Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen

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Aus der Reihe: Language Development #37
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2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen – die kognitive Sicht

Der Vergleich von Form-Funktions-Relationen hat gezeigt, dass es typologisch bedingte Unterschiede, aber auch zentrale Gemeinsamkeiten zwischen dem Deutschen, Niederländischen und Russischen gibt. Diese zunächst deskriptive Betrachtung typologisch variierender Form-Funktions-Paare soll im nächsten Schritt vertieft werden, indem im Kontext der Kognitiven Grammatik diskutiert wird, warum es spezifische Realisierungsmöglichkeiten gibt und warum sich einzelne mappings über die typologischen Grenzen hinweg ähneln. Zu den Ähnlichkeiten gehören neben der Basisabfolge S>O auch Kasussynkretismen an spezifischen Stellen im Deutschen und Russischen.

Während die deskriptiv-funktionale Perspektive überhaupt formale Realisierungsmechanismen mit konkreten Funktionen verknüpft, geht die kognitive Perspektive einen Schritt weiter und sucht nach Erklärungen für sprachübergreifende Tendenzen. Entsprechend der Grundannahme der Kognitiven Grammatik wird davon ausgegangen, dass semantische Konzepte formalsprachlich abgebildet werden. Das Zusammenspiel zwischen der semantischen Konzeptebene und der formalsprachlichen Realisierung ist wiederum mental repräsentiert. Givón zufolge sind die kognitive Wissensrepräsentation zusammen mit der Kommunikation (also der sprachlichen Realisierung) dieser Wissensrepräsentation die „two mega-functions“ von Sprache (1998: 41). Das Ziel des kognitiv-funktionalen Ansatzes ist es, die semiologische Funktion von Sprache mit Konzeptualisierungsmechanismen zu verknüpfen: „Insofar as possible, linguistic structure is analyzed in terms of more basic systems and abilities (e.g., perception, attention, categorization) from which it cannot be distinguished“ (Langacker 1998: 1). Sprachliche Musterbildung ist, so die Folgerung, stets Resultat kognitiver Prozesse.

Eine Grundidee der Kognitiven Linguistik ist die Annahme, dass kognitiv verankerte semantische und formale Prototypen existieren. Dabei wird angenommen, dass Sprecher Lexeme oder grammatische Strukturen nicht einzeln speichern, sondern diese in Hinblick auf spezifische Merkmale analysieren, bündeln und um einen Prototyp herum anordnen. Die Auseinandersetzung mit der kognitiven Repräsentation von Prototypen geht auf umfangreiche empirische Studien von Rosch (1973, 1977, vgl. auch Kleiber 1993 sowie besonders Taylor 1995 und Lakoff 1999) zurück. Rosch konnte mittels einer Reihe von Experimenten zeigen, dass Sprecher bestimmte Objekte (zum Beispiel Vögel, Möbel) in Hinblick auf ihre Eignung als Vertreter einer Kategorie hierarchisieren. Die Probanden ihrer Studien waren sich in der Bewertung der Objekte sehr einig. So wurde von der überwiegenden Mehrheit ein Rotkehlchen als der beste Vertreter der Kategorie Vogel ausgewählt, der Strauß und der Pinguin hingegen als weniger gute Repräsentanten eingestuft. Rosch folgert daraus, dass Sprecher erfahrungsbasiert abstrakte Kategorien ausbilden, die durch einen prototypischen Vertreter dieser Kategorie repräsentiert sind. Dieser zeichnet sich durch eine Reihe spezifischer Eigenschaften aus, die unterschiedlich stark gewichtet werden können (vgl. Lakoff 1999, Geeraerts 1989). Ein Prototyp wird dabei als der beste Vertreter einer Kategorie (vgl. zum Beispiel Lewandowska-Tomaszczyk 2007) definiert. Betrachtet man diese generellen Überlegungen aus einer funktionalen Perspektive, fndet sich erneut das mapping-Prinzip wieder. Ein spezifisches Konzept wird mit einer konkreten Form verknüpft. Im Fall von Roschs Experimenten verfügen Sprecher über eine bestimmte Vorstellung eines Vogels. Diese Vorstellung ist am besten durch ein Rotkehlchen repräsentiert.

