Sternenglanz

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Altan setzte seinem Gegner sofort nach. Aus den Augenwinkeln erkannte er, dass weder seine Brüder noch die beiden Männer des Khans eingreifen würden. Dies verlangte die Ehre. Ein Kampf Mann gegen Mann durfte nicht gestört werden. So intensivierte er seine Angriffe und führte sein Pferd gleichzeitig immer wieder um den Gegner. Er war stärker, schneller, und konnte sein Pferd besser führen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieser Kampf entschieden war.

Narthas Erfahrung war sein eigentlicher Vorteil. Ein Hieb streifte ihm über die Wange, als er nicht weit genug nach hinten ausweichen konnte. Während sein Gegner eine Schwäche erwartete und sofort nachsetze, erkannte Narthas seine Chance, als dieser sich zum Angriff näherte. In einer schnellen Bewegung zog er mit der Linken seinen Dolch aus dem Gürtel und rammte dem Feind das Messer in die rechte Schulter.

Altan schrie auf, ließ seine Waffe fallen. Den wütenden Schrei von Narthas nahm er kaum noch wahr, bevor dieser mit einem sauberen Hieb seines Säbels den Kopf des jungen Khans abtrennte. Die beiden Brüder von Altan wichen zurück, aber mit einem kurzen, ernsten Blick verhinderte Narthas, dass sie ihn angriffen. Dann wandte sich der Khan an Zirgas.

„Zirgas.“, sagte er nur und nickte auf den Kopf des Unterlegenen. Der alte Gefährte grinste, sprang vom Pferd, hob den Kopf auf und warf ihn Narthas zu, nachdem dieser seine Klingen weggesteckt hatte.

Narthas ritt langsam an den beiden Brüdern von Altan vorbei auf das Heer der Tarkach Urboi zu. Als er wenige Schritte vor den letzten Reitern hielt, ließ er seinen Blick schweifen, und versuchte möglichst vielen Männern in die Augen zu schauen. Dann warf er den Kopf des einstigen Khans auf den gefrorenen Boden der Steppe. Er zog den blutigen Säbel aus dem Gürtel und reckte ihn in die Luft.

„Wer folgt mir?“, rief er laut.

Speere, Säbel, Bögen wurden in den Himmel gereckt. Laute Rufe der Tarkach Urboi waren die Antwort. Während er nach außen sichtbar streng schaute, musste Narthas innerlich lächeln. Der junge Heißsporn war doch ein Glücksfall gewesen. Denn ihr Heer wuchs. Und in den Steppen gab es noch einige kleinere Stämme wie die Tarkach.

Das Eis am Ufer brach krachend, als Narthas sein Pferd in die Furt führte. Sie hatten einige Zeit gebraucht, bis sie erst den Calas erreicht, und dann die Furt gefunden hatten. Aber nun schienen sie an einer Stelle angekommen zu sein, die ein sicheres Übertreten erlaubte. Selbst jetzt, im kalten Winter. Es würde noch einige Tage, vielleicht Wochen dauern, bis sie das Heer vollständig gesammelt hatten. Aber dann würden sie den großen Fluss überqueren. Auf der anderen Seite sah Narthas am Horizont bereits zwei Burgen. Die Peltamark. Land der Seen und Burgen. Es würde sich zeigen, ob deren Bewohner sie passieren ließen. Oder ob sie unklug handelten…

Kapitel 5

„Für den Frieden des Kaisers. Möget ihr eins mit Laëa werden.“ Die Worte des Dritten, der die Militärherrschaft über Fendheim ausführte, hallten über den Platz. Im nächsten Moment trat der Henker die Bank unter den Verurteilten weg. Die Stricke zogen sich stramm, während die Gehängten noch zappelnd versuchten, sich zu befreien. Doch es war vergebens. Einer nach dem anderen sackte schließlich leblos in sich zusammen und starb. Fünf Männer. Zwei Frauen. Ein Junge, vielleicht dreizehn, vierzehn Jahre alt.

Berlan schaute nicht weg. Er betrachtete das Grauen, dass der Kaiser im Namen seines Friedens nach Kargat gebracht hatte, Berlans zweiter Heimat. Er hatte es schon damals erkennen müssen. Doch da waren es noch eher offene Schlachten gewesen. Nun verlagerte sich die Unterdrückung in die Städte und auf all jene, die sich gegen die kaiserlichen Besatzer aussprachen. Oder nur dessen beschuldigt wurden. Wie hier in Fendheim.

