Elisa

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Ich sah die Würmer hervor kriechen, die sich gefräßig und schleimig schlängelten.

Die Welt war nur ein öder Ort, eine gemeine, schmutzige Grube, deren Bewohner

aus keinen anderen Grund und Zweck als des einander Quälen verbunden waren.

Verdammt bis in alle Ewigkeit einer Hölle des Grauens, über das Gras gewachsen

war. Denn die Lust in der Grausamkeit war ein böses Eden, das Gegenbild Adams

eine ekelige Travestie als Verhöhnung zu Gottes inkarnierter Reinheit und Reiche.

Jetzt sah ich es genau,- bloße Lügen, brutale Phantasien, um Mädchen sowie Frau

Robin zu täuschen, bis ihre Körper, gewürgt, gekrallt, geschändet, dann vergraben

werden konnten. Dies Zerrbild dessen Name – Ich fiel auf den Boden, erbrach den

Tee auf dem Teppich, trommelte mit meinen Fäusten,- keuchte lauthals: „Winfried!“

Es war vier Jahre her, dass eine Kreatur „Winfried“, ein Massenmörder an Frauen

und Mädchen wegen Schändung und Mord an sieben Frauen und einem Mädchen

neutralisiert worden war, wie sie es nannten. Ein Scharfschütze hatte es geschafft,

ihn zu erschießen, als „Winfried“ gegen die Polizei ein Feuer zündete, um wieder

zu entkommen. Man hatte Jahre nach ihm gesucht in Furcht vor weiteren Morden.

Robin zog sich gut aus der Affäre. Er riss mich augenblicklich vom Boden auf die

Füße und brachte mich sofort an die frische Luft. Mein Gesicht säuberte er eiligst

mit einem Handtuch, das er wie im Vorübergehen von einem Stuhl fassen konnte.

„David, reißen Sie sich zusammen! Er riss Unkraut aus frischem Rasen und hielt

es mir vor die Nase. „Da, riechen sie es? Zählen Sie die Telefondrähte da oben!“

Meinen Kopf zog er in den Nacken und forderte mich auf: „Los, zählen Sie diese.“

Mir klapperten die Zähne, mir war kalt. Doch tat ich, was er sagte und zählte laut.

Als wir wieder drinnen waren, war Tim verschwunden. Frau Robin hatte geweint.

„Das tut mir furchtbar leid, David!“ sagte sie traurig. „ Können Sie mir verzeihen?“

Sie irritierte mich. Für mein Alters von 16 Jahren hätte ich gemeint, dass ich derjenige

sei, der sich doch bei ihr hätte entschuldigen müssen, weil ich die Harmonie zerbrach.

Sie hatte den Schmutz beseitigt in der kurzen Zeit, in der ich mit ihrem Mann draußen

war. Ich säuberte mich, nahm von der Mundspülung, die im Bad stand, gurgelte lange

und spuckte aus, was ich zuvor erlebt hatte. Robin brachte mich zurück zum College.

Nach ein paar Schritten sagte ich: „War es das, was Sie suchten?“ „Klar doch!“, sagte

er knapp in dem Ton, als wollte er keine weitere Silbe darüber verlieren. „David, hören

Sie, eine ungewöhnliche Fähigkeit oder Begabung ist Ihnen zu eigen. Wie auch immer

man es nennt, ich will Ihnen nur raten, davon die Finger zu lassen!- Versuchen Sie nie,

das herauszufordern oder so etwas noch einmal zu tun, verstanden?

ERKENNTNIS UND WARNUNG

Die Nachmittagssonne stand im September schon niedrig und tauchte das Stoppelfeld

golden, durch das unser Feldweg führte. Robin zupfte eine vergessene Weizenähre ab

und drückte ein Korn heraus. „Dies war mal der Anfang des Feldes. Sie können dieses

eine Korn zerbeißen, an einer ganzen Ähre würden Sie ersticken. Dies ganze Feld wär

sogar für Sie unbegreiflich wie unüberwindbar.“ Dann steckte er sich das Weizenkorn in

den Mund und kaute drauf. „Tim hat meiner Frau in die Hand versprochen, niemandem

davon was zu erzählen. Sie und ich werden auch schweigen. Es wäre gut für Sie, wenn

Sie nirgendwo mit keinem über diesen Vorfall sprechen.“ Er überlegte. „Es gilt für heute,

morgen sowie für alle Zeit Ihres Lebens!“

Ich war Robin dankbar für sein Verhalten und versicherte ihm, das als erledigt zu betrachten.

