»Ja, aber ich finde gar nicht, dass sie sich dicke tun«, wandte Saxon ein.
»Nein, das tun sie auch nicht, wenn ich es recht bedenke. Aber deshalb sind sie doch nicht so klug, wie sie selber glauben. Ich möchte wetten, ich könnte ihnen allerlei von Pferden erzählen.«
Die Sonne wollte schon untergehen, als sie das Städtchen erreichten. Billy, der die letzten zehn Minuten geschwiegen hatte, kam jetzt zögernd mit einem Vorschlag.
»Sag mal – wir könnten uns doch wohl ein Zimmer im Hotel leisten. Was meinst du?«
Aber Saxon schüttelte sehr bestimmt den Kopf.
»Wie lange, glaubst du, würden die zwanzig Dollar auf die Art reichen? Die einzige Art, wie wir es machen könnten, ist, dass wir beim ersten Anfang beginnen. Wir haben nicht damit gerechnet, in Hotels zu schlafen.«
»Wie du willst!« sagte er. »Ich mache alles mit. Ich dachte nur an dich.«
»Da musst du lieber denken, dass ich das Schlimmste mitmache!« sagte sie besänftigend. »Und jetzt wollen wir sehen, uns etwas zum Abendessen zu kaufen.«
Sie kauften Rindfleisch, Kartoffeln, Zwiebeln und ein Dutzend Speiseäpfel und gingen dann vor die Stadt bis zu dem Gürtel von Bäumen und Büschen, wo, wie sie wussten, ein kleiner Bach floss. Auf einer Sandbank, im Schutz der Bäume, richteten sie sich ihr Nachtquartier ein. Es gab massenhaft trockenes Holz in der Nähe, und Billy pfiff heiter, während er Brennholz sammelte und hackte. Saxon, die einen scharfen Blick für alle seine verschiedenen Stimmungen hatte, wurde ganz lustig, als sie die furchtbar disharmonischen Laute hörte, die aus seinem Munde kamen. Sie lächelte bei sich, als sie die Decken auf dem Sand ausbreitete, nachdem sie zuvor alle Zweige entfernt und das Segeltuch als Unterlage ausgebreitet hatte. Sie hatte noch viel zu lernen in Bezug auf das Kochen an offenem Feuer, aber sie machte gute Fortschritte und hatte bald herausgefunden, dass es mehr darauf ankam, das Feuer auszunutzen, als ein besonders großes Feuer zu machen. Als der Kaffee gekocht hatte, goss sie eine viertel Tasse kalten Wassers darauf, damit er sich setzte, und stellte dann die Kaffeekanne an den Rand des Feuers, wo sie sich warm halten konnte, ohne ins Kochen zu kommen. Sie briet Kartoffelscheiben und Zwiebeln in derselben Pfanne, aber jedes für sich, und stellte sie dann in ihrem Blechteller, der mit Billys umgekehrtem Teller bedeckt wurde, auf die Kaffeekanne. Auf der trockenen, warmen Pfanne briet sie dann das Fleisch so, dass Billy begeistert war. Als das getan war, richtete sie das Fleisch auf den Tellern an, während Billy den Kaffee eingoss und sie Kartoffeln und Zwiebeln für einen Augenblick wieder in die Bratpfanne legte, damit sie ganz warm wurden.
»Was kann man mehr verlangen?« sagte Billy herausfordernd und mit der tiefsten Zufriedenheit, als die letzte Tasse Kaffee getrunken war und er sich eine Zigarette drehte. Er lag der Länge nach auf der Seite, auf den Ellenbogen gestützt. Das Feuer brannte hell, und der flackernde Schein verlieh Saxons Teint einen wärmeren Ton als sonst.
