Sonnenfeuer

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Kapitel 2



Taskor rannte durch die Gänge der Festung von Härengar. Seine Schritte hallten durch die alten Mauern, und dennoch wirkte dies wie ein unwichtiges Hintergrundgeräusch. Der wahre Lärm des Momentes kam von draußen, von der Stadt.



Da waren zuerst die Schreie. So viele Schreie. Vor Angst. Vor Schmerzen. Vor Entsetzen. Oder auch nur die Rufe der Befehle. Soldaten lagen sterbend in den Straßen. Zivilisten rannten vor dem heranrückenden Feind, um irgendwo einen Ort der Sicherheit zu finden. Doch diesen Platz gab es wohl in ganz Härengar nicht. Nicht mal in der großen Festung des Königs. Die letzten kargatianischen Truppen, die noch kämpften, versuchten eine Verteidigung zu koordinieren. Tapfere Offiziere voran. Doch Taskor glaubte nicht mehr daran, dass ihr Leben gerettet werden konnte.



Dann war da das Krachen der Belagerungsmaschinen. Der Feind hatte Katapulte um die Stadt herum aufgebaut, die feurige Kugeln nach Härengar schleuderten, damit ein Teil der Stadt nach dem anderen in Flammen aufging. Es war die wohl effektivste Angriffsmethode gewesen, denn die Sorge um ihre Familien hatte viele Soldaten dazu gebracht, ihre Waffen niederzuwerfen und zu ihren Liebsten zu eilen, um diese aus den Flammen zu retten. Obwohl der Feind schon längst in der Stadt war, waren noch vereinzelte Brandgeschosse zu hören. Das entfernte Klacken der Katapulte. Das Surren in der Luft. Der krachende Aufprall.



Die Flammen waren ein weiterer Klang, der an seine Ohren drang. Er hielt kurz inne, als er aus dem Augenwinkel das gelbe Flackern sah und schaute zum Fenster hinaus. Der Ostturm stand vollkommen in Flammen. Sie knisterten und das Knacken von Balken war zu hören, die von den Flammen geschwächt brachen. So wie die Geräusche der Brände lag auch schwarzer Rauch über der gesamten Stadt. Taskor rieb sich kurz die Augen, die ob des Rauches brannten. Der Ostturm war verloren. Und damit eine weitere Hoffnung Kargats. Eigentlich war dies sein Ziel gewesen, denn die beiden Zwillinge waren dort untergebracht. Tyl und Adela von Kargat, die jüngsten Kinder von Kronprinz Liam. Doch der Turm war verloren, wie auch seine Bewohner. Er könnte vielleicht noch hinein laufen, aber dadurch würde er nur sein eigenes Leben wegwerfen. Nein, das Leben der Kinder war verloren.



Er wandte sich ab und rannte an der Abzweigung vorbei, die ihn zum Ostturm geführt hätte. Das Klirren der Klingen schien näher zu kommen. Überall in der Stadt hörte man kämpfende Männer. Stahl, der auf Stahl, Holz, oder in Knochen schlug.



All diese Geräusche und Wahrnehmungen waren ihm bekannt. Es schien ihm selbst, als schaute er auf hunderte Schlachten und Belagerungen zurück, in denen er all diese Eindrücke ein ums andere Mal wahrgenommen hatte. Aber in dieser Schlacht kam ein neues Geräusch hinzu, das alles zugleich untermalte als auch überlagerte. Es war ein neues Geräusch dieses Krieges. Und dieses Feindes. Dem Kaiserreich der Sonne.



Trommeln und Flöten. Klänge, die er schon so oft auf Festen gehört hatte. Das schnelle Rattern von Trommeln, die im Takt geschlagen wurden. Die hohen Töne von Flötenmelodien, die selbst großen Lärm überlagerten konnten. Doch von nun an würde diese für ihn immer mit Schrecken belegt sein. Die Art zu kämpfen, in die Schlacht zu ziehen, hatte er so noch nie bei einem Feind gesehen. Dennoch war das Resultat mehr als beeindruckend. Es war erschreckend.



