Jack London – Gesammelte Werke

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15

Flu­chen und Jam­mern er­tön­ten, als die Män­ner am Fuße der Trep­pe wie­der auf die Füße zu kom­men ver­such­ten.

»Kann nicht je­mand ein Streich­holz an­zün­den, mein Dau­men ist aus­ge­renkt«, rief ei­ner der Leu­te, na­mens Par­sons, ein dun­kel­häu­ti­ger, me­lan­cho­li­scher Mann, Stan­dis­hs Steue­rer – in dem­sel­ben Boot, des­sen Pul­ler Har­ri­son war.

»Die lie­gen ir­gend­wo am Mast­fuß her­um«, sag­te Le­ach und setz­te sich auf den Rand sei­ner Koje, in der ich mich ver­kro­chen hat­te.

Man such­te nach Streich­höl­zern, dann wur­de ei­nes an­ge­zün­det, und die Lam­pe fla­cker­te auf, trü­be und rau­chig. In ih­rem geis­ter­haf­ten Schein be­weg­ten sich bar­fü­ßi­ge Män­ner und sa­hen nach ih­ren Wun­den. Oof­ty-Oof­ty pack­te Par­sons Dau­men, zog dar­an und ließ ihn wie­der ins Ge­lenk schnap­pen. Da­bei be­merk­te ich, dass der Knö­chel des Kana­ken auf­ge­schlitzt und der Kno­chen bloß­ge­legt war. Er zeig­te die Wun­de und er­klär­te mit ei­nem Grin­sen, das sei­ne pracht­vol­len Zäh­ne zeig­te, er hät­te sie be­kom­men, als er Lar­sen auf den Mund schlug.

»Also du warst es, du schwar­zer Schur­ke?« frag­te Kel­ly krie­ge­risch. Er war ein ge­bo­re­ner Ir­län­der, ein Leicht­ma­tro­se, der sei­ne ers­te grö­ße­re Rei­se mach­te und Ker­foots Pul­ler war.

Bei die­ser Fra­ge spuck­te er eine Hand­voll Blut und Zäh­ne aus und dräng­te sich mit streit­süch­ti­ger Mie­ne an Oof­ty-Oof­ty her­an. Der Kana­ke sprang in sei­ne Koje, war mit ei­nem zwei­ten Satz wie­der da und schwang ein lan­ges Mes­ser.

»Ach, leg’ dich nie­der, sonst setzt es was«, misch­te Le­ach sich hin­ein. Trotz sei­ner Ju­gend und Uner­fah­ren­heit gab er of­fen­bar in der Back den Ton an. »Geh, Kel­ly, lass Oof­ty in Ruhe. Wie soll­te er denn im Dun­keln er­ken­nen, dass du es warst?«

Kel­ly mur­mel­te noch et­was und be­ru­hig­te sich dann, wäh­rend der Kana­ke dank­bar lä­chelnd die wei­ßen Zäh­ne fletsch­te. Er war ein schö­nes Ge­schöpf und wirk­te bei­na­he weib­lich durch die an­ge­neh­men Li­ni­en sei­ner Ge­stalt, Sanft­mut und Ver­träumt­heit la­gen in sei­nen großen Au­gen, die sei­nen wohl­ver­dien­ten Ruf für Streit- und Rauf­lust Lü­gen zu stra­fen schie­nen.

»Wie ist er ent­wischt?« frag­te John­son.

Er saß auf dem Ran­de sei­ner Koje, sei­ne gan­ze Stel­lung drück­te äu­ßers­te Nie­der­ge­schla­gen­heit und Hoff­nungs­lo­sig­keit aus. Er at­me­te noch schwer von der An­stren­gung. Das Hemd war ihm im Kamp­fe völ­lig vom Lei­be ge­ris­sen, und das Blut troff ihm aus ei­ner klaf­fen­den Wun­de in der Ba­cke auf die nack­te Brust her­ab, zeich­ne­te eine rote Bahn auf sei­nem wei­ßen Schen­kel und tropf­te auf den Bo­den.

»Weil er der Teu­fel sel­ber ist, wie ich im­mer ge­sagt habe«, mein­te Le­ach, dann sprang er, wü­tend über die Ent­täu­schung und mit Trä­nen in den Au­gen, auf.

»Und nicht ei­ner von euch konn­te ein Mes­ser brin­gen!« klag­te er im­mer wie­der.

Aber die an­de­ren hat­ten große Furcht vor den zu er­war­ten­den Fol­gen und ach­te­ten nicht auf ihn.

»Wie kann er wis­sen, wer’s war?« frag­te Kel­ly und sah sich mit ei­nem blut­gie­ri­gen Blick um, »es sei denn, dass ei­ner von euch aus der Schu­le schwatz­te.«

»Er braucht euch ja nur an­zu­se­hen«, ent­geg­ne­te Par­sons, »ein Blick ge­nügt ihm.«

»Er­zähl’ ihm, dass das Deck hoch­prell­te und dir die Zäh­ne aus dem Mau­le schlug’«, grins­te Louis. Er war der ein­zi­ge, der nicht aus sei­ner Koje her­aus­ge­kom­men war, und er freu­te sich, weil er kei­ne Wun­den hat­te, die ver­ra­ten konn­ten, dass er bei die­ser Nacht­ar­beit be­tei­ligt ge­we­sen. »War­tet nur, bis er eure Frat­zen mor­gen ge­sehn hat«, glucks­te er.