»Sieh, wenn unsere Vorfahren auf der Wanderung waren, mussten sie beständig Indianer, wilde Tiere und derlei fürchten, und hier liegen wir nun so sicher wie in Mutters Truhe. Und sieh den Sand! Kann man sich ein besseres Bett wünschen? So weich wie Daunen. Weißt du, dass du schön bist in meinen Augen – meine kleine Squaw? Ich sage dir, du siehst aus, als wärest du sechzehn Jahre alt und nicht ein Tüttelchen mehr, Frau Spielkameradin.«
»Wirklich!« sagte sie vergnügt, machte eine schnelle Kopfbewegung und zeigte ihre weißen Zähne. »Wenn du nicht dalägst und eine Zigarette rauchtest, so würde ich fragen, ob deine Mutter dir auch erlaubt hätte, so lange draußen zu bleiben, Herr Schuljunge?«
»Hör einmal«, begann er mit einem leicht zu durchschauenden Versuch, den Ernsten zu spielen. »Ich möchte dich gern etwas fragen, wenn du mir versprichst, nicht böse zu werden. Ich will deine Gefühle natürlich nicht verletzen, aber etwas muss ich wissen, und zwar etwas sehr Wichtiges.«
»Nun, was denn«, fragte sie, nach kurzem, vergeblichem Warten.
»Ja, nur das, Saxon. Ich hab’ dich schrecklich lieb, aber die Nacht kommt, und wir sind viele, viele Meilen von allen Menschen entfernt, und, nun ja, was ich wissen will, ist, ob wir jetzt auch ganz im Ernst verheiratet sind, du und ich.«
»Ganz im Ernst!« versicherte sie. »Warum?«
»Ach, weiter nichts, aber ich wusste es nicht mehr so recht, und ich wollte mich schon genieren, weißt du, denn wenn wir nicht verheiratet wären, dann würde das hier – wie ich erzogen bin, nicht der rechte Ort sein.«
»Lass es gut sein«, sagte sie streng. »Es ist hier gerade die rechte Zeit und der rechte Ort, dass du Brennholz für morgen früh sammelst, während ich die Teller aufwasche und die Küche instand setze.«
Er stand gehorsam auf, zuerst aber musste er den Arm um sie schlingen und sie an sich ziehen. Keines von ihnen sagte etwas, als er aber ging, klopfte Saxons Herz unruhig, und ein leises Danklied drängte sich über ihre Lippen.
Die Nacht brach an, dunkel, mit einem schwachen Sternenschimmer. Aber die Sterne selbst waren hinter Wolken verborgen, die kamen – keiner von ihnen hatte gesehen, woher. Der schöne Spätsommer Kaliforniens stand vor der Tür. Die Luft war warm, mit einer Andeutung der ersten Nachtkühle, und nicht ein Windhauch regte sich.
»Ich habe ein Gefühl, als begännen wir erst jetzt zu leben«, sagte Saxon, als Billy mit seinem Brennholz zu ihr kam und sich auf die Decken am Feuer niederließ. »Ich habe heute mehr gelernt als in zehn Jahren in Oakland.« Sie schöpfte tief Atem und richtete sich auf. »Es ist viel schwerer, Landmann zu werden, als wir gedacht hatten.«
Billy sagte nichts. Er starrte ins Feuer, und sie wusste, dass er über irgend etwas grübelte.
»Also was ist es?« fragte sie, als sie sah, dass er zu einem Ergebnis gelangt war, und legte gleichzeitig ihre Hand auf die seine.
»Ich habe über den Hof nachgedacht, den wir haben wollen«, antwortete er. »Die dummen Höfchen sind schön und gut. Sie sind was für die Ausländer. Aber wir Amerikaner – wir brauchen Platz. Wir müssen auf dem Gipfel einer Anhöhe stehen und wissen, dass das unser Boden ist, ebenso wie das Land jenseits der Höhe und die nächste Höhe hinan, und wir wollen wissen, dass dahinter, an einer kleinen Bucht vielleicht, Pferde grasen, die unsere Pferde sind, und kleine Füllen, die mit ihnen grasen, oder laufen und ausschlagen. Du weißt, man kann viel Geld mit Pferdezucht verdienen, namentlich mit Arbeitspferden, die bis zu achtzehnhundert und zweitausend bezahlt werden. Sie geben sieben- bis achthundert für das Paar vierjähriger Stuten, ja, das geben sie jeden Tag in der Stadt. Gutes Gras in großer Menge und dazu ein Klima wie das hier, das ist alles, was sie brauchen, und dazu ein bisschen Dach über dem Kopf und etwas Heu, wenn einmal längere Zeit schlechtes Wetter herrscht. Ich habe noch nie daran gedacht, aber das will ich dir sagen – jetzt fange ich an, ganz wild nach einem Bauernhof zu werden.«
Saxon war ganz Ohr. Hier kamen neue Auskünfte über den Gegenstand, der ihrem Herzen so nahe stand, und – was das Beste von allem war – sie kamen von Billy. Und – was noch besser war – auch er begann, Interesse zu fassen.