Im Vergleich zu den Truppen Kargats schickte das Kaiserreich fast ausschließlich Fußsoldaten in eine Schlacht, die in genau gleiche Truppenteile aufgeteilt waren. Immer einhundert Mann, immer die gleiche Bewaffnung, immer die gleiche Befehlsstruktur. Von diesen Gruppen gab es Dutzende, die in monotonem Gleichschritt dem Feind entgegen marschierten. Getrieben und begleitet von dem Spiel einer Trommel und einer Flöte. Nun marschierten sie durch die Straßen von Härengar. Und er, General Taskor Graufels, konnte sein Heil und das Heil des Königreiches nur noch in der Flucht suchen. Mit dem Versuch, die letzten lebenden Mitglieder des Königsgeschlechts zu retten.



“Majestät, die Stadt ist verloren.“, sagte er schwer atmend, als er die Tür am Ende des Korridors aufschlug. Es gab allen Grund zur Eile und keinen Grund an den Tatsachen vorbei zu reden. Erst als er die Tür hinter sich zuschlug konnte er den Raum kurz mustern.



Neben ihm waren zwei Frauen und ein Soldat im Raum. Der Soldat stand in den Farben Kargats stramm an der Tür. Sein junges Gesicht war starr vor Angst und Anspannung. Die blonden Haare gaben ihm etwas Jungenhaftes. In der Tat war er wohl noch keine zwanzig Jahre alt. Doch Taskor ignorierte ihn und ging sofort auf die ältere Frau zu, die gerade aus ihrem Stuhl aufsprang, und kniete vor ihr nieder.



„Wir sollten so schnell wie möglich versuchen, aus Härengar zu fliehen, um Euch und Eure Tochter in Sicherheit zu bringen.“, fuhr Taskor fort, bevor sie antworten konnte.



„Wieso bist du nicht bei Liams Söhnen?“, fuhr ihn die Frau an, obwohl die Stimme mehr verzweifelt als wirklich wütend war. Taskor erhob sich nach einem kurzen Zeichen und musterte sie. Trotz ihres vorangeschrittenen Alters, waren ihre Haare noch immer hellbraun wie in früheren Tagen. Lediglich ihr Gesicht wirkte matter und schwächer, und dennoch erkannte man die Schönheit, die Hega von Kargat einst ausgestrahlt hatte.



„Es war Kronprinz Magnus, der mich angewiesen hat, Euch und Eure Kinder in Sicherheit zu bringen, Majestät. Ich wollte dem nicht zustimmen, aber der Befehl war eindeutig.“



„Was ist mit ihm? Und meinem Mann? Und mit Wolf? Und wo sind die anderen Kinder von Liam? Wo sind Tyl und Adela?“, fragte Hega aufgebracht.



Taskor senkte den Kopf. Es war schwierig, solche Nachrichten zu überbringen. Besonders in einer solchen Stunde, da es keine zwei Tage her war, seit die Königin ihren Stiefsohn verloren hatte. Obwohl Kronprinz Liam nicht ihr leiblicher Sohn gewesen war, war ihr Verhältnis immer gut gewesen. Oder vielleicht genau deshalb, waren die beiden doch fast im gleichen Alter. Es waren auch die Umstände dieses Verlustes gewesen, die nicht nur die Königin, sondern ganz Kargat entsetzt hatten. Der Plan des alten Königs war sehr gut gewesen. Das heranrückende Heer von Kronprinz Liam sollte dem Feind in den Rücken fallen, der doch gerade erst damit begann, eine Belagerung um Härengar zu legen. Gleichzeitig führten dessen Söhne, Wolf und Magnus, einen Ausfall aus der Stadt, um den Feind in einer Zangenbewegung niederzuringen. Doch der Plan war gescheitert. Die Kampfkraft der kaiserlichen Truppen war überragend gewesen, vernichtend für das kargatianische Heer. Während die beiden Söhne des Kronprinzen noch den Rückzug in die Stadt befehlen konnten, war Liam verloren gewesen. So wie sein Bruder Beorn einst war er heldenhaft in der Schlacht gefallen. Es waren die Tage der schweren Nachrichten. Doch es gab keinen Grund, diese zurück zu halten.



