Jack London – Gesammelte Werke

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13

Drei Tage lang ver­rich­te­te ich ne­ben mei­ner ei­ge­nen Ar­beit auch die von Tho­mas Mu­gridge, und ich schmeich­le mir, dass ich sie gut tat. Ich weiß, dass sie Wolf Lar­sens Bei­fall fand, wäh­rend die Ma­tro­sen in der kur­z­en Zeit mei­nes Re­gi­ments vor Zufrie­den­heit strahl­ten. »Der ers­te sau­be­re Bis­sen, seit ich an Bord bin«, sag­te Har­ri­son zu mir, als er mir die Töp­fe und Pfan­nen von der Back wie­der an die Kom­bü­sen­tür brach­te. »Tom­mys Es­sen schmeckt im­mer nach ran­zi­gem Fett, und ich wet­te, er hat, seit wir Fris­co ver­lie­ßen, das Hemd nicht ge­wech­selt.«

»Ich weiß, dass er es nicht ge­tan hat«, sag­te ich.

»Und ich wet­te, er schläft so­gar da­mit«, füg­te Har­ri­son hin­zu.

»Die Wet­te ver­lierst du nicht«, stimm­te ich ihm leb­haft bei.

»Er hat das Hemd in der gan­zen Zeit noch nicht ein ein­zi­ges Mal vom Lei­be ge­habt.«

Aber drei Tage wa­ren al­les, was Wolf Lar­sen dem Koch zu­ge­stand, um sich von den Wir­kun­gen der er­hal­te­nen Prü­gel zu er­ho­len. Am vier­ten wur­de er, noch lahm und wund und kaum im­stan­de, die Au­gen zu öff­nen, beim Kra­gen ge­packt und aus sei­ner Koje zur Ar­beit ge­schleppt. Er jam­mer­te und wein­te, aber Wolf Lar­sen hat­te kein Mit­leid.

»Und sieh zu, dass du uns kei­nen sol­chen Fraß mehr auf­tischst«, schärf­te er ihm zum Schluss ein. »Kein Fett und kei­nen Dreck, ver­giss das nicht, und hin und wie­der ein rei­nes Hemd, oder du wirst ge­kiel­holt. Ver­stan­den?«

Tho­mas Mu­gridge kroch über den Fuß­bo­den der Kom­bü­se, und ein kur­z­er Stoß der ›Ghost‹ brach­te ihn aus dem Gleich­ge­wicht. Bei dem Ver­such, es wie­der zu er­lan­gen, fass­te er nach der ei­ser­nen Stan­ge um den Herd, die die Töp­fe am Her­un­ter­rut­schen hin­dern soll­te, griff aber da­ne­ben, und sei­ne Hand lan­de­te mit ih­rer gan­zen Flä­che auf der hei­ßen Herd­plat­te. Es zisch­te, der Ge­ruch von ver­brann­tem Fleisch ver­brei­te­te sich, und er stieß ein Schmer­zens­ge­heul aus.

»O Gott, o Gott, was hab’ ich ge­tan?« wim­mer­te er, in­dem er sich auf den Koh­len­kas­ten setz­te und vor Schmerz hin und her rück­te. »Wa­rum muss ich so schwer ge­prüft wer­den, ich, der kei­ner Flie­ge je et­was zu­lei­de ge­tan hat?«

Die Trä­nen ran­nen über sei­ne ge­schwol­le­nen, ver­färb­ten Wan­gen, und sein Ge­sicht war vor Schmerz ver­zo­gen. Ein wil­der Aus­druck fuhr dar­über hin.

»Oh, wie ich ihn has­se! Wie ich ihn has­se!« knirsch­te er. »Wen?« frag­te ich, aber der arme Wicht wein­te wie­der über sein Miss­ge­schick. Es war we­ni­ger schwer zu er­ra­ten, wen er hass­te, als wen er nicht hass­te. Denn im­mer mehr sah ich in ihm einen bos­haf­ten Teu­fel, der die gan­ze Welt hass­te. Und manch­mal dach­te ich, dass er so­gar sich sel­ber hass­te, so schreck­lich und un­na­tür­lich war das Le­ben mit ihm um­ge­sprun­gen. In sol­chen Au­gen­bli­cken konn­te Mit­leid in mir auf­stei­gen, und ich schäm­te mich, dass ich mich je über sei­ne Nie­der­la­ge und sei­ne Schmer­zen ge­freut hat­te. Das Le­ben hat­te ihm einen ge­mei­nen Streich ge­spielt, als es ihn zu dem mach­te, der er war, und seit­her spiel­te es ihm einen ge­mei­nen Streich nach dem an­de­ren. Wel­che Mög­lich­kei­ten hat­te er ge­habt, an­ders zu wer­den, als er ge­wor­den war? Und als ob er mei­ne un­aus­ge­spro­che­nen Ge­dan­ken be­ant­wor­ten woll­te, wim­mer­te er:

»Ich hab’ nie Glück ge­habt, nie auch nur das kleins­te biss­chen Glück! Wer war da, um mich in die Schu­le zu schi­cken, mir ein Stück Brot in den hung­ri­gen Schna­bel zu ste­cken oder die blu­ti­ge Nase zu wi­schen, als ich noch ein klei­ner Jun­ge war? Wer hat je was für mich ge­tan, he? Wer, fra­ge ich?«