Mir war auch bewusst, wie ihm es ergangen wäre, wenn das an die Ohren des Rektors oder

meiner Eltern gedrungen wäre. Sie hätten es ihm zum Vorwurf gemacht, was ich nicht wollte.

Doch blieb mein außergewöhnliches Erlebnis nicht ganz verborgen. Mir war immer noch übel,

kalt und zittrig. Nach dem College-Tee ging ich zur Hausmutter hoch, die Untertemperatur bei

mir feststellte und mir die Lektion über „nasse Füße beim Fischen“ erteilte, womit sie mich am

nächsten Tag ins Bett steckte. Ich war froh, nicht der Neugierde ausgeliefert zu sein, die in der

Abwesenheit bei meinen Mitschülern entstanden war, ob es gut war bei Robin und seiner Frau?

Ihnen brühwarm ausgesetzt zu werden und all ungewollten, aufdringlichen Fragen ausgeliefert,

fühlte ich mich jetzt nicht gewachsen. Ich blieb ein wenig geschwächt,- was reine Erkältung für

sie war. Eine willkommene Ausrede, die überall selbstverständlich angenommen wurde, basta!

Trotzdem musste etwas durchgesickert sein, als mich Nike ein paar Tage später im Speiseraum

am Arm festhielt und fragte: „Nun sag‘ schon, wie war es, mit Frau Robin nachmittags Tee zu

trinken?“ Schon damals schien es mir als klassisches Beispiel der Projektion eigener Begierde

auf die andere Person. Eine Tatsache war, dass ich Schmerz und Erniedrigung empfand, nicht

für meinen hysterischen, unkontrollierten Anfall in Robins Salon, sondern wegen meiner recht

schändlichen Reaktion auf diese Berührung von Frau Robins Hand. Mir war das lange peinlich.

Wenn ich in der Angelegenheit sensibel, wenn nicht puritanisch war, lag es in meiner Kindheit.

Der Grund war ambivalent schroff und zugleich schützend, der angab, dass ich körperlich kein

wenig anziehend, wenn nicht hässlich war. In meiner Phantasie eine Art Vertrauter, der mir oft

auf den Fersen war. Ich glaubte dies selbst vor dem Spiegel und fühlte das gleiche bei anderen.

„Wie schade, dass kein schöner Junge aus ihm geworden ist,“ hörte ich eine Nachbarin auf der

Sommerterrasse, als ich acht Jahre alt war. „Wobei doch die Mutter so reizend aussieht,“ sagte

die Dame gegenüber, die bei ihr zu Besuch war. Ein Jahr später bot ich einer Klassen-Schönen,

einem verzogenen, blondgelockten Mädchen, zögernd einen Sahnebonbon an, worauf sie kund

tat: „Danke, Schweinsgesicht!“ Sie lutschte diesen Bonbon erst in meiner Abwesenheit,- und wie

sie es gesagt hatte, war ich fest im Glauben, dass auch die anderen mich so hässlich benannten.

Kurz und knapp hatte sie es gesagt, aber nicht unfreundlich. Ich wendete mich wortlos von ihr ab.

Ich betrachtete es als meine Bestimmung und mied jede körperliche Berührung im Sinn der Liebe.

Doch lag auch ein Stolz darin, sowie ein Gelähmter es umgeht, eine Hand oder Stütze gereicht zu

bekommen. Jene Menschen, die ich liebte, auch meine Mutter, hielt ich auf schützendem Abstand.

Wenn sie mir selbst wahre Freude und Übermut zeigten, mich im Gesicht küssten oder umarmten,

erstarrte ich wie ein Hase auf freiem Feld, der den Flügelschlag des Habicht über sich wahrnimmt.

Sofort meldete sich mein innerster Vertrauter, der mich vor weiteren Verletzungen schützen sollte.

In mir war verankert, dass jegliche Tändelei und Zärtlichkeit in verschlossener Requisitenkammer

bleiben werden. Ich würde den Ball spielen, wie er käme, ohne Berührung der Hände oder Lippen.

