Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen

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Aus der Reihe: Language Development #37
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Für den Spracherwerb ist hier besonders der Aufbau grammatischen Wissens aus dem Gebrauch heraus entscheidend. Erwerbstheoretische Ansätze gehen zwar davon aus, dass Erwerbsprozesse systematisch, jedoch nicht linear verlaufen (vgl. Ellis/Larsen-Freeman 2006: 562). Die fehlende Linearität und daraus resultierende Variabilität im Erwerbsverlauf ist wiederum eine direkte Abbildung eines emergenten, das heißt schrittweisen Aufbaus eines lernerspezifischen grammatischen Wissens. Vorausgesetzt wird hierbei, dass die ausgebildete Systematik auf interaktionalen Erfahrungen und damit auf einem spezifischen sprachlichen Input basiert. Die gebrauchsbasierte Orientierung gepaart mit kognitiven Fertigkeiten, die Erwerb überhaupt erst ermöglichen, fasst Tomasello (2005: 41) folgendermaßen zusammen:



In this process children do two things simultaneously. First, they extract from utterances and expressions such small things as words, morphemes, and phrases by identifying the communicative job these elements are doing in the utterance or expression as a whole. Second, they see patterns across utterances, or parts of utterances, with “similar” structure and function, which enables them to create more or less abstract categories and constructions. These are the two faces of grammar: smaller elements and larger patterns.



Tomasello stellt hier drei zentrale Komponenten heraus: Spracherwerb ist zunächst als Grammatikerwerb zu verstehen, der wiederum funktional motiviert ist. Welche grammatischen Muster und Strukturen wiederum welche Bedeutungen transportieren, wird aus der Interaktion mit unterschiedlichen Gesprächspartnern abgeleitet. Die Extraktion von Form-Funktions-Relationen ist, so lässt sich folgern, gebunden an Gebrauch. Damit überhaupt etwas aus dem die Lerner umgebenden Sprachgebrauch extrahiert werden kann, werden Äußerungen nach spezifischen Kriterien systematisch analysiert. Lerner sind dabei auf der Suche nach Mustern (

patterns

) und Regelmäßigkeiten, die sie wiederum nur auffinden können, indem sie einzelne Strukturen zu größeren Einheiten bündeln (das heißt Kategorien bilden) und diese Einheiten letztlich zu größeren, bedeutungstragenden Mustern beziehungsweise Schemata abstrahieren. Dabei muss ergänzt werden, dass Lernern nicht nur die erwähnten kognitiven Fertigkeiten der Kategorisierung, Analogiebildung und Abstrahierung zum Auffinden von Mustern zur Verfügung stehen, sondern dass diese durch implizites statistisches Lernen determiniert werden. Kidd (2012: 172) definiert dieses „as the largely or wholly unconscious process of inducing structure from input following exposure to repeated exemplars“. Dass Lerner also überhaupt Muster entdecken können, wird durch die grundlegende kognitive Fertigkeit der statistischen Analyse von Input ermöglicht. In Bezug auf die Ausbildung von Form-Funktions-Paaren heißt das, dass Lerner analysieren, wie oft eine spezifische grammatische Struktur als zuverlässiger Indikator für den Ausdruck spezifischer Inhalte verwendet wird. Frequenz und Reliabilität von Mustern spielen deshalb eine zentrale Rolle im Erwerb. Spracherwerb im Sinne eines emergenten Prozesses würde in diesem Zusammenhang bedeuten, dass Lerner Schritt für Schritt ein grammatisches System aufbauen. Diese Annahme ist zugleich das Credo einer konstruktivistischen Sicht auf Spracherwerb: „Language structure is constructed by the child, either in the context of pragmatically elaborate communicative contexts or as an extension of conceptual understanding, which is the logical precursor to language“ (Hollich et al. 2000: 149). Aus konstruktivistischer Perspektive ist dieser Gedanke so zu verstehen, dass Lerner sich auf zweierlei Art und Weise entwickeln. Ihre kommunikativen Kontexte und damit Bedürfnisse werden genauso stetig ausgebaut wie ihr konzeptuell-semantisches Wissen, das wiederum den Ausbau des sprachlichen Repertoires erfordert. Vereinfacht lässt sich sagen: Entwickelt sich ein Lerner, entwickelt sich auch seine Sprache. Entwicklung heißt wiederum Veränderung, sodass Spracherwerb im Sinne der Emergenzthese eine kontinuierliche und systematische Weiterentwicklung formal-funktionaler

