Die zweite Reise

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Sinnas war erschüttert. Seine körperliche Kraft war um einiges größer geworden. Auch wenn er in dem Moment, als er erkannte, dass man aus ihm einen Cyborg gemacht hatte, extrem wütend war, so wollte er den Soldaten nicht töten. Zumindest sagte er sich das selbst, als ihm klar wurde, was er getan hatte. Jedoch blieb Sinnas keine Zeit mehr, um über seine tödliche Fehleinschätzung der eigenen Kräfte nachzudenken, da die restlichen Soldaten das Feuer eröffnet hatten. Es waren Feuerschusswaffen mit Kugeln, vermutlich panzerbrechend. Zum Glück stellte sich heraus, dass Sinnas zu seinem eigenen Erstaunen einen Schutzschild besaß, an dem die Kugeln abprallten. Er fragte sich nur, woher die Energie für den Schutzschild kam. Hatten sie ihm etwa eine Atombatterie eingepflanzt? Was hatte dafür aus seinem Körper entfernt werden müssen? Sinnas war sich nicht sicher, ob er das wirklich wissen wollte. Er hatte aber auch diesmal keine Zeit, darüber nachzudenken, denn sein Schutzschild würde diesem Dauerfeuer höchstwahrscheinlich nicht endlos standhalten. Deshalb ging Sinnas in die Offensive und sprang einem anderen Soldaten entgegen. Er schlug diesem ins Gesicht und diesmal regulierte Sinnas seine Kraft besser, sodass der Soldat nur ins Reich der Albträume geschickt wurde. Das Schlimmste, was ihn erwarten würde, waren arge Kopfschmerzen nach dem Aufwachen. Genau auf dieselbe Art und Weise schaltete Sinnas die verbliebenen drei Soldaten aus, ohne sie schwer zu verletzen.

Das Kämpfen mitsamt den gigantischen Sprüngen und schnellen Schlägen und Tritten fiel Sinnas erstaunlich leicht, obwohl er niemals eine Kampfsportart oder etwas Ähnliches intensiv trainiert hatte. Man schien nicht nur seine Stärke, sondern auch sein Geschick verbessert zu haben.

Sinnas war bewusst, dass er sich in einer Basis befinden musste, was bedeutete, dass man ihn vermutlich jagen würde. Er musste von hier weg. Sein Blick fiel kurz auf seinen rechten Arm. Als er diesen drehte, konnte Sinnas auf der Außenseite etwas lesen: Dornteufel-1. Er erkannte sofort, dass es sich hierbei wohl um seinen Modellnamen und seine Seriennummer handelte. Dann war er also ein Prototyp. Doch warum trug er die Bezeichnung ‚Dornteufel‘?

„Frau Doktor Ansell, wir haben einen Notfall!“ Eine Assistentin kam, ohne zu klopfen, in Magarete Ansells Büro gehetzt.

Ansell war gerade damit beschäftigt, den Bericht über die Operation von Sinnas zu lesen, als sie aufblickte und beunruhigt fragte: „Ein Notfall? Greifen die Loyalisten an?“

„Nein! Unser Prototyp Dornteufel-1 ist ausgebrochen und wütet in der Basis“, antwortete die Assistentin.

Der Wissenschaftlerin fiel fast die Zigarre aus dem Mund: „Das ist unmöglich. Er könnte sich doch nicht mal bewegen, solange wir nicht die Software für seine Kybernetik aufgespielt haben.“ Ansell wusste jedoch, dass keiner ihrer Assistenten einen schlechten Scherz machen würde, weshalb sie sich jetzt erst einmal darauf konzentrieren musste, die kritische Lage zu entschärfen. „Was genau ist passiert? Geben Sie mir die Details“, forderte sie ihre Assistentin auf.

„Der Cyborg hat es geschafft, aus seinem Behälter auszubrechen und die Wachen auszuschalten. Danach hat er die Lagerhalle verlassen. Unsere Leute versuchen, ihn in den Gängen der Basis einzuschließen“, fasste die Assistentin zusammen.

„Hat er die Dornen eingesetzt?“, fragte Ansell.

„Nein, noch nicht, Frau Doktor.“

Ansell beruhigte dies für den Moment. Anscheinend konnte Sinnas noch nicht alle seine Funktionen benutzen. Jetzt war er zwar ein starker Cyborg, doch es sollte noch möglich sein, ihn wieder einzufangen.

