Im Auge des Falken

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Aus der Reihe: Regelence #1
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Kapitel 2

Lady Anna, intergalaktische Marine-Fregatte unter dem Kommando von Captain Nathaniel Leland Hawkins

Nate stoppte vor seiner Kabine, stützte die Hände links und rechts neben der Tür ab und lehnte die Stirn gegen den glatten Stahl der Luke. Manchmal war es zum Kotzen, wenn man die Verantwortung trug. Und heute war definitiv manchmal.

»Captain, Lieutenant Kindros wurde von dem Gefangenen als Geisel genommen. Der Gefangene hat bereits auf zwei Sicherheitsleute geschossen.«

Fuck.

Keine zwei Sekunden nachdem die klare, feminine Stimme verstummt war, rannte jemand keuchend um die Ecke. »Captain, der Gefangene hat einen Fragger erbeutet und Lieutenant Kindros als Geisel genommen.«

Die Luke öffnete sich und fuhr quietschend über Nates Stirn, bevor er einen Schritt zurückmachen konnte.

»Kommst du rein?« Sein Sohn Trouble stand mit einem breiten Grinsen auf den Lippen im Türrahmen, bevor er den Ausdruck auf Nates Gesicht sah. Troubles aquamarinfarbene Augen weiteten sich und er sah über Nates Schulter in Richtung des Besatzungsmitglieds.

Seufzend drehte Nate sich um und erkannte Thompson, einen der Unteroffiziere der Lady Anna, der händeringend vor ihm stand.

»Wie ist der Gefangene an eine Waffe gekommen?«

»Ähm…« Thompson biss sich auf die Unterlippe. Sein Blick huschte unruhig umher und er sah überall hin, nur nicht in Nates Augen.

Nate hob eine Hand. »Egal. Sind die zwei von der Sicherheit noch am Leben?«

Thompson nickte.

»Werden sie sich wieder erholen?«

Wieder nickte Thompson.

Na ja, immerhin etwas. Nate massierte sich die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger und starrte hinunter auf den dunkelvio-letten Teppichboden. Er hätte den beschissenen Verhörraum nie verlassen dürfen.

»Hast du Kopfschmerzen, Hawk?«, fragte Trouble.

Ja, sehr. Eine gestohlene Schiffsladung Waffen, ein Verräter, irgendein neuer Drecksstoff rostet sich durch die Hülle meines Schiffs und jetzt...

»Ja.« Nate ließ seine Hand sinken. »Anna, Aufenthaltsort und Zustand von Lieutenant Kindros?«

Die ruhige Stimme des Schiffes ertönte prompt. »Ihr Erster Offizier Lieutenant Kindros befindet sich in Sektion Q. Sie ist am Leben und es geht ihr gut, Captain.«

»Und der Gefangene?« Nate drehte sich zu Trouble um. »Bring mir meine Pistole und den Kommunikator.«

Troubles blonde Locken wippten, als er eilig in die Kabine zurückrannte.

»Der Gefangene befindet sich ebenfalls in Sektion Q. Er hält den Lieutenant gegen seine Brust gedrückt und richtete eine Fragger-Waffe auf ihre Schläfe, Sir«, antwortete Anna.

Nate wandte sich wieder dem Unteroffizier zu und befahl: »Sorgen Sie dafür, dass alle von den Gängen wegbleiben, und schicken Sie den Rest des Sicherheitsteams zur Gangway, um die Brücke zu bewachen. Ich kümmere mich um den Rest.«

»J-j-ja, Sir.« Thompson salutierte und eilte den Gang hinunter davon.

Nate schüttelte den Kopf. »Wie ist ein ängstlicher Kerl wie der zu seinem Rang gekommen?«

»Er ist nicht ängstlich. So verhält er sich nur bei dir.«

Stirnrunzelnd sah Nate zu seinem Sohn. Er streckte die Hand nach der Waffe, dem Waffengurt und dem Kommunikator aus, dessen Headset es Anna ermöglichen würde, ungehört für alle anderen mit ihm zu kommunizieren.

