Jack London – Gesammelte Werke

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Aber wie ha­ben Sie ei­gent­lich den Weg in die Bier­ce­bucht ge­fun­den?« frag­te er neu­gie­rig, »auf dem Wege lässt sich nie­mand et­was da­von träu­men.«

»Ach, so heißt sie also?« frag­te Sa­xon.

»Ja, so ha­ben wir sie je­den­falls ge­nannt. So hieß ei­ner von den Ka­me­ra­den, die ei­nes Som­mers hier la­ger­ten, und wir nann­ten sie nach ihm. Ich möch­te üb­ri­gens gern eine Tas­se Kaf­fee ha­ben – wenn Sie sie mir ge­ben wol­len.« Dies zu Sa­xon ge­wandt. »Und dann wer­de ich Ihrem Mann die Ge­gend zei­gen. Wir sind sehr stolz auf die Bucht. Hier kommt kei­ner her au­ßer uns.«

»Die Mus­keln ha­ben Sie doch nicht alle da­her be­kom­men, dass Sie McMa­nus weg­rann­ten?« mein­te Bil­ly, als sie beim Kaf­fee sa­ßen.

»Mas­sa­ge un­ter Span­nung«, lau­te­te die völ­lig un­ver­ständ­li­che Ant­wort.

»So«, sag­te Bil­ly und starr­te ihn dumm an. »Ist das et­was, das man mit Löf­feln ein­nimmt?«

Hall lach­te.

»Ich will es Ih­nen zei­gen! Sie kön­nen ir­gend­ei­ne Mus­kel neh­men, sie span­nen und dann mit den Fin­gern be­ar­bei­ten – so und so!«

»Und das ist al­les?« frag­te Bil­ly skep­tisch.

»Al­les!« sag­te der an­de­re stolz. »Für jede sicht­ba­re Mus­kel hat man fünf, die nicht zu se­hen sind, die man aber doch be­herrscht. Set­zen Sie den Fin­ger an eine be­lie­bi­ge Stel­le mei­nes Kör­pers – dann wer­den Sie se­hen.«

Bil­ly tat, wie er sag­te, und be­rühr­te sei­ne rech­te Brust. »Sie ver­ste­hen wohl et­was von Ana­to­mie, da Sie eine Stel­le wäh­len, wo es kei­ne Mus­keln gibt«, schalt Hall. Bil­ly grins­te tri­um­phie­rend, dann aber sah er zu sei­nem Er­stau­nen, dass un­ter sei­nem Fin­ger eine Mus­kel er­schi­en. Er tupf­te dar­auf und spür­te, dass es ein har­ter, fes­ter Mus­kel war.

»Mas­sa­ge un­ter Span­nung!« tri­um­phier­te Hall.

»Nur wei­ter – wo Sie wol­len!«

Und über­all, wo Bil­ly hin­fühl­te, ka­men große und klei­ne Mus­keln zum Vor­schein, die sich un­ter sei­nen Hän­den ho­ben, zit­ter­ten und wie­der zu­sam­mensan­ken, bis der gan­ze Kör­per eine wo­gen­de Mas­se von le­ben­di­gem, wil­lens­be­seel­ten Fleisch wur­de.

»So was hab’ ich noch nie ge­se­hen«, sag­te Bil­ly schließ­lich mit großer Ver­wun­de­rung. »Und ich habe doch in mei­nem Le­ben vie­le gute Män­ner un­be­klei­det ge­se­hen. Sie sind ja lau­ter le­ben­di­ge Sei­de!«

»Das kommt al­les von der Mas­sa­ge und der Span­nung, mein Freund! Die Ärz­te hat­ten mich auf­ge­ge­ben. Mei­ne Freun­de nann­ten mich die kran­ke Rat­te und den räu­di­gen Poe­ten und der­glei­chen mehr. Da ver­ließ ich die Stadt, reis­te nach Car­mel und be­gann ein rich­ti­ges Le­ben im Frei­en – und Mas­sa­ge un­ter Span­nung.«

»Aber Jim Ha­zard hat sei­ne Mus­keln nicht auf die Art be­kom­men«, sag­te Bil­ly her­aus­for­dernd.

»Nein, das hat er nicht, der glück­li­che Kerl – er ist mit ih­nen ge­bo­ren. Ich habe mei­ne selbst ver­fer­tigt. Das ist der Un­ter­schied. Ich bin ein Kunst­pro­dukt. Er ist ein Höh­len­bär. Kom­men Sie! Jetzt wer­de ich Ih­nen al­les zei­gen. Zie­hen Sie sich lie­ber aus. Be­hal­ten Sie nur die Schu­he an – und Ihre Un­ter­ho­sen, wenn Sie kei­ne Schwimm­ho­se ha­ben.«

»Mei­ne Mut­ter war selbst Dich­te­rin«, sag­te Sa­xon, wäh­rend Bil­ly sich im Ge­büsch aus­zog. Sie hat­te ge­hört, wie Hall auf sei­ne Ar­beit hin­deu­te­te.

Es schi­en ihn nicht zu in­ter­es­sie­ren, und sie wag­te sich et­was wei­ter:

»Et­was da­von wur­de auch ge­druckt.«

»Wie hieß sie?« frag­te er gleich­gül­tig.