‚Verdammter Mist‘, dachte Sinnas, während er durch die Gänge hetzte. ‚Ich kenne mich hier überhaupt nicht aus. Wie soll ich nur den Ausgang finden?‘ Er rannte weiter, doch als er um eine Ecke bog, stand er plötzlich drei Soldaten gegenüber. „Stehen bleiben! Keinen Schritt weiter!“, rief einer von ihnen und alle drei richteten ihre Waffen auf ihn. Sinnas machte keine Anstalten, den Befehl zu befolgen. „Hoch mit den Händen, damit ich sie sehen kann“, forderte der Soldat in der Mitte. Sinnas reagierte aber immer noch nicht. „Bist du taub? Ich sagte …“ Dem Soldaten blieb das Wort im Hals stecken, denn der Cyborg schnellte nach vorn, packte mit je einer Hand seine beiden Kameraden und schleuderte sie mit den Köpfen voran gegen die Wand. Das geschah so schnell, dass der verbliebene Soldat sein Lasergewehr erst hochreißen und einsetzen konnte, als seine Kameraden bereits ausgeschaltet waren. Der Laserstrahl verpuffte wirkungslos am Schutzschild des Cyborgs, der dem Soldaten mit einer schnellen, kaum wahrnehmbaren Bewegung das Gewehr aus den Händen schlug, bevor dieser ein zweites Mal abdrücken konnte. Der Soldat wusste nun, dass er keine Chance gegen den deutlich größeren Cyborg hatte, und blieb gelähmt stehen, um auf den letzten Schlag zu warten. Doch der kam nicht. Stattdessen legte der Cyborg ihm seine Hand auf die Schulter und befahl: „Zeige mir den Weg zum Ausgang. Dann wird dir nichts passieren.“

„Frau Doktor, der Proband hat einen unserer Wachtrupps außer Gefecht gesetzt und einen Soldaten als Geisel genommen.“ In der Kommandozentrale herrschte Betriebsamkeit, aber keine Hektik. Auch wenn die Situation ungewöhnlich war, so blieben die geschulten Männer und Frauen, die für die Verwaltung und Überwachung des Außenpostens zuständig waren, ruhig. Das Problem war weniger schlimm, als es auf den ersten Blick aussah. Zwar war der entflohene Proband mit neuartigen kybernetischen Teilen versehen worden und schien trotz der fehlenden Programme in der Lage zu sein, diese in einem begrenzten Maße benutzen zu können, aber trotzdem war er nur eine einzelne Person. Eine einzelne Person, die sich in einer Basis voller erfahrener Soldaten und kampfstarker Militärroboter der Gamma- und der Beta-Stufe aufhielt.

„Wir sind da. Hinter dieser Schleuse ist die Fahrzeughalle. Dort führt ein Tor nach draußen.“ Sinnas nickte. Der Soldat hatte ihn vermutlich wie befohlen zum Ausgang gebracht. Zumindest hoffte Sinnas, dass er es getan hatte. Der Soldat könnte ihn ebenso gut in das Zentrum der Basis geführt haben, denn die Gänge sahen alle gleich aus. Für jemanden, der sich hier zum ersten Mal aufhielt, war es unmöglich, zu erkennen, wo er war und wohin er ging. Es gab nicht einmal Schilder, die den Weg weisen konnten. Und Sinnas ahnte, egal wohin er gehen würde, der Feind würde ihn schon erwarten. Wenn er wenigstens wüsste, wer oder was genau ihn hinter dieser Tür erwartete.

Wieder zuckte eine Bildstörung durch sein Sichtfeld. Irgendetwas schien mit seinen Augen nicht zu funktionieren. Sinnas vermutete, dass es nicht seine biologischen Augen waren, sondern kybernetische Pendants, die sich noch mit dem Gehirn abstimmen mussten. Vielleicht ermöglichten sie andere Sichtweisen? Bei Robotern war es schließlich nicht untypisch, alternative Sichtmöglichkeiten wie den Röntgenblick einzusetzen. Doch wie konnte Sinnas so etwas aktivieren, wenn er tatsächlich dazu in der Lage wäre?

Der Soldat bemerkte, dass der Cyborg nachdachte und gar nicht mehr auf ihn achtete. Vermutlich hätte er einfach verschwinden können. Doch seine Pflicht als Soldat war ihm ständig bewusst. Er konnte nicht einfach verschwinden, ohne zu versuchen, den Cyborg aufzuhalten. Die Befehlshaber waren strenger geworden, seitdem die Putschisten an der Macht waren. Eine Flucht, selbst wenn sie das Klügste wäre, würde nicht ohne Konsequenzen bleiben.

