Jack London – Gesammelte Werke

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Aber – war es nur eine My­the? In plötz­li­chem Zorn über ih­ren ei­ge­nen Zwei­fel zog sie die un­ters­te Kom­mo­den­la­de her­aus und ent­nahm ihr eine alte ab­ge­grif­fe­ne Map­pe. Ver­gilb­te Ma­nu­skrip­te fie­len her­aus und ver­brei­te­ten einen schwa­chen, sü­ßen Duft von fer­nen Zei­ten. Die Schrift hat­te die fei­ne ver­schnör­kel­te Zier­lich­keit, die vor ei­nem hal­b­en Jahr­hun­dert all­ge­mein war. Sie las eine Stro­phe:

Süß wie der Äols­har­fe luf­ti­ge Sai­ten,

So lern­te dei­ne hol­de Muse die Ge­sän­ge,

Und Ka­li­for­ni­ens end­lo­se Wei­ten

Be­wah­ren noch im Echo die­se Klän­ge.

Sie frag­te sich, wie tau­send Male zu­vor, was eine Äols­har­fe war, aber die Schön­heit und Mys­tik des Wor­tes er­in­ner­te an die dun­kel in ih­rem Be­wusst­sein ste­hen­de schö­ne Mut­ter. Sie fiel für eine Wei­le an­däch­tig in Ge­dan­ken, dann öff­ne­te sie ein an­de­res Ma­nu­skript. »An C. B.« stand dort. Sie wuss­te, dass das »an Carl­ton Brown« hieß, denn es war ein Lie­bes­ge­dicht ih­rer Mut­ter an ih­ren Va­ter. Sa­xon dach­te über den Sinn nach:

Leis bin ich vom Lärm in den Hain ent­wi­chen,

Wo über Göt­tern die Bäu­me sich nei­gen:

Im Efeu­kranz Bac­chus, die Lie­bes­göt­tin,

Pan­do­ra und Psy­che in ewi­gem Schwei­gen.

Auch das ging über ihr Ver­ständ­nis. Aber sie at­me­te gleich­sam die Schön­heit ein. Bac­chus, Pan­do­ra und Psy­che – ge­heim­nis­vol­le Gott­hei­ten, bei de­ren Na­men man schwor. Aber ach! Nur ihre Mut­ter kann­te den Schlüs­sel. Selt­sa­me, sinn­lo­se Wor­te, die so viel be­deu­te­ten. Ihre herr­li­che Mut­ter hat­te die Be­deu­tung ge­kannt. Sa­xon buch­sta­bier­te die drei Wor­te laut, Buch­sta­ben für Buch­sta­ben, aber sie wag­te nicht den Ver­such, sie aus­zu­spre­chen; und Ehr­furcht ein­flö­ßen­de, tie­fe und un­fass­ba­re Vor­stel­lun­gen ka­men und gin­gen in ih­rem Be­wusst­sein. Ver­wirrt und ge­blen­det mach­ten ihre Ge­dan­ken halt beim Ein­gang zu ei­ner, ster­ne­strah­len­den Welt hoch über der ih­ren, wo ihre Mut­ter da­heim ge­we­sen war. An­däch­tig las sie die­se Ver­se im­mer wie­der, mit dem Ge­fühl, dass ihr Strah­lenglanz Licht und Klar­heit auf die Welt von Un­ru­he und Pla­ge wer­fen muss­te, in der sie selbst zu Hau­se war. Zwi­schen die­sen ge­heim­nis­vol­len Ver­sen ver­barg sich der Schlüs­sel. Konn­te sie ihn nur fin­den, so wur­de al­les klar – da­von war sie fest über­zeugt. Sie wür­de die schar­fe Zun­ge Sa­rahs, ih­ren un­glück­li­chen Bru­der, die Grau­sam­keit Char­ley Longs, den Über­fall auf den Buch­hal­ter ver­ste­hen, den Sinn der ta­ge­lan­gen, mo­na­te­lan­gen, jah­re­lan­gen Mühe am Plätt­brett. Und über­wäl­tigt von die­ser Poe­sie, die­ser Men­ge von Mys­te­ri­en, roll­te sie das Ma­nu­skript zu­sam­men und leg­te es weg. Wie­der griff sie in die Lade und such­te die Lö­sung des Rät­sels zwi­schen den letz­ten teu­ren Erin­ne­run­gen an die ge­hei­me See­le ih­rer Mut­ter.

Dies­mal war es ein mit Band zu­sam­men­ge­bun­de­nes Päck­chen in Sei­den­pa­pier. Sie öff­ne­te es vor­sich­tig mit dem Ernst und der Um­ständ­lich­keit ei­nes Pries­ters vor dem Al­tar. Ein klei­ner spa­ni­scher Gür­tel aus ro­ter Sei­de, mit Fisch­bein, fast wie ein klei­nes Kor­sett, kam zum Vor­schein, ein Putz, wie die Frau­en der ers­ten An­sied­ler ihn tru­gen, als sie über die Prä­rie ka­men. Es war eine Hand­ar­beit nach dem al­ten spa­nisch-ka­li­for­ni­schen Mo­dell. Selbst das Fisch­bein war zu Hau­se aus dem Roh­ma­te­ri­al be­rei­tet, das die Al­ten von den Wal­fän­gern für Häu­te und Talg ein­ge­tauscht hat­ten. Den schwar­zen Spit­zen­be­satz hat­te ihre Mut­ter selbst ver­fer­tigt. Die drei­fa­che Kan­te aus schwar­zem Samt­band – je­den Stich hat­te ihre Mut­ter selbst ge­näht.

