Jack London – Gesammelte Werke

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»Ja, aber ich fin­de gar nicht, dass sie sich di­cke tun«, wand­te Sa­xon ein.

»Nein, das tun sie auch nicht, wenn ich es recht be­den­ke. Aber des­halb sind sie doch nicht so klug, wie sie sel­ber glau­ben. Ich möch­te wet­ten, ich könn­te ih­nen al­ler­lei von Pfer­den er­zäh­len.«

Die Son­ne woll­te schon un­ter­ge­hen, als sie das Städt­chen er­reich­ten. Bil­ly, der die letz­ten zehn Mi­nu­ten ge­schwie­gen hat­te, kam jetzt zö­gernd mit ei­nem Vor­schlag.

»Sag mal – wir könn­ten uns doch wohl ein Zim­mer im Ho­tel leis­ten. Was meinst du?«

Aber Sa­xon schüt­tel­te sehr be­stimmt den Kopf.

»Wie lan­ge, glaubst du, wür­den die zwan­zig Dol­lar auf die Art rei­chen? Die ein­zi­ge Art, wie wir es ma­chen könn­ten, ist, dass wir beim ers­ten An­fang be­gin­nen. Wir ha­ben nicht da­mit ge­rech­net, in Ho­tels zu schla­fen.«

»Wie du willst!« sag­te er. »Ich ma­che al­les mit. Ich dach­te nur an dich.«

»Da musst du lie­ber den­ken, dass ich das Schlimms­te mit­ma­che!« sag­te sie be­sänf­ti­gend. »Und jetzt wol­len wir se­hen, uns et­was zum Abendes­sen zu kau­fen.«

Sie kauf­ten Rind­fleisch, Kar­tof­feln, Zwie­beln und ein Dut­zend Spei­se­äp­fel und gin­gen dann vor die Stadt bis zu dem Gür­tel von Bäu­men und Bü­schen, wo, wie sie wuss­ten, ein klei­ner Bach floss. Auf ei­ner Sand­bank, im Schutz der Bäu­me, rich­te­ten sie sich ihr Nacht­quar­tier ein. Es gab mas­sen­haft tro­ckenes Holz in der Nähe, und Bil­ly pfiff hei­ter, wäh­rend er Brenn­holz sam­mel­te und hack­te. Sa­xon, die einen schar­fen Blick für alle sei­ne ver­schie­de­nen Stim­mun­gen hat­te, wur­de ganz lus­tig, als sie die furcht­bar dis­har­mo­ni­schen Lau­te hör­te, die aus sei­nem Mun­de ka­men. Sie lä­chel­te bei sich, als sie die De­cken auf dem Sand aus­brei­te­te, nach­dem sie zu­vor alle Zwei­ge ent­fernt und das Se­gel­tuch als Un­ter­la­ge aus­ge­brei­tet hat­te. Sie hat­te noch viel zu ler­nen in Be­zug auf das Ko­chen an of­fe­nem Feu­er, aber sie mach­te gute Fort­schrit­te und hat­te bald her­aus­ge­fun­den, dass es mehr dar­auf an­kam, das Feu­er aus­zu­nut­zen, als ein be­son­ders großes Feu­er zu ma­chen. Als der Kaf­fee ge­kocht hat­te, goss sie eine vier­tel Tas­se kal­ten Was­sers dar­auf, da­mit er sich setz­te, und stell­te dann die Kaf­fee­kan­ne an den Rand des Feu­ers, wo sie sich warm hal­ten konn­te, ohne ins Ko­chen zu kom­men. Sie briet Kar­tof­fel­schei­ben und Zwie­beln in der­sel­ben Pfan­ne, aber je­des für sich, und stell­te sie dann in ih­rem Blech­tel­ler, der mit Bil­lys um­ge­kehr­tem Tel­ler be­deckt wur­de, auf die Kaf­fee­kan­ne. Auf der tro­ckenen, war­men Pfan­ne briet sie dann das Fleisch so, dass Bil­ly be­geis­tert war. Als das ge­tan war, rich­te­te sie das Fleisch auf den Tel­lern an, wäh­rend Bil­ly den Kaf­fee ein­goss und sie Kar­tof­feln und Zwie­beln für einen Au­gen­blick wie­der in die Brat­pfan­ne leg­te, da­mit sie ganz warm wur­den.

»Was kann man mehr ver­lan­gen?« sag­te Bil­ly her­aus­for­dernd und mit der tiefs­ten Zufrie­den­heit, als die letz­te Tas­se Kaf­fee ge­trun­ken war und er sich eine Zi­ga­ret­te dreh­te. Er lag der Län­ge nach auf der Sei­te, auf den El­len­bo­gen ge­stützt. Das Feu­er brann­te hell, und der fla­ckern­de Schein ver­lieh Sa­x­ons Teint einen wär­me­ren Ton als sonst.

