Jack London – Gesammelte Werke

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1 Ruffs nennt man auf See­schif­fen die auf Deck ste­hen­den klei­nen Holz­bau­wer­ke, wel­che als Woh­nung für die Mann­schaft die­nen. <<<

17

Merk­wür­di­ger­wei­se er­eig­ne­te sich trotz den all­ge­mei­nen Ah­nun­gen nichts Be­son­de­res auf der ›Ghost‹. Wir lie­fen wei­ter nach Nor­den und Wes­ten, bis wir die ja­pa­ni­sche Küs­te er­reich­ten und die großen Rob­ben­her­den fan­den. Sie ka­men durch den un­end­li­chen Ozean – nie­mand wuss­te wo­her – auf ih­ren all­jähr­li­chen Wan­de­run­gen nach den Paa­rungs­plät­zen an der Be­ringsee. Und nach Nor­den fuh­ren wir, mor­dend und ver­nich­tend, in­dem wir die ge­schun­de­nen Kör­per den Hai­en über­lie­ßen und die Häu­te ein­salz­ten, da­mit sie spä­ter die schö­nen Schul­tern der Städ­te­rin­nen schmücken konn­ten.

Es war Mas­sen­mord, und al­les um des Wei­bes wil­len. Nie­mand aß das Fleisch oder ge­brauch­te den Tran. Nach ei­nem gu­ten Jagd­ta­ge war das gan­ze Deck mit Fel­len und Kör­pern über­sät und schlüpf­rig von Fett und Blut, durch die Spei­se­gat­ten floss ein ro­ter Strom, und Mas­ten, Tau­werk und Re­ling wa­ren blut­be­spritzt. Die Män­ner ver­rich­te­ten ihr Hand­werk wie Schläch­ter, mit blo­ßen, ro­ten Ar­men und großen Mes­sern in den Hän­den, um die schö­nen See­tie­re, die sie ge­tö­tet hat­ten, ih­rer Fel­le zu be­rau­ben.

Ich hat­te die Auf­ga­be, die Fel­le nach­zu­zäh­len, wenn sie von den Boo­ten an Deck ge­schafft wur­den, das Häu­ten und spä­ter die Säu­be­rung des Decks zu be­auf­sich­ti­gen. Es war kei­ne er­freu­li­che Ar­beit. See­le und Ma­gen em­pör­ten sich da­ge­gen. Und doch tat mir die­se Ar­beits­leis­tung und der Be­fehl über vie­le Män­ner gut. Mei­ne Ent­schlos­sen­heit ent­wi­ckel­te sich, und ich merk­te, dass ich aus­dau­ernd und ab­ge­här­tet wur­de. Ei­nes be­gann ich zu füh­len, dass ich nie wie­der der­sel­be wer­den konn­te, der ich ge­we­sen war. Über­leb­ten auch mei­ne Hoff­nung und mein Glau­be an das mensch­li­che Le­ben im­mer noch Wolf Lar­sens ver­nich­ten­de Kri­tik, so hat­te er den­noch Ver­än­de­run­gen in we­ni­ger wich­ti­gen Din­gen bei mir ver­ur­sacht. Er hat­te mir die Welt der Wirk­lich­keit ge­öff­net, von der ich bis­her tat­säch­lich nichts ge­wusst, und die ich im­mer ge­scheut hat­te. Ich hat­te ge­lernt; das Le­ben, wie es wirk­lich war, nä­her zu be­trach­ten, zu er­ken­nen, dass es et­was auf der Welt gab, das Tat­sa­chen hieß, sich zu be­frei­en von der Herr­schaft des Geis­tes und der Ge­dan­ken und einen ge­wis­sen Wert zu le­gen auf die greif­ba­ren, ge­gen­ständ­li­chen Sei­ten des Da­seins.

Als wir die Jagd­grün­de er­reicht hat­ten, sah ich Wolf Lar­sen mehr denn je. Denn wenn das Wet­ter schön war und wir uns in­mit­ten ei­ner Her­de be­fan­den, wa­ren alle Mann in den Boo­ten, und nur er und ich so­wie Tho­mas Mu­gridge, der nicht zähl­te, blie­ben an Bord. Aber das war kei­ne Er­ho­lung für mich. Die sechs Boo­te zer­streu­ten sich fä­cher­för­mig vom Scho­ner, bis das äu­ßers­te Luv- und Lee­boot zehn bis zwan­zig Mei­len von­ein­an­der ent­fernt wa­ren, dann kreuz­ten sie und jag­ten, bis die Nacht her­ein­brach oder schlech­tes Wet­ter sie zur Um­kehr zwang. Un­se­re Auf­ga­be war es, die ›Ghost‹ in Lee des letz­ten Lee­boo­tes zu steu­ern, so­dass alle Boo­te güns­ti­gen Wind hat­ten, wenn sie uns bei dro­hen­dem Un­wet­ter er­rei­chen woll­ten.