Fendheim war eine größere Stadt im Norden Kargats, die in den letzten Jahren aufgrund des vermehrten Bergbaus im Drillingsmassiv gewachsen war. Die Stadtmauern reichten schon lange nicht mehr, um all die Hütten und Häuser zu umschließen. In Fendheim lebten viele Menschen, denen es schon unter dem König Kargats schlecht gegangen war. Unter dem Kaiserreich wurde es nicht besser. Dafür sorgten die kaiserlichen Soldaten für unnachgiebige Verfolgung jeglicher Straftaten. Aufwieglung zählte da dazu. Durch seine Bevölkerungsstruktur war aber Fendheim schon in den letzten Jahren ein guter Nährboden für das Nachtrudel gewesen, trotz der Entfernung zu Dornat. Deswegen war Berlans Wahl auf diese Stadt gefallen. Hier sollte der Widerstand im besetzten Kargat neu belebt werden. Und was bot da einen besseren Grund als die Hinrichtung von scheinbar unschuldigen Menschen.

„Sollten wir gehen?“, fragte Sivert seinen Vater. Der Blick des Jungen war noch stur nach vorne auf die Hingerichteten gerichtet, doch er spürte, wie sich die Menge langsam zerstreute. Sie sollten nicht als letztes hier verbleiben. Denn es bestand zu befürchten, dass in Kargat noch der ein oder andere Steckbrief, zumindest von Berlan, zu finden war.

„Noch nicht.“, sagte Berlan. Er hatte sich einen dicken Mantel übergeworfen und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Dennoch suchten seine Augen den Platz ab. Nach Menschen, die er kannte. Oder anderen Anzeichen von jenen, die dem Kaiser nicht unbedingt loyal gesinnt waren. Über die Jahre hatte er die Anzeichen gelernt. Der verbitterte Blick zum Galgen. Die genaue Beobachtung der Besatzer. Versteckte Klingen. All jene Dinge, die ihn wohl auch ausgemacht hatten, als er noch nicht gelernt hatte, sich im Zweifel zu beherrschen. Unauffällig zu wirken, aber eben nicht so unauffällig, dass er wieder verdächtig wurde. Es war ein schmaler Grat.

Recht unvermittelt wurde Berlan von einem Mann angerempelt, der gerade den Platz verließ. Sofort griff Sivert an die Klinge seines Dolches, den er unter dem Mantel. „Pass doch auf.“, fuhr er den Mann an.

„Es tut mir leid, mein Herr.“, sagte dieser nur kleinlaut mit gesenktem Blick. „Ich bitte um Entschuldigung.“, sagte er weiter, ging aber gleichzeitig rückwärts weiter und drehte sich dann weg, um in der Menge zu verschwinden.

„Hat der Mann keine Augen?“, fragte Sivert seinen Vater, der auf den Rempler kaum reagiert hatte. Einen Berg bewegte man eben nicht allzu leicht. Doch dann erkannte der Sohn ein Lächeln im Gesicht des Vaters.

„Oh doch, mein Sohn. Er hatte sehr gute Augen.“, sagte Berlan. Er öffnete leicht die rechte Hand, ließ sie dann aber wieder unter dem Mantel verschwinden. Doch es hatte gereicht, damit Sivert den Zettel erkannte, den der Mann Berlan offensichtlich zugesteckt hatte.

Mühle. Mitternacht. Die zwei Worte hatten auf dem Zettel gestanden. Berlan wusste, dass es ein Risiko war. Es könnte eine Falle sein. Andererseits war das gesamte Vorhaben ein großes Risiko, und sie hatten nicht viel zu verlieren. Also fanden sie sich in tiefster Nacht etwas außerhalb der Stadt wieder. An der großen Mühle, die normalerweise von dem nahen Fluss angetrieben wurde. Doch nun war dieser vollkommen vereist, und die Mühle wirkte geisterhaft ruhig.

„Denkst du, dass jemand kommt?“, fragte Sivert, als sie schon einige Zeit warteten. Der Junge zitterte ob der Kälte. Berlan hatte ihn noch in Valorien offen gefragt, ob er mit ihm gehen wollte. Ansonsten hätte er bei seinem Onkel am herzoglichen Palast in Tjemin verweilen können. Aber das fühlte sich nicht nach dem Leben an, das Sivert gewohnt war. Er fühlte sich nicht Adelig. Er war es eigentlich nie gewesen, und würde es wohl auch nie sein. Also hatte der Entschluss, seinen Vater zu begleiten, schnell festgestanden.

