»Aber wie haben Sie eigentlich den Weg in die Biercebucht gefunden?« fragte er neugierig, »auf dem Wege lässt sich niemand etwas davon träumen.«
»Ach, so heißt sie also?« fragte Saxon.
»Ja, so haben wir sie jedenfalls genannt. So hieß einer von den Kameraden, die eines Sommers hier lagerten, und wir nannten sie nach ihm. Ich möchte übrigens gern eine Tasse Kaffee haben – wenn Sie sie mir geben wollen.« Dies zu Saxon gewandt. »Und dann werde ich Ihrem Mann die Gegend zeigen. Wir sind sehr stolz auf die Bucht. Hier kommt keiner her außer uns.«
»Die Muskeln haben Sie doch nicht alle daher bekommen, dass Sie McManus wegrannten?« meinte Billy, als sie beim Kaffee saßen.
»Massage unter Spannung«, lautete die völlig unverständliche Antwort.
»So«, sagte Billy und starrte ihn dumm an. »Ist das etwas, das man mit Löffeln einnimmt?«
Hall lachte.
»Ich will es Ihnen zeigen! Sie können irgendeine Muskel nehmen, sie spannen und dann mit den Fingern bearbeiten – so und so!«
»Und das ist alles?« fragte Billy skeptisch.
»Alles!« sagte der andere stolz. »Für jede sichtbare Muskel hat man fünf, die nicht zu sehen sind, die man aber doch beherrscht. Setzen Sie den Finger an eine beliebige Stelle meines Körpers – dann werden Sie sehen.«
Billy tat, wie er sagte, und berührte seine rechte Brust. »Sie verstehen wohl etwas von Anatomie, da Sie eine Stelle wählen, wo es keine Muskeln gibt«, schalt Hall. Billy grinste triumphierend, dann aber sah er zu seinem Erstaunen, dass unter seinem Finger eine Muskel erschien. Er tupfte darauf und spürte, dass es ein harter, fester Muskel war.
»Massage unter Spannung!« triumphierte Hall.
»Nur weiter – wo Sie wollen!«
Und überall, wo Billy hinfühlte, kamen große und kleine Muskeln zum Vorschein, die sich unter seinen Händen hoben, zitterten und wieder zusammensanken, bis der ganze Körper eine wogende Masse von lebendigem, willensbeseelten Fleisch wurde.
»So was hab’ ich noch nie gesehen«, sagte Billy schließlich mit großer Verwunderung. »Und ich habe doch in meinem Leben viele gute Männer unbekleidet gesehen. Sie sind ja lauter lebendige Seide!«
»Das kommt alles von der Massage und der Spannung, mein Freund! Die Ärzte hatten mich aufgegeben. Meine Freunde nannten mich die kranke Ratte und den räudigen Poeten und dergleichen mehr. Da verließ ich die Stadt, reiste nach Carmel und begann ein richtiges Leben im Freien – und Massage unter Spannung.«
»Aber Jim Hazard hat seine Muskeln nicht auf die Art bekommen«, sagte Billy herausfordernd.
»Nein, das hat er nicht, der glückliche Kerl – er ist mit ihnen geboren. Ich habe meine selbst verfertigt. Das ist der Unterschied. Ich bin ein Kunstprodukt. Er ist ein Höhlenbär. Kommen Sie! Jetzt werde ich Ihnen alles zeigen. Ziehen Sie sich lieber aus. Behalten Sie nur die Schuhe an – und Ihre Unterhosen, wenn Sie keine Schwimmhose haben.«
»Meine Mutter war selbst Dichterin«, sagte Saxon, während Billy sich im Gebüsch auszog. Sie hatte gehört, wie Hall auf seine Arbeit hindeutete.
Es schien ihn nicht zu interessieren, und sie wagte sich etwas weiter:
»Etwas davon wurde auch gedruckt.«
»Wie hieß sie?« fragte er gleichgültig.