Die Existenz abstrakter und kognitiv repräsentierter Prototypen führt Rosch zufolge zu Prototypeneffekten. So werden zum Beispiel prototypische Kategorienmitglieder bei Kategorisierungsaufgaben schneller verarbeitet und früher erworben als periphere Mitglieder (vgl. zu letzerem Aspekt Ibbotson/Tomasello 2009). Besonders in Hinblick auf Verarbeitungsprinzipien werden Prototypikalität und Informationsverarbeitung (processing) sowie Lernprozesse als interdependente Prozesse betrachtet (vgl. Rosch 1978). Informationsverarbeitung wird dabei aus kognitiver Sicht als der Abgleich eingehender Informationen jeglicher Art (visuell, auditiv etc.) mit existenten abstrakten Mustern verstanden. Langacker (1987) bezeichnet diesen Prozess als Überprüfung von category membership. Roschs Entdeckungen erfassen deshalb eine der zentralen kognitiven Fertigkeiten überhaupt: kognitive Kategorisierungsprozesse. Auf der Basis dieser Erkenntnis folgert Lakoff (1987: 5): „There is nothing more basic than categorization to our thought, perception, action, and speech“. Wissenserwerb fußt diesem Ansatz zufolge auf der Ausbildung von Kategorien, die wiederum dem Prinzip der Prototypenausbildung folgen. Dass der Mensch überhaupt fähig zur Kategorienbildung ist, baut Langacker (2000a) zufolge auf der Basisfertigkeit des Vergleichens auf.

Im Rahmen des kognitiv-funktionalen Ansatzes wird die Emergenz und Nutzung von Prototypen als grundlegende kognitive Fähigkeit verstanden, die wiederum eine zentrale Rolle in der Sprachentwicklung und -verarbeitung spielt. Sprecher entwickeln nicht nur Wissen zu prototypischen Vögeln oder Wortbedeutungen, sondern auch zu prototypischen Strukturen als Repräsentanten semantischer Konzepte.1 Dies wird zum Beispiel anhand der deutschen Pluralbildung deutlich. Köpcke (1993, 1994) nimmt an, dass das Deutsche über prototypische, also besonders häufige sowie valide Pluralschemata verfügt. Zweisilbige, auf -(e)n auslautende Lexeme (zum Beispiel Katze-n) entsprechen solch einem idealen Pluralrepräsentanten. Weist ein Lexem diese Eigenschaften im Singular auf, führt dies dazu, dass keine Formveränderung mehr im Plural stattfindet. Das Becken wird im Plural zu die Becken-ø, auf eine zusätzliche morphologische Pluralform wird verzichtet. Köpcke zeigt weiterhin, dass sich die zahlreichen Pluralformen im Deutschen auf einer Prototypenskala anordnen lassen. Je mehr eine Wortform einer prototypischen Singularform ähnelt (dazu zählen vor allem Monosyllabia wie Buch, Wand, Mann), desto wahrscheinlicher ist es, dass sie im Plural ihr ‚Aussehen‘ verändert und zu einer pluralischen Wortform gemacht wird. Die Pluralformen selbst sind ferner hierarchisierbar, sodass im Deutschen zwischen guten und weniger guten, also peripheren Pluralmarkern differenziert werden kann. Zu letzteren gehört zum Beispiel ein einfaches Schwa als Pluralendung (der Winddie Winde). Der -e-Plural ist deshalb kein zuverlässiger Indikator für einen Plural, weil das Deutsche über zahlreiche Singularformen verfügt, die auf einem Schwa auslauten (zum Beispiel Matte, Kette, Junge). Zwei Funktionen (Einzahl vs. Mehrzahl) konkurrieren somit um eine Wortform (= ‚2-Silber auf -e‘). Müsste ein Sprecher einem unbekannten Lexem des Typs ‚2-Silber auf Schwa‘ eine Numerusform zuweisen, würde er sich vermutlich für den Singular entscheiden. Müsste hingegen die Kategorienzugehörigkeit bei einer Wortform des Typs ‚2-Silber auf -en‘ vorgenommen werden, würde die Wahl höchstwahrscheinlich auf den Plural fallen.