»Sieh, wenn un­se­re Vor­fah­ren auf der Wan­de­rung wa­ren, muss­ten sie be­stän­dig In­dia­ner, wil­de Tie­re und der­lei fürch­ten, und hier lie­gen wir nun so si­cher wie in Mut­ters Tru­he. Und sieh den Sand! Kann man sich ein bes­se­res Bett wün­schen? So weich wie Dau­nen. Weißt du, dass du schön bist in mei­nen Au­gen – mei­ne klei­ne Squaw? Ich sage dir, du siehst aus, als wä­rest du sech­zehn Jah­re alt und nicht ein Tüt­tel­chen mehr, Frau Spiel­ka­me­ra­din.«

»Wirk­lich!« sag­te sie ver­gnügt, mach­te eine schnel­le Kopf­be­we­gung und zeig­te ihre wei­ßen Zäh­ne. »Wenn du nicht da­lägst und eine Zi­ga­ret­te rauch­test, so wür­de ich fra­gen, ob dei­ne Mut­ter dir auch er­laubt hät­te, so lan­ge drau­ßen zu blei­ben, Herr Schul­jun­ge?«

»Hör ein­mal«, be­gann er mit ei­nem leicht zu durch­schau­en­den Ver­such, den Erns­ten zu spie­len. »Ich möch­te dich gern et­was fra­gen, wenn du mir ver­sprichst, nicht böse zu wer­den. Ich will dei­ne Ge­füh­le na­tür­lich nicht ver­let­zen, aber et­was muss ich wis­sen, und zwar et­was sehr Wich­ti­ges.«

»Nun, was denn«, frag­te sie, nach kur­z­em, ver­geb­li­chem War­ten.

»Ja, nur das, Sa­xon. Ich hab’ dich schreck­lich lieb, aber die Nacht kommt, und wir sind vie­le, vie­le Mei­len von al­len Men­schen ent­fernt, und, nun ja, was ich wis­sen will, ist, ob wir jetzt auch ganz im Ernst ver­hei­ra­tet sind, du und ich.«

»Ganz im Ernst!« ver­si­cher­te sie. »Wa­rum?«

»Ach, wei­ter nichts, aber ich wuss­te es nicht mehr so recht, und ich woll­te mich schon ge­nie­ren, weißt du, denn wenn wir nicht ver­hei­ra­tet wä­ren, dann wür­de das hier – wie ich er­zo­gen bin, nicht der rech­te Ort sein.«

»Lass es gut sein«, sag­te sie streng. »Es ist hier ge­ra­de die rech­te Zeit und der rech­te Ort, dass du Brenn­holz für mor­gen früh sam­melst, wäh­rend ich die Tel­ler auf­wa­sche und die Kü­che in­stand set­ze.«

Er stand ge­hor­sam auf, zu­erst aber muss­te er den Arm um sie schlin­gen und sie an sich zie­hen. Kei­nes von ih­nen sag­te et­was, als er aber ging, klopf­te Sa­x­ons Herz un­ru­hig, und ein lei­ses Dan­k­lied dräng­te sich über ihre Lip­pen.

Die Nacht brach an, dun­kel, mit ei­nem schwa­chen Ster­nen­schim­mer. Aber die Ster­ne selbst wa­ren hin­ter Wol­ken ver­bor­gen, die ka­men – kei­ner von ih­nen hat­te ge­se­hen, wo­her. Der schö­ne Spät­som­mer Ka­li­for­ni­ens stand vor der Tür. Die Luft war warm, mit ei­ner An­deu­tung der ers­ten Nacht­küh­le, und nicht ein Wind­hauch reg­te sich.

»Ich habe ein Ge­fühl, als be­gän­nen wir erst jetzt zu le­ben«, sag­te Sa­xon, als Bil­ly mit sei­nem Brenn­holz zu ihr kam und sich auf die De­cken am Feu­er nie­der­ließ. »Ich habe heu­te mehr ge­lernt als in zehn Jah­ren in Oa­k­land.« Sie schöpf­te tief Atem und rich­te­te sich auf. »Es ist viel schwe­rer, Land­mann zu wer­den, als wir ge­dacht hat­ten.«

Bil­ly sag­te nichts. Er starr­te ins Feu­er, und sie wuss­te, dass er über ir­gend et­was grü­bel­te.

»Also was ist es?« frag­te sie, als sie sah, dass er zu ei­nem Er­geb­nis ge­langt war, und leg­te gleich­zei­tig ihre Hand auf die sei­ne.

»Ich habe über den Hof nach­ge­dacht, den wir ha­ben wol­len«, ant­wor­te­te er. »Die dum­men Höf­chen sind schön und gut. Sie sind was für die Aus­län­der. Aber wir Ame­ri­ka­ner – wir brau­chen Platz. Wir müs­sen auf dem Gip­fel ei­ner An­hö­he ste­hen und wis­sen, dass das un­ser Bo­den ist, eben­so wie das Land jen­seits der Höhe und die nächs­te Höhe hin­an, und wir wol­len wis­sen, dass da­hin­ter, an ei­ner klei­nen Bucht viel­leicht, Pfer­de gra­sen, die un­se­re Pfer­de sind, und klei­ne Fül­len, die mit ih­nen gra­sen, oder lau­fen und aus­schla­gen. Du weißt, man kann viel Geld mit Pfer­de­zucht ver­die­nen, na­ment­lich mit Ar­beits­pfer­den, die bis zu acht­zehn­hun­dert und zwei­tau­send be­zahlt wer­den. Sie ge­ben sie­ben- bis acht­hun­dert für das Paar vier­jäh­ri­ger Stu­ten, ja, das ge­ben sie je­den Tag in der Stadt. Gu­tes Gras in großer Men­ge und dazu ein Kli­ma wie das hier, das ist al­les, was sie brau­chen, und dazu ein biss­chen Dach über dem Kopf und et­was Heu, wenn ein­mal län­ge­re Zeit schlech­tes Wet­ter herrscht. Ich habe noch nie dar­an ge­dacht, aber das will ich dir sa­gen – jetzt fan­ge ich an, ganz wild nach ei­nem Bau­ern­hof zu wer­den.«

Sa­xon war ganz Ohr. Hier ka­men neue Aus­künf­te über den Ge­gen­stand, der ih­rem Her­zen so nahe stand, und – was das Bes­te von al­lem war – sie ka­men von Bil­ly. Und – was noch bes­ser war – auch er be­gann, In­ter­es­se zu fas­sen.