»Wir sa­gen, dass wir ihn für den Steu­er­mann hiel­ten«, mein­te ei­ner. Und ein and­rer: »Ich weiß, was ich sa­gen wer­de: dass ich Lärm hör­te, aus der Koje sprang, zum Dank für mei­ne Mühe eins aufs Maul krieg­te und so in die Ge­schich­te hin­ein­ge­zerrt wur­de. Ich konn­te nicht se­hen, was und wer es war, und schlug um mich.« »Und da hast du mich na­tür­lich ge­trof­fen«, fiel Kel­ly ein, und sein Ge­sicht hell­te sich einen Au­gen­blick auf. Le­ach und John­son be­tei­lig­ten sich nicht an der Un­ter­hal­tung, es war klar, dass ihre Ka­me­ra­den sie als Leu­te an­sa­hen, für die das Schlimms­te un­ver­meid­lich, ja, de­ren Lage ganz hoff­nungs­los war, und die be­reits als tot zu be­trach­ten wa­ren. Eine Wei­le hör­te Le­ach ihre Be­fürch­tun­gen und Vor­wür­fe mit an. Dann aber brach er los:

»Ihr lang­weilt mich! Schö­ne Ge­nos­sen seid ihr! Wenn ihr et­was we­ni­ger ge­schwatzt und et­was mehr ge­tan hät­tet, dann wäre es jetzt ge­schafft. Wa­rum konn­te mir nicht ei­ner, nur ein ein­zi­ger, ein Mes­ser ge­ben, als ich da­nach rief? Jetzt jam­mert und klagt ihr, als ob er euch tot­schla­gen wür­de, wenn er euch er­wi­sch­te! Ihr wisst ver­dammt gut, dass er das nicht tun wird. Er kann es gar nicht. Hier gibt es kei­nen Heu­er­bas, und er braucht euch bei sei­nem Ge­schäft, ihr seid ihm un­ent­behr­lich. Wer soll­te pul­len und steu­ern und Se­gel set­zen, wenn er euch ver­lö­re? Ich und John­son wer­den die Sup­pe aus­zu­löf­feln ha­ben. Jetzt geht in eure Ko­jen und hal­tet den Mund, ich möch­te ein biss­chen schla­fen.« »Das ist schon rich­tig, ganz rich­tig«, mein­te Par­sons. »Mag sein, dass er uns nichts tut, aber denkt an mei­ne Wor­te: Von heu­te an wird die­ses Schiff ein Zucht­haus sein.«

Die gan­ze Zeit war ich mir über mei­ne ei­ge­ne schwie­ri­ge Lage klar ge­we­sen. Was ge­sch­ah, wenn die Leu­te mei­ne Ge­gen­wart ent­deck­ten? Ich konn­te mich nicht durch­schla­gen wie Wolf Lar­sen. Und in die­sem Au­gen­blick rief La­ti­mer durch die Luke her­ab:

»Hump! Der Alte braucht dich!«

»Hier ist er nicht!« rief Par­sons zu­rück.

»Doch, er ist hier!« sag­te ich und be­müh­te mich, mei­ne Stim­me fest er­klin­gen zu las­sen.

Die Ma­tro­sen blick­ten mich be­stürzt an. Star­ke Furcht präg­te sich auf ih­ren Zü­gen aus, und da­ne­ben die Fol­ge der Furcht: Teu­fe­lei.

»Ich kom­me!« rief ich La­ti­mer zu.

»Nein, das wirst du nicht!« rief Kel­ly und trat zwi­schen mich und die Trep­pe, wäh­rend sei­ne Rech­te sich in eine Klaue ver­wan­del­te, die be­reit war, mich zu er­wür­gen. »Du ver­damm­ter klei­ner Duck­mäu­ser! Ich wer­de dir das Maul stop­fen.«

»Lass ihn ge­hen!« be­fahl Le­ach.

»Nein, und wenn es das Le­ben gäl­te«, lau­te­te die zor­ni­ge Er­wi­de­rung.

Le­ach blieb un­ver­än­dert auf dem Ran­de sei­ner Koje sit­zen. »Lass ihn ge­hen, sage ich!« wie­der­hol­te er; aber dies­mal war sei­ne Stim­me ker­nig und me­tal­lisch.

Der Ire schwank­te. Ich mach­te Mie­ne, vor­bei­zu­schrei­ten, und er trat bei­sei­te. Als ich die Trep­pe er­reicht hat­te, wand­te ich mich ge­gen die­sen Kreis bru­ta­ler und bös­ar­ti­ger Ge­sich­ter, die mich im Halb­dun­kel an­starr­ten. Ein plötz­li­ches tie­fes Mit­ge­fühl wall­te in mir auf. Ich er­in­ner­te mich der An­schau­ung des Cock­ney: Wie muss­te Gott sie has­sen, dass sie so ge­pei­nigt wur­den!

»Ich habe nichts ge­se­hen oder ge­hört, glaubt mir!« sag­te ich ru­hig.

»Ich sage euch, es ist in Ord­nung«, hör­te ich Le­achs Stim­me, als ich die Trep­pe hin­auf­stieg. »Er liebt den Al­ten nicht mehr als ihr und ich.«

Ich fand Wolf Lar­sen in der Ka­jü­te, ent­klei­det und blu­tig. Er war­te­te auf mich und be­grüß­te mich mit sei­nem selt­sa­men Lä­cheln.