„Majestät, Euer Mann starb heldenhaft in der ersten Angriffswelle, die er selber zurückschlagen wollte.“, sagte Taskor anerkennend. Er selbst spürte langsam die Last des Alters in seinen Knochen. König Magnus war ungleich älter, und dennoch hatte ihn sein schierer Wille erneut in die Rüstung und vor seine Männer getrieben, um seine Stadt, seine Heimat zu verteidigen. Ein ehrenhaftes Ende für einen großen König.



Hega nickte traurig. Magnus, der große König der letzten Jahrzehnte, hatte sein eigenes, würdiges Ende gefunden. Irgendwie war sie erleichtert für ihren Mann. Doch sie konnte nichts sagen, bevor Taskor weitersprach, nun mit deutlich gesenkter Stimme.



„Magnus der Jüngere und Wolf…“, sprach der General leise und mit gesenktem Kopf, „…nachdem sie mir den Befehl gaben, Euch in Sicherheit zu bringen, konnte ich von der Mauer noch sehen, wie ihre Linien überrannt wurden. Wolf ging von mehreren Bolzen getroffen zu Boden. Magnus wurde von mehreren Soldaten umzingelt. Vielleicht ist er gefangen genommen, allerdings müssen wir davon ausgehen, dass er ebenso wie sein Bruder und sein Großvater gefallen ist.“



Taskor erkannte, wie Hega langsam schwächer wurde. Er trat vor und hielt sie am Arm, half ihr wieder Platz zu nehmen. Doch die Königin konnte nichts sagen. Brachte kein Wort des Wehklagens hervor. Und Taskor war immer noch nicht am Ende seines Berichts der Trauer.



„Tyl und Adela. Sie… nun… ein Geschoss traf den Ostturm. Er steht in Flammen. Ich konnte nicht mehr rechtzeitig vordringen. Anscheinend hat es niemand mehr hinaus geschafft. Der Eingang ist eingestürzt. Es gibt keine Hoffnung.“



Hega schlug die Hände vor das Gesicht. Taskor hörte ein Schluchzen und dann einen leisen Satz. „Es ist alles verloren.“



Er wusste nicht wirklich, wie er mit der Situation umgehen sollte. So viele Schlachten waren vergangen, in denen er sich bewähren musste. In denen immer wieder Männer gefallen waren, deren Tod er den Familien erklären musste. Auch damals, als er König Magnus vom Tode Beorns hatte berichten müssen. Aber die Fülle der schlimmen Nachrichten, die Schutzlosigkeit der Königin, dieser Moment der Hoffnungslosigkeit. Dafür wusste Taskor keine Lösung.



„Mutter.“, sagte die andere Frau leise, als sie auf Königin Hega zuging. Sonya von Kargat hatte die gleichen, hellbraunen Haare wie ihre Mutter, die aber im Vergleich zu ihr leicht gelockt waren. Ihre tiefgrünen Augen gaben ihr etwas Mysteriöses, das doch ihre Schönheit nur hervorhob. Taskor war in diesem Moment dankbar über die beeindruckende Stärke, die die Prinzessin an den Tag legte. Immerhin waren es auch ihre Brüder und Neffen gewesen, die ihr Leben verloren hatten. dennoch wirkte sie gefasst, legte ihre Hand tröstend auf den Arm der Mutter.



„Nein, Majestät, noch ist nicht alles verloren.“, sagte Taskor etwas steif. „Noch gibt es eine Nachfahrin Wulfrics, die das Königsgeschlecht weiterführen kann. Majestät, prinzliche Hoheit, wir müssen so schnell es geht aus Härengar fliehen. Die Stadt ist gefallen, aber so lange das Volk Kargats noch auf eine Königin hoffen kann, ist das Land noch nicht verloren.“

 



Hega schaute ungläubig auf und fixierte Taskor erneut fast wütend. Ihre Augen waren rot, Tränen rannen über ihre Wangen. Aber Hega von Kargat war immer eine starke Frau gewesen. Wut war ihr näher als Trauer. Sie schaute den General giftig an.