Langsam zog der Soldat seine Laserpistole. Der Cyborg hatte ganz sicher noch nicht bemerkt, dass er mehr als nur eine Waffe besaß. Blitzschnell hob der Soldat die Waffe und hielt sie dem Cyborg an den Hinterkopf. „Das war’s dann, Cyborg! Bleib ruhig stehen, bis meine Kameraden kommen, sonst blase ich dir das Gehirn, oder was auch immer du im Kopf hast, weg.“

Weil es sich bei dem Cyborg um einen Prototypen einer neuen Waffenreihe handelte, dachte der Soldat nicht daran, abzudrücken. Das war sein Fehler. Gerade noch stand der Soldat hinter dem Cyborg, doch einen Lidschlag später lag er am Boden und die Pistole zerschmettert vor der Wand des Ganges. Sinnas stand vor ihm und hatte seine rechte Hand, die leicht rauchte, ausgestreckt. Rote, eiserne Dornen waren aus der Hand herausgefahren. Der Soldat konnte es nicht fassen. Der Cyborg hatte sich, ohne dass der Soldat es überhaupt wahrnehmen konnte, gedreht und ihm die Pistole aus der Hand geschlagen. Doch was war dieser rote Haufen, der neben der Pistole lag? Plötzlich spürte der Soldat einen starken Schmerz. Er sah an sich herunter und erstarrte. Dann schrie er, als er begriff, dass der Haufen die Überreste seiner Hand waren. An seinem Arm war nur ein stark blutender Stumpf zurückgeblieben. Der Verstümmelte schrie weiter, doch als er dem Cyborg in die Augen sah, blieb sein Schrei im Hals stecken. Rote Adern durchzogen das Blau der kybernetischen Augen und liefen auf eine blutrote Pupille zu. ‚Das kann kein Cyborg sein‘, war der letzte Gedanke des Soldaten.

Alles, was im Gang hinter der Schleuse passierte, blieb von den Soldaten und Robotern, die sich hier in der Fahrzeughalle verschanzt hatten, unbemerkt. Später würden sich die Menschen fragen, warum man sie nicht vor dem, was passieren würde, gewarnt hatte. Genauer gesagt, würden sich das die wenigen Überlebenden fragen. Die unbefriedigende Antwort würde lauten: Der Prototyp hatte alle Erwartungen übertroffen.

5. Kapitel – Kalus, Meisterschwertkämpfer der Dämonen

Dämonenhauptstadt Gula, irgendwo in den tiefen Höhlensystemen

des eisigen Nordens

Mittag des zweiten Tages nach dem Fall von New Paris

„Kämpfe! Wir wollen Kämpfe sehen!“ Das Gebrüll der Menge durchdrang selbst die dicke Mauer der Katakomben und schallte bis zu der Kammer desjenigen, nach dem die Menge verlangte.

 

„Die Zuschauer können es mal wieder nicht erwarten, Euch im Kampf zu sehen, Meister“, bemerkte Kalusurus.

„Sprich nicht, sondern konzentriere dich auf meine Rüstung“, ermahnte Kalus seinen Schüler.

Der Schüler nahm die kleine Ermahnung hin, denn es war tatsächlich eine schwierige Sache, einem Felusianer die Rüstung anzulegen. Diese Katzenwesen hatten vier Arme. Deshalb bestanden die Rüstungen aus vielen Einzelteilen, die jedes Mal Stück für Stück am Körper des Kriegers befestigt werden mussten. Außerdem galt es, darauf zu achten, dass man das Fell nicht einklemmte und die Haut nirgendwo gescheuert wurde. Kalusurus, der gerade erst fünfzehn Jahre alt und damit noch ein Kind war, bewies, dass er das Rüstunganlegen beherrschte, denn als sein Meister, dessen Alter auf die Fünfzig zuging, aufstand und probeweise mit seiner Ganzkörperrüstung aus Eisen ein paar Schritte lief, verursachte kein eingeklemmtes Haar ziehende Schmerzen und an keiner Stelle verspürte er einen unangenehmen Druck, der zu Haarausfall hätte führen können. Kalus nickte seinem Schüler zufrieden zu, der seine Lederrüstung schon vorher angelegt hatte, und setzte seinen offenen Helm auf. Schweigend nahmen Meister und Schüler ihre Waffen, vier Schwerter für den Meister und ein eiserner Stab für den Schüler, und gingen hinaus auf den Arenaplatz.

