Gewaltnatur

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Gewaltnatur
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J.P. Conrad

Gewaltnatur

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Gewaltnatur

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

Impressum neobooks

Gewaltnatur

Gewaltnatur, die

roher Mensch, der skrupellos mit anderen umgeht

Naturgewalt, die

elementare Kraft [bestimmter Erscheinungen] der Natur

Quelle: Duden

I.

Ich schaltete die Lampe auf meinem Schreibtisch aus und rieb mir die brennenden Augen. Es war bereits nach neunzehn Uhr und draußen hatte die abendliche Dunkelheit allmählich das Tageslicht verdrängt. Für heute hatte ich genug gearbeitet; länger, als ich mir vorgenommen hatte. Ich fuhr den PC runter, schloss die Jalousien und verließ dann mein Arbeitszimmer.

Heute Abend würde ich mit George ganz alleine im Haus sein. Das war aufgrund von Gwens Job keine Seltenheit. Meine Frau arbeitete als Stationsschwester im Prince Albert Hospital und hatte regelmäßig Nachtschichten zu absolvieren; so auch heute, an Halloween.

Und selbst wenn sie frei gehabt hätte, hätten mich keine zehn Pferde zu einer dieser Kostümpartys kriegen können. Ich war nicht der Party-Typ. Und auch nicht der Disco-Typ. Was ich mochte, waren romantische Abendessen, Kinobesuche, Ausflüge in interessante Museen oder den Londoner Zoo und natürlich Reisen. Krach, Trubel und zu viele amüsierbedürftige Menschen auf einem Haufen waren mir ein Gräuel.

Gwen war da etwas anders gepolt, als ich. Zwar konnte sie die Zeit mit mir alleine richtig genießen, aber ab und zu war sie auch gerne mal mit ihren Freundinnen, ihrem ›Rudel‹, unterwegs. Ich hielt sie nicht davon ab, wie käme ich auch dazu? Man muss seinem Partner Freiheiten lassen. Auf dieser Basis funktionierte unsere Ehe, mittlerweile im fünften Jahr, sehr gut.

»Kommst du, Buddy?«, fragte ich George, unseren drei Jahre alten Mops, der in seinem Körbchen neben meinem Schreibtisch lag. Er hob verschlafen den Kopf.

»Wir machen uns jetzt einen gediegenen Herrenabend!« Das bedeutete, dass wir vor dem Fernseher sitzen und uns irgendeine Dokumentation auf BBC anschauen würden. George würde seinen Kopf auf mein Knie legen und dösen.

»Aber erst mal kriegst du jetzt endlich dein Fresschen!«, versprach ich mit schlechtem Gewissen. Vor lauter Arbeit hatte ich ihn eine Stunde auf sein Abendfresschen warten lassen. Normalerweise bekam er seine Portion Hundefutter immer um sechs, jetzt war es schon viertel nach sieben.

George verstand sofort, denn er leckte sich über die Lippen und kam auf alle Viere. Er lief mir hinterher, ich schaltete das Licht im Büro aus und schloss die Tür. Dann gingen wir in die Küche.

Nachdem ich ihn mit frischem Wasser und seiner Abendmahlzeit versorgt hatte, die er nun - wie immer viel zu hastig - verputzte, begann auch mein Magen zu knurren. Ich überlegte, was wir noch Essbares im Haus hatten. Dem Vorschlag von Gwen, mir eine Pizza zu bestellen, wollte ich heute nicht folgen. Ich hatte keine Lust auf Pizza, Pasta oder sonst etwas Italienisches. Lustlos betrachtete ich mir die Auswahl der bunten Lieferdienst-Flyer aus der Umgebung, die am Kühlschrank wie Urlaubspostkarten drapiert hingen: Ich konnte noch zwischen Chinesisch, Thai, Indisch und Pakistanisch wählen. Inzwischen stieg mir der Geruch von Georges Rinderpastete mit Karotten in die Nase, die er zu meinen Füßen in sich hinein schlang, und machte mir damit die Wahl noch schwerer.

Schlussendlich entschied ich mich für ein einfaches Sandwich. Ich holte das Weißbrot aus dem Kasten, nahm mir zwei Scheiben davon und ging dann im Kühlschrank mit den Augen auf Wanderschaft.

»Oh ja, da ist noch was von dem Cornedbeef.« Und es gab Gurken und Tomaten. In einer Frischhaltedose entdeckte ich zudem den Rest vom Cheddar. Damit ließ sich doch was anfangen.

Goerge war inzwischen schon dabei, die letzten Spuren seines Fresschens aus seinem Napf zu lecken. Ich belegte mir mein Sandwich, verstaute die restlichen Zutaten wieder und ging dann mit meinem Teller ins Wohnzimmer. George lief mir, wie immer, hinterher. Ich setzte mich aufs Sofa und der Hund sprang direkt neben mir auf die Polster. Mit prüfendem Blick und schnüffelnder Nase begutachtete er, was da auf meinem Teller lag.

