Attentat auf Honecker und andere Besondere Vorkommnisse

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Das war nicht mehr als eine Zusammenstellung vager Vermutungen. Offenbar hatten die VP-Offiziere ihre „Informationen“ ungeprüft aus Ernst Buschmanns Meldung abgeschrieben. Dass „Der Telegraf“ in Bades Tasche über ein Jahr alt war und nun im zitierten Untertitel plötzlich statt „Rivalen“ das Wort „Piraten“ stand, schien niemandem aufzufallen. Dabei gab es zum Brand inzwischen einige Erkenntnisse der Kriminaltechniker, und auch im Funkhaus war er nicht ohne Folgen geblieben.

Die Spurensuche der Kriminaltechniker

Am Freitag, dem 18. Februar 1955, findet im Staatlichen Rundfunkkomitee eine Kurzversammlung der Abteilungsleiter statt, geleitet von Wolfgang Kleinert. Sein „Zusammenfassender Bericht über den Brand vom 16. 2. 1955“ nennt unter den vermuteten Brandursachen „eine starke Glühlampe, die unmittelbar an die Preßpappe gehängt wurde“, zählt aber auch den „starke[n] Eissturm in der Brandnacht (eventl. Funkenflug, Vereisung der Hydranten usw.)“ und „die Tatsache, daß am 15.II. von der Leitung wichtige Beschlüsse zur Konterpropaganda gegen die Ratifizierung der Pariser Verträge in Bonn beschlossen worden sind“, zu den wichtigen Hinweisen.

Am 25. Februar entscheidet Rundfunk-Generalintendant Kurt Heiß: „Die Bauleitung wird abgelöst. Als neuer Leiter mit allen Vollmachten wird Koll. Ehrlich eingesetzt. Die Koll. Metz, Mundt und Kühne werden nacheinander in der Reihenfolge dieser Aufzählung entlassen.“ Kühne blieb jedoch zunächst Oberbauleiter. Er ging später wie viele andere der am Bau Beteiligten in den Westen.

Für den Architekten Franz Ehrlich ist die internationale Anerkennung seines Studiobaus offenbar wichtiger als eine Stellungnahme zu Bades Gunsten. Er äußert erste Zweifel an dessen Redlichkeit und weist ansonsten stolz darauf hin, dass in Hamburg der verantwortliche Akustiker vom Begründer der modernen Raum- und Bauakustik, Professor Meyer aus Göttingen, darauf angesprochen worden sei und der (in West-Berlin wohnende) Cheftonmeister des DDR-Rundfunks die Klangdurchsichtigkeit der Säle gelobt habe, weil er sie so noch in keinem Saal Gesamtdeutschlands und anderswo vorgefunden hätte. Ein Urteil, dem sich fünfzig Jahre später Daniel Barenboim bezüglich des Saals I anschließen wird.

Ehrlich meint, dass durch ein gleichmäßiges Abbrennen der Oberfläche die bauliche Substanz im Großen Saal nicht gelitten habe. Um das Licht auf der Baustelle habe er sich nie gekümmert.

Bauleiter Karl Metz hat Arno Bade am Brandabend noch gegen 17.30 Uhr am Schreibtisch gesehen. Er habe in den letzten Tagen Klimakanäle gezeichnet, da die Detailzeichnungen der Firma EKM nicht den Ansprüchen genügten. Und Kühne sei zwischen 15.30 und 16.30 Uhr mit Bade durch den Block gegangen. Dabei hätten sie auch die Klimakammer II passiert, wo Bade angeblich den Stecker der Lampe zog.

Die Suche der Kriminaltechniker nach der Brandursache konzentriert sich auf die Reste der Baulampe. Kurzschlussspuren fehlen, die elektrische Anlage scheidet als Brandursache aus. Bauarbeiter sagen aus, dass die Lampe seit Wochen ohne vorgeschriebenen Schutzschirm benutzt worden sei und seit dem 10. Februar an verschiedenen Stellen im Druckraum gehangen habe. Am Vortag des Brandes hatte ein Betonierer die Lampe mit der starren Kabelschleife an einen bereits vorhandenen Nagel in zwei Metern Höhe an die Wand gehängt.