»Dayel­le Wi­ley Brown. Sie schrieb ›Der Sohn des Wi­kings‹, ›Ta­ge des Gol­des‹, ›Treu­e‹, ›Der Ca­bal­lero‹, ›Grä­ber am Litt­le Mea­dow‹ und eine gan­ze Men­ge an­de­rer Ge­dich­te. Zehn da­von ste­hen in der ›Ge­schich­te der Rei­hen‹.«

»Ich habe das Buch zu Hau­se«, be­merk­te er, zum ers­ten Mal mit wirk­li­chem In­ter­es­se. »Sie war na­tür­lich eine von den Pio­nie­rin­nen – lan­ge vor mei­ner Zeit. Ich will mir ihre Ver­se an­se­hen, wenn ich heim­kom­me. Mei­ne Fa­mi­lie ge­hör­te auch zu den Pio­nie­ren. Sie ka­men in den Fünf­zi­gen über Pa­na­ma aus Long Is­land. Mein Va­ter war Arzt, wur­de aber Ge­schäfts­mann in San Fran­zis­ko und plün­der­te sei­ne Mit­ge­schöp­fe in ei­nem sol­chen Maße aus, dass ich und der Rest ei­ner großen Fa­mi­lie seit­dem da­von ha­ben le­ben kön­nen. Sa­gen Sie, wo wol­len Sie mit Ihrem Mann hin?«

Als Sa­xon ihm er­zählt hat­te, wie sie sich ent­schlos­sen hat­ten, Oa­k­land zu ver­las­sen und aus­zu­zie­hen, um Land zu su­chen, sprach er sich sehr an­er­ken­nend über den ers­ten Teil ih­res Pro­gramms aus, schüt­tel­te aber den Kopf über den zwei­ten.

»Dort un­ten hin­ter Sur ist es schön«, sag­te er zu ihr. »Ich bin in all den Rie­sen­tan­nen-Ca­ny­ons ge­we­sen, und es wim­melt dort von Wild. Ja, es gibt auch Staats­bo­den, den man be­kom­men kann. Aber es wür­de dumm von Ih­nen sein, sich dort nie­der­zu­las­sen. Es ist zu weit weg, und um die Ca­ny­ons her­um gibt es auch nur stel­len­wei­se gu­ten Acker­bo­den. Ich ken­ne einen Me­xi­ka­ner dort, der ganz ver­ses­sen dar­auf ist, sei­ne fünf­hun­dert Mor­gen für fünf­zehn­hun­dert Dol­lar zu ver­kau­fen. Drei Dol­lar den Mor­gen! Und was be­deu­tet das? Dass er kei­nen Pfen­nig wert ist, weil er kei­nen Käu­fer fin­det. Acker­bo­den, wis­sen Sie, ist nur so­viel wert wie man da­für ge­ben oder er­hal­ten kann.«

In die­sem Au­gen­blick kam Bil­ly aus dem Busch, nur in Schu­hen und Un­ter­ho­se, die bis zu den Kni­en auf­ge­krem­pelt war, und da­mit wur­de das Ge­spräch für dies­mal be­en­det. Sa­xon sah den bei­den Män­nern, die in phy­si­scher Be­zie­hung so ver­schie­den wa­ren, nach, wie sie die Fel­sen hin­auf­klet­ter­ten und dann die Süd­sei­te der Bucht ent­lang gin­gen. An­fangs dach­te sie nicht wei­ter dar­über nach, was sie un­ter­nah­men, bald aber wur­de sie be­sorgt. Um das Rück­grat des Fel­sens zu er­rei­chen, führ­te Hall Bil­ly eine fast senk­rech­te Fels­wand em­por. Bil­ly ging lang­sam und un­ge­heu­er vor­sich­tig, aber zwei­mal sah sie ihn stol­pern, wäh­rend die Stei­ne ihm un­ter den Hän­den weg­roll­ten und in die Bucht hin­a­b­ras­sel­ten. Als Hall den Gip­fel des Fels­han­ges, hun­dert Fuß über dem Mee­res­s­pie­gel, er­reich­te, sah sie ihn auf­recht wie ein Licht da­ste­hen und auf dem schma­len Fels­grat leicht hin und her schwan­ken, der, wie sie wuss­te, an der an­de­ren Sei­te eben­so steil ab­fiel. Als Bil­ly den Grat er­reicht hat­te, klam­mer­te er sich mit Hän­den und Fü­ßen an, wo­ge­gen sein Füh­rer ru­hig wei­ter ging, voll­kom­men auf­recht und un­ge­stört, als sei es ein ge­wöhn­li­cher Zim­mer­fuß­bo­den. Bil­ly er­hob sich all­mäh­lich aus sei­ner kni­en­den Stel­lung, hielt sich aber im­mer noch an dem Grat fest und muss­te oft die Hän­de ge­brau­chen.

Der schar­fe Fels­grat war tief aus­ge­zackt, und die bei­den Män­ner ver­schwan­den in ei­ner die­ser Spal­ten. Sa­xon konn­te ihre Angst nicht be­zwin­gen, und sie klet­ter­te an der Nord­sei­te der Bucht ent­lang, die we­ni­ger un­eben und viel leich­ter zu pas­sie­ren war. Aber selbst hier wur­de sie ganz ner­vös durch die un­ge­wohn­te Höhe, durch den Bo­den, der un­ter ih­ren Fü­ßen nach­gab und durch die hef­ti­gen An­grif­fe des Win­des. Sie stand bald den bei­den Män­nern ge­ra­de ge­gen­über, die über eine schma­le Schlucht ge­sprun­gen wa­ren und jetzt einen an­de­ren schma­len Berg­kamm hin­auf­klet­ter­ten. Bil­ly war schon et­was ge­wand­ter ge­wor­den, aber sein Füh­rer blieb häu­fig ste­hen und war­te­te auf ihn. Der Weg wur­de im­mer schwie­ri­ger, und zeit­wei­se gin­gen die Schluch­ten, die den Weg ver­sperr­ten, bis zum Meer hin­un­ter und wa­ren an­ge­füllt vom Schaum der Wel­len, die knur­rend her­ein­bra­chen. Dann wie­der konn­ten sie auf­recht ste­hen und muss­ten sich über tie­fe, enge Schluch­ten vorn­über­wer­fen, bis ihre Hän­de den Rand ge­gen­über be­rühr­ten; und, sich dann mit den Hän­den an­klam­mernd, press­ten sie ihre Kör­per hin­auf und hin­über.