„Ja. Irgendjemand wird kommen. Ansonsten müssen wir schnell weiterziehen.“, antwortete Berlan, den die Kälte anscheinend deutlich weniger störte.

„Verstanden.“, sagte Sievert und schaute sich ungläubig in der Nacht um. Es wirkte nicht so, als wäre noch irgendjemand wach, außer der Wachen, die auf den Mauern der Stadt patrouillierten. „Ich bin gleich wieder da.“, sagte er und ging dann um die Scheune herum, um sich zu erleichtern.

Als er um die Ecke gebogen war, stockte er kurz. Hinter der Scheune fiel der Boden abwärts hin zu dem kleinen Fluss. Dort war auch das große Mühlrad. Aber hatte er dort nicht gerade weißen Dampf gesehen, wie vom Atem eines Mannes? „Hallo, ist da jemand?“, fragte Sivert leise. Gleichzeitig legte er seine Hand um den Dolch, den er unter der Kleidung trug. Doch nichts regte sich. Vorsichtig stieg Sivert durch den Schnee nach unten. „Hallo?“, fragte er erneut.

Plötzlich sprang in der Tat eine Gestalt aus dem Schatten. Statt allerdings mit Sivert zu reden, hob der Mann eine Axt und ging auf den Jungen zu. Innerlich hatte er zwar mit einem Angriff gerechnet, doch als er seinen Dolch ziehen wollte und seinen Stand verstärkte, spürte er, wie er wegrutschte. Obwohl er noch versuchte, die Balance zu halten, rutschte er vollkommen weg und fiel so auf den Hosenboden, während der Angreifer auf ihn zustürmte.

Er hörte ein Klacken. Dann ein kurzes Sirren. Und dann sah Sivert, wie ein Bolzen in die Brust des Mannes schlug und ihn nach hinten warf. Getroffen rutschte der Angreifer nach unten und auf den gefrorenen Fluss. Sivert drehte sich um, und erkannte zwei Gestalten, die angelaufen kamen. Ein dritter Mann kniete in einiger Entfernung und senkte gerade die Armbrust.

Bevor Sivert sich vollständig aufgerappelt hatte, kam schon sein Vater um die Ecke gerannt. Blitzschnell musterte Berlan die Situation. Er hatte die Axt bereits in der Hand, die er stets mit sich trug.

„Kein Grund zur Sorge. Wir sind nicht euer Feind.“, sagte der vordere Mann, als er Berlans Waffe erkannte. Er blieb in einiger Entfernung stehen, schaute sich dann noch einmal um, und steckte dann die Klinge weg, die er gerade noch getragen hatte. „Aber ihr solltet darauf achten, wer euch folgt.“, mahnte er.

 

„Wer seid ihr? Und wer war das?“, fragte Berlan und deutete auf den Toten, dessen Blut gerade Schnee und Eis rot färbte.

„Wahrscheinlich eine Ratte. Die Kaiserlichen belohnen all jene gut, die Aufständische oder Verdächtige denunziert. Anscheinend habt ihr als Fremde etwas viel Aufmerksamkeit auf euch gezogen.“, sagte der Mann und ging dann langsam auf Berlan zu. „Und Berlan, ich hoffe, dass du mich noch kennst.“, sagte er dann grinsend.

Berlan legte die Stirn kurz in Falten, aber dann erkannte er den Mann unter dessen wildem, dunkelbraunen Bart, den er früher nicht getragen hatte. Damals, als er fast militärisch aussah, und das Nachtrudel im Norden Kargats geordnet hatte. Berlan hatte den Kamerad tot vermutet, was sich aber offensichtlich als falsch herausstellte.

„Ansgar.“, sagte er erleichtert. „Ich gehe davon aus, dass wir schnell verschwinden sollten?“

Der Anführer nickte. „Ja, wenn wir nicht die nächsten am Galgen sein wollen, sollten wir das. Wer ist der Junge?“, fragte Ansgar den einstigen Hauptmann.

„Mein Sohn, Sivert.“

Ansgar lächelte und zeigte dabei einige Zahnlücken. „Der Kleine? Ich erinnere mich. Ist aber groß geworden.“

„Du kennst mich?“, fragte Sivert und trat nun auch näher.

„Ich kannte deine Mutter. Und dich, naja, in kleiner Version. Aber genug der Plauderei. Wir sollten los.“

Ihr Weg hatte sie weg von der Stadt in die Berge hineingeführt. Zuerst hatte Sivert gedacht, dass Ansgar sie in ein abgelegenes Bergdorf führen würde. Statt aber einen der kleinen Pfade hoch in die Hügel zu nehmen, waren sie zu einem Stollen gegangen. Nach ihrem langen Weg durch den Kal Dor hatte der Junge immer noch einen gewissen Respekt davor, unter Tage zu gehen. Aber es gab keine Alternative, als seinem Vater und dessen Kamerad zu folgen.