mappings

 bedeutet.





Zusammenfassend lässt sich folgern, dass ein funktional motivierter Blick auf Grammatik stets ein Zusammenspiel zwischen pragmatischen und semantischen Faktoren und ihrer Abbildung auf formalsprachliche Strukturen annimmt. Erweitert um die kognitive Sicht sind dabei sowohl semantische Konzepte als auch die jeweilige sprachliche Struktur mental repräsentierte er Einheiten, die in einem symbolischen Verhältnis stehen. Die Beherrschung einzelsprachlicher Form-Funktions-Paare ist aus einer Erwerbsperspektive das primäre Erwerbsziel. Aufbauend auf spezifischen kognitiven Mechanismen wie Kategorien- und abstrakter Musterbildung sowie implizit-statistischem Lernen wird Sprechern das Auffinden grammatischer Muster ermöglicht. Im Erwerbsprozess verändern sich mit dem Ausbau kommunikativer Bedürfnisse und semantischer Konzepte (die wiederum vor allem im L1-Erwerb von der kognitiven Entwicklung abhängig sind) die Verknüpfungen zwischen Formen und Funktionen. Je mehr Informationen ein Lerner erhält, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass bestehende Verknüpfungen zwischen grammatischen Formen und ihren jeweiligen Funktionen modifiziert und erweitert werden.



Die Fragestellungen der Arbeit lassen sich vor dem Hintergrund dieser Grundannahmen nun weiter spezifizieren. In erster Linie soll es darum gehen, Form-Funktions-Paare bei Lernern mit unterschiedlichen sprachlichen Vorerfahrungen und damit mit variierenden

mappings

 zu identifizieren. Mit Blick auf den Givón’schen Ikonizitätsbegriff soll ermittelt werden, ob Lerner syntaktische Muster sowie andere formalsprachliche Mittel (hier: Kasusmarker) mit konkreten semantischen Konzepten verbinden. Die Existenz mehrerer Kodierungsmöglichkeiten für eine Funktion ist Resultat des

many-to-one-mappings

, wodurch eine potentielle Konkurrenz zwischen syntaktischem Muster und Kasusform hervorgerufen wird. Mit Blick auf die Annahmen der emergenten Grammatik, die davon ausgeht, dass Lerner im Zuge ihrer sprachlichen Entwicklung ein grammatisches System schrittweise und systematisch konstruieren, sollte dieser Umstand dazu führen, dass sich die Verknüpfung zwischen Formen und ihren potentiellen Funktionen sukzessive verändert. Ziel der Arbeit ist es deshalb herauszufinden, welche

mappings

 mehrsprachige Sprecher in der L2 Deutsch aufbauen und inwiefern sich diese

mappings

 (insbesondere unter dem Einfluss der jeweiligen Ausgangssprache) von denen einsprachiger Sprecher unterscheiden. Weiterhin soll geklärt werden, ob und wie sich diese Form-Funktions-Paare im Kontext der Emergenzthese verändern. Die Veränderung, so die übergeordnete These, bildet letztlich den Weg zum Erwerbsziel ab, der (unabhängig von der Ein- respektive Mehrsprachigkeit von Sprechern) darin besteht, Kasusmarker im Deutschen als zuverlässige Indikatoren für semantische Relationen in transitiven Sätzen zu nutzen.