»Kom­men Sie und ma­chen Sie sich an die Ar­beit, Dok­tor. Sie schei­nen die bes­ten Aus­sich­ten für eine aus­ge­dehn­te Pra­xis auf die­ser Rei­se zu ha­ben. Ich weiß nicht, was ohne Sie aus der ›Ghost‹ ge­wor­den wäre, und wenn ich so­ge­nann­ter ed­ler Ge­füh­le fä­hig wäre, wür­de ich Ih­nen ver­si­chern, dass Ihr Ka­pi­tän Ih­nen au­ßer­or­dent­lich dank­bar sei.«

Ich kann­te den ein­fa­chen Arz­nei­kas­ten der ›Ghost‹ und wäh­rend ich Was­ser auf dem Ka­jüt­ofen wärm­te und al­les für die Be­hand­lung der Wun­den Nö­ti­ge be­reit­mach­te, ging er la­chend und plau­dernd auf und ab und be­trach­te­te prü­fend sei­ne Ver­let­zun­gen. Ich hat­te ihn noch nie ent­blö­ßt ge­se­hen, und der An­blick sei­nes Kör­pers be­nahm mir fast den Atem. Es war nie mei­ne Schwä­che ge­we­sen, das Fleisch zu sehr zu prei­sen – weit ent­fernt. Aber es steck­te ge­nug von ei­nem Künst­ler in mir, um sei­ne Wun­der­wer­ke an­zu­er­ken­nen.

Ich muss ge­ste­hen, dass die voll­kom­me­nen Li­ni­en von Wolf Lar­sens Ge­stalt und das, was ich ihre furcht­ba­re Schön­heit nen­nen möch­te, mich fas­zi­nier­ten. Ich hat­te die Män­ner im Vor­der­kas­tell be­ob­ach­tet. So kräf­ti­ge Mus­keln auch ei­ni­ge von ih­nen hat­ten, ir­gend et­was stimm­te nie: eine un­ge­nü­gen­de Ent­wick­lung hier, eine zu star­ke dort, eine Bie­gung oder Krüm­mung, die die Sym­me­trie stör­te, zu kur­ze oder zu lan­ge Bei­ne, zu viel oder zu­we­nig her­vor­tre­ten­de Kno­chen. Oof­ty-Oof­ty war der ein­zi­ge, des­sen Li­ni­en wirk­lich an­spre­chend wa­ren, aber er wirk­te zu weib­lich.

Wolf Lar­sen hin­ge­gen war der Mann in sei­ner Voll­kom­men­heit, bei­na­he ein Gott. Wenn er sich be­weg­te oder die Arme hob, spran­gen und reg­ten sich die star­ken Mus­keln un­ter der fei­nen glat­ten Haut, ich ver­gaß zu be­mer­ken, dass das Braun sich auf sein Ge­sicht und sei­nen Hals be­schränk­te. Sein Kör­per war, dank sei­ner skan­di­na­vi­schen Her­kunft, so weiß wie der ei­ner zar­ten Frau. Ich weiß noch, wie er die Hand hob, um sei­ne Kopf­wun­de zu be­füh­len, und wie der Bi­zeps sich wie ein le­ben­di­ges We­sen un­ter ei­ner wei­ßen Hül­le be­weg­te. Die­ser Bi­zeps war es, der mir kürz­lich bei­na­he das Le­ben her­aus­ge­presst, den ich so vie­le töd­li­che Schlä­ge hat­te aus­tei­len se­hen. Ich konn­te die Au­gen nicht von ihm las­sen. Reg­los stand ich da und ließ ein Päck­chen Wat­te, das ich in der Hand hielt, sich auf­rol­len und zu Bo­den fal­len.

 

Er sah sich nach mir um, und ich wur­de mir be­wusst, dass ich da­stand und ihn an­starr­te.

»Gott hat Sie schön ge­schaf­fen«, sag­te ich.

»Wirk­lich?« ant­wor­te­te er. »Ich habe oft das­sel­be ge­dacht und mir den Kopf zer­bro­chen, warum?«

»Ab­sicht –«, be­gann ich.

»Zweck­mä­ßig­keit«, un­ter­brach er mich. »Die­ser Kör­per ist zum Ge­brauch ge­schaf­fen. Die­se Mus­keln sind ge­macht, um zu­zu­pa­cken, um zu zer­rei­ßen und zu ver­nich­ten, was sich zwi­schen mich und das Le­ben stellt. Aber ha­ben Sie an and­re Le­be­we­sen ge­dacht? Auch sie ha­ben Mus­keln ir­gend­wel­cher Art, um zu pa­cken, zu zer­rei­ßen und zu ver­nich­ten. Wenn sie aber zwi­schen mich und das Le­ben tre­ten, so über­tref­fe ich sie im Pa­cken, Zer­rei­ßen und Ver­nich­ten. Eine Ab­sicht er­klärt dies nicht, wohl aber die Zweck­mä­ßig­keit.«

»Das ist nicht schön«, wand­te ich ein.

»Das Le­ben ist nicht schön, mei­nen Sie«, lä­chel­te er. »Und doch sa­gen Sie, ich sei schön ge­schaf­fen. Se­hen Sie her!«

Er spreiz­te die Bei­ne und press­te die Ze­hen ge­gen den Ka­jüts­bo­den, als wol­le er ihn da­mit pa­cken. Kno­ten, Klüf­te und Ber­ge von Mus­keln spiel­ten un­ter sei­ner Haut. »Füh­len Sie!« be­fahl er.

Sie wa­ren hart wie Stahl. Sein gan­zer Kör­per hat­te sich, straff und ge­schmei­dig, un­be­wusst zu­sam­men­ge­zo­gen, die Mus­keln streck­ten sich sanft über Len­den, Rücken und Schul­tern, die Arme wa­ren leicht er­ho­ben, ihre Mus­keln zo­gen sich zu­sam­men, die Fin­ger krümm­ten sich, dass die Hän­de Klau­en gli­chen, und selbst die Au­gen hat­ten ih­ren Aus­druck ge­wech­selt, und die Schär­fe und Wach­sam­keit ei­nes Raub­tie­res leuch­te­te aus ih­nen.