Sa­xon ver­sank in Träu­me­rei­en und sah auf den Gür­tel. Dies war das Kon­kre­te. Dies ver­stand sie. Dies ver­ehr­te sie, wie die Men­schen Göt­ter ver­eh­ren, ob­wohl die Zeug­nis­se ih­res Auf­ent­halts auf Er­den oft we­ni­ger hand­greif­lich ge­we­sen sind.

Der Gür­tel maß zwei­und­zwan­zig Zoll von ei­nem Ende bis zum an­de­ren. Sie wuss­te das, denn sie hat­te ihn oft ge­mes­sen. Sie stand auf und leg­te ihn sich um den Leib. Es war der Teil ei­nes Ri­tuals. Er um­schloss sie fast ganz. An ein­zel­nen Stel­len ging er ganz zu­sam­men. Wenn sie ent­klei­det war, pass­te er ihr, wie er ih­rer Mut­ter ge­passt hat­te. Nichts griff Sa­xon so ans Herz wie die­ser Über­rest aus al­ten Ta­gen. Sie hat­te die Ge­stalt ih­rer Mut­ter. Äu­ßer­lich glich sie ih­rer Mut­ter. Ihre Ge­schick­lich­keit, die Schnel­lig­keit, mit der sie ihre Ar­beit ver­rich­te­te, und über die die an­de­ren so er­staunt wa­ren, hat­te sie von ih­rer Mut­ter. Gera­de so hat­te ihre Mut­ter ihre Mit­welt in Er­stau­nen ge­setzt – ihre Mut­ter, das klei­ne pup­pen­haf­te Ge­schöpf, die Kleins­te und Jüngs­te von der großen Schar der Pio­nie­re, de­nen sie gleich­wohl wie eine Mut­ter ge­we­sen war. Im­mer war es ihre Klug­heit, zu der sie ihre Zuf­lucht nah­men, selbst die Brü­der und Schwes­tern, die ein Dut­zend Jah­re äl­ter wa­ren als sie. Dai­sy war es, die, mit ih­rem klei­nen Fuß auf­stamp­fend, den Be­fehl ge­ge­ben hat­te, von den fla­chen Fie­ber­län­dern Co­lu­sas auf­zu­bre­chen und in die heil­brin­gen­den Ber­ge Ven­tu­ras zu zie­hen; die ih­ren Va­ter, den al­ten wil­den In­dia­ner­be­zwin­ger, an die Wand ge­drängt und den Kampf mit der gan­zen Fa­mi­lie auf­ge­nom­men hat­te, da­mit Vila einen Mann hei­ra­ten durf­te, den sie selbst ge­wählt hat­te; die wie­der der Fa­mi­lie und der gan­zen öf­fent­li­chen Moral ge­trotzt hat­te, als sie ver­lang­te, dass Lau­ra sich von ih­rem ver­bre­che­risch schwa­chen Man­ne schei­den las­sen soll­te, und die an­de­rer­seits je­des Mal die Fa­mi­lie zu­sam­men­ge­hal­ten hat­te, wenn Miss­ver­ständ­nis­se und mensch­li­che Schwä­che ge­droht hat­ten, sie zu spren­gen.

Frie­dens­stif­ter und Krie­ger! All die al­ten Ge­schich­ten zo­gen an Sa­x­ons Au­gen vor­bei. Klar in al­len Ein­zel­hei­ten, denn sie hat­te sie so oft be­schwo­ren, ob­wohl es Din­ge wa­ren, die sie nicht ge­se­hen hat­te. Die Ein­zel­hei­ten wa­ren des­halb auch teil­wei­se Kin­der ih­rer ei­ge­nen Ein­bil­dungs­kraft, denn sie hat­te nie einen Zug Och­sen, einen wil­den In­dia­ner oder ein Prä­rie­schiff ge­se­hen. Und doch sah sie wie eine Wirk­lich­keit aus Fleisch und Blut eine lan­ge Ka­ra­wa­ne der land­gie­ri­gen An­gel­sach­sen von Os­ten nach Wes­ten quer über den Kon­ti­nent zie­hen, ein­gehüllt in eine son­nen­blin­ken­de Wol­ke vom Staub von zehn­tau­send Hu­fen. Es war Fleisch von ih­rem Fleisch und Blut von ih­rem Blut. Sie hat­te die­se Sa­gen und wirk­li­chen Er­eig­nis­se mit der Mut­ter­milch ein­ge­so­gen, sie von de­ren Lip­pen ge­hört, die selbst al­les mit­ge­macht hat­te. Deut­lich sah sie vor sich den lan­gen Wa­gen­zug, die ma­ge­ren, ab­ge­här­te­ten Män­ner, die vor­an­schrit­ten, wäh­rend die Jun­gen mit Sta­chel­stö­cken die brül­len­den Och­sen an­trie­ben. Und durch die­ses Fan­ta­sie­ges­pinst flog wie eine Spin­del, die mit Gold­fa­den das Bild ei­ner Per­sön­lich­keit web­te, die Ge­stalt ih­rer un­über­wind­li­chen klei­nen Mut­ter, acht Jah­re alt und neun, ehe die große Wan­de­rung zu Ende war, eine Geis­ter­mah­ne­rin und Ge­setz­ge­be­rin, die ihre ei­ge­nen Wege ge­hen woll­te – und so­wohl der Wil­le wie der Weg wa­ren stets gut und rich­tig.