»Warum sollte er nur bei mir so sein?«

»Weil du jedem eine Heidenangst einjagst.« Trouble grinste und zeigte dabei seine strahlend weißen Zähne.

Ja, jedem außer dem kleinen Mistvieh vor ihm offensichtlich. Nate steckte sich den Kommunikator ins Ohr, befestigte den Waffengurt um seine Hüfte und starrte Trouble finster an.

»Geh in Deckung, Trouble.«

»Aya, aye, Captain!« Der Junge salutierte, schlug die nackten Hacken zusammen und drückte auf den Knopf neben der Luke, die sich daraufhin mit einem Zischen schloss.

Frecher Bengel.

Nate marschierte den Gang hinunter in Richtung seines Ersten Offiziers und dem Gefangenen, den sie hatte ausbrechen lassen. »Anna, wo befinden sich Lieutenant Kindros und der Gefangene jetzt?«

Annas Stimme ertönte nur über sein Headset. »Sie bewegen sich über Sektion P in Richtung Sektion M, Captain.«

»Hat sich das Sicherheitsteam schon zurückgemeldet?«

»Ja, Captain.«

Nate begann zu rennen, das Geräusch seiner Stiefel wurde vom Teppich gedämpft. Als er die Kreuzung zur Sektion M erreichte, hielt er inne. Er konnte die Drohungen bis hierher hören, die sein Erster Offizier gegen ihren Geiselnehmer ausstieß.

Nate presste sich mit dem Rücken gegen das kühle Stahlschott und hielt seine Pistole angriffsbereit in Kopfhöhe vor sich.

»Hey, Jansen, wenn Sie Lieutenant Kindros gehen lassen, passiert Ihnen nichts.« Zumindest so viel nichts wie einem Verräterschwein wie dir zusteht.

Ein Blitz zuckte an Nates Kopf vorbei und traf das Schott ihm gegenüber, wo er einen kleinen, schwarzen Brandfleck hinterließ.

Ich schätze, das heißt wohl nein.

Nate duckte sich.

»Sie können mich mal, Captain!« Jansen unterstrich seine Aussage mit einer weiteren Entladung aus seinem Fragger.

Kindros' Keuchen hallte durch den Korridor, gefolgt von den Geräuschen eines Handgemenges. Es gab einen dumpfen Schlag, dann erklang das ärgerliche Grunzen eines Mannes.

»Ich hab gesagt, du sollst stillhalten, dumme Schlampe!«

Nate grollte bei dem Gedanken an den Fragger, der mit dem Schädel seines Ersten Offiziers kollidierte. »Brittani?«

»Noch da, Hawk«, kam die schwache Erwiderung.

Ein weiterer Schlag und ein Japsen von Kindros.

Scheiße! Er wollte das Arschloch nicht erschießen müssen. Nicht, dass er grundsätzlich etwas dagegen hatte, das Universum von diesem Dreck zu säubern, aber Nate wollte zuerst Antworten.

»Anna, ich brauche einen Lagebericht.«

Annas neutrale Stimme meldete sich sofort über sein Headset mit den Informationen, die er verlangt hatte. »Der Gefangene Jansen bewegt sich auf Ihre Position zu, Captain. Seine Waffe ist noch immer auf den Kopf des Ersten Offiziers gerichtet. Meine Sensoren sagen, dass er höchst aufgeregt ist. Lieutenant Kindros ist benommen, aber noch bei Bewusstsein.«

Nate berührte das Headset, das ihn mit dem Schiffscomputer verband, froh darüber, die Technik zur Verfügung zu haben. »Seine Waffe ist auf Töten gestellt?«

