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KAPITEL 2
Kennzeichen der kirchlichen Sprache

Wenn der Berliner Historiker Paul Nolte, Sohn eines Pfarrers, ehrenamtlicher Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin und Mitglied der EKD-Synode, die kirchliche Sprache beschreiben soll, dann fällt ihm schon nach wenigen Minuten Otto Waalkes ein. Der ostfriesische Komiker erzählt in seinem Sketch „Das Wort zum Montag“, dass er neulich in seiner Musikbox geblättert und die Zeile gefunden habe:

„‚Theo, wir fahr’n nach Lodz!‘

Nun, was wollen uns diese Worte sagen?

Da ist von einem Menschen die Rede. Von einem ganz bestimmten Menschen. Nicht Herbert, nicht Franz, nicht Willy, nein, Theo ist gemeint. Aber um welchen Theo handelt es sich? Ist es nicht auch jener Theo in uns allen? Jener Theo, der in so wunderbaren Worten vorkommt, wie Theologie, Theodorant, Tee oder Kaffee? Und an diesen geheimnisvollen Theo ist eine Botschaft gerichtet:

‚Theo, wir fahr’n nach Lodz!‘

Vier fahr’n. Da sind also vier Menschen unterwegs. Und wer sind diese vier? Sind es die vier Jahreszeiten? Die vier Musketiere? Oder sind es vier alle?“

Der Sketch von Otto ist über 40 Jahre alt – und schon damals wies die kirchliche Sprache bestimmte Eigenheiten auf, die so deutlich waren, dass sie leicht persifliert werden konnte. Zum Beispiel das „Wir“. Es ist noch heute ein häufiges Kennzeichen der kirchlichen Sprache, der Gebrauch der ersten Person Plural: „Lass uns“ oder „Wir“. Es ist ein umarmendes Wir – wie auch bei „Uns alle“. Der Münchner Theologe Friedrich Wilhelm Graf argumentierte schon vor Jahren, die evangelische Kirche predige zu häufig einen „Kuschelgott“, was einher gehe mit einem „Umstellen auf einen Psychojargon, in dem es permanent um das ‚Fühl dich wohl‘ geht und in dem elementare Spannungen und Widersprüche des Lebens kaum noch eine Rolle spielen … Aber es käme doch gerade darauf an, die existenziellen Spannungen des Lebens religiös zu deuten und nicht einfach durch ein bisschen Wohlfühlrhetorik zum Verschwinden zu bringen“.

Wodurch ist die kirchliche Sprache gekennzeichnet? Sie ist, gerade beim Predigtton, zum einen häufig stark moralisierend und wertend. Sie arbeitet oft mit rhetorischen Fragen und benutzt nicht selten Wortspiele, die manchmal ins Kalauerhafte abrutschen – in der Hoffnung, darüber erschlössen sich neue Bedeutungen.

Wie stark die kirchliche Sprache ist, zeigt sich darin, dass man in sie verfallen kann, auch wenn man das gar nicht will. Auch Geistliche, die sehr bewusst, ja manchmal brillant mit der Sprache umgehen, wie etwa der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, sind sich der Verlockung der kirchlichen Sprache bewusst, gerade weil sie nach vielen Jahren im geistlichen Amt so leicht über die Zunge geht: „Es gibt Worte, die ich versuche, aus meinem Wortschatz zu eliminieren – aber manchmal rutschen sie auch mir durch. Das Wort ‚gleichsam‘ oder ‚Ein Stück weit‘ – beides kommt häufig vor. Ebenso die Wörter oder Redewendungen ‚vielleicht‘, ‚bedeutsam für die Seele‘ oder ‚Jesus würde es heute vielleicht so sagen‘.“

Die kirchliche Sprache ist ein Gruppenidiom, in das man häufig hinein sozialisiert wird, zuerst wird es passiv verstanden oder gesprochen. „Aber ab einem bestimmten Punkt merkt man, dass man selbst anfängt, so zu ‚kirchlichen‘“, so beschreibt es der Münchner Theologieprofessor Reiner Anselm, Vorsitzender der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD. Die kirchliche Sprache empfinden viele Kirchenleute fast wie einen Zwang, in den man gerät, sobald man einige Jahre für die Kirche arbeitet.