Am Eingang wartete bereits ein weiterer Mann mit einer Fackel. Sie entzündeten zwei weitere Fackeln und liefen dann in den engen Stollen hinab. Der Weg schlängelte sich tiefer in den Berg. Als Sivert schon dachte, dass der Weg immer enger wurde, erreichten sie hinter einer Ecke auf einmal eine größere Halle. Es schien eine natürliche Höhle zu sein, auf die einst Bergleute gestoßen waren. Das Innere war von mehrere Fackeln und Feuern erleuchtet. An der Decke erkannte Sivert einige Löcher und Spalten, die den Blick auf den Sternenhimmel freigaben und dem Rauch erlaubten, abzuziehen. Im Inneren der Höhle schliefen viele Männer, andere saßen noch an Tischen und tranken oder spielten mit Karten und Würfeln. Am Rand erkannte der Junge auch einen Bach, der durch die Höhle lief, und dann wieder im Fels verschwand. Die anwesenden Männer und Frauen waren bewaffnet. Und sie waren offensichtlich keine Kaiserlichen.

„Willkommen im letzten freien Teil von Fendheim. Naja, ein bisschen ausgelagert zumindest.“, sagte Ansgar und deutete ihnen weiter in die Höhle hineinzutreten. „Lasst uns erstmal einen Schluck trinken und uns am Feuer wärmen. Dann kannst du mir erzählen, was du hier im Norden machst, Berlan.“

„Im Norden? Du meinst doch im Süden?“, korrigierte Sivert verwirrt. Doch Ansgar schaute die beiden überrascht an.

„Ich dachte, ihr hättet euch nahe Dornat versteckt.“

Berlan schüttelte den Kopf. „Nein. Wie du sagtest: Lass uns zum Feuer gehen. Dann erzähle ich dir die Geschichte in Ruhe.“, antwortete er.

„So sind wir schließlich aufgebrochen. Nach Kargat zurück. Um hier all jene Kräfte zu aktivieren, die sich nicht dem ‚Frieden‘ des Kaisers unterordnen wollen.“, schloss Berlan seine Erzählung. Das Wort ‚Frieden‘ nutzte er dabei mit einem bitteren Ton. Denn Frieden war es wirklich nicht, was die Truppen der Sonne brachten. Denunziantentum und drakonische Strafen waren die Auswirkungen der 11. Armee. Kein Frieden.

„Also habe ich es richtig verstanden? Du dienst nicht nur der alten Königin von Kargat, sondern auch der neuen von Valorien? Und willst, dass wir die Herrschaft des Kaisers für die Herrschaft eines Mädchens eintauschen?“

„Luna ist mehr als ein Mädchen. Sie ist die Erbin St. Gilberts und schaffte es, Valorien vom Kaiser zu befreien. Wenn jemand Kargat befreien kann, dann sie.“, sagte Sivert vehement, wurde aber von seinem Vater mit einer Geste zu Ruhe gemahnt.

„Ansgar. Du und ich sind Realisten. Als Nachtrudel vermochten wir, ein bisschen Gerechtigkeit herzustellen, als Magnus in Härengar weilte und seine Adeligen so zerstritten wie korrupt und schwach waren. Doch das Kaiserreich ist anders. Seine Herrschaft ist anders. Wir haben es während der Besatzung versucht. Doch du hast gehört, was geschehen ist. In Dornat. Es gibt keine Freiheit für das kargatianische Volk, ohne die Hilfe Valoriens. Valorien hat mächtige Verbündete. Und wenn das Land erst geeint ist wie in Gilberts Tagen, kann es sogar dem mächtigen Kaiserreich widerstehen. Nur so kann das Volk wieder atmen.“

Ansgar kratzte sich am Kinn, während er nachdachte. Er blickte durch die Höhle, über die schlafenden Männer, und jene, die gerade noch wach waren. „Wenn das Kaiserreich uns hier findet, werden wir alle am Galgen enden. Wer sagt mir, dass nicht das Gleiche passiert, wenn die Valoren hier einmarschieren?“

Berlan nickte verständnisvoll. Er hatte wie Ansgar auf der anderen Seiten der Obrigkeit gestanden, und bat nun den alten Freund, sich genau dieser wieder unterzuordnen. Nur eben einer anderen Königin.