»Dayelle Wiley Brown. Sie schrieb ›Der Sohn des Wikings‹, ›Tage des Goldes‹, ›Treue‹, ›Der Caballero‹, ›Gräber am Little Meadow‹ und eine ganze Menge anderer Gedichte. Zehn davon stehen in der ›Geschichte der Reihen‹.«
»Ich habe das Buch zu Hause«, bemerkte er, zum ersten Mal mit wirklichem Interesse. »Sie war natürlich eine von den Pionierinnen – lange vor meiner Zeit. Ich will mir ihre Verse ansehen, wenn ich heimkomme. Meine Familie gehörte auch zu den Pionieren. Sie kamen in den Fünfzigen über Panama aus Long Island. Mein Vater war Arzt, wurde aber Geschäftsmann in San Franzisko und plünderte seine Mitgeschöpfe in einem solchen Maße aus, dass ich und der Rest einer großen Familie seitdem davon haben leben können. Sagen Sie, wo wollen Sie mit Ihrem Mann hin?«
Als Saxon ihm erzählt hatte, wie sie sich entschlossen hatten, Oakland zu verlassen und auszuziehen, um Land zu suchen, sprach er sich sehr anerkennend über den ersten Teil ihres Programms aus, schüttelte aber den Kopf über den zweiten.
»Dort unten hinter Sur ist es schön«, sagte er zu ihr. »Ich bin in all den Riesentannen-Canyons gewesen, und es wimmelt dort von Wild. Ja, es gibt auch Staatsboden, den man bekommen kann. Aber es würde dumm von Ihnen sein, sich dort niederzulassen. Es ist zu weit weg, und um die Canyons herum gibt es auch nur stellenweise guten Ackerboden. Ich kenne einen Mexikaner dort, der ganz versessen darauf ist, seine fünfhundert Morgen für fünfzehnhundert Dollar zu verkaufen. Drei Dollar den Morgen! Und was bedeutet das? Dass er keinen Pfennig wert ist, weil er keinen Käufer findet. Ackerboden, wissen Sie, ist nur soviel wert wie man dafür geben oder erhalten kann.«
In diesem Augenblick kam Billy aus dem Busch, nur in Schuhen und Unterhose, die bis zu den Knien aufgekrempelt war, und damit wurde das Gespräch für diesmal beendet. Saxon sah den beiden Männern, die in physischer Beziehung so verschieden waren, nach, wie sie die Felsen hinaufkletterten und dann die Südseite der Bucht entlang gingen. Anfangs dachte sie nicht weiter darüber nach, was sie unternahmen, bald aber wurde sie besorgt. Um das Rückgrat des Felsens zu erreichen, führte Hall Billy eine fast senkrechte Felswand empor. Billy ging langsam und ungeheuer vorsichtig, aber zweimal sah sie ihn stolpern, während die Steine ihm unter den Händen wegrollten und in die Bucht hinabrasselten. Als Hall den Gipfel des Felshanges, hundert Fuß über dem Meeresspiegel, erreichte, sah sie ihn aufrecht wie ein Licht dastehen und auf dem schmalen Felsgrat leicht hin und her schwanken, der, wie sie wusste, an der anderen Seite ebenso steil abfiel. Als Billy den Grat erreicht hatte, klammerte er sich mit Händen und Füßen an, wogegen sein Führer ruhig weiter ging, vollkommen aufrecht und ungestört, als sei es ein gewöhnlicher Zimmerfußboden. Billy erhob sich allmählich aus seiner knienden Stellung, hielt sich aber immer noch an dem Grat fest und musste oft die Hände gebrauchen.
Der scharfe Felsgrat war tief ausgezackt, und die beiden Männer verschwanden in einer dieser Spalten. Saxon konnte ihre Angst nicht bezwingen, und sie kletterte an der Nordseite der Bucht entlang, die weniger uneben und viel leichter zu passieren war. Aber selbst hier wurde sie ganz nervös durch die ungewohnte Höhe, durch den Boden, der unter ihren Füßen nachgab und durch die heftigen Angriffe des Windes. Sie stand bald den beiden Männern gerade gegenüber, die über eine schmale Schlucht gesprungen waren und jetzt einen anderen schmalen Bergkamm hinaufkletterten. Billy war schon etwas gewandter geworden, aber sein Führer blieb häufig stehen und wartete auf ihn. Der Weg wurde immer schwieriger, und zeitweise gingen die Schluchten, die den Weg versperrten, bis zum Meer hinunter und waren angefüllt vom Schaum der Wellen, die knurrend hereinbrachen. Dann wieder konnten sie aufrecht stehen und mussten sich über tiefe, enge Schluchten vornüberwerfen, bis ihre Hände den Rand gegenüber berührten; und, sich dann mit den Händen anklammernd, pressten sie ihre Körper hinauf und hinüber.
