Gaunerinnen

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„Ich bring die Schlampe um! Ich habe sie zu dem gemacht, was sie ist, sie von der Straße geholt, diese dreckige Hure, und ich bringe sie um! Dieses Mal schweige ich nicht, und ihn mache ich auch kalt!“

Das alles murmelte Stella vor sich hin und setzte sich auf den Rücksitz des Taxis. Die Adresse des Bastards nannte sie dagegen fast schreiend. Nach einer Minute bat sie den Taxifahrer anzuhalten. Sie wollte aussteigen, nicht zu Sergeij fahren, dieses erniedrigende Spektakel nicht sehen. Ganz sicher hatte Natalja ihn schon gefickt und ihn dazu gebracht, sie anzurufen, um alles zu gestehen wie ein anständiger Mensch. Sie wusste sogar, wie diese Schlange ihn bearbeitet hatte:

„Mein Gott! Was haben wir getan? Arme Stella! Wir müssen ihr gemeinsam die Wahrheit sagen. Sie wird es nicht gern hören, aber wir müssen ehrlich zu ihr sein. Ruf sie sofort an!“ Stella stellte sich das Gesicht ihrer Freundin vor, das vor Freude strahlte. Ein wahrer Triumph, neuer Sieg über die hochnäsige Eiskönigin, die niemand will.

Stella dachte zehn Minuten nach und beruhigte sich etwas. Sie begann die Situation nüchtern zu analysieren.

„Woran ist Natalja eigentlich schuld? Daran, dass die Männer Scheiße sind? Und dass sie dafür den lebenden Beweis hat? Ein Beweis aus dem realen Leben! Nicht aus dem Leben, wie es in schönen Romanen beschrieben wird, sondern aus dem wirklichen Leben, an das man nicht glauben will, das man idealisiert, um nicht verrückt zu werden.“ Stella dachte, dass sie nie einen Mann finden würde, der ihrer Lebenseinstellung entsprach. Sie wollte keinen Märchenprinzen auf einem weißen Ross. Heute waren sie sowieso alle eher auf Weißwein. Entweder war einer ein Depp oder ein Alki. Sie brauchte einen ergebenen, guten Mann. Wie jede Frau wollte sie geliebt werden, wollte die einzige sein und ihrerseits nur einem Mann gehören. Sie hoffte doch, dass sie etwas Besseres war als ein Callgirl. Irgendjemand würde ihre guten, aber leider verborgenen Eigenschaften schon noch erkennen. Aber anscheinend interessierten sich die Männer nur für weibliche Genitalien.

Stella versuchte ihr Herz in den Griff zu bekommen, als sie mit verschwitzter Hand auf den Klingelknopf drückte und ein kaltes Gesicht aufsetzte, um vor seiner Tür auf die Hinrichtung ihrer Seele zu warten. Sie zitterte. Der Hass auf diesen Mann erfüllte sie.

Sergej öffnete die Tür, sie ging hinein. Erhobenen Hauptes, ohne die Schuhe auszuziehen, schritt sie ins Gästezimmer und schrie:

„Hallo Natalja! Wo bist du?

Keine Antwort. Dann drehte sie sich um und warf dem Mann einen so brennenden Blick zu, dass er einen Schritt zurück machte und flüsterte:

„Sie ist im Schlafzimmer.“

In diesem Moment verpasste ihre Hand ihm automatisch eine Ohrfeige, die so gewichtig und saftig war, dass die Handfläche rot wurde und die Fingerspitzen prickelte.

Mit kleinen Schritten ging sie ins Schlafzimmer und sah dort ihre völlig nackte, betrunkene Freundin auf dem Boden sitzen. Sie war mit Handschellen an den Heizkörper gefesselt. Daneben standen eine fast leere Flasche Wodka und ein Glas. Natalja hob den Kopf und zischte mit kaum beweglicher Zunge wie eine Schlange:

„Stella, ich hasse dich.“

Stella begann, fieberhaft zu lachen, sei es wegen dieses Anblicks oder wegen der Erkenntnis, dass sie nach so langer Zeit und so vielen Enttäuschungen diese auf männliche Genitalien versessene Kreatur endlich in die Enge getrieben hatte. Und dazu noch mit so einer Schmach!

