Ort des Bösen

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Ort des Bösen
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J.P. Conrad

Ort des Bösen

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Samstag, 23. Mai 1992

Sonntag, 05. Oktober 2014 20:39 Uhr

Montag, 06. Oktober 2014 09:40 Uhr

Montag, 08. Oktober 1999 17:48 Uhr

Montag, 06. Oktober 2014 11:02 Uhr

Donnerstag, 15. November 2000 22:47 Uhr

Mittwoch, 24. September 2014 13:12 Uhr

Montag, 06. Oktober 2014 16:55 Uhr

Freitag, 27. August 2004 17:02 Uhr

Montag, 06. Oktober 2014 17:37 Uhr

Freitag, 27. August 2004 19:51 Uhr

Montag, 06. Oktober 2014 18:19 Uhr

Freitag, 27. August 2004 22:11 Uhr

Montag, 06. Oktober 2014 19:06 Uhr

Donnerstag, 06. April 2006 17:33 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 08:41 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 09:11 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 10:02 Uhr

Samstag, 13. September 2014 11:47 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 12:13 Uhr

Montag, 22. September 2014 09:57 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 16:28 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 14:16 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 14:27 Uhr

Montag, 22. September 2014 12:40 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 16:54 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 17:03 Uhr

Montag, 22. September 2014 19:32 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 21:13 Uhr

Dienstag, 23. September 2014 11:51 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 21:48 Uhr

Dienstag, 23. September 2014 13:03 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 22:22 Uhr

Dienstag, 07. Oktober 2014 23:05 Uhr

Mittwoch, 08. Oktober 2014 00:54 Uhr

Mittwoch, 08. Oktober 2014 01:29 Uhr

Dienstag, 23. September 2014 10:33 Uhr

Mittwoch, 08. Oktober 2014 02:10 Uhr

Dienstag, 23. September 2014 15:21 Uhr

Mittwoch, 24. September 2014 21:03 Uhr

Mittwoch, 08. Oktober 2014 03:04 Uhr

Mittwoch, 08. Oktober 2014 03:11 Uhr

Mittwoch, 08. Oktober 2014 03:15 Uhr

Donnerstag, 16. Oktober 2014 11:20 Uhr

Freitag, 07. November 2014 05:50 Uhr

Epilog

Impressum neobooks

Prolog

Jack Calhey konnte nicht behaupten, unvermittelt in diese ausweglose Situation geraten zu sein. Er war mehrfach gewarnt worden; mit subtilen Hinweisen, mit deutlichen Worten und vor allem mit erschreckenden Taten. Doch er hatte sie alle ignoriert. Er hätte nach Hause fahren sollen, wie Grace es gesagt hatte; spätestens nach dem Tod des Jungen. Aber wie schon so oft zuvor, hatte er nicht auf die ihm wohlgesonnenen Stimmen gehört und stattdessen seinen Dickkopf durchgesetzt.

Nur diesmal würde er für seine Sturheit mit dem Leben bezahlen. Und dabei war es ihm nicht einmal, wie sonst, um eine Story für seine Zeitung gegangen.

Hätte er nicht seinen Wagen eingebüßt, wäre er in weniger als einer Stunde in Wick gewesen, hätte sich dort ein Zimmer nehmen und mit einem einzigen Telefonat dem Spuk ein Ende machen können. Aber der Land Rover war ja auf den Felsen vor den Klippen zerschellt; genau wie der Junge.

Zu Fuß hatte Jack seinen motorisierten Verfolgern im Schutz der Dunkelheit und dank des unwegsamen Geländes zwar entkommen können, aber der Gewittersturm hatte ihm jede Hoffnung genommen, sein Ziel noch in dieser Nacht zu erreichen. Diese Feststellung hatte ihn unvorsichtig werden und ihn der Verlockung des Dämons erliegen lassen. Jack war ihm geradewegs in die Arme gelaufen, hatte sich vom wärmenden Schafspelz, den der eiskalte Wolf trug, täuschen lassen.

Aber wie hätte Jack wissen können, dass es ihn wirklich gab? Wie hätte er ahnen können, dass er schon längst in der Falle gesessen war, während er noch glaubte, in Sicherheit zu sein?

