Jack London – Gesammelte Werke

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»Mehr habe ich nicht, das da muss als Brot gel­ten.«

»Ei­nen Au­gen­blick!« Ehe er pro­tes­tie­ren konn­te, hat­te Fro­na die Schiffs­zwie­ba­cke auf das sie­den­de Fett und den Speck in der Pfan­ne ge­wor­fen. Sie goss ein paar Tas­sen Was­ser dazu und ver­rühr­te al­les über dem Feu­er. Als es ei­ni­ge Mi­nu­ten lang aus der Pfan­ne ge­schluchzt und ge­seufzt hat­te, schnitt sie das Pö­kel­fleisch in Schei­ben und tat es zu dem üb­ri­gen, salz­te und pfef­fer­te. Ein an­ge­neh­mer Duft stieg aus der Pfan­ne auf. Als er nun sei­nen Tel­ler auf dem Knie ba­lan­zier­te und das Ge­richt kos­te­te, sag­te er:

»Das schmeckt, Don­ner­wet­ter, wie das schmeckt! Wie nen­nen Sie das?«

»Gold­grä­ber­sa­lat«, sag­te sie kurz, und dann aßen sie bei­de wie hung­ri­ge Wöl­fe.

Nach und nach hat­ten Fro­nas Au­gen sich an den Rauch und das Halb­dun­kel ge­wöhnt, schwei­gend stu­dier­te sie das Ge­sicht ih­res Wir­tes. Es lag Kraft und Aus­druck dar­in, aber selt­sam, das war ein Ge­lehr­ten­kopf … Sol­che Au­gen kann­te sie bei Män­nern, die vie­le Näch­te lang über Bü­chern ge­ses­sen hat­ten. Die Au­gen wa­ren braun, es wa­ren schö­ne, sym­pa­thi­sche Au­gen. Bei Tag wür­den sie wahr­schein­lich grau, bei­na­he grau­blau aus­se­hen. Fro­na wuss­te Be­scheid, ihre bes­te und ein­zi­ge Freun­din auf der Uni­ver­si­tät hat­te ge­nau sol­che Au­gen ge­habt.

Sein Haar war tief­blond und schim­mer­te im Ker­zen­licht, sein loh­far­be­ner Schnurr­bart war ein we­nig ge­lockt. Un­ter sei­nen Ba­cken­kno­chen la­gen schwa­che Höh­len, die Fro­na ver­däch­tig schie­nen. Aber sei­ne mus­ku­lö­se, schlan­ke Fi­gur mit den brei­ten Schul­tern be­ru­hig­te sie wie­der. Er schi­en den Fün­f­und­zwan­zig nä­her zu sein als den Drei­ßig.

»De­cken hab’ ich nicht viel«, sag­te er nach lan­gem Schwei­gen. »Mei­ne In­dia­ner kom­men erst mor­gen früh vom Lin­der­mann­see zu­rück. Sie ha­ben al­les mit­ge­nom­men, was ich ent­beh­ren kann. Aber es wird ge­hen; ich habe noch ein paar di­cke Män­tel, die tun es auch.«

Er kehr­te ihr den Rücken und öff­ne­te einen Wachs­tuch­bal­len. Dann nahm er aus der Klei­der­kis­te zwei Män­tel und warf sie auf die aus­ge­brei­te­ten De­cken.

»Sie sind vom Tin­gel­tan­gel?« frag­te er, schein­bar ganz gleich­gül­tig, als wüss­te er die Ant­wort im vor­aus. Fro­na er­in­ner­te sich an Nip­uh­sas Fluch über die wei­ßen Wei­ber, die ins Land ge­kom­men wa­ren, und plötz­lich er­kann­te sie, in wel­chem Lich­te sie stand.

Er fuhr fort: »Ges­tern Abend wa­ren zwei Tin­gel­tan­gelda­men bei mir, vor­ges­tern drei. Da hat­te ich aber noch mehr Bett­zeug. Merk­wür­dig, all die­se Da­men ha­ben Pech, im­mer ist ihre Aus­rüs­tung ver­lo­ren. Dass die Sa­chen sich wie­der­ge­fun­den hät­ten, habe ich nie ge­hört. Alle sind sie Stars, dar­un­ter tun sie’s nie. Sie sind doch ge­wiss auch ein Star?«

Zu ih­rem Är­ger wur­de Fro­na rot: »Ich bin nicht vom Tin­gel­tan­gel.«

Er brei­te­te ein paar Mehl­sä­cke ne­ben den Ofen aus und mach­te ein zwei­tes Bett zu­recht.

»Aber Ar­tis­tin sind Sie doch?« be­harr­te er.

»Lei­der bin ich kei­ne Ar­tis­tin, ab­so­lut nicht.«

Zum ers­ten Mal schi­en er sie an­zu­se­hen, aber dies­mal auf­merk­sam, vom Kopf bis zu den Fü­ßen. Er ließ sich Zeit zu sei­ner Mus­te­rung.