Fast am Ende der Wanderung verschwanden sie auf der Südseite des Grates, und als Saxon sie wiedersah, befanden sie sich auf dem äußersten Felsvorsprung und hatten auf der Seite, die sich der Bucht zukehrte, den Rückweg eingeschlagen. Hier sah es aus, als wäre der Weg ganz versperrt. Eine breite Rinne mit senkrechten Seiten klaffte aus einem schaumweißen Wirbel gen Himmel, das wütende Wasser spritzte viele Fuß hoch in die Luft, um ebenso plötzlich wieder in die schwarze Tiefe der sturmgepeitschten Klippen und des wirbelnden Tangs zu sinken.
Die beiden Männer gingen vorsichtig den unsicheren Steig und die Bucht entlang, während der Schaum sie umspritzte. Dann blieben sie stehen. Saxon konnte sehen, wie Hall in die Schlucht zeigte, und sie dachte sich, dass er Billy irgendeine Merkwürdigkeit zeigte. Aber sie war nicht auf das vorbereitet, was jetzt geschah. Die kochende Wassermasse zog sich zurück, und Hall sprang über sie hinweg und hinab auf einen schmalen Felsvorsprung, wo das brüllende Meer sich vor einem Augenblick befunden hatte. Ohne sich aufzuhalten, verschwand er um die scharfe Ecke und arbeitete sich dann mit Händen und Füßen aufwärts, um nicht vom Wasser gepackt zu werden. Billy war jetzt allein zurückgeblieben. Er konnte Hall nicht einmal sehen und noch weniger Rat von ihm erhalten, und Saxon wartete mit so gespannter Aufmerksamkeit, dass der Schmerz in ihren Fingerspitzen, die sie gegen die Felsen presste, sie fast zum Loslassen zwang. Billy wartete, bis sich wieder eine Gelegenheit bot, nahm zwei Anläufe, um zu springen, zog sich aber jedes Mal wieder zurück, worauf er über die Schlucht und auf den Felsvorsprung sprang, der sich einen einzigen Augenblick seinem Blicke zeigte, um die Ecke kam, und bis zum Gürtel nass wurde, als er sich zu Hall hinauf arbeitete, aber doch jedenfalls nicht fortgerissen wurde.
Saxon war erst ruhig, als die beiden wieder bei ihr am Feuer waren. Ein einziger Blick auf Billy sagte ihr, dass er sehr erstaunt über sich selber war.
»Sie sind nicht schlecht für einen Anfänger!« rief Hall, indem er ihn gemütlich auf die nackte Schulter schlug. »Die Kletterpartie ist eines meiner Steckenpferde. Manch ein mutiger Mann, der mit mir zusammen hingegangen ist, hat es aufgegeben, ehe wir die Hälfte hinter uns hatten. Ich habe Dutzende von Menschen bei dem großen Sprung zurückschrecken sehen. Nur die Allerstärksten können es fertigbringen.«
»Ich muss ehrlich sagen, dass ich verfluchte Angst hatte«, brummte Billy. »Sie sind ja die reine Ziege, und Sie haben mich ein dutzendmal fast zu Tode erschreckt. Aber jetzt bin ich ganz wild darauf. Es ist nur Training, worauf es ankommt, und ich will hierbleiben und trainieren, bis ich Sie zu einem Wettlauf den ganzen Weg am Strande und zurück herausfordern kann.«
»Das ist ein Wort!« sagte Hall und reichte ihm zur Bestätigung ihrer Abmachung die Hand. »Und wenn wir uns einmal in San Franzisko treffen, werde ich Sie mit Bierce zusammenbringen – das ist der, nach dem die Schlucht genannt ist. Sein Steckenpferd – wenn er nicht unterwegs ist, um Klapperschlangen zu sammeln – ist, einen richtigen Orkan abzuwarten und dann auf dem Rande eines Wolkenkratzers herumzuspazieren – in Lee, wissen Sie, sodass ihn, wenn er herunterweht, nichts auffängt als die Straße. Er wollte mich einmal mitnehmen.«
»Taten Sie es?« fragte Billy eifrig.