Egal; das Schicksal hatte entschieden, die Würfel waren gefallen. Leben oder Tod? Tod! Diese unumstößliche Erkenntnis hatte Jack spätestens in dem Moment getroffen, als die fünfzehn Zentimeter lange Klinge des Messers die Fasern des Hemdes des toten Mannes, das er trug, durchtrennt und im nächsten Augenblick seine Bauchdecke durchstoßen hatte. Es war die zweite Verletzung, die man ihm zugefügt hatte. Und es würde die letzte sein.

Mit einem Schlag war ihm eiskalt, schwindelig und übel geworden. Der Schmerz selbst hielt sich in Grenzen und Jack war sich nicht sicher, ob das ein gutes Zeichen war.

Als die Klinge wieder aus ihm heraus geglitten war, wollte er nach der Wunde tasten. Aber wie hätte er das mit hinter dem Rücken gefesselten Armen schaffen sollen? Mit verschwommenem Blick sah er das Blut, das sich ringförmig um die Wunde in den Stoff des Hemdes saugte und mit dem aus der vorherigen Verletzung vereinigte. Er kniff die Augen zusammen.

»Du darfst jetzt nicht sterben!«, sagte er zu sich. »Du darfst jetzt nicht sterben Doch es war wie der Anfeuerungsruf eines Trainers an seine Mannschaft, die das Spiel längst verloren hatte. Die Arme spannten sich hinter ihm, als man erneut seine Kunststofffesseln überprüfte. Sie waren unnachgiebig fest um seine Handgelenke geschlungen. Dann verschwanden der Dämon und sein unfreiwilliger Helfer. Das Licht ging aus. Das Einrasten des Schlosses am großen Tor war gleichbedeutend mit dem Siegel auf Jacks Schicksal. Den Gestank um sich herum nahm er schon längst nicht mehr wahr; auch nicht die erdrückende Wärme und die Insekten, die neugierig einen Abstecher zu ihm machen, ihn umkreisten, um sich dann wieder interessanteren Dingen zuzuwenden. Alles, was jetzt noch existierte, war der Schmerz, der allmählich Jacks Körper und Geist paralysierte. Er biss sich auf die Lippen, versuchte, seinen Oberkörper angespannt zu halten und weiter auf den Knien zu hocken. Wenn er umkippte, wäre es vorbei; er würde das Bewusstsein verlieren und dann würden sie kommen und ihn sich holen. Mehr als noch ein paar Sekunden gab er sich selbst nicht mehr, das zu verhindern. Wenn er großes Glück hatte, war er verblutet, bis sie über ihn herfielen.

Unweigerlich entfuhr ihm ein heiseres Lachen. Glück? Das wäre also Glück? Vorher zu verbluten? Wie relativ doch alles war, das Leben und der Tod. Mit dem Leben hatte er nun abgeschlossen; seine einzigen Optionen lagen darin, wie ihn der Tod ereilen würde.

» Nichts wird von mir übrig bleiben. Nichts

 

Jack schaffte es nicht mehr, die von den Schmerzen zugekniffenen Augen zu öffnen. Sein Geist driftete einfach dahin. Er fiel nach vorne in den Dreck.

Samstag, 23. Mai 1992

Der Raum war erfüllt vom Geruch kalten Zigarettenrauchs und dem des spartanischen Dosengerichts vom Mittag, der sich hartnäckig in der seit Tagen ungelüfteten Wohnung hielt. Der Fernseher plärrte in unangenehmer Lautstärke, welche die staubigen Gläser in der Schrankwand leicht vibrieren ließ und warf die Bilder des Teleshoppingkanals in Richtung eines verwaisten Sofas. Überlagert wurden die Dialoge der überschwänglich chargierenden Moderatoren nur von dem verzweifelten Schreien des kleinen, sieben Monate alten Kindes, das mit hochrotem Kopf und sich vor Hunger krümmend, in der schmucklosen Holzliege auf einer fleckigen Babymatratze lag. Es hätte schon vor über einer Stunde seine Flasche kriegen müssen, doch diese stand, die Milch darin mittlerweile kalt, unerreichbar für das Kind, auf dem Wohnzimmertisch. Sie reihte sich dort in eine Sammlung von leeren Gläsern, einer angebrochenen Weinflasche und einem überfüllten Aschenbecher ein.

