Jack London – Gesammelte Werke

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»Kennst du ihn?« frag­te Bil­ly sie.

Sie nick­te nur, ob­wohl sie gern tau­send An­kla­gen ge­gen die­sen Mann hin­aus­ge­schri­en hät­te, der sie so hart­nä­ckig ver­folg­te. Bil­ly wand­te sich jetzt zu dem Schmied.

»Hör, Ge­nos­se, du willst dich doch nicht mit mir schla­gen. Wa­rum auch? Das Mä­del hat wohl selbst auch noch ein Wört­chen da­bei mit­zu­re­den.«

»Nein. Das geht nur uns bei­de an!«

Bil­ly schüt­tel­te be­son­nen den Kopf. »Nein, das stimmt nicht. Ich den­ke, dass sie auch ein Wört­chen da­bei mit­zu­re­den hat.«

»Schön, dann sag’ es«, knurr­te Long, zu Sa­xon ge­wandt. »Mit wem willst du dich zu­sam­men­tun? Mit mir oder ihm? Ent­schei­de es.«

Statt zu ant­wor­ten, leg­te Sa­xon ihre freie Hand auf die, die auf Bil­lys Arm ruh­te.

»Ja, dann ist die Sa­che wohl er­le­digt«, mein­te Bil­ly.

Long starr­te zu­erst Sa­xon, dann ih­ren Be­schüt­zer an.

»Ich hät­te schon Lust, die Sa­che ge­le­gent­lich mit dir aus­zu­tra­gen«, knurr­te er zwi­schen den Zäh­nen.

Sie wand­ten sich zum Ge­hen, und Sa­xon war stolz. Sie hat­te nicht das Schick­sal Lily San­der­sons er­lit­ten. Die­ser herr­li­che Mann, der da­bei ein Jun­ge war, hat­te, ohne auch nur mit Schlä­gen zu dro­hen, den großen Schmied mit sei­ner Be­son­nen­heit und Uner­schüt­ter­lich­keit be­siegt.

»Er hat sich mir über­all auf­ge­drängt«, flüs­ter­te sie Bil­ly zu. »Er hat sich vor­ge­nom­men, mich mür­be zu ma­chen, und hat al­len, die mir nur in die Nähe ka­men, die Köp­fe zer­schla­gen. Ich möch­te ihn nie wie­der­se­hen.«

Bil­ly blieb so­fort ste­hen. Long, der sich noch nicht recht ent­schlie­ßen konn­te zu ge­hen, stand auch still.

»Sie sagt, dass sie nichts mehr mit dir zu tun ha­ben will. Und was sie sagt, das gilt. Wenn ich je höre, dass du sie auch nur mit ei­nem Mucks ge­nierst, dann kannst du was er­le­ben. Ver­stan­den?«

Long warf ihm einen wü­ten­den Blick zu, sag­te aber nichts.

»Ver­stan­den?« wie­der­hol­te Bil­ly ge­bie­te­risch.

Der Schmied ließ ein be­stä­ti­gen­des Knur­ren hö­ren.

»Schön. Dann ver­giss es auch nicht. Und jetzt mach, dass du weg­kommst, sonst tre­te ich dich auf die Füße.«

Long trot­te­te un­ter un­ar­ti­ku­lier­ten Dro­hun­gen ab, und Sa­xon ging wie in ei­nem Traum wei­ter. Char­ley Long hat­te klein bei­ge­ge­ben. Er hat­te Angst vor die­sem blau­äu­gi­gen, glat­thäu­ti­gen Jun­gen. Der hat­te sie von ihm be­freit – hat­te ge­tan, was kein an­de­rer Mann für sie ver­sucht hat­te. Und sie ge­fiel Bil­ly bes­ser als Lily San­der­son.

Zwei­mal mach­te Sa­xon einen Ver­such, Bil­ly die Ein­zel­hei­ten ih­rer Be­kannt­schaft mit Long zu er­zäh­len, aber bei­de Male un­ter­brach er sie.

»Ich pfei­fe dar­auf«, sag­te Bil­ly das zwei­te­mal. »Du bist ja hier, nicht wahr?« Aber sie be­harr­te bei ih­rer Ab­sicht, und als sie end­lich er­regt und er­bit­tert über ihre ei­ge­ne Ge­schich­te schloss, strei­chel­te er ihr trös­tend die Hand.

»Lass es gut sein, Sa­xon«, sag­te er. »Er ist ein rich­ti­ger Strolch. Ich habe ihn gleich, als ich ihn sah, rich­tig ein­ge­schätzt. Aber er wird dich nicht mehr be­läs­ti­gen. Ich ken­ne die Sor­te. Die bellt nur. Aber sich schla­gen! Er könn­te sich nicht ein­mal mit ei­nem Milch­wa­gen schla­gen.«

»Aber wie machst du es nur?« frag­te sie, und ihr Atem ging schnel­ler. »Wa­rum fürch­ten dich alle Män­ner? Das ist di­rekt wun­der­bar.«

Er lä­chel­te mit leich­ter Ver­le­gen­heit und kam auf et­was an­de­res zu spre­chen.