»Ein gewöhnlicher Bauernhof muss selbstverständlich wie für alles andere auch dafür Platz bieten«, sagte sie ermunternd.
»Gewiss! Gleich am Hause wollen wir Gemüse und Obst und Hühner und alles das haben – wie die Portugiesen, und außerdem brauchen wir eine Menge Platz ringsum, wo die Pferde grasen können.«
»Ja, aber sind Pferde nicht sehr teuer, Billy?«
»Nicht besonders. Pferde werden auf dem Pflaster verbraucht. Dort will ich mir meine Zuchtstuten verschaffen – von denen, die in der Stadt nicht mehr zu gebrauchen sind, ja, die Seite der Sache kenne ich ausgezeichnet! Sie werden auf Auktionen verkauft und können viele, viele Jahre halten – sie taugen nur nicht mehr fürs Pflaster.«
Dann trat eine lange Pause ein. In dem erlöschenden Feuer sahen beide Bilder des Hofes, der einst ihr Heim sein sollte.
»Hier ist es recht still, nicht wahr?« sagte Billy schließlich und erhob sich mit einer Kraftanspannung. Er sah sich um. »Und so schwarz, wie ein ganzes Bataillon schwarzer Katzen.« Er schüttelte sich, knöpfte sich den Mantel zu und warf ein paar Zweige aufs Feuer. »Aber deshalb ist es doch das beste Klima von der Welt. Als kleiner Junge hörte ich meinen Vater oft prahlen, dass Kalifornien ein so warmes Klima hätte. Er reiste einmal nach dem Osten und blieb einen Sommer und einen Winter dort, dann hatte er aber genug davon.«
»Meine Mutter sagte, es gäbe kein Land in der Welt mit einem solchen Klima. Wie wunderbar muss es für die gewesen sein, die hierher kamen, nachdem sie durch Wüsten und Berge gewandert waren. Sie nannten es das Land, wo Milch und Honig fließt. Der Boden war so reich, dass sie ihn nur anzukratzen brauchten – das sagte Cady immer.«
»Und überall war Wild«, fuhr Billy fort. »Robert, der Adoptivvater meines Vaters, trieb Vieh von San Joaquin nach dem Columbia. Er hatte vierzig Mann zur Hilfe, und sie nahmen nichts mit als Pulver und Salz. Sie lebten von dem Wild, das sie schossen.«
»Die Berge waren voller Rehe, und meine Mutter sah ganze Herden von Elchen in der Nähe von Santa Rosa. Dort wollen wir einmal hingehen, Billy. Ich habe immer so gern einmal Santa Rosa sehen wollen.«
»Und als mein Vater ein junger Mann war und nördlich von Sacramento im sogenannten Cache Slough lebte, waren die Sümpfe voll von Grizzlybären. Er schoss sie oft. Und wenn sie einem im Freien begegneten, so ritten er und die Mexikaner hin und fingen sie – mit Lassos, weißt du. Er sagte, dass ein Pferd, das sich nicht vor einem Grizzlybären fürchtete, zehnmal so hoch bezahlt wurde wie jedes andere. Und Panther – die Leute nannten sie Pumas – und dergleichen mehr in jedem Tal. Ja, gewiss gehen wir nach Santa Rosa! Vielleicht gefällt uns das Land an der Küste nicht, und dann müssen wir weiterstiefeln.«
Das Feuer war jetzt fast niedergebrannt, und Saxon hatte ihr Haar gebürstet und geflochten. Sie brauchten nicht viele Vorbereitungen, um zur Ruhe zu kommen, und bald lagen sie Seite an Seite unter den Decken. Saxon schloss die Augen, konnte aber nicht schlafen. Im Gegenteil, nie war sie wacher gewesen. Sie hatte noch nie in ihrem Leben im Freien geschlafen, und so sehr sie sich auch bemühte, konnte sie doch das Gefühl nicht überwinden, dass alles sehr merkwürdig war. Dazu kam, dass die Glieder ihr vom langen Gehen steif waren, und dass zu ihrem Erstaunen der Sand alles eher als weich war. Eine Stunde verging. Sie versuchte sich einzureden, dass Billy schlief, war aber überzeugt, dass er es nicht tat. Da knisterte es in dem erlöschenden Feuer, und sie fuhr erschrocken auf. Sie war jetzt ganz sicher, dass Billy sich geregt hatte.