Es ist kei­ne Klei­nig­keit für zwei Mann, na­ment­lich bei stei­fem Wind, ein Fahr­zeug wie die ›Ghost‹ zu füh­ren, zu steu­ern, Aus­schau nach den Boo­ten zu hal­ten und Se­gel zu set­zen und zu strei­chen. Da­her galt es für mich, zu ler­nen, und schnell zu ler­nen. Das Steu­ern er­fass­te ich leicht, aber in die Ta­ke­lung zu klet­tern und nur durch die Kraft mei­ner Arme mein gan­zes Ge­wicht hin­auf­zu­sch­win­gen, wenn ich die Wan­ten ver­ließ, um noch hö­her zu ge­hen, war schon viel schwe­rer. Aber auch das lern­te ich rasch, denn ich spür­te in mir den hei­ßen Wunsch, vor Wolf Lar­sen zu be­ste­hen, mein Recht am Le­ben auf an­de­ren We­gen als de­nen des Geis­tes zu be­wei­sen. Ja, es kam die Zeit, da es mir ge­ra­de­zu eine Freu­de mach­te, die Be­we­gun­gen der Mast­spit­ze zu füh­len und mich mit den Bei­nen fest­zu­klam­mern, wäh­rend ich durch das Glas das Meer nach den Boo­ten ab­such­te.

Ich er­in­ne­re mich ei­nes Ta­ges, als die Boo­te früh aus­fuh­ren, wie das Knal­len der Büch­sen im­mer fer­ner und schwä­cher klang und schließ­lich ganz erstarb, je wei­ter sie sich über das Meer zer­streu­ten. Es weh­te ganz schwach aus Wes­ten, aber der Wind schlief völ­lig ein, ge­ra­de als wir in Lee der Boo­te an­ge­langt wa­ren. Ei­nes nach dem an­de­ren – ich sah es von der Mast­spit­ze aus – ver­schwan­den die sechs Boo­te hin­ter der Run­dung der Erde, in­dem sie die Rob­ben west­wärts ver­folg­ten. Wir la­gen, nur ganz schwach in der stil­len See rol­lend und au­ßer­stan­de, die Boo­te ein­zu­ho­len. Wolf Lar­sen war ernst. Das Baro­me­ter fiel, und der Him­mel im Os­ten ge­fiel ihm nicht. Er stu­dier­te ihn mit un­un­ter­bro­che­ner Wach­sam­keit.

»Wenn es dort«, sag­te er, »plötz­lich los­bricht und uns in Luv von den Boo­ten treibt, kann es leicht lee­re Ko­jen in Zwi­schen­deck und Back ge­ben.«

Ge­gen elf Uhr war die See blank wie Glas ge­wor­den. Um Mit­tag war die Hit­ze, ob­wohl wir uns hoch im Nor­den be­fan­den, er­sti­ckend. Nicht ein Lüft­chen weh­te. Es war schwül und drückend, und ich er­in­ner­te mich des ka­li­for­ni­schen Aus­drucks ›Erd­be­ben­wet­ter‹. Et­was Un­heil­ver­kün­den­des war dar­in, und man hat­te das un­er­klär­li­che Ge­fühl, dass das Schlimms­te be­vor­stand. Lang­sam füll­te sieh der öst­li­che Him­mel mit Wol­ken, die uns wie ein schwar­zes Ge­bir­ge der Höl­len­re­gi­on über­rag­ten. So deut­lich konn­te man Schlün­de, Schluch­ten und Ab­grün­de mit ih­ren Schat­ten un­ter­schei­den, dass man un­will­kür­lich nach der wei­ßen Bran­dungs­li­nie aus­schau­te und auf ihr Brül­len lausch­te. Und im­mer noch schau­kel­ten wir sanft in der Wind­stil­le.

»Das ist kei­ne Bö«, sag­te Wolf Lar­sen. »Die alte Mut­ter Na­tur ist dar­an, sich auf die Hin­ter­bei­ne zu stel­len und los­zu­le­gen, und wir kön­nen froh sein, Hump, wenn die Hälf­te uns­rer Boo­te durch­kommt. Sie tä­ten am bes­ten, nach oben zu ge­hen und die Topp­se­gel los­zu­ma­chen.«

»Aber wenn es los­bricht, und wir sind nur zwei hier?« frag­te ich mit ei­nem Klang von Pro­test in der Stim­me. »Na, wir wol­len tun, was wir kön­nen, und den ers­ten An­prall be­nut­zen, um un­se­re Boo­te zu er­rei­chen, ehe un­se­re Lein­wand in Fet­zen geht. Was dann ge­schieht, da­für gebe ich kei­nen Deut. Die Höl­zer wer­den schon hal­ten, und das wer­den wir bei­de auch, wenn es auch eine har­te Nuss für uns wird.«

Im­mer noch hielt die Stil­le an. Wir aßen zu Mit­tag. Es war eine has­ti­ge, ängst­li­che Mahl­zeit mit dem Ge­dan­ken an die acht­zehn Mann drau­ßen auf See hin­ter dem Ho­ri­zont und die him­mel­ho­hen Wol­ken­ber­ge, die lang­sam nä­her zo­gen. Wolf Lar­sen schi­en in­des­sen ganz un­be­küm­mert, nur be­ob­ach­te­te ich, als wir an Deck zu­rück­kehr­ten, ein schwa­ches Zit­tern der Na­sen­flü­gel und eine spür­ba­re Un­rast in sei­nen Be­we­gun­gen. Sein Ge­sicht war starr, die Li­ni­en hart ge­wor­den, und doch lag in sei­nen Au­gen – blau und klar wa­ren sie an die­sem Tage – ein selt­sa­mer Schim­mer, ein hel­les fun­keln­des Licht. Ich war über­rascht, ihn von ei­ner grim­mi­gen Fröh­lich­keit ge­packt zu se­hen, er schi­en sich zu freu­en auf den be­vor­ste­hen­den Kampf, durch­schau­ert, ge­ho­ben zu wer­den durch das Be­wusst­sein, dass ei­ner der großen Au­gen­bli­cke be­vor­stand, in de­nen die Ebbe des Le­bens zur Flut schwillt.