Die Prinzipien der Prototypentheorie lassen sich ausgehend vom Pluralbeispiel auch auf das Konzept der semantischen Rollen übertragen. Die Kognitive Grammatik geht davon aus, dass sprachliche Muster außersprachliche Konzepte abbilden (vgl. zum Beispiel Croft 1991). Beim Numerus ist das außersprachliche Konzept die Ein- und Vielzahl von Einheiten und ihre damit verbundene Zählbarkeit, die im Deutschen mit einer spezifischen Wortstruktur abgebildet wird. Die Ausdrucksebene semantischer Relationen ist hingegen der Satz (vgl. in Hinblick auf Prototypikalitätseffekte Næss 2007, Ibbotson et al. 2012). Innerhalb des Satzmusters finden sich wiederum prototypische Aktanten mit prototypischen semantischen und formalen Eigenschaften.

Konzeptuell werden satzinterne Aktanten als semantische Einheiten verstanden, die Dowty (1991) auf zwei zentrale, in Opposition zueinander stehende Kategorien eingrenzt: das Proto-Agens und das Proto-Patiens. Wann welcher Aktant welche Rolle zugewiesen bekommt, hängt zunächst von der Verbbedeutung ab. Die von den Verben geöffneten Leerstellen erfordern die Realisierung konkreter Argumente, die mit prototypischen Rolleneigenschaften korrelieren. Dieser Prozess wird von Dowty als protorole argument selection hypothesis bezeichnet. Die Protorolle zeichnet sich dabei durch konkrete Eigenschaftenbündel aus, die Cluster bilden und dadurch als Generalisierungen von semantisch verwandten Rollentypen zu verstehen sind. Dowty ordnet dem Proto-Agens und dem Proto-Patiens jeweils fünf unterschiedliche abstrakte Eigenschaften zu. Das Proto-Agens zeichnet sich durch „volitional involvement“, „sentience“, „causing an event or change of state in another participant“, „movement“ (in Opposition zu einem anderen Partizipanten) und „independence“ (ebd.: 572) aus. Zum Proto-Patiens gehören die Eigenschaften „undergoes change of state“, „incremental theme“, „affectedness by another participant“, „stationary“ (wiederum in Opposition zu einem sich bewegenden Partizipanten) und „non-existant independence“ (ebd.).2 Dowtys Listung prototypischer Eigenschaften ist stark an die Überlegungen von Hopper/Thompson (1980) angelehnt, die zu einer ähnlichen Merkmalsliste im Kontext von prototypischen transitiven Handlungen kommen. Entscheidend bei der Verknüpfung von Argumentrealisierung und semantischer Proto-Rolle ist, wie viele und welche dieser Eigenschaften eine NP im Gegensatz zu einer anderen NP enthält. Überwiegt die Anzahl der Proto-Agens-Eigenschaften, wird die entsprechende Konstituente als Subjekt des Satzes realisiert; eine höhere Anzahl von Proto-Patiens-Eigenschaften führt zu ihrer Realisierung als Objekt. Proto-Agens und Proto-Patiens bilden dadurch zwei Pole, die idealer- und damit prototypischerweise semantisch maximal unterschiedlich sind. Comrie zufolge müssen die oppositionellen Rollen als ein Kontinuum verstanden werden, auf dem die jeweiligen Eigenschaften einzelne Punkte entlang des Kontinuums darstellen (1981: 61).

 