»Weißt du«, sag­te er, »dei­ne Zäh­ne ge­fal­len mir so gut. Sie sind so weiß und gleich­mä­ßig und nicht groß. Aber du hast auch nicht sol­che win­zi­gen Kin­der­zäh­ne. Sie sind – sie sind ganz wie sie sein sol­len, und sie pas­sen groß­ar­tig zu dir. Sie sind zum Fres­sen.«

Ge­gen Mit­ter­nacht bra­chen Bil­ly und Sa­xon auf und ver­ab­schie­de­ten sich von Bert und Mary, den bei­den Uner­müd­li­chen, die nie ge­nug tan­zen konn­ten. Bil­ly hat­te vor­ge­schla­gen, so früh zu ge­hen, und es dräng­te ihn, ihr den Grund zu er­klä­ren.

»Das habe ich von den Bo­xern ge­lernt«, sag­te er. »Auf mich zu ach­ten. Man kann nicht den gan­zen Tag ar­bei­ten und die gan­ze Nacht ar­bei­ten und da­bei in Form blei­ben. Das ist das­sel­be, wie wenn man trinkt. Nicht, dass ich ein En­gel bin. Ich bin so be­trun­ken ge­we­sen wie nur ei­ner, und ich lie­be Bier – mas­sen­haft. Aber ich trin­ke nicht so viel, wie ich gern möch­te. Ich habe es ver­sucht, aber es lohnt sich nicht. Nimm zum Bei­spiel den großen Strolch, der heu­te mit uns an­bän­del­te. Er ist ein Hund durch und durch, aber er hat Bier­blut. Dar­über war ich mir klar, so­bald er uns an­rem­pel­te.«

»Aber er ist so groß«, pro­tes­tier­te Sa­xon. »Ach, sei­ne Hän­de sind si­cher dop­pelt so groß wie dei­ne.«

»Das hat nichts zu sa­gen. Es kommt le­dig­lich dar­auf an, was hin­ter den Fäus­ten steckt. Er wür­de wie ein wü­ten­der Stier drauf­los­ge­hen. Vi­el­leicht könn­te ich ihn nicht gleich zu Bo­den schla­gen. Aber ich brauch­te ihn mir nur vom Lei­be zu hal­ten, ihn zu er­mü­den und ab­zu­war­ten. Auf ein­mal wür­de er ex­plo­die­ren – in Stücke ge­hen, ver­stehst du. Und dann hät­te ich ihn, wo ich woll­te, und das weiß er sel­ber gut. Das ist das Ge­heim­nis.«

»Du bist der ein­zi­ge Bo­xer, den ich je ge­kannt habe«, sag­te Sa­xon nach ei­ner Pau­se.

»Ich bin es nicht mehr«, wand­te er schnell ein. »Es lohnt sich nicht. Man trai­niert, bis man so fein wie Sei­de ist – bis man die rei­ne Sei­de ist, in Haut und al­lem, und man glaubt, hun­dert Jah­re le­ben zu kön­nen. Und dann geht man ei­nes schö­nen Ta­ges mit ir­gend­ei­nem zä­hen Kerl in den Ring, der eben­so gut ist wie man sel­ber – zwan­zig Run­den – und in die­sen zwan­zig Run­den setzt man all sei­ne Sei­de zu und wirft ein Jahr sei­nes Le­bens weg. Ja, manch­mal setzt man fünf Jah­re sei­nes Le­bens oder die Hälf­te zu, oder ver­braucht al­les auf ein­mal. Ich habe mei­ne Au­gen ge­braucht, ich habe Bur­schen, so stark wie Stie­re, ster­ben se­hen, ehe ein Jahr um war, an Schwind­sucht oder Nie­ren­krank­heit oder der­glei­chen. Wel­che Freu­de hat man da­von? Geld kann nicht er­set­zen, was man ver­liert. Sieh, das ist der Grund, dass ich das Bo­xen auf­gab und mich ent­schloss, Kut­scher zu blei­ben. Ich habe mei­ne Sei­de und ge­den­ke, sie zu be­hal­ten, das ist al­les.«

»Es muss ein stol­zes Ge­fühl sein, zu wis­sen, dass man den an­de­ren Män­nern über­le­gen ist«, sag­te sie sanft und war selbst stolz auf sei­ne Kraft und Tüch­tig­keit.

»Das ist es«, gab er frei­mü­tig zu. »Ich freue mich, dass ich da­mit an­fing, eben­so wie ich mich jetzt freue, dass ich’s wie­der auf­gab. Ja, ja, ich habe al­ler­lei da­bei ge­lernt – die Au­gen of­fen und den Kopf klar zu hal­ten. Das Bo­xen lehr­te mich, Dampf zu spa­ren und nichts zu tun, was ich hin­ter­her be­reu­te.«

»Ach, du bist der netts­te und fried­lichs­te Mann, den ich je ge­kannt habe«, warf sie ein.

»Glaub das nicht. Pass nur auf, und du wirst se­hen, ge­le­gent­lich über­wäl­tigt mich das Böse, dass ich nicht weiß, was ich tue. Ach, wenn ich erst los­ge­las­sen bin, bin ich schlim­mer als der schlimms­te Teu­fel.«

Die­ses still­schwei­gen­de Ver­spre­chen, ihre Be­kannt­schaft fort­zu­set­zen, ließ Sa­x­ons gan­ze Ge­stalt von Freu­de er­schau­ern.