Nach diesem Zwischenfall wurde Stella selbstbewusst. Sie war sich nun sicher, dass Nata für sie keine Rivalin war, in keinerlei Hinsicht. Und dass sie ihr Leben sie auf ihrem eigenen Weg führte. Aber Natalja kam nicht zur Ruhe. Diese Geschichte erbitterte sie gegen Stella. Sie achtete darauf, was diese trug, wie sie sich Männern gegenüber verhielt. Natalja fing an, sie teilweise zu kopieren und sich Markenkleidung zu kaufen, vor allem in Pastellfarben. Stella hatte nicht so viel anzuziehen: einige Blusen, Hosen und Röcke, aber alles von Designern. Natalja trug dagegen mit Vorliebe bunte Klamotten und viele davon, dazu vor allem Slips in grellen Farben.

So begann ein neuer Abschnitt in Nataljas Leben. Prostitution und Betrug unter Stellas Leitung brachten ihr gutes Geld. Natalja selbst glaubte freilich, sie wäre die Chefin in diesem Geschäft. Stella lernte, Natalja perfekt zu manipulieren. Dabei ließ sie ihr volle Handlungsfreiheit. Die trivialen Wünsche der Freundin nach Sex und Geld verstand Stella gut. Deshalb war es nicht schwer, sie zu lenken. Stella wollte, dass Natalja Sex nach Stundenplan im Rahmen eines Geschäfts mit dem Titel „Besuch des Ausländers“ hatte und dafür ein Honorar in entsprechender Höhe erhielt. So waren beide zufrieden. Endlich hatten die Mädchen einen Mittelweg in ihrer Beziehung gefunden. Hand in Hand gingen sie einem Ziel entgegen. Dieses Ziel hieß Kohle.

Natalja war von dem neuen Hobby sehr begeistert. Sie nahm gern an den Theateraufführungen und dabei im Gespräch mit den Kunden auch noch ihre Sprachkenntnisse zu erweitern. Sie begann sogar einen Liebesbriefwechsel mit einem Franzosen, der in Genf in der französischsprachigen Schweiz in Genf wohnte. Um genau zu sein war seine Mutter Französin und der Vater war Iraner. Der hochgewachsene, gutaussehende, schwarzhaarige Mann besuchte Natalja oft. Sie versteckte ihn vor der aufdringlichen Stella, damit diese ihm kein amüsantes Spektakel vorführte, wie sie es bei ihren Kunden tat, mit Beerdigung, Hochzeit und ähnlichem. Sie erinnerte sich noch an einen lustigen Vorfall.

Bei einer der Aufführungen von Stellas Theatertruppe kam die Schauspielerin nicht, die die Mutter der Braut darstellen sollte. Natalja spielte die Braut, Stella deren Schwester. Die Hochzeit war gefälscht. Die Namen waren geändert worden. Die Gäste und selbst das Standesamt mitsamt der ganzen Zeremonie waren Teil der Aufführung, die Stella klug durchdacht hatte.

Für alles zahlte natürlich der Bräutigam aus der Schweiz. Es wurde angeblich als Geschenk für die Schwester seiner zukünftigen Ehefrau arrangiert. Die Hochzeit kostete 10.000 Dollar. Natürlich stimmte er nur widerstrebend zu, denn anfangs war nur von ein paar Tausend die Rede. Aber ihre armen Verwandten! Da blieb ihm nichts anderes übrig. Was tut man nicht alles für die Liebste, wenn sie bittet.

„Wo ist denn Ihre Mutter?“, fragte der Schweizer verwirrt.

„Sie ist wohl aufgehalten worden, oder sie ist so aufgeregt, dass ihr schlecht geworden ist. Ich schaue mal zu Hause nach.“

„Verdammt! Wo ist die blöde Kuh?“, sagte Stella Natalja ins Ohr. Vielleicht wollte sie, dass niemand sie hörte.