„Über was für eine Hoffnung redest du, Taskor? Du hättest an der Seite meiner Enkel stehen sollen, um tapfer mit ihnen zu sterben. Wie ein Feigling bist du in die Burg geflohen, um deine eigene Haut zu retten. Und nun willst du, dass ich genauso davon laufe? Niemals. Wenn das Königshaus von Kargat zu Grunde geht, dann mit erhobenem Haupt. Hier und heute.“



„Mutter.“, sagte Sonya beruhigend und sofort wich die Wut Hegas ob der sanften Worte ihrer Tochter. „General Graufels hat Recht. Ich bin mir sicher, dass er mit Freuden als erstes gefallen wäre um unser Leben und das Leben der Prinzen zu schützen. Aber die Zeit lässt sich nicht zurück drehen. Lass uns fliehen, wenn wir können.“



Taskor nickte wortlos. Er hatte die Wut von Hega verdient. Und konnte über die Stärke von Sonya nur staunen. Sie hatte Recht. In jedem Moment, den sie zögerten, kamen die kaiserlichen Truppen näher. Ohne weiter auf eine Entscheidung der Frauen zu warten, drehte sich Taskor zu dem jungen Soldaten an der Tür um.



„Du, wie ist dein Name?“



„Be…Benno. Benno Mühlknecht.“, antworte der junge Mann stotternd. Die Angst stand ihm im Gesicht.



„Gut, Benno. Du wirst uns begleiten. Du bist für das Leben der Königin und der Prinzessin verantwortlich. Du wirst sie keine Sekunde aus den Augen lassen. So wie ich wirst du dich mit Freuden in jede Klinge stürzen, die ihnen zu nahe kommt, verstanden?“, sprach der alte General in zackigem Befehlston.



Benno spannte den ganzen Körper an und verbeugte sich leicht. „Natürlich, mein General. Aber wie wollen wir fliehen?“



Taskor legte die Stirn in Falten. Der Weg über den Burghof war zu gefährlich. Auch den Weg an die Anlegestelle der Festung konnten sie nicht nehmen, denn die Schiffe des Kaisers hatten den Hafen unter Belagerung genommen.



„Es gibt einen Bediensteteneingang aus der Küche, der direkt in die Gassen von Härengar hinter der Burg führt.“, sagte Sonya und wandte sich mit den Worten direkt an Taskor. Dieser nickte. Ja, das war ein guter Plan. Vielleicht der einzige Weg.



„Ja, sehr gut. Majestät, seid Ihr bereit?“



Man merkte, wie Hega um Fassung rang, sich dann aber aufrichtete und ihren Rücken durchstreckte. Sie strich über ihr Kleid und wirkte von einem Moment auf den anderen wieder wie eine wahre, würdevolle Königin. Sie schaute Taskor direkt in die Augen.



„In Ordnung, General Graufels. Dann zeig mir, dass es gerechtfertigt war, dein Leben zu schonen. Bring mich und die Prinzessin aus Härengar.“




Der Rauch lag tief über der Stadt und zog auch in die kleine Gasse, in die sie aus der Burg traten. Taskor schaute sich zu allen Seiten um, bevor er die beiden Frauen hinauswinkte. Beide hatten sich unscheinbare Umhänge umgeworfen, um im besten Fall unentdeckt zu bleiben. Zögerlich folgte als letztes der junge Benno.



„Wir versuchen einen Weg nach Norden zu finden, um dort aus der Stadt zu fliehen.“, erklärte Taskor der Königin und schaute zum Himmel. Es war nicht viel zu sehen, aber zwischen den Rauchschwaden waren die Strahlen der Mittagssonne zu erahnen. Also wandte er sich in die entgegengesetzte Richtung und lief los.



