Jane Austen: Emma (Neu bearbeitete deutsche Ausgabe)

Text
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Harriet gab nach, obwohl sie die verschiedenen Teile im Geist nicht so voneinander trennen konnte, um sich sicher zu fühlen, ihre Freundin werde nicht doch eine Liebeserklärung niederschreiben. Es erschien ihr als eine zu kostbare Gabe, um sie dem Auge der Öffentlichkeit zu präsentieren.

»Ich werde das Buch nie aus der Hand geben«, sagte sie.

»Sehr gut«, erwiderte Emma, »ein ganz natürliches Empfinden, das mir um so mehr Freude bereiten wird, je länger es anhält. Aber hier kommt gerade mein Vater; du wirst doch hoffentlich nichts dagegen haben, wenn ich ihm die Scharade vorlese. Sie wird ihm viel Vergnügen bereiten. Er liebt alles derartige, besonders wenn es sich um ein Kompliment für Frauen handelt. Er hegt gegen unser Geschlecht die zartesten Gefühle der Galanterie. Du musst mir gestatten, sie ihm vorzulesen.«

Harriet sah sehr ernst drein.

»Meine liebe Harriet, du darfst dir wegen dieser Scharade nicht allzu viele Gedanken machen. Du würdest unnötig deine Gefühle zu erkennen geben, wenn du zu empfindlich und rasch reagierst, und den Anschein erwecken, dass du ihr mehr Bedeutung als nötig beimisst. Lass dich doch von solch einer kleinen bewundernden Huldigung nicht dermaßen überwältigen. Er hätte mir das Blatt wohl kaum dagelassen, wenn es ihm auf Geheimhaltung angekommen wäre; aber eigentlich schob er es mehr mir als dir zu. Wir wollen das ganze nicht zu ernst nehmen. Er ist so weit ermutigt worden, um von sich aus weiterzumachen, ohne dass wir uns wegen dieser Scharade die Seele aus dem Leib seufzen.«

»Oh nein, ich möchte mich deswegen nicht lächerlich machen. Tun Sie, was Sie wollen.«

Mr. Woodhouse betrat das Zimmer und kam bald wieder zur Sache, indem er wiederholt fragte: »Nun, meine Lieben, macht euer Buch Fortschritte? Habt ihr etwas Neues?«

»Ja, Papa, wir haben etwas ganz Neues da, das wir Ihnen vorlesen wollen. Wir fanden heute früh auf dem Tisch ein Blatt Papier (vermutlich hat eine Fee es fallen lassen) – das eine sehr schöne Scharade enthält, die wir soeben eingetragen haben.«

Sie las sie ihm genau so vor, wie er es gern hatte, langsam und deutlich, mit zwei‐ bis dreimaligen Wiederholungen während des Lesens und Erläuterungen jedes einzelnen Teils, er war äußerst erfreut und besonders von dem Schlusskompliment beeindruckt, wie sie es vorausgesehen hatte.

»Ja, in der Tat, vollkommen angemessen und richtig ausgedrückt. Sehr wahr, ›Frau, schöne Frau‹. Die Scharade ist so hübsch, meine Liebe, dass ich mir ohne weiteres denken kann, welche Fee sie gebracht hat. Niemand könnte so etwas Hübsches geschrieben haben als du, Emma.«

Emma nickte bloß und lächelte. Nach kurzer Überlegung und einem sehr zarten Seufzer fügte er hinzu:

»Ja, es ist nicht schwer zu erraten, von wem du dieses Talent hast. Deine liebe Mutter war in solchen Dingen auch sehr geschickt. Wenn ich doch ihr Gedächtnis hätte. Aber ich kann mich an nichts mehr erinnern, nicht einmal an dieses besondere Rätsel, das ich unlängst erwähnte; ich kann mich nur noch der ersten Strophe erinnern; aber eigentlich sind es mehrere.

Kitty, die schöne, aber kalte Maid

Entzündet’ eine Flamme, die ich noch beklage;

Der blinde Knab’, den ich zu Hilfe rief,

Und dessen Nahen mich erschreckte;

Da unheilvoll er erst für meine Werbung war.

[Kitty, a fair but frozen maid

Kindled a flame I yet deplore;

The hoodwink’d boy I called to aid,

Though of his near approach afraid,

So fatal to my suit before.]