Lange bevor die Zeitbombe meines ersten unverhofften Orgasmus im Schlafsaal explodierte, war

ich mir sicher, dass kein Mädchen und keine Frau an mir körperlichen Gefallen finden dürfte, wie

ich nicht an ihr. Was bis in meine frühe Kindheit zurückreichte, war die Gewissheit des Schweins-

Gesichts und der nicht Attraktivität, in mir hatte sich kompensierend zum Äußeren mein Innerstes

hoch entwickelt, womit ich wiederum niemanden belästigen wollte.- Ich genügte mir selbst alleine.

Die Schönen merken oft gar nichts von ihrem Reichtum, der süßer ist, als sie es nur ahnen können.

Sie sind es gewöhnt, betrachten das als selbstverständlich, sich überall im Licht zeigen zu können.

Dass man Zweifel an der eigenen physischen Anziehungskraft hat, scheint ihnen sehr befremdlich,

ähnlich wie ein Eingeborener. Doch im Urwald wird man ihm das nicht anmerken, dort ist er echt.

Mit sechzehn Jahren hatte ich mich an den Komplex gewöhnt, mit dem ich lebte sowie Diabetiker

mit ihrem Handicap. Menschen, die nicht schwindelfrei sind, sie können Süße und Höhen meiden.

BIRGIT UND DAS GRIECHISCHE THEATER

Paradoxerweise lernte ich dann doch für zwei Jahre ein sehr lebendiges Mädchen kennen in einer,

wie man sagt, platonischen Beziehung, die dem Namen Ehre machte, weil sie in engem Bezug zu

dem griechischen Theater stand. Wir entwickelten beide unsere Leidenschaft für Aischylos‘ Werk

'Agamemnon'. Birgit, ein dickes, dänisches Mädchen, das nicht besonders ansehnlich war, vertrat

die Meinung, dass Klytämnestra eine kaltblütige, selbstsüchtige Mörderin war, die Agamemnon in

eigenem Interesse umgebracht hatte, um sich in den Schutz ihres Liebhabers Aigisthos zu stellen.

Sie glaubte, dass sie niemals befürchtete, ihr Verbrechen könnte danach ans Tageslicht kommen.

Zwiespalt trat in mir auf, als ich dies pauschale Urteil, ein viel zu leicht gestricktes Muster, von ihr

vernahm. Dazu war das griechische Theater zu hintergründig in der stilistisch sicheren Wort-Welt.

 

Ich saß neben ihr mit dem Textbuch in der Hand und las den gesamten zweiten Teil einer Trilogie,

'die Totenspende', um heraus zu bekommen, ob Aischylos dies wirklich so schuldig gemeint hatte.

Fühlte sich Klytämnestra in ihrer königlichen Macht unantastbar, dass sie sich zu dieser Tat erhob?

Lange Zeit nach diesem Mord war es Orest, der Sohn von Klytämnestra, der von Mykene geflohen

war, um seinen Vater Agamemnon zu rächen. Orest kehrte als Fremder zurück, um seine Mutter zu

ermorden. Ich fragte den Regisseur Raybird, ob Klytämnestra ihren Sohn vorher erkannt hatte, und

warum sie kein Wort verlauten ließ in seiner Gegenwart. „Natürlich hatte sie Orest erkannt. Für sie

gab es nichts mehr zu sagen. Das war die Allmacht der Götter, der sie sich in dem Moment beugte.“

Ihr blieb nichts anderes mehr übrig, als ihre Würde zu bewahren. Birgit war in dieser Hinsicht ganz

anderer Meinung. Sie widersprach, dass man zum Schluss Sympathie für die blutrünstige Mörderin

empfinden sollte. Wir stritten uns nicht unbedingt über das Thema. Ich mochte ihre Hartnäckigkeit.

Trotzdem fragte ich nochmals Raybird in Regie, woran sie Orest erkannt hatte? „Ihr Gewissen war

es, das sie verriet. Jahre lang trug sie das Geheimnis in sich und hatte auf Orest beinahe gewartet.“

Birgit war die Nichte der Frau des Hausmeisters, die ihre Tante gelegentlich besuchen kam. Ich sah

sie später als eine Art Leidensgenossin, die nicht in den Respekt von Aphrodite kam und fühlte wie

sie, wenn auch ohne einer Berührung, was sich mein Mitschüler lästernd zur Angriffsfläche machte.

Ich stieß ihn ohne ein Zögern den Hang einer Böschung hinab,- was niemand vorher gedacht hätte.