Fast am Ende der Wan­de­rung ver­schwan­den sie auf der Süd­sei­te des Gra­tes, und als Sa­xon sie wie­der­sah, be­fan­den sie sich auf dem äu­ßers­ten Fels­vor­sprung und hat­ten auf der Sei­te, die sich der Bucht zu­kehr­te, den Rück­weg ein­ge­schla­gen. Hier sah es aus, als wäre der Weg ganz ver­sperrt. Eine brei­te Rin­ne mit senk­rech­ten Sei­ten klaff­te aus ei­nem schaum­wei­ßen Wir­bel gen Him­mel, das wü­ten­de Was­ser spritz­te vie­le Fuß hoch in die Luft, um eben­so plötz­lich wie­der in die schwar­ze Tie­fe der sturm­ge­peitsch­ten Klip­pen und des wir­beln­den Tangs zu sin­ken.

Die bei­den Män­ner gin­gen vor­sich­tig den un­si­che­ren Steig und die Bucht ent­lang, wäh­rend der Schaum sie um­spritz­te. Dann blie­ben sie ste­hen. Sa­xon konn­te se­hen, wie Hall in die Schlucht zeig­te, und sie dach­te sich, dass er Bil­ly ir­gend­ei­ne Merk­wür­dig­keit zeig­te. Aber sie war nicht auf das vor­be­rei­tet, was jetzt ge­sch­ah. Die ko­chen­de Was­ser­mas­se zog sich zu­rück, und Hall sprang über sie hin­weg und hin­ab auf einen schma­len Fels­vor­sprung, wo das brül­len­de Meer sich vor ei­nem Au­gen­blick be­fun­den hat­te. Ohne sich auf­zu­hal­ten, ver­schwand er um die schar­fe Ecke und ar­bei­te­te sich dann mit Hän­den und Fü­ßen auf­wärts, um nicht vom Was­ser ge­packt zu wer­den. Bil­ly war jetzt al­lein zu­rück­ge­blie­ben. Er konn­te Hall nicht ein­mal se­hen und noch we­ni­ger Rat von ihm er­hal­ten, und Sa­xon war­te­te mit so ge­spann­ter Auf­merk­sam­keit, dass der Schmerz in ih­ren Fin­ger­spit­zen, die sie ge­gen die Fel­sen press­te, sie fast zum Los­las­sen zwang. Bil­ly war­te­te, bis sich wie­der eine Ge­le­gen­heit bot, nahm zwei An­läu­fe, um zu sprin­gen, zog sich aber je­des Mal wie­der zu­rück, wor­auf er über die Schlucht und auf den Fels­vor­sprung sprang, der sich einen ein­zi­gen Au­gen­blick sei­nem Bli­cke zeig­te, um die Ecke kam, und bis zum Gür­tel nass wur­de, als er sich zu Hall hin­auf ar­bei­te­te, aber doch je­den­falls nicht fort­ge­ris­sen wur­de.

 

Sa­xon war erst ru­hig, als die bei­den wie­der bei ihr am Feu­er wa­ren. Ein ein­zi­ger Blick auf Bil­ly sag­te ihr, dass er sehr er­staunt über sich sel­ber war.

»Sie sind nicht schlecht für einen An­fän­ger!« rief Hall, in­dem er ihn ge­müt­lich auf die nack­te Schul­ter schlug. »Die Klet­ter­par­tie ist ei­nes mei­ner Ste­cken­pfer­de. Manch ein mu­ti­ger Mann, der mit mir zu­sam­men hin­ge­gan­gen ist, hat es auf­ge­ge­ben, ehe wir die Hälf­te hin­ter uns hat­ten. Ich habe Dut­zen­de von Men­schen bei dem großen Sprung zu­rück­schre­cken se­hen. Nur die Al­ler­stärks­ten kön­nen es fer­tig­brin­gen.«

»Ich muss ehr­lich sa­gen, dass ich ver­fluch­te Angst hat­te«, brumm­te Bil­ly. »Sie sind ja die rei­ne Zie­ge, und Sie ha­ben mich ein dut­zend­mal fast zu Tode er­schreckt. Aber jetzt bin ich ganz wild dar­auf. Es ist nur Trai­ning, wor­auf es an­kommt, und ich will hier­blei­ben und trai­nie­ren, bis ich Sie zu ei­nem Wett­lauf den gan­zen Weg am Stran­de und zu­rück her­aus­for­dern kann.«

»Das ist ein Wort!« sag­te Hall und reich­te ihm zur Be­stä­ti­gung ih­rer Ab­ma­chung die Hand. »Und wenn wir uns ein­mal in San Fran­zis­ko tref­fen, wer­de ich Sie mit Bier­ce zu­sam­men­brin­gen – das ist der, nach dem die Schlucht ge­nannt ist. Sein Ste­cken­pferd – wenn er nicht un­ter­wegs ist, um Klap­per­schlan­gen zu sam­meln – ist, einen rich­ti­gen Or­kan ab­zu­war­ten und dann auf dem Ran­de ei­nes Wol­ken­krat­zers her­um­zu­spa­zie­ren – in Lee, wis­sen Sie, so­dass ihn, wenn er her­un­ter­weht, nichts auf­fängt als die Stra­ße. Er woll­te mich ein­mal mit­neh­men.«

»Ta­ten Sie es?« frag­te Bil­ly eif­rig.