»Sag«, mein­te er, als sie in die Nähe ih­rer Woh­nung ka­men. »Was machst du Sonn­tag?«

»Nichts. Ich habe mir noch nichts vor­ge­nom­men.«

»Schön, was meinst du dazu, mit mir eine Wa­gen­fahrt in die Ber­ge zu ma­chen?«

Sie ant­wor­te­te nicht gleich, denn einen Au­gen­blick lang hat­te sie eine Vi­si­on, wie einen Alp­druck, sie sah ihre letz­te Aus­fahrt, ih­ren Schre­cken, ih­ren Sprung aus dem Wa­gen und den mei­len­wei­ten Heim­weg, in der Dun­kel­heit stol­pernd in ih­ren dünn­soh­li­gen Schu­hen, die die Stei­ne fast bei je­dem Schritt durch­schnit­ten. Aber dann ging es wie eine Freu­den­wo­ge durch ihre See­le bei dem Ge­dan­ken, dass die­ser Mann ne­ben ihr nicht so war.

»Ich lie­be Pfer­de«, sag­te sie. »Ich lie­be sie fast mehr als Tan­zen, aber ich ver­ste­he nichts von ih­nen. Mein Va­ter hat­te einen großen Rot­schim­mel als Streitross. Er war Ritt­meis­ter, weißt du. Ich habe ihn nie ge­se­hen, aber mir scheint im­mer, ich müss­te ihn auf dem großen Pfer­de se­hen, eine Schär­pe um den Leib und einen Sä­bel an der Sei­te. Mein Bru­der Ge­or­ge hat den Sä­bel, aber Tom – das ist der Bru­der, bei dem ich woh­ne – Tom sagt, dass er mir ge­hört, weil es nicht sein Va­ter war. Siehst du, sie sind nur mei­ne Halb­brü­der. Ich bin das ein­zi­ge Kind aus der zwei­ten Ehe mei­ner Mut­ter. Es war ihre rich­ti­ge Ehe – ihre Lie­bes­e­he, mei­ne ich.«

Sa­xon hielt plötz­lich inne, ver­le­gen über ihre ei­ge­ne Red­se­lig­keit; und doch war es so ver­lo­ckend, die­sem jun­gen Mann von sich zu er­zäh­len, denn all die­se fer­nen Erin­ne­run­gen wa­ren ja ein so großer Teil von ihr sel­ber.

»Er­zähl mir mehr da­von«, er­mun­ter­te Bil­ly sie. »Ich höre so gern von al­ten Ta­gen. Mei­ne Fa­mi­lie hat auch al­les mit­ge­macht, und ich habe bei­na­he das Ge­fühl, dass es eine bes­se­re Welt war als die, in der wir jetzt le­ben. Al­les war ein­fa­cher und na­tür­li­cher, ich weiß nicht recht, wie ich es aus­drücken soll. Aber ich mei­ne un­ge­fähr so: Ich ver­ste­he das Le­ben heu­te nicht, alle die­se Ge­werk­schaf­ten und Ar­beit­ge­ber­ver­bän­de und Streiks und die schwe­ren Zei­ten und die Jagd nach Ar­beit. Al­les das. So war es frü­her nicht. Da wa­ren sie alle Bau­ern, schos­sen selbst ihr Wild, hat­ten ge­nug zu es­sen und sorg­ten gut für die Al­ten. Aber jetzt ist es ein Durchein­an­der, das ich nicht ver­ste­he. Vi­el­leicht bin ich nur dumm, ja, was weiß ich? Aber das ist auch ei­ner­lei – lass mich mehr von dei­ner Mut­ter hö­ren.«

 

»Ja, siehst du, als sie noch ganz jung war, ge­wan­nen sie und Ka­pi­tän Brown sich lieb. Er war da­mals Sol­dat. Es war vor dem Krieg. Und er wur­de gleich nach Os­ten in den Krieg kom­man­diert, wäh­rend sie für ihre Schwes­ter Lau­ra sor­gen muss­te. Und dann kam die Nach­richt, dass er bei Shi­loh ge­fal­len war. Und sie hei­ra­te­te einen Mann, der sie seit vie­len, vie­len Jah­ren lieb­te. Er war als Kna­be in dem­sel­ben Wa­gen­zug wie sie über die Prä­rie ge­zo­gen. Sie hat­te ihn gern, lieb­te ihn aber nicht. Und spä­ter er­fuhr sie dann, dass mein Va­ter gar nicht ge­fal­len war. Das mach­te sie sehr schwer­mü­tig, ver­nich­te­te aber nicht ihr Le­ben. Sie war eine gute Mut­ter und eine gute Gat­tin, aber sie war im­mer schwer­mü­tig, sanft und freund­lich, und ich glau­be, ihre Stim­me war die schöns­te von der Welt.«

»Ja, sie muss pracht­voll ge­we­sen sein«, gab Bil­ly zu.

»Und mein Va­ter hei­ra­te­te nie. Er lieb­te sie im­mer noch. Ich habe zu Hau­se ein herr­li­ches Lie­bes­ge­dicht, das er ihr ge­macht hat. Es ist ge­ra­de­zu wun­der­voll, und es klingt wie Mu­sik. Nun und dann, nach lan­ger Zeit, starb ihr Mann, und da gin­gen sie und mein Va­ter ihre Lie­bes­e­he ein. Sie hei­ra­te­te erst 1882, und da war sie nicht mehr jung.«

Sie er­zähl­te ihm noch mehr, wäh­rend sie an der Pfor­te stan­den, und nach­her ver­such­te sie sich ein­zu­re­den, dass der Gu­te­nacht­kuss ein ganz klein we­nig län­ger ge­dau­ert hät­te als sonst.