Ein Junge namens Bill stand in seiner Clique, die lang ausgestreckte Zungen über kalte Eiskugeln

zogen, auf dem Hang und rief mir lauthals hinterher: „Dort kommt der dänischer Torten-Bäcker als

Götterbote Paris und schwebt dem griechischen Theater unter Ausschluss von Aphrodite hinüber.“

Ich hätte es ihm nie zugetraut. Doch statt seine Frotzeleien zu ignorieren oder zu kontern, verübte

ich etwas Unerwartetes aus einem spontanen Gefühl heraus, dass es im Gelände bekannt wurde.

Der Hausmeister, dem ich viel Sympathie entgegen brachte, sprach mich wenige Tage danach an.

„Hallo David, auf dem Weg zu ihrer Freundin, um sich dem griechischen Theater ehrend nützlich

zu machen?“ - “Ja, Sir“, antwortete ich kurz im Vorübergehen. Er hielt mich am Ärmel fest, indem

er mich sachte an sich heranzog. „Nur ruhig Blut“, sagte er. „Wissen Sie, solch Frotzeleien, wenn

die auch nicht nett sind, muss man nicht gleich mit derart drastischen Maßnahmen beantworten.“

Wir lächelten uns an. „Tut mir leid, Sir. Das wird nicht wieder vorkommen“, sagte ich schlicht wie

begreifend. Ich erfuhr von ihm, dass sich Bill beim rasanten Absturz seinen Arm gebrochen hatte.

Zum Glück gab es einen Zeugen in der Clique, der klar bestätigte, dass dies Bill angestiftet hatte.

Mich verwunderte die Aussage eines Kameraden,- doch musste ihn mein Gefühl verdutzt haben.

Als würde man in eine andere Welt versetzt werden, wenn ein Fisch gefühlvoll zu Jungen spricht.

Das Image am College nahm die Kehrwende vom schüchternen Einzelgänger zum respektierten

Mitschüler, der im Vergleich zu anderen eine Freundin hatte,- die in der Reife Mädels voraus war.

VORAHNUNGEN

Ich erfuhr viel Interessantes über Dänemark, dass ich ihr versprach, sie in den Semesterferien zu

besuchen, um mir den Dom des 13. Jahrhunderts unter anderen Sehenswürdigkeiten anzusehen.

„Vielleicht gelingt es mir sogar schon vor Jahresende zu Weihnachten, wenn ich meine Eltern in

diesem Jahr nach Weihnachten wiedersehe. „Es wäre wunderbar, doch bin ich Jahresende nicht

dort.“- “Hast du nicht gesagt, dass du Weihnachten in Dänemark feierst?“ “Das habe ich niemals.“

Ich wunderte mich. Ich war davon überzeugt, dass ich dies gestern aus ihrem Mund gehört hätte.

„Das habe ich nicht gesagt!“ bekräftigte sie wiederholt ihre Worte mit einer üblichen Willensstärke.

„Dann hat es dir jemand anderes gesagt.“ Ich überlegte, dass ihr Onkel es mir nicht gesagt haben

konnte. Letzte Zeit hatte ich ihn als Hausmeister, sowie auch sonst nicht weiter mehr gesprochen.

Woher sollte ich das wissen? Wer hatte mir das gesagt, was sich bei ihr als Gerücht herausstellte.

Ich erinnerte mich an eine ähnliche Situation, als ich elf Jahre alt war und meinte, eine Bekannte

meiner Mutter im Restaurant eines Nachbarortes gesehen zu haben, als ich mit meinem Fahrrad

unterwegs war. Frau Whitle, die kurz zu uns zum Tee herein gekommen war, beteuerte, dass sie

nicht in Newstown gewesen sei, und ich mich irrte. Ich war felsenfest überzeugt, dass sie es war.

Meine Mutter schickte mich in den Garten, ein Bund Petersilie zu pflücken und fing mich dann ab.

Auf der Veranda, als ich mit einem Büschel vor ihr stand, sagte sie: „David, ich bin mir sicher, du

hast Recht. Doch aus einem bestimmten Grund will sie es uns nicht sagen.“ “Warum nicht, Mutti?“

„Ich weiß es nicht. Doch sollten wir es dabei besser belassen.“ Sechs Wochen später wurde Frau

Whitle geschieden und war zusammen mit ihrem Liebhaber nicht mehr in dieser Region ansässig.

Sie verließ uns mit ihm. Natürlich war ich in dem Alter nicht in der Lage, diese zwei Ereignisse zu

verbinden. In einer Sache, Birgit in Dänemark zu treffen, lag das aber anders als bei Frau Whitle.

