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Die Schaffnerin; Die Mächtigen: Novellen

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Der Amtmann bog sich vor Lachen. Dann sagte er, ein Stück Brot abbeißend und emsig kauend. »Kinderchen, wenn ihr’s redlich meint unter euch, werde ich schon sorgen, daß euch die Exzellenz Brot giebt und daß ihr euch noch in Bruneck nehmen könnt. Ja, der Tarnow,« fuhr er dann fort, das eine Auge zuzwickend, »der hat’s dick hinter den Ohren, wa? Ein Schuftkerl, hä!« Er stand auf, nahm das Kinn Tarnows zwischen Daumen und Zeigefinger, schob es zurück, und mit dem fröhlichsten Gesicht der Welt gab er ihm nun einen Schlag auf die Wangen. Jetzt lachte auch Tarnow, aber etwas sonderbar.

Jedoch blieb die Stimmung bis zum Ende der Mahlzeit eine scherzhafte. Nach dem Fleisch stand Tarnow auf und sagte, er wolle etwas holen. Mit freudigem Gesicht kam er zurück und brachte Krachmandeln, die er auf der Messe gekauft. Truchs machte sich emsig darüber her. »Wie ist’s, Leutholdin, wollen wir Vielliebchen essen?« fragte er.

Die Schaffnerin schüttelte den Kopf.

»Warum denn nicht?« fragte der Amtmann und verzog den Mund.

»Ich will mit dem Tarnow Vielliebchen essen,« sagte die Schaffnerin.

»Da sehen Sie, Tarnow, was Sie voraus haben vor mir,« scherzte der Amtmann und hörte auf zu essen. Gleich darauf erhob er sich und verließ den Raum. Sein eignes Arbeitszimmer lag über dem Wohnzimmer und die beiden vernahmen jetzt ein beunruhigendes Gepolter und Geklirr über der Decke. Tarnow sah die Miresin auf dem Hofe stehen und ängstlich in die Höhe deuten. Da stand auch Tarnow auf und folgte dem Amtmann.

Als er oben in die Stube trat, sah er den Amtmann mit blutenden Händen umherrasen. Er hatte die Fensterscheiben mit der Faust eingeschlagen. Er stürzte nun auf Tarnow zu und stieß ihn mit voller Kraft vor die Brust, daß Tarnow taumelte und rückwärts zur Erde fiel. Tarnow raffte sich wieder auf, um still fortzugehen. Aber der Amtmann ergriff ihn, stieß ihn aus der Stube, durch den Vorplatz, über die Treppe hinab bis in sein Schlafzimmer. Sein Gesicht war scharlachrot geworden, Schaum stand vor seinem Munde und er ächzte: »Gehen Sie zum Teufel, zu Ihrer Braut, zu Ihrer ..... Nehmen Sie Ihre Bücher und bleiben Sie in Ihrem Loch, aber kommen Sie nicht mehr in meine Zimmer.«

Tarnow verhielt sich ruhig und erwiderte keine Silbe. Im Wohnzimmer fand er die Schaffnerin nicht mehr. Auch im Hofe war sie nicht, auch im Garten nicht. Während der Nachmittagsstunden hatte er Briefe zu schreiben, und er that seine Arbeit mit derselben Genauigkeit wie immer. Es war still im Hause. Die Leute waren auf den Feldern und es war drückend heiß. Der Bau der Waschküche war schon ziemlich weit vorgeschritten. Die Hühner hockten schläfrig im Sand, der warme Geruch aus den Ställen durchdrang auch das ganze Haus.

Als Feierabend kam und die Sonne rasch gegen Westen sank, saß Tarnow in seinem eigenen Zimmer und las in einem alten Geschichtenbuch, das er noch von seiner Mutter hatte. Plötzlich trat der Amtmann ein, den er den ganzen Nachmittag hindurch nicht gesehen hatte.