Am al­ler­le­ben­digs­ten aber sah Sa­xon den Kampf bei Litt­le Mea­dow und Dai­sy, wie zum Fest ge­klei­det, in Weiß, mit ei­ner sei­de­nen Schär­pe um den Leib, einen Schmuck­kamm und Sei­den­band im Haar und in bei­den Hän­den einen klei­nen Was­serei­mer – in den Son­nen­schein auf das blu­men­über­sä­te Gras her­austre­ten aus dem Wa­gen­kreis, wo die Ver­wun­de­ten in Fie­ber­fan­tasi­en schri­en und vom rin­nen­den Quell fa­bel­ten, und sie sah sie im Son­nen­schein, un­an­ge­foch­ten von den In­dia­nern, die das Er­stau­nen hin­der­te, ihre Waf­fen zu ge­brau­chen, bis zu dem hun­dert Schritt ent­fern­ten Was­ser­loch und wie­der zu­rück ge­hen.

Sa­xon drück­te einen lei­den­schaft­li­chen Kuss auf den klei­nen ro­ten spa­ni­schen Gür­tel; dann roll­te sie ihn schnell zu­sam­men und nahm mit feuch­ten Au­gen Ab­schied von ih­rem mys­ti­schen Mut­ter­kult und all dem Rät­sel­haf­ten und Wun­der­ba­ren, das Le­ben hieß.

Als sie im Bett lag, be­schwor sie un­ter den ge­schlos­se­nen Li­dern die we­ni­gen rei­chen Erin­ne­run­gen an die Mut­ter, die ihre Kind­heit barg. Dies war ihre liebs­te Metho­de, den Schlaf zu ru­fen. So hat­te sie es ihr gan­zes Le­ben lang ge­macht – war in das To­des­dun­kel des Schla­fes mit dem letz­ten ster­ben­den, von der Erin­ne­rung an ihre Mut­ter ge­färb­ten Be­wusst­sein ge­sun­ken. Aber die­se Mut­ter war we­der die Dai­sy von der großen Prä­rie, noch die von der Da­guer­reo­ty­pie. Die war aus der Zeit, ehe Sa­xon leb­te. Die Dai­sy, die sie nachts sah, war eine äl­te­re, von Schlaf­lo­sig­keit ge­plag­te Mut­ter, mu­tig wie je­mand, der die Sor­ge ge­kannt hat, ein blas­ses, ge­brech­li­ches Ge­schöpf, sanft und ge­dul­dig, das nur leb­te durch sei­ne Wil­lens­kraft, ohne die es längst den Ver­stand ver­lo­ren hät­te; das nicht schla­fen konn­te, so gern es auch woll­te, und dem alle Ärz­te der Welt kei­nen Schlaf ver­schaf­fen konn­ten. Kroch – im­mer im Hau­se her­um­kroch – vom Kran­ken­bett zum Kran­ken­stuhl und wie­der zu­rück, im­mer wie­der, die lan­gen qual­vol­len Tage und Wo­chen, aber stets ohne Kla­ge, wenn auch ihr sieg­haf­tes Lä­cheln von Schmerz ver­zerrt war und die klu­gen grau­en Au­gen, die im­mer noch klug und grau wa­ren, un­ver­hält­nis­mä­ßig groß und bo­den­los tief ge­wor­den wa­ren.

Aber in die­ser Nacht glück­te es Sa­xon nicht, schnell ein­zu­schla­fen; das Müt­ter­chen kam und ging, und da­zwi­schen präg­te sich Bil­lys Ge­sicht mit den hüb­schen ver­dros­se­nen Au­gen, in de­nen Wol­ken ka­men und gin­gen, in ihre Li­der ein. Und noch ein­mal, als der Schlaf sie in sei­ne sanf­ten Arme nahm, stell­te sie sich die Fra­ge: Ist dies der Mann?

 

*

Die Ar­beit in der Plätt­stu­be ging schnell von­stat­ten, aber die drei Tage bis Mitt­woch abend wa­ren sehr lang. Sa­xon summ­te über dem Zeug, das rasch un­ter dem Ei­sen fort­flog.

»Ich be­grei­fe nicht, wie du es machst«, sag­te Mary be­wun­dernd. »Wenn du so da­bei bleibst, ver­dienst du die­se Wo­che leicht drei­zehn oder vier­zehn.«

Sa­xon lach­te, und in dem Dampf ih­res Ei­sen sah sie gol­de­ne Buch­sta­ben tan­zen, die sich zu ei­nem »Mitt­woch« füg­ten.

»Wie ge­fällt dir Bil­ly?« frag­te Mary.

»Gut«, lau­te­te die frei­mü­ti­ge Ant­wort.

»Schön, aber da­bei lass es auch blei­ben.«

»Das kommt wohl auf mich sel­ber an«, ant­wor­te­te Sa­xon hei­ter.

»Lass das lie­ber blei­ben«, lau­te­te die war­nen­de Ant­wort. »Du hast nur Kum­mer da­von. Er denkt nicht ans Hei­ra­ten. Das hat schon mehr als ein Mäd­chen er­fah­ren. Sie wer­fen sich ihm ja di­rekt an den Hals.«

»Ich be­ab­sich­ti­ge mich we­der ihm noch ei­nem an­de­ren Mann an den Hals zu wer­fen.«

»Ich woll­te es dir nur sa­gen«, schloss Mary. »Du wirst gut tun, es dir zu mer­ken.«

Sa­xon war ernst ge­wor­den.