Niemand konnte in diesem Augenblick das Drehen eines Schlüssels im Türschloss und die sich öffnende Wohnungstür hören. Der Neuankömmling schlug sie, als Ankündigung seiner Ankunft, mit einem lauten Knall hinter sich zu. Er wartete einen Moment, doch nichts rührte sich. Das Geschrei des Babys scherte ihn dabei nicht einen Deut. Sein Blick fiel auf den Flurboden; dort lagen eine noch ungeöffnete Rotweinflasche und ein Päckchen Marlboro.

»Iris!«, schrie der Mann laut und voller Zorn. Es dauerte ein paar Sekunden, dann erschien die junge Frau in der Tür des Schlafzimmers. Sie band sich gerade hektisch ihren nikotingelben Morgenmantel zu. Ihr Blick war verschlafen, die rotbraunen, ungewaschenen Haare zerzaust. Sie trug, völlig unpassend für ihren Aufzug, knallroten Lippenstift, der aber deutlich verschmiert war.

»Du bist schon da?«, fragte sie, leicht lallend und mit belegter Stimme. Sie kniff die Augen ob des hellen Lichts zusammen. »Wie spät ist es denn?«

Er kam mit festen Schritten auf sie zu, den Schlüsselbund in seiner geballten Faust haltend. Er baute sich vor ihr auf und sah sie mit vor Wut rotem Kopf aus dünnen Augenschlitzen an.

»Er ist wieder hier, oder?« Es war eigentlich mehr eine Feststellung, als eine Frage. »Seine Dreckskarre steht unten.«

Iris fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und gähnte mit geschlossenen Augen, bevor sie reagierte.

»Was soll das? Ich dachte du wolltest eine Tour machen?«

»Scheiß auf die Tour!«, polterte er los und ergriff ihren linken Arm. Er packte schmerzhaft fest zu und zog sie zu sich heran. Sie roch nach Alkohol und Sex.

»Lässt du dich immer noch von diesem Arschloch ficken?«

Er erhielt weder eine Antwort, noch machte Iris Anstalten, sich aus seinem Griff zu befreien. Sie hing dort wie ein nasser Sack. Er ließ den Schlüsselbund fallen und hielt sie nun mit seinen breiten Händen an beiden Oberarmen. Mit einem Ruck drückte er sie gegen die Wand, wobei eines der gerahmten Bilder mit den Hundebabys, die sie aus Zeitschriften ausgeschnitten hatte, zu Boden fiel. Das Glas zersprang.

»Und wenn schon? Ich bin ein freier Mensch!«, geiferte Iris nun. Sie spuckte leicht beim Reden und ihr Atem roch eindeutig nach Alkohol. Für einen Moment schaute er zur halb geöffneten Schlafzimmertür; dahinter war es dunkel. Sicher würde der Kerl dort im Bett liegen und pennen.

Er hätte jetzt einfach dort reingehen und ihn im Schlaf erschlagen können. Mit seinen bloßen Fäusten. Was ihm vor knapp einem halben Jahr schon beinahe einmal gelungen wäre, hätte er sich im letzten Moment nicht selbst gezügelt, würde er sicher hier und heute zu Ende bringen können. Zumindest war er in genau der richtigen Stimmung dafür.

»Ich will, dass du dich nicht wie eine Hure benimmst«, zischte er sie an, sein Gesicht dicht an ihres gepresst. »Ich will, dass du dich wie ein richtiger Mensch aufführst und dass du dich um dein Balg kümmerst.«

Erst jetzt drang das Babygeschrei bewusst an Iris‘ Ohr. »Scheiße! Ich muss Evie füttern!« Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch er hielt sie fest.

»Du bleibst hier! Wir klären das jetzt ein für alle Mal!« Er zerrte sie an ihrem Arm hinter die nächste Tür, in die Küche.

Die Neonröhren flackerten auf. Als sie den unaufgeräumten und dreckigen Raum mit ihrem kalten, weißen Licht erhellten, kniff Iris stöhnend die schmerzenden Augen zusammen.

»Komm zu dir, du verdammte Hure!«, schrie er und schleuderte sie gegen den mit leeren Pizzakartons und Weinflaschen zugestellten Esstisch. Zwei Flaschen fielen zu Boden und rollten vor die Heizung. Iris konnte sich gerade noch mit den Armen an die Tischkante klammern.

»Lass mich in Ruhe! Ich mache, was mir passt. Das habe ich dir schon oft genug gesagt! Und wenn dir das nicht gefällt, dann hau doch einfach ab!«, sagte sie schniefend und mit Tränen in den Augen. Ihr zitternder, mit rotem Plastiknagel dekorierter Zeigefinger deutete zum Ausgang. Er schloss die Küchentür und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen.