»Ich wür­de es nicht ge­tan ha­ben, wenn ich mich nicht dar­auf vor­be­rei­tet hät­te. Ich hat­te mich heim­lich eine gan­ze Wo­che ge­übt. Und ich ge­wann zwan­zig Dol­lar auf die Wet­te.«

Die Ebbe war jetzt tief ge­nug, dass sie Mu­scheln sam­meln konn­ten, und Sa­xon folg­te den Män­nern auf die nörd­li­che Fels­wand. Am Nach­mit­tag soll­te ein klei­ner Wa­gen kom­men, wie Hall er­klär­te, um die Mu­scheln nach Car­mel zu trans­por­tie­ren. Als die Sä­cke voll wa­ren, wag­ten sie sich wei­ter zwi­schen die Fels­s­pal­ten und wur­den durch drei Aba­lo­nen be­lohnt, und in den Scha­len der einen fand Sa­xon eine Per­le, die sie sich so ge­wünscht hat­te. Hall weih­te sie in den ge­heim­nis­vol­len Pro­zess ein, mit dem man das Fleisch der Aba­lo­nen sto­ßen und zu­be­rei­ten muss­te. Es schi­en Sa­xon jetzt, als hät­te sie Hall schon lan­ge ge­kannt. Sie muss­te an alte Tage den­ken, wenn Bert bei ih­nen ge­ses­sen und sei­ne Lie­der ge­sun­gen oder von den letz­ten Mo­hi­ka­nern ge­schwatzt hat­te.

»Hö­ren Sie, jetzt will ich Sie et­was leh­ren«, sag­te Hall ge­bie­te­risch, wäh­rend er einen großen, run­den Stein über dem Aba­lo­nen­fleisch schwang. »Ihr dürft nie Aba­lo­nen klop­fen, ohne dies Lied zu sin­gen. Und ihr dürft die­ses Lied auch nicht zu ei­ner an­de­ren Zeit sin­gen – das wäre eine Hei­lig­tum­schän­dung. Aba­lo­nen sind eine Göt­ter­spei­se. Die Zu­be­rei­tung ist eine re­li­gi­öse Ze­re­mo­nie. Hört jetzt zu und passt gut auf, es ist eine sehr fei­er­li­che Hand­lung.«

Der Stein fiel klat­schend auf das wei­ße Fleisch, und dann hob und senk­te er sich wie eine Art Tamtam­be­glei­tung zum Ge­sang des Dich­ters:

So man­cher preist den Ka­vi­ar

Als Bes­tes al­ler Zo­nen,

Ich aber hal­te im­mer mich

An mei­ne Aba­lo­nen.

Oft sam­meln sich die Freun­de froh,

Die hier in Car­mel woh­nen,

Sie sind und blei­ben ih­nen treu,

Den feis­ten Aba­lo­nen.

Sie wan­dern durch die gan­ze Welt

Und tun es seit Äo­nen,

Und sin­gen toll aus Her­zens­lust,

Die kla­gen­den Aba­lo­nen.

Der eine lebt in wil­dem Braus,

Der and­re will sich scho­nen,

Wir aber blei­ben in Car­mel

Und fan­gen Aba­lo­nen.

Mit of­fe­nem Mund, den Stein in der er­ho­be­nen Hand, hielt er inne. Es er­tön­te Wa­gen­rum­peln, und eine Stim­me rief von der Stel­le aus dem Fel­sen, wo sie die Sä­cke mit den Mu­scheln hin­trans­por­tiert hat­ten. Da ließ er kra­chend den Stein auf die Aba­lo­nen nie­der­sau­sen und stand auf.

»Es gibt noch tau­send Stro­phen von der glei­chen Art«, sag­te er. »Es tut mir leid, dass ich kei­ne Zeit habe, sie euch alle zu leh­ren.« Er streck­te die Hand ge­gen sie aus. »Und jetzt, Kin­der – Gott seg­ne euch! – seid ihr Mit­glie­der des Clans der Aba­lo­nen­es­ser, und ich lege euch fei­er­lich ans Herz, nie, wie es auch geht, Aba­lo­nen­fleisch zu­zu­be­rei­ten, ohne das hei­li­ge Lied zu sin­gen, das ich euch jetzt of­fen­bart habe.«

»Aber wie sol­len wir uns der Wor­te er­in­nern, wenn wir sie nur ein­mal ge­hört ha­ben?« wand­te Sa­xon ein.

»Das wer­den wir schon ma­chen. Am nächs­ten Sonn­tag wird der Stamm der Aba­lo­nen­es­ser hier­her zu euch in die Bier­ce­bucht kom­men, und ihr wer­det alle Ze­re­mo­ni­en, die Ver­fas­ser und Ver­fas­se­r­in­nen, ja, so­gar den ei­ser­nen Mann mit dem Ba­si­lis­ken­au­ge se­hen, der ge­wöhn­lich un­ter dem Na­men ›Kö­nig der Pries­te­rei­dech­sen‹ geht.«

»Kommt Jim Ha­zard auch?« rief Bil­ly, als Hall im Busch ver­schwand.

»Ja, er kommt ganz si­cher. Er ist ja der Ober­prü­gel­meis­ter der Höh­len­bä­ren, der furcht­bars­te und nach mir er­ha­bens­te al­ler Aba­lo­nen­es­ser.«

Bil­ly und Sa­xon sa­hen sich an, bis das Geräusch der Wa­gen­rä­der sich in der Fer­ne ver­lor.