Der katholische Münsteraner Dogmatiker Michael Seewald zählt zur kirchlichen Sprache „Unworte“, die man eigentlich vermeiden wolle. Mit leichter Selbstironie sagt er: „Ich falle zum Beispiel auf die Wortkombination ‚immer wieder‘ selbst immer wieder herein, obwohl mich das bei anderen stört.“ Irgendwann aber habe man sich ein Reservoir an Phrasen kirchlicher Prägung zurechtgelegt. Und vielleicht stimmt es, was viele erfahrene Predigerinnen und Prediger sagen, dass man bei Predigten kaum um Floskeln herum komme.

Ein Problem der kirchlichen Sprache ist, dass sie auf einen oft veralteten Wort- und Bilderschatz von rund 2.000 Jahren zurückgreifen kann, der sich angesichts der intensiven Ausbildung der Theologinnen und Theologen mit dieser Tradition allzu leicht in die heutige Sprache hinein schleicht.

Diese alte Tradition ist prägend. Manche sehen in dem „Kirchensound“ einen Ausdruck der kirchlichen Architektur der „Gestalteten Mitte“, die nur noch Insidern etwas sagt oder nur noch sie bewegt. In den Schaukästen oder den Gemeindebüros von Kirchengemeinden finden sich seltsame Poster, auf denen über Schafherden häufig Worte von gestern stehen. Es ist verführerisch, sich einer alten Sprache und der alten Bilder zu bedienen, ohne überhaupt darüber nachzudenken, ob sie heute noch verstanden werden, ob sie nicht schon längst in Klischees erstarrt sind. Dann wird etwa in großstädtischen Gemeinden permanent über Hirten und Könige gesprochen, „aber nicht über die U-Bahn, die einen nervt“, wie Petra Bahr, Regionalbischöfin in Hannover, konstatiert. Viele Theologinnen und Theologen beschreiben es so, dass sie leicht in diesen Sound hineinrutschen, wenn sie sich nicht vorher genug Gedanken gemacht hätten, zu wenig vorbereitet waren oder nicht hart genug mit dem Text, den sie auslegen wollen oder der Kirchenordnung gemäß auslegen sollen, gerungen haben. Und das Schlimme ist dabei noch, dass man oft mehr Lob bekommt, wenn man den „Kirchensprech“ bedient, als wenn man ihn zu vermeiden trachtet.

Die kirchliche Sprache ist eine Sprache, die viele Floskeln enthält. Es wird erzählt, was vermeintlich theologisch richtig ist. Dies ist eine Methode, um sich mit seinen eigenen Ansichten ganz gut verstecken zu können, denn dann muss man nicht sagen, was man selbst von einer Sache denkt. Oft werden dabei Formulierungen genutzt, wie man sie in klassischen dogmatischen Lehrbüchern findet, auch wenn man sie selbst überhaupt nicht mehr versteht, vielleicht nur kurz im Studium einmal verstanden hat.

Die ehemalige Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags und Co-Leiterin der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, Ellen Ueberschär, spricht hier von „dogmatischen Richtigkeiten“, die gefahrlos genutzt werden können, denn sie entsprechen dem, was von einer Pfarrerin, einem Pfarrer erwartet wird. Aber es gibt dabei ein Problem: „In Andachten zum Beispiel erschließen sich die Texte so nicht, sondern man bleibt an der Oberfläche, die nur noch gut klingt“, sagt Ellen Ueberschär. Dazu gehören feste Redewendungen wie etwa: „Gott erhöre uns und schenke uns Frieden!“ Es ist fraglich, wem solche Redewendungen noch etwas sagen – auch wenn sie gemäß der christlichen Theologie nicht falsch sind.