2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen



Um herausarbeiten zu können, welche sprachlichen Mittel in den hier untersuchten Sprachen als Indikatoren für semantische Relationen fungieren, werden im Folgenden die dem Deutschen, Niederländischen und Russischen zugrundeliegenden Kodierungsprinzipien skizziert. Die Gegenstandsbeschreibung bezieht sich dabei ausschließlich auf aktivische transitive Aussagesätze, bestehend aus zwei Nominalphrasen sowie einem finiten Verb. Vorausgesetzt wird hierbei, dass solche Strukturen eine kausale Relation zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens umfassen (vgl. Givón 1995). Bevor die Relation zwischen Inhalt und Form genauer betrachtet wird, steht zunächst die oberflächensprachliche Struktur im Fokus.



In der Einleitung wurde bereits erwähnt, dass das Niederländische und Russische von zwei maximal unterschiedlichen Möglichkeiten zur Kennzeichnung semantischer Relationen im Satz Gebrauch machen, nämlich der Wortstellung und den Kasusmarkern. Im Deutschen finden sich aus unterschiedlichen Gründen beide Kodierungsformen. Was die drei Sprachen verbindet, ist eine einheitliche Basiswortstellung.



Die in der Greenberg’schen (1963) Tradition stehenden Bemühungen, Erkenntnisse zu Wortstellungsvariabilitäten und -regularitäten systematisch weiterzuentwickeln, mündeten in die Diskussion, warum spezifische Wortstellungsmuster häufiger vorkommen als andere. Van Everbroeck (2003) zeigt in diesem Zusammenhang, dass sich in den meisten (bekannten) Sprachen spezifische Basiswortstellungsmuster ausmachen lassen, die letztlich auf drei dominante Strukturen eingrenzbar sind. So haben 51 % der untersuchten Sprachen der Welt die Basisabfolge Subjekt-Objekt-Verb (SOV), 23 % SVO und 11 % VSO. VOS kommt in nur 8 % der Sprachen vor, die übrigen Varianten (OSV, VOS) liegen bei unter 1 % und sind damit als Einzelfälle einzustufen. Auch Hawkins (1983) und Tomlin (1986) verweisen darauf, dass die meisten Sprachen auf die Abfolge SOV, SVO und VSO einzugrenzen sind, wobei Tomlin die Muster SOV und SVO als äquivalent betrachtet. Lässt man die Position des Verbs außen vor, zeigt sich, dass in der überwiegenden Mehrheit der Sprachen der Welt die Basiswortstellung Subjekt vor Objekt (S>O) dominiert. Dryer (2013) zufolge ist diese Abfolge die dominanteste Struktur in den meisten bisher untersuchten Sprachen (über 80 %). Die Abfolge von S>O stellt letztlich eine sprachübergreifende universelle Tendenz dar. Der umgekehrte Fall (O>S) ist zumindest in der Basiswortstellung deutlich seltener anzutreffen.



Die Frage ist, nach welchen Kriterien einer Sprache ein Basiswortstellungstyp zugewiesen wird. Zu den wichtigsten Kriterien, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden, gehören die Vorkommenshäufigkeit (Dryer 1995, Hawkins 1983, Tomlin 1986), die pragmatische Neutralität (Pullum 1977; vgl. für einen Überblick auch Mithun 1992) sowie die Interaktion zwischen Satzstruktur und Satzprosodie (Höhle 1982) und besonders auch die Diskussion um Thema-Rhema- beziehungsweise Fokus-Topik-Relationen (Reis 1993). Pragmatische Neutralität meint in Pullums Sinn den Gebrauch einer Struktur, deren Auftreten in einem kontextfreien Rahmen, also diskursinitial wahrscheinlich ist (vgl. Pullum 1977: 266). Ohne an dieser Stelle im Detail auf die diesen Kriterien anhaftenden Diskussionen eingehen zu wollen, lässt sich

Basiswortstellung

 als eine in einer Einzelsprache am häufigsten vorkommende pragmatisch sowie prosodisch unmarkierte (oder ‚neutrale‘) Struktur definieren. Dass Vorkommenshäufigkeit überhaupt als definitorisches Kriterium angewendet wird, weist zugleich darauf hin, dass der Gebrauch anderer Strukturen möglich, jedoch besonders deshalb selten ist, weil er an kontextuelle Faktoren gebunden ist.