Der Zwischenbericht der Hauptabteilung K vom 5. März 1955 hält fest:

Dieser Nagel war in eine senkrechte Holzleiste … der Schallschluckverkleidung eingeschlagen, so daß sich zwischen Glühlampe und Holzrahmen nur noch die 4 mm starke Lochpappe befand. Am anderen Ende des Gummikabels befand sich ein Schukostecker, der in einem auf dem Flur liegenden behelfsmäßigen Steckdosenbrett eingesteckt war. Von diesem Brett führte eine mehrere Meter lange Gummikabelleitung zu einer Steckdose, die in der Nähe des Einganges der Klimaanlage an die Wand montiert war. Jeder Arbeiter, der den Mittelgang passierte, mußte über das Gummikabel hinweg steigen. Wurde das Kabel berührt, bzw. mit dem Fuß angestoßen, war es möglich, daß eine Veränderung der in den Druckraum hineinführenden Leitung und der daran hängenden Beleuchtung eintrat. Dies war durch die Starrheit des 3-adrigen Alu-Kabels bedingt … Da die Monteure des EKM Erfurt die Flammen zuerst im oberen Teil des Raumes feststellten, kann mit Sicherheit angenommen werden, daß die unvorschriftsmäßige Baubeleuchtung brandverursachend war.

Weiter heißt es, dass die Baubeleuchtung am 16. Februar von 7.00 bis 18.05 Uhr in Betrieb gewesen war. Dann wollte ein Monteur die Lampe durch Ausschalten der gesamten Anlage stromlos gemacht haben, doch am Abend des Brandes war der Hauptschalter für die gesamte provisorische Baubeleuchtung eindeutig eingeschaltet.

Möglicherweise war der Schwelbrand also schon kurz vor 18.05 Uhr entstanden – nach einer Brenndauer der Lampe von elf Stunden! Versuche am Kriminaltechnischen Institut (KTI) mit einer 300-Watt-Lampe ergaben unter angenäherten Bedingungen bereits nach 132 Minuten eine Flamme am Holzrahmen. Bei einem weiteren Experiment brannte die Pappe nach 55 Minuten, ohne allerdings das Holz in Brand zu setzen.

In dem Bericht wird aber auch ein erster Ansatz sichtbar, den Verhafteten Bade mit der Brandauslösung in Zusammenhang zu bringen: „Eine vom KTI durchgeführte Rekonstruktion ergab, daß vom Aufhängen der Lampe bis zum Brandausbruch ca. 2 Stunden und 12 Minuten vergingen. Hierzu muß erwähnt werden, daß der festgenommene Bauleiter Arno Bade am 16.2. gegen 16.30 Uhr, also ca. 2.15 Std. vor Brandausbruch, vor dem Druckraum der Klimaanlage erschien und sich an der Baubeleuchtung zu schaffen machte, indem er den Stecker der betreffenden Lampe aus dem Steckbrett zog. Diesen Stecker steckte er sofort wieder ein, da, wie er selbst angibt, jemand durch die Klimaanlage kam. Aufgrund des starren Gummikabels kann zu dieser Zeit vorsätzlich oder fahrlässig eine Veränderung in der Glühlampenaufhängung erfolgt sein, das heißt, die 300 Watt Glühlampe wurde durch die Bewegung des Kabels direkt an die Pappe gebracht, wodurch dann gegen 18.45 Uhr die Flammen wie bereits erwähnt, festgestellt wurden. Da die Lampe ca. 2 mtr. hoch hing, war es den beiden Monteuren von EKM Erfurt gegen 18.05 Uhr nicht möglich, Rauchbildung oder ein Schwelen festzustellen. Diese mögliche Rauchbildung konnte durch die fast an der Decke des Raumes befindlichen Klimakanalöffnungen abziehen.“

Das Gutachten des KTI vom 12. März 1955 gelangte zu der eindeutigen „Schlußfolgerung: Das Ergebnis der Untersuchungen läßt den Schluß zu, daß der Brand von einer Glühbirne von mindestens 300 W verursacht wurde, die mit ihrem Glaskolben unmittelbar an der Pappwand gehangen hat“. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass „bei der Beräumung des Brandschutts außer dem Sockel der Glühbirne keine weiteren Anhaltspunkte gefunden wurden, die auf ein eventuell verwendetes Brandlegungsmittel hinweisen“.

Ein Verbrechen wird konstruiert

Die Staatssicherheit ist inzwischen nicht untätig geblieben. Auf der Baustelle arbeiteten am Tag des Brandes 112 Arbeiter aus elf verschiedenen Betrieben der ganzen DDR. Dass viele von ihnen, teilweise für einen längeren Zeitraum, festgenommen wurden, beweist ein Schreiben zur „Zahlung von Löhnen und Gehältern an Werktätige, die … im Zusammenhang mit der Brandstiftung polizeilichen Verhören unterzogen wurden“, das der Justitiar Dr. Friedrich Karl Kaul am 4. November 1955 an den Leiter der Finanzabteilung im Rundfunkkomitee richtete. Er forderte darin die Rückzahlung des Geldes für die Vernehmungszeiten der zeitweilig Inhaftierten an die Aufbauleitung.