Das Konzept der Protorollen findet sich auch bei Langacker (1991), der diese als role archetypes bezeichnet. Neben Eigenschaften wie „physical activity“ und „physical contact“ ordnet Langacker einem archetypal agent vor allem das Charakteristikum [+BELEBT] zu (1991: 285). Analog zu der Annahme, dass das Patiens den oppositionellen Pol besetzt, wird diesem die Eigenschaft [-BELEBT] zugewiesen. Agens und Patiens stehen also in einem asymmetrischen semantischen Verhältnis, wobei dieses im Sinne der Prototypentheorie als ein graduelles zu verstehen ist. Während Dowty (1991) seine Ausführungen auf das Proto-Agens und das Proto-Patiens beschränkt, listet Langacker (1991) weitere Rollen wie den experiencer, der als „person engaged in a mental activity“ (1991: 285) definiert wird, die jedoch weniger ausführlich behandelt werden. Grundsätzlich gehen Dowty und Langacker gleichermaßen von einer Dichotomie zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens aus. Rollenzuweisung ist damit auch automatisch ein Resultat von Relationen, was heißt, dass Rollenzuweisung stets kontextualisiert (sprich im Kontext einer transitiven Handlung) erfolgen muss. Langacker nimmt an, dass Rollendichotomien im Rahmen eines canonical event entstehen, das wiederum „the normal observation of a prototypical action“ (Langacker 1991: 285) repräsentiert. Innerhalb dieser kanonischen Handlung besteht eine kausale Relation zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens. Die Relation zwischen den Handlungsaktanten bildet sich schließlich an der sprachlichen Oberfläche durch die Konstituentenabfolge S>O ab. Das prototypische canonical event geht so in ein prototypisch transitives syntaktisches Muster über (vgl. auch Langacker 2000b). Ein N>N-Satz wird aus Sicht der Prototypentheorie zum validesten Repräsentanten einer kanonischen Handlung, in der ein Agens auf eine bestimmte Art und Weise auf das Patiens einwirkt. Die Linearität dieser kausalen Ereignisse bezeichnet Croft als causal order hypothesis (1991: 186). Transitive außersprachliche Handlungskonzepte und transitive Satzstrukturen stehen somit in einem komplexen Interdependenzverhältnis, das Croft als „correlation between causal ordering and the grammatical relations hierarchy“ (1991: 186) zusammenfasst. Das Satzmuster als solches ist (genau wie das beschriebene abstrakte Pluralschema) semantisch motiviert, sodass anhand des Satzmusters ein Handlungsschema abgeleitet werden kann.

Die Konstituentenabfolge N>N ist somit als bedeutungstragendes (und dadurch funktional motiviertes) Satzschema zu greifen. Dass syntaktische Strukturen und Muster für sich Bedeutungsträger darstellen, ist wiederum eine Kernannahme der Konstuktionsgrammatik. Aus konstruktionsgrammatischer Perspektive hat die Abfolge N>N genau wie andere Konstruktionen die Eigenschaft, als holistische Einheit gespeichert werden zu können (vgl. Lakoff 1987) und dem Dekompositionalitätsprinzip zu unterliegen (vgl. Goldberg 1995). Es wird also nicht in seine einzelnen Bestandteile zerlegt, sondern als Ganzes analysiert, sodass die Gesamtbedeutung einer syntaktischen Einheit nicht auf der Grundlage der Bedeutung einzelner Bestandteile generiert werden kann. Ziem/Lasch (2013: 83) folgern deshalb, dass die „sprachliche Einheit nicht atomarer Natur ist. Eine Konstruktion ist folglich immer komplexe Einheit von Vielheit“. Für das transitive Satzschema N>N ist es in einem Satz wie Der Mann sieht das Fahrrad also weitgehend irrelevant, dass er Lexeme wie Mann, Fahrrad oder sieht enthält. Was zählt, ist die Verfügbarkeit von zwei Konstituenten und einem finiten Verb, die wiederum zu einem Ganzen zusammengefasst und mit einer kausal-transitiven Handlung verknüpft werden.

Köpcke/Panther (2008) gehen in Hinblick auf dieses syntaktische Schema davon aus, dass ein transitiver Satz des Typs SVX3 (Subjekt > Verb > weitere Konstituente) nicht nur die prototypische Repräsentation einer transitiven Handlung, sondern gar der Prototyp eines Satzes sei. Sie begründen diese These unter anderem damit, dass sich in dieser Hinsicht entsprechende Prototypeneffekte bei Sprechern identifizieren lassen („When adults are requested to produce sentence tokens spontaneously, they usually come up with simple affirmative declarative sentences”, ebd.: 89) und der Beobachtung, dass sich andere Satztypen (Interrogativ- sowie Imperativsätze) in einen Deklarativsatz umwandeln ließen. Der SVX-Satz ist damit nicht nur der Prototyp für die Kodierung einer transitiven Handlung, sondern per se der Prototyp eines Satzes.