»Ich bit­te Sie um Ent­schul­di­gung«, sag­te er. »Dann muss ich Ih­nen aber sa­gen, dass Sie eine große När­rin sind. In dies Land kom­men nur zwei Sor­ten Frau­en: die mit ih­ren Män­nern oder Vä­tern, das sind die an­stän­di­gen, und dann die an­de­ren, die man aus Höf­lich­keit Tin­gel­tan­gel-Ster­ne oder Ar­tis­tin­nen nennt. Eine drit­te Sor­te hat hier kei­nen Platz. Wer nicht zur einen oder an­de­ren ge­hört, kommt un­ter die Rä­der. Des­halb sage ich Ih­nen: Sie sind ein sehr dum­mes Mä­del und kön­nen nichts Bes­se­res tun als um­keh­ren, so­lan­ge es mög­lich ist. Ich will Ih­nen einen In­dia­ner bis Dyea mit­ge­ben und Geld für die Rück­rei­se nach den Staa­ten. Sie wer­den von ei­nem Frem­den kein Geld neh­men wol­len, aber es ist ja nur ge­lie­hen. Sie schi­cken mir den Kies zu­rück, wenn es Ih­nen passt.«

Fro­na hat­te ver­sucht, ihn zu un­ter­bre­chen, aber er schnitt ihre Wor­te mit ei­ner Hand­be­we­gung ab.

»Ich dan­ke Ih­nen«, setz­te sie an, aber er un­ter­brach:

»Sie sol­len ge­hor­chen und nicht dan­ken.«

»Ich dan­ke Ih­nen trotz­dem, aber das heißt: dan­ke nein«, be­harr­te sie. »Zu­fäl­lig ir­ren Sie sich so ziem­lich in al­lem. Ich woll­te mei­ne Trä­ger hier in Hap­py Camp tref­fen, sie sind mit Zelt und Bett und al­lem, was der Mensch braucht, ein paar Stun­den vor mir ab­mar­schiert. Ein Boot ist heu­te Nach­mit­tag vom Sturm an die West­küs­te des Kra­ter­sees ver­schla­gen wor­den, dar­in müs­sen mei­ne Leu­te ge­we­sen sein. So kommt es, dass ich wie ein nack­ter Spatz bei Ih­nen her­ein­ge­weht bin. Ihr Rat, ich soll um­keh­ren, ist ge­wiss gut ge­meint, aber mein Va­ter er­war­tet mich in Daw­son. Wir ha­ben uns drei Jah­re lang nicht ge­se­hen. So weit sind Sie hof­fent­lich be­ru­higt, mein Herr Gast­wirt? Dann er­lau­ben Sie freund­lichst, dass ich ein biss­chen zu Bett gehe.«

»Das ist doch un­mög­lich!« rief er, dem plötz­lich be­wusst wur­de, dass er es mit ei­ner jun­gen Dame zu tun hat­te.

»Ja, was denn? Sind etwa in den an­de­ren Zel­ten noch an­de­re Frau­en?«

»Nur in ei­nem Zelt, da sind zwei oder drei … Aber gra­de das ist gar nichts für Sie.«

Er über­leg­te mit An­stren­gung; das Se­gel­lei­nen des Zel­tes bausch­te sich im Sturm, der drau­ßen brüll­te.

»Ein Mann, der heu­te im Frei­en über­nach­ten muss, ist ver­lo­ren«, sag­te er. »Die an­de­ren Zel­te sind über­füllt. Was tut man da? …«

»Vi­el­leicht kann ich heu­te Abend noch nach dem Tie­fen­see kom­men?« frag­te Fro­na, halb mit­lei­dig, halb iro­nisch.

»Sie kön­nen doch un­mög­lich im Dun­keln über den Fluss set­zen!«

»Sie ha­ben of­fen­bar Angst vor mir?«

»Nicht für mich.«

»Also schön, dann geh’ ich ins Bett.«

»Ich blei­be auf und sehe nach dem Feu­er«, sag­te er ge­dehnt.

Fro­na sprang auf und schrie. »Jetzt hab’ ich den Un­sinn aber satt! Sind wir in ei­nem Bür­ger­dorf mit drei Gast­hö­fen, oder sind wir auf dem Weg zum Nord­pol? Ich geh’ zu Bett, und Sie gehn auch zu Bett, und da­mit bas­ta.«

»Gute Nacht«, sag­te sie nach zwei Mi­nu­ten, als sie ihre Glie­der mit Wohl­be­ha­gen in der Wär­me ge­streckt hat­te. Eine Vier­tel­stun­de spä­ter frag­te sie:

»Sind Sie noch wach?«

»Ja, was gibt es?«

»Ha­ben Sie Spä­ne?«

»Was für Spä­ne?«

»Zum Feu­er­an­ma­chen mor­gen früh, na­tür­lich. Sonst ste­hen Sie auf und ma­chen wel­che.«

Er ge­horch­te, ohne zu wi­der­spre­chen, aber sie hör­te nichts mehr …

Als sie die Au­gen auf­schlug, war die Luft voll vom fri­schen Duft ge­bra­te­nen Specks. Die Son­ne fiel durch den auf­ge­schla­ge­nen Zelt­vor­hang her­ein. Drau­ßen zo­gen trupp­wei­se Last­trä­ger vor­bei mit Pfei­fen und Sin­gen. Es tat gut, aus dem war­men Bett her­aus dies eif­ri­ge Le­ben zu se­hen, dann re­kel­te Fro­na sich auf die an­de­re Sei­te und mach­te noch ein­mal die Au­gen zu. Als ihr Wirt Speck und Brat­kar­tof­feln fer­tig hat­te, sag­te er freund­lich:

»Gu­ten Mor­gen, Fräu­lein. Ob Sie gut ge­schla­fen ha­ben, brau­che ich nicht zu fra­gen. Das hab’ ich ge­hört.«

Nach dem Früh­stück lie­ßen sie sich vor dem Zelt die war­me Son­ne auf den Pelz schei­nen. Bald dar­auf bog eine Schar wohl­be­kann­ter Män­ner um den Glet­scher beim Kra­ter­see und mar­schier­te auf Hap­py Camp zu. Sie klatsch­te in die Hän­de.