»Sa­gen wir also um neun?« frag­te er über die Pfor­te hin­weg. »Küm­me­re dich nicht um Früh­stück und der­glei­chen. Da­für sor­ge ich schon. Sei nur um neun Uhr be­reit.«

*

Am Sonn­tag­mor­gen war Sa­xon viel zu früh fer­tig, und als sie zum zwei­ten Mal aus dem Fens­ter ge­se­hen hat­te und wie­der in die Kü­che trat, be­gann Sa­rah einen ih­rer üb­li­chen An­grif­fe.

»Es ist ein Skan­dal, dass ge­wis­se Leu­te sich im­mer sei­de­ne St­rümp­fe leis­ten kön­nen«, be­gann sie. »Sieh mich an, ich schin­de mich den gan­zen Tag und be­kom­me nie sei­de­ne St­rümp­fe – oder Schu­he, gleich drei Paar auf ein­mal. Aber es gibt einen Gott im Him­mel, und ge­wis­se Leu­te wer­den noch mäch­ti­ge Über­ra­schun­gen er­le­ben, wenn am Jüngs­ten Tage je­der kriegt, was ihm zu­kommt.« Sa­xon mach­te sich dar­an, ei­nem der klei­nen Mäd­chen ein ro­tes Sei­den­band ins Haar zu flech­ten. Sa­rah ru­mor­te in der Kü­che her­um, wusch auf und räum­te den Früh­stücks­tisch ab. Mit ei­nem tie­fen Seuf­zer dreh­te sie sich von der Auf­wä­sche um und blick­te Sa­xon zor­nig und kampf­be­reit an.

»Du sagst nichts – was? Und warum sagst du nichts? Weil du noch ein biss­chen Scham im Lei­be hast – he – mit ei­nem Bo­xer zu lau­fen. O ja, ich habe schon ge­hört, was du und Bill Ro­berts ma­chen. Ein schö­ner Kerl ist er. Aber wart nur, sage ich dir. Wart nur, bis Char­ley Long ihn er­wi­scht.«

»Na, ich weiß nicht«, leg­te Tom sich da­zwi­schen. »Bill Ro­berts ist, so­viel ich weiß, ein bra­ver Kerl.«

Sa­xon lä­chel­te, und Sa­rah, die ihr Lä­cheln be­merk­te, wur­de zor­nig.

»Wa­rum nimmst du Char­ley Long nicht? Er ist ver­rückt nach dir, und er ist ein net­ter, nüch­ter­ner Mann.«

»Ach, er trinkt wohl das Bier, das er ha­ben will – und noch et­was dazu«, ant­wor­te­te Sa­xon.

»Das tut er«, er­gänz­te ihr Bru­der, »und ich weiß be­stimmt, dass er im­mer ein Fass zu Hau­se lie­gen hat.«

»Dann hast du wohl ge­hol­fen, es aus­zu­trin­ken«, fauch­te Sa­rah.

»Vi­el­leicht«, sag­te Tom und wisch­te sich den Mund mit dem Han­drücken.

»Aber er kann es sich wohl auch leis­ten, zu Hau­se ein Fass lie­gen zu ha­ben, wenn er Lust dazu hat.« Hier­mit wapp­ne­te Sa­rah sich zu ei­nem neu­en An­griff, der dies­mal eben­so­sehr ge­gen ih­ren Mann ge­rich­tet war. »Er be­zahlt sei­ne Rech­nun­gen und ver­dient viel Geld – mehr als ge­wis­se an­de­re.«

»Ja, und er braucht nicht für Frau und Kin­der zu sor­gen«, sag­te Tom.

»Und hat auch nicht die ewi­gen Ab­ga­ben an die Ge­werk­schaf­ten zu zah­len, von de­nen man doch nichts hat.«

»Nun ja«, mein­te Tom gut­mü­tig. »Er wür­de ver­flucht we­nig in sei­ner Werk­statt und in al­len an­de­ren Werk­stät­ten zu tun ha­ben, wenn er sich nicht gut mit den Schmie­den stell­te. Du ver­stehst dich nicht auf Ar­bei­ter­ver­hält­nis­se, Sa­rah. Die Ge­werk­schaf­ten müs­sen er­hal­ten wer­den, wenn die Ar­bei­ter nicht vor Hun­ger kre­pie­ren sol­len.«

»Ja – selbst­ver­ständ­lich«, schnüf­fel­te Sa­rah. »Ich ver­ste­he nichts, nein. Ich bin ein Idi­ot. Sag das nur, dass die Kin­der es hö­ren.« Sie wand­te sich wü­tend zu dem Äl­tes­ten, der er­schro­cken die Flucht er­griff. »Wil­lie, dei­ne Mut­ter ist ver­rückt. Ver­stehst du? Dein Va­ter sagt, dass ich ver­rückt bin – sagt es mir und euch mit rei­nen Wor­ten ge­ra­de ins Ge­sicht.«

Der Kna­be be­gann, von dump­fer Angst vor ir­gend­ei­ner un­be­stimm­ten und un­be­re­chen­ba­ren Ka­ta­stro­phe er­grif­fen, laut­los, mit hän­gen­der, zit­tern­der Un­ter­lip­pe zu wei­nen. Sa­xon ver­lor für einen Au­gen­blick ihre Selbst­be­herr­schung.

»Du lie­ber Gott, kön­nen wir denn nicht fünf Mi­nu­ten zu­sam­men sein, ohne uns zu strei­ten?«

Sa­rah wand­te sich zur Schwä­ge­rin.