»Teu­fel auch!« er­klär­te Bil­ly. »Das ist ein Kerl! Und nicht im ge­rings­ten groß­schnau­zig. Er ist ge­nau wie Jim Ha­zard. – Kommt her und tut, als sei er zu Hau­se – du bist ge­ra­de so gut wie er, und er ist ge­ra­de so gut wie du – und wir sind alle gute Freun­de, so­fort und ohne die ge­rings­ten Mätz­chen.«

»Er stammt auch aus dem al­ten Ge­schlecht«, sag­te Sa­xon. »Das er­zähl­te er mir, als du dich aus­zogst. Sei­ne Fa­mi­lie ist aus Pa­na­ma hier­her­ge­kom­men, be­vor die Ei­sen­bahn ge­baut wur­de, und nach dem, was er sag­te, glau­be ich, dass er eine Men­ge Geld hat.«

»Das soll­te man nicht glau­ben, wenn man ihn sieht.«

»Und ist er nicht ko­misch?« rief Sa­xon.

»Furcht­bar ko­misch! Und das – das soll ein Dich­ter sein!«

»Ach, ich weiß nicht recht, Bil­ly! Ich habe ge­hört, dass vie­le Dich­ter nicht wie an­de­re Men­schen sind.«

»Ja, das ist sehr rich­tig, jetzt, da ich dar­an den­ke. Da ist Joa­quin Mil­ler – der wohnt in den Ber­gen, hin­ter dem Frucht­tal. Das ist ein merk­wür­di­ger Mensch. Ganz in der Nähe von sei­nem Land­sitz war es, wo ich um dich an­hielt. Aber des­halb glaub­te ich doch, dass Dich­ter mit Ba­cken­bär­ten und Knei­fern her­um­lie­fen, und ich glaub­te nicht, dass sie je Läu­fern auf Frei­luft­plät­zen das Bein stel­len oder so nackt her­um­lie­fen, wie die Po­li­zei es er­laubt, und Mu­scheln sam­meln und wie Zie­gen klet­tern.«

Die­se Nacht lag Sa­xon wach un­ter der De­cke, und sie sah zu den Ster­nen em­por, freu­te sich über den bal­sa­mi­schen Duft aus dem Busch und lausch­te auf das dump­fe Pol­tern der Bran­dung und auf das Flüs­tern des Was­sers, das sich we­ni­ge Fuß von ih­nen auf dem schir­men­den Stran­de kräu­sel­te. Bil­ly reg­te sich, und sie wuss­te, dass auch er nicht schlief.

»Freust du dich jetzt, dass du Oa­k­land ver­las­sen hast, Bil­ly?« sag­te sie und schmieg­te sich eng an ihn.

»Huh!« lau­te­te die Ant­wort. »Ist eine Mu­schel glück­lich?«

*

Vor je­der Flut lief Bil­ly den süd­li­chen Fels­grat ent­lang – den gan­zen ge­fähr­li­chen Weg, den er und Hall ge­macht hat­ten, und je­des Mal leg­te er ihn in kür­ze­rer Zeit zu­rück. »War­te bis Sonn­tag«, sag­te er zu Sa­xon. »Ich will den Dich­ter schon für sein Geld lau­fen las­sen. Es gibt nicht eine Stel­le, die mir Schwie­rig­kei­ten macht. Ich füh­le mich so si­cher. Wo ich frü­her auf Hän­den und Fü­ßen kroch, lau­fe ich jetzt. Ich den­ke so: Ge­setzt, es wäre nur einen Fuß auf je­der Sei­te tief, und es wäre wei­ches Heu, dann wür­dest du über­haupt nicht fal­len. Du wür­dest wie der Blitz hin­über­kom­men. Und ob es auf je­der Sei­te eine Mei­le hin­un­ter­geht, ist ganz ei­ner­lei. Das geht dich nichts an. Was dich an­geht, ist, dass du oben bleibst und wie der Blitz wei­ter­läufst. Und weißt du, Sa­xon, als ich es erst so an­sah, stör­te es mich gar nicht mehr. War­te, bis er mit al­len an­de­ren am Sonn­tag kommt. Ich bin be­reit, ihn zu emp­fan­gen.«

»Ich möch­te wis­sen, wie die an­de­ren sind«, sag­te Sa­xon nach­denk­lich.

»Selbst­ver­ständ­lich ge­nau wie er. Gleich und gleich ge­sellt sich gern. Sie sind si­cher nicht groß­schnau­zig – kei­ner von ih­nen, das wirst du schon se­hen.«

Hall hat­te ih­nen durch einen me­xi­ka­ni­schen Cow­boy An­gel­schnü­re und Ba­de­an­zü­ge ge­schickt, und von dem Mann, der wei­ter süd­wärts nach sei­nem Hofe soll­te, er­fuh­ren sie man­ches über den Staats­bo­den, und wie sie ihn be­kom­men konn­ten. Die Wo­che flog ge­ra­de­zu da­hin; je­den Tag nick­te Sa­xon der Son­ne ein glück­li­ches Le­be­wohl zu, wenn sie hin­ter dem Ho­ri­zont ver­schwin­den woll­te, je­den Mor­gen be­grüß­te sie ihre Rück­kehr mit fro­hem La­chen, weil ein neu­er glück­li­cher Tag be­gann. Sie nah­men sich nichts vor, son­dern fisch­ten, sam­mel­ten Mu­scheln und Aba­lo­nen und klet­ter­ten zwi­schen den Fel­sen her­um, den Ein­ge­bun­gen des Au­gen­blicks fol­gend. Das Aba­lo­nen­fleisch klopf­ten sie sorg­fäl­tig un­ter Auf­sa­gen ei­nes im­pro­vi­sier­ten Ge­dich­tes, das Sa­xon ge­macht hat­te. Bil­ly ge­dieh aus­ge­zeich­net. Sa­xon hat­te ihn nie so ge­sund und stark ge­se­hen. Sie selbst brauch­te sich gar nicht in ih­rem klei­nen Hand­spie­gel zu be­trach­ten, um zu wis­sen, dass sie seit ih­rer frü­he­s­ten Ju­gend nie eine so war­me Ge­sichts­far­be ge­habt hat­te und so na­tür­lich und leb­haft ge­we­sen war.