„Ich weiß nicht. Einfach abgehauen. Sie will wohl nicht unsere Mama spielen.“

„So eine Schlampe! Gerade vor der Unterschrift! Bestes Timing! Was jetzt? Wir müssen eine andere finden! Der Bräutigam hat sie noch nicht gesehen. Also kann es irgendjemand sein. Such! Schnell!“ Egal wo! Ich unterhalte inzwischen die Leute.“

Natalja rannte los, ihre Mutter suchen. Sie bot den ersten besten Frauen auf der Straße Geld an und bat sie, für ein paar Stunden ihre Mutter zu spielen. Aber es war gar nicht so einfach. Die Frauen wichen vor ihr zurück wie vor einer Wahnsinnigen. In einer Unterführung sah sie eine Bettlerin. Sofort lief sie zu ihr und erzählte, was sie vorhatte.

Die Frau öffnete vor Überraschung den Mund, aus dem es nach Aas roch. Natalja trat einen Schritt zurück und befahl:

„Mutter, mach dich bereit!“

Als sie den Betrag nannte, den die Bettlerin erwarten könnte, vergaß diese alle Zweifel und folgte schleunigst der schönen Tochter.

„Stella bringt mich um für so eine Mutter!“, sagte Nata laut ohne Rücksicht auf die Passanten. Was jetzt? Sie schaute auf die Uhr und beschloss, das Mütterchen in der nächsten Boutique aufzupeppen. Ein Kleid musste her! Man war ja nicht jede Woche Brautmutter!

Nach einer Stunde brachte sie die Pennerin mit gelben Fingernägeln und faulen Zähnen, ausstaffiert mit einem gefälschten Gucci-Kleid, ins Restaurant, wo die Hochzeit gefeiert wurde.

Beim Anblick der Strolchin verschlug es vielen Gäste die Sprache. Der Schweizer zog bloß ratlos eine Augenbraue hoch, Stella dagegen erstarrte. Und plötzlich rief die Scheuche, die nur drei Zähne, dafür aber eine gewaltige Fahne hatte, laut in Richtung Stella:

„Guten Tag, Töchterchen!“

Völlig schockiert von diesem Auftritt war der Mann, der die Rolle des Vaters der Mädchen, eines armen, intelligenten Lehrers spielte. Er wurde fast ohnmächtig. Diese Erscheinung sollte seine Frau sein! Der Schweizer brach das Schweigen mit dem schlichten, zurückhaltenden Satz:

„Dass so schöne Töchter so eine Mutter haben können!“

Stella erklärte mit bitterer Stimme und Tränen in den Augen:

„Eigentlich solltest du sie gar nicht zu sehen bekommen. Sie ist Schande unserer Familie! In ihren jungen Jahren war sie die erste Schönheit der Hauptstadt!“

Bei diesen Worten fiel dem angeblichen Brautvater das Sektglas aus den Fingern. Das Mütterchen mit seiner Neigung zum Alkohol starrte voll Bedauern auf den Boden, wo die prickelnde Flüssigkeit zerrann. Den Ereignissen um sich herum schenkte sie keine Aufmerksamkeit.

„So war das nicht abgemacht“, begehrte jetzt der „Papa“ auf. „Mit solchen Hauptstadtschönheiten habe ich nie geschlafen. Pfui!“

Da kapierte Natalja, dass es um einen Skandal nicht herumgekommen würde und schrie:

„Das Brautpaar soll sich küssen! Küssen!“ Sie gab den Musikanten ein Handzeichen, dass sie spielen sollten. Der Vater schenkte sich ein Glas Wodka ein, trank es auf einen Zug aus, beruhigte sich wieder und begann eine Unterhaltung mit dem Schweizer. Dabei kannte er nur zwei Wörter auf Englisch: „Yes, yes.“

Jedes Mal, wenn sich die Freundinnen an diesen Vorfall erinnerten, lachten sie lange und erzählten einander sämtliche Details aufs Neue. Und sie hatten jede Menge solcher Geschichten. Natalja lernte andere Mitglieder ihrer lustigen Gesellschaft kennen. Bei einer guten Flasche Wein war es keine Sünde, sich über Onkel Wowa, den Leiter des Friedhofs, lustig zu machen. Und wer war der Leiter des Friedhofs? Natürlich der Wächter. Ein witziger Typ. Er murrte ständig, regte sich auf.