»Guten Abend,« sagte der Amtmann rauh und zog einen Stuhl herbei. Seine Stirn war gefurcht, seine Augen loderten bisweilen auf; im ganzen war etwas Zerschlagenes in seinem Wesen.

Tarnow erwiderte den Gruß.

Der Amtmann schwieg lange. Er starrte unbeweglich vor sich hin. »Nun, mein lieber Tarnow,« sagte er endlich, »wollen Sie denn wirklich die Leutholdin heiraten? Sie dürfen ganz offen mit mir reden. Aber ich komme jetzt daherein zu Ihnen wie ein guter Freund. Passen Sie auf, sie hat ja eine ganz hübsche Fratze, das läßt sich nicht leugnen. Aber sie hat keine Bildung, sie hat keine Erziehung, sie hat kein Vermögen. Na, sind das nicht große Fehler in Ihren Augen? Mein Gott, sie kann ja nähen und flicken und kochen und sie hat ein ganz gutes Herz, aber da giebt’s viele. Haben Sie sich denn das nu genau überlegt?«

Tarnow blickte furchtsam auf die Lippen des Amtmanns. Jedes neue Wort vermehrte diese unbestimmte Furcht. Als Truchs schwieg und ihn forschend ansah, sagte er leise: »Ich hätte ja nie daran gedacht, wenn der Herr Amtmann nicht selbst –. Ich habe keine Stellung. So lange ich kein Brot für meine Frau habe, kann ich nicht heiraten.«

Jetzt wurde der Amtmann auf einmal ganz heiter. Er stand auf, klopfte Tarnow auf die Schulter und sagte: »Ein guter Kerl sind Sie, Tarnow, ein verflucht guter Bursche. Heute müssen wir zusammen anstoßen beim Trinken!« Und kameradschaftlich zurückwinkend verließ er die Stube.

Die Essenszeit kam, aber Tarnow hatte heute nicht Lust zu essen. Er versuchte sich zwar einzureden, daß er Hunger habe, aber seine Gedanken irrten bald wieder zu ganz anderen Dingen und fesselten ihn an seinen Platz. Als er später hinunterging, war es schon dunkel geworden. Niemand hatte nach ihm gerufen. In einem Winkel des Hofes sah er auf übereinandergeschichteten Backsteinen Stauff und die Libuhn sitzen, engumschlungen. Sie küßten sich, er konnte es sehen, seine Augen schienen ihm doppelt so scharf als sonst. Die beiden achteten auf nichts was rings um sie vorging. Tarnow wurde die Kehle trocken; er ging hin zum Brunnen und schlürfte Wasser. Dann rief er seinen Kater und als er den Hof verließ, hatte der Kuß des Stauff und der Libuhn sein Ende noch immer nicht erreicht.

Die Sonne war in Dünsten untergegangen; schlechtes Wetter stand bevor. Ein kühler Nachtwind strich über das Thal. Tarnow glaubte den Fluß lauter rauschen zu hören als sonst. Scharf und durchdringend gellten die Pfiffe der Maschinen vom Bahnhof, Schwalben flogen dicht über dem Wasserspiegel und das Gebimmel einer Kapelle stimmte ihn ganz elegisch. Der Kater quietschte bisweilen oder blieb stehen und fixierte mit flammenden Augen einen Nachtvogel.

Als der Zapfenstreich lang und melodisch über die Wiesen hallte, kehrte Tarnow zurück. Er suchte sofort sein Zimmer auf, aber eine peinigende Unruhe überfiel ihn zu gleicher Zeit. Er entledigte sich der schweren Stiefel und ging in Strümpfen auf und ab. Hierauf öffnete er die Thüre, lauschte hinaus, lehnte sie dann, als er keinen Laut vernahm, wieder vorsichtig an, ohne sie ins Schloß fallen zu lassen. Da der Wind draußen an Stärke zunahm und ein Zug entstand, schloß er das Fenster und setzte seine Wanderung im Dunkeln fort. Alles im Hause schien zu schlafen.