»Mach’ dir nichts dar­aus, Tom­my«, sag­te ich und leg­te ihm be­ru­hi­gend die Hand auf die Schul­ter. »Fass Mut. Am Ende wird noch al­les gut. Du hast noch ein lan­ges Le­ben vor dir und kannst aus dir ma­chen, was du willst.«

»Das ist Lüge! Ver­damm­te Lüge!« schrie er mir ins Ge­sicht und schleu­der­te mei­ne Hand fort. »Es ist Lüge, und das weißt du. Ich bin aus Res­ten und Ab­fall ge­macht. Für dich ist es nicht schwer, Hump. Du bist als fei­ner Herr ge­bo­ren. Du hast nie er­fah­ren, was es heißt, sich hung­rig in Schlaf zu wei­nen, wäh­rend dein Ma­gen knurrt, als ob eine Rat­te dar­in säße. Es kann nicht gut wer­den. Und wenn ich mor­gen Prä­si­dent der Ve­rei­nig­ten Staa­ten wür­de, wie könn­te das den Hun­ger stil­len, den ich frü­her ge­lit­ten habe?

Wie könn­te es wohl? fra­ge ich. Ich bin für Lei­den und Sor­gen ge­bo­ren. Ich habe mehr durch­ge­macht als zehn an­de­re zu­sam­men, ja­wohl! Ich habe mein hal­b­es Le­ben im Kran­ken­haus ge­le­gen. Ich hat­te Fie­ber in Aspin­wall in Ha­van­na, in New Or­leans. Ich wäre fast an Skor­but ge­stor­ben und faul­te sechs Mo­na­te dar­an in Bar­ba­dos. Po­cken in Ho­no­lu­lu, bei­de Bei­ne ge­bro­chen in Schang­hai, Lun­gen­ent­zün­dung in Alas­ka, drei ge­bro­che­ne Rip­pen und eine in­ne­re Quet­schung in Fris­co. Und jetzt bin ich hier. Schau mich an! Schau mich an! Mei­ne Rip­pen wie­der vom Rücken los­ge­prü­gelt. Ich wer­de Blut spu­cken, ehe die Son­ne wie­der auf­geht. Wie soll­te das an­ders für mich wer­den? fra­ge ich. Wer soll­te es gut­ma­chen? Gott? Ach, Gott muss mich ge­hasst ha­ben, als er mei­nen Heu­er­kon­trakt für die Rei­se durch sei­ne blü­hen­de Welt un­ter­schrieb!«

Die­ser Aus­bruch wi­der sein Ge­schick währ­te eine Stun­de oder noch län­ger, und dann mach­te er sich, hin­kend und stöh­nend, und die Au­gen von Hass ge­gen die gan­ze Welt leuch­tend, an die Ar­beit.

Sei­ne Dia­gno­se war in­des­sen rich­tig ge­we­sen, denn er wur­de von An­fäl­len ge­packt, in de­nen er Blut brach und star­ke Schmer­zen hat­te. Und er schi­en recht zu ha­ben: Gott hass­te ihn zu sehr, um ihn ster­ben zu las­sen, denn er wur­de schließ­lich wie­der ge­sund und war bos­haf­ter als je.

Meh­re­re Tage ver­gin­gen noch, ehe John­son an Deck kroch und mut­los an sei­ne Ar­beit ging. Er war noch krank, und mehr als ein­mal be­ob­ach­te­te ich, wie schmerz­haft es für ihn war, zu ei­nem Topp­se­gel hin­auf­zu­klet­tern, und wie er zu­sam­men­fiel, wenn er am Steu­er­rad stand. Aber das Schlimms­te war: Sein Mut schi­en ge­bro­chen. Er kroch vor Wolf Lar­sen und lag vor Jo­han­sen bei­na­he auf dem Bau­che vor Furcht. An­ders Le­ach. Der ging an Deck um­her wie ein Ti­ger­jun­ges und schleu­der­te of­fen sei­ne has­s­er­füll­ten Bli­cke auf Wolf Lar­sen und Jo­han­sen.

»Ich wer­de schon mit dir fer­tig wer­den, du platt­fü­ßi­ger Schwe­de!« hör­te ich ihn ei­nes Nachts auf Deck zu Jo­han­sen sa­gen.

Der Steu­er­mann ver­fluch­te ihn in der Dun­kel­heit, und im nächs­ten Au­gen­blick traf ir­gend­ein Wurf­ge­schoss mit schar­fem Stoß die Kom­bü­se. Noch ei­ni­ge Flü­che er­tön­ten, ein höh­ni­sches La­chen, dann war al­les still. Ich stahl mich hin­aus und fand ein schwe­res Mes­ser, das über einen Zoll tief in dem fes­ten Hol­ze steck­te. Ei­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter kam der Steu­er­mann, tapp­te her­um und such­te es. Aber ich gab es Le­ach heim­lich am nächs­ten Tage wie­der. Er grins­te, als ich es ihm reich­te, aber in die­sem Grin­sen lag mehr wah­re Dank­bar­keit als in dem gan­zen Strom schö­ner Wor­te von ei­nem mei­ner ei­ge­nen Klas­se.