»Ja, Sir.«

Natürlich war sie das. »Liegt sein Finger am Abzug?«

»Ja, Sir.«

Machte Sinn. »Wie weit ist er von der Kreuzung zu meinem Korridor entfernt?«

»1,25 Meter, Sir. Er bewegt sich von dem Schott weg, das Ihnen am nächsten ist.«

Fuck. Nate wünschte, er hätte eine Möglichkeit, um die Ecke zu schauen. Er checkte seinen Fragger, um sicherzugehen, dass er auf Betäubung stand, für den Fall, dass Kindros ins Kreuzfeuer geriet. Solange Jansen den Finger am Abzug hatte, würde jede Form von Entladung sie beide töten. Die Muskeln seines Körpers würden sich unter dem Blitz zusammenziehen, egal, ob dieser nun betäubend oder tödlich wirken sollte.

»Sir, Jeremy bewegt sich sehr schnell auf das südliche Ende von Sektion M zu«, meldete Anna.

Nate biss die Zähne zusammen. »Fuck!«

Jansen und Kindros befanden sich am Nordende von Sektion M. Der Junge hielt direkt auf das Zentrum des Konflikts zu. Nate war sicher, dass die komplette Besatzung den Befehl erhalten hatte, dem Brennpunkt fernzubleiben, bis der Bereich wieder freigegeben war. Verdammte Scheiße, er hatte Trouble befohlen, in Deckung zu bleiben, als er die Kabine verlassen hatte.

»Gib mir eine Warnung, drei Sekunden bevor Jeremy Sektion M erreicht.«

»Ja, Sir.«

Nate richtete sich wieder auf und schob sich Zentimeter für Zentimeter auf die Ecke zu, den Fragger schussbereit erhoben. Vielleicht war das gar nicht so schlecht. Trouble könnte sogar ungestraft davonkommen, wenn das wirklich funktionierte.

»Jeremy erreicht das Ziel in drei... zwei... eins.«

»Hawk«, rief Trouble.

Nate trat in dem Moment aus seiner Deckung, als Jansen seine Waffe auf Trouble richtete. Nate feuerte und traf seinen Sohn, Schiffsjungen und allgemeine Nervensäge direkt in die Körpermitte. Troubles Körper wurde steif und sackte in sich zusammen.

Nate feuerte erneut und erwischte Jansen, bevor dieser seine Verblüffung überwunden hatte. Jansens Pistole entlud sich, ehe sie seiner Hand entglitt. Der Energiestoß zielte exakt dorthin, wo Trouble gestanden hatte, und verschwand den Korridor hinunter. Jansen ging zu Boden.

Kindros, die die Ausläufer des Energieblitzes durch die Verbindung mit Jansens Körper ebenfalls zu spüren bekam, rutschte vor Jansen in die Waagrechte.

Nate sicherte seine Waffe und schob sie in ihr Holster an seinem Gürtel. Er rannte zu Jansen, schnappte sich den Fragger, der neben dem ohnmächtigen Mann lag, und sicherte auch diesen.

»Anna, sag bitte dem Sicherheitsteam Bescheid, dass der Gefangene wieder in Gewahrsam ist und auf seine Eskorte zurück in die Brigg wartet.«

»Ja, Sir. Sie sind auf dem Weg zu Ihnen, Captain.«

Kindros kam als Erstes wieder zu sich, da sie von einem geringeren Energiestoß getroffen worden war als Jansen und Trouble. Sie setzte sich auf, fuhr sich mit den Fingern durch die langen, dunklen Haare und verschmierte dabei das Blut auf ihrer Stirn. Benommen blinzelte sie Nate an.

»Hey, Hawk.«

Nate reichte ihr seine Hand. »Brittani.«

Sie streckte eine Hand aus, bemerkte dabei das Blut an ihren Fingern und wischte es an ihrer schwarzen Uniformhose ab. Dann legte sie ihre schmale Hand in seine und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. Sie hielt ihn fest, als Nate sich schon abwenden wollte, und drückte seine Finger.