»Wer strei­tet sich? Darf ich nicht den Mund öff­nen, ohne dass ihr gleich über mich her­fallt?«

Sa­xon zuck­te re­si­gniert die Ach­seln. Und Sa­rah wand­te sich wie­der zu ih­rem Mann.

»Wenn du dei­ne Schwes­ter so viel lie­ber hast als mich, warum hast du mich dann ge­hei­ra­tet – mich, die dir Kin­der ge­bo­ren und sich dei­net­we­gen bis aufs Blut ab­ge­ra­ckert hat ohne Dank? Aber mich be­lei­di­gen in Ge­gen­wart der Kin­der, das kannst du, und sa­gen, dass ich ver­rückt bin, wäh­rend sie zu­hö­ren, und was hast du je für mich ge­tan – das möch­te ich gern wis­sen? Wo ich dir dein Es­sen ge­kocht und dein dre­cki­ges Zeug ge­wa­schen und dei­ne St­rümp­fe ge­stopft und nachts bei dei­nen Gö­ren ge­ses­sen habe, wenn sie krank wa­ren? Hier! Willst du se­hen!«

Und es er­schi­en ein un­för­mi­ger, ge­schwol­le­ner Fuß in ei­nem mäch­ti­gen, un­ge­putz­ten Schuh, des­sen tro­ckenes Le­der vol­ler Ris­se und Beu­len war.

»Willst du se­hen! Ich sage nur, willst du se­hen!«

Die Stim­me ver­sag­te ihr, und plötz­lich ließ sie sich auf einen Stuhl am Tisch fal­len, wo sie, ein Bild un­sag­ba­ren Jam­mers, vor sich hin­starr­te. Dann stand sie, steif wie ein Stock, auf, goss sich mit den stoß­wei­sen Be­we­gun­gen ei­nes Au­to­ma­ten eine Tas­se kal­ten Kaf­fees ein und setz­te sich eben­so au­to­ma­tisch wie­der. Als wäre ihr der Kaf­fee zu heiß, goss sie die fet­ti­ge, un­be­stimm­ba­re Flüs­sig­keit in die Un­ter­tas­se und starr­te dann wie­der vor sich hin, wäh­rend ihre Brust sich in kur­z­en, me­cha­ni­schen Stö­ßen hob und senk­te.

»Na na, Sa­rah, nur ru­hig«, sag­te Tom furcht­sam.

Lang­sam und mit ei­ner Über­le­gung, als hin­ge die Wohl­fahrt von gan­zen Völ­kern da­von ab, mit wel­cher Si­cher­heit sie es täte, setz­te sie die Un­ter­tas­se um­ge­kehrt auf den Tisch. Lang­sam hob sie die Hand und ließ sie in ei­nem brei­ten Bo­gen auf der Ba­cke des ver­blüff­ten Tom mit lau­tem Klat­schen lan­den. Und fast im sel­ben Au­gen­blick er­hob sie ihre Stim­me, stieß gel­len­de, hei­se­re, mo­no­to­ne Schreie in wil­des­ter Hys­te­rie aus und setz­te sich dann plötz­lich auf den Fuß­bo­den, wo sie, hin- und her­wan­kend, in ei­nem Ab­grund von Kum­mer und Jam­mer sit­zen blieb.

Das lei­se Wei­nen Wil­lies wur­de laut, und die bei­den klei­nen Mäd­chen mit den neu­en Bän­dern im Haar stimm­ten ein. Toms Ge­sicht war blass und er­schro­cken, wenn auch die übel mit­ge­nom­me­ne Ba­cke noch flam­mend rot war, und Sa­xon wäre am liebs­ten zu ihm hin­ge­tre­ten, hät­te ihm den Arm um den Hals ge­legt und ihn ge­trös­tet. Aber sie wag­te es nicht. Er beug­te sich über sei­ne Frau.

»Sa­rah, du bist nicht wohl. Darf ich dich ins Bett le­gen? Dann wer­de ich schon für al­les sor­gen.«

»Rühr mich nicht an! Rühr mich nicht an!« kreisch­te sie wie be­ses­sen.

»Nimm die Kin­der mit auf den Hof hin­aus, Tom, mach einen Spa­zier­gang mit ih­nen oder was du willst – schaff sie nur fort!« sag­te Sa­xon. Sie war ganz krank und blass und zit­ter­te am gan­zen Kör­per. »Geh jetzt, hörst du. Da ist dein Hut. Ich wer­de mich ih­rer schon an­neh­men.«

So­bald Sa­xon al­lein war, mach­te sie sich mit ra­sen­dem Ei­fer an die Ar­beit, wo­bei sie mit Rück­sicht auf die schrei­en­de Toll­häus­le­rin auf dem Bo­den eine Ruhe vor­täusch­te, die sie kei­nes­wegs be­saß. Das schreck­li­che war, dass der Lärm wie ein Zug­wind durch das dün­ne Holz­haus ging; Sa­xon wuss­te, dass man es ne­ben­an, ja, auf der Stra­ße und in den Häu­sern auf der an­de­ren Sei­te der Stra­ße hö­ren konn­te. Sie fürch­te­te nur; dass Bil­ly un­ter­des­sen käme. Au­ßer­dem war sie em­pört und ver­letzt. Jede Fi­ber in ihr ekel­te sich, so­dass ihr fast übel wur­de, und den­noch be­wahr­te sie ihre Selbst­be­herr­schung und strich Sa­rah lei­se und be­ru­hi­gend über Stirn und Haar. Und wie sie, die Arme um die Schwä­ge­rin ge­schlun­gen, da­saß, glück­te es ihr bald, das gräss­li­che, schril­le, un­auf­hör­li­che Schrei­en zu be­schwich­ti­gen. We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter lag Sa­rah laut schluch­zend in ih­rem Bett. Über ih­rer Stirn und ih­ren Au­gen lag ein nas­ses Hand­tuch – ge­gen die Kopf­schmer­zen, die sie und Sa­xon still­schwei­gend als eine hüb­sche­re Be­zeich­nung für den hys­te­ri­schen An­fall gel­ten lie­ßen.