Für die Staatssicherheit ist Arno Bade von Anfang an der Hauptverdächtige. Tag und Nacht bearbeiten die Vernehmer den Bauingenieur, der ihren Vorstellungen von einem amerikanischen Agenten hundertprozentig entspricht: kleinbürgerliche Herkunft, Dienst in der faschistischen Wehrmacht, amerikanische Kriegsgefangenschaft, Student der Bauschule in West-Berlin, häufiger Aufenthalt dort und im Amerikahaus, Verbindungen zu amerikanischen Sicherheitskräften und zur West-Berliner Hochschule für Politik.

Dass ein echter Agent kaum so unvorsichtig gewesen wäre, am nächsten Tag mit einer verdächtigen Zeitung in der Tasche am Tatort zu erscheinen, beeinflusst ihr vorgefasstes Urteil nicht.

In immer neuen Nachtverhören wird Bade mürbegemacht. Der Stasi-Vernehmer droht mit körperlichen Misshandlungen und Einweisung in eine Irrenanstalt. Bade hockt auf dem Stuhl, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Stundenlang kann er sich nicht bewegen. Nach drei, vier Tagen und Nächten nimmt er nur noch verschwommen wahr, was man eigentlich von ihm will. Er spürt, dass es um Leben und Tod geht. Immer wieder liest man ihm Sätze vor, die er so nie gesagt hat. Vor Übermüdung und Kälte bricht er zusammen. Nach fünf, sechs Tagen und Nächten ohne Schlaf ist Bade bereit, alles zuzugeben, was die Vernehmer hören wollen. Am siebenten Tag widerruft er sein Geständnis. Auf neuen Druck gibt er wieder irgendetwas zu, widerruft erneut. So geht es dreimal, schließlich ist ihm alles egal.

Nun scheint der junge Mann reif, sich öffentlich zu „seiner Tat“ zu bekennen. Die Stasi-Offiziere lassen ihn seinen Anzug anziehen und geben ihm Schuhe – seine hat man auf der Suche nach Spionagematerial zerrissen. Dann fährt man ihn zum Brandort. Fotos und die DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“ Nummer 16 / 1955 zeigen ihn später bei der vorgeblichen Rekonstruktion seiner Tat: über die Aktentasche gebeugt, aus der er angeblich Brandsätze und brennbares Filmmaterial entnimmt, dazu eine mit Benzin gefüllte Flasche, auf die er einen Schnapsgießer aufsetzt.

Dass die gestellten Details weder mit den Zeugenaussagen noch mit den Befunden am Brandort übereinstimmen, ficht die Stasi-Mitarbeiter nicht an. Bis zu diesem Zeitpunkt hat noch jedes DDR-Gericht ihre Tatrekonstruktionen als Beweismittel akzeptiert. Man fragt Bade nicht einmal, wie er sich das Benzin oder das Filmmaterial beschafft hat.

 

Gezwungenermaßen spielt Bade das absurde Spiel mit. Das drohende Todesurteil vor Augen, hält ihn nur der Gedanke an den Prozess aufrecht. Da wird er vor Publikum erklären, wie ihn die Staatssicherheit und der Staatsanwalt Walter Piehl als Untersuchungsführer erpresst haben und dass alles erlogen ist.

Vorläufig ist es noch weit bis zum Schauprozess, den man bereits voreilig angekündigt hat. Die Staatssicherheit will wenigstens den Anschein vorhandener Beweise gegen den Beschuldigten wahren. Dazu aber sind die vorliegenden Gutachten ungeeignet, die ausdrücklich feststellen, dass im Bauschutt auch „spektralanalytisch keine Spuren anderer Zündquellen“ als der Sockel der 300-Watt-Lampe gefunden worden seien.

Getürkte Beweise

Eine neue Gutachterkommission wird eingesetzt, von der neue Ergebnisse erwartet werden. Franz Ehrlich und fünf hochrangige VP-Offiziere erarbeiten bis zum 20. April 1955 ein Gutachten, das dem des KTI vom 12. März eindeutig widerspricht und nun plötzlich zu dem Schluss gelangt, „daß der Brand in der Druckkammer nur mit Hilfe von leicht brennbaren Stoffen wie Benzin, Benzol u. ä. Substanzen entfacht worden ist“.