 

»Danke.« Sie löste ihren Griff, richtete ihre Uniform und klopfte sich imaginären Staub von den goldenen Rangabzeichen auf ihren Schultern. Noch einmal fasste sie sich an die Stirn und studierte dann die roten Tropfen an ihren Fingern.

»Gern geschehen.« Er wusste, dass sie ein wenig mitgenommener war, als sie zugeben wollte. Immerhin arbeitete er schon über zehn Jahre mit ihr zusammen und kannte alle Anzeichen von Stress. Sie stand unter Schock, das wäre vermutlich jedem so gegangen, dem man gerade eine Waffe an den Kopf gehalten hatte, aber sie würde eher sterben, als das auch zu zeigen. Diese Frau besaß mehr Stolz als die meisten Menschen, die er kannte, zusammen.

»Geht's Ihnen gut?«

»Sicher.« Kindros ächzte leise und folgte ihm dann zu seinem noch immer bewusstlosen Sohn. »Ich komme mir aber vor wie der letzte Idiot, dass der Dreckskerl mich überwältigen und aus dem Verhörraum schaffen konnte.«

Nate nickte. »Was ist passiert?«

Brittani verzog das Gesicht. »Er hat nach einem Glas Wasser gefragt. Ich hab Johnson den Befehl gegeben, ihm eins zu holen, weil er mir ein bisschen leid tat, nachdem Sie ihn durch die Mangel gedreht haben.«

Nate zog eine Augenbraue hoch. Mal ehrlich, die Reaktion seiner Umwelt auf ihn war schon ein bisschen lächerlich – nicht, dass er etwas dagegen unternehmen würde. Immerhin war es ja zu seinem Vorteil –, aber es war trotzdem übertrieben. Na schön, einen Großteil seines Rufs hatte er sich schwer erarbeitet, aber er marschierte nicht durch die Welt und brachte aus Spaß Leute um.

»Und dann?«

»Als Johnson mit dem Wasser zurückkam, hat der Gefangene uns überrascht. Er hat mich geschubst, Johnsons Waffe erbeutet und mich dann gepackt. Ich bin davon ausgegangen, dass er noch ziemlich fertig ist, weil er erwischt und auf Ihrem Schiff unter Arrest gestellt worden ist. Das war eine Fehleinschätzung.«

Das passte nicht zu Kindros.

Sie gab ein unwilliges Geräusch von sich und warf die Hände in die Luft. »Oh Mann, Hawk, der Mann hatte solche Angst vor Ihnen, dass er sich in die Hose gepisst hat. Ich habe nicht erwartet, dass er so was versucht.«

»Passen Sie auf, dass Ihnen das nicht wieder passiert.« Nate hielt inne und sah auf seinen Sohn hinunter. Dann kam ihm ein Gedanke. Er schnüffelte und zog an Kindros' Ärmel, bis sie sich umdrehte. Er musterte ihre Kehrseite, auf der sich ein feuchter Fleck ausgebreitet hatte. »Haben Sie den Urin auf Ihrer Hose schon bemerkt?«

Sie schnitt eine Grimasse. »Igitt... Sie Mistkerl! Das ist allein Ihre Schuld!«

Nate lachte leise. »Ich bin vielleicht ein Mistkerl, aber immerhin kein herzloser. Sie haben meine Erlaubnis, Ihre Uniform zu wechseln, bevor Sie sich wieder zum Dienst melden.« Seine Laune hatte sich im Vergleich zum Beginn des Zwischenfalls deutlich gehoben.

Er sah wieder zu Trouble. Der Fünfzehnjährige lag mit offenem Mund auf der Seite. Vor dem scharfen Kontrast des pflaumenfarbenen Teppichbodens sah er so klein und blass aus. Seine blonden Locken wirkten beinahe weiß. Gedämpftes Stöhnen hinter Nate ließ ihn sich umdrehen.