»Er ist wohl nicht – nicht so …«, be­gann sie, sah aber im sel­ben Au­gen­blick die Be­deu­tung der Fra­ge ein, die sie nicht for­men konn­te.

»Ach nein, gar nicht so – ob­wohl ich ei­gent­lich nicht weiß, was ihn da­von ab­hal­ten soll­te. Er ist durch und durch an­stän­dig. Nur eben kei­ner von de­nen, die vor je­dem Un­ter­rock ka­pi­tu­lie­ren. Er tanzt und amü­siert sich, aber mehr nicht. Vie­le sind ganz ver­rückt nach ihm ge­we­sen. Au­gen­blick­lich lau­fen ihm min­des­tens ein Dut­zend ver­lieb­te Mä­dels nach. Und er macht sich nur lus­tig über sie. Du kennst doch Lily San­der­son. Du hast sie letz­ten Som­mer beim Fest der Sla­wo­nen in Shell­mound ge­se­hen – das große, hüb­sche blon­de Mäd­chen, das mit Butch Wil­lows zu­sam­men war.«

»Ja, ich er­in­ne­re mich«, sag­te Sa­xon. »Was ist mit ihr?«

»Sie ging ei­ni­ge Zeit mit Butch Wil­lows, und nur, weil sie gut tanz­te, tanz­te Bil­ly ziem­lich viel mit ihr. Butch hat vor nichts Angst. Er macht auf der Stel­le ein großes Hal­lo, na­gelt Bil­ly drau­ßen, wo Gott und alle Welt es hö­ren kön­nen, fest und gibt ihm eine lan­ge Er­klä­rung, und Bil­ly hört auf sei­ne be­son­ne­ne, schläf­ri­ge Art zu, und Butch wird im­mer wü­ten­der, und alle er­war­ten einen Krach.

Da sagt Bil­ly zu Butch: ›Bist du fer­tig?‹ ›Ja!‹ sagt Butch. ›Ich habe ge­sagt, was ich zu sa­gen hat­te, und was willst du jetzt tun?‹ Und da sagt Bil­ly – ja, was meinst du, was er sag­te, wäh­rend Gott und alle Welt zu­hör­ten und Butch wie der Blut­durst sel­ber aus­sah? Weißt du, was er sag­te? ›Ich will gar nichts, But­ch‹. Genau so. Butch war so er­staunt, dass man ihn mit ei­ner Fe­der hät­te um­wer­fen kön­nen. ›Und du tanzt nicht mehr mit ihr?‹ fragt er. ›Nicht, wenn du sagst, dass ich es nicht darf, But­ch‹, sagt Bil­ly. Genau so.

Ein an­de­rer hät­te sich nur so zu­rück­zie­hen sol­len – kein Mensch hät­te ihn dann noch an­ge­se­hen. Aber Bil­ly – der konn­te es sich leis­ten. Er hat einen Ruf als Bo­xer, und als er Butch ganz ru­hig re­den ließ, wuss­ten Gott und alle Welt, dass er sich we­der fürch­te­te noch den Schwanz zwi­schen die Bei­ne steck­te. Er mach­te sich nicht das ge­rings­te aus Lily San­der­son, das war al­les, und doch konn­ten Gott und alle Welt se­hen, dass sie ganz ver­rückt nach ihm war.«

Die­se Ge­schich­te mach­te Sa­xon nicht ge­rin­gen Kum­mer. Sie war we­der mehr noch we­ni­ger ei­tel als Frau­en im All­ge­mei­nen, wenn es aber dar­auf an­kam, einen Mann zu er­obern, hat­te sie nicht viel Selbst­ver­trau­en. Bil­ly hat­te es Ver­gnü­gen ge­macht, mit ihr zu tan­zen, und sie frag­te sich, ob das al­les wäre. Falls Char­ley Long Streit mit ihm such­te, wür­de er sie dann lau­fen las­sen, wie er Lily San­der­son hat­te lau­fen las­sen? Er dach­te nicht ans Hei­ra­ten. Aber Sa­xon konn­te vor der Tat­sa­che nicht die Au­gen ver­schlie­ßen, dass er im ho­hen Maße er­stre­bens­wert als Ehe­mann war. Kein Wun­der, dass die Mäd­chen ihm nach­lie­fen. Und er war ein Män­ner­be­zwin­ger wie ein Frau­en­be­zwin­ger. Die Män­ner hat­ten ihn gern. Bert Wan­ho­pe schi­en ihn ge­ra­de­zu zu lie­ben. Sie er­in­ner­te sich des But­cher­tow­ners aus dem Wea­sel-Park, der an ih­ren Tisch ge­kom­men war, um sich zu ent­schul­di­gen, und des Ir­län­ders vom Tau­zie­hen, der je­den Ge­dan­ken, sich mit Bil­ly zu prü­geln, in dem Au­gen­blick auf­gab, als er ihn er­kann­te.