In einem weiteren Schriftsatz, unterzeichnet vom gleichen stellvertretenden Leiter des KTI, der sechs Wochen zuvor die gegenteilige Erklärung abgezeichnet hatte, wird am 22. April 1955 vom Referat II des KTI ein Gutachten zur „Aussage des Bade, Arno, geb. 23. 8. 1928 in Berlin“ abgegeben:

Zur Begutachtung lagen vor: ein Auszug aus der Vernehmung des Bade … Dieser Auszug der Vernehmung beinhaltet die Inbrandsetzung des Blockes B 1 im Staatlichen Rundfunkkomitee … Aus dieser Vernehmung geht hervor, daß Bade mit Hilfe von zwei Brandsätzen, deren Zusammenstellung ihm nicht bekannt ist, den Brand legte. Des weiteren hat ihm eine 0,7 Liter Flasche mit Benzin und eine Filmrolle zur Verfügung gestanden. Diese Brandlegungsmittel bewahrte Bade in seiner Aktentasche auf und betrat damit am 16. 2. 1955 gegen 17.30 Uhr, die Klimaanlage. In der Druckkammer der Klimaanlage 2 des Blockes B 1 entnahm er die o. a. Gegenstände aus seiner Aktentasche und stellte die beiden Brandsätze auf ein Brett, welches er vorher vor die Klimakanäle auf den betonierten Fußboden legte. Danach kippte er mit Hilfe eines Schnapsgießers das in der Flasche enthaltene Benzin in die Perforierung der Klimakanäle. Anschließend riß er die bezeichneten Stellen der Brandsätze auf und zog an der dadurch sichtbar gewordenen Kordel. Die Kordel sowie die leere Flasche und den Schnapsgießer steckte er wieder in seine Aktentasche und verließ 5 – 6 Minuten nach dem Betreten die Druckkammer. Nun ging er in den kleinen Saal und warf die Filmrolle in die Austrittsöffnung der Klimaanlage, wobei er jedoch einige Meter Film in der Hand behielt und in den Geflechtmatten im kleinen Saal befestigte, um dem Feuer eine Ausbreitungsmöglichkeit nach diesem zu schaffen. Anschließend verließ er den kleinen Saal und ging in sein Bürozimmer.

Diese Schilderung ignoriert simpelste Tatsachen: Jeder kennt den durchdringenden und hartnäckigen Geruch kleinster Benzinmengen. Bade aber soll unbemerkt einen ganzen Tag lang eine gefüllte Flasche in seiner Aktentasche gehabt und sie samt Gießer spurlos entsorgt haben. Nicht einmal die Aktentasche wurde kriminaltechnisch untersucht. Nach Ausgießen von 0,7 Litern Benzin auf einer durch Glaswolle beträchtlich erweiterten Oberfläche hätte sich durch die offene Tür im Gang ein betäubender Benzingeruch ausbreiten müssen. Die dort arbeitenden Monteure hatten aber keinen Benzindunst bemerkt. Auch Tilkowski, der den Brandgeruch wahrnahm, bevor er den Rauch und die offenen Flammen sah, erklärte in seiner ersten Vernehmung eindeutig: „Abschließend kann ich nur sagen, daß ich festgestellt habe, daß es ein typischer Holzbrand war also nach verbranntem Holz roch.“

Bei Rekonstruktionsversuchen des KTI wurde ein Liter Benzin mit einem Brandsatz gezündet. Fotos dokumentieren die „entstehenden gewaltigen schwarzen Rauchschwaden“. Aber schwarzen Rauch hatte keiner der Zeugen wahrgenommen. Bade hätte überdies lebensmüde sein müssen, um in der engen Kammer Benzin auszugießen und damit in der Nähe der überhitzten Glühlampe ein hochexplosives Gasgemisch herzustellen.

Diese Brandsätze und das Brett, auf dem sie standen, verbrannten scheinbar ohne Spuren oder Rückstände, obwohl nach der ursprünglichen Meinung der Kriminaltechniker der Brand „in halber Höhe entstanden“ war und sich unverbrannte Reste der Fußbodenleisten fanden! Scheinbar ruß- und geruchfrei verbrannte auch das Benzin, bei dem es sich nicht um Fahrzeugbenzin gehandelt haben konnte, denn die Spektralanalyse zeigte keine Bleispuren.

All diese Widersprüche stören die Sachverständigen nicht. Ausführlich schwadronieren sie über selbsttätige Brandlegungsmittel, deren Existenz im ersten Gutachten ausdrücklich ausgeschlossen worden war.