Als ein­zi­ger von der gan­zen Be­sat­zung leb­te ich mit al­len auf gu­tem Fuße und stand in al­ler Gunst. Die Jä­ger dul­de­ten mich mög­li­cher­wei­se nur, ob­gleich mich kei­ner von ih­nen hass­te. Smo­ke und Hen­der­son, die als Ge­ne­sen­de in Hän­ge­mat­ten un­ter ei­nem über Deck ge­spann­ten Son­nen­se­gel la­gen, ver­si­cher­ten mir je­doch, ich sei bes­ser als eine Kran­ken­schwes­ter, und sie wür­den an mich den­ken, wenn sie am Ende der Rei­se ihre Löh­nung aus­be­zahlt er­hiel­ten. (Als ob ich ih­res Gel­des be­durft hät­te! Ich, der ich den gan­zen Scho­ner mit al­lem, was an Bord war, hät­te kau­fen und zwan­zig­fach be­zah­len kön­nen!) Aber mir war die Auf­ga­be zu­ge­fal­len, ihre Wun­den zu pfle­gen und sie durch­zu­brin­gen, und ich tat mein Bes­tes.

Wolf Lar­sen hat­te wie­der einen zwei­tä­gi­gen An­fall von Kopf­schmer­zen. Er muss­te schreck­lich lei­den, denn er rief mich zu sich und ge­horch­te mei­nen An­wei­sun­gen wie ein kran­kes Kind. Aber ich konn­te nichts tun, um ihm Er­leich­te­rung zu schaf­fen. Auf mei­ne Er­mah­nung rauch­te und trank er je­doch nicht. Wie­so ein so pracht­vol­les Tier wie er über­haupt Kopf­schmer­zen ha­ben konn­te, war mir rät­sel­haft.

»Es ist Got­tes Hand, sage ich dir.« Das war Louis’ Auf­fas­sung. »Es ist eine Heim­su­chung zur Stra­fe für sei­ne schwar­zen Ta­ten, und es wird noch ganz an­ders kom­men, oder – –«

»Oder – –«, forsch­te ich.

»Oder Gott schläft und ver­säumt sei­ne Pf­licht – ob­wohl ich das wohl ei­gent­lich nicht sa­gen dürf­te.«

Wenn ich sag­te, dass ich mit al­len auf gu­tem Fuße stand, so war das ein Irr­tum. Tho­mas Mu­gridge fährt nicht nur fort, mich zu has­sen, er hat so­gar einen neu­en Grund für sei­nen Hass ent­deckt. Es dau­er­te ziem­lich lan­ge, bis ich ihn er­kann­te, aber schließ­lich wuss­te ich ihn: Ich war un­ter ei­nem glück­li­che­ren Stern als ›fei­ner Herr‹ ge­bo­ren, wie er sag­te.

»Und im­mer noch kein To­ter wie­der?« neck­te ich Louis, als Smo­ke und Hen­der­son Sei­te an Sei­te in freund­schaft­li­cher Un­ter­hal­tung ih­ren ers­ten Gang an Deck mach­ten.

Louis be­trach­te­te mich mit ei­nem prü­fen­den Blick sei­ner ver­schmitz­ten grau­en Au­gen und schüt­tel­te un­heil­ver­kün­dend den Kopf. »Das kommt schon noch, sag’ ich dir, und man wird ein Lied­chen da­von sin­gen kön­nen, wenn’s erst los­geht. Ich spü­re es die gan­ze Zeit, und jetzt füh­le ich es so deut­lich, wie ich die Ta­ke­lung in dunk­ler Nacht füh­le. Es ist nahe, ganz nahe.«

 

»Wer wird der ers­te?« frag­te ich.

»Nicht der di­cke alte Louis, das ver­spre­che ich dir«, lach­te er. »Denn es steckt mir in den Kno­chen, dass ich nächs­tes Jahr um die­se Zeit be­stimmt in die al­ten Au­gen mei­ner Mut­ter schau­en wer­de. Nach den fünf Söh­nen, die sie be­reits der See ge­schenkt hat, hat sie sich trü­be ge­st­arrt.«

»Was woll­te er von dir?« frag­te Tho­mas Mu­gridge mich gleich dar­auf.

»Er er­zähl­te mir, dass er nach Hau­se will, um sei­ne Mut­ter wie­der­zu­se­hen«, ant­wor­te­te ich di­plo­ma­tisch. »Ich hab’ nie eine ge­habt«, mein­te der Cock­ney und blick­te mit mat­ten, hoff­nungs­lo­sen Au­gen in die mei­nen.