Ein sehr ver­zo­ge­ner jun­ger Mann, das war der Ge­dan­ke, der Sa­xon hin und wie­der durch den Kopf schoss. Aber je­des Mal ver­warf sie ihn als et­was Nied­ri­ges. Bil­ly war sanft auf sei­ne ei­ge­ne, auf­rei­zen­de, be­son­ne­ne Art. Bei all sei­ner Kraft trat er den Rech­ten an­de­rer nicht zu nahe. Da war die Ge­schich­te mit Lily San­der­son. Bert hät­te aus rei­ner Neck­lust und aus Freu­de am Krach nicht so ge­han­delt. Es hät­te eine Prü­ge­lei und Hass ge­ge­ben, Butch wäre sein er­bit­ter­ter Feind ge­wor­den, und Lily wür­de nichts da­bei ge­won­nen ha­ben. Aber Bil­ly hat­te sich rich­tig be­nom­men, be­son­nen, ohne sich stö­ren zu las­sen, und mit der größ­ten Rück­sicht auf je­den, was ihn al­les zu­sam­men in Sa­x­ons Au­gen noch er­stre­bens­wer­ter mach­te.

Sie kauf­te sich ein Paar neue Sei­den­st­rümp­fe, de­ren Kauf sie von ei­ner Wo­che zur an­de­ren hin­aus­ge­scho­ben hat­te, und Diens­tag nacht blieb sie auf und näh­te sich schläf­rig und müde eine neue Blu­se, wäh­rend Sa­rah sie aus­schalt, dass sie so viel Gas ver­schwen­de­te.

Der Orin­do­re­ball am Mitt­woch abend war kein un­ge­misch­tes Ver­gnü­gen. Es war schänd­lich zu se­hen, wie die Mäd­chen Bil­ly um­schwärm­ten, und zu­wei­len reiz­te Sa­xon die Rück­sicht, die er ih­nen er­wies. Aber sie muss­te zu­ge­ben, dass er die an­de­ren jun­gen Män­ner in ih­ren Ge­füh­len nicht ver­letz­te, wie die Mäd­chen die ih­ren ver­letz­ten. Sie bet­tel­ten ihn ge­ra­de­zu an, mit ih­nen zu tan­zen, und von die­ser ganz of­fen­sicht­li­chen Jagd auf ihn ent­ging ih­rer Auf­merk­sam­keit nicht viel. Sie be­schloss, es nicht so wie die an­de­ren zu ma­chen und es in die­ser Wei­se auf ihn an­zu­le­gen, son­dern tanz­te bald mit dem einen, bald mit dem an­de­ren und be­merk­te mit heim­li­cher Freu­de, dass sie die rich­ti­ge Tak­tik be­folg­te. Sie zeig­te ihm mit vol­ler Über­le­gung, dass es noch an­de­re Män­ner gab, die ihr ge­fie­len, wäh­rend er ihr, ohne sich da­bei et­was zu den­ken, sei­ne Be­liebt­heit bei den Frau­en zeig­te.

Ihr Glück kam, als er kühl ihre Ein­wän­de über­hör­te und hart­nä­ckig zwei Tän­ze mehr ver­lang­te, als sie ihm ver­spro­chen hat­te. Und sie wur­de froh und zor­nig zu­gleich, als sie zu­fäl­lig eine Un­ter­hal­tung zwi­schen zwei großen, star­ken Fa­brik­ar­bei­te­rin­nen hör­te. – »Wie die klei­ne Ab­ge­bro­che­ne ihn mit Be­schlag be­legt!« sag­te die eine. Und die an­de­re: »Sie könn­te ei­gent­lich gern ei­nem von ih­rem ei­ge­nen Al­ter nach­lau­fen.« »Kin­der­räu­be­rin!« lau­te­te die letz­te Bos­heit, die Sa­xon das Blut in die Wan­gen trieb, wäh­rend die bei­den Mäd­chen sich ent­fern­ten, ohne zu wis­sen, dass sie ih­nen zu­ge­hört hat­te.

Bil­ly be­glei­te­te sie nach Hau­se, küss­te sie an der Pfor­te und nahm ihr das Ver­spre­chen ab, am Frei­tag abend mit ihm zum Tanz in der Ger­ma­nia­hal­le zu ge­hen.

»Ich hat­te ei­gent­lich nicht dar­an ge­dacht, hin­zu­ge­hen«, sag­te er. »Aber wenn Sie wol­len – Bert kommt auch.«

Am Plätt­brett er­zähl­te Mary ihr am nächs­ten Tage, dass sie und Bert in die Ger­ma­nia­hal­le gin­gen.

»Kommst du auch?«

Sa­xon nick­te.

»Und Bil­ly Ro­berts?«

Wie­der nick­te sie. Mary sand­te ihr mit er­ho­be­nem Plätt­ei­sen einen lan­gen neu­gie­ri­gen Blick.

»Und wenn Char­ley Long Krach schlägt?«

Sa­xon zuck­te die Ach­seln.

Schnell und schwei­gend plät­te­ten sie eine Vier­tel­stun­de wei­ter.