Als man kurz dar­auf Pfer­de­hu­fe auf der Stra­ße hör­te, war Sa­xon so weit, dass sie sich an die Haus­tür schlei­chen und Bill zu­win­ken konn­te. In der Kü­che fand sie Tom, der ent­mu­tigt und be­sorgt war­te­te.

»Es ist vor­über«, sag­te sie. »Bil­ly Ro­berts ist da, und ich muss ge­hen. Bleib ein biss­chen bei ihr sit­zen, dann schläft sie viel­leicht ein. Aber rei­ze sie nicht. Lass sie sa­gen, was sie will. Ver­such es je­den­falls. Aber vor al­lem musst du als Ein­lei­tung und wie das Na­tür­lichs­te von der Welt das Hand­tuch, das über ih­ren Au­gen liegt, neh­men und in Was­ser tau­chen.«

Er war ein freund­li­cher, um­gäng­li­cher Mann, aber wie so vie­len aus dem Wes­ten wur­de es ihm nicht leicht, sei­nen Ge­füh­len Aus­druck zu ver­lei­hen. Er nick­te, wand­te sich zur Tür und blieb dann un­ent­schlos­sen ste­hen. Der Blick, den er Sa­xon sand­te, er­in­ner­te fast an den ei­nes Hun­des. So rüh­rend dank­bar war er, aber gleich­zei­tig tief brü­der­lich in sei­ner Lie­be. Sie fühl­te es, und ihr Herz flog ihm so­fort ent­ge­gen.

»Es ist ja gut – es ist ja al­les gut«, sag­te sie schnell.

Tom schüt­tel­te den Kopf.

»Nein, das ist es nicht. Es ist eine Schan­de, eine ver­fluch­te Schan­de!« Er zuck­te die Ach­seln. »Ach, mei­net­we­gen ist es mir gleich. Aber dei­net­we­gen. Du hast das Le­ben vor dir, Schwes­ter­chen. Du wirst noch früh ge­nug alt. Aber das ist eine ekel­haf­te Art, einen Fei­er­tag zu be­gin­nen. Jetzt mach, dass du es ver­gisst, fahr mit dei­nem Freund aus und amü­sie­re dich gut.«

In der of­fe­nen Tür blieb er noch ein­mal, die Hand auf der Klin­ke, ste­hen, und sein Ge­sicht zuck­te. »Zum Teu­fel! Es gab eine Zeit, da auch Sa­rah und ich zu­sam­men aus­fuh­ren. Und ich glau­be fast, dass sie da­mals auch ihre drei Paar Schu­he hat­te. Ver­stehst du das?«

In ih­rer Kam­mer mach­te Sa­xon sich schnell fer­tig und stieg auf einen Stuhl, so­dass sie in dem klei­nen Wand­spie­gel einen letz­ten kri­ti­schen Über­blick über den Sitz ih­res fer­tig ge­kauf­ten Lei­nen­rockes be­kom­men konn­te. So­wohl ihn wie die Ja­cke hat­te sie selbst pas­send ge­macht, sie hat­te die Näh­te mit dop­pel­ten Sti­chen um­ge­näht, um dem Kleid das ge­wünsch­te Tai­lor­ma­de-Ge­prä­ge zu ge­ben. Was sie sah, ge­fiel ihr. Sie un­ter­schätz­te kei­nes­wegs die schlan­ken Fes­seln über dem Aus­schnitt des brau­nen Schuhs, eben­so­we­nig die fei­ne und doch kräf­ti­ge Run­dung der Wade, die in den neu­en hell­brau­nen Flor­st­rümp­fen so schön zum Aus­druck kam. Dann sprang sie wie­der auf den Fuß­bo­den, rieb sich schnell die Ba­cken, um ih­nen die Far­be wie­der­zu­ge­ben, die Sa­rah dar­aus ver­trie­ben hat­te, und brauch­te dann noch einen Au­gen­blick, um sich ihre brau­nen Zwirn­hand­schu­he an­zu­zie­hen.

Sie eil­te durch das Wohn­zim­mer und an Sa­rahs Tür vor­bei, aus der tie­fe Seuf­zer und ge­dämpf­tes Schluch­zen durch die Holzwand an ihr Ohr dran­gen, aber sie nahm sich zu­sam­men und es glück­te ihr, die Far­be in ih­ren Wan­gen und den Glanz in ih­ren Au­gen zu be­wah­ren. Und Bil­ly ahn­te nicht, dass das strah­lend fri­sche jun­ge Ge­schöpf, wel­ches so leicht­fü­ßig die Trep­pe her­ab­trip­pel­te, so­eben von ei­nem auf­rei­ben­den Kampf mit Wahn­sinn und Hys­te­rie kam.