„Sie werden euch nichts tun, weil ihr Seite an Seite mit ihnen kämpft. Königin Luna versprach Kargat zu befreien. Nicht für seine Adeligen. Nicht für Königin Hega. Sondern nur für das kargatianische Volk. Sie wird ihr Versprechen halten. Wenn dieser Krieg zu Ende ist, wird sie ihre schützende Hand über das Land halten.“

„Pfft, über schützende Hände von Adeligen habe ich schon genug gehört.“, sagte Ansgar abfällig, blickte dann aber Berlan ernst an. „Was sollen wir tun?“

„Im Moment nichts. Lasst euch nicht erwischen. Aber wenn möglich, dann sammle im Frühjahr deine Männer. Bewaffne sie. Bereite sie vor. Und wenn die Banner Valoriens am Horizont erscheinen, dann öffnet ihnen die Tore zur Stadt. Schneidet jedem kaiserlichen Soldaten die Kehle durch. Ich werde der Königin von unseren Verbündeten in Fendheim und ganz Kargat berichten.“

„Es hört sich so einfach an, wenn du es so sagst…“, sagte Ansgar. „Aber ich war damals in Härengar. Nichts kann die Macht des Kaiserreichs bezwingen, schon gar nicht die Macht dieser Mönche.“

„Und doch gelang es den Valoren.“, sagte Sivert. „Sie sind mit Elfen verbündet.“

„Elfen?“, fragte Ansgar verwundert. „Reiten sie auch auf Drachen in die Schlacht? Und zerschmettern ihre Feinde mit Magie? Und die Königin, reitet die auf einem Einhorn?“, witzelte er dann aber sarkastisch und lachte tief.

„Es ist wahr.“, sagte Berlan ernst und blickte ins Feuer. Ansgar verstummte. Er blickte Berlan fragend an.

„Du meinst das ernst?“

„Ja.“

„Aber wie?“

„Das wissen wir nicht.“, sagte Sivert. „Aber Königin Luna kehrte an der Seite von Elfen nach Valorien zurück. Sie wurde in ihrem Krieg von zwei Elfenfürsten begleitet, gegen die die Mönche nicht bestehen konnten. Die Elfen… sie befehligen Sturm und das Meer. Es muss unglaublich gewesen sein.“

Ansgar runzelte die Stirn. Noch immer wollte er diesen Erzählungen nicht ganz glaube. Andererseits war Berlan kein Mann, der mit Lügen prahlte. Zumindest soweit er ihn kannte. Also nickte er.

„Na gut. Ich werde sehen, was ich tun kann. Ich muss mit den Männern reden, aber am Ende wird für sie jeder Feind des Kaiserreiches ihr Freund sein. Was habt ihr vor? Bleibt ihr in Fendheim?“, fragte er dann Berlan. Doch dieser schüttelte den Kopf.

„Nein. Fendheim ist nur eine Stadt. Wenn der Sturm auf Kargat beginnt, muss sich jede Stadt erheben. Kargat wird von innen und außen befreit. Die kaiserlichen Soldaten sollen kein Auge mehr zudrücken dürfen. Sie müssen ständig unter der Bedrohung leben. Nur so können wir ihre zahlenmäßige Überlegenheit neutralisieren. Wir ziehen weiter. Nach Wulfricshafen erst. Dann in die Zwillingsstädte. Hoffentlich bis nach Härengar.“, erzählte er ihren weiteren Plan.

„Gut. Ich kenne einige gute Männer in Lyth Norus und Tengemünde. Lass mich dir ein paar Zeilen mitgeben. Das sollte helfen.“, antwortete Ansgar. „Außerdem: ein paar Tage werdet ihr hier bestimmt verbringen können. Immerhin gibt es noch viele Geschichten zu erzählen, und es ist mehr als unklar, ob wir uns in dieser Welt noch einmal wiedersehen werden.“

„Das Angebot nehmen wir gerne an.“, sagte Berlan lächelnd. Dann stießen sie mit ihren Krügen an.

Kapitel 6

In schnellen Schritten lief Yatane über die Schneedecke hinweg auf den Kamm des Hügels. Sie schirmte ihr Gesicht mit einem Arm vom eisigen Wind ab, der über diesen zog und die Sicht einschränkte. Im Schnee hinterließ sie im Vergleich zu den eher schwerfälligen Menschen kaum Spuren und konnte so auch stets als Vorhut voraus und wieder zurücklaufen, ohne zu erschöpft zu sein.