Die Sicherheitsleute zogen Jansen auf die Füße. Der Mann war immer noch ziemlich weggetreten. Der größere der beiden Besatzungsmitglieder bückte sich und hievte sich den Gefangenen über eine Schulter, bevor er den Korridor hinunter verschwand. Der zweite nickte Nate respektvoll zu, ehe er seinem Kameraden folgte.

»Arschloch«, zischte Kindros.

»Es war nicht seine Schuld, dass Sie ihn haben entkommen lassen.«

Sie zuckte zusammen. »Autsch, immer nur schön Salz in die Wunde reiben.«

»Das ist mein Job. Und nur fürs Protokoll, Lieutenant Kindros: Wer einen Gefangenen entkommen lässt, kommt normalerweise vor ein Kriegsgericht. Ich lasse Sie davonkommen. Nachdem Sie die Geisel waren, sollte Ihnen das Warnung genug gewesen sein. Ihr Arsch ist heute auf Grundeis gelaufen. Sorgen Sie dafür, dass es nicht wieder vorkommt.«

»Ja, Sir. Vielen Dank.«

Er neigte den Kopf in Kindros' Richtung. »Lassen Sie Ihren Kopf anschauen.«

»Ja, Sir.« Sie schlurfte davon.

Ein schmatzendes Geräusch lenkte Nates Aufmerksamkeit wieder auf Trouble. Der Junge blinzelte und machte leichte Kaubewegungen, bevor er sich auf die andere Seite rollte und sich eine Hand als Kissenersatz unter die Wange schob.

»Können wir uns auch um Lieutenant Taylors Arsch kümmern? Seit er an Bord ist, versuche ich, ihn unter der Dusche zu erwischen.«

Nate stupste Troubles Oberschenkel mit dem Fuß an. »Du steckst verdammt tief in Schwierigkeiten. Und wo du es gerade ansprichst, das ist ein Thema, über das ich schon eine ganze Weile mit dir –«

Trouble griff sich ans Bein und stöhnte laut auf. »Oh, die Schmerzen! Ich glaube, mein Bein ist gebrochen. Ich werde sterben! Ich habe vielleicht sogar eine schwere Gehirnerschütterung und –«

Nate starrte seinen Sohn, der sich auf dem Boden wand, finster an. Jetzt, wo die Gefahr vorüber war, bekam er ein flaues Gefühl in der Magengegend. Seine Nervensäge hätte getötet werden können.

Trouble hielt lange genug inne, um zu Nate hochzuschielen. Sofort stöhnte er lauter und begann, sich wieder herumzurollen. »Oh, ich sterbe...«

Nate hob den kleinen Simulanten auf die Arme und marschierte in Richtung ihrer Kabine. »Schmerzen oder nicht, du bekommst deine Strafe für die Befehlsmissachtung.«

Plötzlich wurde das engelhafte Gesicht ernst und alle vorgetäuschte Pein verschwand. »Das hätte ich beinahe vergessen! Der Admiral ist am Televid. Er muss dich sofort sprechen!«

***

Seine Kopfschmerzen kamen mit voller Intensität zurück. Nate löste seine Finger von seiner Nasenwurzel und strich sich über den Bart nach hinten bis zum Nacken. Er sah wieder auf den Monitor auf seinem Schreibtisch.

»Nur, damit ich das richtig verstehe: Du wusstest, dass sie Waffen hatten, und hast mich trotzdem da reingeschickt, ohne mir etwas davon zu sagen?«

Admiral Jenkins wedelte aufgeregt mit seinen dicklichen Händen, während er heftig den Kopf schüttelte. »Nein, nein, nein. Ich wusste, dass wir Waffen vermissten. Ich wusste aber nicht, wohin sie verschwunden waren, bis ich den Bericht deines Schiffs bekommen habe, in dem stand, dass du sie gefunden hast.« Er streckte sich, gähnte und starrte Nate dann an, als er fertig war. Der Kerl redete um den heißen Brei herum.