»So kannst du mit mir nicht reden! Mit mir nicht! Du bekommst jeden Monat einem Haufen Geld von mir, und das, obwohl du weißt, dass ich es für meinen Lebenstraum sparen will. Und was machst du damit? Du versäufst und verkiffst es. Du spülst mein Geld das Klo runter! Und du vögelst mit allem, was dir zwischen die Beine kommt! Du bist nichts weiter, als eine billige Schlampe!« Er schüttelte den Kopf.

»Ich dachte, ich könnte dich ändern. Da hab ich mich wohl gründlich geirrt!«

Benommen torkelte Iris auf ihn zu.

»Ich muss jetzt mein Baby füttern«, murmelte sie, als ob sie die Vorwürfe und Beleidigungen gar nicht wahrgenommen hätte. Doch das hatte sie. Aber im Moment überwog die Sorge um ihr Kind, das sie stundenlang vernachlässigt hatte. Das Kind, dem sie gerade hatte seine Milch geben wollen, als Danny vor der Tür gestanden war. Er hatte eine Flasche Wein und ein Päckchen Zigaretten dabei gehabt und war schon leicht angeheitert gewesen. Anstatt nun aber trotzdem zuerst ihr Baby zu füttern, war sie ihm gleich um den Hals gefallen. Das Verlangen zwischen ihren Schenkeln war größer gewesen, als die Sorge um ihr eigenes Kind. Keuchend, erregt und sich heftig küssend waren sie ins Schlafzimmer gegangen. Die Rotwein und die Zigaretten waren ebenso schnell auf dem Boden gelandet, wie ihre Klamotten. Nach einer halben Stunde voll heftigem Sex waren beide dann eingeschlafen. Erst, als Iris ihren Namen über den Flur brüllen gehört hatte, war sie wieder zu sich gekommen. Was hatte ihr armes Baby inzwischen durchgemacht? Es schrie nach wie vor ohne Unterlass. Natürlich, es hatte seit Stunden großen Hunger.

Iris versuchte, sich an ihm vorbei zu drängen, doch er ließ sie nicht gewähren. Er hielt seine Arme verschränkt und blieb unnachgiebig vor der verschlossenen Küchentür stehen.

»Lass mich durch, du Schwein! Ich muss zu meinem Kind!«,

»Fällt dir herzlich früh ein.« Blitzschnell holte er mit seiner rechten Hand aus und schlug ihr damit so heftig ins Gesicht, dass sie rückwärts taumelte und zu Boden fiel.

»Das war für das Schwein!«

Sie rieb sich ihre schmerzende Wange. Etwas Blut tropfte ihr auf den Bademantel. Sie tastete nach ihrer Nase und hatte daraufhin auch Blut an ihren Fingern.

»Danny ist tausendmal besserer als du!«, zischte sie gehässig. »Der hat es nicht nötig, mich zu schlagen, damit er sich wie ein richtiger Mann fühlt. Du bist ein erbärmlicher Schlappschwanz!«

Das war ein Wort zu viel. Den Kopf vor Benommenheit und Schmerzen gesenkt, sah sie durch ihren Haarschopf, wie ihr Gegenüber sich ruckartig aus seiner Position löste, kurz zur Anrichte ging und dann mit einem solchen Ruck die Küchentür aufriss, dass die Klinke eine Delle in der Wand hinterließ.

Was hatte er jetzt vor? Iris wusste es nicht und es interessierte sie auch nicht wirklich. Sie wollte, nein, sie musste sich jetzt endlich um ihr Kind kümmern! Mit zitternden Händen stützte sie sich auf dem Boden ab und richtete langsam ihren Oberkörper auf. Ihr Kopf dröhnte wie nach einer durchzechten Nacht; zumindest zu der Zeit, als sie noch nicht so sehr an den Alkoholkonsum gewöhnt war, wie heute. Sie stemmte sich an der Anrichte nach oben, auf der sich das dreckige Geschirr türmte, das in der Spüle keinen Platz mehr gefunden hatte. Als sie nach einer der Saugflaschen greifen wollte, die ebenfalls dort standen und so ziemlich das einzig saubere in diesem Raum waren, fiel ihr Blick auf den Messerblock.