Ohne zu ah­nen, dass er es tat, oder dass ich es sah, lach­te er ein­mal laut, spöt­tisch und her­aus­for­dernd dem na­hen­den Sturm ent­ge­gen. Noch jetzt sehe ich ihn vor mir wie einen Zwerg aus ›Tau­send­und­ei­ner Nacht‹ vor dem un­ge­heu­ren Ant­litz ei­nes bö­sen Geis­tes. Er trotz­te dem Ge­schick und fürch­te­te sich nicht.

Er schritt nach der Kom­bü­se. »Köch­lein, wenn du fer­tig bist mit dei­nen Töp­fen und Pfan­nen, wirst du auf Deck ge­braucht. Halt dich be­reit, wenn du ge­ru­fen wirst.«

»Hump«, sag­te er, als er den be­wun­dern­den Blick be­merk­te, den ich auf ihn warf, »das ist bes­ser als Whis­ky, und da ver­sa­gen auch Ihre Dich­ter.«

Der west­li­che Him­mel war un­ter­des­sen fins­ter ge­wor­den. Die Son­ne war ver­dun­kelt und un­sern Bli­cken ent­zo­gen. Es war zwei Uhr nach­mit­tags, und ein geis­ter­haf­tes Zwie­licht hat­te sich, hier und dort von pur­pur­nen Strah­len durch­schos­sen, auf uns her­ab­ge­senkt. In die­sem pur­pur­nen Licht er­glüh­te das Ge­sicht Wolf Lar­sens, und mei­ne auf­ge­reg­te Fan­ta­sie um­gab ihn mit ei­nem Hei­li­gen­schein. Wir la­gen in­mit­ten ei­ner un­ir­di­schen Stil­le, wäh­rend al­les um uns Töne und Be­we­gung ver­kün­de­te. Die drücken­de Hit­ze war un­er­träg­lich ge­wor­den. Der Schweiß stand mir auf der Stirn, und ich fühl­te ihn an mei­ner Nase her­ab­träu­feln. Mir war, als soll­te ich ohn­mäch­tig wer­den, und ich griff nach der Re­ling, um einen Halt zu fin­den. Und ge­ra­de da kam ein ganz, ganz schwa­ches Lüft­chen. Es kam von Os­ten, kam wie ein lei­ses Säu­seln und ging wie­der. Die schlaf­fen Se­gel be­weg­ten sich nicht, und doch hat­te mein Ge­sicht den Luft­zug ge­spürt und eine Küh­lung emp­fun­den.

»Köch­lein«, rief Wolf Lar­sen mit lei­ser Stim­me. Tho­mas Mu­gridge er­schi­en mit ei­ner er­bar­mens­wert kläg­li­chen Mie­ne. »Nimm die Fock­tal­je und halt sie quer, und wenn die Schoot glatt geht, dann ist es gut, und du kommt hübsch mit der Tal­je her. Und wenn du Un­sinn machst, dann wird es der letz­te sein, den du je ge­macht hast. Ver­stan­den?«

 

»Herr van Wey­den, hal­ten Sie sich fer­tig, die Vor­se­gel über­ge­hen zu las­sen. Dann sprin­gen Sie nach oben und brei­ten die Topp­se­gel aus, so schnell es mit Got­tes Hil­fe ge­sche­hen kann – –, je schnel­ler Sie ma­chen, de­sto leich­ter geht es. Und wenn der Koch nicht fix macht, dann ge­ben Sie ihm eins zwi­schen die Au­gen. Ich ver­stand das Kom­pli­ment und war froh, dass kei­ne Dro­hun­gen mei­ne Un­ter­wei­sun­gen be­glei­te­ten. Wir la­gen hart nach Nord­west, und es war sei­ne Ab­sicht, beim ers­ten Wind­stoß zu hal­sen.«

»Wir krie­gen die Bri­se in die Dil­len«, er­klär­te er mir. »Nach den letz­ten Schüs­sen müs­sen die Boo­te sich nach süd­wärts ge­wandt ha­ben.«

Er dreh­te sich um und schritt nach ach­tern ans Rad. Ich ging nach vorn und stell­te mich an den Klü­ver. Ein zwei­tes Lüft­chen kam und ging, und noch ei­nes. Die Lein­wand schwang sich trä­ge.

»Gott sei Dank, es kommt nicht auf ein­mal, Herr van Wey­den!« lau­te­te der in­brüns­ti­ge Stoß­seuf­zer des Cock­neys.