»Fes­tig­keit und Gleich­ge­wicht«, sag­te er und ent­spann­te sei­nen Kör­per wie­der. »Füße, um sich am Bo­den zu hal­ten, Bei­ne, um fest­zu­ste­hen und Wi­der­stand zu leis­ten, wenn ich mit Ar­men, Hän­den, Zäh­nen und Nä­geln zu tö­ten ver­su­che, um nicht selbst ge­tö­tet zu wer­den. Ab­sicht? Zweck­mä­ßig­keit ist ein bes­se­res Wort.«

Ich wi­der­sprach ihm nicht. Ich hat­te den Mecha­nis­mus ei­ner pri­mi­ti­ven kämp­fen­den Bes­tie ge­se­hen, und er mach­te einen Ein­druck auf mich wie die Ma­schi­nen ei­nes großen Kriegs­schif­fes oder ei­nes Oze­an­damp­fers. Wenn ich an den hei­ßen Kampf im Vor­der­kas­tell dach­te, war ich über­rascht von der Ober­fläch­lich­keit sei­ner Ver­let­zun­gen, und ich glau­be sa­gen zu dür­fen, dass ich sie gut pfleg­te. Mit Aus­nah­me ei­ni­ger häss­li­cher Wun­den wa­ren es nur tüch­ti­ge Beu­len und Schram­men. Den Schlag, den er auf den Kopf er­hal­ten hat­te, ehe er über Bord flog, hat­te sei­ne Schä­del­de­cke meh­re­re Zoll breit bloß­ge­legt. Ich rei­nig­te die Wun­de und näh­te sie nach sei­ner An­wei­sung zu­sam­men, nach­dem ich die Wun­drän­der ra­siert hat­te. Dann hat­te er einen schlim­men Riss in der Wade, der aus­sah, als hät­te sich eine Bull­dog­ge hin­ein ver­bis­sen. Zu Be­ginn des Kamp­fes hat­te, wie er mir er­zähl­te, ein Ma­tro­se mit den Zäh­nen zu­ge­packt und fest­ge­han­gen, bis er ihn die Trep­pe mit hin­auf­zerr­te, wo er sich frei­ge­tre­ten hat­te.

»Ja, wie ge­sagt, Hump, Sie sind ein brauch­ba­rer Mensch«, be­gann Wolf Lar­sen, als ich mit mei­ner Ar­beit fer­tig war. »Wie Sie wis­sen, fehlt uns ein Steu­er­mann. Von jetzt an über­neh­men Sie die Wa­che, er­hal­ten fünf­und­sieb­zig Dol­lar mo­nat­lich und wer­den vorn und ach­tern Herr van Wey­den an­ge­re­det.«

»Ich – ver­ste­he nichts von Na­vi­ga­ti­on, das wis­sen Sie doch«, keuch­te ich.

»Gar nicht nö­tig.«

»Ich ma­che mir wirk­lich nichts aus ei­ner sol­chen Be­för­de­rung«, wand­te ich ein. »Ich fin­de das Le­ben schwer ge­nug in mei­ner jet­zi­gen be­schei­de­nen Stel­lung. Ich habe kei­ne Er­fah­rung. Alle Mit­tel­mä­ßig­keit hat ihre Gren­zen.«

Er lä­chel­te, als wäre die Sa­che ab­ge­macht.

»Ich will nicht Steu­er­mann auf die­sem Höl­len­schiff sein!« rief ich trot­zig.

Ich sah sein Ge­sicht hart wer­den und den un­barm­her­zi­gen Schim­mer in sei­ne Au­gen tre­ten. Er ging in sei­nen Schlaf räum, in­dem er sag­te:

»Und jetzt, Herr van Wey­den, gute Nacht.«

»Gute Nacht, Herr Lar­sen«, un­ter­brach ich schwach.

16

Ich kann nicht be­haup­ten, dass die Stel­lung als Steu­er­mann mir einen an­de­ren Vor­teil ge­bracht hät­te, als dass ich nicht mehr Ge­schirr ab­zu­wa­schen brauch­te. Ich wuss­te nicht das ge­rings­te von den ele­men­tars­ten Pf­lich­ten ei­nes Steu­er­manns, und es wür­de mir schlecht er­gan­gen sein, hät­te ich nicht die Zu­nei­gung der Ma­tro­sen be­ses­sen. Ich wuss­te nichts von Tau­en und Ta­ke­lung, nichts von Se­geln und Se­gel­set­zen. Aber die Ma­tro­sen be­müh­ten sich, mich an­zu­wei­sen – na­ment­lich Louis war ein tüch­ti­ger Leh­rer –, und mei­ne Un­ter­ge­be­nen mach­ten mir kei­ne Schwie­rig­kei­ten.