»Dort kommt mein Ge­päck! Mein Trans­port­füh­rer wird schön die Ohren hän­gen las­sen, aber ich kann ihn trös­ten. Das gan­ze Aben­teu­er war wun­der­schön.«

Sie häng­te sich das Rän­zel und die Ka­me­ra über die Schul­tern und nahm Ab­schied.

»Auf Wie­der­se­hen, lie­ber Gast­wirt, und ha­ben Sie tau­send Dank für al­les.«

»Da ist doch nichts zu dan­ken. Ich täte das­sel­be gern für je­den …«

»… Tin­gel­tan­gels­tern!«

Er sah sie vor­wurfs­voll an und sag­te: »Ich weiß Ihren Na­men nicht und will ihn auch gar nicht wis­sen.«

»So un­ge­recht wol­len wir nicht sein, denn Ihren Na­men ken­ne ich, Herr Van­ce Cor­liss. Ich hab’ ihn näm­lich auf den Ge­päck­zet­teln ge­le­sen. Ich hei­ße Fro­na Wel­se. Auf Wie­der­se­hen!«

Sie mach­te sich im Lauf­schritt auf die Bei­ne.

»Ihr Va­ter ist doch nicht etwa …?« schrie er ihr nach.

Sie wand­te den Kopf: »Na­tür­lich. Und wenn Sie nach Daw­son kom­men, be­su­chen Sie uns!«

Eine Vier­tel­stun­de spä­ter stieß sie auf ihre Ka­ra­wa­ne. Del Bi­shop ließ durch­aus nicht die Ohren hän­gen.

»Gu­ten Mor­gen«, grüß­te er. »Ich sehe Ih­nen an, dass Sie eine fa­mo­se Nacht ge­habt ha­ben, wenn es auch nicht mein Ver­dienst ist.«

»Sie ha­ben sich doch nicht um mich ge­sorgt, Bi­shop?«

»Ge­sorgt? Um eine Wel­se? Nee, da hat­te ich an­de­res zu tun, vor al­lem, dem Kra­ter­see mei­ne Mei­nung ins Ge­sicht zu spu­cken. Ich kann das Was­ser nicht lei­den. Im­mer spielt es mir sol­che Strei­che. Aber Sie müs­sen nicht den­ken, dass ich Angst da­vor habe! Ich kann’s nur nicht lei­den.«

*

Ja­cob Wel­se war Groß­kauf­mann in ei­nem Lan­de, das sonst noch kei­nen Han­del kann­te, ein aus­ge­reif­tes Pro­dukt des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts in ei­ner Ge­sell­schaft, die pri­mi­tiv war wie die der al­ten Van­da­len. Als Mo­no­po­list großen Stils herrsch­te er über die un­ab­hän­gigs­ten Men­schen, die je in ei­nem Win­kel der Welt zu­sam­men­ge­kom­men wa­ren. Als ein Mis­sio­nar der Wirt­schaft pre­dig­te er das Evan­ge­li­um der Zweck­mä­ßig­keit und der Macht. In sei­nem Glau­ben an die na­tür­li­chen Rech­te der Men­schen beug­te er, selbst De­mo­krat, alle un­ter sei­nen star­ken Wil­len. Die Herr­schaft Ja­cob Wel­ses – das war sein un­ge­schrie­be­nes Evan­ge­li­um. Mit sei­nen Hän­den, ganz al­lein, hat­te er ein Reich auf­ge­baut; un­ter sei­nem Kom­man­do ver­brei­te­te sich die Be­völ­ke­rung über ein Ge­biet von hun­dert­tau­send Mei­len Um­fang und zog sich wie­der zu­rück. Städ­te wuch­sen und ver­schwan­den auf sein Ge­bot. Den­noch war er ein Mann aus dem Vol­ke ge­blie­ben. Hier in der Prä­rie hat­te er sei­nen ers­ten Atem­zug ge­tan. Der blaue Him­mel war das Dach über sei­ner Wie­ge ge­we­sen, und die­se Wie­ge hat­te aus ei­nem Bün­del grü­nen Heus be­stan­den.

 

Als er zum ers­ten Mal die Au­gen öff­ne­te, stan­den rings um ihn ge­sat­tel­te Pfer­de, die das Wun­der ei­nes neu­ge­bo­re­nen Men­schen schnup­pernd be­trach­te­ten. Sein Va­ter war Trap­per, er hat­te sei­ne Ka­me­ra­den auf ein paar Stun­den ver­las­sen, da­mit sei­ne Frau Ruhe be­käme, wenn die We­hen an­setz­ten. Zu zweit hat­ten sie sich nie­der­ge­las­sen – ein paar Stun­den spä­ter sa­ßen sie zu dritt wie­der im Sat­tel und hol­ten den Trupp ih­rer Ka­me­ra­den ein. Es war gar kei­ne Zeit ver­geu­det wor­den. Am nächs­ten Mor­gen be­rei­te­te Frau Wel­se wie im­mer das Früh­stück am La­ger­feu­er. Da­nach rit­ten sie bis Son­nen­un­ter­gang, eine Stre­cke von fünf­zig eng­li­schen Mei­len.

Fro­nas Groß­va­ter stamm­te aus der zä­hen Wa­li­ser Ras­se und war in den ers­ten Ta­gen Ohi­os aus dem ge­schäf­ti­gen Os­ten ge­kom­men. Sei­ne Mut­ter war aus al­tem No­ma­den­ge­schlecht, ein Kind iri­scher Aus­wan­de­rer, die sich end­lich in On­ta­rio nie­der­ge­las­sen hat­ten.