Mehr habe ich leider nicht mehr im Gedächtnis; aber es ist im ganzen sehr geschickt gemacht. Ich glaube, meine Liebe, du hättest gesagt, dass du es besitzt.«

»Ja, Papa, es steht auf der zweiten Seite. Wir schrieben es aus den Eleganten Auszügen ab. Es stammt von Garrick, wissen Sie.«

»Ja, ganz richtig – ich wollte nur, ich hätte noch mehr davon im Gedächtnis.

Kitty, die schöne, aber kalte Maid ...

Ich muss bei diesem Namen immer an die arme Isabella denken; denn sie wäre beinah nach ihrer Großmutter Catherine getauft worden. Ich hoffe, wir werden sie nächste Woche hier haben. Hast du schon darüber nachgedacht, meine Liebe, wo sie untergebracht werden soll und was für ein Zimmer für die Kinder geeignet ist?«

»Oh ja – sie wird natürlich wieder ihr eigenes Zimmer bekommen, das sie immer hat; und dann haben wir für die Kinder ja das Kinderzimmer – genau wie sonst, wissen Sie. Warum sollte man daran etwas ändern?«

»Ich weiß nicht, meine Liebe – aber es ist so lange her, dass sie da war – seit letzten Ostern nicht mehr und damals bloß für ein paar Tage. Es ist sehr ungünstig, dass Mr. John Knightley Anwalt ist. Arme Isabella! – Sie ist von uns allen so betrüblich weit entfernt – und sie wird es bedauern, wenn sie kommt und Miss Taylor nicht mehr vorfindet.«

»Sie wird zum mindesten nicht überrascht sein, Papa.«

»Ich weiß nicht, meine Liebe. Ich war bestimmt außerordentlich überrascht, als ich das erste Mal hörte, sie werde bald heiraten.«

»Wir müssen Mr. und Mrs. Weston zum Essen einladen, solange Isabella hier ist.«

»Ja, meine Liebe, wenn dafür genug Zeit ist. Aber (in sehr niedergeschlagenem Ton) – sie kommt ja nur für eine Woche. Da wird für nichts genug Zeit bleiben.«

»Es ist misslich, dass sie nicht etwas länger bleiben können, aber es geht nicht anders. Mr. John Knightley muss am 28. Dezember wieder in der Stadt sein; und wir sollten uns darüber freuen, Papa, dass sie die ganze Zeit, die sie auf dem Land verbringen,

uns widmen können und nicht zwei oder drei Tage für die Abbey abzweigen. Mr. Knightley hat uns versprochen, diese Weihnachtstage auf seinen Anspruch zu verzichten, obwohl Ihnen bekannt sein dürfte, dass sie schon länger nicht mehr bei ihm waren als bei uns.«

»Es wäre wirklich unangenehm, meine Liebe, wenn die arme Isabella sich anderswo als in Hartfield aufhalten müsste.«

Mr. Woodhouse erkannte die Ansprüche, die Mr. Knightley an seinen Bruder, oder die andere Menschen an Isabella hatten, nie an, nur seine eigenen. Er saß ein Weilchen nachdenklich da und sagte dann:

»Aber ich sehe wirklich nicht ein, warum die arme Isabella gezwungen sein sollte, so bald wieder in die Stadt zurückzukehren, auch wenn er es muss. Ich denke, Emma, ich werde sie zu überreden versuchen, mit den Kindern noch etwas länger bei uns zu bleiben.«

»Ach, Papa, das ist es ja, was Sie noch nie erreichen konnten, und ich glaube nicht, dass es Ihnen je gelingen wird. Isabella erträgt es nicht, ohne ihren Mann zurückzubleiben.«

Das war zu richtig, um zu widersprechen. So wenig es ihm gefiel, Mr. Woodhouse konnte nur ergeben seufzen; und da Emma bemerkte, wie seine Stimmung unter dem Gedanken litt, wie sehr seine älteste Tochter an ihrem Mann hing, wechselte sie sofort auf ein anderes Thema über, um sie wieder zu heben.