 



Die funktionale Sicht auf die sprachübergreifende Tendenz, S vor O zu realisieren,1 umfasst unterschiedliche Erklärungen. Die Kognitive Grammatik argumentiert dabei im Sinne des Givón’schen Ikonizitätsprinzipis und nimmt an, dass ein (meist belebtes) Agens in der Regel als Handlungsausführender auf ein (meist unbelebtes) Patiens einwirkt. Diese kausale Relation (AGENS → PATIENS) bildet aus einer kognitiv-funktionalen Perspektive eine kanonische Handlungsstruktur ab (Funktion), die auf der sprachlichen Oberfläche in eine spezifische syntaktische Struktur übergeht (Form). Das Subjekt/Agens (N1 im SO-Satz) wird im Satz zuerst realisiert, das Objekt/Patiens (N2 im SO-Satz) danach. Eine kausale Handlungsstruktur (AGENS → PATIENS) mündet also in eine spezifische Abfolge nominaler Konstituenten (S → O; vgl. dazu Comrie 1981, Croft 1991, Langacker 1991, s. auch Kapitel 2.3). Aus funktionaler Perspektive hätte die syntaktische Position der beiden Aktanten also die Funktion, ihre semantische und kausale Relation abzubilden. Losgelöst von ihren grammatischen Funktionen als Subjekt und Objekt, lässt sich schließen, dass eine neutrale Abfolge zweier nominaler Konstituenten (N>N) an sich bedeutungstragend ist. Die Abkürzung N>N wird im Folgenden deshalb als abstrahierte Form einer kanonischen Satzstruktur mit einer neutralen Abfolge von AGENS > NICHT-AGENS und damit als kanonischer SO-Satz verstanden.



Croft (1988: 173) zufolge haben neben der Konstituentenabfolge auch Kasus- oder Kongruenzmarker die primäre Funktion, „a relation between two entities“ auszudrücken. Daraus folgt, dass analog zum syntaktischen Muster auch bei den Kasusmarkern spezifische Verknüpfungen zwischen der Form (Kasusmarkierung) und dem Inhalt (semantische Rolle) hergestellt werden können. Ein Agens ist in der Regel morphologisch unmarkiert, ein Patiens oder Rezipiens hingegen markiert.2 Sowohl im Russischen als auch im Deutschen wird der Nominativ zur Kennzeichnung des Agens, der Akkusativ zur Kennzeichnung des Patiens und der Dativ als Marker für ein Rezipiens gebraucht (s. zum Beispiel Abraham

3

2013 sowie Zifonun/Hoffman/Strecker 1997 für das Deutsche). Demnach lässt sich eine Dichotomie zwischen dem morphologisch unmarkierten Agens und allen anderen nicht-agentivischen, jedoch morphologisch markierten Rollen ziehen (neben dem Patiens und dem Rezipiens wären hier auch das Instrument, der Locus und weitere nicht-agentivische Aktanten zu nennen).3 Die semantische Dichotomie zwischen Agens und Nicht-Agens mündet so in die formale Dichotomie . Croft (1988: 174) folgert daraus:



Case marking is a complement of the strategy of simple juxtaposition of the related constituents, in which the hearer must infer the relation that holds between the two. Simple juxtaposition is only possible when the relation between the two terms is obvious enough for the hearer to easily infer it. Otherwise, the relation must be more explicitly represented in the utterance, and case marking is the strategy for doing so.