Ehe Ja­cob Wel­se noch rich­tig auf den Bei­nen ste­hen konn­te, hat­te er schon tau­send Mei­len Wild­nis zu Pfer­de durch­streift und einen Win­ter hoch im Nor­den, in ei­ner Jagd­hüt­te an der Quel­le des Ro­ten Flus­ses, be­stan­den. Sei­ne ers­te Fuß­be­klei­dung wa­ren Mo­kass­ins ge­we­sen, sein ers­ter Lecker­bis­sen Elchtalg. Für ihn war die Welt eine große, schnee­be­deck­te Ebe­ne, in der In­dia­ner und wei­ße Jä­ger wie sein Va­ter streif­ten. Ein Hau­fen von Zel­ten aus ge­gerb­ten Tier­häu­ten war für ihn der Be­griff »Stadt«, und ein »Fak­tor«, der Lei­ter ei­ner klei­nen Han­dels­sta­ti­on, war für ihn der In­be­griff al­ler All­macht. Flüs­se und Seen dienten den Men­schen als Ver­kehrs­we­ge, die Ber­ge wa­ren Ver­kehrs­hin­der­nis­se. Manch­mal star­ben Men­schen, aber ihr Fleisch taug­te nicht zum Es­sen, und ihre Haut war wert­los. Da­ge­gen war Pelz­werk kost­bar, für ei­ni­ge Pa­cken da­von konn­te man die gan­ze Welt kau­fen. Tie­re exis­tier­ten, da­mit die Men­schen sie jag­ten und ih­nen das Fell ab­zo­gen. Wozu die Men­schen da wa­ren, wuss­te er nicht, es sei denn, weil der Fak­tor sie brauch­te.

Als er äl­ter wur­de, än­der­ten sich die­se Be­grif­fe all­mäh­lich, aber je­der neue Ein­druck ver­ur­sach­te ihm Furcht und Ver­wun­de­rung. Erst als er er­wach­sen war und vie­le Städ­te der Ve­rei­nig­ten Staa­ten durch­wan­dert hat­te, schwand der Aus­druck kind­li­cher Ver­wun­de­rung aus sei­nen Au­gen. Dann wur­de sein Blick scharf und durch­drin­gend.

Bei sei­ner ers­ten Berüh­rung mit Städ­tern hat­te der klei­ne Ja­cob Ver­ach­tung ge­lernt. Das wa­ren wei­bi­sche Men­schen, die sich oft ver­irr­ten und kei­nen Kom­pass im Schä­del hat­ten. Sie er­käl­te­ten sich leicht und hat­ten im Dunklen Angst. Des­halb schlie­fen sie un­ter Dä­chern und ver­schlos­sen nachts ihre Tü­ren. Die Frau­en wa­ren hübsch, aber schwäch­lich. Bei ei­ner gan­zen Ta­ges­rei­se auf Schnee­schu­hen ka­men sie nicht weit. Alle re­de­ten sie von mor­gens bis abends, sie re­de­ten viel zu viel. Des­halb lo­gen sie auch und schaff­ten nichts mit ih­ren Hän­den.

Mit den Jah­ren merk­te Ja­cob Wel­se, ob­wohl er meist in Wäl­dern und Step­pen haus­te, dass die Städ­te doch nicht ganz so übel wa­ren. Je­den­falls konn­te man in ei­ner Stadt le­ben und trotz­dem ein Mann sein. Er war an den Kampf mit der Na­tur ge­wöhnt, jetzt reiz­te ihn der wirt­schaft­li­che Kampf im so­zia­len Le­ben. Die Her­ren der Märk­te und Bör­sen er­schreck­ten ihn, ohne dass ihr Glanz ihn blen­de­te. Er stu­dier­te ihre Metho­den und kam hin­ter das Ge­heim­nis ih­rer Macht. End­lich, als blü­hend jun­ger Manns­kerl, nahm er ein Stadt­mäd­chen zur Frau.

Trotz al­ler Rück­sicht auf die bür­ger­li­che Welt roll­te das Wan­der­blut wei­ter in sei­nen Adern, so­dass er ei­nes Ta­ges am Strand von Dyea lan­de­te, wo er, am Ran­de des Wal­des, das große Block­haus er­bau­te und sei­ne Fak­to­rei er­rich­te­te. Hier fand er den rich­ti­gen Ab­stand zu den Din­gen und er­kann­te, dass die Phä­no­me­ne der Ge­sell­schaft die­sel­ben sind wie die der Na­tur. Hier wie dort kam al­les auf Kampf an. Wett­be­werb war das Ge­heim­nis der Schöp­fung, die Welt war für den Star­ken ge­schaf­fen. Nur der Star­ke konn­te sie be­sit­zen. Le­sen und Schrei­ben hat­te Ja­cob Wel­se bei sei­ner Mut­ter im Schein des La­ger­feu­ers ge­lernt. Dann hat­te er Bü­cher jeg­li­cher Art durch­schmö­kert, ohne sich das Hirn zu über­las­ten. Was er von der ers­ten bis zur letz­ten Sei­te kann­te, war ein­zig das Buch des Le­bens. Er las es mit der Nüch­tern­heit, die man in schwe­rer Ar­beit ge­winnt, und mit ei­ner kla­ren An­schau­ung al­les Ir­di­schen.