Was sollte mich darin täuschen wollen und wofür? Auch hier war ich mir absolut sicher, dass ich

es gehört hätte, dass Birgit zum Jahresende in der Heimatstadt sein würde, verflixt wie zugenäht.

Sie war es selbst, die zaghaft den Vorschlag gemacht hatte, dass ich Dänemark besuchen sollte.

Doch gab es noch einen anderen Grund, der mich davon abhielt, darin weiter zu forschen. Dabei

spürte ich deutlich diese Angst vor Unheilvollem, wenn auch nicht bewusst. Als sei ich gestolpert

über den Stein, den ich besser liegen ließ. Wie ein Kind, das Böses ahnt, ohne real zu verstehen.

Da war etwas Irritierendes an der Sache, was mir intuitiv im Gefühl kund gab, es nicht zu wissen.

Als Agamemnon gelaufen war, trafen wir uns nur selten, bis ich sechs Wochen vor Semesterende

erfuhr, dass ich meine Eltern in Spanien besuchen musste mit dieser erregenden Aussicht auf ein

Stipendium für Oxford. Die letzte Zeit im Internat verlief flüchtig, verging in Windeseile, mit ganzer

Konzentration auf mein Ziel: in Deutsch und Französisch mein Diplom zu schreiben. Während ich

mich von Birgit zunehmend entfernte, vergaß ich dies, sie in Kopenhagen einmal wiederzusehen.

Unerwartet zu Beginn des Herbstsemesters bekam ich in Oxford Post von dem Hausmeister aus

Blessfill. Er schrieb mir ein paar kurze Zeilen, dass er hoffe, dass es mir gut ginge und lud mich

ein zum „Abendessen der Ehemaligen“ im November. Ob ich nicht Lust hätte, mit dabei zu sein

und mir eine neue Inszenierung von Raybird anzusehen. Pflichtbewusst tauchte ich auf und war

gespannt auf das Schauspiel der neuen Internatsschüler. Wie bei solchen Gelegenheiten es alter

Brauch war, gehörte auch der neue Schulsprecher dazu, ein Neusprachler und früher Bekannter.

Nach dem Abendessen ergab sich ein Gespräch zwischen uns, das für mich aufschlussreich war.

„Ist das nicht jammerschade um dieses arme, dänische Mädchen, David! Sie waren befreundet?“

Ich runzelte die Stirn und wusste nicht, worauf er hinaus wollte. „Birgit, nun gut, was ist mit ihr?“

„Was denn, Sie wissen von nichts?“-“Nein, ich habe nichts mehr von ihr gehört. Was soll sein?“

“Leukämie! Sie hat offenbar Leukämie. Es sah schlimm aus um sie, als man sie sofort mit dem

Ferienbeginn nach Hause schickte. Am ersten Abend des neuen Semesters riefen riefen Eltern

an, baten mich, die Mitbewohner des Internat-Gebäudes ohne Aufwand darüber zu informieren.“

Ich habe nie erfahren, was aus ihr geworden ist. Ich weiß es heute nicht einmal und will es nicht.

Es gab keine stichhaltigen Gründe, zu mindestens nicht für Dritte oder dafür eine Erklärung, ich

hätte eine Vorahnung gehabt. Als ich in jener Nacht wach lag und an Birgit dachte, erinnerte ich

mich an den Spaziergang für Agamemnon und wie ich davon überzeugt war, dass sie im Herbst

nicht mehr hier im Internat sein wird. Das Wissen beruhte nicht auf die Aussagen, die ich gehört

hatte, sondern auf eine innere Furcht in Vorahnung. Ich war fassungslos. Ob es sich wiederholte,

wusste ich nicht. Eine innere Unruhe überkam mich. Sollte das gleiche mal wiederkehren? Dann

legte ich diese Angelegenheit ad acta und dachte über Birgit nach, wie über meine gute Freundin

beim Theater. Ihr kurzes „Tak“, wenn ich ihr einen Terpentin-Lappen zuwarf, zum Reinigen farbig

verschmierten Hände. Das unbewusste, feste Zusammenpressen der Finger, nachdem der 3. Akt

zu Ende war, wir auf diesen schrecklichen Todesschrei 'Agamemnons' warteten, bis er hörbar war.

Aus dem Inneren des Palastes ertönte der dritte Chor, und ein Bühnenbild löste sich langsam auf.