Kasusmarker dienen also dem Hörer dazu, die semantischen Relationen zwischen unterschiedlichen Aktanten zu determinieren und sind somit nichts anderes als eine formale Explizitmachung semantischer Relationen.



Zentral ist in diesem Zusammenhang die Rolle der Verben. Im Sinne eines valenzgrammatischen und framesemantischen Ansatzes (vgl. Busse 2012, Fillmore 1968, 1977) übernehmen Verben in Sätzen die Rolle des Regisseurs. Oder um Kakos (2006) Sicht auf Sätze als „miniature plays“ nochmals aufzugreifen: Sätze umfassen spezifische Handlungsrahmen, in denen unterschiedliche Mitspieler verschiedene Rollen einnehmen. Das Verb legt dabei fest, welche Rollen zu vergeben sind. Ein von Fillmore häufig gebrauchtes Beispiel ist das der kommerziellen Transaktion. So würde das Verb

kaufen

 unterschiedliche an der Kaufhandlung beteiligte Aktanten umfassen, nämlich den Käufer, den Verkäufer, die Ware sowie zum Kauf der Ware benötigte Mittel (vgl. Fillmore 1977). Folgt man Fillmores Überlegungen, würde das Verb

kaufen

 diese Handlung und an ihr teilnehmende Mitspieler kognitiv evozieren, weil der Sprecher über verstehens- und wissensrelevante Schemata4

(Frames)

 verfügt, das heißt auf der Basis seiner Erfahrungen weiß, wie eine Kaufsituation abläuft und wer daran beteiligt ist. Die Verbbedeutung bestimmt, wer im satzinternen Miniaturstück mitspielen darf. Das Verb eröffnet ein Spektrum an Leerstellen (

slots

), die gefüllt werden können, jedoch nicht müssen.5 Ein Verb wie

kaufen

 enthält zum Beispiel die Leerstellen und . In der Valenzgrammatik ist das Prinzip der Leerstelle vergleichbar mit der Wertigkeit des Verbs, das heißt mit der Anzahl der Bindungsstellen, die ein Verb mitbringt. Die

slots

 müssen vom Sprecher mit auf die spezifische Handlung angepassten

fillern

 ausgefüllt werden. Die Mitspieler müssen also konkret benannt werden (zum Beispiel

Der Mann kauft eine Hose

). Im Prinzip lässt sich unter Berücksichtigung

mapping

-bezogener und valenzgrammatischer Prinzipien ein zweiphasiger Prozess bei der Konstruktion von Sätzen annehmen. Die Nutzung eines spezifischen Verbs macht es erforderlich, an der Handlung beteiligte Aktanten überhaupt zu benennen. Mithilfe der grammatischen Mittel Wortstellung und Kasusmarker wird in einem weiteren Schritt spezifiziert, welcher Aktant welche Rolle im Handlungsrahmen einnimmt. So sind für die Leerstellen des Verbs

kaufen

 die

filler

 ‚Mann‘, ‚Hose‘ und ‚Tochter‘ denkbar. Innerhalb des Handlungsrahmens

kaufen

 muss mithilfe formaler Mittel deutlich werden, in welchem Verhältnis

Mann

,

Tochter

 und

Hose

 stehen und wer von ihnen agentivisch ist (

Der Mann kauft der Tochter eine Hose

 vs.

Die Tochter kauft dem Mann eine Hose

).



Im Kontext eines vom Verb evozierten Handlungsrahmens sind Wortstellung und Kasusmarker als zwei Möglichkeiten zu betrachten, um ein und dieselbe Funktion sprachlich abzubilden. Im Deutschen, Russischen und Niederländischen haben sie eine jeweils unterschiedlich hohe Validität, was bedeutet, dass sie in transitiven Sätzen kontextunabhängig als zuverlässige Indikatoren für semantische Relationen fungieren. So wäre die Wortfolge dann ein valider Indikator, wenn anhand der linearen Abfolge der nominalen Konstitutenten im Großteil der Fälle die vom Verb regierten Rollen ermittelt werden können. Kasusmarker sind wiederum dann valide Indikatoren, wenn unabhängig von der syntaktischen Position der Konstituenten anhand der morphologischen Markierung auf ihre semantische Rolle im Satz geschlossen werden kann. So ist es im Deutschen mehr als unwahrscheinlich, dass eine NP des Typs