Ei­nes Ta­ges hat­te Ja­cob Wel­se den Chil­coot über­schrit­ten und war in un­be­kann­te Wei­ten ver­schwun­den. Ein Jahr dar­auf er­schi­en er bei den rus­si­schen Mis­sio­nen, die um die Mün­dung des Yu­kon her­um am Be­rings­meer la­gen. Drei­tau­send Mei­len weit war er einen Strom hin­ab­ge­reist, hat­te viel ge­se­hen und einen großen Traum ge­träumt. Er sprach nicht da­von, er mach­te sich an die Ar­beit, und ei­nes schö­nen Ta­ges konn­te man einen ge­brech­li­chen Rad­damp­fer bei Fort Yu­kon se­hen, der sei­nen Dampf­pfiff in die Mit­ter­nachts­son­ne schrie. Das war sein An­fang ge­we­sen, Damp­fer um Damp­fer, Un­ter­neh­men um Un­ter­neh­men kam hin­zu. Auf tau­send Mei­len rings er­rich­te­te er an den Strö­men und ih­ren Ne­ben­flüs­sen Spei­cher und Fak­to­rei­en. Er zwang dem Ein­ge­bo­re­nen die Axt des wei­ßen Man­nes in die Hand, und bald er­ho­ben sich in je­dem Dorf und alle zwan­zig Mei­len zwi­schen den Dör­fern lan­ge Brenn­holz­sta­pel für sei­ne Dampf­kes­sel. Spä­ter er­rich­te­te er auf ei­ner In­sel in der Mün­dung des Yu­kon, also fast schon im Be­rings­meer, sei­ne größ­te Fak­to­rei, und bald pflüg­ten sei­ne Oze­an­damp­fer den nörd­li­chen Pa­zi­fik.

In Dut­zen­den von Fi­lia­len, bis San Fran­zis­ko hin­un­ter, sa­ßen sei­ne An­ge­stell­ten und be­sorg­ten nach te­le­gra­fi­schen Or­ders sei­ne großen Ge­schäf­te.

Frü­her hat­te Hun­ger im­mer wie­der die Men­schen ver­trie­ben, die ins Land ka­men, jetzt aber war Ja­cob Wel­se da mit sei­nen Pro­vi­ant­lä­den. So konn­ten sie auch den Win­ter über trotz al­ler Käl­te blei­ben und im ge­fro­re­nen Schlamm nach Gold su­chen. Er er­mu­tig­te, ver­sorg­te sie, gab ih­nen Kre­dit. Aus ei­nem Spei­cher und ei­nem La­den, die er ir­gend­wo in die Wild­nis ge­legt hat­te, wur­de in we­nig Jah­ren eine Stadt. Uner­müd­lich, un­be­zwing­lich, war er über­all zu­gleich und tat al­les, er­schloss neue Fluss­läu­fe und mit den neu­en Fluss­läu­fen neue Pro­vin­zen. Die großen Spe­di­ti­ons­fir­men muss­ten ihm Frach­ter­mä­ßi­gung ge­wäh­ren; mit al­len Mam­mut-Un­ter­neh­mern der Welt stand er in Ver­bin­dung. Er ver­kauf­te pfund­wei­se Mehl und Ta­bak, ein­zel­ne De­cken, ein­zel­ne Ta­bak­pfei­fen, zu­gleich er­bau­te er In­dus­trie­an­la­gen, ließ Bau­plät­ze in Hun­der­ten von Hek­t­aren ver­mes­sen, er­ober­te Kup­fer-, Ei­sen- und Koh­len­gru­ben.

Er trug das Land auf sei­nen Schul­tern, er al­lein leis­te­te alle öf­fent­li­che Ar­beit die­ses Lan­des. Jede Unze Gold­staub ging durch sei­ne Hän­de, jede Post­kar­te, je­der Kre­dit­brief. Er be­sorg­te alle Bank- und Bör­sen­trans­ak­tio­nen, den Post­ver­kehr, die Post­ver­tei­lung. Er jag­te die Kon­kur­renz aus dem Land, ein Schre­cken der Raub­bau trei­ben­den Ka­pi­ta­lis­ten; er bluff­te kampf­be­rei­te Trusts. Es war manch­mal ein hart­nä­cki­ges Rin­gen, aber im­mer fand er den Bluff, der sei­ne Geg­ner ver­nich­te­te. Bei al­le­dem fand er Zeit, an sei­ne mut­ter­lo­se Toch­ter zu den­ken, sie zu lie­ben und für eine Er­zie­hung zu sor­gen, die sei­ner Stel­lung ent­sprach.

3

Ja­cob Wel­se half sei­nem Gast in den Pelz und sprach beim Ab­schied­neh­men:

»Dann sind wir uns also ei­nig, Ka­pi­tän, dass wir den Ernst der Si­tua­ti­on ener­gisch über­trei­ben wol­len! Sie ist ernst ge­nug; wir zwei wol­len ver­hin­dern, dass al­les noch schlim­mer wird. Sie und ich, wir sind bei­de schon mit Hun­ger­s­nö­ten fer­tig ge­wor­den; man muss der Ge­fahr nur recht­zei­tig ins Auge se­hen. Die Leu­te sol­len Angst krie­gen, jetzt schon, nicht erst, wenn es zu spät ist. Sor­gen Sie da­für, dass fünf­tau­send Mann Daw­son ver­las­sen, las­sen Sie die­se Fünf­tau­send weit und breit von der dro­hen­den Hun­gers­not er­zäh­len, da­mit ver­hin­dern wir an­de­re Fünf­tau­send, über das Eis zu uns her­über­zu­kom­men.«

»Sie kön­nen mit der Hil­fe der Po­li­zei rech­nen, Herr Wel­se.«

Der Ka­pi­tän war ein un­ter­setz­ter Mann mit er­grau­en­den Haa­ren und mi­li­tä­ri­scher Hal­tung.