Eines der Messer fehlte.

Sie wusste es genau, denn sie benutzte sie nie. Sie kochte ja auch nie, sondern ernährte sich von Fertiggerichten oder dem, was diverse Lieferdienste ihr brachten, wenn sie mal Geld hatte.

Wo war dieses Messer? In derselben Sekunde, in der sie sich diese Frage stellte, hörte sie einen quälenden Schrei, der aber sofort wieder verstummte.

Oh Gott! Was hatte er getan? Iris‘ Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie verharrte einige Sekunden in ihrer halb aufgerichteten Position und starrte zur Tür. Nichts passierte. Sie vernahm das Geschrei ihres Kindes und den Fernseher, die, so schien es ihr, sich in ihrer Lautstärke zu überbieten versuchten.

Dann plötzlich stand er in der Tür. Seine Hände, sein T-Shirt und seine Lederjacke waren rot beschmiert. Es gab keinen Zweifel, es war Blut! Iris wurde übel.

»Was… hast du gemacht?«, fragte sie mit bebender Stimme.

»Jetzt ist er kein Mann mehr!«, sagte er nur außer Atem und wischte sich mit der Hand, die das Messer hielt, über die Nase. Mit der anderen hielt er etwas hinter seinem Rücken verborgen. Iris fragte sich bang, was es wohl war. Im nächsten Moment klatschte er es ihr vor die Füße. Sie wich sofort entsetzt zurück und spürte unvermittelt, wie sich die Galle ihren Weg die Speiseröhre hinauf bahnte. Reflexartig drehte sie sich um und spie das halb verdaute Essen vom Vorabend in die Spüle und über die verkrusteten Teller.

Noch während sie würgte, zog er sie fest an ihren Haaren. Er zerrte sie von der Anrichte weg und warf sie auf den Boden.

»Du hast ihn umgebracht!«, wimmerte sie. »Du hast ihn umgebracht!« Sie musste husten und spie dabei noch etwas Galle auf das ausgetretene PVC.

»Nein, habe ich nicht. Aber er hat jetzt seine Lektion gelernt«, erwiderte er nüchtern, gefolgt von einem dreckigen Lachen. »Der wird dich auf jeden Fall nicht mehr ficken.«

Iris sah, wie er nun mit dem Absatz seines Stiefels das Geschlechtsteil von Danny auf dem Boden zertrat.

»Du elendes, perverses Schwein!«, schrie sie. Mehrfach. Sie hörte gar nicht mehr damit auf, bekam einen regelrechten Schreikrampf. Erst in dem Moment, als er mit dem blutigen Küchenmesser auf sie zustürmte, vor ihr auf die Knie fiel und es ihr in die Brust rammte, verstummte sie. Mit einem leisen Gurgeln aus ihrem mit Erbrochenem und Lippenstift beschmierten Mund sank sie in seine Arme. Doch er hielt sie nicht fest, sprang stattdessen auf und ließ ihren leblosen Körper unsanft auf den Küchenboden fallen. Das Messer landete direkt neben ihrem Kopf mit den weit aufgerissenen Augen.

Er blieb mehrere Sekunden regungslos und schwer atmend stehen und starrte auf sein Werk. Dann überkam ihn augenblicklich die Ernüchterung: Er hatte sie getötet! Aus reiner, rasender Eifersucht und seiner latenten Gewaltbereitschaft, die ihn schon so oft zuvor in Schwierigkeiten gebracht hatten, hatte er ihr Leben unwiederbringlich ausgelöscht. Es hatte keine fünf Sekunden gedauert. Der grausame Höhepunkt seiner Karriere als Raufbold und Taugenichts war somit erreicht. Er spürte, wie Panik allmählich von ihm Besitz ergriff. Nicht einmal wegen der Taten an sich, die er begangen hatte. Nein, mit einem Mal sah er sein wertvollstes Gut, seine Freiheit, in Gefahr, sah sich für Jahrzehnte im Zuchthaus sitzen. Eingesperrt in einer nicht einmal zehn Quadratmeter messenden Zelle, die für ihn fortan bestimmen würde, wo es lang ging: Nirgendwo hin. Unvorstellbar.

Soweit durfte es nicht kommen!