»Ein ge­wöhn­li­cher Bau­ern­hof muss selbst­ver­ständ­lich wie für al­les an­de­re auch da­für Platz bie­ten«, sag­te sie er­mun­ternd.

»Ge­wiss! Gleich am Hau­se wol­len wir Ge­mü­se und Obst und Hüh­ner und al­les das ha­ben – wie die Por­tu­gie­sen, und au­ßer­dem brau­chen wir eine Men­ge Platz rings­um, wo die Pfer­de gra­sen kön­nen.«

»Ja, aber sind Pfer­de nicht sehr teu­er, Bil­ly?«

»Nicht be­son­ders. Pfer­de wer­den auf dem Pflas­ter ver­braucht. Dort will ich mir mei­ne Zucht­stu­ten ver­schaf­fen – von de­nen, die in der Stadt nicht mehr zu ge­brau­chen sind, ja, die Sei­te der Sa­che ken­ne ich aus­ge­zeich­net! Sie wer­den auf Auk­tio­nen ver­kauft und kön­nen vie­le, vie­le Jah­re hal­ten – sie tau­gen nur nicht mehr fürs Pflas­ter.«

Dann trat eine lan­ge Pau­se ein. In dem er­lö­schen­den Feu­er sa­hen bei­de Bil­der des Ho­fes, der einst ihr Heim sein soll­te.

»Hier ist es recht still, nicht wahr?« sag­te Bil­ly schließ­lich und er­hob sich mit ei­ner Kraft­an­span­nung. Er sah sich um. »Und so schwarz, wie ein gan­zes Ba­tail­lon schwar­zer Kat­zen.« Er schüt­tel­te sich, knöpf­te sich den Man­tel zu und warf ein paar Zwei­ge aufs Feu­er. »Aber des­halb ist es doch das bes­te Kli­ma von der Welt. Als klei­ner Jun­ge hör­te ich mei­nen Va­ter oft prah­len, dass Ka­li­for­ni­en ein so war­mes Kli­ma hät­te. Er reis­te ein­mal nach dem Os­ten und blieb einen Som­mer und einen Win­ter dort, dann hat­te er aber ge­nug da­von.«

»Mei­ne Mut­ter sag­te, es gäbe kein Land in der Welt mit ei­nem sol­chen Kli­ma. Wie wun­der­bar muss es für die ge­we­sen sein, die hier­her ka­men, nach­dem sie durch Wüs­ten und Ber­ge ge­wan­dert wa­ren. Sie nann­ten es das Land, wo Milch und Ho­nig fließt. Der Bo­den war so reich, dass sie ihn nur an­zu­krat­zen brauch­ten – das sag­te Cady im­mer.«

»Und über­all war Wild«, fuhr Bil­ly fort. »Ro­bert, der Ad­op­tiv­va­ter mei­nes Va­ters, trieb Vieh von San Joa­quin nach dem Co­lum­bia. Er hat­te vier­zig Mann zur Hil­fe, und sie nah­men nichts mit als Pul­ver und Salz. Sie leb­ten von dem Wild, das sie schos­sen.«

 

»Die Ber­ge wa­ren vol­ler Rehe, und mei­ne Mut­ter sah gan­ze Her­den von El­chen in der Nähe von San­ta Rosa. Dort wol­len wir ein­mal hin­ge­hen, Bil­ly. Ich habe im­mer so gern ein­mal San­ta Rosa se­hen wol­len.«

»Und als mein Va­ter ein jun­ger Mann war und nörd­lich von Sa­cra­men­to im so­ge­nann­ten Ca­che Slough leb­te, wa­ren die Sümp­fe voll von Grizz­ly­bä­ren. Er schoss sie oft. Und wenn sie ei­nem im Frei­en be­geg­ne­ten, so rit­ten er und die Me­xi­ka­ner hin und fin­gen sie – mit Las­sos, weißt du. Er sag­te, dass ein Pferd, das sich nicht vor ei­nem Grizz­ly­bä­ren fürch­te­te, zehn­mal so hoch be­zahlt wur­de wie je­des an­de­re. Und Pan­ther – die Leu­te nann­ten sie Pu­mas – und der­glei­chen mehr in je­dem Tal. Ja, ge­wiss ge­hen wir nach San­ta Rosa! Vi­el­leicht ge­fällt uns das Land an der Küs­te nicht, und dann müs­sen wir wei­ters­tie­feln.«