»Sie ha­ben es ja schon so weit ge­bracht, dass die Chechaquos ihre Aus­rüs­tung ver­kau­fen und sich nach Hun­den um­se­hen. So­bald das Eis trägt, ha­ben wir eine rich­ti­ge Aus­wan­de­rung! Wer jetzt sei­nen Pro­vi­ant ver­kauft und fort­zieht, macht uns das Le­ben um einen lee­ren Ma­gen leich­ter und füt­tert zu­gleich einen Mann, der hier­bleibt. Wann geht die ›Lau­ra‹ ab?«

»Heut mor­gen mit drei­hun­dert Mann an Bord! Ich woll­te, es wä­ren drei­tau­send!«

»Gott er­hö­re Ihr Ge­bet! Im üb­ri­gen, wann kommt Ihre Toch­ter an?«

Bei die­sem The­ma wur­den Ja­cob Wel­ses Au­gen warm.

»Sie kann jede Stun­de ein­tref­fen. Wenn sie erst da ist, müs­sen Sie oft zum Es­sen zu uns kom­men und ein paar net­te Jun­gens aus den Ba­ra­cken mit­brin­gen. Ich ken­ne nicht all die Na­men, aber sa­gen Sie je­dem, den Sie ein­füh­ren wol­len, dass die Ein­la­dung von mir per­sön­lich kom­me. Ich hat­te ja nie viel Zeit für Ge­sell­schaft, aber sor­gen Sie ein biss­chen da­für, dass das Mä­del sich amü­siert. Sie kommt ge­ra­des­wegs aus den Staa­ten und aus Lon­don und soll sich hier nicht ganz ver­ein­samt füh­len.«

Die Tür ging auf.

»Herr Fos­ter lässt fra­gen, ob er wei­ter Lie­fer­schei­ne aus­fül­len soll?«

»Ja­wohl, Herr Smith. Aber er soll al­les auf die Hälf­te her­ab­set­zen. Wer einen Schein auf tau­send Pfund hat, be­kommt nur für fünf­hun­dert Ware.«

»Ja­wohl, Herr Wel­se.«

Dann kam ein an­de­rer An­ge­stell­ter.

»Ka­pi­tän McGre­gor möch­te mit Ih­nen spre­chen.«

»He­rein mit ihm!«

Man sah es dem Schiffs­ka­pi­tän an, dass er von Kind an die raue Hand der neu­en Welt ge­spürt hat­te. Sie hat­te ihn hart ge­k­ne­tet, aber sein grim­mi­ges Ge­sicht sprach von un­be­stech­li­cher Ehr­lich­keit, und zu­gleich sah man ihm an, dass mit ihm nicht gut Kir­schen es­sen war. Sein breit vor­ste­hen­des Bo­xer­kinn, die ge­bro­che­ne schie­fe Nase und eine große Nar­be, die quer über sei­ne Stirn lief, be­wie­sen, wie oft er sei­nen Mann ge­stan­den hat­te.

»In ei­ner Stun­de wer­fen wir los, Herr Wel­se. Bit­te Ihre letz­ten Or­ders.«

»Schön, Ka­pi­tän. Ich habe die­sen Win­ter eine an­de­re Ver­wen­dung für Sie im Auge, aber lei­der müs­sen Sie jetzt doch mit der ›Lau­ra‹ fah­ren. Kön­nen Sie ra­ten, warum?«

»Es wird Krach ge­ben«, sag­te Ka­pi­tän McGre­gor, und um die Run­zeln sei­ner Schlä­fen spiel­te so et­was wie Lä­cheln.

»Je­den­falls eine Auf­ga­be, für die es kei­nen bes­se­ren Mann gibt als Sie. Bal­ly wird Ih­nen noch ge­naue In­struk­tio­nen ge­ben. Aber so­viel kann ich Ih­nen gleich sa­gen: wir müs­sen den Leu­ten sol­che Angst ma­chen, dass sie aus dem Lan­de ver­schwin­den, sonst wird in Fort Yu­kon bald je­des Pfund Pro­vi­ant mit Gold auf­ge­wo­gen. Ver­stan­den?«

»Ja­wohl!«

»Also kei­ne Ver­schwen­dung dul­den. Zu­nächst neh­men Sie drei­hun­dert Mann mit fluss­ab­wärts, wahr­schein­lich kom­men dop­pelt so vie­le nach, so­bald das Eis trägt. Sie wer­den den Win­ter über tau­send Mäu­ler durch­zu­füt­tern ha­ben. Set­zen Sie alle auf Ra­tio­nen und sor­gen Sie da­für, dass ge­ar­bei­tet wird. Brenn­holz sechs Dol­lar den Klaf­ter. Las­sen Sie es am Ufer auf­sta­peln, wo der Damp­fer an­le­gen kann. Wer nicht ar­bei­tet, be­kommt nichts zu es­sen. Ver­stan­den?«

 

»Ja­wohl!«

»Tau­send Mann kön­nen un­an­ge­nehm wer­den, wenn sie mü­ßig ge­hen. Kön­nen so­gar sehr un­an­ge­nehm wer­den. Pas­sen Sie auf, dass sie die De­pots nicht stür­men. Ge­schieht et­was der­glei­chen, dann ken­nen Sie Ihre Pf­licht.«

Der Ka­pi­tän nick­te grim­mig.