14

End­lich ist mir ein Licht auf­ge­gan­gen, dass ich die Frau­en nie rich­tig ein­ge­schätzt habe. Ob­wohl ich nicht in be­son­de­rem Maße ero­tisch ver­an­lagt bin, hat­te ich doch nie in ei­ner völ­lig frau­en­lee­ren At­mo­sphä­re ge­lebt. Mut­ter und Schwes­tern wa­ren im­mer um mich ge­we­sen, und ich hat­te ih­nen stets zu ent­rin­nen ge­sucht, denn sie quäl­ten mich bis zur Verzweif­lung mit ih­rer Sor­ge um mei­ne Ge­sund­heit und ih­ren pe­ri­odi­schen Ein­fäl­len in mein Zim­mer, die mein »ge­ord­ne­tes« Durchein­an­der, auf das ich nicht we­nig stolz war, in ein noch grö­ße­res, wenn auch dem Auge wohl ge­fäl­li­ges Durchein­an­der von Un­ord­nung ver­wan­del­ten. Ich konn­te nie et­was wie­der­fin­den, wenn sie mich ver­las­sen hat­ten. Aber ach, wie will­kom­men wäre mir jetzt ihre Ge­gen­wart, das Ra­scheln ih­rer Klei­der ge­we­sen, das ich so von Her­zen ver­ab­scheut hat­te! Ich bin si­cher, dass ich mich, wenn ich je wie­der nach Hau­se kom­men soll­te, nie wie­der über sie är­gern wer­de. Mö­gen sie mor­gens, mit­tags und abends an mir her­um­dok­tern, Staub wi­schen und fe­gen: ich wer­de nur von mei­nem Ses­sel aus still zu­se­hen und dank­bar sein, dass ich Mut­ter und Schwes­tern habe.

So vie­les wun­dert mich. Wo sind die Müt­ter die­ser zwan­zig zu­sam­men­ge­wür­fel­ten Män­ner auf der ›Ghost‹? Es er­scheint mir un­na­tür­lich und un­ge­sund, dass sich Män­ner völ­lig ge­trennt von Frau­en her­den­wei­se al­lein durch die Welt trei­ben sol­len. Ro­heit und Wild­heit sind die un­ver­meid­li­chen Fol­gen. Hät­ten die­se Män­ner um mich Frau­en, Schwes­tern und Töch­ter, sie wür­den im­stan­de sein, Sanft­mut, Zärt­lich­keit und Mit­ge­fühl zu be­kun­den. Tat­säch­lich ist nicht ei­ner von ih­nen ver­hei­ra­tet. Jahr auf Jahr ist nicht ei­ner von ih­nen mit ei­ner gu­ten Frau in Berüh­rung ge­kom­men, hat un­ter ih­rem Ein­fluss ge­stan­den oder die Er­lö­sung ge­fun­den, die ein sol­ches Ge­schöpf un­wei­ger­lich aus­strahlt. Ihr Le­ben ist aus dem Gleich­ge­wicht. Ihre Männ­lich­keit, die schon an sich die ei­nes wil­den Tie­res ist, hat sich über­ent­wi­ckelt. Die an­de­re, geis­ti­ge Sei­te ih­res We­sens ist ein­ge­schrumpft – ver­zehrt.

Es ist eine Ge­sell­schaft von Ein­sied­lern, die sich scharf an­ein­an­der rei­ben und da­von mit je­dem Tage hart­her­zi­ger wer­den. Mir er­scheint es manch­mal un­glaub­lich, dass sie Müt­ter ge­habt ha­ben sol­len. Es ist fast, als ge­hör­ten sie ei­ner Gat­tung von Halb­tie­ren, Halb­men­schen an, ei­ner be­son­de­ren, ge­schlechts­lo­sen Ras­se; sie mö­gen von der Son­ne wie Schild­krö­te­nei­er aus­ge­brü­tet oder sonst auf ir­gend­ei­ne Wei­se zum Le­ben er­weckt sein. Sie müs­sen ihr gan­zes Le­ben lang in Bru­ta­li­tät und Nie­der­tracht wü­ten und am Ende eben­so jäm­mer­lich ster­ben, wie sie ge­lebt ha­ben.

Die­se Ge­dan­ken be­schäf­tig­ten mich, und so sprach ich ver­gan­ge­ne Nacht mit Jo­han­sen. Es wa­ren die ers­ten über­flüs­si­gen Wor­te, mit de­nen er mich seit Be­ginn der Rei­se beehr­te. Mit 18 Jah­ren hat­te er Schwe­den ver­las­sen, jetzt ist er 38, und die gan­ze Zeit war er nicht ein ein­zi­ges Mal zu Hau­se. Vor ei­ni­gen Jah­ren traf er in ei­nem See­manns­heim in Chi­le einen Lands­mann, und von ihm er­fuhr er, dass sei­ne Mut­ter noch leb­te.

»Sie muss jetzt schon eine alte Frau sein«, sag­te er, in­dem er nach­denk­lich ins Kom­paß­haus starr­te und dann einen schar­fen Blick auf Har­ri­son warf, der einen Strich aus dem Kurs ge­kom­men war.

»Wann ha­ben Sie ihr zu­letzt ge­schrie­ben?«

Er rech­ne­te laut: »Ein­un­dacht­zig, nein – – zwei­un­dacht­zig, nicht? Nein – – drei­un­dacht­zig – ja, drei­un­dacht­zig. Vor zehn Jah­ren. Aus ei­nem klei­nen Ha­fen in Ma­da­gas­kar. Ich fuhr auf ei­nem Han­dels­schiff. Se­hen Sie«, fuhr er fort, als ob er sich über den hal­b­en Erd­kreis hin­weg an sei­ne ver­nach­läs­sig­te Mut­ter wand­te, »je­des Jahr woll­te ich heim­fah­ren. Was hat­te es da für einen Sinn, zu schrei­ben? Es dau­er­te ja nur noch ein Jahr. Und je­des Jahr kam et­was da­zwi­schen, und ich kam nicht nach Hau­se. Aber jetzt bin ich Steu­er­mann, und wenn ich mei­ne Schul­den in Fris­co – viel­leicht 500 Dol­lar – ab­be­zahlt habe, dann fah­re ich auf ei­nem Seg­ler um Kap Horn nach Li­ver­pool. Da­mit ver­die­ne ich dann ge­nug für die Über­fahrt nach Hau­se. Dann braucht sie nicht mehr zu ar­bei­ten.« »Ar­bei­tet sie denn jetzt? Wie alt ist sie denn?«