»Harriet muss uns so oft als möglich Gesellschaft leisten, während mein Schwager und meine Schwester hier sind. Die Kinder werden ihr bestimmt Freude machen. Wir sind doch auf die Kinder sehr stolz, nicht wahr, Papa? Ich bin gespannt, welchen sie hübscher finden wird, Henry oder John?«

»Ja, ich bin auch neugierig, welchen sie wählen wird. Arme Lieblinge, sie werden so froh sein, hierher kommen zu dürfen. Sie sind immer sehr gern in Hartfield, Harriet.«

»Das kann ich mir vorstellen, Sir. Ich kenne bestimmt niemand, der es nicht wäre.«

»Henry ist ein netter Junge, während John ganz die Mama ist. Henry ist der Älteste, er wurde nach mir genannt, nicht nach seinem Vater. Ich glaube, einige Leute waren darüber erstaunt, dass der Erstgeborene nicht nach seinem Vater genannt wurde, aber Isabella wollte ihn nach mir Henry nennen, was ich von ihr sehr nett fand. Er ist wirklich ein sehr kluger Junge. Sie sind alle außerordentlich intelligent und haben so viele nette Angewohnheiten. Sie kommen, stellen sich neben meinen Stuhl und sagen: ›Großpapa, könntest du mir ein Stück Bindfaden geben?‹ Henry bat mich einmal um ein Messer, aber ich sagte ihm, Messer seien nur für Großpapas da. Ich glaube aber, ihr Vater ist mit ihnen oft ein bisschen zu grob.«

»Er erscheint Ihnen nur deshalb grob«, sagte Emma, »weil Sie selbst so sanft sind, aber wenn Sie ihn mit anderen Vätern vergleichen könnten, würden Sie das nicht finden. Er möchte, dass seine Buben lebhaft und abgehärtet sind; und er kann, wenn sie etwas ausgefressen haben, gelegentlich mal mit ihnen energisch werden; aber er ist ein zärtlicher Vater, das ist er bestimmt. Die Kinder mögen ihn alle sehr gern.«

»Und dann kommt ihr Onkel und schleudert sie zur Decke empor, dass einem angst und bange werden kann.«

»Aber sie haben es gern, Papa; es gibt nichts, was ihnen mehr Spass macht. Es macht ihnen soviel Vergnügen, dass ihr Onkel Regeln aufstellen musste, nach denen sie an die Reihe kommen, hätte er es nicht getan, dann würde der, welcher den Anfang macht, dem andern nie Platz machen.«

»Nun, ich kann es nicht verstehen.«

»So geht es uns allen, Papa. Die eine Hälfte der Menschheit versteht die Vergnügungen der anderen nicht.«

Am Spätvormittag, als die Mädchen sich gerade wegen der Vorbereitungen für das gewohnte Vier‐Uhr‐Dinner trennen wollten, tauchte der Held dieser unnachahmlichen Scharade wieder auf.

Harriet wandte sich ab; aber Emma empfing ihn mit dem gewohnten Lächeln, und ihr rascher Blick entdeckte in dem seinen, dass er sich bewusst war, einen Vorstoß gewagt – einen Würfel geworfen zu haben; und sie bildete sich ein, er wolle nur erfahren, wie der Würfel gefallen sei. Der Grund, den er vorschob, war indessen die Frage, ob Mr. Woodhouse seine Abendgesellschaft ohne ihn zusammenstellen könne, oder ob er in Hartfield sonst irgendwie gebraucht würde. In diesem Fall müsste eben alles andere zurückstehen, aber andererseits hatte sein Freund Cole schon oft davon gesprochen, er wolle mit ihm speisen – hatte es als derart wichtig hingestellt, dass er ihm bedingt versprochen hatte, zu kommen.

 

Emma dankte ihm, wünschte aber nicht, dass er seinen Freund ihretwegen enttäusche; ihrem Vater war auf alle Fälle sein Robber sicher. Er drängte erneut – sie lehnte wiederum ab; und er wollte bereits seine Abschiedsverbeugung machen, als sie das Blatt vom Tisch nahm und ihm zurückgab.