Das Feu­er war jetzt fast nie­der­ge­brannt, und Sa­xon hat­te ihr Haar ge­bürs­tet und ge­floch­ten. Sie brauch­ten nicht vie­le Vor­be­rei­tun­gen, um zur Ruhe zu kom­men, und bald la­gen sie Sei­te an Sei­te un­ter den De­cken. Sa­xon schloss die Au­gen, konn­te aber nicht schla­fen. Im Ge­gen­teil, nie war sie wa­cher ge­we­sen. Sie hat­te noch nie in ih­rem Le­ben im Frei­en ge­schla­fen, und so sehr sie sich auch be­müh­te, konn­te sie doch das Ge­fühl nicht über­win­den, dass al­les sehr merk­wür­dig war. Dazu kam, dass die Glie­der ihr vom lan­gen Ge­hen steif wa­ren, und dass zu ih­rem Er­stau­nen der Sand al­les eher als weich war. Eine Stun­de ver­ging. Sie ver­such­te sich ein­zu­re­den, dass Bil­ly schlief, war aber über­zeugt, dass er es nicht tat. Da knis­ter­te es in dem er­lö­schen­den Feu­er, und sie fuhr er­schro­cken auf. Sie war jetzt ganz si­cher, dass Bil­ly sich ge­regt hat­te.

»Bil­ly«, flüs­ter­te sie, »bist du wach?«

»Ja, ant­wor­te­te er lei­se, und ich den­ke, dass die­ser Sand här­ter als Ze­ment ist. Mir ist es selbst­ver­ständ­lich ei­ner­lei, aber wer hät­te das ge­dacht?«

Sie ver­än­der­ten bei­de ihre Lage ein we­nig, konn­ten aber die Berüh­rung mit dem San­de nicht ver­mei­den, der eine dump­fe Qual für alle Glie­der wur­de.

Da plötz­lich wur­de Sa­xon von ei­nem me­tal­li­schen, schwir­ren­den Geräusch auf­ge­schreckt – es war eine Gril­le, die dicht ne­ben ih­nen zu zir­pen be­gann. Sie hiel­ten es ein paar Mi­nu­ten aus, bis Bil­ly rief:

»Zum Don­ner­wet­ter, was kann das sein?«

»Glaubst du, dass es eine Klap­per­schlan­ge ist?« frag­te sie mit ei­ner Ruhe, die sie kei­nes­wegs fühl­te.

»Eben das dach­te ich.«

»Ich habe ein­mal zwei Klap­per­schlan­gen in Bow­mans La­den ge­se­hen. Und weißt du, Bil­ly, die ha­ben einen hoh­len Zahn, und wenn sie den in einen hin­ein­hau­en, dann läuft das Gift durch die Rin­ne her­aus.«

»Brr!« sag­te Bil­ly schau­dernd, und sein Schre­cken war nicht nur vor­ge­ge­ben. »Es ist der ge­wis­se Tod, das sa­gen alle Men­schen, wenn man nicht so wie Bos­co ist. Erin­nerst du dich an Bos­co?«

»Er frisst sie le­ben­dig! Er frisst sie le­ben­dig! Bos­co! Bos­co!« ant­wor­te­te Sa­xon, den Aus­ru­fer ei­ner Jahr­markts­bu­de nach­ah­mend.

»Aber des­halb wa­ren doch al­len Klap­per­schlan­gen Bos­cos die Gift­zäh­ne aus­ge­ris­sen. Das müs­sen sie ge­we­sen sein. Nun ja! Aber es ist nun doch ko­misch, dass ich nicht ein­schla­fen kann. Ich wünsch­te, das ver­fluch­te Ding hiel­te das Maul. Ich möch­te wis­sen, ob es eine Klap­per­schlan­ge ist.«

»Nein, das kann es un­mög­lich sein«, sag­te Sa­xon be­stimmt. »Alle Klap­per­schlan­gen sind längst tot­ge­schla­gen.«

»Aber wo hat Bos­co sei­ne denn her?« frag­te Bil­ly mit un­an­greif­ba­rer Lo­gik. »Und warum schläfst du nicht ein?«

»Das kommt wohl, weil al­les so neu ist«, lau­te­te die Ant­wort. »Siehst du, ich habe noch nie im Le­ben un­ter frei­em Him­mel ge­schla­fen.«

»Ich auch nicht. Und ich habe im­mer ge­glaubt, es sei ein rei­nes Ver­gnü­gen.« Er wech­sel­te die Lage, aber der Sand blieb hart, wie er sich auch wand­te und dreh­te. Er seufz­te tief. »Mit der Zeit kön­nen wir uns wohl auch dar­an ge­wöh­nen. Was an­de­re Men­schen kön­nen, das kön­nen wir auch, und es gibt eine Men­ge Men­schen, die un­ter frei­em Him­mel ge­schla­fen ha­ben. Es ist et­was sehr Gu­tes. Wir sind so frei wie die Vö­gel in der Luft, wir ha­ben kei­ne Mie­te zu be­zah­len und sind un­se­re ei­ge­nen Her­ren.«

Er hielt plötz­lich inne. Ir­gend­wo im Ge­büsch er­tön­te ein war­nen­des Ra­scheln. Als sie her­aus­zu­fin­den ver­such­ten, wo es her­kam, hör­te es ganz un­er­klär­li­cher­wei­se wie­der auf, aber je­des Mal, wenn sie schläf­rig wur­den, be­gann das ge­heim­nis­vol­le Ra­scheln wie­der.

»Das klingt, als wol­le sich je­mand an uns an­schlei­chen«, sag­te Sa­xon und schmieg­te sich en­ger an Bil­ly.