»Es ist das ers­te­mal in mei­nem Le­ben, dass ich Zeit ge­habt habe zu spie­len«, sag­te Bil­ly. »In all der Zeit, die wir ver­hei­ra­tet sind, ha­ben wir nie ge­spielt. Kein Mil­lio­när kann es bes­ser ha­ben als wir.«

»Kei­ne Fa­brik­pfei­fe früh um sie­ben«, tri­um­phier­te Sa­xon. »Ich hät­te Lust, mor­gens im Bett lie­gen­zu­blei­ben, nur um zu zei­gen, dass es so ist, wenn nicht al­les so wun­der­voll wäre, dass es eine Sün­de wäre, das zu tun. Und jetzt, Herr Frei­tag, jetzt sollst du nur spie­len, dass du et­was Brenn­holz hackst und einen fei­nen großen Barsch oder sonst et­was zum Mit­ta­ges­sen fängst.«

Bil­ly er­hob sich, die Axt in der Hand, von der Stel­le, wo er der Län­ge nach ge­le­gen und mit den nack­ten Ze­hen Lö­cher in den Sand ge­bohrt hat­te.

»Aber das dau­ert nicht mehr lan­ge«, sag­te er mit ei­nem tief be­dau­ern­den Seuf­zer. »Der Re­gen kann je­den Au­gen­blick kom­men. Es ist un­be­greif­lich, dass er so lan­ge auf sich hat war­ten las­sen.«

Am Sonn­abend­mor­gen, als er von sei­nem Lauf über die süd­li­che Fels­wand zu­rück­kam, konn­te er Sa­xon nicht fin­den. Nach­dem er sie ei­ni­ge Zeit ver­geb­lich ge­ru­fen hat­te, klet­ter­te er den Weg hin­an. Ein Stück­chen wei­ter­hin sah er sie ritt­lings ohne Sat­tel und Zaum auf ei­nem Pfer­de sit­zen, das sich lang­sam und un­wil­lig über die Wei­de be­weg­te.

»Ein Glück für dich, dass es eine alte Stu­te ist, die ge­wohnt ist, dass man sie rei­tet. Kannst du den Druck vom Sat­tel se­hen«, brumm­te er, als sie schließ­lich ne­ben ihm hielt und ihm er­laub­te, ihr her­ab zu hel­fen.

»Ach, Bil­ly!« sag­te sie mit strah­len­den Au­gen. »Ich habe noch nie auf ei­nem Pferd ge­ses­sen. Es war herr­lich! Und ich fühl­te mich so hilf­los, ja, und so schwach.«

»Aber des­halb bin ich doch stolz auf dich«, sag­te er und brumm­te noch mehr als zu­vor. »Nicht alle ver­hei­ra­te­ten Frau­en könn­ten sich so mit ei­nem frem­den Pferd ein­las­sen, na­ment­lich, wenn sie noch nie auf ei­nem ge­ses­sen ha­ben. Und ich habe auch nicht ver­ges­sen, dass du ein­mal ein fei­nes Reit­pferd ganz für dich ha­ben sollst – oh, ein rich­ti­ges Pracht­ex­em­plar.«

*

Die Aba­lo­nen­es­ser ka­men in vol­ler Kriegs­stär­ke nach der Bier­ce­bucht. Sie hat­ten zwei Wa­gen, und ei­ni­ge von ih­nen wa­ren zu Pfer­de. Es wa­ren ein Dut­zend Män­ner und un­ge­fähr eben­so­vie­le Frau­en. Sie wa­ren alle jung, im Al­ter von fünf­und­zwan­zig bis vier­zig, und an­schei­nend al­les gute Freun­de. Die meis­ten von ih­nen wa­ren ver­hei­ra­tet. Sie ström­ten über vor gu­ter Lau­ne, stell­ten ein­an­der auf dem glat­ten Hang ein Bein und nah­men Bil­ly und Sa­xon mit ei­ner Ka­me­rad­schaft­lich­keit un­ter sich auf, die so warm war wie der Son­nen­schein selbst. Sa­xon wur­de gleich von den jun­gen Frau­en mit Be­schlag be­legt – sie konn­te nicht recht ver­ste­hen, dass sie ver­hei­ra­tet wa­ren; und die wie­der­um mach­ten viel We­sens von ihr, lob­ten ihr Zelt und ihre Rei­se­aus­rüs­tung und woll­ten durch­aus ihre Ge­schich­te hö­ren. Sie wa­ren selbst alle das Frei­luft­le­ben ge­wöhnt, wie Sa­xon bald merk­te, als sie die Töp­fe und Pfan­nen und die großen Ei­mer sah, die sie zum Ko­chen der Mu­scheln mit­ge­bracht hat­ten.

 

Un­ter­des­sen hat­ten Bil­ly und die an­de­ren Män­ner sich aus­ge­zo­gen und zer­streu­ten sich jetzt nach al­len Sei­ten, um Mu­scheln und Aba­lo­nen zu su­chen. Die jun­gen Frau­en ent­deck­ten Sa­x­ons Ukulélé und ga­ben sich erst zu­frie­den, als sie be­gann, ih­nen vor­zu­spie­len und vor­zu­sin­gen. Meh­re­re von ih­nen wa­ren in Ho­no­lu­lu ge­we­sen, kann­ten das In­stru­ment und sag­ten, es sei sehr rich­tig, wenn Mer­ce­des es den sprin­gen­den Floh ge­nannt hät­te. Sie kann­ten auch die ha­wai­schen Lie­der, die Sa­xon von Mer­ce­des ge­lernt hat­te, und bald san­gen sie alle zu ih­rer Beglei­tung: »Alo­ha ʻOe«, »Ho­no­lu­lu Tom­boy« und »Sweet Lei Le­hua«. Sie nahm ehr­li­chen An­stoß dar­an, als ei­ni­ge von ih­nen, selbst die äl­te­ren, eine Hula am Strand zu tan­zen be­gan­nen.