An­ders die Jä­ger. Mehr oder min­der mit dem Le­ben zur See ver­traut, nah­men sie mich für eine Art Spaß. Zwar konn­te ich es selbst nicht ernst neh­men, dass ich, die aus­ge­mach­tes­te Lan­drat­te, das Amt des Steu­er­manns be­klei­den soll­te, wenn aber an­de­re einen nicht ernst neh­men, ist das et­was an­de­res. Ich be­klag­te mich nicht, aber Wolf Lar­sen for­der­te die pünkt­lichs­te In­ne­hal­tung der Schiff­se­ti­ket­te in Be­zug auf mich – in weit hö­he­rem Maße, als er es bei dem ar­men Jo­han­sen ge­tan, und nach­dem er ein paar von ih­nen ver­prü­gelt und sie ein­dring­lich er­mahnt und be­droht hat­te, ka­men die Jä­ger zur Ver­nunft. Ich war vorn und ach­tern Herr van Wey­den, und nur in­of­fi­zi­ell ge­sch­ah es wohl, dass Wolf Lar­sen mich noch Hump nann­te.

Es war ganz un­ter­hal­tend. Wäh­rend wir bei Ti­sche sa­ßen, schlug zum Bei­spiel der Wind um, und wenn ich dann auf­stand, sag­te er: »Herr van Wey­den, wür­den Sie die Güte ha­ben, nach Back­bord um­zu­le­gen.« Und ich ging an Deck, rief Louis zu mir und ließ mir von ihm sa­gen, was zu tun war. Wenn ich dann sei­ne An­wei­sun­gen ver­daut und das Ma­nö­ver ver­stan­den hat­te, ging ich dar­an, mei­ne Be­feh­le aus­zu­tei­len. Ich er­in­ne­re mich ei­nes der ers­ten Fäl­le die­ser Art. Als ich ge­ra­de mei­ne Be­feh­le er­tei­len woll­te, er­schi­en Wolf Lar­sen auf der Sze­ne. Er rauch­te sei­ne Zi­gar­re und schau­te ru­hig zu, dann kam er nach ach­tern und stell­te sich ne­ben mich an die Ruff.1»Hump«, sag­te er, »Ver­zei­hung: Herr van Wey­den, ich gra­tu­lie­re. Jetzt kön­nen Sie Ihrem Va­ter die Bei­ne ins Grab zu­rück­schi­cken. Sie ha­ben Ihre ei­ge­nen ent­deckt und ge­lernt, auf ih­nen zu ste­hen. Noch ein biss­chen Ar­beit in den Tau­en, ei­ni­ge Übung im Se­gel­set­zen und et­was Er­fah­rung bei Sturm, und Sie kön­nen am Ende der Rei­se auf je­dem Küs­ten­fah­rer an­heu­ern.«

In die­ser Zeit, zwi­schen Jo­han­sens Tod und der An­kunft in den Rob­ben­grün­den, ver­leb­te ich mei­ne an­ge­nehms­ten Tage auf der ›Ghost‹. Wolf Lar­sen war ganz rück­sichts­voll, die Ma­tro­sen hal­fen mir, und ich kam nicht in die­se auf­rei­zen­de Berüh­rung mit Tho­mas Mu­gridge. Und ich muss of­fen ge­ste­hen, dass ich, wie die Tage schwan­den, einen ge­wis­sen heim­li­chen Stolz zu füh­len be­gann. In die­ser fan­tas­ti­schen Lage – eine Lan­drat­te als Nächst­kom­man­die­ren­der – hielt ich mich doch ganz gut, und ich wur­de bald selbst­be­wusst und ge­wann das He­ben und Sen­ken der ›Ghost‹ lieb, die sich un­ter mei­nen Fü­ßen ih­ren Weg durch die tro­pi­sche See nach der klei­nen In­sel in Nord­wes­ten bahn­te, wo wir un­se­re Was­ser­fäs­ser fül­len soll­ten.

Aber mein Glück war nicht un­ge­mischt. Es war nur eine ver­hält­nis­mä­ßig we­ni­ger un­glück­li­che Pe­ri­ode, die sich zwi­schen das große Elend von Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft ein­ge­schli­chen hat­te. Denn die ›Ghost‹ war für die Ma­tro­sen ein Höl­len­schiff schlimms­ter Art. Sie hat­ten nie einen Au­gen­blick Ruhe oder Frie­den. Wolf Lar­sen be­zahl­te sie für ih­ren Über­fall und die Prü­gel, die ihm in der Back zu­teil ge­wor­den wa­ren. Und mor­gens, mit­tags, abends und nachts wid­me­te er sich der Auf­ga­be, ih­nen das Le­ben un­er­träg­lich zu ma­chen.

Er kann­te die Psy­cho­lo­gie der Klei­nig­kei­ten nur zu gut, und mit Klei­nig­kei­ten trieb er die Mann­schaft bis an den Rand des Wahn­sinns. Ich war Zeu­ge, wie Har­ri­son aus der Koje ge­holt wur­de, um einen an den falschen Platz ge­leg­ten Pin­sel rich­tig hin­zu­le­gen, und zwei von der Wach­mann­schaft aus dem Schlaf ge­weckt wur­den, um mit­zu­ge­hen und zu se­hen, ob er es rich­tig mach­te. Eine Klei­nig­keit, wohl wahr, wenn aber ein so er­fin­de­ri­scher Kopf tau­sen­der­lei er­denkt, so kann man sich den Geis­tes­zu­stand der Leu­te in der Back leicht vor­stel­len.

Na­tür­lich wur­de be­stän­dig ge­murrt, und im­mer fan­den klei­ne Aus­brü­che statt. Schlä­ge wur­den aus­ge­teilt, und zwei bis drei Mann muss­ten stets die Ver­let­zun­gen pfle­gen, die ih­nen von der Hand ih­res Herrn, die­ser mensch­li­chen Bes­tie, zu­ge­fügt wor­den wa­ren. Of­fe­ne Meu­te­rei war nicht mög­lich an­ge­sichts des be­deu­ten­den Waf­fe­nar­se­nals im Zwi­schen­deck und in der Ka­jü­te. Le­ach und John­son wa­ren die aus­er­wähl­ten Op­fer der teuf­li­schen Ein­fäl­le Wolf Lar­sens, und der Aus­druck tiefs­ter Schwer­mut, der sich auf John­sons Ge­sicht und in sei­nen Au­gen zeig­te, ließ mein Herz blu­ten.