»Nun ja, je­den­falls kei­ne In­dia­ner, das wis­sen wir doch«, war das ein­zi­ge, wo­mit er sie trös­ten konn­te. Dann gähn­te er. »Ach was! Was ha­ben wir zu be­fürch­ten? Denk an das, was die Pio­nie­re durch­ma­chen muss­ten.« Ei­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter be­gan­nen sei­ne Schul­tern zu zit­tern, und Sa­xon wuss­te, dass er lach­te.

»Mir fiel eine Ge­schich­te ein, die mein Va­ter mir so oft er­zählt hat«, er­klär­te er. »Von der al­ten Su­san Kleg­horn – ei­ner der Pio­nie­rin­nen in Ore­gon. Die blin­de Su­san nann­te man sie – aber sie konn­te schie­ßen, dass kei­ner es ihr nach­mach­te. In der Prä­rie wur­de ein­mal der Wa­gen­zug, in dem sie sich be­fand, von In­dia­nern über­fal­len. Alle Wa­gen wur­den im Krei­se auf­ge­stellt, und alle Men­schen und Och­sen stan­den in­ner­halb des Krei­ses, und sie trie­ben die In­dia­ner in die Flucht und tö­te­ten eine Men­ge von ih­nen. Sie wa­ren zu stark, als dass die In­dia­ner ih­nen auf die Art bei­kom­men konn­ten, aber da ka­men sie auf die Idee, zwei Mäd­chen, die sie in ei­nem an­de­ren La­ger ge­fan­gen hat­ten, zu ho­len und zu fol­tern, um die an­de­ren ins Freie zu lo­cken. Sie stell­ten sie eben au­ßer Schuss­wei­te auf, aber so, dass alle es se­hen konn­ten. Ihr Ge­dan­ke war, dass die Wei­ßen es nicht er­tra­gen könn­ten und auf sie los­ge­hen wür­den, und dann hat­ten die In­dia­ner sie in der Fal­le.

Die Wei­ßen konn­ten nichts ma­chen. Wenn sie hin­aus­gin­gen, um die Mäd­chen zu ret­ten, wa­ren sie er­le­digt, denn dann gin­gen die In­dia­ner auf die Wa­gen los. Es war der ge­wis­se Tod für sie alle. Aber die alte Su­san, sie nimmt eine alte Ken­tucky­büch­se mit ei­nem lan­gen Lauf. Sie tut un­ge­fähr drei­mal so viel Pul­ver hin­ein, wie zu ei­nem ge­wöhn­li­chen Schuss ge­hört, zielt auf einen großen In­dia­ner, der sich be­son­ders eif­rig da­mit ab­gibt, die Mäd­chen zu fol­tern, und knallt los. Als der Schuss los­ging, fiel sie hin­ten­über, und sie war ganz lahm in der Schul­ter, bis sie nach Ore­gon ka­men, aber sie traf doch den großen In­dia­ner, dass er für dies­mal fer­tig war. Er be­kam nie Zeit dar­über nach­zu­den­ken, was an ihm ent­zwei ge­gan­gen war.

Nun, die Ge­schich­te woll­te ich ei­gent­lich nicht er­zäh­len. Aber die alte Su­san hat­te eine mäch­ti­ge Schwä­che für Whis­ky. So­bald sie eine Ge­le­gen­heit fand, trank sie sich von Sin­nen. Und ihre Söh­ne und Töch­ter und der Alte muss­ten tüch­tig auf­pas­sen, dass sie nichts ste­hen lie­ßen, so­dass sie es zu fas­sen krieg­te. Aber ei­nes Ta­ges muss­ten sie alle ir­gend et­was be­sor­gen – ir­gend­wo in der Nähe von et­was, das Bo­de­ga hieß, wo sie sich nach ih­rer An­kunft aus Ore­gon nie­der­ge­las­sen hat­ten. Und die alte Su­san be­haup­te­te, die Gicht plag­te sie so, dass sie nicht mit­ge­hen könn­te. Aber die Fa­mi­lie war eben­so klug. Sie sag­ten, sie soll­te tun, was sie woll­te, und ehe sie gin­gen, muss­te ei­ner der En­kel in einen großen Baum bei der Scheu­ne im Hof klet­tern und das Fass sech­zig Fuß über der Erde fest­bin­den. Als sie aber am Abend heim­ka­men, lag doch die alte Su­san voll­kom­men be­trun­ken in der Kü­che.«

»Da war sie also auf den Baum ge­klet­tert«, mein­te Sa­xon, als Bil­ly kei­ne Mie­ne mach­te, fort­zu­fah­ren.

»Nein, das hat­te sie nicht ge­tan«, sag­te er mit ei­nem tri­um­phie­ren­den La­chen. »Sie stell­te ein­fach einen Wasch­zo­ber auf die Erde, ge­ra­de un­ter dem Whis­kyfass, dann nahm sie ihre alte Büch­se und schoss das Fass in Stücke, dass sie nur den Whis­ky aus dem Zo­ber aus­zu­le­cken brauch­te.«

Sa­xon woll­te ge­ra­de wie­der ein­schla­fen, als das Ra­scheln von neu­em er­tön­te, dies­mal nä­her. In ih­rer Fan­ta­sie hat­te das Geräusch et­was Schlei­chen­des, und sie bil­de­te sich ein, dass es ein Raub­tier sei, das sie über­fal­len woll­te.

»Bil­ly«, flüs­ter­te sie.

»Ja, ich lau­sche«, lau­te­te sei­ne Ant­wort – er war auch wach.