»Um die sieb­zig«, er­wi­der­te er. Und dann rühm­te er sich: »Bei mir zu Hau­se ar­bei­ten wir von der Ge­burt bis zum Tode. Da­her wer­den wir so alt. Ich wer­de hun­dert.«

Ich wer­de die­se Un­ter­hal­tung nie ver­ges­sen. Es wa­ren die letz­ten Wor­te, die ich ihn spre­chen hör­te. Vi­el­leicht wa­ren es die letz­ten, die er über­haupt sprach.

Als ich die Ka­jü­te be­trat, war es mir sti­ckig zum Schla­fen. Es war eine stil­le Nacht. Wir be­fan­den uns au­ßer­halb des Be­rei­ches des Pas­sats, und die ›Ghost‹ kam kaum einen Kno­ten in der Stun­de vor­wärts. So nahm ich denn eine De­cke und ein Kis­sen un­ter den Arm und stieg wie­der an Deck.

Als ich zwi­schen Har­ri­son und dem oben auf dem Ka­jü­ten­dach an­ge­brach­ten Kom­paß­haus hin­durch­schritt, be­merk­te ich, dass wir vol­le drei Strich vom Kur­se ab­ge­wi­chen wa­ren. Da ich glaub­te, dass der Ru­der­gast schlie­fe, und ich ihm einen Ver­weis er­spa­ren woll­te, sprach ich ihn an. Aber er schlief nicht. Mit weit auf­ge­ris­se­nen Au­gen starr­te er vor sich hin. Er schi­en ver­wirrt und au­ßer­stan­de zu sein, mir zu ant­wor­ten. »Was ist denn?« frag­te ich. »Bist du krank?«

Er schüt­tel­te den Kopf, und als ob er er­wach­te, schöpf­te er mit ei­nem tie­fen Seuf­zer Atem.

»Du tä­test bes­ser, den Kurs zu hal­ten«, schalt ich.

Er griff in die Spei­chen des Ra­des, und ich sah, wie sich die Kom­paß­kar­te lang­sam nach NNW dreh­te und nach ei­ni­gen leich­ten Schwin­gun­gen zur Ruhe kam.

Ich nahm mein Bett­zeug wie­der auf und woll­te ge­ra­de wei­ter­ge­hen, als eine Be­we­gung mein Auge fes­sel­te und nach der Re­ling zu­rück­zwang. Eine seh­ni­ge, trie­fen­de Hand pack­te sie. Ne­ben ihr tauch­te eine zwei­te Hand aus der Fins­ter­nis auf. Wie ver­zau­bert stand ich da. Was für einen Gast aus der dunklen Tie­fe soll­te ich se­hen? Was für ein We­sen es aber auch sein moch­te, so wur­de mir je­den­falls klar, dass es mit Hil­fe der Lo­g­lei­ne an Bord klet­ter­te. Ich sah einen Kopf mit trie­fen­dem Haar, dann er­schi­en ein Kör­per, und nun er­kann­te ich Au­gen und Ge­sicht Wolf Lar­sens. Sei­ne rech­te Ba­cke war rot von Blut, das aus ei­ner Kopf­wun­de her­ab­floss.

Mit ei­ner plötz­li­chen An­stren­gung zog er sich an Bord und stand auf den Fü­ßen. Dann warf er einen schnel­len Blick auf den Mann am Rade, als wol­le er sich über­zeu­gen, wer er sei, und dass von ihm kei­ne Ge­fahr dro­he. Das See­was­ser troff von ihm her­ab mit ei­nem lei­sen Rie­seln, das mich be­un­ru­hig­te. Als er auf mich zu­schritt, wich ich in­stink­tiv zu­rück, denn ich sah in sei­nen Au­gen et­was, das Tod hieß.

»Gut, Hump«, sag­te er mit lei­ser Stim­me. »Wo ist der Steu­er­mann?« Ich schüt­tel­te den Kopf.

»Jo­han­sen!« rief er lei­se. »Jo­han­sen!«

»Wo ist er?« frag­te er Har­ri­son.

Der jun­ge Mann schi­en sei­ne Fas­sung wie­der­er­langt zu ha­ben, denn er ant­wor­te­te ganz ru­hig: »Ich weiß es nicht, Käptn. Vor kur­z­em sah ich ihn nach vorn ge­hen.« »Ich war auch vorn. Aber hast du be­merkt, dass ich nicht den­sel­ben Weg, den ich ging, wie­der zu­rück­kam? Kannst du dir das er­klä­ren?«

»Sie müs­sen über Bord ge­we­sen sein, Käptn.«

»Soll ich im Zwi­schen­deck nach ihm se­hen, Käptn?« frag­te ich.

Wolf Lar­sen schüt­tel­te den Kopf. »Sie wür­den ihn nicht fin­den, Hump. Aber ge­hen Sie mei­net­we­gen. Kom­men Sie. Las­sen Sie Ihr Bett­zeug lie­gen.«

Ich folg­te ihm. Nichts reg­te sich mitt­schiffs.