»Nun ja«, sag­te Mary schließ­lich, »wenn er es tut, kriegt er viel­leicht, was er ver­dient. Das soll­te mich freu­en. Es kommt al­les auf Bil­lys Stim­mung an – mit Be­zug auf dich, mei­ne ich.«

»Ich bin nicht Lily San­der­son«, ant­wor­te­te Sa­xon zor­nig. »Ich wür­de Bil­ly Ro­berts nie Ge­le­gen­heit ge­ben, mich ste­hen zu las­sen.«

»Doch, wenn Char­ley Long Krach schlägt. Und das sage ich dir, Sa­xon, der ist kein Gent­le­man. Wie er sich ge­gen Herrn Moo­dy be­nom­men hat! Es war gräss­lich, wie er ihn über­fiel. Und Herr Moo­dy ist ein so net­ter klei­ner Mann, der kei­ner Flie­ge et­was zu­lei­de tut. Nun ja, er wird schon mer­ken, dass Bil­ly kein Mut­ter­söhn­chen ist – längst nicht.«

Am sel­ben Abend traf Sa­xon Char­ley Long, der vor dem Ein­gang der Wä­sche­rei war­te­te. Als er vor­trat, gu­ten Abend sag­te und sich an­schick­te, sie zu be­glei­ten, spür­te Sa­xon das alte ängst­li­che Herz­klop­fen, das er sie hin­rei­chend ken­nen­ge­lehrt hat­te. Die Far­be wich aus ih­ren Wan­gen, so ängst­lich mach­te sein An­blick sie. Sie fürch­te­te den plum­pen Kör­per die­ses Man­nes, sei­ne schwe­ren brau­nen Au­gen, die sie ty­ran­ni­sier­ten und sich zu­gleich Ver­trau­lich­kei­ten er­laub­ten; sei­ne schwe­ren Schmie­de­fäus­te und die di­cken schwar­zen Fin­ger mit der Be­haa­rung auf dem ers­ten Glied. Er wirk­te ab­sto­ßend auf sie, rein phy­sisch so­wohl wie auf all ihre bes­se­ren Ge­füh­le. Es war nicht sei­ne Kraft an sich, son­dern de­ren We­sen und die Art, wie er sie miss­brauch­te, was ihr zu­wi­der war. Sein Über­fall auf den bra­ven Herrn Moo­dy hat­te ihr lan­ge qual­vol­le Stun­den be­rei­tet. Es schau­der­te sie noch, so oft sie dar­an dach­te. Und doch hat­te sie ohne zu schau­dern zu­ge­se­hen, wie Bil­ly sich im Wea­sel-Park auf die­sel­be pri­mi­ti­ve Mann­tier­art schlug. Aber es war ein Un­ter­schied ge­we­sen. Das wuss­te sie, wenn sie es auch nicht zu ent­schei­den ver­moch­te, worin die­ser Un­ter­schied be­stand. Über das Tie­ri­sche an Hän­den und Cha­rak­ter die­ses Man­nes war sie sich je­doch klar.

»Du siehst so blass und mit­ge­nom­men aus, Mä­del«, sag­te er. »Wa­rum schlägst du nicht zu? Ein­mal muss es ja doch sein. Du ent­kommst mir nicht, Kind­chen.«

»Könn­te ich nur«, ant­wor­te­te sie.

Er lach­te, ein ro­hes, lär­men­des La­chen. »Da ist nichts zu ma­chen, Sa­xon. Du bist wie ge­schaf­fen dazu, Frau Long zu wer­den, und es ist so si­cher wie nur et­was, dass du es wirst.«

»Ich wünsch­te, ich wäre in al­lem so si­cher wie du«, sag­te sie mit ei­nem miss­glück­ten Ver­such, sar­kas­tisch zu sein.

»Hör jetzt gut zu, was ich dir sage«, fuhr er fort. »Wenn ich mir et­was vor­neh­me, so tue ich es, und wenn mir je­mand in den Weg kommt, geht es ihm schlecht. Hast du mich ver­stan­den? Du kannst dich eben so gut gleich ent­schlie­ßen, die Ar­beit in mei­nem Haus zu tun statt in der Plät­te­rei. Es ist gar nicht dar­über zu re­den. Viel zu tun gibt es nicht. Ich ver­die­ne ein schö­nes Geld, und du sollst nichts ent­beh­ren. Ich habe mich nur nach der Ar­beit ge­wa­schen und bin her­ge­kom­men, um es dir noch ein­mal zu sa­gen. Du wirst wohl so gut sein, es dir zu mer­ken. Ich habe mir nicht ein­mal Zeit ge­las­sen, et­was zu es­sen. Da kannst du se­hen, wie gern ich dich habe.«

»Dann soll­test du lie­ber ge­hen und es­sen«, riet Sa­xon ihm, ob­wohl sie wuss­te, wie aus­sichts­los je­der Ver­such war, ihn los­zu­wer­den.

Sie wur­de sich plötz­lich be­wusst, dass sie sehr müde und sehr klein und schwach ne­ben die­sem Ko­loß von Mann war. Soll er mich im­mer ty­ran­ni­sie­ren? frag­te sie sich ver­zwei­felt, und im sel­ben Au­gen­blick sah sie ihr zu­künf­ti­ges Le­ben vor sich, und Ge­stalt und Ge­sicht des di­cken Schmieds ver­folg­ten sie über­all.

»Nur gu­ten Mu­tes, Kind­chen, schlag zu!« fuhr er fort. »Es ist jetzt Som­mer, ge­ra­de die rech­te Zeit zum Hei­ra­ten.«

»Aber ich will dich nicht hei­ra­ten«, pro­tes­tier­te sie. »Das habe ich dir mehr als tau­send­mal ge­sagt.«

»Ach Un­sinn! Selbst­ver­ständ­lich hei­ra­test du mich. Das ist ab­ge­macht. Frei­tag abend fah­ren wir zu­sam­men nach Fris­co. Es wird großes Hal­lo bei den Huf­schmie­den ge­ben.«

»Aber ich geh nicht mit«, pro­tes­tier­te sie.