»Meinst du nicht, dass das ein Pan­ther sein kann, oder viel­leicht eine Wild­kat­ze?« –

»Das ist un­mög­lich. Das Zeugs ist al­les längst tot­ge­schla­gen. Hier ist fried­li­ches Acker­land.«

Ein ver­irr­ter Wind­hauch be­weg­te seuf­zend die Zwei­ge der Bäu­me, und Sa­xon zit­ter­te. Das Zir­pen der Gril­le hör­te mit ver­däch­ti­ger Plötz­lich­keit auf. Dann wur­de das ra­scheln­de Geräusch von ei­nem dump­fen, schwe­ren Klop­fen ab­ge­löst, das Sa­xon so­wohl wie Bil­ly sich in ih­ren De­cken auf­set­zen ließ. Dann hör­te man nichts mehr, und sie leg­ten sich wie­der nie­der, ob­wohl jetzt die Stil­le selbst un­heil­ver­kün­dend schi­en.

»Hm«, mur­mel­te Bil­ly er­leich­tert. »Jetzt weiß ich doch, was es war. Ein Ka­nin­chen. Ich habe zah­me Ka­nin­chen ge­nau eben­so mit den Hin­ter­bei­nen auf die Erde trom­meln hö­ren.«

Sa­xon ver­such­te ver­ge­bens, ein­zu­schla­fen. Mit der Zeit wur­de der Sand im­mer här­ter. Ihr gan­zer Kör­per schmerz­te bei der blo­ßen Berüh­rung. Und wenn auch ihr ge­sun­der Men­schen­ver­stand je­der Mög­lich­keit ei­ner Ge­fahr hier im Frei­en spot­te­te, so wur­de ihre Fan­ta­sie doch nie müde, sie sich aus­zu­ma­len. Da kam ein neu­es Geräusch. Es war we­der Ra­scheln noch Klop­fen, aber es klang fast, als be­weg­te sich ein großer Kör­per durch das Ge­büsch. Sie konn­ten Zwei­ge kni­cken und bre­chen hö­ren, und ein­mal hör­ten sie, wie die Zwei­ge im Ge­büsch bei­sei­te ge­bo­gen wur­den und wie­der zu­rück­spran­gen.

»Wenn das et­was an­de­res als ein Pan­ther ist, dann ist es ein Ele­fant«, war Bil­lys we­nig er­hei­tern­de Auf­fas­sung der Si­tua­ti­on. »Das ist ein mäch­ti­ger Teu­fel. Hör nur! Und er kommt im­mer nä­her!«

Häu­fi­ge Pau­sen tra­ten ein, aber je­des Mal be­gann das Geräusch wie­der, im­mer lau­ter und im­mer nä­her. Bil­ly setz­te sich wie­der auf, den einen Arm um Sa­xon ge­schlun­gen, die sich gleich­falls auf­ge­setzt hat­te.

»Ich habe nicht ein Auge ge­schlos­sen«, sag­te er. »Sieh, da ist es wie­der. Ich wünsch­te, ich könn­te es se­hen.«

»Es macht Lärm ge­nug für einen Grizz­ly­bä­ren«, sag­te Sa­xon, und die Zäh­ne klap­per­ten ihr teils aus Angst, teils we­gen der Küh­le der Nacht­luft. »Ein Gras­hüp­fer ist es nicht, so viel ist si­cher.«

Bil­ly woll­te die De­cken ab­wer­fen, aber Sa­xon pack­te ihn am Arm.

»Was willst du tun?«

»Ach, ich fürch­te mich sonst nicht«, ant­wor­te­te er. »Aber of­fen ge­stan­den, Sa­xon, dies fängt an, mich ner­vös zu ma­chen. Wenn ich nicht bald her­aus­brin­ge, was für ein Ding das ist, dann wer­de ich ganz ver­rückt. Ich will nur ein biss­chen re­ko­gnos­zie­ren.«

Die Nacht war sehr dun­kel, und im sel­ben Au­gen­blick, als Bil­ly so weit ge­kro­chen war, dass Sa­xon ihn nicht mehr mit den Hän­den er­rei­chen konn­te, war er ganz aus ih­rem Ge­sichts­kreis ver­schwun­den. Das Geräusch hat­te auf­ge­hört, und sie konn­te jetzt Bil­ly auf sei­nem Wege durch das Ge­büsch fol­gen, wo er tro­ckene Zwei­ge und Äste brach. Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten kam er wie­der und kroch un­ter die De­cken.

»Ich glau­be, jetzt habe ich es ver­jagt. Es hat die bes­se­ren Ohren von uns bei­den, und als es mich kom­men hör­te, zog es ab. Da­her gab ich mir die größ­te Mühe, kei­nen Lärm zu ma­chen. – Gro­ßer Gott, da ist es wie­der!« Sie setz­ten sich auf. Sa­xon puff­te Bil­ly.

»Horch!« flüs­ter­te sie kaum hör­bar. »Es at­met. Es hat Luft ge­schöpft, es klang fast, als ob es schnauf­te.«

Ein wel­ker Zweig brach kra­chend, und das so nahe, dass sie bei­de, ohne sich des­sen zu schä­men, vor Schre­cken einen klei­nen Sprung mach­ten.

 

»Jetzt las­se ich mir das nicht mehr ge­fal­len!« er­klär­te Bil­ly wü­tend. »Jetzt über­fällt es uns ja bald.«

»Was willst du denn tun?« frag­te sie be­sorgt.