»Oh, hier ist die Scharade, die Sie uns freundlicherweise dagelassen haben; ich danke Ihnen dafür, dass wir sie anschauen durften. Sie gefiel uns so gut, dass ich mir erlaubt habe, sie in Miss Smiths Sammlung einzutragen. Ich hoffe, dass Ihr Freund nichts dagegen hat. Ich habe natürlich nur die ersten acht Zeilen übertragen.«

Mr. Elton wusste offenbar nicht recht, was er dazu sagen sollte. Er sah ziemlich zweifelnd – ziemlich verwirrt drein; sagte etwas von »Ehre«; sah erneut Emma und Harriet an und nahm dann das Buch auf, das offen auf dem Tisch lag, und untersuchte es aufmerksam. Um einen peinlichen Moment zu überbrücken, sagte Emma lächelnd:

»Sie müssen mich bei Ihrem Freund entschuldigen, aber eine derart gute Scharade sollte nicht nur einem oder zweien zugänglich sein. Er kann der Zustimmung jeder Frau sicher sein, solange er mit solcher Artigkeit schreibt.«

»Ich zögere nicht, zu sagen«, erwiderte Mr. Elton, obwohl er es während des Sprechens ziemlich oft tat, »ich zögere nicht, zu sagen – wenn mein Freund genauso fühlt wie ich, dann habe ich nicht den geringsten Zweifel, dass er, könnte er seinen kleinen Erguss so geehrt sehen, wie ich es tue (schaut das Buch noch einmal an und legt es auf den Tisch zurück), er es als den stolzesten Augenblick seines Lebens betrachten würde.«

Nach dieser Ansprache war er so schnell als möglich verschwunden. Emma fiel erst jetzt auf, dass bei all seinen guten und angenehmen Eigenschaften sich in seinen Reden so etwas wie Zurschaustellung äußerte, die sie zum Lachen reizte. Sie lief schnell hinaus, um draußen der Neigung zum Lachen nachzugeben, und überließ Harriet das Zarte und Erhabene an dem Vergnügen.

10. Kapitel

Obwohl schon Mitte Dezember, hatte es das Wetter mit den jungen Damen, die spazieren gehen wollten, bis jetzt immer noch gut gemeint. Emma wollte am nächsten Tag einer armen, kranken Familie, die etwas außerhalb von Highbury wohnte, einen Wohltätigkeitsbesuch abstatten.

Der Weg zu der einsam gelegenen Hütte führte die Vicarage Lane entlang, eine Straße, die im rechten Winkel von der breiten, jedoch unregelmäßig angelegten Hauptstraße des Ortes abzweigte; und an der, wie schon der Name sagt, das glückliche Heim Mr. Eltons lag. Man kam zunächst an einigen einfacheren Häusern vorbei und dann erhob sich in einer Entfernung von ungefähr einer Viertelmeile das Vikariat; ein altes und nicht gerade sehr schönes Haus, das ganz nah am Straßenrand lag. Seine Lage war zwar nicht besonders günstig, es war aber von seinem gegenwärtigen Besitzer so gut es ging verschönert worden; und die beiden Freundinnen konnten gewissermaßen nichts anderes tun, als in langsamem Tempo und mit beobachtenden Blicken daran vorbeizugehen. Emma bemerkte dazu: »Da ist es. Hier wirst du mit deinem Rätselbuch eines Tages einziehen.«

Harriet bemerkte ihrerseits:

»Oh, was für ein reizendes Haus! Wie wunderschön! Da sind auch die gelben Vorhänge, die Miss Nash so sehr bewundert.«

»Jetzt gehe ich diesen Weg noch nicht sehr häufig«, sagte Emma beim Weitergehen, »aber dann werde ich Anlass dazu haben und auf diese Weise nach und nach all die Hecken, Tore, Teiche und gestutzten Bäume dieses Teils von Highbury kennenlernen.«

Sie erfuhr, dass Harriet noch nie im Vikariat gewesen war; und ihre Neugierde, es von innen zu sehen, war derart verzehrend, dass Emma in Anbetracht des Äußeren und der Wahrscheinlichkeiten nur einen Liebesbeweis darin erblicken konnte, wenn Mr. Elton rasche Auffassungsgabe bei ihr zu bemerken glaubte.

