinauszuschreiben wüßte oder die es nicht unbeschreiblich freuen könnte, wenn ich ihr gelehrte Göttingische Anzeigen oder Allgemeine Deutsche Bibliotheken vorläse, die mich, wenn auch übertrieben, loben.

 

In Siebenkäs hatte den ganzen Abend die Schreibefreude alle Blutkügelchen in ein solches Rennen und alle Ideen in einen solchen Wirbelwind gesetzt, daß er bei seiner Lebhaftigkeit, die oft den Schein der Herzen-Aufwallung annahm, ohne weitere Frage über alles Langsame, das ihm in den Weg sich stemmte, über den Zögerschritt des Laufmädchens oder über die Wort-Trommelsucht desselben aufgefahren und als Platzgold losgegangen wäre, hätt' er nicht auf der Stelle nach einem besondern Temperier- oder Kühl-Pulver gegen freudige Entrüstung gegriffen und solches eingenommen. Es ist leichter, dem schleichenden Gang eines schweren trüben Blutes einen Abfall und einen schnellem Zug zu geben, als die Brandungen eines fröhlichen stürmenden zu brechen; aber er wußte sich in der größten Freude stets durch den Gedanken an die unerschöpfliche Hand zu stillen, die sie gegeben hatte – und durch die sanfte Rührung, mit welcher das Auge sich vor dem verhüllten ewigen Wohltäter aller Herzen niederschlägt. Denn alsdann will das von der Dankbarkeit und der Freudenträne zugleich erweichte Herz wenigstens dadurch danken, daß es milder gegen andere ist. Jenen wilden Jubel, den die Nemesis züchtigt, kann dieses Dankgefühl am schönsten zähmen; und die, welche an der Freude starben, wären, wenn sie ein dankbares Hinaufsehen erweicht hätte, entweder nicht gestorben oder doch an einer schönern Freude.

Den ersten und den besten Dank für das neue gerade schöne Ufer, in das jetzo sein Leben abgeleitet war, bracht' er dadurch, daß er die Verteidigung mit dem größten Feuer vollführte, die er für eine angeklagte Kindmörderin zur Abwendung der Folter zu machen angefangen. Der Stadtphysikus des Marktfleckens hatte sie nach der Lungenprobe verdammt, die ebenso richtig als die Wasserprobe Weiber zur Richtstätte hingeleitet.

Stille einsame Tage aus dem Frühling der Ehe belegten den Steig der beiden Menschen mit einem Blumenteppich. Bloß unten am Fenster erschien einige Male ein Herr in fleischfarbener Seide, wenn Lenette am Morgen sich und den weißen Arm hinausstreckte und lange am Festriegeln der zurückgelehnten Fensterladen arbeitete. »Ich schäme mich ordentlich«, sagte sie, »mich hinauszulehnen; ein vornehmer Herr steht immer drunten und zieht den Hut ab und schreibt mich auf, wie der Fleischtaxator.«

In den Schulferien des Sonnabends erfüllte der Schulrat Stiefel das Versprechen, das er am Hochzeittage feierlich gegeben, recht häufig zu erscheinen und wenigstens in den Schulferien der Woche nicht auszubleiben. Ich will ihn, um das Ohr mehr durch Wechsel zu erquicken, den Pelzstiefel nennen, zumal da ihn ohnehin der ganze Reichsort wegen des Grauwerks und des Hasen-Umschlags so nennt, den er als einen tragbaren holzsparenden Ofen an seinen Beinen trug. Der Pelzstiefel band schon auf dem ersten Stubenbrett Freudenblumen zusammen und steckte dem Advokaten den Strauß ins Knopfloch; er vozierte ihn zur Stelle eines Mitarbeiters an dem »Kuhschnappelischen Anzeiger und Götterboten und Beurteiler aller deutschen Programmen« – ein Werk, das bekannter sein sollte, damit durch solches auch die empfohlnen Schulschriften es würden. Mir ist dieser Schreibvertrag von Herzen lieb, weil er doch meinem Helden einen Rezensier-Groschen wenigstens für die Abendsuppe auswirft. Der Schulrat, der Redakteur des Anzeigers, besetzte die kritischen Gerichtstellen sonst gar nicht leichtsinnig; aber Siebenkäs war in seinen Augen zum einzigen Wesen erhoben, das einen Rezensenten noch überragt – zu einem Schriftsteller, da er von Lenetten auf dem Kirchwege gehört, ihr Mann lasse ein dickes Buch in Druck ausgehen. Der Schulrat konnte nicht anders als die damalige Salzburgische Literaturzeitung für die Heilige Schrift apokryphischen, und die Jenaische für die Heilige Schrift kanonischen Inhalts ansehen; die einzige Stimme eines Rezensenten wurde ihm vom Echo im gelehrten Gerichthof allezeit zu 1000 Stimmen vervielfältigt; und aus einem rezensierenden Kopfe wurden in seiner Täuschung mehre lernäische, wie man sonst glaubte, daß der Teufel den Kopf des armen Sünders mit Scheinköpfen einfasse, damit der Scharfrichter fehlerhaft köpfe. Die Namenlosigkeit verleihet dem Urteile eines Einzelwesens das Gewicht eines Kollegiums; man schreibe aber den Namen darunter und setze »der Kandidat XYZ« statt »Neue allgemeine deutsche Bibliothek« so hat man die gelehrte Anzeige des Kandidaten zu sehr geschwächt. Der Schulrat warb meinen Helden an, seiner Satire halber; denn er selber, ein Lamm im gemeinen Leben, setzte sich auf dem Rezensier-Papier zu einem Werwolf um; ein häufiger Fall bei milden Menschen, wenn sie schreiben, besonders über humaniora und dergleichen; wie etwa sanfte geßnerische Hirtenvölker (nach Gibbon) gern Krieg anfangen und gut führen; oder wie der Idyllenmaler Geßner selber ein schneidender Zerrbildzeichner war.

Unser Held und neugeworbener Rezensent bot von seiner Seite an diesem Abende wieder Stiefeln Freude und die Aussicht zu mehr als einer an, nämlich aus dem von Leibgeber hinterlassenen Münzkabinettchen einen Mücken- oder Wespentaler, nicht um für die Bestallung zum kritischen Wespennest ein douceur zu geben, sondern um den Mückentaler in kleineres Geld umzusetzen. Der Schulrat, der als der fleißige Silberdiener eines eigenen Talerkabinettes gern gesehen hätte, alles Geld wäre überhaupt nur für Kabinette da – er meinte aber numismatische, nicht politische –, funkelte und errötete entzückt über den Taler und beteuerte dem Advokaten, welcher dafür nur den Natur-, nicht den Kunstwert erstattet verlangte: »Aber ich erkenne hierin den wahren Freundschaftdienst.« – »Nein«, versetzte Siebenkäs, »aber den wahren tat mir Leibgeber, der mir den Taler gar geschenkt.« – »Aber ich gäbe gewiß dreimal mehr dafür, wenn Sie es nur fodern wollten«, sagte Stiefel. – »Aber (fiel Lenette, über Stiefels Freundlichkeit und Entzückung entzückt, ihren Mann heimlich zum Festbleiben anstoßend, mit einer Dreistigkeit ein, die mich wundert) mein Mann wills ja nicht anders; und ein Taler ist ein Taler.« – »Aber«, versetzte Siebenkäs, »dreimal weniger eher dürft' ich künftig fodern, wenn ich Ihnen mein Kabinettchen talerweise abstehe.« – – Ihr lieben Seelen! Wären doch die menschlichen ja immer solche Aber wie eure!