»So laut heu­len, dass ich mir den Mund ver­ren­ke. Ich will es schon ein­schüch­tern, was es auch sein mag.«

Er schöpf­te tief Atem und stieß ein wil­des Ge­heul aus.

Das Er­geb­nis über­traf sei­ne kühns­ten Er­war­tun­gen, und Sa­x­ons Herz be­gann vor Angst laut zu klop­fen. Im sel­ben Au­gen­blick war das Dun­kel ein ein­zi­ges Cha­os furcht­ba­rer Geräusche. Sie konn­ten die Sträu­cher im Ge­büsch un­ter schwe­ren Kör­pern, die in der ent­ge­gen­ge­setz­ten Rich­tung fort­stürz­ten, kra­chen hö­ren. Zum Glück ver­zo­gen sich die­se Geräusche bald und ver­schwan­den in der Fer­ne.

»So, was sagst du dazu?« Es war Bil­ly, der das Schwei­gen brach. »Lie­ber Gott, beim Box­kampf sag­ten die Leu­te im­mer, dass ich mich vor nichts fürch­te­te. Aber ich freue mich doch, dass sie mich heu­te Abend nicht ge­se­hen ha­ben!« Er stöhn­te. »Aber jetzt habe ich ge­nug von dem ver­fluch­ten Sand. Jetzt ste­he ich auf und ma­che ein Feu­er an.«

Es war ein Leich­tes, das Feu­er an­zu­zün­den, denn un­ter der Asche war noch Glut, die schnell die Zwei­ge, die sie dar­auf war­fen, ent­zün­de­te. Ein paar Ster­ne ka­men im Ze­nith hin­ter dem Ne­bel­schlei­er des Him­mels zum Vor­schein. Er sah zu ih­nen auf, dach­te einen Au­gen­blick nach und schritt dann auf das Ge­büsch zu.

»Was willst du jetzt?« rief Sa­xon.

»Ach, mir fiel nur et­was ein«, ant­wor­te­te er aus­wei­chend und schritt kühn zum Licht­kreis des Feu­ers hin­aus.

Sa­xon zog sich die De­cken bis un­ter das Kinn und be­wun­der­te sei­nen Mut. Er hat­te nicht ein­mal die Axt mit­ge­nom­men und ging in der Rich­tung, wo das Geräusch ver­schwun­den war.

Nach zehn Mi­nu­ten kam er wie­der, aus vol­ler Keh­le la­chend.

»Die ver­fluch­ten Bies­ter, die ha­ben mich gut hin­ters Licht ge­führt. Schließ­lich fürch­te ich mich noch vor mei­nem ei­ge­nen Schat­ten. – Was es war? Hm! Du rätst es nie. Und wenn du tau­send Jah­re alt wirst. Eine Her­de halb aus­ge­wach­se­ner Käl­ber, und die hat­ten wahr­haf­tig mehr Angst als wir.«

Er rauch­te eine Zi­ga­ret­te am Feu­er und schlüpf­te dann ne­ben Sa­xon un­ter die De­cke.

»Ja, ich kann ein fa­bel­haf­ter Bau­er wer­den«, neck­te er sie, »wenn eine Her­de klei­ner Käl­ber mich so er­schre­cken kann. Ich möch­te wet­ten, dass we­der dein Va­ter noch mei­ner auch nur ge­b­lin­zelt hät­te. Das Ge­schlecht ist ent­ar­tet.«

»Nein, das ist es nicht!« ei­fer­te Sa­xon. »Das Ge­schlecht ist schon gut, wir sind ge­nau so gut wie un­se­re Vor­fah­ren es je wa­ren, und wir sind oben­drein ge­sun­der. Wir sind nur an­ders er­zo­gen – das ist al­les. Wir ha­ben un­ser gan­zes Le­ben in Städ­ten ver­bracht. Wir ken­nen Stadt­ge­räusche und al­les, was zu ei­ner Stadt ge­hört, aber wir wis­sen nicht, wie es auf dem Lan­de ist. Wir ha­ben eine un­na­tür­li­che Er­zie­hung ge­nos­sen, das ist al­les. Aber jetzt wol­len wir uns selbst eine na­tür­li­che­re Le­bens­wei­se bei­brin­gen. Wenn wir uns nur et­was Zeit las­sen, wer­den wir schon bald eben­so ru­hig und si­cher im Frei­en schla­fen, wie dein oder mein Va­ter es je ge­tan hat.«

»Aber nicht auf Sand«, stöhn­te Bil­ly.

»Das wol­len wir gar nicht ver­su­chen. Das ha­ben wir doch gleich ge­lernt. Aber jetzt sollst du still sein und dich schla­fen le­gen.« Ihre Furcht war ver­gan­gen, aber der Sand, dem sie jetzt ihre un­ge­teil­te Auf­merk­sam­keit wid­me­ten, wur­de im­mer un­an­ge­neh­mer. Bil­ly du­sel­te zu­erst ein, und die Häh­ne kräh­ten in der Fer­ne, ehe Sa­xon die Au­gen schloss, aber der Sand war und blieb hart und ihr Schlaf un­ru­hig.