Hinzu kommt, dass man die kirchliche Sprache als eine besondere Form eines Soziolekts begreifen kann, der sich aus gleichen Normen und Werten ergibt. Das ist auch nichts Erstaunliches. Viele Gruppen oder Milieus haben ihre eigene Sprache. Es gibt Soziolekte in der Wissenschaft, der Wirtschaft, im Sport, in der Kultur, ja selbst Junkies haben ihre eigene Sprache. Daran ist auch wenig verkehrt. Solche Soziolekte sind oft sinnvoll. Dadurch erkennen die Mitglieder einer Gruppe, wen sie vor sich haben – also Gleichgesinnte oder Fremde.

Eine gemeinsame Sprache, ein Soziolekt, verbindet, das ist ihr Vorteil. Ihr Nachteil ist, dass sie aber auch abgrenzt. Soziolekte schaffen Zugehörigkeit, sie stabilisieren die Identität der Sprechenden und den Zusammenhalt der Gruppe. Auch bei der Kirche ist das der Fall, mit vielleicht einer Besonderheit. Der Essener Kommunikationsforscher Jo Reichertz sagt: „Die Ziele Nähe, Aufrichtigkeit, Mitfühlen – das wären die zentralen symbolischen Verdichtungen der kirchlichen Sprache, um die sich alles dreht, um die es geht.“

Insofern ist es wahrscheinlich passender, den kirchlichen Duktus schlicht als eine Teilsprache des Deutschen zu bezeichnen. Es ist ein Soziolekt einer immer noch ziemlich großen Gruppe, die zumindest gelegentlich mit dieser Teilsprache zu tun hat – immerhin gibt es derzeit in Deutschland noch über 40 Millionen Christinnen und Christen, das ist etwa die Hälfte der Bevölkerung. Die kirchliche Sprache könnte man genauer wohl auch als ein Soziolekt sozialer Subsysteme in Sinne von Niklas Luhmann bezeichnen – aber das hilft ebenfalls nicht sehr viel weiter. Wichtiger ist, dass viele Worte der kirchlichen Sprache erst kirchenspezifisch werden durch die Verwendungskontexte, die Sprechhaltungen oder gar die Intonation, in denen sie genutzt werden. Otto Waalkes mit seinem „Vier fahren nach Lodz“ lässt da grüßen.

Der kirchlichen Sprache ist eigen, dass sie Aggressionen zu bremsen oder zu vertuschen trachtet und in einer passiv-aggressiven Form gleichwohl beim Gegenüber ein schlechtes Gewissen zu schaffen vermag. Es ist eine Sprache, die oft überhäuft ist mit Adjektiven, was in der Regel Zeichen eines schlechten Stils ist, – und die zugleich zu vielen Wertungen neigt. Insofern hat sie auch etwas Lehrer- oder Gouvernantenhaftes. Böse gesagt, neigt die kirchliche Sprache schon in ihrem Duktus zur Besserwisserei, was sie noch schwerer verdaulich macht.

Auch das Glossar in diesem Buch deutet an, dass häufig erst der Zusammenhang der Wörter und der Tonfall der Sprache die kirchliche Sprache ausmachen. Paul Nolte nennt ein Beispiel: „Ein Wort wie ‚eckig‘ passt manchmal rein, gerade weil die kirchliche Sprache nicht besonders eckig ist.“ Die Redewendung „aus Betroffenen Beteiligte machen“ klingt dagegen sowohl nach kirchlicher Sprache als auch nach dem Wörterbuch des Managements 2.0. Es kommt eben meistens auf die ganzen Wendungen an. Dabei ist auffällig, dass die kirchliche Sprache zu Aufblähungen neigt. So reicht es nicht, das Wort „berühren“ zu nutzen, es wird auch gern zu „Lass uns die Berührung suchen“ aufgebläht – gerade die alte „Sprache Kanaans“ neigt zu solchen Blähungen, die nicht mehr Inhalt, dafür umso mehr ungewollte Komik transportieren.