»Wenn ich es nur einrichten könnte, hineinzugehen«, sagte sie, »aber mir fällt kein passender Vorwand ein – kein Dienstbote, nach dem ich mich bei seiner Haushälterin erkundigen könnte, keine Botschaft von meinem Vater.«

Sie dachte angestrengt nach, aber ihr fiel nichts Geeignetes ein. Nachdem beide eine Zeitlang geschwiegen hatten, fing Harriet wieder an:

»Ich frage mich wirklich, Miss Woodhouse, warum Sie noch nicht verheiratet sind oder bald heiraten wollen – wo Sie doch so reizend sind.«

Emma erwiderte lachend:

»Dass ich reizend bin, Harriet, reicht nicht aus, um mich zum Heiraten zu veranlassen; ich müsste dazu auch andere Leute reizend finden, oder mindestens einen anderen Menschen. Ich werde nicht nur gegenwärtig nicht heiraten, sondern ich habe überhaupt nicht die Absicht, es zu tun!«

»Ach, das sagen Sie bloß so, aber ich kann es nicht glauben.«

»Es müsste schon sein, dass ich jemandem begegne, der allen, die ich bisher kennengelernt habe, derart überlegen ist, um in Versuchung zu kommen. Mr. Elton, weißt du (ihr fällt plötzlich was ein), kommt für mich ja nicht in Frage und ich möchte auch gar keinen geeigneten Mann kennenlernen. Ich will lieber nicht in Versuchung geführt werden. Ich könnte mich kaum verbessern. Würde ich doch heiraten, müsste ich es wahrscheinlich später bereuen.«

»Du liebe Zeit, es ist so ungewöhnlich, eine Frau so sprechen zu hören.«

»Es gibt für mich keinen der üblichen Gründe, die Frauen zum Heiraten veranlassen. Es sei denn, ich würde mich wirklich verlieben, dann wäre es etwas anderes; aber ich war es noch nie, entweder liegt es mir nicht, oder es entspricht nicht meiner Natur, und ich werde es wahrscheinlich nie sein. Es wäre bestimmt unklug, ohne Liebe meine Lebenssituation verändern zu wollen. Ich brauche kein Vermögen, auch keine Beschäftigung und kein Ansehen, ich glaube, nur wenige verheiratete Frauen sind auch nur annähernd so Herrin im Haus ihres Mannes wie ich es in Hartfield bin; und ich könnte niemals erwarten, so wahrhaft geliebt zu werden, unentbehrlich zu sein und in den Augen eines Mannes immer so die erste und immer im Recht zu sein, wie ich es gegenwärtig bei meinem Vater bin.«

»Um dann schließlich doch eine alte Jungfer wie Miss Bates zu werden!«

»Ein schrecklicheres Bild konntest du mir gar nicht vorhalten, Harriet; und wenn ich mir vorstelle, ich würde je wie Miss Bates werden, so albern, so selbstzufrieden, ewig lächelnd und langweilig daherredend, so unbedeutend und wenig anspruchsvoll, immer geneigt, allen alles zu erzählen, dann würde ich lieber morgen schon heiraten. Aber unter uns gesagt, außer dem Unverheiratetsein wird keine Ähnlichkeit bestehen.«

»Sie werden aber trotzdem eine alte Jungfer sein, und das ist so schrecklich!«

»Macht nichts, Harriet, da ich ja keine arme alte Jungfer sein werde; denn es ist die Armut, die das Ledigsein in den Augen der Öffentlichkeit verächtlich erscheinen lässt. Eine ledige Frau mit nur begrenztem Einkommen muss notgedrungen eine lächerliche, unangenehme alte Jungfer und eine Zielscheibe des Spotts für die Jugend abgeben; aber eine alleinstehende Frau mit Vermögen ist stets achtbar und kann genauso angenehm und vernünftig sein wie jede andere Frau. Diese feine Unterscheidung spricht nicht so sehr für die Voreingenommenheit und gegen den gesunden Menschenverstand der Leute, wie es zunächst den Anschein hat, denn ein sehr geringes Einkommen muss notwendigerweise den Geist einengen und die Stimmung verderben. Wenn Menschen kaum genug zum Leben haben und gezwungenermaßen in kleinen und bedrängten Verhältnissen existieren müssen, werden sie leicht engstirnig und böse. Auf Miss Bates trifft dies allerdings nicht zu; sie liegt mir nur deshalb nicht, weil sie zu gutartig und albern ist, aber im allgemeinen kann jedermann sie gut leiden, obwohl sie ledig und arm ist. Die Armut hat ihren Geist sicherlich nicht eingeengt. Ich glaube aber, hätte sie auch nur einen einzigen Schilling übrig, sie würde dann höchstwahrscheinlich sechs Pence davon verschenken, außerdem hat niemand Angst vor ihr, das ist ihr großer Charme.«