Schon am 12. März hatte das KTI einen Untersuchungsbericht zum Inhalt einer Konservenbüchse abgegeben, die man in Bades Keller gefunden hatte. „Poison wood alc fuel tablet“ stand darauf, „Ration Heating Manfc. by Hotel Research Laboratories New York N. Y.“ – eine Hartspiritusration zur Essenserwärmung, die Bade aus der amerikanischen Gefangenschaft mitgebracht und aufbewahrt hatte. „Kann als Brandlegungsmittel Verwendung finden“, meinen die Gutachter nun. Auf welche Weise die um gut eine Stunde verzögerte Zündung des Metaldehyds erfolgt sein soll, bleibt unerwähnt. „Des weiteren wurde durch die Sachverständigen-Kommission eine Inbrandsetzung der Druckkammer durch natürliche und technische Ursachen ausgeschlossen, da die feststehende Zeit von 40 Minuten zwischen Brandausbruch und Brandbemerken nicht ausreicht. Demnach steht fest, daß zu der Inbrandsetzung Hilfsmittel Verwendung finden mußten, durch die in kürzester Zeit ein Brand gelegt werden kann“, behauptet die Kommission ohne Beweis.

Auch die fehlenden Fußspuren im frischen Beton der Druckkammer, auf die Bauleiter Kühne in seiner zweiten Vernehmung hingewiesen hat, bleiben nun unerwähnt. Stattdessen finden sich im Spektralgutachten plötzlich schwächste Silberspuren, die als Beweis für die verbrannten Filme herhalten müssen.

Mit diesem Gutachten scheint Bades Schicksal besiegelt. Einer der Unterzeichner, Unter-Kommissar U., der zusammen mit dem damals einzigen Sachverständigen für Branduntersuchung und Havarie-Aufklärung am KTI den Bericht vom 12. März geschrieben hatte, war als 25-jähriger VP-Meister von der Leipziger Feuerwehr zum im Aufbau befindlichen KTI nach Berlin abkommandiert worden. Gerade einige Wochen arbeitete er als Assistent des Brandsachverständigen N., als man ihn am 17. Februar 1955 zum Brandort rief. Was ihn dort erwartete, überstieg seine Kenntnisse und Fähigkeiten. Den Verdächtigen Bade und die angeblichen Brandsätze bekamen weder U. noch N. zu Gesicht. Die im zweiten Gutachten getroffenen Aussagen erschienen Dr. U. auch vierzig Jahre später in ihrem wissenschaftlichen Gehalt höchst bedenklich. Er bildete in den 1980er-Jahren die Sachverständigen des zum Kriminalistischen Institut aufgerückten KTI aus. Eine kategorische Feststellung wie „Die im Obigen angeführten Punkte im Zusammenhang mit der Aussage des Bade betrachtet, zeigen, daß eine Inbrandsetzung der Druckkammer in der von ihm geschilderten Weise stattgefunden haben muß“ hätte er mit seinen späteren Kenntnissen nicht unterschrieben.

Agentenjagd und Todesangst

Die Staatssicherheit hat nun alles, was sie braucht, um Bade den Prozess zu machen: sein Geständnis und dessen Bestätigung durch das Gutachten hochrangiger Experten. Dennoch zögern die Herren in der Lichtenberger Normannenstraße. Immer wieder wird Bade vernommen. Sein Alibi für die Zeit des Brandausbruchs ist nicht zu erschüttern. Gründliche Durchsuchungen der Wohnung haben nur magere Ergebnisse erbracht. Am 2. März 1955 liefert das KTI – die Stasi verfügt noch nicht über eine Technische Untersuchungsabteilung – ein Gutachten über verbrannte Papiere aus dem Ofen in Bades Wohnung: eine Illustrierte westlicher Herkunft, eine „Hetzschrift“ über die Sowjetunion und Reste einer West-Berliner Studentenzeitung – nichts, womit sich ein Spionage- oder Sabotageauftrag erhärten ließe.

Übrig bleiben Bades Freunde. Einer wird während seiner Urlaubsreise observiert, verhaftet und wegen Wirtschaftsverbrechens zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Bei Werner M., Sohn eines ehemaligen Polizeioffiziers, muss die Stasi mehr Geduld aufbringen. Er hat nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Osten keine Arbeit gefunden und ist in West-Berlin beim Labour Service untergekommen, einer uniformierten Hilfstruppe der Amerikaner. Die Stasi findet heraus, dass Familie M. in Karolinenhof ein Wassergrundstück besitzt, auf dem sich M. entgegen dem Verbot seiner amerikanischen Arbeitgeber gelegentlich aufhält. Dort wird er verhaftet. Bei der Durchsuchung der elterlichen Wohnung findet sich die alte Dienstpistole des Vaters. Werner M. hat dennoch Glück und kommt nach einigen Monaten frei. Seinen Job bei den Amerikanern ist er los.