Als der ers­te Ta­ges­schim­mer sich zeig­te, kroch Bil­ly her­aus und mach­te ein mäch­ti­ges Feu­er. Zit­ternd vor Käl­te kroch Sa­xon hin. Sie wa­ren bei­de müde und ver­schla­fen. Sa­xon brach in La­chen aus. Bil­ly lach­te mit, an­fangs ver­dros­sen und mür­risch, dann aber klär­te sich sein Ge­sicht auf, als sein Blick auf die Kaf­fee­kan­ne fiel, und im nächs­ten Au­gen­blick hat­te er sie aufs Feu­er ge­stellt.

*

Es sind vier­zig eng­li­sche Mei­len von Oa­k­land bis San José, und die­se Ent­fer­nung leg­ten Sa­xon und Bil­ly in drei Ta­gen zu­rück. Sie tra­fen kei­nen ein­la­den­den und ge­reizt ge­schwät­zi­gen Te­le­fon­ar­bei­ter mehr, und nur sel­ten hat­ten sie Ge­le­gen­heit, mit zu­fäl­lig des We­ges Kom­men­den zu re­den. Sie tra­fen un­zäh­li­ge Va­ga­bun­den mit ih­rem Bett­zeug in ei­nem Bün­del auf dem Rücken, Va­ga­bun­den, die auf der Land­stra­ße nord­wärts und süd­wärts reis­ten; und in Ge­sprä­chen mit ih­nen wur­de sich Sa­xon bald dar­über klar, dass sie sehr we­nig, um nicht zu sa­gen nichts, von den Ver­hält­nis­sen der länd­li­chen Be­völ­ke­rung wuss­ten. Es wa­ren in der Re­gel alte Män­ner, schwäch­lich oder durch Trin­ken ver­kom­men, und al­les, was sie wuss­ten, war, wo man gute Ar­beit be­kom­men konn­te, und wo es sich gut ge­ar­bei­tet hat­te, aber die Orte, die sie nann­ten, la­gen fast alle weit fort. Ei­nes er­fuhr sie aber doch von ih­nen, und das war, dass der Distrikt, den sie und Bill jetzt durch­wan­der­ten, in der Haupt­sa­che von »klei­nen Bau­ern« be­wohnt wur­de, die sel­ten be­zahl­te Ar­beits­kraft und, wenn doch, in der Re­gel nur Por­tu­gie­sen nah­men.

Die Bau­ern selbst wa­ren un­freund­lich. Sie fuh­ren an Bil­ly und Sa­xon zu­wei­len mit lee­ren Wa­gen vor­bei, lu­den sie aber nie zum Mit­fah­ren ein. Wenn Sa­xon eine Ge­le­gen­heit fand, ih­nen eine Fra­ge zu stel­len, sa­hen sie sie neu­gie­rig oder miss­trau­isch von oben bis un­ten an und ga­ben zwei­deu­ti­ge oder scherz­haf­te Ant­wor­ten.

»Es sind kei­ne Ame­ri­ka­ner, die ver­fluch­ten Ker­le«, sag­te Bil­ly mür­risch. »In al­ten Ta­gen wa­ren alle Men­schen freund­lich zu­ein­an­der.«

Aber Sa­xon er­in­ner­te sich ih­rer letz­ten Un­ter­hal­tung mit dem Bru­der.

»Es ist der Zeit­geist, Bil­ly. Der Zeit­geist ist an­ders. Und es ist auch noch zu nahe. War­te, bis wir wei­ter von den Städ­ten fort­kom­men, du wirst se­hen, dann wer­den sie schon freund­li­cher sein.«

»Das hier ist eine rich­ti­ge Lau­se­ban­de«, sag­te er höh­nend.

»Aber sie ha­ben viel­leicht auch Grund dazu«, lach­te sie. »Du kannst doch nicht wis­sen, ob nicht meh­re­re von den Streik­bre­chern, die du ver­prü­gel­test, ihre Söh­ne sind.«

»Wenn ich das nur glau­ben könn­te«, sag­te Bil­ly mit Über­zeu­gung. »Aber selbst, wenn ich zehn­tau­send Mor­gen be­sä­ße, so könn­te ich doch nicht wis­sen, ob der Mann, der mit sei­nem Bett­zeug auf dem Rücken an­ge­latscht kommt, nicht eben­so gut ist wie ich sel­ber – viel­leicht noch et­was bes­ser. Ich wür­de doch je­den­falls freund­lich sein.«

Bil­ly frag­te nach Ar­beit, an­fangs aufs Ge­ra­te­wohl, spä­ter nur auf den grö­ße­ren Hö­fen. Aber die Ant­wort lau­te­te un­wei­ger­lich, dass sie kei­ne Ar­beit hät­ten. Ein­zel­ne sag­ten, nach dem ers­ten Re­gen wür­de es Pflug­ar­beit ge­ben. Hier und da wur­de ein we­nig auf den tro­ckenen Fel­dern ge­pflügt, aber im großen und gan­zen mach­ten es die Bau­ern.

»Aber kannst du denn pflü­gen?« frag­te Sa­xon.

»Nein, aber das kann doch nicht so schwer sein. Und wenn ich wie­der einen Mann pflü­gen sehe, will ich ihn dazu brin­gen, dass er mir Un­ter­richt gibt.«

Am Nach­mit­tag des nächs­ten Ta­ges bot sich eine Ge­le­gen­heit für Bil­ly. Er klet­ter­te auf den Zaun, der ein klei­nes Feld um­gab, und sah einen al­ten Mann, der im­mer wie­der mit dem Pflug her­um­fuhr.