Und ich war in der Tat dank­bar, denn ich hat­te in­zwi­schen ge­nug ge­lernt, um zu wis­sen, was für ein Un­glück ge­sche­hen konn­te, wenn in ei­nem sol­chen Fal­le alle Se­gel ge­setzt wa­ren. Das Säu­seln wur­de zu Wind­stö­ßen, die Se­gel bläh­ten sich, die ›Ghost‹ be­weg­te sich. Wolf Lar­sen pack­te das Rad, dreh­te es hart nach Back­bord, und wir be­gan­nen ab­zu­fal­len. Der Wind kam jetzt di­rekt von ach­tern, knur­rend und mit im­mer stär­ke­ren Stö­ßen, dass mei­ne Topp­se­gel lus­tig flat­ter­ten. Ich sah nicht, was an­ders­wo vor­ging, wenn ich auch an dem plötz­li­chen Rol­len und Über­kren­gen des Scho­ners und an dem Um­stand, dass der Wind jetzt von der an­de­ren Sei­te kam, merk­te, dass Fock- und Groß­se­gel her­um­ge­schwun­gen wa­ren. Ich hat­te alle Hän­de voll zu tun mit Klü­ver und Stag­se­gel, und als die­ser Teil mei­ner Auf­ga­be ge­löst war, sprang die ›Ghost‹ nach Süd­west, den Wind in den Dil­len, und alle Schoo­te steu­er­bord. Ohne Atem zu schöp­fen – ob­wohl mein Herz vor An­stren­gung wie ein Ham­mer­werk schlug – sprang ich zu dem Topp­se­gel hin­auf, und ehe der Wind zu stark ge­wor­den war, hat­ten wir sie ge­setzt und stan­den wie­der auf Deck. Dann ging ich nach ach­tern, um wei­te­re Be­feh­le ent­ge­gen­zu­neh­men.

Wolf Lar­sen nick­te bei­fäl­lig und über­ließ mir das Rad. Der Wind nahm be­stän­dig zu, und die See stieg. Eine Stun­de lang steu­er­te ich, und in die­ser Stun­de wur­de es mit je­dem Au­gen­blick schwe­rer. Ich hat­te kei­ne Übung, bei der Schnel­lig­keit, mit der wir jetzt fuh­ren, und mit dem Wind in den Dil­len, zu steu­ern. »Jetzt ge­hen Sie mit dem Glas nach oben und se­hen Sie, ei­ni­ge von den Boo­ten zu fin­den. Wir ha­ben we­nigs­tens zehn Kno­ten ge­macht und ma­chen jetzt zwölf bis drei­zehn. Das alte Mä­del weiß, was es zu tun hat.« Ich klet­ter­te auf die vor­de­ren Dwars­sa­lin­ge, ei­ni­ge sieb­zig Fuß über dem Deck. Wie ich über die wei­te Flä­che vor mir blick­te, wur­de mir die Not­wen­dig­keit klar, dass wir ei­len muss­ten, wenn wir über­haupt noch je­mand von der Mann­schaft fin­den woll­ten. Beim An­blick der schwe­ren See, die wir durch­fuh­ren, zwei­fel­te ich tat­säch­lich, dass sich noch ein Boot auf dem Mee­re be­fand. Es schi­en mir un­mög­lich, dass ein so ge­brech­li­ches Fahr­zeug die­sem An­sturm von Wind und Wo­gen wi­der­ste­hen könn­te.

Ich konn­te die vol­le Ge­walt des Stur­mes nicht füh­len, denn wir lie­fen mit ihm; aber von mei­nem luf­ti­gen Sit­ze sah ich auf die ›Ghost‹ hin­un­ter und sah ihre Form sich im Fah­ren scharf von der schäu­men­den See ab­he­ben. Zu­wei­len hob sie sich und durch­schnitt eine schwe­re Woge, dass die Steu­er­bor­dre­ling ver­schwand und das Deck bis zu den Lu­ken von dem ko­chen­den Ozean be­deckt war. Dann konn­te ich in­fol­ge des Rol­lens nach Luv plötz­lich mit schwin­del­er­re­gen­der Schnel­lig­keit durch die Luft sau­sen, als ob ich am Ende ei­nes un­ge­heu­ren, um­ge­kehr­ten Pen­dels hing, des­sen Schwin­gun­gen sieb­zig Fuß oder noch mehr be­tru­gen.

Ein­mal über­wäl­tig­te mich das Ent­set­zen über dies schwin­deln­de Krei­sen, und se­kun­den­lang klam­mer­te ich mich mit Hän­den und Fü­ßen an, schwach und zit­ternd, un­fä­hig, das Meer nach den ver­miss­ten Boo­ten ab­zu­su­chen, und ohne et­was an­de­res von ihm zu wis­sen, als dass es brül­lend un­ter mir die ›Ghost‹ zu über­wäl­ti­gen such­te.

Aber der Ge­dan­ke an die Män­ner dort drau­ßen rüt­tel­te mich auf, und in der Su­che nach ih­nen ver­gaß ich mich sel­ber. Eine Stun­de lang sah ich nichts als das öde, trost­lo­se Meer. Da er­blick­te ich an ei­ner Stel­le, wo ein un­s­te­ter Licht­strahl den Ozean traf und die Ober­flä­che in schäu­men­des Sil­ber ver­wan­del­te, einen klei­nen schwar­zen Punkt, der in ei­nem Au­gen­blick him­mel­wärts ge­schleu­dert wur­de und dann ver­schwand. Ich war­te­te ge­dul­dig. Wie­der tauch­te der schwar­ze Punkt in dem sil­ber­nen Gischt, ein paar Stri­che back­bord vorm Bug, auf. Ich ver­such­te nicht erst zu ru­fen, son­dern über­mit­tel­te Wolf Lar­sen die Nach­richt durch Schwin­gen der Arme. Er än­der­te den Kurs, und als der Punkt sich jetzt ge­ra­de vor­aus zeig­te, si­gna­li­sier­te ich, dass es stimm­te.