 

In dem hel­len Son­nen­schein mach­te Bil­lys Blond­heit einen fast ver­blüf­fen­den Ein­druck auf sie. Sei­ne Wan­gen, die so rund wie die ei­nes Mäd­chens wa­ren, hat­ten eine leich­te Röte an­ge­nom­men. Es wa­ren mehr Wol­ken in den blau­en Au­gen als je, und das krau­se, weiß­li­che Haar hat­te einen stär­ke­ren An­strich von dem blass­gol­de­nen Ton, den sie zu­vor be­merkt hat­te. Noch nie hat­te sie ihn so strah­lend jung ge­se­hen. Als er sie mit ei­nem ru­hi­gen Lä­cheln be­grüß­te, das von wei­ßen Zäh­nen und ro­ten Lip­pen leuch­te­te, war ihr das wie eine Ver­hei­ßung von Frie­den und Ruhe. Nach dem irr­sin­ni­gen Be­neh­men der Schwä­ge­rin wirk­te Bil­lys Ruhe dop­pelt so wohl­tu­end, und Sa­xon lach­te im stil­len bei dem Ge­dan­ken an das ge­fürch­te­te »schreck­li­che Tem­pe­ra­ment«, des­sen er sich selbst be­zich­tigt hat­te.

Sie war frü­her schon aus­ge­fah­ren, aber im­mer im Ein­spän­ner mit ei­nem Miets­pferd, und es war eine der schmut­zi­gen, schwe­ren Ka­le­schen ge­we­sen, die man we­gen ih­rer Fes­tig­keit und Halt­bar­keit zum Ver­mie­ten ge­brauch­te. Aber jetzt stan­den hier zwei feu­ri­ge, am Ge­biss zer­ren­de Pfer­de, die mit je­dem blit­zen­den Re­flex auf ih­rer sei­den­blan­ken Haut ver­kün­de­ten, dass sie noch nie in ih­rem jun­gen Le­ben ver­mie­tet wor­den wa­ren. Zwi­schen ih­nen be­fand sich eine un­be­greif­lich dün­ne Deich­sel, und ihr Ge­schirr war so fein und zart wie Zwirns­fä­den. Bil­ly hielt die Zü­gel in ei­ner Hand, schi­en aber die ner­vö­sen jun­gen Tie­re durch eine Art Wil­lens­über­tra­gung zu len­ken.

Es war kei­ne lan­ge Zeit zum Über­le­gen. Mit ih­rem schnel­len, wis­sen­den Frau­en­blick sah Sa­xon nicht nur die neu­gie­ri­gen Kin­der der Stra­ße, son­dern auch die Er­wach­se­nen, de­ren Ge­sich­ter in of­fe­nen Tü­ren und Fens­tern und hin­ter bei­sei­te­ge­zo­ge­nen Gar­di­nen her­vor­guck­ten. Mit der frei­en Hand hob Bil­ly das Schutz­le­der und half ihr auf den Sitz ne­ben sich. Der be­quem ge­pols­ter­te Le­der­sitz mit der ho­hen Rücken­leh­ne ver­lieh ihr ein Ge­fühl un­sag­ba­ren Wohl­be­ha­gens. Aber noch grö­ße­res Wohl­be­ha­gen fühl­te sie an dem Man­ne selbst, an sei­ner Nähe, sei­nem Kör­per.

»Wie ge­fal­len sie dir?« frag­te er, in­dem er die Zü­gel mit bei­den Hän­den er­griff und die Pfer­de an­trieb, die sich so­fort mit ei­ner Schnel­lig­keit, die ihr et­was ganz Neu­es war, in Be­we­gung setz­ten. »Sie ge­hö­ren mei­nem Chef. Sol­che Tie­re kann man nicht mie­ten. Er lässt mich zu­wei­len mit ih­nen fah­ren, da­mit sie Be­we­gung be­kom­men. Sieh nur King, das kann man Feu­er nen­nen, nicht wahr? Ja, der an­de­re ist auch fein. Prin­ce heißt er. Aber man muss ihn fest im Zü­gel hal­ten. He! Hast du ge­se­hen, Sa­xon? Das ist ein Pferd, nicht wahr? Ja, das ist ein Pferd!«

Hin­ter ih­nen er­tön­te das be­wun­dern­de Hur­ra­ge­schrei der Kin­der. Mit ei­nem zu­frie­de­nen Seuf­zer setz­te Sa­xon sich zu­recht, sich be­wusst, dass der glück­li­che Tag end­lich be­gon­nen hat­te.

*

»Ich ver­ste­he nichts von Pfer­den«, sag­te Sa­xon. »Ich habe nie auf ei­nem Pferd ge­ses­sen, und bin ich ein­mal aus­ge­fah­ren, dann im­mer nur mit ei­nem Ein­spän­ner, der meis­tens lahm­te oder der­glei­chen. Aber ich habe kei­ne Angst vor Pfer­den. Ich lie­be sie. Das ist mir an­ge­bo­ren, glau­be ich.«

Bil­ly warf ihr einen be­wun­dern­den Blick zu.