An­ders Le­ach. In ihm steck­te zu viel von ei­nem kämp­fen­den Raub­tier. Er schi­en von ei­ner un­er­sätt­li­chen Wut be­ses­sen, die ihm nicht Zeit ließ, sich sei­nem Kum­mer hin­zu­ge­ben. Sei­ne Lip­pen wa­ren zu ei­nem be­stän­di­gen Knur­ren ver­zerrt, das sich beim blo­ßen An­blick Wolf Lar­sens zu ei­nem furcht­ba­ren, dro­hen­den und, ich glau­be, ihm ganz un­be­wuss­ten Ton ver­stärk­te. Ich habe be­ob­ach­tet, wie er Wolf Lar­sen, wie ein wil­des Tier sei­nem Wäch­ter, mit den Au­gen folg­te, wäh­rend das tie­ri­sche Knur­ren tief aus sei­ner Keh­le kam und zwi­schen den Zäh­nen zit­ter­te.

Ich er­in­ne­re mich, wie ich ein­mal an Deck bei hell­lich­tem Tage sei­ne Schul­ter von hin­ten be­rühr­te, um ihm einen Be­fehl zu er­tei­len. Im sel­ben Au­gen­blick sprang er in ei­nem Satz von mir weg, in­dem er knurr­te und im Sprun­ge den Kopf wand­te. Er hat­te mich für den Ver­hass­ten ge­hal­ten.

Er so­wohl wie John­son wür­de Wolf Lar­sen bei der ers­ten Ge­le­gen­heit ge­tö­tet ha­ben, aber die Ge­le­gen­heit kam nie. Wolf Lar­sen war zu klug, und au­ßer­dem hat­ten sie kei­ne ent­spre­chen­den Waf­fen. Mit ih­ren Fäus­ten hat­ten sie kei­ne Chan­ce. Im­mer wie­der kam es zum Kampf zwi­schen Wolf Lar­sen und Le­ach, der sich stets wie eine Wild­kat­ze mit Zäh­nen, Nä­geln und Fäus­ten wehr­te, bis er er­schöpft oder ohn­mäch­tig auf dem Deck lag. Und er war stets zu neu­em Kampf be­reit. Der Teu­fel in ihm for­der­te den Teu­fel in Wolf Lar­sen her­aus. Sie brauch­ten nur gleich­zei­tig an Deck zu er­schei­nen, so wa­ren sie auch schon flu­chend, knur­rend und kämp­fend an­ein­an­der, und ich habe Le­ach ge­se­hen, wie er sich ohne War­nung und ohne An­lass auf Wolf Lar­sen stürz­te. Ein­mal schleu­der­te er sein schwe­res griff­fes­tes Mes­ser und ver­fehl­te Wolf Lar­sens Keh­le nur um einen Zoll. Ein an­der­mal ließ er einen stäh­ler­nen Marl­pfriem vom Be­s­an­baum her­un­ter­fal­len, auf ei­nem rol­len­den Schif­fe ein schwe­rer Wurf, aber die schar­fe Spit­ze, die aus ei­ner Höhe von 75 Fuß durch die Luft saus­te, ver­fehl­te den Kopf Wolf Lar­sens, der ge­ra­de von der Ka­jüt­strep­pe kam, um nur zwei Zoll und bohr­te sich tief in die fes­te Deck­plan­ke ein. Ein drit­tes Mal stahl er sich ins Zwi­schen­deck, setz­te sich in den Be­sitz ei­nes ge­la­de­nen Ge­wehrs und schlich sich da­mit auf Deck, wur­de aber von Ker­foot über­rascht und ent­waff­net.

Ich wun­der­te mich oft, dass Wolf Lar­sen ihn nicht tö­te­te und der Sa­che da­mit ein Ende mach­te. Aber er lach­te nur, und es schi­en ihn zu be­lus­ti­gen.

»Es kit­zelt«, er­klär­te er mir, »wenn das Le­ben nur an ei­nem Haar hängt. Der Mensch ist von Na­tur aus Spie­ler, und das Le­ben ist der höchs­te Ein­satz, den man hat. Je grö­ßer die Ge­fahr, de­sto mehr kit­zelt es. Wa­rum soll­te ich mir die Freu­de rau­ben, Le­achs See­le bis zur Fie­ber­glut zu er­hit­zen? Üb­ri­gens er­wei­se ich ihm da­mit einen Freund­schafts­dienst. Das Ge­fühl ist ge­gen­sei­tig. Er führt ein kö­nig­li­che­res Da­sein als ir­gend­ei­ner von der Mann­schaft, wenn er es auch nicht weiß. Denn er hat, was die an­de­ren nicht ha­ben, ein Ziel, eine Auf­ga­be, die ihn ganz er­füllt: den Wunsch, mich zu tö­ten, und die Hoff­nung, dass ihm dies glücken wer­de. Wirk­lich, Hump, er lebt auf den Hö­hen des Le­bens. Ich zweifle, dass er je so frisch und mu­tig ge­lebt hat, und be­nei­de ihn zu­wei­len ehr­lich, wenn ich ihn auf dem Gip­fel der Lei­den­schaft und des Ge­fühls ra­sen sehe.«