dem Kind

 ein Agens kennzeichnet, da die Artikelform

dem

 ein valider Indikator für Nicht-Agentivität und so in Hinblick auf diese Funktion transparent ist. Daneben finden sich im Deutschen Formen wie

die Frau

. Die Artikelform

die

 ist uneindeutig, weil sie sowohl als Agens- als auch als Patiensmarker fungiert (zum Beispiel

Die Frau

ag

sieht den Mann

 vs.

Der Mann sieht die Frau

pat). Ohne die Einbettung in einen syntaktischen Zusammenhang ist es auf der Basis der isolierten NP nicht möglich, diese in Hinblick auf ihr Agentivitätspotential einzustufen, sodass die Artikelform

die

 funktional intransparent ist. Was für die Beispiele

dem

 und

die

 im Speziellen gilt, lässt sich für ein gesamtes Kasussystem verallgemeinern. Ist die Anzahl intransparenter Formen des Typs

die

 im Gesamtsystem hoch, so sind Kasusmarker prinzipiell unzuverlässige Indikatoren für semantische Relationen. Je höher hingegen der Anteil transparenter Formen des Typs

dem

, desto höher ist schließlich auch die Validität von Kasusmarkern an sich.



Das Vorhandensein transparenter Kasusmarker wirkt sich in der Regel auf die Wortstellungsvarianz innerhalb einer Sprache aus. Dabei gilt: Je höher die Validität von Kasusmarkern, desto höher ist in der Regel auch die Wortstellungsvarianz innerhalb von transitiven Satzkonstruktionen. Eine geringe Transparenz von Kasusmarkern führt entsprechend zu einer geringeren Wortstellungsvarianz.



In einer Sprache wie dem Niederländischen, das – ähnlich wie das Englische – einen Großteil seiner nominalen Kasusmarkierungen verloren hat, kann es im Prinzip keine Wechselbeziehung zwischen Wortstellungsmustern und Kasusmarkern geben. Morphologische Marker finden sich weder am Artikel noch am Substantiv.6 Die Differenzierung zwischen Agens und Nicht-Agens erfolgt im Niederländischen mittels der Abfolge der NPs im Satz (N > N = AGENS > NICHT-AGENS). Verändert man die Position der NPs im Satz, so verändern sich auch die semantischen Relationen. Im Deutschen hingegen kennzeichnen spezifische Kasusmarker die Relation zwischen Agens und Nicht-Agens, sodass die Position der beiden NPs im Satz vertauscht werden kann, ohne dass damit eine Bedeutungsveränderung einherginge (s. Tabelle 1).








Tabelle 1: Kennzeichnung semantischer Relationen im Niederländischen und Deutschen7



Obwohl das Niederländische wie das Deutsche über Artikel verfügt, bleiben die genusspezifischen Formen

de

 (MASK/FEM) und

het

 (NEUT) kontextübergreifend unverändert. Die Position der nominalen Konstituenten ist damit der einzige verlässliche Indikator für semantische Relationen und hat damit eine besonders hohe Validität.