»Ich würde es nicht getan haben, wenn ich mich nicht darauf vorbereitet hätte. Ich hatte mich heimlich eine ganze Woche geübt. Und ich gewann zwanzig Dollar auf die Wette.«
Die Ebbe war jetzt tief genug, dass sie Muscheln sammeln konnten, und Saxon folgte den Männern auf die nördliche Felswand. Am Nachmittag sollte ein kleiner Wagen kommen, wie Hall erklärte, um die Muscheln nach Carmel zu transportieren. Als die Säcke voll waren, wagten sie sich weiter zwischen die Felsspalten und wurden durch drei Abalonen belohnt, und in den Schalen der einen fand Saxon eine Perle, die sie sich so gewünscht hatte. Hall weihte sie in den geheimnisvollen Prozess ein, mit dem man das Fleisch der Abalonen stoßen und zubereiten musste. Es schien Saxon jetzt, als hätte sie Hall schon lange gekannt. Sie musste an alte Tage denken, wenn Bert bei ihnen gesessen und seine Lieder gesungen oder von den letzten Mohikanern geschwatzt hatte.
»Hören Sie, jetzt will ich Sie etwas lehren«, sagte Hall gebieterisch, während er einen großen, runden Stein über dem Abalonenfleisch schwang. »Ihr dürft nie Abalonen klopfen, ohne dies Lied zu singen. Und ihr dürft dieses Lied auch nicht zu einer anderen Zeit singen – das wäre eine Heiligtumschändung. Abalonen sind eine Götterspeise. Die Zubereitung ist eine religiöse Zeremonie. Hört jetzt zu und passt gut auf, es ist eine sehr feierliche Handlung.«
Der Stein fiel klatschend auf das weiße Fleisch, und dann hob und senkte er sich wie eine Art Tamtambegleitung zum Gesang des Dichters:
So mancher preist den Kaviar
Als Bestes aller Zonen,
Ich aber halte immer mich
An meine Abalonen.
Oft sammeln sich die Freunde froh,
Die hier in Carmel wohnen,
Sie sind und bleiben ihnen treu,
Den feisten Abalonen.
Sie wandern durch die ganze Welt
Und tun es seit Äonen,
Und singen toll aus Herzenslust,
Die klagenden Abalonen.
Der eine lebt in wildem Braus,
Der andre will sich schonen,
Wir aber bleiben in Carmel
Und fangen Abalonen.
Mit offenem Mund, den Stein in der erhobenen Hand, hielt er inne. Es ertönte Wagenrumpeln, und eine Stimme rief von der Stelle aus dem Felsen, wo sie die Säcke mit den Muscheln hintransportiert hatten. Da ließ er krachend den Stein auf die Abalonen niedersausen und stand auf.
»Es gibt noch tausend Strophen von der gleichen Art«, sagte er. »Es tut mir leid, dass ich keine Zeit habe, sie euch alle zu lehren.« Er streckte die Hand gegen sie aus. »Und jetzt, Kinder – Gott segne euch! – seid ihr Mitglieder des Clans der Abalonenesser, und ich lege euch feierlich ans Herz, nie, wie es auch geht, Abalonenfleisch zuzubereiten, ohne das heilige Lied zu singen, das ich euch jetzt offenbart habe.«
»Aber wie sollen wir uns der Worte erinnern, wenn wir sie nur einmal gehört haben?« wandte Saxon ein.
»Das werden wir schon machen. Am nächsten Sonntag wird der Stamm der Abalonenesser hierher zu euch in die Biercebucht kommen, und ihr werdet alle Zeremonien, die Verfasser und Verfasserinnen, ja, sogar den eisernen Mann mit dem Basiliskenauge sehen, der gewöhnlich unter dem Namen ›König der Priestereidechsen‹ geht.«
»Kommt Jim Hazard auch?« rief Billy, als Hall im Busch verschwand.
»Ja, er kommt ganz sicher. Er ist ja der Oberprügelmeister der Höhlenbären, der furchtbarste und nach mir erhabenste aller Abalonenesser.«
Billy und Saxon sahen sich an, bis das Geräusch der Wagenräder sich in der Ferne verlor.