»Frei­lich wirst du«, ant­wor­te­te er mit voll­kom­me­ner Si­cher­heit. »Mit dem letz­ten Boot fah­ren wir heim, und du wirst dich schon amü­sie­ren. Ich wer­de dich ei­ni­gen gu­ten Tän­zern vor­stel­len. Ach, ich bin nicht klein­lich, und du tanzt ja gern.«

 

»Aber ich sage dir doch, dass ich nicht kann«, wie­der­hol­te sie.

Er warf ihr einen miss­traui­schen Blick zu un­ter den schwar­zen dich­ten Brau­en, die über der Nase zu­sam­men­wuch­sen.

»Wa­rum kannst du nicht?«

»Ich habe eine Verab­re­dung.«

»Mit wem?«

»Mit nie­mand, der dich et­was an­geht, Char­ley Long. Ich habe eine Verab­re­dung, das ist al­les.«

»Ich wer­de da­für sor­gen, dass es mich an­geht. Denk an das Milch­ge­sicht von Buch­hal­ter! Ja, denk nur an ihn und an die Prü­gel, die er krieg­te.«

»Ich möch­te, dass du mich in Frie­den lässt«, sag­te sie ge­kränkt. »Kannst du dich denn nicht ein ein­zi­ges Mal or­dent­lich be­neh­men?«

Der Schmied lach­te bos­haft.

»Wenn ir­gend­ein Flaps glaubt, sich zwi­schen dich und mich drän­gen zu kön­nen, so soll er et­was er­le­ben. Char­ley Long wird es ihn leh­ren. Frei­tag abend – he? Wo?«

»Das sage ich nicht.«

»Wo?« wie­der­hol­te er. Sie schwieg und press­te die Lip­pen zu­sam­men, wäh­rend der Zorn klei­ne rote Fle­cken auf ihre Wan­gen mal­te.

»Hm! – Als ob ich es mir nicht den­ken könn­te. Ger­ma­nia­hal­le. Schön, ich kom­me; ver­stehst du? Und nach­her brin­ge ich dich nach Hau­se. Hast du jetzt ver­stan­den? Und du tust am bes­ten, dem Laf­fen zu ra­ten, weg­zu­blei­ben, wenn du sein Ge­sicht nicht ver­schimp­fiert se­hen willst.«

Sa­xon fühl­te sich ver­sucht, ihm Na­men und Ruf ih­res neu­en Be­schüt­zers ins Ge­sicht zu schrei­en. Dann aber kam die Furcht. Char­ley war ein star­ker Mann und Bil­ly nur ein Kna­be. So wirk­te er je­den­falls auf sie. Sie er­in­ner­te sich des ers­ten Ein­drucks, den sie von sei­nen Hän­den er­hal­ten hat­te, und warf einen schnel­len Blick auf die Hän­de des Man­nes ne­ben ihr. Sie er­schie­nen ihr dop­pelt so groß wie die Bil­lys, und die dich­te Haar­schicht mach­te auf sie den Ein­druck un­ge­heu­rer Kraft. Nein, mit die­sem di­cken Tier konn­te Bil­ly den Kampf nicht auf­neh­men. Er durf­te nicht! Aber im sel­ben Au­gen­blick fühl­te sie eine klei­ne bos­haf­te Hoff­nung, dass Bil­ly kraft sei­ner ge­heim­nis­vol­len und un­glaub­li­chen Ge­schick­lich­keit als Bo­xer den­noch im­stan­de sei, die­sen Klotz zu züch­ti­gen und sie von ihm zu be­frei­en. Aber noch ein Blick, und der Zwei­fel mel­de­te sich wie­der, denn ihre Au­gen ruh­ten auf den brei­ten Schul­tern des Schmie­des. Die Ja­cke war vol­ler Mus­kel­fal­ten, und die Är­mel schwol­len über dem mas­si­gen Obe­r­arm.

»Wenn du wie­der wagst, einen an­zu­tas­ten, mit dem ich gehe –«, be­gann sie.

»Ja, dann ist es selbst­ver­ständ­lich am schlimms­ten für ihn«, grins­te Long. »Und das ge­schieht ihm recht. Je­der Mann, der sich zwi­schen einen Mann und sein Mä­del drängt, ver­dient, dass es ihm schlecht geht.«

»Aber ich bin nicht dein Mä­del und wer­de es nie, was du auch sa­gen magst.«

»Das ist recht, reg dich nur auf«, sag­te er bei­fäl­lig. »Dann hab ich dich gern. Kss­kss. So eine Frau kann ein Mann brau­chen, kei­ne von den fet­ten Kü­hen hier. Die sind tot. Aber du bist le­ben­dig. Und ge­ra­de so, wie du sein sollst.«

Sie blieb vor dem Hau­se ste­hen und leg­te die Hand auf die Klin­ke.

»Gute Nacht!« sag­te sie. »Ich gehe hin­ein.«

»Komm wie­der her­aus und geh mit in den Idora­park«, schlug er ihr vor.

»Nein, ich füh­le mich nicht ganz wohl und gehe gleich nach dem Abendes­sen zu Bett.«

»Aha«, knurr­te er. »Um mor­gen Abend recht hübsch zu sein – was, Mä­del?«

Mit ei­ner un­ge­dul­di­gen Be­we­gung öff­ne­te sie die Pfor­te und trat ein.