»Du liebe Zeit! Aber was wollen Sie dann anfangen? Mit was werden Sie sich beschäftigen, wenn Sie älter werden?«

»Soweit ich mich selbst beurteilen kann, habe ich einen aktiven, geschäftigen Geist, der mir viele Möglichkeiten bietet, und ich kann mir nicht vorstellen, warum ich mit vierzig oder fünfzig mehr Beschäftigung brauchen sollte als mit einundzwanzig. Die üblichen weiblichen Arbeiten, die das Auge, die Hand und den Geist beschäftigen, werden mir dann genau wie jetzt zur Verfügung stehen, ohne dass sich daran Wesentliches zu ändern braucht. Male ich weniger, dann werde ich mehr lesen, wenn ich die Musik aufgebe, werde ich mich statt dessen mit Teppichweben beschäftigen. Und was die Interessengebiete und Liebesobjekte angeht, deren Fehlen sich negativ auswirken könnte, wenn man nicht heiratet, muss man versuchen, diesem Übel zu entgehen. Ich werde mit den vielen Kindern meiner Schwester, deren ich mich so gern annehme, gut dran sein. Es werden sicher genug davon da sein, um mir die Anregung zu bieten, die man im vorgerückten Alter braucht. Für jede Hoffnung und Furcht werden genug da sein; und wenn auch meine Zuneigung keineswegs der eines Elternteils gleichkommt, eignet sie sich besser als Lebenshilfe als die wärmere und blindere Zuneigung der Eltern. Meine Neffen und Nichten: ich werde oft eine Nichte bei mir haben.«

»Kennen Sie eigentlich die Nichte von Miss Bates? Das heisst, ich weiß natürlich, dass Sie sie oft gesehen haben müssen – aber sind Sie näher mit ihr bekannt?«

»Oh ja, so oft sie nach Highbury kommt, werden wir förmlich zur Bekanntschaft gezwungen. Es ist mehr als genug, um einem die Nichte zu verleiden. Ich möchte um Himmelswillen die Leute nicht derart mit den Knightleys langweilen, wie sie das mit Jane Fairfax tut. Man kann den Namen Jane Fairfax schon gar nicht mehr hören. Jeder ihrer Briefe wird vierzig Mal durchgelesen; ihre Grüße an die Freunde machen immer wieder die Runde; und wenn sie ihrer Tante auch nur das Muster für einen Brustlatz schickt oder für ihre Großmutter ein Paar Strumpfbänder strickt, dann bekommt man das mindestens einen Monat lang zu hören. Ich wünsche Jane Fairfax alles Gute, aber sie langweilt mich zu Tode.«

Sie gingen jetzt auf das Häuschen zu, und alle müßigen Gesprächsthemen wurden überflüssig. Emma hatte sehr viel Mitgefühl, und den Nöten der Armen wurde durch ihre persönliche Freundlichkeit und Güte, durch ihren Rat und ihre Geduld sowie ihren Geldbeutel sofort Hilfe zuteil. Sie kannte ihre Gewohnheiten, nahm Rücksicht auf ihre Unwissenheit und die Versuchungen, denen sie unterlagen, sie hegte bei Menschen mit so wenig Erziehung bezüglich ausgeprägter Tugend keine romantischen Vorstellungen, ging auf ihre Kümmernisse mit bereitwilliger Sympathie ein und gewährte ihnen mit eben soviel Intelligenz wie Wohlwollen Beistand. Im vorliegenden Fall traf sie sowohl Krankheit als Armut an, und nachdem sie so lang geblieben war, wie sie Trost und Rat spenden konnte, verließ sie die Hütte so beeindruckt von dem Gesehenen, dass sie im Weggehen zu Harriet sagte:

»Diese Einblicke tun einem gut, Harriet. Wie nichtig alles andere daneben erscheint! Ich habe im Augenblick das Gefühl, als könnte ich den ganzen Tag an nichts als diese armen Kreaturen denken; dennoch vermag man nicht zu sagen, wie schnell alles dem Gedächtnis entschwunden sein wird.«