Als sie den Blick über das Land warf musste sie schlucken. Vor ihnen breitete sich das Hügelland von Balor aus, mit all den Hügeln, Tälern, Pässen, Flüssen, und kleinen Seen. Es würde ein anstrengender Marsch werden, insbesondere für Luna. Aber viel mehr bedeutete dies, dass sie das eigentliche Kaiserreich hinter sich gelassen hatten und nun das besetzte Kargat erreichten. Jedenfalls das Land, das nun Kargat hieß. Yatane erinnerte sich noch genau an diese Hügel: Einst waren sie genauso Valorien gewesen, wie Elorath, Andtweil, oder Lyth Valor. Sie erinnerte sich, wie sie als kleines Kind einmal mit ihren Eltern nach Süden gereist war. Um genau diese Hügel zu durchstreifen. Doch dies lag viele Jahrhunderte in der Vergangenheit. Dennoch löste es in ihr das Gefühl aus, dass sie befürchtet hatte: Valorien war zugleich schöne, als auch schlimme Erinnerung. Und die Menschen des Reiches…

„Yatane.“ Die Elfe hörte den Ruf von Arthur und drehte sich um. Sie erkannte, wie der Ritter sich hinter ihr durch den Schnee kämpfte, um sie zu erreichen. Statt hinunter zu rufen drehte sie sich um und lief auf ihn zu.

„Yatane, wir müssen eine Rast einlegen.“, sagte der Ritter.

„Aber wir haben bestimmt noch einige Stunden Tageslicht.“, widersprach die Elfe, erkannte aber dann den sorgenvollen Blick Arthurs, der hinunterschaute. Erst jetzt sah auch Yatane, dass Luna deutlich abgeschlagen war, begleitet von Rogard und den beiden verbliebenen Soldaten aus Freital.

„Es ist, um einiges schwieriger zu wandern, wenn man nicht wie du über den Schnee hinweggleitet.“, mahnte Arthur, der auch schwer atmete. Yatane nickte. Ja. Insbesondere in Lunas Zustand.

„Ich werde über den Hügelkamm hinweg gehen und schauen, ob es auf der anderen Seite eine Höhle oder einen Unterschlupf gibt. Das Land vor uns sollte uns Wege durch die Täler erlauben, aber der Marsch wird nicht weniger anstrengend als der hinter uns liegende Aufstieg.“

Arthur nickte, Yatane sah aber, dass ihm die Luft und Kraft fehlte, um ihr zu antworten. „Ich komme gleich zurück, um auch der Königin zu helfen.“, sagte so die Elfe und lief dann los.

Die Elfe blickte gedankenverloren in die tanzenden Flammen des Lagerfeuers. Hinter sich hörte sie das ruhige Atmen der Königin. Sie hatten eine Höhle gefunden, um zu rasten. Immerhin. Doch weiter waren sie nicht mehr gekommen. Lunas Kräfte hatten einfach nicht ausgereicht. Der ganze Marsch war sowieso ein großes Risiko, für die Königin genauso wie für ihren Nachwuchs. Und er war eigentlich unnötig.

Arthur hatte Yatane von dem Schiff berichtet, dass sie an der Küste des Kaiserreichs hätte abholen sollen, um sie nach Lyth Valor zu bringen. Nachdem sie aus Sonnfels geflohen waren, hatten sie wie geplant die Küste erreicht. Aber statt eines valorischen Schiffes war dort nur eine kleine kaiserliche Flotte gewesen, die vor der Küste patrouillierte. Drei Tage hatten sie gewartet und dann die Hoffnung aufgegeben. Zurück nach Valorien gab es nur einen Weg: über Kargat. Dort würden sie versuchen, erneut ein Schiff zu finden. In Karkliff vielleicht, oder in Härengar. Im schlimmsten Fall würden sie den Weg bis nach Valorien zurücklegen müssen, um irgendwie durch das Eisentor zu schreiten. Aber das lag noch so weit in der Zukunft. Nun galt es, alle sicher durch das Hügelland von Balor nach Norden zu führen. Ein Weg, der für Yatane allein kein Problem dargestellt hatte. Mit Luna und den Männern allerdings…

„Yatane. Bist du wach?“

Die Elfe hörte die schwache Stimme der Königin und drehte sich zu ihr.