 

»Ach, das ist fei­ge, fei­ge«, rief ich. »Sie ha­ben ja das Über­ge­wicht.«

»Wer ist der grö­ße­re Feig­ling von uns bei­den, Sie oder ich?« frag­te er ernst­haft. »Die Si­tua­ti­on ist un­er­freu­lich, und da schlie­ßen Sie ein Kom­pro­miss mit Ihrem Ge­wis­sen. Wenn Sie wirk­lich groß, wenn Sie wahr ge­gen sich selbst wä­ren, so wür­den Sie ge­mein­sa­me Sa­che mit Le­ach und John­son ma­chen. Aber Sie fürch­ten sich. Sie wol­len le­ben. Das Le­ben in Ih­nen schreit her­aus, dass es le­ben muss, kos­te es, was es wol­le. Und da­her le­ben Sie un­wür­dig, wer­den Ihren bes­ten Träu­men un­treu, ver­sün­di­gen sich ge­gen all Ihre jäm­mer­li­chen Leh­ren und schi­cken Ihre See­le schnur­stracks in die Höl­le, falls es eine ge­ben soll­te. Pah! Ich spie­le ein tap­fe­res Spiel. Ich sün­di­ge nicht, denn ich blei­be mei­nen Le­bens­an­schau­un­gen treu.«

Was er sag­te, traf mich. Vi­el­leicht war ich wirk­lich fei­ge, und je mehr ich dar­über nach­dach­te, de­sto mehr er­schi­en es mir als mei­ne Pf­licht, zu tun, was er mir ge­ra­ten hat­te: ge­mein­sa­me Sa­che mit Le­ach und John­son zu ma­chen, um ihn zu be­sei­ti­gen. Der Ge­dan­ke ließ mich nicht los. Es muss­te eine gute Tat sein, die Welt von die­sem Un­ge­heu­er zu be­frei­en. Die Mensch­heit wür­de bes­ser und glück­li­cher, das Le­ben schö­ner und lieb­li­cher da­durch wer­den.

Ich er­wog es lan­ge, lag wach in mei­ner Koje und ließ die Tat­sa­chen noch­mals in end­lo­ser Pro­zes­si­on an mir vor­bei­zie­hen. Wäh­rend der Nacht­wa­chen, wenn Wolf Lar­sen un­ten war, sprach ich mit John­son und Le­ach. Bei­de hat­ten die Hoff­nung auf­ge­ge­ben – John­son aus Mut­lo­sig­keit, Le­ach, weil er sich in dem ver­geb­li­chen Rin­gen er­schöpft hat­te. Aber ei­nes Nachts er­griff er lei­den­schaft­lich mei­ne Hand und sag­te:

»Sie sind recht­schaf­fen, Herr van Wey­den. Aber blei­ben Sie, wo Sie sind, und hal­ten Sie den Mund. Wir bei­de, John­son und ich, sind ver­lo­ren, ich weiß es – aber viel­leicht wird es Ih­nen doch ei­nes Ta­ges mög­lich sein, uns einen Dienst zu er­wei­sen, wenn wir es ver­dammt nö­tig ha­ben.«

Ich hat­te die Hoff­nung ge­hegt, dass sei­ne Op­fer eine Ge­le­gen­heit zur Flucht fin­den wür­den, wenn wir die Was­ser­fäs­ser füll­ten, aber Wolf Lar­sen hat­te sei­ne Maß­re­geln ge­trof­fen. Die ›Ghost‹ lag eine hal­be Mei­le vor der Bran­dung, und da­hin­ter war öder Strand, den eine wil­de Berg­schlucht mit stei­len vul­ka­ni­schen, un­er­steig­ba­ren Wän­den ab­schloss. Und hier, un­ter sei­ner ei­ge­nen Auf­sicht – denn er ging selbst mit an Land –, füll­ten Le­ach und John­son die klei­nen Fäs­ser und roll­ten sie zum Was­ser hin­ab. Sie hat­ten kei­ne Ge­le­gen­heit, mit Hil­fe ei­nes Boo­tes ihre Frei­heit zu ge­win­nen.

Har­ri­son und Kel­ly je­doch mach­ten einen Flucht­ver­such. Sie be­fan­den sich in ei­nem der Boo­te und hat­ten die Auf­ga­be, mit je ei­nem Fass zwi­schen Strand und Scho­ner hin und her zu ru­dern. Gera­de vor dem Mit­ta­ges­sen, als sie mit ei­nem lee­ren Fass an Land fuh­ren, än­der­ten sie plötz­lich den Kurs nach links, um hin­ter das Vor­ge­bir­ge zu kom­men, das sich zwi­schen ih­nen und der Frei­heit aus dem Mee­re er­hob. Jen­seits der schäu­men­den Flä­che la­gen die hüb­schen Dör­fer der ja­pa­ni­schen Ko­lo­nis­ten und lä­cheln­de Tä­ler, die sich weit ins In­ne­re er­streck­ten. Wa­ren sie erst dort, so konn­te Wolf Lar­sen sich den Mund nach ih­nen wi­schen.

Ich hat­te be­merkt, dass Hen­der­son und Smo­ke den gan­zen Mor­gen auf Deck her­um­lun­ger­ten, und jetzt er­fuhr ich den Zweck. Sie nah­men ihre Büch­sen und er­öff­ne­ten läs­sig ein Feu­er auf die Flücht­lin­ge. Es war eine kal­te Dar­bie­tung ih­rer Schieß­kunst. Zu­erst hüpf­ten ihre Ku­geln harm­los über den Was­ser­spie­gel zu bei­den Sei­ten des Boo­tes, als aber die Leu­te wei­ter ru­der­ten, tra­fen sie im­mer nä­her.