»Sehr wahr«, sagte Harriet. »Arme Geschöpfe, man muss immer daran denken.«

»Und ich bin wirklich der Überzeugung, dass sich der Eindruck nicht so bald verwischen wird«, sagte Emma, als sie durch die niedere Hecke gingen und die wackligen Stufen überschritten, die sich am Ende des schmalen, schlüpfrigen Pfades im Garten des Häuschens befanden und die sie wieder auf die Straße führten. »Ich glaube nicht, dass ich es so bald vergesse«, sagte sie, während sie noch einmal stehen blieb, um die äußere Armseligkeit des Heims zu betrachten und sich der noch größeren im Inneren zu entsinnen.

»Du liebe Zeit, nein«, sagte ihre Begleiterin.

Sie gingen weiter. Die Straße machte an dieser Stelle eine leichte Biegung, und als sie deren Ende erreicht hatten, tauchte Mr. Elton so plötzlich aus nächster Nähe auf, dass Emma gerade noch sagen konnte:

 

»Ach, Harriet, das ist eine unerwartete Prüfung für die Beständigkeit unserer Gedanken. Nun (lächelnd), man kann wohl behaupten, wenn Mitgefühl Anstrengung verursacht und den Leidenden Erleichterung bringt, dann hat man damit das Wichtigste erreicht. Wenn wir mit den Leidenden so sehr fühlen, um alles für sie zu tun, dann wäre alles andere nur leeres Mitleid, das uns nur Kummer macht.«

Harriet konnte gerade noch antworten: »Oh, du liebe Zeit, ja«, als der Gentleman auch schon auf sie zukam. Bei der Begegnung waren indessen die Nöte und Leiden der armen Familie das erste Gesprächsthema. Er war gerade zu dieser Familie unterwegs gewesen. Er würde den Besuch nun aufschieben; aber sie hatten eine sehr bedeutsame Unterhaltung darüber, was getan werden könnte oder sollte. Mr. Elton machte kehrt, um sie zu begleiten.

»Dass man sich bei einem derartigen Gang begegnen muss«, dachte Emma, »und sich bei einem geplanten Wohltätigkeitsunternehmen trifft, wird auf beiden Seiten der Liebe dienlich sein. Ich würde mich keineswegs wundern, wenn es die Erklärung zur Folge hätte. Bestimmt, wenn ich nicht anwesend wäre. Ich wünschte, ich wäre anderswo.«

Da sie sich von ihnen so weit als möglich entfernen wollte, bog sie kurz darauf in einen schmalen Fußpfad ein, der sich etwas erhöht neben der Straße hinzog und der die beiden auf der Hauptstraße zurückließ. Aber sie war noch keine zwei Minuten dort gegangen, als sie feststellen musste, dass Harriet in ihrem gewohnten Abhängigkeits‐ und Nachahmungstrieb zurückgehen und sie ihr in Bälde beide folgen würden. Das entsprach gar nicht ihrer Absicht, sie blieb augenblicklich unter dem Vorwand stehen, an der Verschnürung ihres Halbstiefels etwas richten zu müssen, sie bückte sich, um ihnen den Weg in den Fußpfad zu versperren und bat sie, doch bitte weiterzugehen, sie würde in Kürze nachkommen. Sie kamen ihrer Bitte nach, und als sie annahm, sie habe genügend Zeit damit verbracht, um ihren Stiefel zu richten, bot sich ihr die Möglichkeit für eine weitere Verzögerung, da ein kleines Mädchen aus der Hütte an ihr vorbeiging, das auftragsgemäß unterwegs war, um in einem Krug Fleischbrühe aus Hartfield zu holen. Es ergab sich ganz von selbst, neben dem Kind herzugehen, mit ihm zu reden und es auszufragen, oder es wäre selbstverständlich gewesen, hätte sie gerade dann ohne Absicht gehandelt; aber so konnten die anderen immer noch vor ihr hergehen, ohne auf sie warten zu müssen. Sie kam ihnen indessen unwillkürlich näher, da das Kind ein rasches Tempo hatte, während das der beiden ziemlich langsam war, und sie legte um so mehr Wert darauf, weil sie eine interessante Unterhaltung zu haben schienen. Mr. Elton sprach angeregt, Harriet hörte mit freundlicher Aufmerksamkeit zu; und Emma, die das Kind weitergeschickt hatte, dachte bereits darüber nach wie sie etwas zurückbleiben konnte, war gezwungen, sich den beiden anzuschließen, als diese sich umwandten. Mr. Elton sprach immer noch, sehr engagiert; Emma war allerdings etwas enttäuscht, als sie merkte, dass er seiner schönen Begleiterin lediglich einen Bericht seiner gestrigen Einladung bei seinem Freund Cole gab, und dass sie gerade rechtzeitig zum Stilton‐ Käse, zum Nord‐Wiltshire‐Käse, den roten Rüben und dem gesamten Dessert gekommen war.