Tabelle 1 enthält mit Blick auf das Deutsche Sätze des Typs SVO (Beispiele 1, 3, 5 und 7) und OVS (Beispiele 2, 4, 6 und 8). Beide Varianten sind im Gebrauch möglich, jedoch erfüllt nur eine davon die Kriterien, um als Basiswortstellung eingestuft werden zu können. In Hinblick auf die Frage, welche Wortfolge im Deutschen als neutral einzustufen ist, bewegt sich die Diskussion besonders um die Position des Verbs und dabei vor allem um die Kontroverse, ob Deutsch als SOV- (vgl. zum Beispiel Hawkins 1983, Müller 2015) oder SVO-Sprache (vgl. zum Beispiel Greenberg 1963, Dryer 2013) einzustufen ist. Jenseits des Disputs um die Position des Verbs, findet sich in beiden Ansätzen eine zentrale Gemeinsamkeit: Die Realisierung des Subjekts vor dem Objekt wird in beiden Fällen quasi vorausgesetzt. Die Umkehrung der SO-Abfolge zu einer OS-Struktur wird hingegen von pragmatischen Faktoren sowie Dialogstrukturen abhängig gemacht (vgl. zum Beispiel Machate/Hoepelmann 1992). Sätze wie

Den Bruder sieht die Frau

 sind zwar möglich, müssen jedoch als Abweichung vom neutralen Fall gewertet werden. Am stärksten diskutiert wird der Grund für Wortstellungsvarianzen dieser Art (S>O vs. O>S) im Kontext der Funktionalen Satzperspektive. Faktoren wie Thema/Rhema, Figur/Grund, Topik/Fokus spielen für die Wahl der jeweiligen Konstituentenabfolge eine entscheidende Rolle.



In der Regel wird im Deutschen das Topik im Vorfeld realisiert; die satzinitiale Subjektpositionierung kann damit als Prototyp sowie als „universelle Tendenz“ bezeichnet werden (Musan 2010: 35). Wortstellungsvarianz im Rahmen eines transitiven Satzes ist damit ein Mittel der Informationsorganisation im Gespräch. Ein zusätzliches Merkmal in Hinblick auf die potentielle Fokussierung, die durch die Wortabfolgevarianz einhergehen kann, ist die Intonation. Ohne an dieser Stelle auf die einzelnen Möglichkeiten der Hervorhebung und Fokussierung einzugehen (vgl. für einen Überblick Abraham

3

2013, Dürscheid

6

2012 sowie Welke 2002), bleibt festzuhalten, dass in Bezug auf die Abfolge nominaler Konstituenten im Deutschen S>O als kanonisches beziehungsweise unmarkiertes, O>S hingegen als nicht-kanonisches beziehungsweise markiertes Muster einzustufen ist (vgl. auch Haider 2010, Lenerz 1977, Zubin/Köpcke 1985).

 



Die Unterschiede der beiden Varianten spiegeln sich auch in einer ungleichen Verteilung von SO- und OS-Sätzen im Deutschen wider. Anhand einer exem­plarischen Korpusanalyse von Schlesewsky et al. (2000: 67f.), die mithilfe von gesprochenen Sprach-, nicht-fiktionalen sowie fiktionalen Korpora (Analyse von 2826 Sätzen) durchgeführt wurde, lässt sich folgende Tendenz nachzeichnen:8 OS-Sätze kommen prinzipiell in allen Gesprächs- und Textgattungen signifikant seltener vor als SO-Sätze. In der gesprochenen Sprache ist der Anteil von OS-Strukturen mit ca. 10 % am höchsten, danach folgen fiktionale (ca. 8 %) und zuletzt nicht-fiktionale Texte (5 %). Zu ähnlichen Werten für schriftsprachliche Texte kommen Hoberg (1981) sowie Kempen/Harbusch (2005). Etwas höher liegt der Gesamtanteil der OS-Sätze bei Weber/Müller (2004) sowie Bader/Häussler (2010), die auf einen Anteil von 18,5 % beziehungsweise 17,5 % kommen. Bader/Häussler (2010) führen ihre vergleichsweise hohen Werte auf die Tatsache zurück, dass ausschließlich