Nate stemmte sich aus seinem Sessel hoch und umrundete seinen Schreibtisch. Wenn er noch länger sitzen blieb, würde er einschlafen. Hätte er einen anderen der IN-Admirale vor sich gehabt, wäre er nie auf die Idee gekommen, das Protokoll derartig zu verletzen, aber das hier war Carl, mit dem er seit fast zwanzig Jahren befreundet war, seit Nate in die Navy eingetreten war.

Nachdem er den Bildschirm zu sich umgedreht hatte, begann Nate, im Raum auf und ab zu gehen.

»Carl, ich hatte einen beschissenen Tag. Du schickst mich zu einem angeblich unbewaffneten Hinterhofplaneten, um dem Widerstand Versorgungsgüter zu bringen, und mein Schiff wird beschossen. Nachdem meine Mannschaft die Angreifer gefangen nimmt, müssen wir feststellen, dass sie ein Lager mit Stufe-3-IN-Waffen besitzen. Der Anführer der Gruppe nimmt meinen Ersten Offizier als Geisel, schießt auf zwei meiner Besatzungsmitglieder und stanzt dabei Brandlöcher in meine Schotts, bevor ich ihn wieder festnehmen kann.

Wir haben keine Informationen über die Waffen aus den Leuten rausbekommen und jetzt erzählst du mir, dass du von deren Diebstahl gewusst hast, aber nicht, wer dafür verantwortlich ist.«

Nate blieb vor dem Monitor stehen und sah seinen kommandierenden Offizier mit zusammengezogenen Brauen an. »Ich bringe die Häftlinge ins Hauptquartier. Was soll ich denn machen? Das letzte Mal, als ich nachgesehen habe, war die Folter von Gefangenen noch gegen die Spielregeln der IN.«

Der Admiral grinste und um seine blauen Augen bildeten sich Lachfältchen, die ihn deutlich jünger als seine 62 Jahre aussehen ließen. Es war ein Grinsen, das Nate nur zu gut kannte und das seinen Kopfschmerzen prompt einen Schub gab. Das Lächeln seines Freunds verhieß nichts Gutes. Der alte Knabe plante etwas, das Nate nicht gefallen würde.

»Du hast also zugehört, Nate.«

Nate schnaubte. »Natürlich habe ich zugehört. Was führst du im Schilde, Carl?«

Carl lachte leise.

Fuck.

»Was hältst du von ein bisschen Undercover-Arbeit?«

Nate konnte gerade noch verhindern, dass ihm die Kinnlade runterklappte. Spionieren? Carl wollte, dass Nate irgendwo spionieren ging? Nate hätte nicht einmal unauffällig unter Leute gehen können, wenn sein Leben davon abhinge. Mal ganz von seinem Ruf als berüchtigter Captain Hawk abgesehen. Er war fast zwei Meter groß und wog 120 Kilo – unauffällig war nicht gerade seine Stärke.

»Oh, wie cool! Kann ich mitkommen?« Troubles platinblonde Locken umrahmten sein grinsendes Gesicht, das in der Luke aufgetaucht war.

Nate schloss die Augen und zählte bis zehn. Wie oft musste er der Nervensäge noch sagen, dass er nicht lauschen sollte? Hatte er dem Jungen nicht gerade erst eine Standpauke über das Nichtbefolgen von Befehlen gehalten?

»Hallo, Trouble«, begrüßte ihn der Admiral fröhlich.

Nate öffnete die Augen und warf seinem Sohn einen finsteren Blick zu. »Raus!« Er deutete mit dem Finger auf die andere Seite der Luke.

Trouble winkte nur in Richtung des Televids. »Hallo zurück, Admiral Carl. Wie geht's Betty und Ihrem Sohn?«

»Trouble...«, presste Nate zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Tschüss, Admiral Carl, ich muss los.« Jeremy machte, dass er davonkam. Schlauer Junge.