Weniger glimpflich ergeht es Bades Freund Rolf L., Student an der Hochschule für Politik und aktives SPD-Mitglied. Seine Freundin in Ost-Berlin wird verhaftet und gezwungen, ihn zu einem Treffen zu bestellen, bei dem er festgenommen wird. Wegen „Boykotthetze“ wird L. zu fünf Jahren Haft verurteilt, die er in einem Braunkohletagebau verbüßen muss. Außerdem bezichtigt man ihn und Bade gemeinsam begangener Wirtschaftsverbrechen, die dann bei Bades Verurteilung eine entscheidende Rolle spielen. Als Student hatte er in Ost-Berlin vier Addiermaschinen gekauft und nach West-Berlin verschoben.

Inzwischen ist der Verdächtige Bade Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer vorgeführt worden. Eingeschüchtert und den Vernehmer der Stasi im Rücken, erwartet er nichts Gutes von ihm. Melsheimer hat es unter den Nationalsozialisten zum Landgerichtsdirektor und Kammergerichtsrat gebracht. Jetzt befragt er Bade zu Einzelheiten des Geständnisses. Der laviert vorsichtig: „Das ist nun mal so gelaufen, wie die Staatssicherheit mir das erzählt hat …“

Bade hat dreimal widerrufen, und er wird es ein viertes und fünftes Mal tun. Aber erst im Prozess. Er hofft immer noch, man werde ihn öffentlich anklagen.

Von Ende Mai bis August 1955 sitzt er ohne Vernehmung im U-Boot, allerdings nicht mehr in Einzelhaft. Ausgewählte Zellengenossen versuchen ihn auszuhorchen und reden ihm zu, beim Geständnis zu bleiben. „Du hast gar keine Chance, sonst hauen die dir den Kopf ab.“

Dann ist er wieder allein. Seine Zähne schmerzen und lockern sich. Auf seinen Protest hin unterzieht man ihn einer notdürftigen Behandlung. Bade verlangt nach dem Staatsanwalt oder dem Vernehmungsoffizier. Er hat sich nun doch entschlossen, erneut zu widerrufen. Die Bewacher winken ab, wenn er klopft. Mitte August wird er in eine Dunkelzelle im Mitteltrakt verlegt, kaum vier Quadratmeter, Tag und Nacht von einer 15-Watt-Lampe beleuchtet und ohne frische Luft.

Den jungen Mann packt Todesangst. Die wollen ihn reif machen fürs Schafott! Alle drei Minuten schleicht ein Posten auf dem teppichbelegten Gang heran und kontrolliert, ob der Häftling sich nichts angetan hat. Das Essen ist grauenvoll. Kein Besteck. Nur morgens etwas Waschwasser. Jeden Tag bekommt er ein Blatt Toilettenpapier. Qualvoll vergehen Stunden und Tage in der Düsternis. Alle zwei Tage darf er in den ummauerten Käfig im Freien, über dem Posten patrouillieren.

Herbst und Winter vergehen. Der Jahrestag des Brandes ist vorbei, da führt man ihn endlich einem Oberstaatsanwalt vor. Ein Mann um die fünfzig, das Abzeichen der Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes am Revers. „Wie geht es Ihnen, Bade?“

„Mir geht es schlecht. Wenn ich etwas anderes sagen würde, würde ich Sie belügen. Was ich hier erlebt habe, hat meine Meinung über die Staatssicherheit im negativen Sinne bestätigt! Was haben Sie denn eigentlich mit mir vor? Sie können mich doch nicht noch länger da unten sitzen lassen!“

Der Oberstaatsanwalt blättert in den Akten. „Da haben wir hier diese Wirtschaftssachen …“ Er redet von den in den Westen verschobenen Rechenmaschinen. Erst dann kommt er auf den Brand zu sprechen.

Bade hat lange auf diesen Augenblick gewartet. Er widerruft in aller Form die Geständnisse bezüglich der Brandstiftung. „Ich bin unschuldig!“, sagt er erregt. „Nach dieser Dreckzeit bei Ihnen hier unten fühle ich mich gar nicht mehr als Mensch. Sie können jetzt mit mir machen, was Sie wollen. Sie können mir den Kopf abschlagen oder mich in die Irrenanstalt bringen. Schlimmer kann es ja nicht mehr sein, als sechs Monate in dieser Dunkelzelle! Aber eines kann ich Ihnen sagen: Einen Prozeß, den können Sie nicht mehr mit mir machen. Da werden Sie noch was erleben!“

 