 

„Ich hab es satt, für euch Gotteslästerinnen Löcher zu buddeln! Ihr beerdigt Leute wie am Fließband! Schämen solltet ihr euch!“

„Die Särge sind doch alle leer, Onkel Wowa!“

„Gott sei Dank, dass sie leer sind!“

Aber beim Anblick eines 100-Dollar-Scheins veränderte er sich rasant, seine Stimme und Körperhaltung bekamen die Würde eines Mannes, der Geld in frei konvertierbarer Währung besitzt. Dann sagte er:

„Ihr macht alles richtig! Sie haben es verdient! Geschieht ihnen recht, diesen alten Perverslingen! Sie kommen hierher, holen unsere jungen Mädchen weg und machen mit ihnen weiß Gott was! Dort in diesem Amerika!“

Sie lachten über ihn bis zum Umfallen. In Wirklichkeit mochte er das Begräbnistheater, das die Mädchen erfunden hatten. Dabei konnte man sich ordentlich die Kehle anfeuchten, fürstlich essen und etwas mit nach Hause nehmen. Dafür hatte er ein paar große Tragetaschen parat. Das einzige, worüber sich Onkel Wowa beschwerte, waren die Klageweiber. Er sagte:

„Wegen der Weiber, die für Geld weinen, kriege ich noch einen Herzinfarkt. Ich heule ja selber mit und beweine die leeren Särge. Sie jammern einfach so traurig! Schlampen! Es zerreißt einem die Seele! Ich weiß noch, wie sogar ein Kunde von euch, ein Deutscher, Drecksnazi, feuchte Augen bekam! Und ich habe auch noch ein slawisches Herz! Das wird das Gejammer nicht mehr lange ertragen! Und wenn ich sterbe, wer soll euch dann für die paar Groschen Löcher buddeln?“

Die Freundinnen lachten so laut, dass es auf dem ganzen Friedhof zu hören war.

Natalja sollte bald ihr Studium beenden. Saweli war froh darüber und konnte es kaum erwarten, seine unbegabte Studentin in nächster Zukunft loszuwerden. Die Situation an der Universität war für ihn ungünstig und seine Muse hatte ihn enttäuscht.

„Geistloses, billiges Miststück“, dachte er. „Und ich bin ein alter Trottel!“ Manchmal kam ihm der Gedanke, dass er wegen Überschreitung seiner Befugnisse im Gefängnis landen könnte. „Dank mir hatte sie ja immer die besten Noten. Werden ihre Kenntnisse geprüft, kommt sofort heraus, dass ich ein alter Wüstling und ein korruptes Schwein bin. Diese blonde Studentin mit ihren rosigen Brustwarzen war offensichtlich unfähig, einen Hochschulabschluss zu erwerben. Und drogenabhängig war sie außerdem!“

Einmal hatte er sie auf der Toilette mit Amphetamin ertappt. Danach verlor er das Interesse an Natalja, begann sich sogar vor ihr zu scheuen und sie zu meiden.

Sie wiederum erklärte ihm, sie könne unter dieser Droge schneller lesen.

„Lesen allein reicht nicht, um sich Wissen anzueignen! Du musst den Sinn verstehen! Um dich mit einem Text auseinanderzusetzen, musst du vollkommen nüchtern sein! Aber du verstehst gar nicht, worum es sich handelt“, hatte der Dekan sie einmal angefahren.

Worauf er eine Antwort bekam, die zu hören er mehr als alles andere im Leben fürchtete:

„Schatz, sieh es ein. Ich muss mein Studium abschließen, koste was es wolle! Und du hilfst mir dabei! Sonst müsste ich doch einmal deine Frau kennenlernen und bei einer Tasse Tee ein nettes, aber ganz bestimmt langes Gespräch mit ihr führen.“

Er wusste, dass sie zu dieser Gemeinheit sehr wohl fähig war. Und er wollte auf keinen Fall seine Familie verlieren, die für ihn letztendlich eine Art Rückendeckung war. Sein Haus empfand er als eine Art Tempel der Ruhe.