Aufgewühlt schaute er sich um. Er ging zur Kammer und suchte nach brauchbaren Putzutensilien. Er fand Eimer, Scheuermittel und auch Gummihandschuhe; alles selten genutzt oder fabrikneu. Dann begann er, akribisch seine Spuren zu beseitigen und sich nach und nach aus dem Ort des Geschehens und Iris‘ Leben auszuradieren. Nichts sollte mehr darauf hinweisen, dass er je dort gewesen war. Glücklicherweise hatte er außer ein paar Klamotten keine persönlichen Sachen bei ihr gehabt. Er stopfte sie in eine Plastiktüte und hing sie zum Mitnehmen an die Wohnungstür. Dann nahm er sein Foto, das er ihr vor Monaten geschenkt hatte, aus ihrem Portemonnaie und vergewisserte sich, dass auch sonst keines von ihm irgendwo zu finden war. Alles, was er anfasste, wischte er anschließend sorgsam mit einem feuchten Lappen ab.

 

Nach getaner Arbeit schlich er sich, schweißnass und völlig erschöpft, aus der Wohnung und reinigte beim letzten Schließen der Tür noch die Klinken.

Das Baby ließ er schreiend zurück.

Sonntag, 05. Oktober 2014 20:39 Uhr

Jack Calheys Finger trommelten nervös neben dem Touchpad seines Notebooks, während die letzten Mails abgerufen wurden. Seine Anspannung wich sofort Ernüchterung, als der Ladevorgang abgeschlossen war. Es war wieder keine Nachricht von Felix dabei; erneut kein Lebenszeichen von seinem Freund.

Grace, die gerade ins Wohnzimmer kam, hatte den zunächst gespannten und dann sichtlich enttäuschten Gesichtsausdruck ihres Mannes bemerkt.

»Wieder nichts?«, fragte sie mitfühlend, stellte ihre dampfende Teetasse auf den Couchtisch und setzte sich neben ihn.

»Nein«, antwortete er zerknirscht.

Sie zog die Beine an und ließ sie unter ihre Decke mit dem Kilt-Muster schlüpfen. Anschließend legte sie ihren Kopf auf seine Schulter und sah auf den Bildschirm.

»Von wem ist denn die Mail mit ›Hat das jetzt endlich mal geklappt?‹?«

Jack lachte trocken und rieb sich die müden Augen mit Daumen und Zeigefinger. »Von meinem Dad. Er hat einen neuen Provider und ist mit dem Einrichten der E-Mail Zugangsdaten hoffnungslos überfordert.«

»Aber jetzt scheint’s ja geklappt zu haben. Schreib ihm das doch zurück«, schlug Grace vor.

»Nicht jetzt. Das artet nur in eine nicht enden wollende Debatte mit ihm über den Sinn und Nutzen von modernen Kommunikationsmitteln wie dem Internet aus. Dann mischt sich noch meine Mutter ein und am Schluss hänge ich sowieso wieder für mindestens eine Stunde am Telefon.«

Grace brummte verstehend und nahm die Tasse vom Tisch. Sie pustete hinein, so dass die kleinen Dampfwölkchen sich im Wohnzimmer auflösten. Jack spürte ihren besorgten Blick auf sich ruhen. Sie wusste, dass er beunruhigt war und sie wusste auch, warum: Sein Freund Felix Byrne war vor dreizehn Tagen zu einer eigentlich nur kurzen Recherchereise in die schottischen Highlands aufgebrochen. Außer einer Mail, die er unmittelbar nach seiner Ankunft von seinem Handy aus geschickt hatte, hatte Jack seitdem kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Das passte weder zu Felix noch war es so verabredet gewesen. Eigentlich hätten sie sich vor drei Tagen, an Graces Geburtstag, sehen wollen.

»Wie lange ist er jetzt weg?«, fragte sie.

»Dreizehn Tage.« Jack war überhaupt nicht wohl in seiner Magengrube. Er scrollte im Mailprogramm etwas nach unten und suchte diese letzte Nachricht von Felix; sie stammte vom dreiundzwanzigsten September. Er öffnete sie und las erneut den Text, in der Hoffnung, darin irgendeine versteckte Botschaft oder sonst einen Anhaltspunkt für das ungewöhnliche Verhalten seines Freundes zu finden.

Der Betreff war: ›Bin angekommen‹. Dann folgte ein knapp formulierter Inhalt:

Hi Jack.