»Pass auf: jetzt neh­me ich Kel­lys rech­ten Rie­men«, sag­te Smo­ke, in­dem er sorg­fäl­tig ziel­te.

Ich sah durch das Glas, wie das Ru­der­blatt durch sei­nen Schuss zer­split­tert wur­de. Hen­der­son wähl­te sich Har­ri­sons rech­ten Rie­men zum Ziel. Das Boot dreh­te sich. Ei­nen Au­gen­blick spä­ter wa­ren auch die bei­den an­de­ren Rie­men zer­schos­sen. Die Leu­te ver­such­ten mit den Stümp­fen zu ru­dern, aber sie wur­den ih­nen aus den Hän­den ge­schos­sen. Kel­ly brach eine Bo­den­plan­ke los und be­gann da­mit zu pad­deln, ließ sie aber mit ei­nem Schmer­zens­ruf fal­len, als die Sp­lit­ter ihm in die Hand dran­gen. Jetzt ga­ben sie es auf und lie­ßen das Boot trei­ben, bis ein zwei­tes Boot, das Wolf Lar­sen vom Stran­de schick­te, sie ins Schlepp­tau nahm und an Bord brach­te.

Spät am Nach­mit­tage lich­te­ten wir die An­ker und fuh­ren wei­ter. Vor uns la­gen drei bis vier Mo­na­te Jagd in den Rob­ben­grün­den. Die­se Aus­sicht war in der Tat trü­be, und ich ging schwe­ren Her­zens an mei­ne Ar­beit. Eine Art Gra­bes­s­tim­mung schi­en sich auf die ›Ghost‹ her­ab­ge­senkt zu ha­ben. Wolf Lar­sen hat­te sich, von sei­nen merk­wür­di­gen, be­täu­ben­den Kopf­schmer­zen ge­packt, in sei­ne Koje zu­rück­ge­zo­gen. Har­ri­son stand teil­nahms­los am Rad, halb dar­auf ge­stützt, als drücke ihn sein ei­ge­nes Ge­wicht zu Bo­den. Die üb­ri­ge Mann­schaft war mür­risch und schweig­sam. Ich über­rasch­te Kel­ly, der, den Kopf auf den Kni­en und die Arme um den Kopf, in ei­ner Hal­tung un­aus­sprech­li­cher Nie­der­ge­schla­gen­heit ne­ben der Ach­ter­lu­ke zu­sam­men­ge­bro­chen war.

John­son fand ich sei­ner gan­zen Län­ge nach auf dem äu­ßers­ten Ran­de der Back lie­gend, wo er un­ver­wandt in den auf­ge­wühl­ten Schaum un­ter sich starr­te. Ich ver­such­te, die düs­te­ren Ge­dan­ken des Man­nes ab­zu­len­ken, in­dem ich ihn zu mir rief, aber er lä­chel­te mich nur trau­rig an und wei­ger­te sich, zu ge­hor­chen. Als ich nach ach­tern ging, nä­her­te sich Le­ach mir.

»Ich möch­te Sie um et­was bit­ten, Herr van Wey­den«, sag­te er. »Wol­len Sie, wenn Sie je das Glück ha­ben soll­ten, Fris­co wie­der­zu­se­hen, Matt McCar­thy auf­su­chen? Er ist mein Va­ter. Er wohnt auf dem Hü­gel, gleich hin­ter der Mayfair-Bä­cke­rei, und be­treibt eine Schuh­flicker­werk­statt, die je­der kennt, Sie wer­den ihn ohne Schwie­rig­kei­ten fin­den. Sa­gen Sie ihm, dass ich lan­ge ge­nug ge­lebt habe, um all die Sor­ge zu be­reu­en, die ich ihm be­rei­tet habe, und – Gott seg­ne ihn.«

Ich nick­te, sag­te aber: »Wir wer­den alle nach San Fran­cis­co zu­rück­keh­ren, Le­ach, und du wirst mit da­bei sein, wenn ich Matt MacCar­thy be­su­che.«

»Ich möch­te es gern glau­ben«, ant­wor­te­te er, in­dem er mir die Hand schüt­tel­te, »aber ich kann nicht. Wolf Lar­sen bringt mich um, das weiß ich, und ich hof­fe, dass er es schnell tut.«

Und als er mich ver­ließ, spür­te ich den­sel­ben Wunsch in mir sel­ber. Es ge­sch­ah ja doch, also dann lie­ber schnell. Die all­ge­mei­ne Fins­ter­nis hat­te auch mich ein­gehüllt. Das Schlimms­te schi­en un­ver­meid­lich. Und wie ich Stun­de auf Stun­de an Deck auf und ab schritt, war mir, als hät­ten mich die ab­sto­ßen­den Ge­dan­ken Wolf Lar­sens an­ge­steckt. Wozu das al­les? Wo war die Grö­ße des Le­bens, wenn es eine so maß­lo­se Ver­nich­tung mensch­li­cher See­len zu­las­sen konn­te? Al­les in al­lem war die­ses Le­ben et­was Bil­li­ges, Nich­ti­ges, und je eher es vor­bei war, de­sto bes­ser. Auch ich lehn­te mich über die Re­ling und starr­te sehn­süch­tig ins Meer hin­ab, si­cher, dass ich frü­her oder spä­ter ver­sin­ken muss­te in die­ser küh­len, grü­nen Tie­fe der Ver­ges­sen­heit.