Vielleicht würde ihm seine Frau den Seitensprung verzeihen, aber wahrscheinlich würde sie ihn nie mehr in Ruhe lassen. Er bekäme garantiert Vorwürfe zu hören und würde ständig überwacht. Wenn seine gescheite Frau auch nur den kleinsten Anlass zu einem Verdacht fände, würde sie sicher noch interessante Dinge entdecken. Er war nun einmal nicht der frömmste und treuste Ehemann.

Natalja hatte wohl ein bisschen Mitleid mit ihm, aber er ließ ihr keine Wahl. Sie musste sie den Langweiler unter Druck setzen und beschenkte ihn mit den verschiedensten Sachen – mit Schweizer Schokolade, Käse, fruchtigen Likören, allerlei Delikatessen, die sie von den Ausländern erhielt. Außerdem lutschte sie sein schlaffes Glied einmal in der Woche, nach Stundenplan, wie sie es auch in den vergangenen Jahren immer getan hatte.

„Meiner Meinung nach ist das mehr als ein guter Preis für ein Diplom! Ich habe den alten Langweiler viel zu sehr verwöhnt!“

Saweli beschwerte sich im Prinzip auch nicht, er hatte nur Angst, seine Stelle zu verlieren, bevor er in den Ruhestand ging.

Endlich hatten die Mädchen genug Geld zusammengespart, um sich Autos leisten zu können!

Was für eine Freude! Und stolz waren sie ebenfalls! Die beiden parkten jetzt ganz souverän ihre gleich aussehenden schwarzen Lexus-Offroader vor der Uni. Das Leben auf den eigenen vier Rädern war noch cooler als vorher! Für sie schien es geradezu Geld zu regnen. Mit solchen Schlitten konnten sie überall und mit allen Kontakte knüpfen. Sie schlossen Verträge mit Hotels, Restaurants, Shops, machten überall Gewinn, waren von vielen Ausländern umgeben. Sie hatten Spaß und amüsierten sich.

„Das nenne ich einen Job!“, sagte Nata. „Das reinste Kinderspiel!“

Die Freundinnen kauften für das Geld der Kunden verschiedene Waren ein und gaben sie am nächsten Tag zurück. Auf diese Weise wanderten Hunderte von Dollar in ihre Taschen.

Stella war eine leidenschaftliche Person mit einer besonderen Vorliebe für Spielbanken. Sie spielte manchmal betrunken, setzte das ganze Geld auf Rouge und Noir und verlor ständig.

Natalja legte jeden Groschen auf die Seite. Sie hatte gemischte Gefühle hinsichtlich der Verluste ihrer Freundin und Rivalin. Es war ihr selbst nicht klar, ob sie ihr Freude bereiteten oder doch eher Missfallen erregten. Aber nach einem verlorenen Spiel endete Stellas Abend gewöhnlich mit einer angenehmen Bekanntschaft. Das schmeichelte ihr und ärgerte ihre Freundin.

Ihre Beziehung mit Sergej ging letzten Endes in die Brüche. Als er erfuhr, dass sie Männer ausnahm, stellte er eine Bedingung:

„Entweder ich oder dein Job.“

Damit verurteilte er sich selbst zum Leiden. Stella trauerte einige Monate, aber dann wurden ihre Gefühle von der Vernunft besiegt. Es war noch zu früh, eine Familie zu gründen. Außerdem war der wichtigste Grund ihrer Gefühle für Sergej die Tatsache, dass er die Schlampe an den Heizkörper gefesselt hatte. Als Mann passte er kaum zu ihr. Er war ein eifersüchtiger Typ, der davon träumte, sie zu Hause bei Kindern und Eintopf einzusperren.