»Carl, ich bin Captain eines Zerstörers, kein Spion. Wie bei allen Sternen kommst du darauf, ausgerechnet mir einen Undercover-Auftrag geben zu wollen?«

»Du solltest dich vielleicht setzen, Nate.«

Toll, ganz toll, wirklich. Es schien, als würde es immer besser und besser werden. Nate ging zu seinem Sessel zurück und drehte den Bildschirm wieder zu sich.

Carl lehnte sich in seinem eigenen Sessel zurück und faltete die Hände über seinem Bauch. »Ich möchte, dass du deinen Titel benutzt.«

»Du willst, dass ich als IN-Offizier undercover gehe?«

Der ältere Mann schüttelte den Kopf. »Nein, ich will, dass du als Earl gehst. Als Earl of Deverell, Erbe des Duke of Hawthorne.«

Nates Magen verkrampfte sich, als hätte ihm jemand mit der Faust hineingeschlagen. Er hätte schwören können, dass er hörte, wie sein Blut durch seine Adern rauschte, und sein Mund fühlte sich an, als hätte er einen dieser bitteren Granulat-Riegel gegessen, die Trouble so liebte. Nach außen wirkte er jedoch so gelassen wie zuvor.

»Ich bin nicht mehr Hawthornes Erbe. Ich bin mir sicher, dass diese Ehre schon lange meinem jüngeren Bruder zuteil geworden ist.«

»Das spielt keine Rolle, Nate. Niemand wird erfahren, dass du seit beinahe zwanzig Jahren keinen Kontakt mehr zu deiner Familie hast. Ich brauche dich, weil du in einer Regency-Gesellschaft aufgewachsen bist. Du weißt, wie man sich als Lord, als Gentleman verhält.«

»Ist das ein Befehl oder eine Bitte?« Er dachte einen Moment lang darüber nach. »Nein. Ich werde nicht nach Englor zurückkehren. Du musst dir jemand anderen dafür suchen.«

»Nein, nein, nicht Englor, aber ein Planet, der ihm sehr ähnlich ist. Er heißt Regelence. Sie sind ähnlich aufgebaut. Ihre Gesellschaft basiert, wie Englors, auf dem irdischen Regency-Zeitalter. Außerdem untersteht er wie Englor der Zuständigkeit der Aries-Flotte.«

Nate schloss die Augen und ließ seinen Kopf nach hinten gegen die Lehne sinken. Er wollte das nicht. Es würde viel zu viele Erinnerungen zurückbringen. Erinnerungen, die längst tot waren. Oder wenn schon nicht tot, dann doch zumindest in seine Vergangenheit verbannt, wo sie ihn nicht mehr beeinträchtigen konnten.

»Warum?« Er öffnete die Augen und sein Blick traf Carls.

»Weil die Waffen, die du auf dem Kreuzer, der dein Schiff angegriffen hat, gefunden hast, von dort gestohlen wurden. Wir müssen herausfinden, wer darin verwickelt ist. Es ist ein seltsamer Zufall, ich weiß, aber das wird es dir umso leichter machen, dich dort einzufügen. Andernfalls müssen wir erst jemanden darauf trainieren und das braucht Zeit. Zeit, die wir nicht haben. Wir können nicht erlauben, dass unsere eigenen Waffen gegen uns benutzt werden, wenn wir den Frieden zwischen den Planetensystemen bewahren wollen, Nate.«

 

Mistkerl. Das musste ja sein. Carl wusste verdammt gut, wie Nate zu seiner Arbeit und dem Friedenserhalt durch die IN stand.

»Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann, Hawk.«

»Na schön. Ich bin dabei.«

Strahlend lächelte Carl ihn an. »Gut. Du wirst dich auf der Basis des Regelence Space Docks melden. Dort wirst du mit einer entsprechenden Garderobe ausgestattet. Nimm Trouble mit, du wirst jemanden brauchen, der sich unter die Dienerschaft mischen kann.«

»Ja!«, tönte Troubles triumphierender Schrei aus dem Nebenraum.

Nate unterdrückte nur mit Mühe ein Lachen. Das kleine Mistvieh!