Im Prinzip war die Lage, wie die Königin gesagt hatte, fast ausweglos. Die kaiserlichen Truppen hatten die Tore im Süden und Osten niedergerissen und marschierten durch die Straßen der Stadt, um den letzten Widerstand niederzuschlagen. Gleichzeitig hatte eine Flotte des Kaisers den Hafen erst verschlossen und setzte dann zum Angriff von See aus an. Der Belagerungsring umschloss Härengar auch im Norden, aber hier waren deutlich weniger Soldaten zu sehen gewesen. Mit ein bisschen Glück konnten sie vielleicht dort hindurch schlüpfen, um dann… ja, um dann wohin zu gehen? Doch Taskor konnte sich nur einen Gedanken auf einmal erlauben. Aktuell musste er sich nur darauf konzentrieren, aus der gefallenen Stadt zu fliehen.



„Nicht so schnell, General Graufels.“, hörte er die Stimme des jungen Soldaten Benno. Er drehte sich um und erkannte, dass er in Gedanken verloren einen zu scharfen Schritt angeschlagen hatte, dem die Frauen nicht folgen konnten. Er hielt inne und wartete, bis sie aufschlossen. Sonya stützte ihre Mutter, die immer noch schwach wirkte. Wohl ob des Rauches, genauso wie der Trauer und Angst, die sie empfand.



„Entschuldigung, Majestät. Geht es?“, fragte er dann die Königin. Hega nickte zaghaft.



„Ja, Taskor, lass uns weitergehen.“



„Vorsicht!“, hörte Taskor noch den warnenden Ruf des jungen Soldaten. Blitzartig stellte er sich schützend vor die Königin und spürte gerade noch den Bolzen der Armbrust, der wenige Finger entfernt an seinem Gesicht vorbeiflog. Er riss die Klinge aus seiner Scheide und schaute die Straße hinunter, um die Situation zu analysieren.



Am Ende der Gasse standen sechs oder sieben Soldaten in den roten Farben des Kaiserreiches. Die Truppen schienen sich langsam aufzuteilen, um die Gassen zu durchkämmen. Zu ihrem Glück hatte nur einer der Männer eine Armbrust, die er gerade versuchte nachzuladen. Dennoch waren es sechs gegen einen, denn Taskor ging davon aus, dass der junge Benno kaum eine Hilfe war. Eine schwierige Aufgabe. Aber keine Unmögliche. Und eine Alternativlose.



„Benno, führ die Königin und Prinzessin weiter nach Norden. Kargats Hoffnungen ruhen auf dir. Ich werde die hier aufhalten.“, befahl der General dem Jungen. Hega schien noch etwas einwenden zu wollen, aber Taskor lief in seiner schwarzen Rüstung bereits auf die Feinde zu. Er mobilisierte seine letzten Kräfte.



Krachend schlug sein Stahl auf den großen Schild des ersten Soldaten. Doch er ließ dem Feind keine Zeit zu kontern. Bevor dieser sein Schwert nach vorne stoßen konnte, führte Taskor einen seitlichen Hieb aus, der über den Rand des Schildes schliff und die Schulter des Feindes aufriss. Mit Schmerzensschreien ging der Mann zu Boden.



Der Triumph war für Taskor allerdings von kurzer Dauer. Mit einer Bewegung nach rechts versuchte er, der Speerspitze eines Angreifers auszuweichen. Jedoch waren seine besten Tage lange her, und die eiserne Spitze schlug in die Seite seiner Rüstung und verbeulte das Metall, sodass ihm die Luft genommen wurde. Gerade noch rechtzeitig konnte er sein Schwert hochreißen, um einen Hieb eines anderen Soldaten abzuwehren. Aus dem Augenwinkel erkannte er, wie der Kaiserliche mit der Armbrust diese neu geladen auf ihn anlegte.



Nur ein Feind. Er hatte nur einen Feind niederringen können, bevor das Ende kam. Ein erbärmliches Ende. Vielleicht hatte er Benno zumindest genug Zeit erkauft, damit dieser Hega und Sonya in Sicherheit bringen konnte. Dann hörte er das Klacken der Armbrust und einen Schrei.