»Das ist nicht für dich! Du hattest dein Abendessen schon.«

Er legte nur den Kopf schief, wie fast immer, wenn man ihn direkt ansprach, blieb aber unbeeindruckt und schnüffelte weiter. Ich wollte gerade meinen ersten Bissen vom Sandwich nehmen, da klingelte das Telefon.

»Ach, was soll denn das jetzt?«, dachte ich verärgert bei mir, ob des schlechten Timings. Ich stellte den Teller auf den Couchtisch und lief schnell in den Flur zum Telefon. Als ich ›Gwen‹ im Display las, war mein Ärger direkt wieder verflogen.

»Hallo Schatz.«

»Hi.«

»Na du, wie läuft’s bei dir?«

»Naja, wie immer. Gerade war die Übergabe«, erklärte mir Gwen wenig enthusiastisch. Ich wusste, dass auch sie sich für Halloween etwas Besseres hätte vorstellen können, als im Krankenhaus Dienst zu schieben.

»Ich wollte dir und George nur einen schönen Abend wünschen«, sagte sie.

»Danke, das ist lieb von dir.«

»Habt ihr was Besonderes vor, jetzt wo ihr sturmfreie Bude habt?«

Ich grinste. »Nein Darling, nur das Übliche: Girls und Alkohol.«

Gwen lachte. »Okay. Aber denk bitte daran, aufzuräumen, bevor ich nach Hause komme. Und George soll nicht wieder zu viel Scotch trinken.«

»Geht klar.«

»Regnet es bei euch eigentlich auch?«

Regen? Ich ging mit dem schnurlosen Telefon in die Küche und zog die Gardine am Fenster zurück. Tatsächlich, im Schein des Küchenlichts, das nach draußen fiel, konnte ich die gen Boden schnellenden Wassertropfen erkennen. Es musste aber gerade erst angefangen haben.

»Ja, tut es«, antwortete ich.

»Zwei Kolleginnen sind gerade gekommen, die waren völlig durchnässt«, erklärte Gwen.

In diesem Moment erhellte ein Blitz für einen Sekundenbruchteil die Dunkelheit. Ein lauter Donnerschlag folgte, fast ohne Zeitverzögerung. Erschrocken fuhr ich zusammen.

»Wow!«

»Was ist?«, fragte Gwen.

»Ein Gewitter ist aufgezogen, scheint ganz nah zu sein.«

»Oh, dann zieh lieber die Stecker raus.«

Ich schmunzelte. Gwen hasste Gewitter und verkroch sich bei Blitz und Donner gerne unter ihrer Bettdecke.

»Wir haben doch einen Blitzableiter, mach dir keine Sorgen.«

»Na dann.«

»Ich wünsche dir eine ruhige Nacht!«

»Ich euch auch. Gib unserem Hund einen dicken Schmatz von mir.«

Ich versprach es ihr und wir verabschiedeten uns. Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, stellte ich fest, dass es inzwischen draußen tatsächlich schon wesentlich dunkler war, als noch vor ein paar Minuten. Ich besann mich wieder auf mein jungfräuliches Sandwich, das auf mich wartete und ging zum Couchtisch. Aber der war leer. Der Teller lag umgedreht auf dem Vorleger. Und George saß auf der Couch, sah mich unschuldig an und leckte sich die letzten, verräterischen Krümel aus dem schwarzen Schnauzenwinkel.

»Na toll! Ich danke dir«, sagte ich mit gespieltem Tadel. Es war nicht das erste Mal, dass er so was getan hatte, aber ich konnte ihm einfach nicht böse sein. Besonders nicht, wenn er einen mit diesem Blick anschaute. Wenn ich den doch nur auch drauf gehabt hätte, was hätte ich damit alles erreichen können! Vielleicht wäre ich heute Millionär oder erfolgreicher Filmstar?

Ach, egal. Ich war mit meinem Leben als Architekt, meiner kleinen Familie aus liebender Ehefrau und schmusebedürftigem Hund und mit unserem gemütlichen Häuschen am Waldrand im Grunde sehr zufrieden.

Mein Magen meldete sich wieder. Ich würde mir wohl ein neues Sandwich machen müssen. Aber zuerst wollte ich den Fernseher einschalten, denn es war mir inzwischen doch zu düster und zu ruhig im Haus. Außerdem wollte ich damit den Donner übertönen, der George sonst vielleicht noch Angst gemacht hätte. Ich nahm die Fernbedienung vom Tisch und drückte den Einschaltknopf. Der Bildschirm erhellte sich. Aber er zeigte nur Schneegrieseln.

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