„Ach, geben Sie nicht so an!“, sagt der Oberstaatsanwalt ungerührt. „Wir werden Ihnen das millimetergenau beweisen, wie Sie es gemacht haben.“

„Das können Sie gar nicht beweisen!“

„Ach, seien Sie ruhig! Sie sind ein Verbrecher und bleiben ein Verbrecher! Und dann noch die Wirtschaftsverbrechen. Das reicht bei Ihnen! Sie werden eine sehr hohe Strafe kriegen. Wenn Sie Pech haben, sogar die Todesstrafe. Ohne Pardon.“

Bade lässt sich nicht länger einschüchtern. „Die Todesstrafe könnte höchstens eine Erlösung für mich sein. Ich fühle mich ja gar nicht mehr als Mensch! Sie haben mir in dieser langen Zeit kein Buch gegeben, keine Zeitung, nichts. Was Sie gemacht haben, grenzt an Verbrechen. Schlimmer waren die Nazis auch nicht, die ihre Opfer gequält haben. Ich habe alle diese Angaben hier bei Ihnen nur nach Weisung gemacht, weil ich Angst hatte, daß sie mir sämtliche Zähne rausschlagen, daß sie mir die Arme oder das Genick brechen. Wenn Sie mich je vor ein Gericht stellen – Ihnen werden Hören und Sehen vergehen, was ich da über dieses System zu sagen habe!“

„Gut, wenn Sie nicht reden wollen, dann sitzen Sie weiter da. Ich werde mal sehen, daß ich Ihnen ein Buch zukommen lassen kann.“

„Da unten kann ich sowieso nicht lesen, in dieser Dunkelheit!“

Bade wird wieder in seine Zelle geführt, die an einem der Außengänge neben der Küche liegt. Manchmal hört er die gefangenen Frauen singen. Eine Zelle für Todeskandidaten?

Ein Hoffnungsschimmer

Der Oberkalfaktor bringt Arno Bade Bücher sowjetischer Autoren und ein Buch über den Kampf der Internationalen Brigaden in Spanien. Bade ahnt nicht, dass er die Verbesserung seiner Haftbedingungen einem fernen Ereignis verdankt: Im Februar 1956 hat in Moskau der XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion erstmals über Stalins Verbrechen gesprochen! Erst ein Jahr später in Bautzen erfährt er davon.

Im Mai 1956 lädt ihn der Oberstaatsanwalt ein zweites Mal vor, redet ihm zu, das Geständnis zu bestätigen. „Sie haben sich beschwert, und wir haben Ihnen bessere Möglichkeiten eingeräumt, bessere als jedem anderen …“

Bade wird nicht weich. „Ich bin unschuldig!“, sagt er mit fester Stimme. „So unschuldig wie am ersten Tag, das habe ich Ihnen erklärt. Alles, was Sie hier gemacht haben, das war blanke Erpressung.“

Der Oberstaatsanwalt stellt ein paar Fragen.

Bade ist zu keinem Kompromiss mehr bereit. Aufsässig fragt er ganz direkt: „Wie viel kriege ich denn nun nach Ihrem Dafürhalten?“

Der Oberstaatsanwalt zögert. „Na, wir werden das schon machen … Sie werden staunen.“

„Diese Rundfunkbrandstiftung werden Sie mir nie nachweisen können! Da können Sie sich auf den Kopf stellen. Und ohne die – wie viel wollen Sie mir denn da geben?“

Schließlich ist von fünf bis acht Jahren für die Wirtschaftsverbrechen die Rede. Und: Wenn es wirklich nichts werde mit der Todesstrafe – für die Irreführung der Staatsorgane kämen gewiss noch drei bis fünf Jahre drauf. Also zwölf bis fünfzehn Jahre. Das reiche wahrscheinlich nicht einmal. Das ist als Druckmittel gemeint. Der Oberstaatsanwalt ahnt nicht, wie erleichtert Bade sich fühlt. Die Todesstrafe ist vom Tisch!

Im Juni wird Arno Bade noch einmal vorgeführt. „Ich kann noch nichts Genaues sagen …“, äußert sich der Oberstaatsanwalt. „Ich soll Ihnen jedenfalls Grüße von Ihrer Frau Mutter ausrichten.“

Zum ersten Mal nach fünfzehn Monaten hört Bade von seiner Mutter. „Wie geht es ihr?“

„Soweit ich sehen kann, ausgezeichnet. Ich habe mit ihr gesprochen und soll Sie herzlich grüßen.“

Kein Wort darüber, dass die Mutter neun Monate in Rummelsburg in Haft gewesen ist und ihre berufliche Selbstständigkeit eingebüßt hat. Doch Bade weiß nun: Von der Todesstrafe ist nicht mehr die Rede. Es kann nur besser werden. Er wird in die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in der Lichtenberger Magdalenenstraße verlegt, dem Stasi-Hauptquartier schräg gegenüber. Es ist eine „komfortable“ Zelle, verglichen mit Hohenschönhausen. Er hört die Glocken der nahen Glaubenskirche und zählt die Stunden. Arno Bade wartet auf seinen Prozess.