 

Wenn es stimmt, dass die Ziele der kirchlichen Sprache vor allem Nähe, Aufrichtigkeit und Mitfühlen sind, dann ist das schön – es hat aber auch einen Preis für diese Sprache. Einer ist, dass der kirchlichen Sprache und dem kirchlichen Duktus eine klare Widerrede, gar widersprechende Wörter kaum zur Verfügung stehen, sie sich damit zumindest schwer tut: Die kirchliche Sprache erlaubt kaum adversative Aussagen, die etwa sagen, man sei ein Idiot, die von ihm geäußerte Ansicht sei Schwachsinn – und überhaupt habe man von dem/der Sprechenden wenig Sinnvolles bisher gehört. Interessant ist, dass die kirchliche Sprache dabei oft zu Ich-Aussagen neigt, die eigentlich ein Ausweis von Emotionalität sein sollen, denn in dieser Form werden in der Regel Befindlichkeiten ausgedrückt. Aber das muss im kirchlichen Miteinander und deshalb auch in der Sprache in aller Regel hinter Adjektiven möglichst weit zurück gedrängt werden, so dass man diese Emotionen kaum mehr richtig wahrnimmt.

Es kommt bei der kirchlichen Sprache eben sehr darauf an, wie man etwas meint und wie man es versteht. „Wenn man dauernd darin kommuniziert, dann weiß man schon, wann eine rote Linie überschritten ist, wann da ein hochroter Kopf ist, der sich dahinter verbirgt“, sagt Reiner Anselm. Und mit etwas Selbstironie ergänzt der evangelische Professor: „Das erfordert ein hohes Maß an Selbstkontrolle – und das ist wieder etwas sehr Protestantisches.“ Diese Selbstkontrolle, das Hinter-das-Gesagte-Schauen, die vergifteten Ich-Botschaften – all das haben viele Theologinnen und Theologen, Pfarrerinnen und Pfarrer schon seit ihren Kinder- und Jugendtagen gelernt und verstanden. Es ist ein Lesen zwischen den Zeilen, und natürlich ist es auch eine Adaptionsleistung. Oder wie es Anselm in einem schönen Bonmot sagt: „Wenn jemand eine Ich-Botschaft los wird, weiß man schon, jetzt wird es kritisch.“

KAPITEL 3
Die Sprache Kanaans?

Die Reflexion des Christentums über seine eigene Sprache ist uralt. Schon die frühen Christen haben sich gefragt, ob dieses und jenes griechische Wort nun passend ist, wenn sie ihren Glauben zu beschreiben suchten. Selbst große Philosophen wie Immanuel Kant haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie eine religiöse Sprache angesichts der neuen Entwicklungen in der Philosophie aussehen könnte. Sprachkritik in der Kirche ist also nichts Neues – und sicherlich wäre es falsch zu behaupten, früher habe die kirchliche Sprache immer gepasst, heute funktioniere sie dagegen überhaupt nicht mehr.

Jemand, der das beurteilen kann, ist der Liturgiewissenschaftler und Homiletiker („Homiletik“ = Predigtlehre) Alexander Deeg von der Universität Leipzig. Er erklärt, er sei zunehmend skeptisch bei jeder dichotomen Gegenüberstellung, wonach die kirchliche Rede gegenwärtig problematisch sei – und deshalb grundlegend verändert werden müsse. „Es gab immer wieder ganz wunderbare, berührende, ernste und direkte kirchliche Rede – und schon immer das, was man kennt: eine kirchliche Floskelhaftigkeit, eine Langeweile oder das Verstecken des Redenden hinter der Übermacht der Konvention.“

Die Kritik an der kirchlichen Sprache kommt über die Jahrzehnte immer wieder hoch, sie ist permanent in der Kirche, manche nennen sie sogar zyklisch. Die kirchliche Sprache steht dabei in jedem Zeitalter in der Gefahr, in erprobten Redeweisen zu verharren, in Gewohnheiten zu ersticken, weil man sich hinter Konventionalitäten und Begrifflichkeiten gut verstecken kann. Schon der Theologe Friedrich Niebergall schrieb 1909 in seinem Buch „Wie predigen wir dem modernen Menschen?“ ein Kapitel mit dem bezeichnenden Titel „Der Kirchenschlaf“. Darin warnt er davor, die Predigt dürfe keine reine Geräuschkulisse sein, kein inhaltsleeres semantisches Rauschen – und Niebergall findet für dieses Scheitern des Predigers einen schönen Ausdruck: „Es predigt.“