»Fünf Damp­fer ste­cken im Eis. Sie ha­ben da­für zu sor­gen, dass sie in Ord­nung sind, wenn im Früh­ling das Eis auf­bricht. Aber zu­erst schaf­fen Sie alle La­dun­gen in ein großes De­pot. Das kön­nen Sie leich­ter ver­tei­di­gen. Ma­chen Sie das De­pot was­ser­dicht. Su­chen Sie sich die rech­ten Leu­te her­aus, die mit ei­nem Ge­wehr um­ge­hen kön­nen. Ver­ges­sen Sie nicht: wenn es hart auf hart geht, hat der ge­won­nen, der zu­erst schießt.«

Als der Ka­pi­tän weg­trat, wur­de Herr John Mel­ton ge­mel­det, aber er folg­te dem Kon­to­ris­ten auf den Fer­sen, um nicht ab­ge­wie­sen zu wer­den. Er schnauf­te wie ein zor­ni­ges Nas­horn und hielt dem Chef der Kom­pa­nie ein Pa­pier vor die Nase.

»Le­sen Sie das! Was soll das be­deu­ten, zum Hen­ker?«

Ja­cob Wel­se warf einen Blick auf das Pa­pier.

»Tau­send Pfund Pro­vi­ant.«

»Na also! Sagt mir der Kerl im Spei­cher, es gilt nur für fünf­hun­dert!«

»Das stimmt.«

»Aber …«

»Es lau­tet auf tau­send Pfund, aber wir kön­nen nur fünf­hun­dert dar­auf lie­fern.«

»Ist das Ihre Un­ter­schrift hier? Ist das, schwarz auf weiß, Ihr Name?«

»Ja.«

»Also, was wer­den Sie tun?«

»Ih­nen fünf­hun­dert ge­ben. Und was wer­den Sie tun?«

»Die An­nah­me ver­wei­gern.«

»Gut. Dann brau­chen wir nicht wei­ter zu re­den.«

»Doch! Dann will ich Ih­nen noch sa­gen, dass wir bei­de ge­schie­de­ne Leu­te sind. Ich bin reich ge­nug, um mein Ge­päck selbst über die Päs­se zu ver­frach­ten, und das wer­de ich nächs­tes Jahr tun. Schluss mit Ih­nen.«

»Da­ge­gen kann ich nichts ma­chen. Sie ha­ben drei­hun­dert­tau­send Dol­lar in Gold­staub bei mir ste­hen. Ge­hen Sie an die Kas­se, und las­sen Sie sie sich aus­zah­len.«

Mel­ton ging in ohn­mäch­ti­ger Wut auf und ab.

»Herr­gott, Mann! Ich hab’ doch für das Gan­ze be­zahlt. Wol­len Sie mich etwa ver­hun­gern las­sen?«

»Hö­ren Sie zu, Mel­ton.« Ja­cob Wel­se mach­te eine Pau­se. Dann frag­te er lang­sam: »Worum han­delt es sich in die­sem Au­gen­blick? Was ver­lan­gen Sie?«

»Mei­ne tau­send Pfund Pro­vi­ant!«

»Für Ihren ei­ge­nen Ma­gen?«

Der Mi­nen­kö­nig nick­te.

»Se­hen Sie, Mel­ton, Sie ar­bei­ten für Ihren ei­ge­nen Ma­gen und ver­lie­ren die Ner­ven wie ein Chechaquo. Ich ar­bei­te für zwan­zig­tau­send Mä­gen!«

»Aber Timm Red­dy ha­ben Sie noch ges­tern ohne Zö­gern für tau­send Pfund ge­ge­ben!«

»Die Ra­tio­nie­rung ist erst heu­te in Kraft ge­tre­ten.«

»Aber warum soll ge­ra­de ich dar­un­ter lei­den?«

»Weil Sie erst heu­te ge­kom­men sind und Timm Red­dy ges­tern.«

Ja­cob Wel­se sah in Mel­tons ver­ständ­nis­lo­ses Ge­sicht und zuck­te die Ach­seln.

»Es wird kei­ner vor­ge­zo­gen. Ob Sie eine lum­pi­ge Ak­tie von den Bo­nan­za-Mi­nen oder ein dickes Pa­ket Ak­ti­en ha­ben, das gibt Ih­nen kein An­recht auf ein ein­zi­ges Pfund mehr Fut­ter, als der äl­tes­te, ärms­te Ar­bei­ter oder der kleins­te Säug­ling be­kommt. Hun­gern wer­den Sie nicht, so­lan­ge ich die Zü­gel füh­re. Das ver­spre­che ich Ih­nen. Mehr ver­spre­che ich Ih­nen aber nicht. So, al­ter Freund, und jetzt ge­ben Sie mir die Hand, und da­mit Schluss.«

Nach dem Bo­nan­za-Kö­nig kam ein schlott­ri­ger Yan­kee her­ein­ge­schlurft, an­gel­te mit dem in ei­nem Mo­kas­sin ste­cken­den Fuß einen Stuhl her­an und setz­te sich ver­trau­lich nie­der.