»Ich habe es dir jetzt ge­sagt«, fuhr er fort. »Wenn du mor­gen Abend nicht mit mir gehst, dann wird es ei­nem schlecht er­ge­hen.«

»Ja, und hof­fent­lich dir«, rief sie rach­süch­tig.

Er lach­te und warf den Kopf zu­rück, spann­te sei­nen mäch­ti­gen Brust­kas­ten und hob die schwe­ren Arme. Er er­in­ner­te sie in die­sem Au­gen­blick an einen großen Af­fen, den sie ein­mal im Zir­kus ge­se­hen hat­te, und sie fühl­te einen tie­fen Wi­der­wil­len.

»Ja, gute Nacht denn«, sag­te er. »Wir se­hen uns mor­gen Abend in der Ger­ma­nia­hal­le.«

»Ich habe nicht ge­sagt, dass es die Ger­ma­nia­hal­le ist.«

»Und du hast auch nicht ge­sagt, dass es nicht die Ger­ma­nia­hal­le ist. Na, ich kom­me je­den­falls. Ver­lass dich dar­auf und be­wah­re mir hübsch vie­le Tän­ze auf. Das ist mein Recht. Sei nur recht wü­tend. Das steht dir gut.«

*

Die Mu­sik spiel­te ge­ra­de die letz­ten Töne ei­nes Wal­zers, als Bil­ly und Sa­xon vor der großen Ein­gangs­tür des Tanz­lo­kals stan­den. Ihre Hand ruh­te leicht auf sei­nem Arm, und sie woll­ten sich ge­ra­de ein paar Stüh­le su­chen, als Char­ley Long, der of­fen­bar auch ge­ra­de ge­kom­men war, sich zu ih­nen hin­durch­dräng­te.

»Ach so, du bist es? Und du willst hier Krach ma­chen, wie?« sag­te er, und sein Ge­sicht war böse und rot.

»Wer? Ich?« frag­te Bil­ly ru­hig. »Du irrst dich, ich ma­che nie Krach.«

»Ich zer­schla­ge dir den Kopf, wenn du dich nicht ver­ziehst und zwar ein biss­chen schnell.«

»Das möch­te ich sehr un­gern«, sag­te Bil­ly zau­dernd. »Komm, Sa­xon, die Nach­bar­schaft ist nicht ge­sund für uns.«

Er mach­te Mie­ne, sich mit ihr zu ent­fer­nen, aber Long stell­te sich ih­nen in den Weg.

»Du bist doch ein biss­chen zu nass hin­ter den Ohren, Freund­chen«, knurr­te er. »Du musst ein biss­chen ge­sal­zen wer­den, ver­stan­den?«

Bil­ly kratz­te sich mit ei­nem Aus­druck über­trie­be­nen Er­stau­nens den Kopf.

»Nein, ich glau­be, ich ver­ste­he dich nicht«, sag­te er. »Was hast du üb­ri­gens ge­sagt?«

Aber der große Schmied wand­te sich ver­ächt­lich von ihm ab zu Sa­xon.

»Komm, Mä­del. Zeig mir dei­ne Tanz­kar­te.«

»Willst du mit ihm tan­zen?« frag­te Bil­ly.

Sie schüt­tel­te den Kopf.

»Tut mir leid, Ge­nos­se. Aber dann ist nichts zu ma­chen«, sag­te Bil­ly und schick­te sich wie­der zum Ge­hen an.

Zum drit­ten Mal stell­te sich der Schmied ih­nen in den Weg.

»Weg mit dir«, sag­te Bil­ly. »Weg mit dir, sage ich.«

Long stand sprung­be­reit da. Er hat­te die Fäus­te ge­ballt, der eine Arm war zum Stoß zu­rück­ge­zo­gen und Schul­tern und Brust­kas­ten vor­ge­scho­ben. Aber Bil­lys un­er­schüt­ter­li­che Ruhe und sein kal­ter Blick, in dem Wol­ken ka­men und gin­gen, lie­ßen ihn sich be­den­ken. Bil­ly hat­te sich nicht von der Stel­le ge­rührt und sah voll­kom­men ru­hig aus. Es war, als be­ach­te­te er den dro­hen­den An­griff gar nicht. Das war et­was Neu­es und Un­be­kann­tes in Longs Pra­xis.

»Du weißt viel­leicht nicht, wer ich bin?« knurr­te er.

»Doch«, warf Bil­ly leicht hin. »Du bist ein Re­kord­krach­ma­cher.« Long mach­te ein ganz ver­gnüg­tes Ge­sicht. »Du soll­test den Dia­man­ten­gür­tel der ›Po­li­ce Ga­zet­te‹ fürs Um­wer­fen von Kin­der­wa­gen ha­ben. Ich bin si­cher, dass du mit je­dem an­bän­delst.«

»Lass ihn in Ruhe, Char­ley«, sag­te ei­ner der jun­gen Leu­te, die sich um sie ge­schart hat­ten. »Das ist Bill Ro­berts, der Bo­xer. Du kennst ihn. Der Gro­ße Bill.«

»Mir ist es ei­ner­lei, und wenn es Jim Jeffries selbst wäre. Er soll hier kei­nen Krach mit mir ma­chen.«

Nichts­de­sto­we­ni­ger konn­ten alle, auch Sa­xon, mer­ken, dass sei­ne Wut sich be­deu­tend ab­ge­kühlt hat­te. Bil­lys Name schi­en eine be­ru­hi­gen­de Wir­kung auf brül­len­de Männ­chen aus­zuü­ben.