Als die Män­ner, mit Sä­cken vol­ler Schal­tie­re be­la­den, zu­rück­kehr­ten, kom­man­dier­te Mark Hall als Ho­her­pries­ter den gan­zen Stamm zum fei­er­li­chen Got­tes­dienst. Auf ein Zei­chen von ihm fie­len die vie­len Stei­ne gleich­zei­tig auf das wei­ße Fleisch nie­der, und alle Stim­men er­ho­ben sich, um zum Preis der Aba­lo­nen zu sin­gen. Die al­ten Ver­se san­gen alle mit, aber hin und wie­der sang ei­ner eine neue Stro­phe, die dann im Chor wie­der­holt wur­de. Bil­ly ver­riet Sa­xon, in­dem er sie lei­se bat, den Vers zu sin­gen, den sie ge­macht hat­te, und ihre hohe Stim­me er­hob sich furcht­sam zu fol­gen­der Stro­phe:

Zu un­se­rer vol­len Be­cher Klang

Wir auf dem Hoch­sitz thro­nen,

Zu fro­hen Lie­dern schmau­sen wir

Die hei­ßen Aba­lo­nen.

»Groß­ar­tig!« rief der Dich­ter. »Sie spricht die Spra­che des Stam­mes. Kommt, Kin­der, kommt!«

Und alle san­gen Sa­x­ons Vers. Dann kam Jim Ha­zard mit ei­nem neu­en Vers und ei­nes der jun­gen Mäd­chen, und dann der ei­ser­ne Mann mit den blau­grü­nen Ba­si­lis­ken­au­gen, den Sa­xon nach der Be­schrei­bung von Hall er­kann­te. Sie selbst fand, dass er ein Ge­sicht wie ein Pries­ter hat­te.

Und so ging es wei­ter, neue Ver­se und alte Ver­se, end­lo­se Ver­se zur Ver­herr­li­chung der flei­schi­gen Schal­tie­re Car­mels. Sa­xon war glück­lich, fast au­ßer sich vor Ent­zücken, und sie konn­te bei­na­he nicht glau­ben, dass al­les Wirk­lich­keit war. Es war wie ein Mär­chen oder wie eine Ge­schich­te aus ei­nem Buch, die Wirk­lich­keit ge­wor­den war. Dann wie­der glaub­te sie in ei­nem Thea­ter zu sein, auf des­sen Büh­ne sie und Bil­ly sich als Schau­spie­ler auf ir­gend­ei­ne un­fass­ba­re Wei­se ver­irrt hat­ten. Vie­le von den Wit­zen, die sie hör­te, konn­te sie nicht ver­ste­hen, und das Pu­ri­ta­ner­tum in ihr ließ sie über ei­ni­ge plum­pe Aus­drücke er­stau­nen und An­stoß neh­men, aber sie woll­te nicht über die an­de­ren zu Ge­richt sit­zen. Sie sa­hen aus, als ob sie gut wä­ren, die­se fro­hen jun­gen Men­schen; und si­cher wa­ren sie nicht grob oder ge­wöhn­lich, wie so vie­le von de­nen, die sie auf ih­ren Sonn­tags­aus­flü­gen ge­trof­fen hat­te. Kei­ner der Män­ner trank zu viel, ob­wohl sie Cock­tail in Kühl­fla­schen und Rot­wein in ei­ner mäch­ti­gen Korb­fla­sche mit­ge­bracht hat­ten. Was Sa­xon am meis­ten im­po­nier­te, war ihre über­strö­men­de Hei­ter­keit, ihre kind­li­che Freu­de über die Din­ge und die kind­li­chen Din­ge, die sie un­ter­nah­men. Die­se Wir­kung wur­de noch da­durch er­höht, dass sie be­kann­te Ro­man­schrift­stel­ler und Ma­ler, Dich­ter und Kri­ti­ker, Bild­hau­er und Mu­si­ker wa­ren. Ein Mann mit ei­nem fei­nen, scharf­ge­schnit­te­nen Ge­sicht – Thea­ter­kri­ti­ker an ei­ner großen San Fran­zis­ko­er Zei­tung, wie sie Sa­xon er­zähl­ten – ver­stand eine Kunst, die alle Män­ner ver­such­ten, die ih­nen aber al­len auf das Lä­cher­lichs­te miss­lang. Mit re­gel­mä­ßi­gen Zwi­schen­räu­men wur­den an der Küs­te Plan­ken als Hin­der­nis­se auf­ge­stellt. Dann ga­lop­pier­te der Thea­ter­kri­ti­ker auf al­len Vie­ren über den Sand und sprang wie ein Pferd, das alle Hin­der­nis­se nimmt, die gan­ze Bahn ent­lang über die Plan­ken.