Protototypikalität ist in der Kognitiven Grammatik sehr eng mit Überlegungen zur abstrakten Repräsentation von Mustern verknüpft. Zentral ist hierbei der Begriff des Schemas. Bußmann (32002: 583) definiert Schema als „Form der Repräsentation von generalisiertem, soziokulturell bestimmten Wissen, das als Orientierung bei der Interpretation und zur Organisation von Erfahrungen dient“.4 Schemata stellen abstrakte Formen der mentalen Wissensrepräsentation dar, die einerseits existentes (kategorielles) Wissen bündeln und andererseits als kognitive Schablone dienen, um neues Wissen auf- und ausbauen (vgl. auch Anderson/Pearson 1984 sowie Rumelhart 1980). Ein Schema kann deshalb als Resultat eines Kategorisierungsprozesses und dadurch als abstrakte Einheit verstanden werden. Schemata sind Langacker (2000a: 3f.) zufolge Resultat von Abstraktionsprozessen (= schematization) und haben kognitiv den „status of a unit“ (ebd.: 3) inne. Sind solche abstrakten schematischen Einheiten verfügbar, können Informationen mithilfe dieser kognitiven Schemata automatisiert verarbeitet werden. Langacker (ebd.) bezeichnet diesen Automatisierungseffekt als entrenchment. Einzelne Merkmale müssen dann nicht mehr separat analysiert werden, sondern sind automatisch mitverfügbar, sobald ein Schema abgerufen wird. Mit Blick auf die Annahme, dass Kategorien hierarchisch strukturiert und um einen Prototypen herum konstruiert sind, sind Prototypen damit automatisch auch Schemata (vgl. Langacker 2000a: 69, Tuggy 2007: 89f.). So ist die auf -en auslautende zweisilbige Wortform sowohl die prototypische sprachliche Entsprechung der semantischen Einheit von Vielheit als auch ein Pluralschema. Wichtig ist, dass Schemata sowohl eine semantisch-konzeptuelle als auch eine sprachstrukturelle Ebene abdecken. In beiden Bereichen sind Schemata Resultat von Kategorisierungs- und Abstraktionsprozessen, sodass ein prototypisches Handlungsmuster AGENS → NICHT-AGENS als auch ein prototypisches transitives Satzmuster N>N (= S>O) existiert.

Strukturelle sprachliche Schemata (wie das Pluralschema im Deutschen oder das Satzschema N>N) haben stets eine semantische Funktion und kodieren teils abstrakte semantische Konzepte. Die Ausbildung dieser semantischen Konzepte im Zuge der kognitiven Entwicklung von Kindern wird als sprachliche Vorläuferfertigkeit verstanden und mit dem bereits erwähnten Terminus der functional readiness erfasst (Bates/MacWhinney 1987b, MacWhinney 1987b, 1988). Langacker (1998: 3) zufolge ist der Prozess der semantischen Konzeptualisierung als „embracing any kind of mental experience“ zu verstehen. Kinder sind grundsätzlich in der Lage, ihre Umgebung auf unterschiedliche Art und Weise wahrzunehmen, indem sie mit den ihnen gegeben Sinnen mit der Umwelt interagieren. Um die Informations- und schließlich auch die Sprachverarbeitung maximal ökonomisch zu gestalten, werden Eindrücke und Erfahrungen zu abstrakten Kategorien beziehungsweise image schemas (Oakley 2007) zusammengefasst. Sprecher analysieren und abstrahieren dabei rekurrierende usage events, die als „an actual instance of language use“ (Langacker 2000a: 9) definiert werden können. Eine kanonische Handlung ist ein Beispiel für solch ein usage event. Functional readiness heißt deshalb, dass die Ausbildung des non-sprachlichen usage events dem Auffinden passender sprachlicher Realisierungsformen (sprich dem Satzschema N>N) vorangeht.

Die Konzeptformation verläuft Mandler (1992: 589) zufolge im Kindesalter mittels der sogenannten „perceptual analysis“. Sie definiert diesen Begriff als

a process in which a given perceptual array is attentively analyzed, and a new kind of information is abstracted. The information is new in the sense that a piece of perceptual information is recoded into a nonperceptual form that represents a meaning (ebd. 1992: 589).

Dass der Mensch überhaupt zur Perzeption fähig ist, führt Mandler (2012: 422) auf die Verfügbarkeit einer Fähigkeit zurück, die sie als „perceptual meaning analysis“ (PMA) definiert. Mit PMA ist ein domänenübergreifender „single mechanism that uses a small set of path, motion, and spatial relation primitives to interpret spatiotemporal information“ gemeint, mit dem image schemas auf der Basis der räumlichen Perzeption aufgebaut werden (ebd.). Dieser Prozess basiert zunächst auf sensomotorischen Erfahrungen, die die Wahrnehmung und Kategorisierung der das Kind umgebenden Umwelt determinieren. Am Ende dieses Prozesses verortet Mandler (1992) die concept formation.