Aber als es zehn Uhr geschlagen hatte (man konnte deutlich die Turmuhren von der Stadt hören), wurde ein knarrendes Geräusch, wie wenn eine Thüre geöffnet wird, im Flur laut. Tarnow wußte, es war vom Schlafzimmer des Amtmanns, das dem seinen schräg gegenüber lag. Als das Knarren zum zweitenmal, durch das Schließen der Thüre vernehmlich wurde, schlich Tarnow hinaus in den Gang. Zehn Schritte vor ihm ging der Amtmann. Er schien nicht besorgt, seine Schritte zu dämpfen, sondern trat mit der ganzen Sohle auf. Seine Füße waren nackt; das Fleisch leuchtete durch die Dunkelheit.

Der Amtmann betrat das Zimmer der Schaffnerin, das unverschlossen gewesen war. Und als er die Thüre wieder hinter sich geschlossen hatte, hörte Tarnow auch nicht, daß er den Riegel vorschob oder das Schloß umdrehte.

Nun ist er also drin, dachte Tarnow mit einem Herzen, das ihm schwer war von Bekümmertheit. Und er wartete wieder wie damals auf streitende Stimmen und auf Geschrei, nur wartete er diesmal mit vielmehr Zuversicht darauf.

Aber es blieb alles still. Nein, ich begreife das nicht, dachte Tarnow jetzt und schlich an der Thür der Schaffnerin vorbei, hockte sich einige Schritte davon auf die Fließen des Flurs und beschloß zu warten. Alles war finster um ihn. Er konnte nicht die Mauer sehen und nichts außerdem. Nur gleichsam in weiter Ferne fiel das Licht der Nacht durch das Glasfenster über den Hauseingang.

Einen Augenblick dachte Tarnow daran, hineinzugehen, aber diese Vorstellung versetzte ihn in einen tötlichen Schrecken. Quälende Bilder sah er, quälender wie die eines bösen Traums. Er hatte Durst; die Finsternis flimmerte vor seinen Augen, hämmerte vor seinen Ohren und die Nacht schritt vor um manche Viertelstunde. Es wäre ihm gleich gewesen, wenn der Amtmann mit einem Licht herausgekommen wäre und ihn gesehen hätte.

Endlich, nach wie langer Zeit konnte er nicht schätzen, kam Truchs wieder heraus. Er schloß die Thür ziemlich heftig und murmelte auf ein Pst von drinnen etwas in den Bart. Er wankte schläfrig den Flur entlang. Bald war wieder alles ruhig.

Auch Tarnow erhob sich nun. In seinem Zimmer warf er sich aufs Bett und die Thränen flossen ihm zu den Wangen herunter.

V

Es kamen Fuhrleute von Strelentin, die Balkenholz für den Neubau brachten; denn Strelentin war von Wald umgeben und Zimmerleute waren dort fortwährend beschäftigt. Tarnow stand hinter den Wagen und notierte. Als er damit fertig war, wischte er sich den Schweiß von der Stirn, trotzdem es heute weder heiß, noch die Arbeit da sehr anstrengend war. Er schaute dann ermüdet auf die Chaussee hinüber, die auf dem jenseitigen Stromufer lag, als ihn die Schaffnerin rief.

Sie wandte sich um, da er ihr langsam nahte und fast mechanisch folgte er ihr in die Küche. Dort stand er vor ihr, kreideweiß im Gesicht. »Was haben Sie heute Tarnow?« fragte sie mit dumpfer Stimme.