Der Punkt wuchs, und zwar so schnell, dass ich erst jetzt un­se­rer ei­ge­nen Schnel­lig­keit ganz in­ne­wur­de. Wolf Lar­sen mach­te mir Zei­chen, hin­un­ter­zu­kom­men, und als ich ne­ben ihm am Rade stand, un­ter­wies er mich, wie ich brack­bas­sen soll­te.

»Ma­chen Sie sich dar­auf ge­fasst, dass die gan­ze Höl­le los­bricht«, warn­te er mich, »aber küm­mern Sie sich nicht dar­um. Sie ha­ben Ihre Ar­beit zu tun und las­sen Köch­lein an der Fock­schoot ste­hen.«

Ich bahn­te mir mei­nen Weg nach vorn, aber es war kein großer Un­ter­schied, wel­che Sei­te ich be­nutz­te, da die Lu­vre­ling ge­nau wie die Lee­sei­te un­ter Was­ser be­gra­ben wur­de. Nach­dem ich Tho­mas Mu­gridge an­ge­wie­sen hat­te, was er tun soll­te, klet­ter­te ich ei­ni­ge Fuß hoch in die vor­de­re Ta­ke­lung. Das Boot war jetzt ganz nahe, und ich konn­te ge­nau se­hen, wie es mit dem Bug ge­ra­de im Win­de lag und Mast und Se­gel über Bord ge­wor­fen hat­te und trei­ben ließ, um sie als See­an­ker zu be­nut­zen. Die drei Män­ner schöpf­ten das Was­ser aus. Jede Woge ent­zog sie dem Blick, und ich war­te­te er­regt und von der Furcht ge­packt, sie nie wie­der auf­tau­chen zu se­hen. Das Boot konn­te plötz­lich auf ei­nem schäu­men­den Wel­len­kamm in die Luft schie­ßen, dass der Bug him­mel­wärts zeig­te und ich den gan­zen Bo­den sah, bis es auf dem Heck zu ste­hen schi­en. Dann sah ich einen Au­gen­blick die mit wahn­sin­ni­ger Hast schöp­fen­den Män­ner. In der nächs­ten Se­kun­de stürz­te das Boot vorn­über in das gäh­nen­de Tal, und die gan­ze Sei­te mit dem Ach­teren­de stand senk­recht in die Luft. Je­des Mal, wenn es wie­der zum Vor­schein kam, er­schi­en es mir wie ein Wun­der.

Die ›Ghost‹ än­der­te plötz­lich ih­ren Kurs und hielt ab, und mich durch­fuhr der Ge­dan­ke, Wolf Lar­sen kön­ne die Ret­tung als un­mög­lich auf­ge­ge­ben ha­ben. Dann aber sah ich, dass er sich fer­tig mach­te, bei­zu­dre­hen, und sprang aufs Deck, um be­reit zu sein. Wir la­gen jetzt ge­ra­de vor dem Wind, und das Boot be­fand sich in der glei­chen Höhe wie wir. Ich fühl­te, wie wir plötz­lich still­stan­den, eine schnel­le, dre­hen­de Be­we­gung, und wir fuh­ren ge­ra­de in den Wind hin­ein. Als wir im rech­ten Win­kel la­gen, pack­te uns der Wind (dem wir bis­her weg­ge­lau­fen wa­ren) mit vol­ler Ge­walt. Un­glück­li­cher­wei­se kehr­te ich ihm zu­fäl­lig das Ge­sicht zu. Wie eine Mau­er prall­te er ge­gen mich an und füll­te mir die Lun­ge mit Luft, die ich nicht im­stan­de war, aus­zuat­men. Ich woll­te er­sti­cken – da kreng­te die ›Ghost‹ nach vorn über, und in die­sem Au­gen­blick sah ich, wie eine un­ge­heu­re See sich hoch über mei­nem Kop­fe er­hob. Ich wand­te mich seit­wärts, schöpf­te tief Atem und blick­te wie­der hin. Die Woge über­rag­te die ›Ghost‹, und ich blick­te ge­ra­de zu ihr em­por. Ein Son­nen­strahl streif­te den bre­chen­den Rand, und ich sah einen halb durch­sich­ti­gen, grü­nen Schim­mer mit mil­chi­ger Schaum­kan­te.

Dann kam sie her­ab. Die Höl­le brach los – al­les ge­sch­ah auf ein­mal. Ich er­hielt einen zer­mal­men­den, be­täu­ben­den Schlag, der mich je­doch nicht an ei­ner be­stimm­ten Stel­le, son­dern am gan­zen Kör­per traf. Ich ver­lor den Halt, ich war un­ter Was­ser, und mir fuhr der Ge­dan­ke durch den Kopf, dass jetzt das Furcht­ba­re kam: ich soll­te über Bord ge­spült wer­den! Mein Kör­per wur­de hilf­los hin und her, um und um ge­schleu­dert, ge­sto­ßen und zer­häm­mert, und als ich den Atem nicht län­ger an­hal­ten konn­te, drang mir das bei­ßen­de Salz­was­ser in die Lun­ge. Aber in al­lem hat­te ich nur einen Ge­dan­ken: den Klü­ver nach Luv brin­gen. Ich hat­te kei­ne Furcht vor dem Tode. Ich zwei­fel­te nicht, dass ich ir­gend­wie durch­kom­men muss­te. Und wäh­rend der Ge­dan­ke, Wolf Lar­sens Be­fehl aus­zu­füh­ren, un­un­ter­bro­chen mei­nem be­täub­ten Be­wusst­sein vor­schweb­te, schi­en mir, als könn­te ich ihn mit­ten in dem wil­den Cha­os am Rade ste­hen se­hen, wie er sei­nen Wil­len dem Sturm ent­ge­gen­stemm­te und ihm Trotz bot.