„Nein! Das lasse ich nicht zu! Ich werde ein bisschen leiden, und danach wird alles gut.“

Sie mochte Männer von höherem Niveau, die reich, beredt und weit gereist waren. Gewöhnlich traf sie solche Männer im Kasino. Stella hielt sich für wohlhabend, aber sie wusste von ihrem Hang, mit Geld leichtsinnig umzugehen. „Geld heckt Geld“, war ihr Motto. Das war eine Tatsache des Lebens, so oder so.

Natalja dagegen würde ohne einen Sponsor nicht einmal bei McDonalds essen gehen. Deshalb gingen sie normalerweise getrennt aus und trafen sich nur zu dem einen Zweck, mit neuer Beute zu prahlen – sei es ein Banker, ein ausländischer Tycoon oder ein ähnliches Opfer. Dabei liebten es die beiden Mädchen, ihre Eroberungen auszuschmücken. Nicht selten war ein junger Erdöl-Tycoon in Wirklichkeit nur der betagte Inhaber von einem Dutzend Ständen auf dem Markt, die allerlei Kram verkauften, oder ein Biergartenbesitzer. Lustig war es trotzdem!

Natalja überlegte, was sie machen würde, nachdem sie ihr langersehntes Diplom bekommen hätte. Sie wollte ihrem Beruf nachgehen und die erworbenen Kenntnisse in der Praxis einsetzen. Dabei war sie sich hundertprozentig sicher, dass sie im Vergleich zu den anderen die Beste wäre. Sie behauptete, dass sie ihre Diplomarbeit ohne jede Hilfe von Saweli selbst verfasst hätte. Als dieser das hörte, staunte er mächtig. Aber er wusste ja, dass alle dummen und ungebildeten Menschen sich für großartig halten. Wirklich kluge Köpfe dagegen waren bescheiden.

Stella wiederum war der Meinung, dass Frechheit und Selbstvertrauen die Schlüssel zum Erfolg seien. Wer diese Eigenschaften hatte, konnte ein schwarzes Viereck auf ein weißes Blatt Papier malen und mit größter Selbstverständlichkeit für Millionen Rubel verkaufen, während die Bilder, an denen andere tage-, wochen-, monate-, gar jahrelang mühevoll gearbeitet hatten, für ganze tausend Hrywnja an der U-Bahn-Station verscherbelt wurden. Darum bestand die Genialität eines genialen Menschen zweifellos in seiner listigen Natur und im Selbstvertrauen. Denn das Leben ist ungerecht. Im Unterschied zu Saweli glaubte Stella, Natalja hätte die erforderlichen Fähigkeiten, nicht nur bei einer Bank zu arbeiten, sondern eine leitende Position zu bekleiden. Zu dieser Überzeugung kam sie aufgrund ihrer persönlichen Lebenseinstellung.

Natalja wurde tatsächlich einmal zu einem Vorstellungsgespräch für eine Anstellung als Bankkassiererin eingeladen und seltsamerweise auch sofort eingestellt. Aber es gab eine Unannehmlichkeit. Der Lohn betrug mickrige hundert Dollar, berechnet in US-Währung.

Natalja war geschockt. Sie erzählte ihrer Freundin fast unter Tränen, diesen Betrag hätte sie problemlos verdienen können, auch ohne an einem Schalter neben fetten alten Kassiererinnen zu sitzen.

„Hahaha!“ Stella bekam feuchte Augen vor Lachen. „Du vergeudest deine Zeit, Natalja! So eine Stelle kannst du annehmen, wenn deine persönliche Bank zwischen deinen Beinen keinen Gewinn mehr bringt. Wozu brauchst du das jetzt?“

„Ich will aufhören, Stella! Ich habe Angst!“

„Wovor?“

„Vor der Strafe Gottes.“

„Das fällt dir ja rechtzeitig ein, Mädchen.“

„Spotte bitte nicht.“

„Also gut, Spott beiseite. Geh ruhig für einen Hunderter malochen, ich hab nichts dagegen.“

„Stella, versteh doch. Den Leuten geht allmählich auf, dass unsere Agentur reine Betrügerei ist. Sie schreiben böse Kommentare auf unserer Webseite. Ich fürchte, dass die Bullen uns bald schnappen. Dann sind wir sind erledigt! Tschüss, Mama! Schick mir Briefe ins Gefängnis!“