Für die Dämonen war die Arena nicht nur ein Ort, den man zur Unterhaltung besuchte. Sie war der Schmelztiegel der Gesellschaft. Hier trafen die verschiedenen Schichten, Dämonenarten und Altersgruppen aufeinander, um bei den Kämpfen mitzufiebern. Hier kämpften sowohl aufstrebende Jungspunde als auch Veteranen für Ruhm und Ehre. Und insgeheim natürlich auch für die wertvollen Preise, die von kulinarischen Delikatessen bis zu von Meisterhand gefertigten Waffen alles umfassten. Von allen Arenen war die Gula-Arena in der Hauptstadt die größte und prächtigste. Statt aus grauem Granit, der bei den gewöhnlichen Gebäuden der Dämonen verwendet wurde, bestand diese Arena großenteils aus einem schwarzen, widerstandsfähigen Marmor. Mit einer Breite von dreihundert Metern, einer Länge von dreihundertsechzig Metern und einer Höhe von hundert Metern hatte die Arena gigantische Ausmaße und gehörte damit zu den größten Bauwerken des Dämonenreiches. Keine andere Arena war auch nur halb so groß wie sie. Deshalb galt für jeden Arenakampf-Liebhaber: Erst, wenn du die Gula-Arena besuchst hast, weiß du, was ein echter Kampf ist.

Heute erwartete die Menge ein besonderer Kampf, ein Duell zwischen zwei Meistern und ihren Schülern. Die Namen blieben geheim, wie die Tradition es verlangte, jedoch brodelte die Gerüchteküche schon und man munkelte, dass an diesem Tag die Vertreter zweier altehrwürdiger Kriegerhäuser antreten würden. Die Menge saß deshalb sehr unruhig auf den Rängen und konnte den Beginn des Kampfes kaum erwarten.

Die Zuschauer mussten sich nicht mehr lange gedulden: Die Ansagerin, eine Sukkubus, kam in die Arena und stellte sich in die Mitte des Feldes. Sie trug ein rotes Kleid, vermutlich widerwillig. Denn aufgrund des heißen Blutes, das durch die Adern jedes Dämons und jedes Halbdämons floss, waren die Körper der Dämonen sehr resistent gegenüber Kälte und anderen Witterungseinflüssen. Darum spielte in der Tradition vieler Dämonen Kleidung keine Rolle, abgesehen von Rüstungen, die aber nur von wenigen verwendet wurden. Viele Dämonen besaßen durch Schuppen oder Ähnliches eine natürliche Rüstung, sodass zusätzliche Ballaste die Bewegungsfreiheit nur unnötig eingeschränkt hätten. Außerdem fiel es vor allem Vierbeinern, wie den Raptoren, schwer, ohne Hände Kleidung anzuziehen. Aus diesen Gründen zogen es nicht wenige Dämonen vor, unbekleidet herumzulaufen.

Dann gab es aber auch Dämonenarten wie die Felusianer, die meinten, dass man nur zivilisiert sei, wenn man Kleidung trug. Es herrschte zwischen den vereinigten Dämonenarten lange ein verbitterter Kulturstreit darüber, ob ein Gesetz zum Zwangstragen von Kleidung wirklich zivilisierend oder nicht vielmehr freiheitsberaubend sein würde, bis man sich auf folgenden Kompromiss einigte: In den Städten herrschte eine Kleidervorschrift, außerhalb der Städte durfte jeder tragen oder nicht tragen, was er wollte. Dieser Kompromiss stellte aber keine der beiden Parteien zufrieden: Die einen hielten nun die anderen für primitiv, die anderen sie für dogmatisch.

„Dämoninnen und Dämonen!“, sprach die Ansagerin in einen mit Runen verzierten Kristall. Diese Runen nahmen die Schallwellen auf und übertrugen sie auf andere Runen, die in den Steinblöcken der Zuschauerränge eingraviert waren. Dort wurden die Schallwellen wieder abgegeben, sodass jeder hörte, was die Ansagerin verlauten ließ. „Willkommen in der Gula-Arena. Heute erwartet uns ein vielversprechender Kampf zwischen zwei Meisterkriegern und ihren Schülern. Wir begrüßen unseren Gast: Herzlich willkommen in der Gula-Arena, Meister Stagar vom Haus der Flammen.“ Die Menge jubelte auf.

Die Häuser waren Familien mit weit zurückreichenden Wurzeln. Manche hatten schon in der Zeit vor der Vereinigung existiert. Und dass heute gerade ein Mitglied des Hauses der Flammen kämpfen würde, versprach einen schön anzusehenden Kampf.