»Die ver­damm­ten Jä­ger!« be­merk­te er. »Zu dick und faul, um vier Stun­den Wa­che durch­zu­hal­ten.«

Auf der Back fan­den wir je­doch drei schla­fen­de Ma­tro­sen.

Er dreh­te sie auf den Rücken und blick­te ih­nen ins Ge­sicht. Sie bil­de­ten die Deck­wa­che, die Wa­che selbst pfleg­te man bei gu­tem Wet­ter schla­fen zu las­sen mit Aus­nah­me des Of­fi­ziers, des Ru­der­gas­tes und des Man­nes im Aus­guck.

»Wer hat den Aus­guck?« frag­te der Ka­pi­tän.

»Ich, Käptn«, ant­wor­te­te Ho­loyak, ei­ner der Voll­ma­tro­sen, mit ei­nem leich­ten Zit­tern in der Stim­me. »Ich bin die­se Mi­nu­te ein­ge­schla­fen, Käptn. Es tut mir leid, Käptn. Es soll nicht wie­der vor­kom­men.«

»Hast du ir­gend et­was an Deck ge­hört?«

»Nein, Käptn, ich – –«

Aber Wolf Lar­sen hat­te sich mit ei­nem un­zu­frie­de­nen Knur­ren ab­ge­wandt, und der Ma­tro­se rieb sich die Au­gen, er­staunt, so leich­ten Kaufs da­von­ge­kom­men zu sein.

»Still jetzt!« er­mahn­te mich Wolf Lar­sen flüs­ternd, in­dem er sich bück­te und sich an­schick­te, durch die Luke hin­un­ter­zu­stei­gen.

Ich folg­te ihm be­ben­den Her­zens. Was ge­sche­hen soll­te, wuss­te ich eben­so­we­nig wie, was ge­sche­hen war. Aber Blut war ge­flos­sen, und Wolf Lar­sen war nicht selbst auf den Ein­fall ge­kom­men, mit ei­nem Loch im Kopf über Bord zu klet­tern. Au­ßer­dem fehl­te Jo­han­sen.

Es war das ers­te­mal, dass ich in die Back hin­un­ter­stieg, und ich wer­de nicht so­bald den Ein­druck ver­ges­sen, den ich emp­fing, als ich den Fuß auf die Trep­pe ge­setzt hat­te. Di­rekt in den Schiffs­raum ein­ge­baut, hat­te die Back die Form ei­nes Drei­ecks, an des­sen Schen­keln die zwölf Ko­jen in zwei Rei­hen über­ein­an­der an­ge­bracht wa­ren. Sie war nicht grö­ßer als eine klei­ne Bo­den­kam­mer, und doch muss­ten zwölf Mann dar­in es­sen, schla­fen und at­men. Mein Schlaf­zim­mer da­heim war nicht groß, aber es hät­te gut ein Dut­zend der­ar­ti­ger Vor­der­kas­tel­le, ja, wenn man die Höhe be­rück­sich­tig­te, das Dop­pel­te fas­sen kön­nen.

Es roch schal und säu­er­lich, und im Lich­te der trü­ben, hin und her schwin­gen­den Schiffs­lam­pe sah ich, dass al­ler ver­füg­ba­re Platz bis ins kleins­te Eck­chen aus­ge­füllt war mit Sees­tie­feln, Öl­zeug und sau­be­ren und schmut­zi­gen Klei­dungs­stücken al­ler Art. Mit je­dem Rol­len des Schif­fes schwang das al­les hin und zu­rück und brach­te ein scheu­ern­des Geräusch her­vor, als ob ein Baum sich ge­gen ein Dach oder eine Wand rieb. Ir­gend­wo stieß ein Stie­fel re­gel­mä­ßig mit lau­tem Kra­chen ge­gen die Wand. Und ob­gleich es eine ru­hi­ge Nacht war, er­tön­te doch un­aus­ge­setzt ein Chor von knar­ren­dem Holz, knir­schen­den Span­ten und un­er­gründ­li­chen Geräuschen un­ter den Die­len.

Die Schlä­fer lie­ßen sich nicht stö­ren. Es wa­ren ih­rer acht – die bei­den un­ten be­find­li­chen Wa­chen – die Luft war dick vor Wär­me und stin­ken­dem Atem, und das Ohr er­füll­te der Lärm ih­res Schnar­chens, Seuf­zens und Grun­zens, Über­bleib­sel ih­res Tier­menschen­tums. Aber schlie­fen sie? Alle? Oder hat­ten sie ge­schla­fen? Das woll­te Wolf Lar­sen of­fen­bar fest­stel­len; er woll­te den fin­den, der sich nur schla­fend stell­te oder erst vor kur­z­em ein­ge­schla­fen war. Und er be­gann die Un­ter­su­chung in ei­ner Art, die mich an eine Er­zäh­lung des Boc­cac­cio er­in­ner­te.