»Warum fragen Sie mich, Fanny?« entgegnete Tarnow und sah sie fremd an. »Sie wissen es doch selbst! Sie wissen doch selbst, was geschehen ist und daß er stundenlang bei Ihnen war.«

»Ach Tarnow!« rief die Schaffnerin aus und schloß hastig die Thüre. »Kann man unglücklicher sein als ich? Was soll ich thun, wenn er kommt und wenn er sagt, er schlägt mich, wenn ich mich rühre?«

»Ach, Schaffnerin,« unterbrach sie Tarnow leise und kopfschüttelnd, »sagen Sie das nicht. Können Sie nicht zusperren? Und kein Laut war, Fanny, kein Laut war in Ihrem Zimmer.«

»Zusperren!« rief die Schaffnerin aus und schlug stürmisch die Hände zusammen. »Er thäte die Thür zerbrechen in seiner Wut und mich dazu. Und kein Laut war, – ja freilich kein Laut«, fügte sie bitter hinzu, »weil ich stumm war wie ein Fisch, weil ich ihn angespieen hab, Tarnow, wie er mir zu nahe kam. Da blieb er sitzen und sitzen, bis es ihm zu dumm worden ist. Da haben Sie’s, Tarnow. Ach wär ich doch tot, wär ich doch tot!«

 

Sie setzte sich auf den Backtrog und schlug die Hände vors Gesicht.

Tarnow empfand ein tiefes Mitleiden. Er ging und streichelte ihr übers Haar. »Ich glaub’s Ihnen ja, Fanny,« sagte er gütig. »Seien Sie doch ruhig. Fassen Sie sich, Fanny. Es muß ja ein Ende nehmen, es muß ja, sonst, – ich weiß nicht.«

Die Schaffnerin erhob sich und schlang ihre Arme um seinen Hals und sah ihm mit glühenden Blicken in die Augen. »Jetzt gehn Sie nur, Tarnow,« sagte sie dann, indem sie sich zum Herd wandte und im Suppentopf rührte. »Es wird schon werden.« Und sie lächelte über die Schulter zurück ihm zu.

»Ja, ich gehe,« sagte Tarnow, betroffen von diesem Lächeln. »Ich gehe zum Amtmann und rede mit ihm.«

Er wartete auf ihre Antwort, aber sie rührte schweigend ihre Suppe weiter, ohne daß er ihr Gesicht sehen konnte.

Der Amtmann war in der Schreibstube. Entschlossen trat Tarnow dicht vor ihn hin und sah ihm fest in die Augen, die seinem Blick entglitten. »Herr Amtmann,« sagte er in einer bestimmten Weise, in der jedoch immer das Beschwichtigende seines Wesens verborgen war, »ich komme nur, um Sie zu bitten, daß Sie doch endlich Ihre nächtlichen Besuche bei der Leuthold einstellen. Daß das nicht sein darf, um keinen Preis, müssen Sie ja einsehen, Herr Amtmann.«

Der Amtmann nickte ihm, während er sprach, emsig und ermunternd zu. »Recht so, Tarnow,« sagte er dann, indem er mit der Faust auf das Pult schlug, »das war einmal ein Wort! Recht so, Tarnow, das darf nicht sein, um keinen Preis. Mein heiliges Ehrenwort, Tarnow, es soll nimmer vorkommen. Verkrummen und verlahmen will ich an Händen und Füßen und blind dazu will ich werden, wenn es noch einmal vorkommt, Tarnow. Hier, Tarnow, meine Hand, Sie sind ein ehrenwerter Kerl.«

Tarnow, der einen entsetzlichen Wutausbruch erwartet hatte, stand wie betäubt. Aber schließlich faßte er sich und blickte unschlüssig vor sich hin. »Ich bin dem Herrn Amtmann ja sehr dankbar,« sagte er. »Aber es muß doch etwas anderes sein, wodurch die Schaffnerin sicher gestellt wird.«

»Natürlich, natürlich,« pflichtete der Amtmann eifrig bei und ging aufgeregt in der Stube auf und ab. »Also lieber Tarnow, dann machen wir’s so. Wir gehen abends alle drei zu gleicher Zeit ins Bett, nicht? Schön. Ferner soll und muß sich die Leutholdin in ihrer Stube einschließen. Einverstanden? Schön. Aber damit auch Sie mir keine Dummheiten machen, lieber Tarnow, verlange ich, daß bei Ihnen in der Stube der Jäger Klein schläft, der von morgen ab von Strelentin ganz herüber kommt. Er kann sein Bett dort aufschlagen. Einverstanden? Schön, jetzt sind wir wieder die besten Freunde, wa?«