Meister Stagar war ein Felusianer, der eine rot glänzende Stahlrüstung trug und mit einer schweren Hellebarde, die er mit seinen vier Händen hielt, bewaffnet war. Weil sein Helm kein Visier hatte, konnte man sehen, dass sein Gesicht vollständig kahl war. Vermutlich war auch der Rest seines Körpers rasiert, wenn man bedachte, wie brandgefährlich sein Kampfstil war. Sein Schüler Nando hingegen trug sein Fell noch, dafür war er unbewaffnet und schien ein Magier zu sein, da er mit einer blauen Robe bekleidet war und keinen besonders kräftigen Eindruck erweckte.

„Den anderen feuern wir als unseren Champion an: Meister Kalus vom Haus der Seelen“, verkündete die Ansagerin. Jetzt wurde die Arena sehr zum Ärger von Meister Stagar mit Jubel überflutet.

„Meister Stagar, kennt Ihr Kalus?“, fragte ihn sein Schüler.

Er schüttelte den Kopf: „Nicht persönlich, doch man hört so allerhand. Er soll selbst für das Haus der Seelen außergewöhnlich sein. Dasselbe gilt auch für seinen Schüler und Sohn Kalusurus.“

Inzwischen waren die beiden Mitglieder des Hauses der Seelen in die Arena getreten. Der Schüler von Stagar zog eine Augenbraue hoch: „Der Schüler ist ja noch ein Kind!“

„Unterschätze ihn nicht wegen seines Alters“, mahnte ihn sein Meister. „Wenn er schon in diesen jungen Jahren in der Arena kämpfen darf, muss er über wirklich außergewöhnliche Fähigkeiten verfügen. Ich wünschte, ich hätte vorher gewusst, gegen wen wir kämpfen.“

Nun gingen die beiden Meister mit ihren Schülern zur Mitte der Arena, bis sie sich trafen. Die Ansagerin schlug mit ihren Flügeln und erhob sich in die Lüfte. Als sie hoch genug war, nahm sie aus einer Tasche, die sie um ihre Hüfte trug, einen roten Kristall. Diesen warf sie in die Mitte des Arenaplatzes. Der Kristall zersprang mit einem lauten Knall und gab so das Startzeichen für den Kampf.

Die Kontrahenten rannten los und stürzten sich auf ihre Gegner: Meister gegen Meister, Schüler gegen Schüler. Stagar ließ seine Hellebarde rotieren, während er sich Kalus näherte. Als er nah genug war, ließ er seine Waffe von oben auf seinen Gegner niedersausen. Doch zum Erstaunen aller konnte Kalus diesen heftigen Angriff mit einem Schwert blocken, während er blitzschnell mit seinen anderen drei Schwertern zustach. Alle drei Klingen trafen sich mit der Spitze in der Mitte der Brust des Gegners. Die Rüstung hielt stand, doch die Kraft dreier Stiche gebündelt auf einem Punkt stieß Stagar einige Meter zurück. Stagar keuchte, denn der Stoß hatte sich trotz seiner Rüstung in die Brustgegend fortgesetzt, sodass ihm für ein paar Augenblicke das Atmen schwerfiel. Ihm blieb aber keine Zeit zum Verschnaufen, denn Kalus setzte nach und attackierte ihn weiter. Stagar hatte Mühe, die Stiche abzuwehren, sodass es Kalus immer wieder gelang, ihn zu treffen. Jeder Treffer war so stark, dass die Rüstung eingedellt wurde. Stagar hatte am Anfang des Kampfes gedacht, dass er im Vorteil wäre, da Schwerter gegen seine massive Rüstung nicht so effektiv waren. Jedoch schien Kalus’ Kraft diesen Nachteil mühelos ausgleichen zu können. Stagar verunsicherten jedoch nicht nur die Schnelligkeit und Kraft, mit denen Kalus mit seinen Schwertern hantierte. Obwohl der Angehörige des Hauses der Seelen klar überlegen war, konnte Stagar keine Regung auf dessen Gesicht wahrnehmen. Die Miene blieb kalt.

Währenddessen wurde auch Stagars Schüler Nando von Kalusurus in die Enge getrieben. Da Nando in Gegensatz zu seinem Meister keine schwere Rüstung trug, musste er sich sehr auf das Ausweichen konzentrieren. Kalusurus bewegte seinen Stab so schnell, dass es schwer war, den Angriffen mit den Augen zu folgen. Und ebenso wie beim Meister war beim Schüler keine Gefühlsregung sichtbar.