Der Bolzen schlug neben Taskor in der Mauer ein, und wie er wandten sich auch seine beiden Feinde erschreckt um. Man erkannte noch die blutige Klinge, die dem Armbrustschützen aus der Brust ragte, bevor er zu Boden fiel und den Blick auf einen stämmigen Mann freigab. Seine Arme und Schultern waren kräftig, sein Haar kurz, militärisch und grau, und sein Gesicht entstellt von mehreren Narben und einer Augenklappe. Mit einer schnellen Bewegung zog er die Klinge aus dem Leib des Mannes und baute sich vor dem nächsten Feind auf.



Taskor nutzte den kurzen Moment der Unaufmerksamkeit seiner Feinde. Mit einem Ausfallschritt nach vorne griff er den Speerträger an, verringerte so den Abstand und machte die Waffe des Feindes nutzlos. Der Holzschaft der Waffe splitterte, als der Soldat diese zur Verteidigung in die Höhe riss, um die Klinge Taskors abzublocken. Der nächste Hieb der Klinge war tödlich.



Aus dem Augenwinkel erkannte er eine weitere Gestalt, die in den Kampf eingriff. Sie sprang vom Dach eines kleinen Hauses, das an der Gasse lag, und setzte mit schnellen Schlägen einer feinen Waffe dem Feind zu. Die Klinge war aus dreieckigem Stahl, fein, aber anscheinend scharf und spitz. Der Mann trug Kleidung aus Stoff, die wohl einst edel gewesen war, nun aber durchgetragen wirkte. Auf dem Kopf trug er einen Hut mit einer Feder. Seine schwarzen Haare fielen lang unter diesem hervor und wurden von einem säuberlichen Spitzbart untermauert.



Das Blatt hatte sich gewendet. War es gerade noch ein Kampf sechs gegen eins gewesen, waren es nun drei gegen drei. Und das Überraschungsmoment auf der Seite der Kargatianer. Taskor wusste noch nicht, was er von der fremden Hilfe halten sollte, doch mit Genugtuung stellte er fest, wie sie mit gemeinsamen Kräften die restlichen Feinde innerhalb weniger Momente niedermachten.



Als der letzte kaiserliche Soldat tot zu Boden fiel, nahm sich Taskor nur kurz Zeit durchzuschnaufen. Dann hob er sofort die Klinge und richtete diese auf die beiden Fremden. Sein Blick ging kurz die Gasse hinunter. Zu seiner Überraschung waren die beiden Damen und Benno noch immer am Ende der Gasse. Allerdings waren auch sie nicht mehr alleine. Neben Hega stand eine junge Frau, vielleicht zwanzig Jahre alt, die in dunklen Farben gekleidet war. Ihre dunkelbraunen Haare waren zusammengebunden, am Gürtel trug sie neben einem Schwert mehrere Dolche und Messer. Und eine Klinge hielt sie dem jungen Benno an den Hals. Daneben war ein Mann, der wie ein Gaukler gekleidet war, mit einer Glockenmütze auf seinen roten Haaren. Er lief etwas hektisch um die kleine Gruppe. Es war aber offensichtlich, dass die beiden Gestalten zu den beiden Kämpfern gehörten, die ihnen gerade noch geholfen hatten.



„Im Name der Krone, senkt sofort eure Waffen ihr Lumpen.“, knurrte Taskor bedrohlich zu den beiden Männern, die bei ihm standen. „Und befehlt eurer Freundin das Gleiche.“, fügte er warnend hinzu.



Ob nun durch seine Befehle oder nicht, die beiden Männer steckten ihre Klingen in der Tat in den Gürtel. Nur die Frau schien keine Anstalten zu machen, Benno und die Damen aus ihrer Kontrolle zu lassen.