Dann und wann musste ich dran denken, was wir auf dem Weg zum Internat besprochen hatten.

Sie wollte im Herbst noch bis Jahresende hier bleiben und wie ich ihr darin widersprochen hatte.

Es lief mir ein kalter Schauer den Rücken herunter. Doch versuchte ich, es besser zu vergessen.

Ich behielt sie in Erinnerung, wie die Birgit, die ich einmal gerne gemocht hatte und weiter nichts.

MEIN OXFORD-STUDIUM

Fortan widmete ich meine ganze Aufmerksamkeit einem neusprachlichen Studium in Oxford, das

mich völlig vergessen ließ, womit ich meine Freizeit im Internat verbrachte und ob ich die Fische

im Bach gefangen hatte. Ich musste mich anstrengen, für meine Doktorarbeiten Neues zu lernen.

Neben Deutsch und Französisch lernte ich ein brauchbares Italienisch, es war leicht zu sprechen.

Dänisch hingegen ist eine schwierigere Sprache. In Dänemark spricht man oftmals auch Englisch.

Mir ging Dänemark nicht mehr aus einem Sinn, was ich trotzdem persönlich kennen lernen wollte.

Vielleicht hatte mich Birgits Erscheinung ja mehr berührt, als ich es für mich wahrhaben konnte.

Nach zwei Jahren Oxford, die ich glücklich verbrachte, was meine Examina und Freizeit betraf,

machte ich mir Gedanken, womit ich in der Zukunft meinen Lebensunterhalt begleichen konnte.

Mein Vater hatte für meine Schwester Georgia und mich ein halbes Vermögen in unsere Studien

investiert. Georgi, wie wir sie nannten, hatte mit Bestnoten in Geschichte abgeschnitten und war

wie geschaffen für das Lehramt. An einer Oberschule verdiente sie sich bereits unabhängig Geld.

Wenn unser Vater es mit etwas Taschengeld besiegelte, so weil er auch seine Tochter verwöhnte.

Georgi war drei Jahre älter als ich und verheiratet. Sie hatte ihre vierjährige Tochter Beatrice, kurz

Trixi genannt. Wir hatten ein gutes und leider entferntes Verhältnis, dass uns andere als Kick & Ei

benannten. Es ging nicht überall so harmonisch zu in einer Familie wie bei uns, was ich anderswo

erlebte. Ich war froh darum und hielt es in Ehren. Georgia hatte ihr Staatsexamen für Oberschüler.

Sie war mir stets drei Jahre voraus, egal ob sie nicht mehr auf das Töpfchen ging, eingeschult war,

zur Oberschule wechselte, ihren Ehemann kennen gelernt hatte und ihre Tochter bekommen hatte,

wie sie vor zwei Jahren das Lehramt für Geschichte und Latein einnahm, als Beamtin unabhängig

von anderen finanziellen Zuwendungen. Ich war lebenslang an Sie gewöhnt als ihr kleiner Bruder.

Unser Vater war Ende der Fünfziger, gesundheitlich schwächer geworden, jedoch nicht kränkelnd.

Ich machte mir manchmal Gedanken um sein Antiquitäten-Geschäft in London, das er immer gut

alleine führte. Jahrzehnte lang hatte er sich Wissen angeeignet, um die anspruchsvollen Kunden

 

zufrieden zu stellen und zu bewahren Es wäre schade drum, wenn jener Laden in fremde Hände

kommen würde. Ich freundete mich mit meiner Vorstellung an, ihn an seiner Stelle weiterzuführen.

In Oxford fing ich Feuer für neue Sprachen, kaufte mir von meinem Taschengeld die Grammatiken

Französisch, Italienisch und Deutsch, einige Sprach-Cassetten für die Aussprache. Dänisch einzig

als Reiseführer mit üblichen Redewendungen, die einem den Reise-Aufenthalt im Land erleichtern.

Doch mit Sprachen konnte man im geschäftlichen Sinn nicht besonders viel anfangen, wie ich fest-

stellte. Sie waren hilfreich bei Auslandsreisen, in der Korrespondenz im Export- und Importhandel,

stellten allein keine Grundlage dar für die gewinnbringende Wirtschaftlichkeit, die einen versorgte.