»Billy«, flüsterte sie, »bist du wach?«
»Ja, antwortete er leise, und ich denke, dass dieser Sand härter als Zement ist. Mir ist es selbstverständlich einerlei, aber wer hätte das gedacht?«
Sie veränderten beide ihre Lage ein wenig, konnten aber die Berührung mit dem Sande nicht vermeiden, der eine dumpfe Qual für alle Glieder wurde.
Da plötzlich wurde Saxon von einem metallischen, schwirrenden Geräusch aufgeschreckt – es war eine Grille, die dicht neben ihnen zu zirpen begann. Sie hielten es ein paar Minuten aus, bis Billy rief:
»Zum Donnerwetter, was kann das sein?«
»Glaubst du, dass es eine Klapperschlange ist?« fragte sie mit einer Ruhe, die sie keineswegs fühlte.
»Eben das dachte ich.«
»Ich habe einmal zwei Klapperschlangen in Bowmans Laden gesehen. Und weißt du, Billy, die haben einen hohlen Zahn, und wenn sie den in einen hineinhauen, dann läuft das Gift durch die Rinne heraus.«
»Brr!« sagte Billy schaudernd, und sein Schrecken war nicht nur vorgegeben. »Es ist der gewisse Tod, das sagen alle Menschen, wenn man nicht so wie Bosco ist. Erinnerst du dich an Bosco?«
»Er frisst sie lebendig! Er frisst sie lebendig! Bosco! Bosco!« antwortete Saxon, den Ausrufer einer Jahrmarktsbude nachahmend.
»Aber deshalb waren doch allen Klapperschlangen Boscos die Giftzähne ausgerissen. Das müssen sie gewesen sein. Nun ja! Aber es ist nun doch komisch, dass ich nicht einschlafen kann. Ich wünschte, das verfluchte Ding hielte das Maul. Ich möchte wissen, ob es eine Klapperschlange ist.«
»Nein, das kann es unmöglich sein«, sagte Saxon bestimmt. »Alle Klapperschlangen sind längst totgeschlagen.«
»Aber wo hat Bosco seine denn her?« fragte Billy mit unangreifbarer Logik. »Und warum schläfst du nicht ein?«
»Das kommt wohl, weil alles so neu ist«, lautete die Antwort. »Siehst du, ich habe noch nie im Leben unter freiem Himmel geschlafen.«
»Ich auch nicht. Und ich habe immer geglaubt, es sei ein reines Vergnügen.« Er wechselte die Lage, aber der Sand blieb hart, wie er sich auch wandte und drehte. Er seufzte tief. »Mit der Zeit können wir uns wohl auch daran gewöhnen. Was andere Menschen können, das können wir auch, und es gibt eine Menge Menschen, die unter freiem Himmel geschlafen haben. Es ist etwas sehr Gutes. Wir sind so frei wie die Vögel in der Luft, wir haben keine Miete zu bezahlen und sind unsere eigenen Herren.«
Er hielt plötzlich inne. Irgendwo im Gebüsch ertönte ein warnendes Rascheln. Als sie herauszufinden versuchten, wo es herkam, hörte es ganz unerklärlicherweise wieder auf, aber jedes Mal, wenn sie schläfrig wurden, begann das geheimnisvolle Rascheln wieder.
»Das klingt, als wolle sich jemand an uns anschleichen«, sagte Saxon und schmiegte sich enger an Billy.