Es sah nicht gut aus für Meister Stagar und seinen Schüler Nando. Stagar würde jedoch nicht zum Haus der Flammen gehören und Nando wäre nicht sein Schüler, wenn die beiden nicht noch einige Winkelzüge auf Lager hätten.

Kalusurus drehte sich zur Seite und holte mit seinem Stab aus, um seinen Gegner auf den Kopf zu schlagen. Diesmal wich Nando nicht aus und der Stab ging einfach durch ihn hindurch. Denn genau in dem Moment, als der Stab ihn hätten treffen sollen, verwandelte sich Nandos Körper in Wasserdampf und zischte als heiße Fontäne dem Kontrahenten entgegen. Der Dampf blendete Kalusurus und während er für ein paar Augenblicke abgelenkt war, rammte sich die Wolke, die für einen Moment eine außergewöhnlich hohe Dichte aufwies, in seinen Magen. Kalusurus stürzte zu Boden, während die Dampfwolke sich in Wasser verwandelte, welches sich über ihn ergoss. Der Schüler achtete nicht darauf, sondern sprang wieder auf, sobald der Druck von ihm gewichen war. Er hatte dabei kurz Probleme, das Gleichgewicht zu halten, da sich seine Lederrüstung mit Wasser vollgesogen hatte. Schnell fing er sich jedoch wieder und stand fest mit beiden Beinen auf dem Boden. Sein Gegner war allerdings nicht zu sehen. Dafür war jetzt eine kreisförmige Fläche mit einem Radius von fünf Metern um Kalusurus herum mit Wasser bedeckt. Bevor Kalusurus ahnen konnte, was nun passieren würde, geschah es bereits. Ein lautes Zischen setzte ein und das Wasser begann zu verdampfen und hüllte den Schüler in eine dichte, große Dampfwolke ein.

Währenddessen tauschten die Meister immer noch Schläge aus. Stagar hatte einen Rhythmus in Kalus’ Angriffen erkannt und konnte sich nun leichter verteidigen sowie selbst Angriffe durchführen, sodass auch Kalus einige Treffer einstecken musste. „Du bist besser, als der Anfang es vermuten ließ“, sagte Kalus, während er seine Schwerter auf den Gegner zurasen ließ. Dies waren keine Worte des Erstaunens, sondern nur eine nüchterne Erkenntnis. „Und dein Schüler ist ein Wassermagier, der auch den Dampf beherrscht … So was sieht man selten.“

Wieder war dies kalt und gefühllos ausgesprochen worden und Stagar wurde wütend, denn Kalus klang so, als würde er mit einem gewöhnlichen Straßenräuber reden und nicht mit einem ebenbürtigen Meister. Vor allem, da er „du“ statt „Sie“ benutzte. Deshalb beschloss der Angehörige des Hauses der Flammen, seinem Gegner heftig zuzusetzen.

Er wich einem weiteren Angriff Kalus’ mit einem Hüpfer nach hinten aus und sprang sofort wieder nach vorn, wobei er seine Hellebarde über seinem Kopf herumwirbeln ließ, bevor sie von oben auf seinen Gegner herabsauste. Kalus wollte diesen Angriff wie die anderen zuvor abblocken. Doch als sich im letzten Moment die Klinge der Hellebarde entzündete, bemerkte das der Angehörige des Hauses der Seelen mit unnatürlicher Schnelligkeit und wich mit ebensolcher der brennenden Klinge nach hinten aus. Die Hellebardenklinge schlug zischend in den Boden ein. Stagar versuchte nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, seine Waffe wieder aus dem Boden herauszuziehen, sondern drückte sie sogar noch tiefer hinein. Die Klinge und ein Teil der Stange verschwanden in einer kleinen, kreisförmigen und aus geschmolzenem Gestein bestehenden Pfütze. Kalus witterte eine Falle, weshalb er nicht angriff, sondern stattdessen abwartete, was passieren würde.

Vom Lavakreis gingen plötzlich drei Linien aus, die sich durch den Boden fraßen. Die Linien erreichten eine Länge von mehreren Metern, bis sie stoppten und sich an ihren Enden neue Kreise bildeten. Diese waren größer als der Ursprungskreis und sie blieben nicht lange Kreise. Das geschmolzene Gestein türmte sich übereinander und bildete so nach und nach drei Gestalten, eine für jeden Kreis. Kalus erkannte jetzt, was da entstand: Es waren drei Lavagolems, die die Gestalt von Wölfen hatten.