Mandler differenziert drei Konzepte, die zentral für die kognitive Entwicklung des Kindes sind: das Belebtheits-, das Agentivitäts- und das Transitivitätskonzept. Kinder lernen zunächst, dass belebte Wesen in der Lage sind, sich eigenständig zu bewegen, wobei ihre Bewegungsrichtung non-linear verlaufen kann. Zudem sind belebte Wesen zur Interaktion mit anderen Objekten fähig, was Mandler als ‚Kontingenz ohne direkten physischen Kontakt‘ bezeichnet. Unbelebte Objekte tragen hingegen das Charakteristikum „caused motion“ (Mandler 2012: 434); eigenständige Bewegung ist ihnen nicht möglich, stattdessen müssen sie bewegt werden. Der Bewegungsverlauf ist dabei im Gegensatz zu belebten Wesen linear.5 Sobald diese einzelnen Konzepte ausgebildet sind, können sie in eine kausale Beziehung gesetzt werden. Dies ist der Grundstein zur Ausbildung eines Konzepts von Transitivität.

Sobald Kinder verstanden haben, dass ihre Umwelt grob in belebte und unbelebte Objekte eingeteilt werden kann, setzen sie diese oppositionellen Konzepte zueinander in Beziehung, wodurch das Konzept der dichotomen Relation zwischen Agentivität und Nicht-Agentivität ausgebildet wird. Ausgehend von diesem auf Kausalität beruhenden Agentivitätsprinzip kann das abstraktere Konzept von Transitivität gefestigt und letztlich mit einer entsprechenden sprachlichen Form verknüpft werden. Kinder bilden somit prototypische transitive Handlungsmuster aus und verknüpfen diese dann mit passenden sprachlichen Mustern, vorwiegend mit prototypischen kanonischen Satzschemata. Form-function mapping heißt in diesem Zusammenhang, dass semantische Prototypen mit passenden formal-sprachlichen Prototypen verknüpft werden. Langacker (2000b: 25) zufolge ist diese Verknüpfung zwischen dem Handlungs- und dem Satzschema als „natural correlation“ zu verstehen.

Die primäre Annahme für die sprachliche Entwicklung erster grammatischer Strukturen ist somit, dass eine semantische Rollendichotomie zwischen belebtem Agens und unbelebtem Nicht-Agens in Form einer dazu passenden grammatischen Struktur verpackt wird. Bereits Brown (1973) stellt für die frühen Spracherwerbsphasen fest, dass erste Kombinationen zweier nominaler Konstituenten (in Form von N+N) semantisch häufig ein Agens und ein Obejekt in Form einer kausalen linearen Handlung kodieren (zum Beispiel Kendall spider, vgl. Clark 2003: 169). Die Realisierung des Objekts vor einer agentivischen Rolle ist hingegen untypisch und kaum existent. Dieses Prinzip scheint sprachübergreifend zu gelten. Auch Tomasello (1992) weist nach, dass ein von ihm untersuchtes englischsprachiges Kind in der 3-Wort-Phase (mit ca. 19 Monaten) überwiegend Sätze mit einem belebten Agens und einem unbelebten Patiens verwendet, daneben wird vereinzelt auch ein belebtes Patiens gebraucht. Erst mit ca. 23 Monaten kommen Sätze mit unbelebtem Agens hinzu, wobei diese meist durch das neutrale Pronomen es beziehungsweise das Relativpronomen das repräsentiert sind. Sätze mit belebtem Agens und unbelebtem Patiens bleiben jedoch im gesamten untersuchten Zeitraum (19–23 Monate) in der deutlichen Mehrheit. Auch Hodeweg/de Hopp (2010) weisen anhand einer korpusanalytischen Auswertung für das Niederländische nach, dass Kinder bei transitiven Sätzen in 92 % der Fälle ein belebtes Agens gebrauchen. Sätze mit neutralisierter Belebtheitsopposition (also mit zwei belebten oder unbelebten Aktanten) kommen in nur gut 5 % der Fälle vor. Erste syntaktische Muster bilden somit prototypische transitive Handlungsmuster ab.