Der Admiral dagegen lachte laut auf. »Bring ihm bei, als dein Kammerdiener zu fungieren. Du wirst in der königlichen Residenz in Pruluce, dem Regierungsland von Regelence, wohnen.«

Nates Augenbrauen wanderten beinahe in seinen Haaransatz. Carl hatte nicht untertrieben, als er gesagt hatte, dass er jemanden brauchte, der sich in adeligen Kreisen bewegen konnte.

»Die königliche Residenz?«

Carls Mundwinkel zuckten. »Ja, du wirst Gast von König Steven und seinem Ehemann sein. Raleigh arbeitet für die IN. Aber weil er von dem Fall persönlich betroffen ist, kann er nicht offiziell beteiligt sein. Ich bezweifle, dass man dich erkennt, aber wenn doch, ist das auch nicht weiter schlimm. Und wo wir gerade dabei sind: Steven und Raleigh sind die Einzigen, die den wahren Grund deines Aufenthalts kennen. Ganz unter uns, ich kenne beide Männer persönlich. Sie haben mit der Sache sicher nichts zu tun. Du kannst ihnen vollkommen vertrauen. Offiziell wirst du natürlich mir Bericht erstatten. Dein komplettes Briefing erhältst du, wenn –«

Nate blinzelte und bekam nur noch die Hälfte von dem mit, was der Admiral sagte. Hatte er gerade gesagt – nein, unmöglich.

»Moment mal. Hast du gerade Ehemann gesagt? Der Ehepartner des Königs ist ein Mann?« Eine Gesellschaft wie die, in der Nate aufgewachsen war, tolerierte keine gleichgeschlechtlichen Beziehungen.

Der Admiral lachte. »Habe ich vergessen, zu erwähnen, dass Regelence eine extrem patriarchal strukturierte Gesellschaft ist? Kurz gesagt: Die Aristokratie geht sicher, dass ihre Nachkommen, insbesondere ihre Erben, männlich sind und genetisch verändert werden, sodass sie eine Vorliebe für ihr eigenes Geschlecht haben.«

***

Planet Regelence, Regierungsland Pruluce,

Taverne Lazy Dog in Classige

Ralph Benson lehnte sich mit angehaltenem Atem gegen die Wand. Als er dem anderen Kammerdiener hierher gefolgt war, hatte er keine Ahnung gehabt, was auf ihn zukommen würde. Er war mit anderen Bediensteten der Residenz hergekommen, um gemütlich ein Bier zu trinken, nachdem sich die königliche Familie zur Nachtruhe begeben hatte. Er hätte nie erwartet, dass diese Information ihm hier in die Hände fallen würde.

Er nahm einen Schluck von seinem Ale und nickte der Bedienung zu, immer noch auf das konzentriert, was der Kammerdiener sagte.

»Ich denke, ich habe den richtigen Mann gefunden, um an die Klon-Technologie heranzukommen, wenn der erst einmal in die Familie eingeheiratet hat. Sobald er seinen Ehemann von sich abhängig gemacht hat, kommen wir an den Vater ran.« Der Kammerdiener verstummte plötzlich und Ralph nahm an, dass er der Person am anderen Ende seines Televids lauschte. »Nein, die Königin-Schlampe weiß nichts davon. Sie weiß nur, dass sie das Geld bekommt, wenn sie ihm die Baupläne besorgt.« Wieder machte der Mann eine Pause. »Azrael hat keine Ahnung, dass ich hier bin, aber ich glaube, er verdächtigt uns. Und denk dran: Wir haben immer noch ihr Kind, das wir benutzen können, wenn –«

Ralph bewegte sich von der Wand weg. Er hatte genug gehört. Er hatte das meiste nicht verstanden, aber er wusste jetzt genug, um davon auszugehen, dass ihre Königin in die Sache verwickelt war, und deswegen war er hier. Er musste Colonel Hollister irgendwie eine Nachricht zukommen lassen.