»Teufel auch!« erklärte Billy. »Das ist ein Kerl! Und nicht im geringsten großschnauzig. Er ist genau wie Jim Hazard. – Kommt her und tut, als sei er zu Hause – du bist gerade so gut wie er, und er ist gerade so gut wie du – und wir sind alle gute Freunde, sofort und ohne die geringsten Mätzchen.«
»Er stammt auch aus dem alten Geschlecht«, sagte Saxon. »Das erzählte er mir, als du dich auszogst. Seine Familie ist aus Panama hierhergekommen, bevor die Eisenbahn gebaut wurde, und nach dem, was er sagte, glaube ich, dass er eine Menge Geld hat.«
»Das sollte man nicht glauben, wenn man ihn sieht.«
»Und ist er nicht komisch?« rief Saxon.
»Furchtbar komisch! Und das – das soll ein Dichter sein!«
»Ach, ich weiß nicht recht, Billy! Ich habe gehört, dass viele Dichter nicht wie andere Menschen sind.«
»Ja, das ist sehr richtig, jetzt, da ich daran denke. Da ist Joaquin Miller – der wohnt in den Bergen, hinter dem Fruchttal. Das ist ein merkwürdiger Mensch. Ganz in der Nähe von seinem Landsitz war es, wo ich um dich anhielt. Aber deshalb glaubte ich doch, dass Dichter mit Backenbärten und Kneifern herumliefen, und ich glaubte nicht, dass sie je Läufern auf Freiluftplätzen das Bein stellen oder so nackt herumliefen, wie die Polizei es erlaubt, und Muscheln sammeln und wie Ziegen klettern.«
Diese Nacht lag Saxon wach unter der Decke, und sie sah zu den Sternen empor, freute sich über den balsamischen Duft aus dem Busch und lauschte auf das dumpfe Poltern der Brandung und auf das Flüstern des Wassers, das sich wenige Fuß von ihnen auf dem schirmenden Strande kräuselte. Billy regte sich, und sie wusste, dass auch er nicht schlief.
»Freust du dich jetzt, dass du Oakland verlassen hast, Billy?« sagte sie und schmiegte sich eng an ihn.
»Huh!« lautete die Antwort. »Ist eine Muschel glücklich?«
*
Vor jeder Flut lief Billy den südlichen Felsgrat entlang – den ganzen gefährlichen Weg, den er und Hall gemacht hatten, und jedes Mal legte er ihn in kürzerer Zeit zurück. »Warte bis Sonntag«, sagte er zu Saxon. »Ich will den Dichter schon für sein Geld laufen lassen. Es gibt nicht eine Stelle, die mir Schwierigkeiten macht. Ich fühle mich so sicher. Wo ich früher auf Händen und Füßen kroch, laufe ich jetzt. Ich denke so: Gesetzt, es wäre nur einen Fuß auf jeder Seite tief, und es wäre weiches Heu, dann würdest du überhaupt nicht fallen. Du würdest wie der Blitz hinüberkommen. Und ob es auf jeder Seite eine Meile hinuntergeht, ist ganz einerlei. Das geht dich nichts an. Was dich angeht, ist, dass du oben bleibst und wie der Blitz weiterläufst. Und weißt du, Saxon, als ich es erst so ansah, störte es mich gar nicht mehr. Warte, bis er mit allen anderen am Sonntag kommt. Ich bin bereit, ihn zu empfangen.«
»Ich möchte wissen, wie die anderen sind«, sagte Saxon nachdenklich.
»Selbstverständlich genau wie er. Gleich und gleich gesellt sich gern. Sie sind sicher nicht großschnauzig – keiner von ihnen, das wirst du schon sehen.«
Hall hatte ihnen durch einen mexikanischen Cowboy Angelschnüre und Badeanzüge geschickt, und von dem Mann, der weiter südwärts nach seinem Hofe sollte, erfuhren sie manches über den Staatsboden, und wie sie ihn bekommen konnten. Die Woche flog geradezu dahin; jeden Tag nickte Saxon der Sonne ein glückliches Lebewohl zu, wenn sie hinter dem Horizont verschwinden wollte, jeden Morgen begrüßte sie ihre Rückkehr mit frohem Lachen, weil ein neuer glücklicher Tag begann. Sie nahmen sich nichts vor, sondern fischten, sammelten Muscheln und Abalonen und kletterten zwischen den Felsen herum, den Eingebungen des Augenblicks folgend. Das Abalonenfleisch klopften sie sorgfältig unter Aufsagen eines improvisierten Gedichtes, das Saxon gemacht hatte. Billy gedieh ausgezeichnet. Saxon hatte ihn nie so gesund und stark gesehen. Sie selbst brauchte sich gar nicht in ihrem kleinen Handspiegel zu betrachten, um zu wissen, dass sie seit ihrer frühesten Jugend nie eine so warme Gesichtsfarbe gehabt hatte und so natürlich und lebhaft gewesen war.