 

„Darf ich vorstellen: die Lavawölfe“, präsentierte Stagar stolz seine Golems. Er ließ Kalus keine Zeit zum Antworten, sondern hetzte ihm mit einem „Zerfetzt ihn!“ seine Geschöpfe auf den Hals.

Der Schüler Kalusurus befand sich immer noch in einer verzwickten Lage. Denn wie er feststellen musste, war sein Feind die Dampfwolke. Der Schüler Nando hatte seine feste Gestalt abgelegt und umgab nun als Dampf Kalusurus, ohne dass dieser ihn irgendwie angreifen konnte. Nando hingegen konnte sich jederzeit kurzzeitig zusammenziehen und als Dampffaust Kalusurus gefahrlos attackieren. Kalusurus musste viele Schläge in den Rücken und auf seine Gliedmaßen ertragen, ohne dass er eine Chance hatte, sie abzuwehren. Der Schüler spürte, wie die Schmerzen seinen Körper langsam lähmten. Er musste etwas gegen seinen geisterhaften Gegner unternehmen oder er würde in diesem Kampf unterliegen.

Das galt auch für seinen Meister Kalus, der sich der Angriffe von Stagar und seinen Golems erwehrte. Er musste feststellen, dass die Golems im Gegensatz zu Stagars Rüstung hart genug waren, um seine Schwertklingen abprallen zu lassen. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu verteidigen. Auch er erkannte, dass er etwas tun musste, sonst wäre der Kampf schon bald verloren.

Deshalb entschlossen sich Meister und Schüler, die Kraft der Seelen zu entfesseln. Kalusurus schloss die Augen und blieb ruhig stehen, trotz der ständigen Gefahr durch den Wassermagier. Nando verwirrte dies kurzzeitig, dann aber beschloss er, den günstigen Moment auszunutzen. Er zog eine große Menge an Dampf zusammen, um einen stärkeren Angriff durchzuführen.

„Servus! Greif den Feind an!“, schrie Kalusurus auf einmal.

Nando stutzte, denn wer oder wo war „Servus“? Dann erstarrte er. Er spürte, wie sich etwas Körperloses von Kalusurus löste. Und dieses Etwas flog in die Wolke und setzte eine Nando unbekannte Energie frei. Der Schüler schrie auf, als sich diese Energie in Form von Blitzen in der Wolke austobte. Er litt wahnsinnige Schmerzen und es knallte laut, als sein Körper schlagartig in seine feste Form gezwungen wurde. Nando wurde durch die Luft geschleudert und schlitterte beim Aufprall über den Boden, wobei seine Robe zerriss und er sich mehrere Schürfwunden zuzog. Er versuchte aufzustehen, doch seine Beine versagten, weshalb er nur knien konnte. Kalusurus kam langsam auf ihn zu, während neben ihm die unheimliche, körperlose Gestalt schwebte. Die Gestalt sah genauso aus wie Kalusurus, nur dass sie grünlich schimmerte und zudem durchsichtig war. Nando bekam es mit der Angst zu tun, vor allem, als ihm Kalusurus’ Gesichtsausdruck auffiel. Der kalte, emotionslose Blick war verschwunden. Stattdessen prangte auf seinem Gesicht ein siegessicheres Grinsen. Dies war das Letzte, was Nando sah, bevor der Stab des Kalusurus ihn ins Reich der Träume schickte.

Während nun der Kampf der Schüler zu Ende ging, war Kalus dabei, seinen Kampf zu beenden. Als Stagar und seine drei Golems gleichzeitig aus vier Richtungen angriffen, sprang Kalus in die Luft, um diesem Angriff zu entgehen. „Was beim Dämonenlord?“, ächzte Stagar, als er und auch das überraschte Publikum sahen, wie hoch Kalus mit der Eisenrüstung sprang. Über zehn Meter. Und das war noch nicht alles.