»Natürlich hätte das bald zu etwas Besserem geführt«, war ihre tröstliche Überlegung, »für Liebende ist alles interessant und kann als Einleitung für das dienen, was das Herz bewegt. Hätte ich doch nur noch länger zurückbleiben können.«

Sie gingen langsam weiter, bis die Einfriedung des Vikariats in Sicht kam, als sie sich plötzlich entschloss, Harriet wenigstens das Betreten des Hauses zu ermöglichen, was sie dazu veranlasste, erneut an ihrem Stiefel etwas nicht in Ordnung zu finden und zurückzubleiben, um es wieder zu richten. Dann riss sie das Schuhband kurz ab, warf es schnell in einen Graben, bat die beiden, stehenzubleiben und sagte ihnen, dass es ihr unmöglich sei, alles so zu richten, um einigermaßen erträglich nach Hause gehen zu können.

»Ein Teil meines Schuhbandes ist verlorengegangen«, sagte sie, »und ich weiß nicht, wie ich es hinkriegen soll. Ich bin für euch beide eine reichlich unbequeme Begleiterin, aber ich hoffe, dass ich nicht oft so schlampig gekleidet bin. Mr. Elton, ich muss Sie um die Erlaubnis bitten, bei Ihrem Haus haltmachen zu dürfen, um mir von Ihrer Haushälterin ein Stück Band oder eine Schnur oder etwas ähnliches geben zu lassen, damit ich meinen Stiefel nicht verliere.«

Mr. Elton sah bei diesem Vorschlag ganz glücklich aus und seine Flinkheit und Aufmerksamkeit, mit der er sie in sein Haus geleitete und sich bemühte, alles im besten Licht erscheinen zu lassen, war nicht zu überbieten. Das Zimmer, in das sie geführt wurden, war das von ihm hauptsächlich benutzte, das zur Straßenfront lag, unmittelbar dahinter befand sich ein anderes, die Tür dazwischen stand offen, und Emma ging mit der Haushälterin hinein, die sich bemühte, ihr nach besten Kräften zu helfen. Sie musste die Tür halb offenlassen, wie vorher; aber sie hatte den heimlichen Wunsch, Mr. Elton möge sie schließen. Sie blieb indessen halb offen; aber Emma hoffte, während sie die Haushälterin ununterbrochen in eine Unterhaltung verwickelte, ihm die Möglichkeit zu geben, im anderen Zimmer sein eigenes Gesprächsthema zu wählen. Zehn Minuten lang hörte sie nur sich selbst reden. Sie konnte die Unterhaltung nicht noch länger ausdehnen. Sie musste Schluss machen und wieder auftauchen.

Die Liebenden standen an einem der Fenster beisammen. Es sah äußerst günstig aus, und einen Augenblick hatte Emma das stolze Gefühl, erfolgreich geplant zu haben. Aber es war noch nicht genug, er war nicht zur Sache gekommen. Er war sehr liebenswürdig und charmant gewesen; er hatte Harriet erzählt, dass er sie habe vorbeigehen sehen; und dass er ihnen absichtlich gefolgt sei; andere kleine Höflichkeiten und Andeutungen folgten, aber nichts Ernsthaftes.

»Vorsichtig, sehr vorsichtig«, dachte Emma, »er bewegt sich Zoll um Zoll vorwärts, bis er seiner Sache ganz sicher ist.«

Sie konnte sich indessen, obwohl sie mit ihrem Kunstgriff nicht alles erreicht hatte, immerhin schmeicheln, dass es für beide ein glücklicher Augenblick gewesen war, der sie bald zum großen Ereignis führen werde.