 

„Natürlich. Für dich immer.“, sagte sie und lächelte. „Wie geht es dir?“

„Besser.“, sagte Luna und nickte. Sie richtete sich leicht auf. Besser sah sie aber leider nicht aus. Sie wirkte blass und kraftlos. Gleichzeitig sah man, wie ihr Bauch sich langsam wölbte. Luna musste es schon beim Aufbruch gewusst haben, dessen war sich Yatane sicher. Dennoch hatte sie für ihr Königreich das Risiko der Reise auf sich genommen.

„Willst du etwas essen?“, fragte die Elfe, doch Luna schüttelte den Kopf.

„Nein. Einfach kurz reden, danach wieder schlafen.“

„In Ordnung.“, sagte Yatane, konnte aber ihren sorgenvollen Blick nicht verbergen. Dies war das nächste Problem. Seit einigen Tagen hatte die Königin nicht mehr richtig gegessen, selbst nicht, als Yatane extra etwas gejagt hatte. Wenn sie etwas aß, dann spuckte sie es meist kurz später wieder aus. Falls das so weiterging, würden sie es nicht schaffen, dessen war sich Yatane fast sicher. Andererseits zeichnete sich die Sippe Gilberts durch große Stärke und Widerstandkraft aus. Und dann war da noch die Kraft des Schwertes, das Luna trug. Vielleicht eine stärkere Kraft als die Erschöpfung.

„Erzähl mir doch eine Geschichte.“, sagte Luna nach einigen Momenten. Yatane lächelte. Sie erinnerte sich an die Zeit in Alydan, als sie dem jungen Mädchen die Geschichten alter Elfenhelden erzählt hatte.

„In Ordnung. Aber nur, wenn du dafür eine Kleinigkeit isst.“, bot Yatane an. Luna blickte kurz zu Boden, nickte dann aber.

„Ich versuche es.“, sagte sie. Yatane stand auf und ging zu einem der Proviantsäcke, die sie mittrugen. Sie holte ein Stück Brot hinaus und reichte es Luna. Vorsichtig begann die Königin das Brot zu kauen, während Yatane sich wieder ans Feuer setzte.

„Dann erzähle ich dir die Geschichte vom letzten König von Danarkant und dem Amulett des Windes.“, sagte Yatane und lehnte sich dann zurück an die Höhlenwand, um Luna näher zu sein, und mit ruhiger Stimme sprechen zu können.

„Vor langer Zeit im mächtigen Reich Darnakant der Menschen starb ein König und sein Sohn wurde zum König ernannt.“, wollte sie gerade die Erzählung beginnen, als auf einmal Arthur schnell in die Höhle gelaufen kam.

„Wir müssen das Feuer schnell löschen.“, zischte er leise, kniete sich dann aber selbst an das Feuer und löschte die Flammen mit etwas Wasser und Sand, sodass kaum Rauch aufstieg.

„Was ist los?“, fragte Luna sofort alarmiert und stützte sich auf.

„Bleibt liegen, Majestät.“, mahnte Arthur und wandte sich an Yatane. „Kommt mit.“, sagte er nur. Die Elfe sprang sofort auf und nickte. Dann wandte sie sich aber noch einmal an Luna.

„Ruh dich aus. Ich sage dir, wenn wir weitermüssen. Ich werde dich schützen.“

Man merkte, dass Luna protestieren wollte, dann aber nur erschöpft nickte und sich zurücksinken ließ. Sie hatte keine Kraft mehr, Arthur und Yatane zu widersprechen, bevor diese aus der Höhle hinaustraten.

„Sieh, dort!“, sagte Arthur schon, während sie die ersten Schritte auf den Hügelkamm setzten. Yatane blickte von ihrer höher gelegenen Position in die Täler vor ihnen und erkannte sofort, wovor Arthur sie gemahnt hatte. In großer Entfernung erkannte man Flammen im Tal. Fackeln wahrscheinlich, bestimmt ein Dutzend. Entsprechend viele Männer mussten es auch sein.

„Sind das kaiserliche Soldaten?“, fragte Arthur Yatane, die deutlich weitersehen konnte. Sie zuckte mit den Schultern.

„Bei der Dunkelheit und der Entfernung kann selbst ich das nicht erkennen. Allerdings gibt es für mich keinen anderen Schluss. Kaum jemand sonst würde in so gerader Linie und mit dieser Mannstärke durch das Hügelland ziehen. Wir sollten auf jeden Fall Feuer vermeiden und tagsüber auf der Hut sein.“, bestätigte sie Arthurs Sorgen.