Als das Mitglied des Hauses der Seelen den Scheitelpunkt seines Sprunges erreicht hatte, rief er laut aus: „Servus, gib mir deine Kraft!“ Und wer auch immer „Servus“ war, er gehorchte. Kalus’ Körper erstrahlte in einem grünlichen Licht, das sich zu einer Aura, die den Körper umgab, formte. Kalus steckte blitzschnell seine vier Schwerter ein und holte mit seinen rechten Fäusten aus, während er zurück zum Boden fiel. Kurz vor dem Aufprall schlug er zu. Die Kraft dieses Doppelschlages war gewaltig. Ein gigantischer Kraftstoß wurde von den Fäusten entfesselt und rammte sich in den Boden, sodass dieser eingedrückt wurde. Ein Krater mit einem Durchmesser von zehn Metern entstand so schnell, dass Stagar und seine Golems bereits das Gleichgewicht verloren hatten, bevor ihr gemeinsames Bewusstsein dies registrieren konnte. „Was zum …!“, schrie Stagar, während er in den Krater purzelte, genau vor Kalus’ Füße. Stagar blickte hoch und sah in Kalus’ Gesicht ein siegessicheres Lächeln. Weg waren der unbeteiligte Blick und der emotionslose Gesichtsausdruck.

„Das Blatt hat sich gewendet“, sagte Kalus und lächelte noch breiter.

Stagar lächelte fies zurück: „Das denke ich nicht.“

Kalus war unachtsam gewesen, sodass einer der Golems hinter ihn gelangen konnte und ihm auf den Rücken springen wollte, um seine brennenden Krallen in dessen Nacken zu versenken. Zumindest schien das so. Der Golem sprang und … wurde zerschmettert. Blitzschnell hatte sich Kalus auf der Stelle gedreht, dabei mit seinen zwei rechten Fäusten ausgeholt und diese dann in das steinerne Gesicht des Golems gerammt.

Diese Bewegung war so schnell, dass das Auge nicht folgen konnte. Würde die Aura, die Kalus umgab, nicht Lichtspuren in der Luft hinterlassen, die ein paar Sekunden lang sichtbar blieben, wäre Stagar nicht klar gewesen, was passiert war. So aber erkannte er, dass sein Gegner enorm schnell geworden war. ‚Was zur Finsternis ist das nur für eine Aura?‘, fragte Stagar sich, während er wortlos den beiden verbliebenen Golems Anweisungen gab.

Doch daraus wurde nichts, denn Kalus versenkte seinen linken Eisenstiefel in Stagars Rücken. Dies passierte zwar nicht mit Wucht, eigentlich sogar geradezu sanft, doch schrie Stagar trotzdem auf, als die fremdartige, grüne Energie in seinen Körper strömte und sein magisches Gleichgewicht störte. Stagars Magie wurde instabil, sodass die Golems ihre zusammenhaltende Kraft verloren und auseinanderflossen.

Jetzt war der Kampf entschieden und Stagar stand auf, nachdem Kalus den Stiefel von seinem Rücken genommen hatte, um sich sofort vor Kalus zu verneigen: „Meister Kalus, ich verbeuge mich vor Eurer Macht und vor der des Hauses der Seelen.“

Kalus erwies ihm ebenfalls Respekt: „Ihr habt gut gekämpft, Meister Stagar. Ihr habt Eurem Haus Ehre gemacht.“

Dann wandte er sich ab, ging zu seinem Schüler und Sohn Kalusurus, lobte ihn für den Sieg über den Schüler Nando und verließ anschließend mit ihm den Kampfplatz, während sie vom Publikum mit Jubel überschüttete wurden.

„Beim Dämonenlord, das waren heute einmal starke Gegner, Vater“, meinte Kalusurus, während sie die Arena durch ein Tor verließen. „Kommt nicht oft vor, dass wir die Kraft unserer Servi beanspruchen müssen.“

Sein Vater drehte während des Gehens den Kopf und nickte ihm zustimmend zu: „Das habe ich von einem Meister des Hauses der Flammen aber auch nicht anders erwartet. Und auch der Lehrling vom Haus der Wellen hat sich bewiesen, oder Kalusurus?“ Kalusurus nickte ebenfalls und Kalus sagte daraufhin: „Du warst natürlich auch hervorragend. Darum gehen wir nun zu Keltors Gasthaus, um unseren Sieg zu feiern.“

Kalusurus jubelte und während Vater und Sohn fröhlich fortgingen, ließen sie eine ratlose, felusianische Wache am Tor zurück. Der Raptor, der auf der anderen Seite des Tores stand, lachte beim verwirrten Gesichtsausruck seines Kameraden. „Wie ich sehe, kennst du dich nicht mit der Besonderheit des Hauses der Seelen aus“, vermutete er.

„Eigentlich verwundert mich eher das Verhalten der beiden. Vorhin kamen sie, ohne irgendwas zu sagen und ohne Regung im Gesicht, eiskalt hier hinein. Sie wirkten richtig unheimlich“, erklärte der Felusianer.