 

Der Konstruktionstyp N>N umfasst nicht nur die von Mandler angenommene Abbildung kausaler transitiver Handlungsmuster, sondern bildet auch die von ihr postulierte Belebtheitsopposition der beiden Aktanten ab. Dies wirkt sich in der Folge auch auf den Erwerb und den Gebrauch von Kasusmarkern zur Kennzeichnung semantischer Rollen aus. Slobin (1985) verweist darauf, dass Kinder zunächst belebte Subjekte und unbelebte Objekte mittels morphologischer Mittel markieren und erst danach beginnen, untypische Kombinationen morphologisch zu kennzeichnen. Mandlers Annahmen über die Existenz prototypischer transitiver Schemata, die zugleich spezifische Rolleneigenschaften enthalten, lassen sich damit im frühen Spracherwerb nachweisen. Die Abfolge zweier nominaler Konstituenten (N>N) dient im Erwerbsprozess der Abbildung einer belebten agentivischen (= N1) und einer unbelebten nicht-agentivischen Rolle (= N2). Basierend auf der Etablierung eines prototypischen kanonischen Satzschemas finden dann auch schrittweise morphologische Formen ihren Einzug ins grammatische System. Das semantische Konzept (= Transitivität) wird so schrittweise auf sprachliche Strukturen gemappt.

Wenn ein N>N-Schema für Kinder unterschiedlicher Sprachen die erste prototypische Kodierung des transitiven Handlungsschemas [+AGENS]>[-AGENS] darstellt, muss angenommen werden, dass die Verwendung von [-AGENS]>[+AGENS]-Strukturen erst später im Erwerb folgen sollte. Diese als O>S-Sätze charakterisierbaren Muster stellen zwar ebenfalls transitive Schemata dar, sind jedoch untypisch, weil sie den natürlichen Handlungsablauf von ‚AGENS → PATIENS‘ zu ‚PATIENS ← AGENS‘ umkehren. Die Abweichung von der prototypischen Konstituentenabfolge ist hierbei zwar funktional motiviert, da die Topikalisierung des Objekts zum Beispiel mit einer expliziten Hervorhebung einzelner Aktanten hervorgeht, muss jedoch als pragmatisch markierter Fall betrachtet werden. Hopper/Thompson (1980) sprechen in diesem Zusammenhang von einer ‚Diskursmotivation‘, die in eine Dichotomie zwischen Vorder- und Hintergrund mündet. Die Verfügbarkeit von vordergründigen und hintergründigen Informationen ist wiederum besonders im Gesprächsdiskurs relevant (hier ist auch der Anteil von OS-Struturen im Deutschen am höchsten, s. Schlesewsky et al. 2000). Die syntaktische Topikalisierung nicht-agentivischer Aktanten muss deshalb als ein Mittel der Hervorhebung betrachtet werden. Für Lerner einer Sprache (L1 oder L2) ist dieses Mittel damit erst relevant, wenn sie über die sprachlichen Ressourcen verfügen, um an längeren Gesprächen teilzunehmen. Das Mittel der Hervorhebung ist letztlich der Pragmatik zuzuordnen und sollte dazu führen, dass sich die umfassende Nutzung von O>S-Sätzen erst im fortgeschrittenen Erwerb entwickelt.

Die Bidirektionalität zwischen Handlungs- und Satzschema ist nicht nur beim mapping von Formen auf Funktionen (also in der Produktion), sondern auch bei der Abbildung von Funktionen auf Formen, genauer in der Rezeption und Verarbeitung relevant. Das transitive Schema N>N bildet einen „stabilizing frame“ (Tomasello 2007: 1104), der die prototypischen semantischen Relationen zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens evoziert. Diese Idee ist – wenn auch nicht explizit – eng angelehnt an das Konzept des syntactic bootstrapping. Dabei wird angenommen, dass erstens das lexikalische Lernen dem syntaktischen untergeordnet ist und zweitens Wortbedeutungen (dabei allen voran Verb- aber auch Substantivbedeutungen) auf der Basis eines syntaktischen Frames generiert werden (vgl. Fischer et al. 2010, Gleitman 1990, Naigles/Swensen 2007). Beispielswiese kann ein Sprecher durch die Verfügbarkeit von zwei Nominal­phrasen eine kausale Relation zwischen den Phrasen und damit den beteiligten Aktanten annehmen: „[S]entence structures themselves are meaningful to children as well as adults, in a way not reducible to links between thematic roles and grammatical function“ (Fischer 2000: 11). Sprecher sind also in der Lage, über die Anzahl und die Abfolge der Konstituenten eine grobe Satzbedeutung zu generieren und den Aktanten spezifische Eigenschaften zuzuordnen. In diesem Zusammenhang können beispielsweise Kako/Wagner (2001) zeigen, dass Sprecher die Anzahl der Phrasen dazu nutzen, um die Bedeutung eines unbekannten Verbs zumindest einzugrenzen und somit die syntaktische Struktur an sich als structural cue zu gebrauchen. Bei zwei nominalen Konstituenten werden unbekannte Verben als transitiv interpretiert, bei nur einer als intransitiv. Der bootstrapping-Ansatz stellt damit das Satzschema an die Spitze eines Top-Down-Prozesses bei der Satzverarbeitung und beim Satzverstehen. Syntaktische Strukturen regulieren dabei die Generierung einer semantischen Skizze und erleichtern im Erwerb die Eingrenzung und Kategorisierung von Wortbedeutungen. Diese hierarchische Relation zwischen Syntax und lexikalischer Semantik weist darauf hin, dass syntaktische Strukturen als bedeutungstragende Einheiten beziehungsweise als Schemata fungieren, die dem Wissenserwerb dienen.