An demselben Mittag veranlaßte der Amtmann die Schaffnerin, sich mit Tarnow zu dutzen und erklärte sie für Brautleute. Er holte das Schreibzeug und Papier und schrieb eine Erklärung nieder, daß Tarnow die Schaffnerin heiraten wolle, wenn er Strelentin bekäme. Tarnow unterschrieb, und er faßte wirklich Hoffnungen für die Zukunft. »Ich gehe heute gegen Abend in die Stadt,« sagte der Amtmann, »weil ich zur Exzellenz muß. Ich werde dann schon für euch sprechen, Kinder.«

Zu alldem blickte die Schaffnerin gleichgültig auf ihren Teller nieder. Als der Amtmann hinaus war, lachte sie.

»Warum das Lachen?« fragte Tarnow verlegen, der auf solch plumpe Art das du vermied.

Sie lachte noch mehr und schüttelte dann leise den Kopf, als ob sie etwas nicht begreifen könne. Tarnow ging an seine Arbeit, die ihm diesen Nachmittag flink von statten geriet. Der Amtmann war wirklich in die Stadt gegangen und als Tarnow fertig war, wanderte er zwischen den Gartenbeeten auf und nieder. Aus diesem Ungestörtsein riß ihn erst der Jäger, der von Strelentin kam. Sogleich begann er, Tarnow zu erzählen, daß ein neuer Verwalter auf Strelentin angekommen sei, ein ehemaliger Student aus Berlin. Er habe gleich seine Frau mitgebracht.

Es war Tarnow, als ob ihm die Beine plötzlich abgehauen würden. Ein konvulsivisches Zittern überlief ihn und zog ihm die Haut zusammen. Aber trotzdem faßte er sich schnell, und er fühlte etwas wie Scham wegen seiner Erregung. Beinahe gleichzeitig kam auch Truchs aus der Stadt zurück und rief Tarnow zum Tisch. »Also Kinderchen,« sagte er, lustig mit den Augen blinzelnd, »es geht alles aufs beste. Die Exzellenz will sich die Sache überlegen, und es ist sehr wahrscheinlich, daß ihr nach Strelentin kommt.«

Tarnow erhob sich unwillkürlich und blickte den Amtmann vorwurfsvoll an. Truchs merkte sofort, woran er war. Er verschränkte die Arme über der Brust und schwieg trotzig still. Seine funkelnden Augen waren auf Tarnow gerichtet. Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche, entfaltete es und reichte es Tarnow hinüber. Tarnow las die vom Amtmann geschriebene Erklärung wegen der Heirat, unter die er in freudigen Zügen seinen Namen gesetzt hatte. Er begriff nicht, was der Amtmann meinte und mit fragendem Blick gab er das Blatt zurück. Truchs lächelte mit einem finsteren Lächeln, strich einige Male zärtlich über das Papier und riß es dann mitten durch.

Tarnow senkte den Kopf.

Eine Viertelstunde später ging er auf die Vorwerke hinaus, wo trotz der abendlichen Stunde etwas nachzusehen war. Er ging und wußte nicht, daß er ging. Tausend zerfließende Gedanken durchkreuzten seinen Kopf. Eine allgemeine Angst erfaßte ihn, und einige Male blieb er stehen, um entmutigt die Hand auf die Stirn zu legen.

Als er von den Vorwerken zurückkam, stand die Schaffnerin vor dem Haus. Es dämmerte schon. Graue, lange Wolken bedeckten den Himmel. Als Tarnow der Schaffnerin ins Gesicht sah, erschrak er. Sie hatte eine Leichenfarbe. Ihre Augen waren wie verquollen, ihre Haare verwirrt, ihre Lippen zusammengepreßt.

»Was hast du, Fanny?« fragte Tarnow.