Ich befand mich in dem Stadium, in dem junge Mädchen in Pferde vernarrt sind, jede freie Minute

dafür nutzen, sie zu striegeln, zu füttern, den Stall zu säubern, in einer Runde führen und ausreiten,

ohne sich bewusst zu sein, ob sie ihre Liebe in Richtung Trabrennbahn, Sechstagerennen, Galopp,

Sport, Dressurreiten oder für die Pferdezucht verwenden. Ob sie Pferdepfleger werden oder Traber.

MEINE NACHFOLGE IM KERAMIKHANDEL

Ich hatte bis jetzt nichts anderes erlebt als das Antiquitäten-Geschäft meines Vaters für die Familie

und neue Sprachen in eigener Vorliebe mit Begeisterung. Ich versuchte, darin eine Schleife binden.

Natürlich fehlte es mir bislang an grundlegendem Fachwissen für den Antiquitäten-Handel. Jedoch

war ich mir sicher, dass ich es nirgends schneller lernen könnte als in dem Geschäft meines Vaters.

An einem Sonntagnachmittag, als unsere Familie zum Kaffee auf der Veranda saß mit dem typisch selbstgebackenen, englischem Kuchen, der eine Tradition war, ein altes Rezept meiner Großmutter,

eröffnete ich feierlich zum ersten Mal die Überlegungen, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten.

Ich saß neben Georgi, meiner hübschen, warmherzigen Schwester, die mich bereitwillig anlächelte.

Unsere Mutter blickte auf die gemähten Ernte-Hügel des Hochsommers und wurde nachdenklicher

als sonst. Sie besaß die vollkommene Art der ‚First Lady‘. Sie wusste, wann schweigen besser war

als reden. Ich hätte gern gewusst, was in dem Moment in ihr vorging, der tiefe Verbundenheit war.

Keiner von ihnen hatte irgendeinen Einwand. Die Frage meines Vater erprobte nur eine Sicherheit,

ob ich den Wunsch wirklich aus freien Stücken hege und nicht aus dem Pflichtgefühl seines Sohns.

„Vielleicht ist es eine dumme Frage, David, aber du bist dir sicher, dass du das später nicht bereust

als Oxford-Absolvent? Dass sich nicht ein Gefühl von Standesbewusstsein, oder wie man es nennt,

dem alltäglichen, einfachen Kaufmanns-Dasein entgegen gesetzt wird? Dass du was untergräbst?“

„Um Himmelswillen, Vater, nein!- Das glaube ich nicht! Ich fühle eher Stolz bei diesem Gedanken.

Schließlich war es schon die englische Handelsflotte, die ihre Kapitäne Tradition werden ließ, und

dabei stetig wieder neue Ufer anstrebte im kämpferischen Wettbewerb des Handels, Ihre Majestät!“

Mein Vater lachte laut und herzlich. Jetzt zeigte er Genugtuung, worin sich seine Familie einreihte.

Ob mir der Wind stärker um die Ohren blies als zuvor, konnte ich feststellen, wenn ich darin stand.

Ich hatte ihn mir lange Zeit um die Nase wehen lassen, bis Georgi mir erneut vorangegangen war.

Wir plauderten bis in den Abend hinein, small talk, wie man in England sagt, über unsere Ahnen.

Scharlatanerie und Hexerei, Französische Revolution, ein Urenkel meines Urgroßvaters, in 1749.

Ein Bauer, der das Wetter vorhersagen konnte, den Ausfall einer Ernte und die Babys bestimmte,

wurde mit seinen eigenen Waffen geschlagen, als er eine Frau verriet, die ihr Baby getötet haben

sollte oder beseitigt hätte. Er brachte es der französischen Polizei näher. Im Gericht gab sie kund,

dass er zurzeit der Geburt ihres Babys ihr Liebhaber gewesen sei, wenn nicht vielleicht der Vater.

Mich interessierten dabei der Seher und die vorher Ahnungen mehr als jenes unerwünschte Baby.

Unser Ladengeschäft mit Keramikkunst sei bei meinem Großvater entstanden, unser Urgroßvater

hätte schon Anteile gehabt, der unterstützte das Geschäft seines Sohnes, wie Vater es bei mir tat.

Ein Jahr später war es offiziell. Mir gehörten eigene Anteile vom Keramikgeschäft meines Vaters.

Mit meinem zweiten Staatsexamen, das sich so gut sehen lassen konnte wie dieses von Georgi,

war ich täglich in London und beriet die langjährige Kundschaft für Antiquitäten selber im Laden.

Frühere Kunden kannten mich von klein auf. Sie zeigten offensichtliche Freude am Wiedersehen.