»Es ist das erstemal in meinem Leben, dass ich Zeit gehabt habe zu spielen«, sagte Billy. »In all der Zeit, die wir verheiratet sind, haben wir nie gespielt. Kein Millionär kann es besser haben als wir.«
»Keine Fabrikpfeife früh um sieben«, triumphierte Saxon. »Ich hätte Lust, morgens im Bett liegenzubleiben, nur um zu zeigen, dass es so ist, wenn nicht alles so wundervoll wäre, dass es eine Sünde wäre, das zu tun. Und jetzt, Herr Freitag, jetzt sollst du nur spielen, dass du etwas Brennholz hackst und einen feinen großen Barsch oder sonst etwas zum Mittagessen fängst.«
Billy erhob sich, die Axt in der Hand, von der Stelle, wo er der Länge nach gelegen und mit den nackten Zehen Löcher in den Sand gebohrt hatte.
»Aber das dauert nicht mehr lange«, sagte er mit einem tief bedauernden Seufzer. »Der Regen kann jeden Augenblick kommen. Es ist unbegreiflich, dass er so lange auf sich hat warten lassen.«
Am Sonnabendmorgen, als er von seinem Lauf über die südliche Felswand zurückkam, konnte er Saxon nicht finden. Nachdem er sie einige Zeit vergeblich gerufen hatte, kletterte er den Weg hinan. Ein Stückchen weiterhin sah er sie rittlings ohne Sattel und Zaum auf einem Pferde sitzen, das sich langsam und unwillig über die Weide bewegte.
»Ein Glück für dich, dass es eine alte Stute ist, die gewohnt ist, dass man sie reitet. Kannst du den Druck vom Sattel sehen«, brummte er, als sie schließlich neben ihm hielt und ihm erlaubte, ihr herab zu helfen.
»Ach, Billy!« sagte sie mit strahlenden Augen. »Ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen. Es war herrlich! Und ich fühlte mich so hilflos, ja, und so schwach.«
»Aber deshalb bin ich doch stolz auf dich«, sagte er und brummte noch mehr als zuvor. »Nicht alle verheirateten Frauen könnten sich so mit einem fremden Pferd einlassen, namentlich, wenn sie noch nie auf einem gesessen haben. Und ich habe auch nicht vergessen, dass du einmal ein feines Reitpferd ganz für dich haben sollst – oh, ein richtiges Prachtexemplar.«
*
Die Abalonenesser kamen in voller Kriegsstärke nach der Biercebucht. Sie hatten zwei Wagen, und einige von ihnen waren zu Pferde. Es waren ein Dutzend Männer und ungefähr ebensoviele Frauen. Sie waren alle jung, im Alter von fünfundzwanzig bis vierzig, und anscheinend alles gute Freunde. Die meisten von ihnen waren verheiratet. Sie strömten über vor guter Laune, stellten einander auf dem glatten Hang ein Bein und nahmen Billy und Saxon mit einer Kameradschaftlichkeit unter sich auf, die so warm war wie der Sonnenschein selbst. Saxon wurde gleich von den jungen Frauen mit Beschlag belegt – sie konnte nicht recht verstehen, dass sie verheiratet waren; und die wiederum machten viel Wesens von ihr, lobten ihr Zelt und ihre Reiseausrüstung und wollten durchaus ihre Geschichte hören. Sie waren selbst alle das Freiluftleben gewöhnt, wie Saxon bald merkte, als sie die Töpfe und Pfannen und die großen Eimer sah, die sie zum Kochen der Muscheln mitgebracht hatten.