Sie gab ihm keine Antwort, sondern blickte mit zuckendem Mund zur Seite. Und er wiederholte seine Frage. Sie legte ihre Hand leicht auf die seine und wollte sprechen, als der Amtmann aus dem Haus trat und mit rauher Stimme nach ihr rief. Er gewahrte auch Tarnow, kam näher, begrüßte ihn freundlich, legte seinen Arm in den des Wirtschaftsschreibers und zog ihn fort.

»Wollen Sie eine Zigarre haben, lieber Tarnow?« fragte Truchs, als sie im Hof auf und ab gingen.

»Danke, Herr Amtmann, ich rauche nicht,« erwiderte Tarnow, der eine atemlose Spannung empfand.

»Aber zum Teufel, Herr, nehmen Sie doch eine Zigarre, wenn ich Ihnen eine anbiete.«

»Ich habe noch nie geraucht, Herr Amtmann.«

»Das ist mir egal.«

Tarnow nahm eine Zigarre und zündete sie unbeholfen an, als ihm der Amtmann Streichhölzer gegeben hatte.

Der Amtmann barst vor Lachen. »Sie haben ja die Spitze nicht abgeschnitten,« keuchte er, sich auf den Bauch klopfend. »Sie sind mir ein rechter Maulwurf.«

Tarnow schnitt die Spitze ab und bemühte sich mechanisch, den Rauch aus der Zigarre zu ziehen. Der Amtmann war in einem Nu ernst geworden. »So, jetzt können wir ja reden,« sagte er. »Also was ich Ihnen mitteilen wollte, ist das: nämlich, – aber bleiben Sie nur hübsch ruhig – nämlich, die Leutholdin ist meine Braut. Sie gefällt mir und ich will sie heiraten. Das wollt ich Ihnen nur mitteilen.«

Tarnow lehnte sich an den Gartenzaun und warf die glimmende Zigarre in den Sand. In seinem Gesicht ging eine wunderliche Veränderung vor. Es war, als ob der Mund sich verschoben hätte und das Kinn schief geworden sei. Dann drehte er sich um und hustete, indem er sich an einem Pfahl festhielt und die Kniee daran preßte.

»Na was ist, Tarnow, was ist? was haben Sie?« rief der Amtmann ungeduldig und kratzte sich den Kopf.

Tarnow wandte sich wieder um und mit gesenktem Haupt sagte er ruhig: »Ich wünsche dem Herrn Amtmann viel Glück. Ich werde Sie trotzdem so schätzen, als ob Sie eine Baronesse zur Frau bekommen hätten.«

Die seltsame Antwort machte den Amtmann stutzig. Aber er hatte nicht Lust, weiter zu fragen, sondern ging ins Haus. Tarnow folgte ihm und suchte gleich sein Zimmer auf, wo der Jäger Klein schon im tiefen Schlaf lag.

Tarnows Arbeit am nächsten Tag glich einer Arbeit, die man im Traum verrichtet. Aber er beherrschte sich so, daß es nicht auffallend war. Er konnte die Schaffnerin von da an nicht mehr sprechen. Der Amtmann war stets zugegen, wenn er sie irgendwo traf, und schließlich kam es so, daß er sich davor fürchtete, sie irgendwo allein zu treffen. Seine Augen waren immer umschleiert, so daß sein Blick etwas dumpf Sinnendes bekam. Sein Gang war schlendernder geworden. Eine merkbare Veränderung war mit ihm vorgegangen.

Auf den Wiesen wurde das Gras gemäht. Die Libuhn war bei den Kühen und melkte. Das Dach des kleinen Neubaues war schon aufgesetzt. Tarnow schrieb im Bureau. Die Schaffnerin und Truchs saßen in der Wohnstube.

»Nun Fanny, was hast du mir zu sagen?« fragte der Amtmann, der die Ellbogen auf seine Kniee gestützt hatte und ganz vorgebeugt saß.

»Ich, Truchs? Was soll ich dir zu sagen haben?«