Ich stieß hart ge­gen et­was, das ich für die Re­ling hielt, und at­me­te wie­der fri­sche Luft. Ich ver­such­te, mich zu er­he­ben, stieß mir aber hef­tig den Kopf und wur­de auf Hän­de und Füße zu­rück­ge­schleu­dert. Durch einen glück­li­chen Zu­fall war ich un­ter den Back­kopf und in eine Tausch­lin­ge ge­fegt wor­den. Als ich auf al­len vie­ren her­aus­kroch, stieß ich auf Tho­mas Mu­gridge, der als ein stöh­nen­des Häuf­chen Elend dalag. Aber ich hat­te kei­ne Zeit zu ver­lie­ren, ich muss­te den Klü­ver nach Luv brin­gen.

Als ich wie­der nach vorn kam, schi­en das Ende ge­kom­men. Auf al­len Sei­ten er­tön­te Knir­schen und Kra­chen von Holz, Ei­sen und Lein­wand. Die ›Ghost‹ wur­de zer­ris­sen und zer­fetzt. Fock und Topp­se­gel, die bei dem Ma­nö­ver aus dem Wind ge­kom­men wa­ren und aus Man­gel an Leu­ten nicht recht­zei­tig ge­bor­gen wer­den konn­ten, ris­sen mit Don­ner­kra­chen in Fet­zen, wäh­rend der schwe­re Baum von Re­ling zu Re­ling schlug und zer­split­ter­te. Die Luft war schwarz von Schiff­strüm­mern; los­ge­ris­se­ne Taue und Stags zisch­ten und wan­den sich wie Schlan­gen, und mit­ten in das Ge­wirr krach­te die Fock­gaf­fel.

Der Baum konn­te mich nur um we­ni­ge Zoll ver­fehlt ha­ben, und das brach­te mich wie­der zur Be­sin­nung. Vi­el­leicht war die Lage doch noch nicht hoff­nungs­los. Ich er­in­ner­te mich der Wor­te Wolf Lar­sens. Er hat­te er­war­tet, dass die Höl­le los­bre­chen wür­de, und nun war es so weit. Aber wo war er? Ich er­blick­te ihn, wie er das Groß­se­gel mit sei­nen ent­setz­li­chen Mus­keln ein­hol­te. Das Heck des Scho­ners hob sich hoch in die Luft, und ich sah sei­nen Kör­per sich ge­gen eine wei­ße Sturz­see ab­zeich­nen, die schnell vor­bei­schoss. Al­les dies, und viel­leicht noch mehr – eine gan­ze Welt von Cha­os und Trüm­mern – sah, hör­te und be­griff ich in viel­leicht fünf­zehn Se­kun­den.

Ich hielt mich nicht da­mit auf, zu se­hen, was aus dem klei­nen Boot ge­wor­den war, son­dern sprang an den Klü­ver. Der be­gann zu flat­tern, straff­te sich und er­schlaff­te mit schar­fem Knat­tern. Aber durch An­zie­hen der Schoot und mit Auf­bie­tung al­ler mei­ner Kräf­te brach­te ich ihn lang­sam zu­rück, in­dem ich im­mer einen Au­gen­blick be­nutz­te, wenn er schlaff war. Das weiß ich: Ich tat mein Bes­tes. Ich zog, dass mir das Blut un­ter den Nä­geln her­aus­spritz­te, und wäh­rend ich ar­bei­te­te, ris­sen Au­ßenklü­ver und Stag­se­gel don­nernd in Fet­zen.

Im­mer wei­ter hahl­te ich, das Ge­won­ne­ne mit ei­ner Dop­pel­sch­lin­ge hal­tend, bis ich beim nächs­ten Schlaff­wer­den wei­ter­zog. Dann gab der Klü­ver plötz­lich leich­ter nach; Wolf Lar­sen stand ne­ben mir und hahl­te al­lein wei­ter, wäh­rend ich das Se­gel fest­mach­te.

»Ma­chen Sie schnell!« rief er laut, »und kom­men Sie!« Ich folg­te ihm und be­merk­te, dass trotz Ver­nich­tung und Ver­der­ben noch eine ge­wis­se Ord­nung herrsch­te. Die ›Ghost‹ dreh­te bei. Sie war im­mer noch see­tüch­tig. Wa­ren auch die an­de­ren Se­gel fort, so hielt sich das Schiff, da der Klü­ver nach Luv ge­bracht und das Groß­se­gel flach nie­der­ge­holt war, doch noch mit dem Bug ge­gen die wü­ten­de See.