Für dieses fromme Gerede ohne Inhalt beziehungsweise eine in sich abgeschlossene kirchliche Sprache gerade in der Predigt wird heute häufig abschätzig der Ausdruck „Die Sprache Kanaans“ genutzt. Das ist etwas boshaft, denn ursprünglich war der Ausdruck „Sprache Kanaans“ gar nicht so negativ gemeint. Er ist wahrscheinlich dem Buch Jesaja im Alten Testament entlehnt, wo es im 19. Kapitel (Vers 18) heißt: „Zu der Zeit werden fünf Städte in Ägyptenland die Sprache Kanaans sprechen …“

Die „Sprache Kanaans“ wurde vor allem in den vergangenen Zeiten der noch unbestrittenen Volkskirchen genutzt, als man üblicherweise einfach Mitglied einer Kirche war und der Prozentsatz der Nicht-Christen in der Gesellschaft im einstelligen Prozentbereich zu verorten war. In einer solchen Situation wurde die „Sprache Kanaans“ einigermaßen verstanden – oder auch nur in Kauf genommen, da sie das erwünschte Gefühl evozierte, gerade bei der Predigt im Gottesdienst.

Wer heute im Raum der Kirche dagegen sagt, da nutze jemand die „Sprache Kanaans“, meint das eher negativ, bestenfalls selbstironisch, denn hier gebraucht jemand demnach alte Wörter, die kaum noch einer versteht. Der große evangelische Theologe Fulbert Steffensky beschreibt die „Sprache Kanaans“ als eine „nicht aufgeschlüsselte Sprache“, bei der zum Beispiel über zentrale Worte des Christentums wie Gnade und Schuld in einem völlig abstrakten Sinne geredet werde. Es sei ein „innerkirchliches Geklingel“. Steffensky vergleicht die „Sprache Kanaans“ mit der biblischen „Zungenrede“, die Paulus im 1. Korintherbrief nicht nur positiv wertet, wenn er sagt: „Wer in Zungen redet, erbaut sich selbst.“

Sowohl im Vokabular wie im Satzbau ist die „Sprache Kanaans“ noch heute geprägt von der Bibel, die gerade in pietistisch-evangelikalen Kreisen eine überaus große Rolle im Alltag und in der Verkündigung spielt. Recht typisch für diesen Duktus war zuletzt die Rücktrittserklärung des sächsischen Landesbischofs Carsten Rentzing Mitte Oktober 2019, der über frühere Veröffentlichungen in rechtskonservativen Publikationen gestolpert war. Seine Erklärung endete mit den Worten: „Lassen Sie sich an die Worte Jesu erinnern: ‚Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die Du mir gegeben hast, damit sie eins seien wie wir eins sind.‘ (Johannes 17,22).“

Die „Sprache Kanaans“ lässt sich leicht karikieren – und es ist sicherlich kein Zufall, dass es einen Wikipedia-Eintrag gibt, der mit ganz sanfter Ironie etwa diese schönen Formulierungen der „Sprache Kanaans“ zitiert: „Als ich noch in der Welt war …“ für: „Bevor ich Christ wurde …“ oder „Ich habe keine Freudigkeit.“ für: „Ich habe keine Lust.“ Weiter: „Beuget eure Herzensknie“ für „Seid demütig“ und „Mir ist ein Wort groß geworden.“ für „Mich hat ein Bibelvers beeindruckt.“ Der in evangelikalen Kreisen sehr bewanderte Journalist Andreas Malessa hat, wie erwähnt, schon 1992 über diese „Sprache Kanaans“ in besonders frommen christlichen Kreisen ein Buch veröffentlicht, das er 2002 noch einmal überarbeitet und erweitert unter dem Titel „Das fromm-deutsche Wörterbuch“ herausgegeben hat.