Bin angekommen! Gleann Brònach liegt landschaftlich schön, aber ziemlich isoliert. Ein Netz zu kriegen, ist Glückssache. Die Leute sind schräg drauf, komme mir wie ein Alien vor. Zimmer ist ok, aber zu teuer. Morgen dann der große Tag, bin gespannt optimistisch. Bis später.

Gruß Felix

»Was wollte er da?«, fragte Grace, die über Jacks Schulter mitgelesen hatte.

»Für sein neues Buch rechechieren, was sonst. Er jagt wieder Geistergeschichten und ähnlichem Gruselkram hinterher, aber diesmal aus der Neuzeit.«

Obwohl er Felix‘ Berichten zu seinen Nachforschungen stets gebannt zugehört und auch seine Publikationen gelesen hatte, hatte die Thematik auf ihn selbst nie einen so faszinierenden Reiz ausgeübt, wie auf seinen Freund. Jacks Interessen lagen, schon alleine bedingt durch seinen Job als Reporter für den ›Loughton Courier‹, in nüchternen Fakten. Das Plakatieren von Skandalen, das Bloßstellen von politischen und wirtschaftlichen Verfehlungen und das

Aufzeigen von Missständen waren sein Beruf und zugleich seine Berufung. Meistens nicht eben ruhmreich und sehr oft auch mit großer Antipathie ihm gegenüber verbunden, aber einträglich und befriedigend. Und vor allem: Seine Arbeit machte ihm Spaß!

Felix Byrne, der sechs Jahre älter war als Jack, war hauptberuflich Automechaniker mit Spezialisierung auf Motorräder. Und so hatten sie sich auch kennen gelernt: Jack hatte auf Empfehlung eines Bekannten seine Yamaha mit einem Kupplungsschaden zu ihm gebracht; das war vor über sieben Jahren gewesen. Man war ins Gespräch gekommen, hatte gefachsimpelt und sich schnell angefreundet. Das war noch zu einer Zeit, als Jack keine feste Freundin, geschweige denn eine Ehefrau hatte. Er war damals ständig mit dem Motorrad unterwegs und fast jeden zweiten Tag in Felix‘ Werkstatt gewesen; zum Schrauben und quatschen. Oder sie hatten sich abends auf ein Ale im Pub getroffen. Was anfänglich Felix‘ Hobby gewesen war, nämlich Geschichten über Geister, Sagengestalten und sonstige mysteriöse Phänomene, hatte er irgendwann, dank seiner fundierten Kenntnisse, zu einem zweiten Standbein ausbauen können. Bereits zwei Bücher hatte er inzwischen zu diesem Thema veröffentlicht und sie verkauften sich erstaunlich gut. In den einzelnen Kapiteln beschrieb Felix zunächst die Ereignisse an sich: Die Sichtung von Toten und Geistern, schauerliche Vorkommnisse wie Massensuizid oder blutende Wände, Selbstentzündungen und ähnliches. Er belegte anhand der von ihm akribisch recherchierten Quellen, wie die Menschen auf diese Geschehnisse reagierten. Es war zu Hexenprozessen gekommen, zur Aufgabe ganzer Dörfer und Landstriche oder zu plötzlichem, religiösem Wahn. Dann, im zweiten Teil erläuterte Felix die verschiedenen Theorien aus vorhandenen Dokumentationen und von führenden Experten auf den jeweiligen Gebieten, die er selbst interviewt hatte. Alles in allem eine Menge Arbeit für zweimal knapp dreihundert Seiten.

Felix‘ neuestes Projekt befasste sich nun mit neuzeitlichen Phänomenen, die sich oftmals viel leichter entmystifizieren ließen, da ihre Dokumentation wesentlich weniger Lücken aufwies. Im Rahmen seiner Recherchen hatte er Jack zum Beispiel von einer Zahnarztpraxis in der Oberpfalz in Deutschland erzählt, in der es Anfang der achtziger Jahre gespukt haben soll: Immer wieder waren Patienten von einer körperlosen, unheimlichen Stimme belästigt und beleidigt worden. Angeblich quäkte es aus Spucknäpfen und Kloschüsseln. Es gab ein großes Medieninteresse an diesem Phänomen. Des Rätsels Lösung war, dass eine junge Zahnarzthelferin, wohl aus Geltungsbedürfnis, Patienten, Polizei, Medien und auch Parapsychologen mit Stimmakrobatik zum Narren gehalten hatte.