„Also, mein Herr.“, sagte der Fechter mit dem charakteristischen Bart mit einer leichten Verbeugung. „Wie mir scheint, steht Ihr nicht in der besseren Verhandlungsposition, um solch gewagte Forderungen zu formulieren. Der Wert der Krone hat in Kargat in den letzten Stunden leider rapide abgenommen.“



Taskor ging vorsichtig einige Schritte rückwärts auf die Gruppe um die Königin zu, hielt aber die beiden Kämpfer im Auge, während er antwortete. „So lange es Nachfahren von Wulfric gibt, gibt es eine wahrhafte Krone unseres Königreiches. Und du wirst dich dem beugen, Bürger.“



„Florenzo.“, korrigierte der Mann Taskor mit einem schelmischen Lächeln. „Man nennt mich Florenzo den Fechter. Und da ich genau genommen kein Bürger Kargats bin, erscheint mir auch die Drohung eher hinlänglich.“



Taskor musste sich auf die Zunge beißen, um nicht in Wut auszubrechen. Doch die Situation gab ein solches Verhalten nicht her. Sie hatten nicht nur zwei ausgesprochen wertvolle Geiseln in ihrer Hand, sondern waren ihm auch überlegen. Denn zumindest die beiden Männer verstanden das Handwerk des Krieges, das hatte Taskor auch in dem kurzen Moment erkennen können.



„Wer seid ihr?“, fragte er den offensichtlichen Anführer der kleinen Gruppe, „Und was wollt ihr?“



Florenzo lächelte. „Wir sind wohl das, was euer eins Abschaum nennen würde, ich würde uns als die wirklich freien Menschen des Landes bezeichnen. Eigentlich wollten wir euch nur gegen diese ungebetenen Gäste unterstützen. Aber General Graufels, den schwarzen General, erkennt man eben. Und wie erwartet scheinen wir ja eine gute Beute gemacht zu haben.“



Taskor hatte noch immer die Klinge erhoben und schnaubte. „Für eine Beute bin ich schlecht zu fangen. Aber wenn ihr gegen die Soldaten kämpft, die unser Reich in Flammen setzen, haben wir den gleichen Feind. Lasst die Frauen und den Jungen frei, und ich werde euch in Frieden und Freiheit gehen lassen.“



„Aah, ich glaube nicht. Oder…“, sagte Florenzo und schien zu überlegen.



„Ich habe ne Königin gefangen – edel, schön und hold - und willst du sie zurück erlangen – überschütte uns mit Gold.“, hörte Taskor auf einmal den Gaukler, der die Zeilen in einer Art schiefen Gesangs anstimmte. Er schaute unruhig zu dem Mann, der offenbar verrückt war.



„Entschuldigt Gilmar. Er ist manchmal etwas direkt.“, sprach nun wieder Florenzo. „Aber ich glaube er bringt es auf den Punkt. Was bringt es uns, euch nun laufen zu lassen?“

 



Euer Leben, wollte Taskor antworten. Aber erneut beherrschte er sich. Es war eigentlich recht einfach. Sie hatten nichts bei sich und er konnte nur die Zukunft versprechen. Gleichzeitig würden sich auch die vier Gestalten vor den kaiserlichen Truppen verstecken müssen. Dessen war er sich sicher. Er schaute ernst zu Florenzo.



„Ich sage es ein letztes Mal: Lass die Frauen frei, dann können wir sprechen. Wenn ihr uns helft, aus der Stadt zu entkommen, sollt ihr gut belohnt werden. Doch im Moment haben wir nichts bei uns. Also: Wollt ihr gute Bürger Kargats sein oder durch meine Klinge sterben?“, sagte er mit einer Mischung aus Drohung und ehrlichem Angebot. Seine Augen blieben auf Florenzo verhaftet, aber es war der ältere Kämpfer, der nun das Wort übernahm.



„Es reicht, Sinja. Steck die Klinge weg. Gilmar, komm her.“, sagte er mit rauer Stimme. Sofort folgten die beiden den Befehlen des Mannes und ließen von Benno, Hega und Sonya ab. Nun senkte auch Taskor die Klinge.



„Mein Name ist Eggbert Einauge. Einst diente ich als Soldat in der kargatianischen Armee. Dies ist meine Tochter Sinja Silberhand, sowie meine Gefährten Florenzo und Gilmar Glockenkron.“, sprach er mit ruhiger Stimme. Taskor ging derweilen die letzten Schritte zurück zu den Frauen und blickte dann Eggbert ins Auge.