„Jetzt erschreck mich nicht! Ich habe keine Lust auf Knast.“

„Du weißt doch selber, vor dem Gefängnis ist niemand sicher.“

„Das weiß ich, aber sitzen würde ich nicht. Lieber sterben.“

„Jetzt erschreckst du mich.“

Stella wurde nachdenklich. Sie wog das Für und Wider ab und sagte:

„Du hast recht. Wir haben jetzt weniger Leute und der Ruf der Firma ist alles andere als erfreulich, da lässt sich nicht leugnen. Wir nehmen alle um uns herum aus, bezahlen unser Studium, trinken, spielen in Kasino und geben Geld aus.“

„Bitte nicht verallgemeinern. Ich spare.“

„Also gut, ich gebe mein Geld aus. Aber was du dir zusammengespart hast, würde dir bei deinen Ansprüchen auch nicht zum Leben reichen, oder?“

„Natürlich nicht.“

„Das bedeutet, dass wir eine andere Einnahmequelle brauchen.“

„Ja, ja! Wir müssen die Firma dichtmachen, Stella! Mein Herz sagt mir, dass etwas nicht stimmt.“

„Gut, lass mich überlegen, was wir unternehmen könnten.“

Stella verließ ihre Freundin etwas verwirrt und missgelaunt. Die Gedanken drehten sich in ihrem Kopf auf der Suche nach einer Idee. Sie wollte nicht ohne Natalja weitermachen, die beiden arbeiteten ja trotz aller Meinungsverschiedenheiten ganz gut zusammen, verstanden einander auf Anhieb. Natalja könnte mit einer normalen Arbeit problemlos Geld verdienen und dazu noch ihr altes Gewerbe am Wochenende betreiben. Aber Stella hätte damit Schwierigkeiten. Sie ging nur mit Männern ins Bett, die sie wirklich mochte. Das einzige, womit sie gut verdienen konnte, waren Gaunereien, ihre Theateraufführungen, wo sie ihre Kunst, Tränen zu vergießen, wann immer sie es brauchte, geschickt einsetzte. Nicht damit, ihren Körper zu verkaufen. Das war nicht ihr Ding. Das Bett, Küsse, intime Beziehungen endeten für sie nicht mit Phrasen wie: „Ihre Zeit ist abgelaufen. Möchten Sie verlängern?“ – „Nein, zieh dich an und hau ab, du Schlampe!“

Sie musste noch ein Jahr in Kiew arbeiten, wenn sie ihr Studium nicht abbrechen wollte. Ihr war es wichtig, die Universität abzuschließen. Natalja sollte ihr Diplom in diesem Jahr erhalten, Stella erst im nächsten.

„Was jetzt? Denk gefälligst!“, befahl Stella, die konservative Strategin, sich selbst.

Hurr!

Der Erhalt ihres Diploms war ein großes Ereignis in Nataljas Leben. Endlich hatte sie sich aus dem Netz dieses verdammten Studiums befreit, dem sie sowieso nur flüchtig nachgegangen war, weil eine ganz andere Tätigkeit sie voll auslastete. „Diese fünf Jahre waren eine reine Hölle! Ein Rattenrennen!“ Selbst ein Hamster in seinem Laufrad war nicht so müde, körperlich und psychisch, wie Natalja. Gott sei Dank hatte sie immerhin keine Geldprobleme! Das war die Hauptsache.

 

Sie weinte und lachte gleichzeitig. Offenbar hatte das Amphetamin ihre Nerven endgültig zerstört. Sie wurde aggressiver und schrie unwillkürlich Menschen an.

Das fiel ihr selbst auf und sie hatte Angst davor, durchzudrehen. Um sich zu beruhigen, ging sie zu den zwei hübschen Jungs, mit denen sie gleichzeitig und völlig gratis schlief. Für die Seele.