»Das ist es eben«, sag­te er. »Das hab’ ich gern an ei­nem Mä­del – Mut! Ei­ni­ge von den Mäd­chen, mit de­nen ich frü­her zu tun hat­te – nun ja, du kannst mir auf mein Wort glau­ben, dass sie mich wirk­lich krank mach­ten. Nein, das ist nichts für mich. Ner­vös, be­bend, schrei­end und zit­ternd. Wenn sie mit­fuh­ren, ta­ten sie es eher um mei­net­wil­len als der Pfer­de we­gen. Da lob’ ich mir ein tüch­ti­ges Mä­del, das Pfer­de liebt. Du bist vom rech­ten Schla­ge, Sa­xon, das ist si­cher. Siehst du, mit dir kann ich von der Le­ber weg re­den. Alle an­de­ren ma­chen mich krank. Ich wer­de stumm wie ein Fisch. Sie ver­ste­hen nichts und fürch­ten sich an­dau­ernd, aber du ver­stehst mich doch, nicht wahr?«

»Das ist ei­nem si­cher an­ge­bo­ren«, ant­wor­te­te sie. »Vi­el­leicht kommt mei­ne Lie­be zu Pfer­den da­her, dass ich im­mer an mei­nen Va­ter und sei­nen Rot­schim­mel den­ke. Denk dir, Bil­ly, manch­mal träumt mir, dass ich wirk­lich ein Pferd hät­te, das mir ge­hör­te. Und oft, oft hat mir ge­träumt, ich rit­te auf ei­nem Pfer­de oder füh­re mit ihm.«

»Du darfst sie gern fah­ren, aber war­te, bis sie sich aus­ge­tobt ha­ben. Im An­fang ge­hen sie zu sehr ins Ge­schirr. Fass hier ge­ra­de vor mei­nen Hän­den – ja, nur fest. Merkst du was? Na­tür­lich! Und da­bei merkst du lan­ge nicht al­les. Ich wage sie nicht los­zu­las­sen, denn du bist ja nur so ein klei­nes Ding.«

Ihre Au­gen strahl­ten, als sie fühl­te, wie die schö­nen star­ken Tie­re am Zü­gel zerr­ten. Und er sah sie an und strahl­te um die Wet­te mit ihr.

»Ich will dir et­was sa­gen, Sa­xon. Ich habe man­chen gu­ten Kampf im Ring aus­ge­foch­ten und mir das Fell ver­prü­geln las­sen von ei­nem whis­ky­trin­ken­den, ta­bak­stin­ken­den Pub­li­kum, das mich an­ekel­te. Und die Bur­schen, die selbst nicht einen or­dent­li­chen Schlag aufs Kinn oder in den Ma­gen ver­tra­gen konn­ten, die brüll­ten Hur­ra und heul­ten nach Blut. Nach Blut, ver­stehst du. Aber of­fen ge­stan­den, ich möch­te lie­ber für einen Men­schen al­lein kämp­fen – für dich zum Bei­spiel – oder für sonst je­mand, aus dem ich mir et­was ma­che. Da­rauf wür­de ich stolz sein. Aber der elen­de schwach­köp­fi­ge Pö­bel, mit dem Mut ei­nes Ka­nin­chens und der Haut ei­nes räu­di­gen Scha­kals! Nein! Kannst du es mir ver­den­ken, dass ich den dre­cki­gen Be­ruf auf­gab? Bei Gott, ich möch­te lie­ber vor ei­nem Pub­li­kum von al­ten, lah­men Ar­beits­pfer­den kämp­fen, die ge­ra­de noch gut ge­nug sind, um Gu­lasch aus ih­nen zu ma­chen, als vor der fau­len Ban­de, die in den Adern nichts als Was­ser hat.«

»Ich – ich wuss­te nicht, dass der Bo­xer­be­ruf so ist«, stot­ter­te sie, wäh­rend sie die Zü­gel losließ und sich auf den Sitz ne­ben ihm sin­ken ließ.

»Es ist nicht der Kampf selbst, es ist das Pub­li­kum«, er­klär­te er schnell. »Selbst­ver­ständ­lich nimmt ein jun­ger Bur­sche kei­nen Scha­den da­bei, wenn er boxt und wenn ihm das Fell ver­prü­gelt wird. Aber es sind die Brüll­af­fen um einen her, die mich an­ekeln. Alle Freund­lich­kei­ten, die sie mir sa­gen, ihr Lob und so wei­ter, das be­lei­digt mich. Ver­stehst du das nicht? Es macht mich ver­le­gen. Denk dir – whis­kysau­fen­de Ban­di­ten, die mit kei­ner kran­ken Kat­ze an­bin­den wür­den und nicht wert sind, ei­nem ehr­li­chen Mann den Rock zu hal­ten – – denk dir den An­blick, wenn sie heu­len und Hur­ra schrei­en – für mich – für mich! –«

»Haha! Was hältst du nun von ihm? Ist er nicht ein Teu­fel?«

Eine große Bull­dog­ge, die sich still und ohne den Wa­gen zu be­ach­ten über die Stra­ße ge­schli­chen hat­te, war so nahe ge­kom­men, dass Prin­ce einen Ver­such mach­te, sie zu pa­cken, in­dem er trotz den straf­fen Zü­geln den Kopf beug­te und die Zäh­ne fletsch­te.

»Er ist auch ein Kämp­fer, un­ser lie­ber Prin­ce. Und er tut es nicht, da­mit so ein Brüll­af­fe ihm zu­heult. Er tut es ein­fach, wenn ihm et­was in die Que­re kommt. So muss es sein. Das ist Na­tur. Aber die­se Spor­tidio­ten, bei Gott, Sa­xon –«