„Danke Eggbert, für deine kluge Entscheidung.“, sagte er. Das Gefüge der vier hatte sich sehr schnell geändert. Gerade hatte er noch Florenzo als Anführer gesehen, aber Eggbert strahlte eine andere Art der Autorität aus. Dann wandte sich der General an die Königin.



„Majestät, geht es Euch gut?“, fragte er und Hega nickte sofort wortlos.



„Wir müssen uns beeilen.“, mahnte nun Sonya Taskor.



„Ja, Hoheit.“, gab dieser zurück und schaute dann noch wütend zu Benno, der seine Aufgabe so überhaupt nicht erfüllt hatte. Doch der Junge wich dem Blick aus und Taskor verkniff sich einen Kommentar, der ihnen nun auch nicht mehr helfen würde. Dann drehte er sich wieder zu Eggbert.



„Mein Angebot gilt. Ihr sollt alle entlohnt werden, wenn ihr uns aus der Stadt helft. Wie ihr seht, bin ich mit dem Jungen alleine für den Schutz der Frauen verantwortlich. Und ich habe gesehen, dass ihr von Hilfe sein könnt.“



Eggbert zögerte kurz, nickte dann aber. „Wir helfen euch aus der Stadt. Es gibt Wege, die ihr nicht kennt. Und die Kaiserlichen auch nicht. Dann unterhalten wir uns über unsere Belohnung.“




„Unsere Heimat steht in Flammen, ein Zurück gibt es nicht mehr.“, brachte Eggbert es auf den Punkt, als er den Blick auf Härengar hinunter warf. Sie hatten es geschafft. Es gab viele Winkel und Wege in Härengar, die Adeligen verborgen blieben. Aber Menschen wie sie, Diebe, Streuner, Herumtreiber, fanden diese Wege und Winkel. Mal um einen Schlafplatz zu finden. Mal um die Flucht vor der Obrigkeit anzutreten. Manchmal auch nur, weil einen die Neugier trieb. Der Abwasserweg hatte sie weit aus der Stadt geführt hin zu den Klippen, die nördlich von Härengar die Küste bildeten. Von dort war es noch ein Aufstieg gewesen und schon befanden sie sich auf dem kleinen Hügel, der ihnen den Blick auf die Stadt und den kaiserlichen Belagerungsring davor erlaubte.



Florenzo nickte. „Ja, und es scheint mir, dass das Leben für unsereins unter den Augen des Kaiserreiches nicht einfacher wird. Also, was wollen wir tun?“ Er schaute skeptisch zu der Gruppe hinüber, die um General Taskor stand. Ein einfacher Soldat, eine Königin und eine Prinzessin. Wahrlich nicht ihre Welt.



„Traue keinem Adelsmann - weil er nur Adel adeln kann - auf unsereins schaut er hinab - und schlägt uns schnell die Köpfe ab.“ Gilmar sprach wie immer in Reimen und wirr. Dennoch war es seine Erfahrung mit der Obrigkeit, die ihn zu diesem Urteil führte. Sinja legte die Stirn in Falten und schaute zu ihrem Vater.



„Ich glaube nicht, dass wir eine Wahl haben. Wenn wir dem General helfen, haben wir zumindest die Chance, an ein bisschen Gold zu kommen. Es gibt immer noch Teile Kargats, die nicht besetzt sind. Von hier fliehen wollen wir auch, vielleicht können die Herrschaften uns Türen öffnen, die sonst verschlossen wären.“



„In Ordnung.“, sagte Eggbert und schaute dann in die kleine Runde. „Seid ihr alle dabei?“



Florenzo hielt kurz inne, schien zu überlegen, aber nickte dann. „Ich bin dabei.“



„Es wird wohl sein mein Ende - wenn ich schon wieder mit euch gehe - doch wie ichs dreh und wende - keinen andern Weg ich sehe.“



„Ich bin da

Weitere Bücher von diesem Autor