Unterdessen hatten Billy und die anderen Männer sich ausgezogen und zerstreuten sich jetzt nach allen Seiten, um Muscheln und Abalonen zu suchen. Die jungen Frauen entdeckten Saxons Ukulélé und gaben sich erst zufrieden, als sie begann, ihnen vorzuspielen und vorzusingen. Mehrere von ihnen waren in Honolulu gewesen, kannten das Instrument und sagten, es sei sehr richtig, wenn Mercedes es den springenden Floh genannt hätte. Sie kannten auch die hawaischen Lieder, die Saxon von Mercedes gelernt hatte, und bald sangen sie alle zu ihrer Begleitung: »Aloha ʻOe«, »Honolulu Tomboy« und »Sweet Lei Lehua«. Sie nahm ehrlichen Anstoß daran, als einige von ihnen, selbst die älteren, eine Hula am Strand zu tanzen begannen.
Als die Männer, mit Säcken voller Schaltiere beladen, zurückkehrten, kommandierte Mark Hall als Hoherpriester den ganzen Stamm zum feierlichen Gottesdienst. Auf ein Zeichen von ihm fielen die vielen Steine gleichzeitig auf das weiße Fleisch nieder, und alle Stimmen erhoben sich, um zum Preis der Abalonen zu singen. Die alten Verse sangen alle mit, aber hin und wieder sang einer eine neue Strophe, die dann im Chor wiederholt wurde. Billy verriet Saxon, indem er sie leise bat, den Vers zu singen, den sie gemacht hatte, und ihre hohe Stimme erhob sich furchtsam zu folgender Strophe:
Zu unserer vollen Becher Klang
Wir auf dem Hochsitz thronen,
Zu frohen Liedern schmausen wir
Die heißen Abalonen.
»Großartig!« rief der Dichter. »Sie spricht die Sprache des Stammes. Kommt, Kinder, kommt!«
Und alle sangen Saxons Vers. Dann kam Jim Hazard mit einem neuen Vers und eines der jungen Mädchen, und dann der eiserne Mann mit den blaugrünen Basiliskenaugen, den Saxon nach der Beschreibung von Hall erkannte. Sie selbst fand, dass er ein Gesicht wie ein Priester hatte.
Und so ging es weiter, neue Verse und alte Verse, endlose Verse zur Verherrlichung der fleischigen Schaltiere Carmels. Saxon war glücklich, fast außer sich vor Entzücken, und sie konnte beinahe nicht glauben, dass alles Wirklichkeit war. Es war wie ein Märchen oder wie eine Geschichte aus einem Buch, die Wirklichkeit geworden war. Dann wieder glaubte sie in einem Theater zu sein, auf dessen Bühne sie und Billy sich als Schauspieler auf irgendeine unfassbare Weise verirrt hatten. Viele von den Witzen, die sie hörte, konnte sie nicht verstehen, und das Puritanertum in ihr ließ sie über einige plumpe Ausdrücke erstaunen und Anstoß nehmen, aber sie wollte nicht über die anderen zu Gericht sitzen. Sie sahen aus, als ob sie gut wären, diese frohen jungen Menschen; und sicher waren sie nicht grob oder gewöhnlich, wie so viele von denen, die sie auf ihren Sonntagsausflügen getroffen hatte. Keiner der Männer trank zu viel, obwohl sie Cocktail in Kühlflaschen und Rotwein in einer mächtigen Korbflasche mitgebracht hatten. Was Saxon am meisten imponierte, war ihre überströmende Heiterkeit, ihre kindliche Freude über die Dinge und die kindlichen Dinge, die sie unternahmen. Diese Wirkung wurde noch dadurch erhöht, dass sie bekannte Romanschriftsteller und Maler, Dichter und Kritiker, Bildhauer und Musiker waren. Ein Mann mit einem feinen, scharfgeschnittenen Gesicht – Theaterkritiker an einer großen San Franziskoer Zeitung, wie sie Saxon erzählten – verstand eine Kunst, die alle Männer versuchten, die ihnen aber allen auf das Lächerlichste misslang. Mit regelmäßigen Zwischenräumen wurden an der Küste Planken als Hindernisse aufgestellt. Dann galoppierte der Theaterkritiker auf allen Vieren über den Sand und sprang wie ein Pferd, das alle Hindernisse nimmt, die ganze Bahn entlang über die Planken.