Noch einmal wird er Staatsanwalt Piehl vorgeführt. Der wird der Ankläger sein und droht: „Hören Sie mal, Bade, fahren Sie mir nicht in die Parade! Ich bin der Ankläger. Ich lege das Strafmaß fest. Wenn Sie mir frech werden, müssen Sie mit ein paar Jahren mehr rechnen. Sie sind mir ausgeliefert mit Haut und Haaren!“

Doch Bade lässt sich nicht mehr einschüchtern. Er sagt: „Mir wäre lieber, Sie würden mir endlich einen Rechtsanwalt schicken!“

Zwei Tage vor dem Prozess überreicht man ihm ein dickes Bündel Papier: die Anklageschrift. Er weiß nicht einmal, ob er einen Verteidiger haben wird. Am Montagmorgen – es ist der 6. August 1956, und Bade sitzt seit anderthalb Jahren in Untersuchungshaft – scheint man ihn zu vergessen. Erst als er sich meldet und auf den Prozesstermin hinweist, werden ihm in aller Eile die Haare gestutzt und die Zivilkleider gereicht. Er bekommt sogar eine Schachtel Zigaretten und Streichhölzer. Ein lange entbehrter Genuss. Zu spät merkt er, wie knapp die Luft in der engen „grünen Minna“ ist, ihm wird übel. In der Littenstraße taumelt er in den Hof.

Als Arno Bade von zwei Uniformierten in den Gerichtssaal geführt wird, nähert sich ein Mann im schwarzen Talar. „Guten Tag. Mein Name ist Albrecht. Ich bin Ihr Verteidiger.“

Bade ergreift die ausgestreckte Hand.

Der Anwalt nimmt ihn beiseite, die Uniformierten lassen es widerspruchslos zu. „Ich soll Ihnen Grüße von Ihrer Mutter bestellen. Sie hat mich herausgepickt. Ich habe Verbindung zum Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen …“

Bade ist alarmiert. Der UfJ! Die Agentenzentrale in West-Berlin. Weshalb erzählt der Mann ihm das? Ist das eine neue Finte der Stasi? Er nimmt alle Kraft zusammen. „Haben Sie überhaupt die Anklageschrift gesehen?“

„Ja, die habe ich vor zehn Minuten bekommen. Mit dem Rundfunkbrand haben Sie ja nichts zu tun, wie ich gesehen habe. Diese Wirtschaftsvergehen – ist das alles?“

„Das ist alles. Und die angebliche Irreführung der Staatssicherheitsorgane. Ich hoffe, Sie können mir in irgendeiner Form helfen. Wenn nicht, dann …“

„Hören Sie auf“, sagt Albrecht. „Mit Gott!“

Jetzt schöpft Arno Bade ein bisschen Mut. Seine Mutter wird schon den Richtigen beauftragt haben. „Mit Gott“ hätte einer von der Stasi nicht gesagt. Niemals!

Richter Hans Genrich eröffnet den Prozess vor dem Stadtgericht Groß-Berlin, Strafsenat 1a, zuständig für politische Strafsachen. Er schließt die Öffentlichkeit aus „Gründen der Staatssicherheit“ von der Verhandlung aus. Die einzigen Zuhörer, Bades Mutter, seine Tante und eine fremde Frau, müssen den Saal verlassen. Dabei ist an diesem Tag von der Staatssicherheit nur bei der Verlesung der Anklage die Rede, alles dreht sich um die angeblichen Wirtschaftsverbrechen, die minutiös auseinandergenommen werden. Erst am zweiten Verhandlungstag wendet sich das Gericht Bades „falschen Angaben“ zum Brand zu.

„Wie sind denn die nun zustande gekommen?“, will Genrich wissen.

„Das kann ich Ihnen genau sagen: Alles, was hier gelaufen ist, war Erpressung von Seiten der Staatsmacht. Ich habe von Anfang an meine Unschuld beteuert. Und wenn ich ein Notizbuch hatte, wo Namen drin standen, die mit normalen westlichen Organisationen zu tun haben, dann sind das in meinen Augen noch keine Agenten.“

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