„Ja. Ich werde Luna einen weiteren Mantel bringen.“

„Das ist gut. Dennoch müssen wir morgen so schnell wie möglich weiter. Ich werde vor euch aufbrechen und den Weg auskundschaften.“

Arthur nickte nur und drehte sich dann um. „Bleibst du noch auf Wache?“, fragte er die Elfe, die doch deutlich mehr Kraftreserven als er zu haben schien.

„Ja.“, sagte Yatane nur und verharrte dann draußen, während Arthur zurück in die Höhle ging. Gespannt beobachtete sie den Fackelschein, ohne aber eine neue Erkenntnis zu erlangen.

Das Hügelland war ein ungünstiger Ort, um einen sicheren Weg zu suchen. Ja, die Täler, die das Land durchzogen, boten viel Schutzmöglichkeit, sich zu verbergen. Doch andersherum erlaubte dies auch nicht, verlässlich nach Feinden Ausschau zu halten. Yatane versuchte dennoch den Weg vor ihnen stets auszukundschaften. Doch trotz der Fackeln, die sie gesehen hatte, wirkte die Umgebung vollkommen unbetreten.

Die Elfe wollte sich gerade wieder umdrehen, um zu Arthur und Luna zurückzukehren, als sie stockte. War dort vorne nicht etwa? Sie schaute genauer hin, und auf einmal erkannte sie einen Mann in einem dicken braunen Umhang, der in einiger Entfernung auf einem Stein saß. An ihn gelehnt hatte er einen Wanderstab. Aber gerade noch war er doch nicht da gewesen?

Luna legte ihre Hand an ihr Schwert und ging auf die Gestalt zu. Mit schnellem Schritt näherte sie sich, aber der Mann verharrte regungslos. Erst als sie ihn erreichte blickte er sich zu ihr um.

„Wer…?“, wollte die Elfe gerade fragen, als sie das Gesicht erkannte. Es war ein bekanntes Gesicht, das sie hier nie erwartet hätte. „Was macht Ihr hier?“, fragte die Elfe so verdutzt. Sie erinnerte sich an ihre letzte Begegnung mit ihm. Dem Wanderer. Dem dritten Fürst des Elfenreiches, als er sie zum ewigen Aufenthalt in Alydan verurteilt hatte. Doch bevor der Mann antwortete spürte Yatane, dass etwas nicht stimmte. Die Kraft, die den mächtigen Fürsten der Elfen innewohnte, fehlte. Sie spürte sie nicht. Er konnte nicht wahrhaft hier sitzen. So überraschte sie die Antwort auch nicht.

„Ich bin nicht wirklich hier. Ich verweile weiterhin in Alydan. Aber das heißt nicht, dass ich dich nicht beobachten würde, Yatane.“, sagte der Elfenfürst ernst.

„Wieso bin ich dann noch in Freiheit?“, fragte sie verwundert.

„Weil es einen Unterschied zwischen Beobachten und Einfangen gibt.“, antwortete der Fürst fast schelmisch. „Aber im Moment bist es nicht du, die meinen Blick auf sich zieht.“

Yatane schaute den Elf verwundert hat, verstand dann aber, was er meinte. „Luna.“

„Ja. Oder denkst du, wir würden die Macht, die sie in der Hand hält unbeobachtet in der Welt der Menschen belassen?“

„Aber wieso habt ihr zugelassen, dass sie diesen Pfad gewählt hat?“, fragte Yatane verwundert. Wieso sollten die Elfen zulassen, dass Luna das Schwert, das sie trug, so nah an den Kaiser brachte.

„Es war das Schicksal, dass sie hierherführte. Auch wir können das Schicksal nicht ändern. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass ihr euch begegnet.“, sagte der Fürst, schaute dann aber ernster. „Und nun, Yatane, solltest du schnell umkehren.“

„Wieso…?“, wollte Yatane noch fragen, bemerkte dann aber die Dummheit der Frage. Es gab nur einen Grund. Die Menschen, die Kaiserlichen. Sie mussten durch ein anderes Tal gezogen sein, und hatten sie umgegangen. Hoffentlich achtete Arthur auf Luna. „Werden wir uns wieder begegnen?“, fragte die Elfe noch, bevor sie loslaufen wollte.

„Bestimmt.“, antwortete der Wanderer. Dann drehte sich Yatane um und lief los. Sie blickte noch einmal kurz über die Schulter. Aber das Tal vor ihr war leer.

„Haltet die Schwerter bedeckt und senkt den Kopf. Überlasst das Reden mir.“, wies Arthur hektisch die Mitreisenden an. Rogard und die anderen beiden Freitaler stellten sich um die Königin und Arthur trat einige Schritte nach vorne.

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