»Hal­lo, Dave, sind Sie es?«

»Na­tür­lich bin ich’s, Wel­se. Hö­ren Sie, die Ge­schich­te mit dem Pro­vi­ant hat den Leu­ten einen Schre­cken ein­ge­jagt, der ist nicht von schlech­ten El­tern. Es wird eine tüch­ti­ge Ab­wan­de­rung wer­den, so­bald der Fluss zu­friert.«

»Das freut mich zu hö­ren. Wol­len Sie mit­ma­chen?«

»Ich? Ich den­ke nicht dran! Hab’ mein Zeugs ges­tern schon nach der Mine ver­frach­tet. War auch höchs­te Zeit. Aber stel­len Sie sich vor, Wel­se, was mit mei­nem Zu­cker pas­siert ist! Hat­te den gan­zen Vor­rat auf dem letz­ten Schlit­ten, und ge­ra­de der hat den Ein­fall, durchs Eis zu bre­chen! Wis­sen Sie, ge­ra­de da, wo der Weg von Klon­di­ke nach Bo­nan­za ab­ga­belt. So was ist mir doch noch nicht pas­siert, der al­ler­letz­te Schlit­ten und all mein Zu­cker! Des­halb bin ich jetzt hier. Hun­dert Pfund oder so müs­sen Sie mir ge­ben. Wei­ßen oder brau­nen – es kommt nicht drauf an.«

Ja­cob Wel­se schüt­tel­te lä­chelnd den Kopf, Dave Har­ney rück­te sei­nen Stuhl noch nä­her an ihn her­an.

»Ihr Kom­mis drau­ßen sagt, es hät­te kei­nen Zweck, ihn zu pla­gen. Schön, sage ich, dann schau’ ich selbst mal beim Chef her­ein. Sie kön­nen mei­net­we­gen dop­pel­te Prei­se neh­men … ich zah­le.«

Als er die ab­leh­nen­de Hal­tung Wel­ses spür­te, wur­de er im­mer dring­li­cher.

»Erin­nern Sie sich an die Bon­bons, die ich Ih­nen da­mals am Pre­a­cher-Creek ge­macht habe? Ja, das ist auch schon wie­der sechs Jah­re her. Herr­gott, wie die Zeit läuft! Wenn nicht mehr, ich glau­be so­gar sie­ben! Also, Sie wis­sen doch: eher kann ich auf Ta­bak und Schnaps ver­zich­ten als auf mei­nen Süß­kram. Ich kann ein­fach nicht! Es ist ein schreck­li­cher Zu­stand. Heraus mit dem Zu­cker, Wel­se! Mei­ne Hun­de ste­hen drau­ßen, Sie fah­ren gleich mit mir nach dem Spei­cher! Fa­mo­se Idee, was?«

»Nein.«

»Ich will ja nicht hap­pig sein, Wel­se. Wenn Sie knapp sind, will ich mich mit 75 be­gnü­gen. Wel­se, Wel­se … ge­ben Sie mir nur fünf­zig! Ich ver­ste­he Ihre Lage, ich bin ja nicht der Mann, der einen an­de­ren Mann quält.«

»Nicht so­viel Wor­te, Dave! Wir ha­ben nicht ein ein­zi­ges Pfund Zu­cker üb­rig!«

»Ich bin doch kein Gier­schlund, ge­ben Sie mir fünf­und­zwan­zig!«

»Kei­ne Unze!«

»Also dann ver­ges­sen Sie, dass ich Sie über­haupt um Zu­cker ge­be­ten habe. Nur kei­nen Streit. Ich kom­me wie­der, wenn Sie bes­se­rer Lau­ne sind.«

Er über­leg­te, wie er die­se bes­se­re Lau­ne her­bei­füh­ren könn­te.

»Hö­ren Sie das Pfei­fen von der ›Lau­ra‹? Sie geht gleich ab. Kom­men Sie mit.«

Ja­cob Wel­se zog sich Pelz und Faust­hand­schu­he an, und sie gin­gen zu­sam­men durch eine lan­ge Rei­he von Kon­to­ren in den La­den. Wohl zwei­hun­dert Käu­fer stan­den vor den The­ken, aber der Raum war so groß, dass sie kein Ge­drän­ge ver­ur­sach­ten. Alle Ge­sich­ter wa­ren ernst, vie­le sa­hen den Chef des Hau­ses wü­tend an. Al­les wur­de ver­kauft, nur kei­ne Le­bens­mit­tel! Und ge­ra­de Le­bens­mit­tel brauch­ten sie.

»Preis­trei­be­rei, das Gan­ze! Wenn die Hun­ger­prei­se erst er­reicht sind, wird die Ware schon auf den Markt kom­men!« sag­te laut ein rot­bär­ti­ger Gold­grä­ber. Ja­cob Wel­se hör­te es, aber er nahm kei­ne No­tiz da­von. Das wür­de er noch oft und in viel grö­be­rem Ton hö­ren, ehe die Kri­se vor­über war.

Auf dem Bür­ger­steig blieb er ste­hen und las die Mit­tei­lun­gen, die vor sei­nem Hau­se an­ge­schla­gen wa­ren. Ent­lau­fe­ne Hun­de, zu­ge­lau­fe­ne Hun­de, ver­käuf­li­che Hun­de, vor al­lem Ver­kaufs­an­zei­gen für Aus­rüs­tun­gen. Pro­vi­ant von fünf­hun­dert Pfund Ge­wicht wur­de zu ei­nem Dol­lar das Pfund an­ge­bo­ten – den Ängst­li­chen war der Schreck schon in die Glie­der ge­fah­ren! Wel­se sah Mel­ton im Ge­spräch mit ei­nem be­sorg­ten Neu­ling. Die zu­frie­de­ne Mie­ne des Bo­nan­za-Kö­nigs be­wies, dass es ihm schon ge­glückt war, sein De­pot für den Win­ter zu er­gän­zen.