den

-NPs im Akkusativ Singular und Dativ Plural berücksichtigt wurden und dadurch keine Querschnittsanalyse von OS-Sätzen im Allgemeinen abgebildet wird. Alle vier Korpusstudien kommen zu dem Schluss, dass in nicht-kanonischen Bedingungen das topikalisierte Objekt deutlich häufiger akkusativ- als dativmarkiert ist. Bei Schlesewsky et al. (2002) machen innerhalb der OS-Sätze in allen drei Korpustypen dativmarkierte Objekte jeweils nur ca. 15 % der Vorkommen aus, wobei in absoluten Zahlen der Anteil mit zwei (nicht-fiktionale Texte), fünf (fiktionale Texte) und fünfzehn (gesprochene Sprache) Treffern fast verschwindend gering ist. Zu einem sehr ähnlichen Fazit kommen Bader/Häussler (2010). Auch in ihrer Korpusanalyse, die jedoch ausschließlich Zeitungstexte umfasst und nur Sätze berücksichtigt, die eine

den

-NP (Akkusativ Singular und Dativ Plural) enthalten, sind topikalisierte Objekte in gut 70 % akkusativmarkiert. Dativmarkierte Objekte, die vor dem Subjekt realisiert werden, finden sich hingegen vor allem im Mittelfeld, also zum Beispiel in Form von …

, dass dem Opa der Witz gefallen hat

 oder

…, dass dem Opa ein Malheur passiert

 (ebd.: 734). Die Beispiele illustrieren weiterhin einen zentralen Befund von Bader/Häussler: OS-Abfolgen im Mittelfeld sind gebunden an spezifische Verben und sind somit ein Resultat lexiko-semantischer und nicht syntaktischer Faktoren. Ebenso ist für genau diese verbgebundenen OdatS-Abfolgen im Mittelfeld das Vorhandensein eines belebten Objekts und eines unbelebten Subjekts typisch. Insbesondere in OakkS-Sätzen mit topikalisiertem Objekt im Vorfeld dominiert hingegen die Opposition S vs. O (vgl. ebd: 731)



Es lässt sich also folgern, dass das Deutsche trotz der syntaktische Möglichkeit, OS-Sätze zu verwenden, nur selten davon Gebrauch macht. Problematisch bei dem Befund, dass OS-Sätze meist akkusativmarkierte Objekte enthalten, ist die Tatsache, dass im Deutschen der Akkusativ nur im Maskulinum lokal, das heißt auf Basis des einzelnen Markers identifizierbar ist. Lediglich das Maskulinum verfügt über ein maximal ausdifferenziertes Kasusparadigma; im Neutrum und Femininum finden sich diverse Synkretismen (s. Tabelle 2).








Tabelle 2: Kasussystem des Deutschen (Singular)



Aus Tabelle 2 geht zunächst hervor, dass Kasusmarker im Deutschen überwiegend am Artikel zu finden sind. Das Substantiv wird nur im Genitiv Maskulinum und Neutrum Singular (

Mann-es

,

Kind-es

) sowie im Dativ Plural in allen Genera (

den Männer-n/Frau-en/Kinder-n

) zusätzlich flektiert. Hinzu kommt im Deutschen eine schwache Deklinationsklasse, die Maskulina umfasst, die in beiden Numeri mit dem Flexionsmorphem

-n

 markiert werden (zum Beispiel

den/dem/des Junge-n

). Insgesamt ist die formale Kasusinformation jedoch in der Regel ausgelagert und zeigt sich am Determinierer sowie in komplexen Nominalphrasen am Adjektiv, sofern dieses stark flektiert wird (zum Beispiel

ein groß-e

snom/akk

Kind

). Tabelle 2 zeigt weiterhin, dass der Artikel

den

 der einzige transparente, das heißt nicht multifunktionale Marker im Singular ist. Alle übrigen Formen decken mehrere Funktionen ab. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Formen einen Kasus abdecken und in zwei Genera formidentisch sind, oder ob eine Form in verschiedenen Kasus auftritt. So ist

dem

 ausschließlich Dativ- und damit Rezipiensmarker, wird jedoch sowohl im maskulinen als auch neutralen Paradigma verwendet. Selbiges gilt für

d