Sie hatten Wurfscheiben mitgebracht und warfen eine Zeit lang mit großem Eifer. Dann begannen sie zu springen, und ein Spiel löste das andere ab. Billy war immer mit dabei, aber er machte es nicht ganz so gut, wie er erwartet hatte. Ein englischer Schriftsteller schlug ihn beim Gerwerfen um einige Fuß, und Mark Hall konnte aus dem Stand und mit Anlauf besser springen als er. Aber beim Rückwärtshochsprung siegte Billy, und das, obgleich er durch sein Gewicht gehandikapt war, ein Sieg, den er im wesentlichen seiner ausgezeichneten Rücken- und Bauchmuskulatur verdankte. Unmittelbar darauf erlitt er indessen eine schmähliche Niederlage gegen Mark Halls Schwester, eine kräftige junge Frau in Reitkleidung, welche für den Herrensattel berechnet war, indem sie ihn zweimal in einem indianischen Ringkampf warf.
»Sie sind leicht zu werfen«, spottete der Eisenmann, dessen Name, wie sie gehört hatten, Pete Bideaux lautete.
Billy nahm die Herausforderung an und merkte bald, dass der andere seinen Spitznamen zu Recht trug. Billy hatte mit gewaltigen Kämpfern, wie Jim Jeffries und Jack Johnson, gerungen und ihnen standhalten können, nie aber hatte er einen Mann getroffen, der so stark war wie der Eisenmann. So sehr Billy sich auch anstrengte, konnte er doch nichts machen, und zweimal berührte er mit den Schultern den Sand.
»Aber Sie werden schon Gelegenheit zur Revanche bekommen«, flüsterte Hazard Billy heimlich zu. »Ich habe Boxhandschuhe mitgebracht. Selbstverständlich können Sie in seiner eigenen Branche nicht gegen ihn stehen. Er hat mit Hackenschmidt im Londoner Varieté gerungen. Aber seien Sie nur ruhig – wir werden es schon machen, aber ganz wie zufällig. Er weiß nichts von Ihnen.«
Bald befand sich der Engländer, der den Gerwurf gemacht hatte, in einem Ringkampf mit dem Theaterkritiker; dann begannen Hazard und Hall die Parodie eines Boxkampfes, und dann gingen sie mit den Boxhandschuhen in der Hand herum und hielten nach dem nächsten Paar Ausschau, das ihrer Ansicht nach für einander passte. Ganz selbstverständlich fiel die Wahl auf Bideaux und Billy.
»So, jetzt nicht zu hitzig! Keinen Krach, Bideaux, nur leichte Schläge, verstehst du.« Das waren die Ermahnungen, die von verschiedenen Seiten an den Eisenmann gerichtet wurden.
»Warten Sie einen Augenblick«, sagte er zu Billy, und ließ die Hände sinken. »Wenn ich Ohrfeigen kriege, werde ich leicht hitzig. Aber machen Sie sich nichts daraus. Ich kann nichts dafür, verstehen Sie. Es dauert nur einen Augenblick, und ich meine es nicht so.«
Saxon war sehr nervös, und sie musste unwillkürlich an Billys blutige Schlägerei und an die Streikbrecher denken, die er verprügelt hatte; aber sie hatte ihn nie boxen sehen, und nach einigen Minuten war sie vollkommen beruhigt. Der Eisenmann hatte nicht die geringste Chance. Billy war so entschieden überlegen, parierte jeden Schlag und schlug den anderen immer wieder und gleichsam wie absichtlich ins Gesicht und überall auf den Körper. In Billys Schlägen war kein Gewicht, es waren eher leichte, bissige Ohrfeigen, aber der Umstand, dass sie immer wiederkamen, machte den Eisenmann ganz rasend. Vergebens forderten die Zuschauer ihn auf, ruhig zu bleiben. Sein Gesicht war dunkelrot vor Zorn, und seine Schläge wurden immer wütender. Aber Billy schlug weiter – klatsch, klatsch, klatsch, – ruhig, ohne sich stören zu lassen. Der Eisenmann verlor die Selbstbeherrschung und wurde ganz mörderisch in seinen Ausfällen, und Billy duckte sich und wich ihm immer wieder aus. Jedes Mal, wenn sie in Clinch gingen, was natürlich unvermeidlich war, presste er die Arme des Eisenmannes, sodass der sich nicht rühren konnte, und dann musste der Eisenmann unweigerlich lachen und sich entschuldigen, aber nur, um im selben Augenblick, wenn sie sich losgelassen hatten, bei dem ersten Schlag noch wütender als je zu werden.