»Nun ja, jedenfalls keine Indianer, das wissen wir doch«, war das einzige, womit er sie trösten konnte. Dann gähnte er. »Ach was! Was haben wir zu befürchten? Denk an das, was die Pioniere durchmachen mussten.« Einige Minuten später begannen seine Schultern zu zittern, und Saxon wusste, dass er lachte.
»Mir fiel eine Geschichte ein, die mein Vater mir so oft erzählt hat«, erklärte er. »Von der alten Susan Kleghorn – einer der Pionierinnen in Oregon. Die blinde Susan nannte man sie – aber sie konnte schießen, dass keiner es ihr nachmachte. In der Prärie wurde einmal der Wagenzug, in dem sie sich befand, von Indianern überfallen. Alle Wagen wurden im Kreise aufgestellt, und alle Menschen und Ochsen standen innerhalb des Kreises, und sie trieben die Indianer in die Flucht und töteten eine Menge von ihnen. Sie waren zu stark, als dass die Indianer ihnen auf die Art beikommen konnten, aber da kamen sie auf die Idee, zwei Mädchen, die sie in einem anderen Lager gefangen hatten, zu holen und zu foltern, um die anderen ins Freie zu locken. Sie stellten sie eben außer Schussweite auf, aber so, dass alle es sehen konnten. Ihr Gedanke war, dass die Weißen es nicht ertragen könnten und auf sie losgehen würden, und dann hatten die Indianer sie in der Falle.
Die Weißen konnten nichts machen. Wenn sie hinausgingen, um die Mädchen zu retten, waren sie erledigt, denn dann gingen die Indianer auf die Wagen los. Es war der gewisse Tod für sie alle. Aber die alte Susan, sie nimmt eine alte Kentuckybüchse mit einem langen Lauf. Sie tut ungefähr dreimal so viel Pulver hinein, wie zu einem gewöhnlichen Schuss gehört, zielt auf einen großen Indianer, der sich besonders eifrig damit abgibt, die Mädchen zu foltern, und knallt los. Als der Schuss losging, fiel sie hintenüber, und sie war ganz lahm in der Schulter, bis sie nach Oregon kamen, aber sie traf doch den großen Indianer, dass er für diesmal fertig war. Er bekam nie Zeit darüber nachzudenken, was an ihm entzwei gegangen war.
Nun, die Geschichte wollte ich eigentlich nicht erzählen. Aber die alte Susan hatte eine mächtige Schwäche für Whisky. Sobald sie eine Gelegenheit fand, trank sie sich von Sinnen. Und ihre Söhne und Töchter und der Alte mussten tüchtig aufpassen, dass sie nichts stehen ließen, sodass sie es zu fassen kriegte. Aber eines Tages mussten sie alle irgend etwas besorgen – irgendwo in der Nähe von etwas, das Bodega hieß, wo sie sich nach ihrer Ankunft aus Oregon niedergelassen hatten. Und die alte Susan behauptete, die Gicht plagte sie so, dass sie nicht mitgehen könnte. Aber die Familie war ebenso klug. Sie sagten, sie sollte tun, was sie wollte, und ehe sie gingen, musste einer der Enkel in einen großen Baum bei der Scheune im Hof klettern und das Fass sechzig Fuß über der Erde festbinden. Als sie aber am Abend heimkamen, lag doch die alte Susan vollkommen betrunken in der Küche.«
»Da war sie also auf den Baum geklettert«, meinte Saxon, als Billy keine Miene machte, fortzufahren.
»Nein, das hatte sie nicht getan«, sagte er mit einem triumphierenden Lachen. »Sie stellte einfach einen Waschzober auf die Erde, gerade unter dem Whiskyfass, dann nahm sie ihre alte Büchse und schoss das Fass in Stücke, dass sie nur den Whisky aus dem Zober auszulecken brauchte.«
Saxon wollte gerade wieder einschlafen, als das Rascheln von neuem ertönte, diesmal näher. In ihrer Fantasie hatte das Geräusch etwas Schleichendes, und sie bildete sich ein, dass es ein Raubtier sei, das sie überfallen wollte.
»Billy«, flüsterte sie.
»Ja, ich lausche«, lautete seine Antwort – er war auch wach.