Es waren erst zwei Monate vergangen, und ich wusste, dass die Töpferkunst meine Berufung ist,

weil ich mich allen Kunstwerken des alltäglichen Gebrauchs gewidmet hätte, ohne damit Geld zu

verdienen. Dies ging am Geschäftssinn vorbei, doch beflügelte es meine Arbeit.

Meine ganze Seele lag darin, wenn ich mir diese verschiedenen Motive von Tieren, Ornamenten,

Pflanzen, Blumen oder Skulpturen ansah, die oft schöner aussahen als in der realen Wirklichkeit.

Letztendlich hatte der Mensch dem Tier voraus, dass er gern dekorierte und edle Ambiente schuf.

Wenn die Vögel mit ihrem Gesang der Musik nahestehen, gar Lust, Werbung und Befriedigung in

langgezogenen Vokallauten, Höhen und Tiefen im rhythmischen Wechsel als Takt in der Melodie

wiedergeben, so bleibt Dekorieren, Zeichnen und Malen den Menschen überlassen in ihrer Kunst.

Diese Welt, in der Ton herausgegraben, in Schmelzöfen gebrannt, emailliert sowie glasiert wurde,

war die gleiche, in der die Phönizier das Geld erfunden hatten, in Folge des Tauschhandels zuvor.

Ich musste zwei Perspektiven auseinander halten und erfuhr, dass sie sich hervorragend ergänzten.

„Der Vertrieb lebt mit einer Seele, die Buchhaltung ist das Herz des Geschäfts!“, betonte mein Vater.

Er wies mich darauf hin, dass diese bewundernswerte Haltung jenseits des schnöden Profits, auch

beinhaltet, dass in der Töpferei meist in den einfachen Gegenständen wie dem Feuer festen Teller

oder der braun glasierten Teekanne mit Stövchen eine bessere Handelsspanne liegt als bei selten

teuren Utensilien für die Vitrine. Unsere Vorgänger wussten das schon in der gelungenen Auswahl.

Indem sie Nutzen und Zweckmäßigkeit vor dies Ausstellungsstück in Rarität gestellt hatten, hätten

sie das beachtliche Lager geschaffen, das einem Geschäft die Möglichkeit zu Besonderem verlieh.

Mein Vater klärte mich in den kleinen, wichtigen Details genauso auf, sowie er mir die Grundlagen

des soliden, seriösen Kaufmanns beibrachte. Die Raffinesse des Verkaufens und die Buchhaltung.

Meine eigene erste Sammlung war nicht kostspielig. Sie enthielt die schönen Dinge aus Keramik,

die sich ein Auszubildender leisten kann. Dies Gedeck mit Blumen für das Frühstück, eine Schale,

aus der man Obst anbieten und Porridge essen konnte, oder den großen Landschafts-Wandteller,

der unsere „grüne Insel“ darstellte. Ein Schmuckdöschen mit einem Rosen verzierten Deckelchen

als Geburtstagsgeschenk für meine liebe Mutter. Sie bewahrte darin den wertvollen Schmuck auf,

womit sie außerdem den besonderen Wert meines ersten, selbst verdienten Geschenkes achtete.

Traditionelle, englische Keramik hatte es in sich, wenn man im Verkauf kompetent beraten wollte.

Ich lernte Original und Fälschung unterscheiden wie die Kopie von dem Kunstwerk richtig deuten.

War dies Original glaubhaft, musste ich es katalogisieren zur neuen Bestellung für Interessenten.

Ich arbeitete hart. Bald hatten mein Vater und ich zwei Roover, da er gerne den Abend vor dem

Sonnenuntergang im Garten zwischen seinen Vögeln genießen wollte oder bei einem Earl Grey

einen seiner mächtigen Wälzer. Er besaß eine eigene Bibliothek, die bis zur Decke hoch reichte.

Währenddessen studierte ich verschiedene Epochen, in denen Keramik bemalt worden war, um

den Kunden gerecht zu werden und anspruchsvolles Publikum in der Kunst Wissen darzubieten.

Das war ähnlich wie in der Musik, dass man zwischen Klassik, Musicals, Folklore, Schlager und

Symphonien unterscheiden lernen musste, dass „Die kleine Nachtmusik“ von Mozart war, sowie

'Die Zauberflöte' eine Oper und nichts gemeinsam hatte mit 'Den lustigen Weibern von Windsor'.

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