Ich blick­te mich nach dem Boo­te um, und wäh­rend Wolf Lar­sen die Boot­stal­je klar­mach­te, sah ich, wie es sich in Lee, kei­ne zwan­zig Fuß ent­fernt, auf ei­ner großen Woge hob. Und so ge­nau hat­te Wolf Lar­sen sei­ne Maß­nah­men be­rech­net, dass wir ge­ra­de dar­auf zu­trie­ben, so­dass wir nichts zu tun hat­ten, als die Tal­jen an je­dem Ende ein­zu­ha­ken und das Boot an Bord zu hei­ßen. Aber das war leich­ter ge­sagt als ge­tan. Im Bug stand Ker­foot, wäh­rend Oof­ty-Oof­ty am Heck und Kel­ly mitt­schiffs stan­den. Als wir nä­her trie­ben, wur­de das Boot von ei­ner Woge ge­ho­ben, und wir san­ken in das Wel­len­tal, bis ich ge­ra­de vor mir die drei Män­ner die Köp­fe beu­gen und nach uns aus­lu­gen sah. Im nächs­ten Au­gen­blick wur­den wir ge­ho­ben und em­por­ge­schwun­gen, wäh­rend sie tief hin­ab­san­ken. Es muss­te fast ein Wun­der ge­sche­hen, wenn die nächs­te See nicht die ›Ghost‹ auf die win­zi­ge Eier­scha­le nie­der­schmet­tern soll­te.

 

Aber da warf ich dem Kana­ken, Wolf Lar­sen vorn Ker­foot das Tau zu. Bei­de Taue wa­ren in ei­nem Nu ein­ge­hakt, und die drei Män­ner nah­men ge­wandt den rich­ti­gen Au­gen­blick und spran­gen gleich­zei­tig an Bord des Scho­ners. Als die ›Ghost‹ sich jetzt seit­wärts über­leg­te, wur­de das Boot an der Schiffs­wand aus dem Was­ser ge­ho­ben, und ehe wir wie­der hin­über­kreng­ten, hat­ten wir es schon an Bord ge­heißt und kie­lo­ben auf das Deck ge­legt. Ich be­merk­te, dass Ker­foots lin­ke Hand von Blut troff. Sein Mit­tel­fin­ger war zu Brei zer­quetscht wor­den. Aber er gab kein Zei­chen des Schmer­zes und half uns mit der rech­ten Hand, das Boot auf sei­nem Platz festz­u­ma­chen.

»Bring’ den Klü­ver rü­ber, Oof­ty!« be­fahl Wolf Lar­sen, als wir eben mit dem Boot fer­tig wa­ren. »Kel­ly, komm nach ach­tern und lass das Groß­se­gel lo­cker! Und du, Ker­foot, geh nach vorn und sieh, was aus Köch­lein ge­wor­den ist! Herr van Wey­den, ge­hen Sie nach oben und schnei­den Sie al­les lose Zeug weg, das Ih­nen in die Que­re kommt!«

Und nach­dem er sei­ne Be­feh­le er­teilt hat­te, sprang er in sei­ner ei­gen­tüm­li­chen, ti­ger­haf­ten Wei­se nach ach­tern zum Rade. Wäh­rend ich müh­sam die Wan­ten zum Fock­mast hin­auf­klet­ter­te, setz­te sich die ›Ghost‹ lang­sam in Be­we­gung. Als wir dies­mal ins Wel­len­tal san­ken und von Sturm und See her­um­ge­schleu­dert wur­den, konn­ten kei­ne Se­gel mehr ein­ge­holt wer­den, und auf hal­b­em Wege zu den Dwars­sa­lin­gen wur­de ich durch die Ge­walt des Win­des so ge­gen die Ta­ke­lung ge­presst, dass es mir un­mög­lich ge­we­sen wäre, zu fal­len. Die ›Ghost‹ lag fast ganz auf der Sei­te, und die Mas­ten stan­den par­al­lel zum Was­ser, so­dass ich, wenn ich das Deck der ›Ghost‹ se­hen woll­te, nicht hin­un­ter, son­dern bei­na­he im rech­ten Win­kel bli­cken muss­te. Aber ich sah das Deck gar nicht, denn dort, wo es hät­te sein sol­len, war nichts als ko­chen­des Was­ser, aus dem nur zwei Mas­ten her­aus­rag­ten; das war al­les. Ei­nen Au­gen­blick war die ›Ghost‹ ganz un­ter dem Mee­re be­gra­ben. Als sie jetzt all­mäh­lich vor den Wind ging und der seit­li­che Druck ge­rin­ger wur­de, rich­te­te sie sich lang­sam auf, und ihr Deck durch­brach wie ein Wal­rücken die Mee­res­flä­che.

Dann ras­ten wir über die wil­de stür­mi­sche See, wäh­rend ich wie eine Flie­ge in den Sa­lin­gen hing und nach den an­de­ren Boo­ten aus­späh­te. Nach ei­ner hal­b­en Stun­de sich­te­te ich das zwei­te. Es trieb kie­lo­ben, und Jock Hor­ner, der di­cke Louis und John­son klam­mer­ten sich ver­zwei­felt dar­an fest. Dies­mal blieb ich in der Ta­ke­lung, und es ge­lang Wolf Lar­sen, bei­zu­dre­hen, ohne den Halt zu ver­lie­ren. Wie zu­vor trie­ben wir hin. Tal­jen wur­den fest­ge­macht und Taue den Män­nern zu­ge­wor­fen, die wie Af­fen an Bord klet­ter­ten. Das Boot selbst wur­de, als es an Bord ge­zo­gen wur­de, an der Schiffs­wand zer­schmet­tert, aber das Wrack be­fes­tig­ten wir si­cher, denn es konn­te aus­ge­bes­sert und wie­der see­klar ge­macht wer­den.