»Meinst du nicht, dass das ein Panther sein kann, oder vielleicht eine Wildkatze?« –
»Das ist unmöglich. Das Zeugs ist alles längst totgeschlagen. Hier ist friedliches Ackerland.«
Ein verirrter Windhauch bewegte seufzend die Zweige der Bäume, und Saxon zitterte. Das Zirpen der Grille hörte mit verdächtiger Plötzlichkeit auf. Dann wurde das raschelnde Geräusch von einem dumpfen, schweren Klopfen abgelöst, das Saxon sowohl wie Billy sich in ihren Decken aufsetzen ließ. Dann hörte man nichts mehr, und sie legten sich wieder nieder, obwohl jetzt die Stille selbst unheilverkündend schien.
»Hm«, murmelte Billy erleichtert. »Jetzt weiß ich doch, was es war. Ein Kaninchen. Ich habe zahme Kaninchen genau ebenso mit den Hinterbeinen auf die Erde trommeln hören.«
Saxon versuchte vergebens, einzuschlafen. Mit der Zeit wurde der Sand immer härter. Ihr ganzer Körper schmerzte bei der bloßen Berührung. Und wenn auch ihr gesunder Menschenverstand jeder Möglichkeit einer Gefahr hier im Freien spottete, so wurde ihre Fantasie doch nie müde, sie sich auszumalen. Da kam ein neues Geräusch. Es war weder Rascheln noch Klopfen, aber es klang fast, als bewegte sich ein großer Körper durch das Gebüsch. Sie konnten Zweige knicken und brechen hören, und einmal hörten sie, wie die Zweige im Gebüsch beiseite gebogen wurden und wieder zurücksprangen.
»Wenn das etwas anderes als ein Panther ist, dann ist es ein Elefant«, war Billys wenig erheiternde Auffassung der Situation. »Das ist ein mächtiger Teufel. Hör nur! Und er kommt immer näher!«
Häufige Pausen traten ein, aber jedes Mal begann das Geräusch wieder, immer lauter und immer näher. Billy setzte sich wieder auf, den einen Arm um Saxon geschlungen, die sich gleichfalls aufgesetzt hatte.
»Ich habe nicht ein Auge geschlossen«, sagte er. »Sieh, da ist es wieder. Ich wünschte, ich könnte es sehen.«
»Es macht Lärm genug für einen Grizzlybären«, sagte Saxon, und die Zähne klapperten ihr teils aus Angst, teils wegen der Kühle der Nachtluft. »Ein Grashüpfer ist es nicht, so viel ist sicher.«
Billy wollte die Decken abwerfen, aber Saxon packte ihn am Arm.
»Was willst du tun?«
»Ach, ich fürchte mich sonst nicht«, antwortete er. »Aber offen gestanden, Saxon, dies fängt an, mich nervös zu machen. Wenn ich nicht bald herausbringe, was für ein Ding das ist, dann werde ich ganz verrückt. Ich will nur ein bisschen rekognoszieren.«
Die Nacht war sehr dunkel, und im selben Augenblick, als Billy so weit gekrochen war, dass Saxon ihn nicht mehr mit den Händen erreichen konnte, war er ganz aus ihrem Gesichtskreis verschwunden. Das Geräusch hatte aufgehört, und sie konnte jetzt Billy auf seinem Wege durch das Gebüsch folgen, wo er trockene Zweige und Äste brach. Nach einigen Minuten kam er wieder und kroch unter die Decken.
»Ich glaube, jetzt habe ich es verjagt. Es hat die besseren Ohren von uns beiden, und als es mich kommen hörte, zog es ab. Daher gab ich mir die größte Mühe, keinen Lärm zu machen. – Großer Gott, da ist es wieder!« Sie setzten sich auf. Saxon puffte Billy.
»Horch!« flüsterte sie kaum hörbar. »Es atmet. Es hat Luft geschöpft, es klang fast, als ob es schnaufte.«
Ein welker Zweig brach krachend, und das so nahe, dass sie beide, ohne sich dessen zu schämen, vor Schrecken einen kleinen Sprung machten.