Das Kapitel, für das Felix aktuell recherchierte, hatte es ihm besonders angetan. Es ging dabei um die angebliche Präsenz eines Dämons, der in den Neunzehnhundertfünfzigern in einem abgelegenen Dorf in den schottischen Highlands sein Unwesen getrieben haben soll. Felix hatte Jack bereits bei mehreren Gelegenheiten davon erzählt. Bei ihrem letzten Treffen hatte er ihm dann eröffnet, dass er zu einer dreitägigen Tour in eben dieses Dorf mit dem Namen Gleann Brònach aufbrechen würde, um vor Ort Nachforschung zu betreiben.

Aus der dreitägigen Exkursion waren inzwischen dreizehn Tage geworden. Davon zwölf ohne ein Lebenszeichen von Felix. Mehrfach hatte Jack vergeblich versucht, seinen Freund auf dem Handy zu erreichen, doch eine automatische Ansage hatte ihm immer wieder stur ›Der gewünschte Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar‹ geantwortet.

Einen Moment lang betrachtete Jack gedankenversunken die letzten, in Form der E-Mail an ihn verfassten Worte, klickte dann auf ›Antworten‹ und schrieb:

He, du Rumtreiber!

Wo steckst du? Melde dich mal!

Jack

Es war bereits die vierte Nachricht, die er an ihn schrieb und er befürchtete, dass sie ebenfalls unbeantwortet bleiben würde. Die Situation war frustrierend für Jack; aber ganz sicher ging es nicht nur ihm so.

Vielleicht hatte seine Lebensgefährtin Alice ja inzwischen ein Lebenszeichen von Felix erhalten? Jack seufzte innerlich.

» Okay, dann muss es halt sein

Er klappte das Notebook zu und legte es auf den Couchtisch. Dann stand er auf, ging stumm aus dem Raum und holte im Flur das schnurlose Telefon. Er tippte bereits Felix‘ Privatnummer ein, als er wieder zu Grace ins Wohnzimmer kam.

»Wen rufst du an?«

»Alice.«

»Alice?«, fragte sie erstaunt. »Ich dachte, ihr könntet euch nicht ausstehen?«

Genaugenommen war es Felix‘ langjährige Freundin, die Jack nicht leiden konnte und es ihm bereits beim ersten Zusammentreffen deutlich, wenn auch nicht mit Worten, zu verstehen gegeben hatte. Auslöser war eine Freundin von Alice gewesen, Tamara, mit der Jack mal etwas gehabt hatte und die er wie eine heiße Kartoffel hatte fallen lassen. Somit war Jack das ultimative Feindbild für Alice. Aber jetzt, ungeachtet dieser Antipathie, die sie gegen ihn hegte, war sie sicher in der gleichen Situation wie er: Sie sorgte sich um Felix.

Es klingelte. Und klingelte. Jack glaubte schon, dass sie nicht Zuhause sei, als es im Hörer knackte.

»Hallo?«

»Hallo, Alice? Hier ist Jack. Jack Calhey.«

Ein genervtes Stöhnen am anderen Ende; nichts anderes hatte er erwartet. Aber er ignorierte es; ebenso wie all ihre Sticheleien und unterschwelligen Beleidigungen zuvor. Er hatte sich nie auf dieses Niveau begeben und würde es auch weiterhin nicht tun.

»Was willst du?«, fragte sie barsch.

»Hast du was von Felix gehört?«

Ein Schniefen. War sie erkältet? Oder hatte er Alice gerade tatsächlich dabei erwischt, wie sie sich aus Sorge um ihren Lebensgefährten in die Kissen weint?

»Nein, du?«

Jack setzte sich wieder neben Grace auf die Couch. »Nein, leider nicht. Ich mache mir, ehrlich gesagt, langsam Sorgen. So gar kein Lebenszeichen von ihm, seit fast zwei Wochen…«

Alice brummte missmutig. »Ich hab schon vor über einer Woche bei der Polizei angerufen.«

»Und?«

Sie seufzte. »Alles Scheiße! Die sagten mir, dass sie nicht zuständig wären, weil er in Schottland verloren gegangen ist und haben mich an die Kollegen dort verwiesen«, erklärte sie entnervt. »Also habe ich dort angerufen und durfte anschließend ein Onlineformular ausfüllen. Dann haben sie mich kontaktiert und gesagt, sie würden sich darum kümmern und sich bei mir melden.«