Doch Vorsicht! Das heißt natürlich nicht, dass alle alten Wörter der Kirche wie „Gnade“ oder „Sünde“ an sich schon zu einer veralteten „Sprache Kanaans“ gehören. Es ist schlicht falsch, mit Verweis auf diese angebliche „Sprache Kanaans“ auf Wörter wie „Gnade“, „Amen“ oder gar „Gott“ zu verzichten und stattdessen nach neuen Wörter zu suchen, die dann aber häufig nicht passen – etwa „spirituelle Energie“ für Gott. Aber viele Theologinnen und Theologen räumen gleichwohl die Schwierigkeit ein, dass man heute sehr basal biblische Begriffe oder Bilder erklären muss, also zum Beispiel: Was heißt Gnade? Was heißt Rechtfertigung? Was bedeutet Amen? Was ist ein Gebet? Petra Bahr mahnt: „Die Verwahrlosung kirchlichen Sprechens liegt gerade nicht an den großen biblischen Texten, sondern da, wo man versucht, es besser, anders, cooler oder moderner zu machen.“

Eine weitere Tücke der vor allem protestantischen Färbung der „Sprache Kanaans“, die in Reinform nur noch selten vorkommt, liegt nach den Worten von Alexander Deeg in der Forderung: „Man kann nicht anders von Gott reden als in existenzieller Betroffenheit.“ Die Sprache theologischer Richtigkeit und großer Sätze, die heute oft als „Sprache Kanaans“ kritisiert wird, hat früher vor allem behauptend von Gott gesprochen. Das waren dann Sätze wie „Gott ist der, der als Schöpfer in dieser Welt da ist.“ oder „Gott hat seinen Sohn Jesus Christus gesandt, der die Erlösung bewirkt“. Diese Sprache beziehungsweise diese Formulierungen sprechen aber immer weniger Menschen an, weil sie eine theologische Vorprägung, ja vielleicht sogar eine christliche Sozialisation voraussetzen, ohne die diese Worte eher unverständlich bleiben, eben eine „Sprache Kanaans“, die schon vergangen ist. „Und diese großen Sätze waren oft ja auch ohne existenzielle Verankerung“, meint Deeg.

Das alles ist so neu nicht. Kluge Beobachterinnen und Beobachter haben die kirchliche Sprache schon in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder kritisiert, auch mit Verweis auf eine verschlossene „Sprache Kanaans“. Aber womöglich musste erst das Modell der Volkskirche an sein Ende kommen, mussten also die Christinnen und Christen in der Gesellschaft in die Minderheitenposition rutschen, ehe erkannt werden konnte, dass die „Sprache Kanaans“ kaum jemanden mehr erreicht. „Vielleicht merken wir heute erst, was los war“, meint Fulbert Steffensky, und das sei doch relativ neu. „Haben wir eigentlich über uns selbst nachdenken können – über uns selbst außerhalb des Systems?“ Es fehle der kirchlichen Sprache eben oft die Verankerung im Leben: „Wenn ich Sünde sage, folgt auf dem Fuß Verzeihung“, sagt er – und ergänzt: „Da reibt man sich an nichts mehr, das passt auch immer – das ist das Gefährliche. Sprachen, die keine Herkunft mehr haben, die nicht mehr aus dem Dreck des Alltags kommen.“

Der kirchlichen Sprache und der „Sprache Kanaans“ im Besonderen fehlt es meist an Leben, sie hat häufig etwas Unsinnliches, vielleicht auch, weil die Sprechenden selbst zu wenig Leben selbst erlebt haben – oder sich nicht trauen, genau das erzählen. Es fehlt dieser Sprache oft der Hinweis, dass es auch im Gottesdienst, auch im Kleid einer alten, kirchlichen Sprache, um die heutige, um die eigene Existenz geht, also um das Leben und Überleben im Heute, in Gefährdung, Armut und Krankheit.

Die „Sprache Kanaans“ ist also ein kirchlicher Teil-Duktus, der einst womöglich seine Funktion hatte, aber seitdem erstarrt ist und seinen Charme und seine Kraft heute kaum mehr entfalten kann. Der Münsteraner katholische Dogmatiker Michael Seewald weitet die schon genannte Ambivalenz, mit der Paulus das Zungenreden betrachtete, auf die heutige kirchliche Sprache aus: „Man könnte sie mit ‚In Zungen sprechen‘ beschreiben, was ja eine ambivalente Bedeutung hat – nach biblischem Vorbild ist das eine charismatische Rede, aber auch etwas Unverständliches.“