Er nahm die Lam­pe aus ih­rem schwin­gen­den Hal­ter und reich­te sie mir. Bei den bei­den ers­ten Ko­jen steu­er­bord be­gann er. In der obe­ren lag der Kana­ke Oof­ty-Oof­ty, ein aus­ge­zeich­ne­ter See­mann. Er lag auf dem Rücken, schlief fest und at­me­te so sanft wie eine Frau. Den einen Arm hat­te er un­ter sei­nen Kopf ge­legt, wäh­rend der an­de­re auf der De­cke lag. Wolf Lar­sen fass­te mit Dau­men und Zei­ge­fin­ger sein Hand­ge­lenk und fühl­te ihm den Puls. Da er­wach­te der Kana­ke. Et er­wach­te eben­so leicht wie er schlief, ohne eine ein­zi­ge Be­we­gung sei­nes Kör­pers. Nur die Au­gen reg­ten sich. Sie öff­ne­ten sich plötz­lich ganz weit, groß und schwarz und starr­ten uns, ohne zu zwin­kern, an. Wolf Lar­sen leg­te ihm zum Zei­chen, dass er schwei­gen soll­te, den Fin­ger auf den Mund, und die Au­gen schlos­sen sich wie­der.

 

In der un­te­ren Koje lag Louis, dick, warm und ver­schwitzt, und schlief einen un­ver­stell­ba­ren, schwe­ren Schlaf. Als Wolf Lar­sen sein Hand­ge­lenk fass­te, be­weg­te er sich un­be­hag­lich und krümm­te sei­nen Kör­per so, dass er einen Au­gen­blick nur auf Schul­tern und Fer­sen ruh­te. Sei­ne Lip­pen be­weg­ten sich, und er mur­mel­te fol­gen­de rät­sel­haf­ten Wor­te:

»Ein Vier­tel für einen Schil­ling, aber bie­te die Lam­pen für drei Pence das Stück aus. Sonst hängt sie dir der Wirt für sechs Pence auf.«

Dann dreh­te er sich mit ei­nem schwe­ren Seuf­zer auf die Sei­te und sag­te:

»Ein Sech­s­pence­stück ist ein Tan­ner, und ein Schil­ling ist ein Bob, aber was ein Pony ist, weiß ich nicht.«

Be­frie­digt schritt Wolf Lar­sen wei­ter zu den bei­den nächs­ten Ko­jen an der Steu­er­bord­sei­te, in de­nen, wie wir beim Schein der Lam­pe sa­hen, oben Le­ach und un­ten John­son la­gen.

Als Wolf Lar­sen sich zur un­te­ren Koje nie­der­beug­te, um John­son den Puls zu füh­len, sah ich, der ich auf­recht stand und die Lam­pe hielt, wie Le­ach ver­stoh­len den Kopf hob und über den Rand der Koje her­abblick­te, um zu se­hen, was vor­ging. Er muss­te wohl die Ab­sicht Wolf Lar­sens durch­schaut und er­kannt ha­ben, dass eine Ent­de­ckung un­um­gäng­lich war, denn im sel­ben Au­gen­blick wur­de mir die Lam­pe aus der Hand ge­schleu­dert, und das Vor­der­kas­tell war in Fins­ter­nis gehüllt. Gleich­zei­tig muss­te er auf Wolf Lar­sen her­un­ter­ge­sprun­gen sein.

Das ers­te nun fol­gen­de Geräusch war wie das ei­nes Kamp­fes zwi­schen ei­nem Stier und ei­nem Wol­fe. Ich hör­te ein wü­ten­des Ge­brüll von Wolf Lar­sen und ein Knur­ren von Le­ach, das ver­zwei­felt und haar­sträu­bend klang. John­son muss ihm so­fort zu Hil­fe ge­kom­men sein, so­dass sein un­ter­tä­ni­ges, krie­che­ri­sches We­sen in den letz­ten Ta­gen nichts als Ver­stel­lung ge­we­sen war. Ich war so ent­setzt über die­sen Kampf im Dun­keln, dass ich mich zit­ternd ge­gen die Trep­pe lehn­te und nicht im­stan­de war, hin­auf­zu­ge­hen. Ich hat­te wie­der das alte Ge­fühl in der Ma­gen­gru­be, das mich stets beim An­blick von Ge­walt­tä­tig­kei­ten über­kam. In die­sem Fal­le konn­te ich zwar nichts se­hen, aber ich hör­te das dump­fe Geräusch der Schlä­ge, den klat­schen­den Ton, der ent­steht, wenn Fleisch auf Fleisch prallt. Dann hör­te ich den kra­chen­den Zu­sam­men­stoß von Kör­pern, schwe­re Atem­zü­ge und kur­ze ra­sche Schmer­zens­aus­brü­che.

Es muss­ten sich wohl noch an­de­re an der Ver­schwö­rung ge­gen Ka­pi­tän und Steu­er­mann be­tei­li­gen, denn aus den ver­schie­de­nen Geräuschen er­kann­te ich, dass Le­ach und John­son schnell Ver­stär­kung von ih­ren Ka­me­ra­den er­hal­ten hat­ten.

»Ein Mes­ser her!« schrie Le­ach.

»Zer­schlag ihm den Kopf! Zer­quetsch ihm das Ge­hirn!« rief John­son.

Aber nach dem ers­ten Ge­brüll mach­te Wolf Lar­sen kei­nen Lärm mehr. Grim­mig und stumm kämpf­te er um sein Le­ben. Er war arg in der Klem­me. Im ers­ten Au­gen­blick war er zu Bo­den ge­wor­fen, und es war ihm nicht mög­lich, wie­der auf die Bei­ne zu kom­men. Ich fühl­te, dass er trotz sei­ner un­ge­heu­ren Kraft kei­ne Hoff­nung hat­te.