Die Jungs hatten immer Ecstasy dabei. Sie pumpten Natalja damit voll und fickten sie dann in alle ihre Löcher. Danach fuhr sie weiter feiern, zog von einem Klub zum anderen, soff sich total zu und fiel von Barhockern. Das war ihre Spezialität. Es passierte gewöhnlich dann, wenn sie stockbetrunken am Tresen saß und versuchte, abgestützt auf ihren nicht mehr kippsicheren Ellenbogen, anständig auszusehen. Krabummm!

Sie krabbelte zurück, klammerte sich an die dünne Querstange des Barhockers und zog sich wie eine Stripperin hinauf. Ein hartes Stück Akrobatik. Aufgerüttelt von ihrem Sturz, wurde Natalja etwas nüchterner, zog sich aus, verscheuchte die Stripperinnen von der Stange und tanzte nackt. Dann kroch sie nach Hause, mit Männern, die sie immer wieder bestahlen, aber sie wusste nicht einmal deren Namen. Am Morgen rief sie Stella an und beschwerte sich über die zwei Jungs, bei denen sie am Abend zuvor gewesen war und die beim Rundfunk arbeiteten. Stella rief ihrerseits die Jungs an und hörte jedes Mal neue blamable Abenteuer ihrer Freundin in respektablen Etablissements. Die Freunde hatten einfach keine andere Wahl, als sie stockbesoffen und unter Drogen zurückzulassen und wegzugehen.

„Ach, bist du mal wieder beraubt worden? Und weißt nicht von wem? Bist du sicher, dass du dir noch kein AIDS geholt hast? Das würde mich wundern!“

„Verpiss dich, Stella! Den Pips sollst du kriegen! Ich habe immer Kondome dabei. Oh! Ich habe Bier im Kühlschrank gefunden. Komm rüber, wir trinken eins!“

„Bin schon unterwegs.“

Wenn sie an die verrückte Natalja dachte, kam sie zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich nicht von nur einem Mann beraubt worden war. Vielleicht waren es eher fünf oder sechs im Laufe der Nacht gewesen. Diese Dame war verwöhnt und auf Drogen völlig inadäquat.

„Hallo!“

„Oh! Stella, komm rein. Schau mal, wie leer es jetzt bei mir ist. Wenigstens die Möbel haben sie stehenlassen, diese Arschlöcher! Aber die Gläser, die du mir geschenkt hast, haben sie geklaut.“

„Ja, ich weiß noch, diese Gläser habe ich dir nach dem vorigen Raub geschenkt“, sagte Stella sarkastisch, als sie die Tränen im Nataljas Gesicht bemerkte.

„Du bist fies, Stella! Du hast nichts, was geklaut werden könnte, und darum machst du dich über mich lustig! Meine Wohnung ist gut ausgestattet, ich habe alles.“

„Ich sehe nur jede Menge Kram. So viel könnte kein Dieb mitnehmen! Deine Wohnung ist der reinste Flohmarkt!“

„Und du, Stella, wenn du betrunken bist, verschenkst du alles. Du bist schon mehr als einmal in einer leeren Wohnung aufgewacht.“

„So werde ich jedenfalls nicht ausgeraubt.“

Die Mädchen lachten.

„Ich habe dir doch den Rat gegeben, die Wertsachen entweder bei der Bank zu deponieren oder zu mir zu bringen. Fremde Sachen verschenke ich nicht.“

„Wer weiß!“

Natalja hatte nicht so viel Vertrauen in Stella. Und noch weniger in alle anderen auf diesem Planeten. In ihrem Leben gab es keinen Platz für einen solchen Menschen. Sie war kleinlich und krämerhaft. Sie versteckte all ihre Ersparnisse in Socken und Wänden. Während ihre Nachbarn bei der Arbeit waren, bohrte Natalja eigenhändig mit dem Schlagbohrer die Löcher in die Wände und gab das als Renovierung aus. Bevor sie anfing, beobachtete sie genau und verfolgte mit unverwandtem Blick jeden, der aus dem Haus ging. Dann klingelte sie der Reihen nach an allen Türen in der Nachbarschaft, um zu überprüfen, ob die Nachbarn wirklich ihre Wohnungen verlassen hatten.