»Jetzt lasse ich mir das nicht mehr gefallen!« erklärte Billy wütend. »Jetzt überfällt es uns ja bald.«
»Was willst du denn tun?« fragte sie besorgt.
»So laut heulen, dass ich mir den Mund verrenke. Ich will es schon einschüchtern, was es auch sein mag.«
Er schöpfte tief Atem und stieß ein wildes Geheul aus.
Das Ergebnis übertraf seine kühnsten Erwartungen, und Saxons Herz begann vor Angst laut zu klopfen. Im selben Augenblick war das Dunkel ein einziges Chaos furchtbarer Geräusche. Sie konnten die Sträucher im Gebüsch unter schweren Körpern, die in der entgegengesetzten Richtung fortstürzten, krachen hören. Zum Glück verzogen sich diese Geräusche bald und verschwanden in der Ferne.
»So, was sagst du dazu?« Es war Billy, der das Schweigen brach. »Lieber Gott, beim Boxkampf sagten die Leute immer, dass ich mich vor nichts fürchtete. Aber ich freue mich doch, dass sie mich heute Abend nicht gesehen haben!« Er stöhnte. »Aber jetzt habe ich genug von dem verfluchten Sand. Jetzt stehe ich auf und mache ein Feuer an.«
Es war ein Leichtes, das Feuer anzuzünden, denn unter der Asche war noch Glut, die schnell die Zweige, die sie darauf warfen, entzündete. Ein paar Sterne kamen im Zenith hinter dem Nebelschleier des Himmels zum Vorschein. Er sah zu ihnen auf, dachte einen Augenblick nach und schritt dann auf das Gebüsch zu.
»Was willst du jetzt?« rief Saxon.
»Ach, mir fiel nur etwas ein«, antwortete er ausweichend und schritt kühn zum Lichtkreis des Feuers hinaus.
Saxon zog sich die Decken bis unter das Kinn und bewunderte seinen Mut. Er hatte nicht einmal die Axt mitgenommen und ging in der Richtung, wo das Geräusch verschwunden war.
Nach zehn Minuten kam er wieder, aus voller Kehle lachend.
»Die verfluchten Biester, die haben mich gut hinters Licht geführt. Schließlich fürchte ich mich noch vor meinem eigenen Schatten. – Was es war? Hm! Du rätst es nie. Und wenn du tausend Jahre alt wirst. Eine Herde halb ausgewachsener Kälber, und die hatten wahrhaftig mehr Angst als wir.«
Er rauchte eine Zigarette am Feuer und schlüpfte dann neben Saxon unter die Decke.
»Ja, ich kann ein fabelhafter Bauer werden«, neckte er sie, »wenn eine Herde kleiner Kälber mich so erschrecken kann. Ich möchte wetten, dass weder dein Vater noch meiner auch nur geblinzelt hätte. Das Geschlecht ist entartet.«
»Nein, das ist es nicht!« eiferte Saxon. »Das Geschlecht ist schon gut, wir sind genau so gut wie unsere Vorfahren es je waren, und wir sind obendrein gesunder. Wir sind nur anders erzogen – das ist alles. Wir haben unser ganzes Leben in Städten verbracht. Wir kennen Stadtgeräusche und alles, was zu einer Stadt gehört, aber wir wissen nicht, wie es auf dem Lande ist. Wir haben eine unnatürliche Erziehung genossen, das ist alles. Aber jetzt wollen wir uns selbst eine natürlichere Lebensweise beibringen. Wenn wir uns nur etwas Zeit lassen, werden wir schon bald ebenso ruhig und sicher im Freien schlafen, wie dein oder mein Vater es je getan hat.«
»Aber nicht auf Sand«, stöhnte Billy.
»Das wollen wir gar nicht versuchen. Das haben wir doch gleich gelernt. Aber jetzt sollst du still sein und dich schlafen legen.« Ihre Furcht war vergangen, aber der Sand, dem sie jetzt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmeten, wurde immer unangenehmer. Billy duselte zuerst ein, und die Hähne krähten in der Ferne, ehe Saxon die Augen schloss, aber der Sand war und blieb hart und ihr Schlaf unruhig.