Ich er­hielt selbst einen deut­li­chen Be­griff von der Ge­walt des Kamp­fes, denn ich wur­de von den um­her­wir­beln­den Kör­pern zu Bo­den ge­schleu­dert und bös ge­quetscht. Aber es ge­lang mir, in der Ver­wir­rung in eine lee­re Un­ter­ko­je zu krie­chen, wo ich mich in Si­cher­heit be­fand.

»Alle her! Wir ha­ben ihn! Wir ha­ben ihn!« konn­te ich Le­ach ru­fen hö­ren.

»Wen?« frag­ten die, wel­che wirk­lich ge­schla­fen hat­ten und jetzt, sie wuss­ten nicht wie, ge­weckt wor­den wa­ren. »Den blu­ti­gen Steu­er­mann«, ant­wor­te­te Le­ach lis­tig. Die­se Aus­kunft wur­de mit ei­nem Freu­den­ge­heul be­grüßt, und jetzt wa­ren sie­ben star­ke Mann über Wolf Lar­sen. Ich glau­be, Louis be­tei­lig­te sich nicht am Kamp­fe. Die Back glich ei­nem Bie­nen­stock, des­sen wü­ten­de In­sas­sen durch einen Ein­dring­ling auf­ge­scheucht wa­ren.

»Was ist denn los da un­ten?« hör­te ich La­ti­mer durch die Luke her­un­ter­ru­fen. Er war zu vor­sich­tig, um in die­se Höl­le der Lei­den­schaf­ten her­ab­zu­stei­gen, die er in der Fins­ter­nis to­ben hör­te.

»Kann denn nie­mand ein Mes­ser fin­den? Ein Mes­ser, ein Mes­ser!« fleh­te Le­ach in ei­nem Au­gen­blick ver­hält­nis­mä­ßi­ger Ruhe.

Die große Zahl der An­grei­fer ver­ur­sach­te Ver­wir­rung. Sie hin­der­ten sich ge­gen­sei­tig, ihre Kräf­te zu ent­fal­ten, wäh­rend Wolf Lar­sen, der nur ein Ziel kann­te, da­durch ge­wann. Die­ses Ziel war, sich bis zur Luke durch­zu­schla­gen. Ob­gleich völ­li­ge Fins­ter­nis herrsch­te, konn­te ich durch das Geräusch sei­ne Fort­schrit­te ver­fol­gen. End­lich hat­te er die Trep­pe er­reicht, und was er jetzt tat, ver­moch­te nur ein Rie­se zu tun. Zoll für Zoll zog er sich, al­lein durch die Kraft sei­ner Arme, aus dem Hau­fen von Män­nern her­aus, die ihn um­klam­mert hiel­ten, und rich­te­te sich auf, bis er auf den Fü­ßen stand. Und dann ar­bei­te­te er sich, Stu­fe um Stu­fe, mit Hän­den und Fü­ßen die Trep­pe hin­auf.

Das al­ler­letz­te sah ich. Denn La­ti­mer, der end­lich eine La­ter­ne ge­holt hat­te, hielt sie so, dass sie die Trep­pe hin­a­b­leuch­te­te. Wolf Lar­sen muss­te bei­na­he oben sein, wenn ich ihn auch nicht se­hen konn­te. Al­lein sicht­bar war der Klum­pen von Män­nern, die sich an ihn klam­mer­ten. Der Klum­pen zap­pel­te wie eine un­ge­heu­re Spin­ne mit vie­len Bei­nen und schwank­te hin und her mit dem Rol­len des Schif­fes. Aber Zoll um Zoll, mit lan­gen Pau­sen da­zwi­schen, hob sich der Klum­pen. Ein­mal tau­mel­te er und schi­en her­ab­zu­stür­zen, aber er ge­wann den ver­lo­re­nen Halt wie­der und kroch wei­ter. »Wer ist da?« rief La­ti­mer.

Im Schein der Lam­pe konn­te ich sein be­stürz­tes Ge­sicht her­abbli­cken se­hen.

»Lar­sen«, hör­te ich eine ge­dämpf­te Stim­me in­mit­ten des Klum­pens.

La­ti­mer streck­te die freie Hand her­ab. Ich sah eine an­de­re Hand em­por­schnel­len und die sei­ne pa­cken. La­ti­mer zog, und die nächs­ten Stu­fen wur­den im Sturm ge­nom­men. Dann streck­te sich die an­de­re Hand Wolf Lar­sens em­por und um­klam­mer­te den Rand der Luke. Der Klum­pen pen­del­te zu­rück, und die Trep­pe war frei, wäh­rend die Män­ner noch an dem flie­hen­den Fein­de hin­gen. Sie be­gan­nen ab­zu­fal­len, ei­ni­ge wur­den von dem schar­fen Lu­ken­rand ab­ge­fegt, an­de­re mit den Fü­ßen fort­ge­sto­ßen. Le­ach war der letz­te, der losließ. Er fiel kopf­über auf sei­ne am Bo­den krab­beln­den Ka­me­ra­den. Wolf Lar­sen und die La­ter­ne ver­schwan­den, und wir blie­ben im Dun­keln zu­rück.