Insgesamt lässt sich bisher folgern, dass sich das semantische Konzept der Transitivität in der Produktion im frühen Erwerb des N>N-Musters abbildet, in dem zugleich auch eine prototypische Belebheitsopposition zwischen einem belebten Agens und einem unbelebten Nicht-Agens kodiert wird. In der Rezeption dient das N>N-Muster Sprechern dann dazu, die syntaktische Struktur als Repräsentanten eines transitiven Handlungsmusters zu verarbeiten.

Die Konstituentenabfolge im Satz erfüllt die Funktion, kausale Handlungszuammenhänge zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens abzubilden. Auch Kasusmarker erfüllen die Aufgaben, dichotome semantische Rollen formal abzugrenzen. Eine formale Differenzierung zwischen Nominativ (NOM) und Akkusativ (AKK)6 dient dabei einer semantischen Differenzierung zwischen Agens und Patiens innerhalb von transitiven Konstruktionen (vgl. für das Deutsche für einen Überblick Dürscheid 1999). Comrie (1981: 119) verweist darauf, dass die meisten NOM-AKK-Sprachen dazu tendieren, nur den Akkusativ mittels eines Affixes zu markieren, der Nominativ ist morphologisch unmarkiert. Kombiniert mit den prototypischen dichotomen Eigenschaften der semantischen Rollen heißt dies, dass über eine oblique morphologische Veränderung einer NP auf Nicht-Agentivität geschlossen werden kann. Bleibt die NP hingegen morphologisch unmarkiert, so ist dies ein Indikator für Agentivität. Kombiniert mit den prototypischen Satzpositionen von Agens und Patiens heißt dies, dass in einer N>N-Struktur das morphologisch unmarkierte Agens als N1 und das morphologisch markierte Patiens als N2 realisiert wird. Comrie (1981) und Langacker (1991) verweisen zudem darauf, dass auf formaler Ebene die Definitheit eine wichtige Rolle spielt. Ein Agens ist prototypisch definit, ein Patiens hingegen indefinit.

Daraus lässt sich ableiten, dass Agens und Patiens neben distinktiven semantischen auch prototypische morphologische und syntaktische Merkmale aufweisen. Formale und semantische Eigenschaften stehen in einem komplexen Interdependenzverhältnis, da einerseits die semantischen Merkmale die formalsprachliche Ebene motivieren (indem zum Beispiel das entsprechende Satzmuster N>N entsteht) und andererseits über die einzelnen formalen Merkmale auf die dahinterliegenden semantischen Konzepte geschlossen werden kann. Abbildung 2 fasst die prototypischen semantischen und formalen Eigenschaften eines Proto-Agens und eines Proto-Patiens zusammen und macht darüber hinaus deutlich, dass Agens und Patiens ein Kontinuum bilden, an dessen oppositionellen Enden die prototypischen Eigenschaften zu finden sind. Die jeweiligen Eigenschaften müssen nicht gemeinsam auftreten, sodass Varianzen und Dynamizität im Rahmen des Kontinuums denkbar sind (indem zum Beispiel das Patiens belebt ist und damit potentiell auch Handlungsträger sein kann).