Wie­der dreh­te sich die ›Ghost‹ in den Wind, und dies­mal tauch­te sie so tief ins Meer, dass ich ei­ni­ge Se­kun­den dach­te, sie wür­de nie wie­der zum Vor­schein kom­men. Selbst das Steu­er­rad, das ein ganz Teil hö­her als das Mit­tel­deck an­ge­bracht war, ver­schwand im­mer wie­der un­ter den Wel­len. In sol­chen Au­gen­bli­cken hat­te ich ein selt­sa­mes Ge­fühl, al­lein mit Gott zu sein, al­lein mit ihm und dem Cha­os, das sein Zorn ver­ur­sacht hat­te. Dann tauch­te das Rad wie­der auf, und da­hin­ter die brei­ten Schul­tern Wolf Lar­sens, sei­ne Hän­de, die in die Spa­ken grif­fen und den Scho­ner in den Kurs zwan­gen, den er woll­te. Er selbst ein ir­di­scher Gott, der den Sturm be­herrsch­te, das her­ab­stür­zen­de Was­ser von sich ab­schleu­der­te und sein Fahr­zeug ritt, wo­hin er woll­te! Ach, welch ein Wun­der! Dass win­zi­ge Men­sch­lein le­ben, at­men, schaf­fen und ein so ge­brech­li­ches Ding aus Holz und Lein­wand durch die­sen furcht­ba­ren Kampf der Ele­men­te füh­ren konn­ten.

Wie zu­vor schwang sich die ›Ghost‹ aus dem Sch­lund her­auf, hob ihr Deck über das Was­ser und jag­te vor dem heu­len­den Sturm da­hin. Es war jetzt halb sechs, und eine hal­be Stun­de spä­ter, als das letz­te Ta­ges­licht ei­nem un­heim­li­chen, trü­ben Zwie­licht wich, sah ich das drit­te Boot. Es trieb kie­lo­ben, und von der Mann­schaft war nichts zu se­hen. Wolf Lar­sen wie­der­hol­te sein Ma­nö­ver, hielt ab, dreh­te dann nach Luv und ließ sich hin­trei­ben. Aber dies­mal ver­fehl­te er das Boot um vier­zig Fuß, und es trieb vor­bei.

»Boot vier«, rief Oof­ty-Oof­ty, des­sen schar­fe Au­gen in der Se­kun­de, als es, kie­lo­ben, aus dem Gischt auf­tauch­te, die Num­mer er­späht hat­ten.

Es war Hen­der­sons Boot, und zu­gleich mit ihm hat­ten wir Ho­lyak und Wil­liams, einen der Voll­ma­tro­sen, ver­lo­ren. Über ihr Schick­sal konn­te kein Zwei­fel herr­schen, aber das Boot schwamm hier, und Wolf Lar­sen woll­te noch einen ver­we­ge­nen Ver­such ma­chen, es wie­der­zu­er­lan­gen. Ich war aufs Deck her­un­ter­ge­kom­men und sah, wie Hor­ner und Ker­foot ver­ge­bens ge­gen den Ver­such pro­tes­tier­ten.

»Bei Gott! Ich las­se mir mein Boot nicht steh­len – und wenn die gan­ze Höl­le los wäre!« rief er laut, und ob­gleich wir alle vier die Köp­fe zu­sam­men­steck­ten, um bes­ser zu hö­ren, klang sei­ne Stim­me nur schwach und wie aus un­ge­heu­rer Fer­ne.

»Herr van Wey­den!« rief er, und ich hör­te sei­ne Stim­me wie ein schwa­ches Flüs­tern, »blei­ben Sie mit John­son und Oof­ty am Klü­ver. Die an­de­ren ach­tern an die Groß­schoot! Los, oder ich fah­re ge­ra­des­wegs mit euch in die an­de­re Welt! Ver­stan­den?«

Und da er das Ru­der hart um­leg­te und die ›Ghost‹ sich dreh­te, blieb den Jä­gern nichts üb­rig, als zu ge­hor­chen und zu hel­fen, das küh­ne Wa­g­nis nach Mög­lich­keit zu ei­nem gu­ten Ab­schluss zu brin­gen. Wie groß die Ge­fahr war, kam mir zum Be­wusst­sein, als ich noch­mals un­ter den zer­mal­men­den Seen be­gra­ben wur­de und mich, mit dem Tode rin­gend, an die Na­gel­bank am Fuße des Groß­mas­tes klam­mer­te. Mei­ne Fin­ger ver­lo­ren ih­ren Halt, und ich wur­de über Bord ins Meer ge­fegt. Schwim­men war un­mög­lich, aber ehe ich sin­ken konn­te, war ich schon wie­der zu­rück­ge­schwemmt. Eine star­ke Hand pack­te mich, und als die ›Ghost‹ end­lich wie­der auf­tauch­te, sah ich, dass ich mein Le­ben John­son ver­dank­te. Er späh­te ängst­lich um­her, und ich be­merk­te, dass Kel­ly, der im letz­ten Au­gen­blick nach vorn ge­kom­men war, fehl­te.

Wolf Lar­sen hat­te das Boot ver­fehlt, die Lage hat­te sich ge­än­dert, und so muss­te er sei­ne Zuf­lucht zu ei­nem an­de­ren Ma­nö­ver neh­men. Da wir mit dem Wind und al­len Se­geln nach Steu­er­bord lie­fen, kam er her­um und hals­te back­bord zu­rück.