Sie hat­ten Wurf­schei­ben mit­ge­bracht und war­fen eine Zeit lang mit großem Ei­fer. Dann be­gan­nen sie zu sprin­gen, und ein Spiel lös­te das an­de­re ab. Bil­ly war im­mer mit da­bei, aber er mach­te es nicht ganz so gut, wie er er­war­tet hat­te. Ein eng­li­scher Schrift­stel­ler schlug ihn beim Ger­wer­fen um ei­ni­ge Fuß, und Mark Hall konn­te aus dem Stand und mit An­lauf bes­ser sprin­gen als er. Aber beim Rück­wärts­hoch­sprung sieg­te Bil­ly, und das, ob­gleich er durch sein Ge­wicht ge­han­di­kapt war, ein Sieg, den er im we­sent­li­chen sei­ner aus­ge­zeich­ne­ten Rücken- und Bauch­mus­ku­la­tur ver­dank­te. Un­mit­tel­bar dar­auf er­litt er in­des­sen eine schmäh­li­che Nie­der­la­ge ge­gen Mark Halls Schwes­ter, eine kräf­ti­ge jun­ge Frau in Reit­klei­dung, wel­che für den Her­ren­sat­tel be­rech­net war, in­dem sie ihn zwei­mal in ei­nem in­dia­ni­schen Ring­kampf warf.

»Sie sind leicht zu wer­fen«, spot­te­te der Ei­sen­mann, des­sen Name, wie sie ge­hört hat­ten, Pete Bi­deaux lau­te­te.

Bil­ly nahm die Her­aus­for­de­rung an und merk­te bald, dass der an­de­re sei­nen Spitz­na­men zu Recht trug. Bil­ly hat­te mit ge­wal­ti­gen Kämp­fern, wie Jim Jeffries und Jack John­son, ge­run­gen und ih­nen stand­hal­ten kön­nen, nie aber hat­te er einen Mann ge­trof­fen, der so stark war wie der Ei­sen­mann. So sehr Bil­ly sich auch an­streng­te, konn­te er doch nichts ma­chen, und zwei­mal be­rühr­te er mit den Schul­tern den Sand.

»Aber Sie wer­den schon Ge­le­gen­heit zur Re­van­che be­kom­men«, flüs­ter­te Ha­zard Bil­ly heim­lich zu. »Ich habe Box­hand­schu­he mit­ge­bracht. Selbst­ver­ständ­lich kön­nen Sie in sei­ner ei­ge­nen Bran­che nicht ge­gen ihn ste­hen. Er hat mit Ha­cken­schmidt im Lon­do­ner Va­rieté ge­run­gen. Aber sei­en Sie nur ru­hig – wir wer­den es schon ma­chen, aber ganz wie zu­fäl­lig. Er weiß nichts von Ih­nen.«

Bald be­fand sich der Eng­län­der, der den Ger­wurf ge­macht hat­te, in ei­nem Ring­kampf mit dem Thea­ter­kri­ti­ker; dann be­gan­nen Ha­zard und Hall die Par­odie ei­nes Box­kamp­fes, und dann gin­gen sie mit den Box­hand­schu­hen in der Hand her­um und hiel­ten nach dem nächs­ten Paar Aus­schau, das ih­rer An­sicht nach für ein­an­der pass­te. Ganz selbst­ver­ständ­lich fiel die Wahl auf Bi­deaux und Bil­ly.

»So, jetzt nicht zu hit­zig! Kei­nen Krach, Bi­deaux, nur leich­te Schlä­ge, ver­stehst du.« Das wa­ren die Er­mah­nun­gen, die von ver­schie­de­nen Sei­ten an den Ei­sen­mann ge­rich­tet wur­den.

»War­ten Sie einen Au­gen­blick«, sag­te er zu Bil­ly, und ließ die Hän­de sin­ken. »Wenn ich Ohr­fei­gen krie­ge, wer­de ich leicht hit­zig. Aber ma­chen Sie sich nichts dar­aus. Ich kann nichts da­für, ver­ste­hen Sie. Es dau­ert nur einen Au­gen­blick, und ich mei­ne es nicht so.«

Sa­xon war sehr ner­vös, und sie muss­te un­will­kür­lich an Bil­lys blu­ti­ge Schlä­ge­rei und an die Streik­bre­cher den­ken, die er ver­prü­gelt hat­te; aber sie hat­te ihn nie bo­xen se­hen, und nach ei­ni­gen Mi­nu­ten war sie voll­kom­men be­ru­higt. Der Ei­sen­mann hat­te nicht die ge­rings­te Chan­ce. Bil­ly war so ent­schie­den über­le­gen, pa­rier­te je­den Schlag und schlug den an­de­ren im­mer wie­der und gleich­sam wie ab­sicht­lich ins Ge­sicht und über­all auf den Kör­per. In Bil­lys Schlä­gen war kein Ge­wicht, es wa­ren eher leich­te, bis­si­ge Ohr­fei­gen, aber der Um­stand, dass sie im­mer wie­der­ka­men, mach­te den Ei­sen­mann ganz ra­send. Ver­ge­bens for­der­ten die Zuschau­er ihn auf, ru­hig zu blei­ben. Sein Ge­sicht war dun­kel­rot vor Zorn, und sei­ne Schlä­ge wur­den im­mer wü­ten­der. Aber Bil­ly schlug wei­ter – klatsch, klatsch, klatsch, – ru­hig, ohne sich stö­ren zu las­sen. Der Ei­sen­mann ver­lor die Selbst­be­herr­schung und wur­de ganz mör­de­risch in sei­nen Aus­fäl­len, und Bil­ly duck­te sich und wich ihm im­mer wie­der aus. Je­des Mal, wenn sie in Clinch gin­gen, was na­tür­lich un­ver­meid­lich war, press­te er die Arme des Ei­sen­man­nes, so­dass der sich nicht rüh­ren konn­te, und dann muss­te der Ei­sen­mann un­wei­ger­lich la­chen und sich ent­schul­di­gen, aber nur, um im sel­ben Au­gen­blick, wenn sie sich los­ge­las­sen hat­ten, bei dem ers­ten Schlag noch wü­ten­der als je zu wer­den.