Als der erste Tagesschimmer sich zeigte, kroch Billy heraus und machte ein mächtiges Feuer. Zitternd vor Kälte kroch Saxon hin. Sie waren beide müde und verschlafen. Saxon brach in Lachen aus. Billy lachte mit, anfangs verdrossen und mürrisch, dann aber klärte sich sein Gesicht auf, als sein Blick auf die Kaffeekanne fiel, und im nächsten Augenblick hatte er sie aufs Feuer gestellt.
*
Es sind vierzig englische Meilen von Oakland bis San José, und diese Entfernung legten Saxon und Billy in drei Tagen zurück. Sie trafen keinen einladenden und gereizt geschwätzigen Telefonarbeiter mehr, und nur selten hatten sie Gelegenheit, mit zufällig des Weges Kommenden zu reden. Sie trafen unzählige Vagabunden mit ihrem Bettzeug in einem Bündel auf dem Rücken, Vagabunden, die auf der Landstraße nordwärts und südwärts reisten; und in Gesprächen mit ihnen wurde sich Saxon bald darüber klar, dass sie sehr wenig, um nicht zu sagen nichts, von den Verhältnissen der ländlichen Bevölkerung wussten. Es waren in der Regel alte Männer, schwächlich oder durch Trinken verkommen, und alles, was sie wussten, war, wo man gute Arbeit bekommen konnte, und wo es sich gut gearbeitet hatte, aber die Orte, die sie nannten, lagen fast alle weit fort. Eines erfuhr sie aber doch von ihnen, und das war, dass der Distrikt, den sie und Bill jetzt durchwanderten, in der Hauptsache von »kleinen Bauern« bewohnt wurde, die selten bezahlte Arbeitskraft und, wenn doch, in der Regel nur Portugiesen nahmen.
Die Bauern selbst waren unfreundlich. Sie fuhren an Billy und Saxon zuweilen mit leeren Wagen vorbei, luden sie aber nie zum Mitfahren ein. Wenn Saxon eine Gelegenheit fand, ihnen eine Frage zu stellen, sahen sie sie neugierig oder misstrauisch von oben bis unten an und gaben zweideutige oder scherzhafte Antworten.
»Es sind keine Amerikaner, die verfluchten Kerle«, sagte Billy mürrisch. »In alten Tagen waren alle Menschen freundlich zueinander.«
Aber Saxon erinnerte sich ihrer letzten Unterhaltung mit dem Bruder.
»Es ist der Zeitgeist, Billy. Der Zeitgeist ist anders. Und es ist auch noch zu nahe. Warte, bis wir weiter von den Städten fortkommen, du wirst sehen, dann werden sie schon freundlicher sein.«
»Das hier ist eine richtige Lausebande«, sagte er höhnend.
»Aber sie haben vielleicht auch Grund dazu«, lachte sie. »Du kannst doch nicht wissen, ob nicht mehrere von den Streikbrechern, die du verprügeltest, ihre Söhne sind.«
»Wenn ich das nur glauben könnte«, sagte Billy mit Überzeugung. »Aber selbst, wenn ich zehntausend Morgen besäße, so könnte ich doch nicht wissen, ob der Mann, der mit seinem Bettzeug auf dem Rücken angelatscht kommt, nicht ebenso gut ist wie ich selber – vielleicht noch etwas besser. Ich würde doch jedenfalls freundlich sein.«
Billy fragte nach Arbeit, anfangs aufs Geratewohl, später nur auf den größeren Höfen. Aber die Antwort lautete unweigerlich, dass sie keine Arbeit hätten. Einzelne sagten, nach dem ersten Regen würde es Pflugarbeit geben. Hier und da wurde ein wenig auf den trockenen Feldern gepflügt, aber im großen und ganzen machten es die Bauern.
»Aber kannst du denn pflügen?« fragte Saxon.
»Nein, aber das kann doch nicht so schwer sein. Und wenn ich wieder einen Mann pflügen sehe, will ich ihn dazu bringen, dass er mir Unterricht gibt.«
Am Nachmittag des nächsten Tages bot sich eine Gelegenheit für Billy. Er kletterte auf den Zaun, der ein kleines Feld umgab, und sah einen alten Mann, der immer wieder mit dem Pflug herumfuhr.