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Sonderlinge

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II.
Melanie Pawlowna

Melanie Pawlowna war zu Moskau geboren. Durch ihre Schönheit hatte sie sich den Beinamen »die Venus von Moskau« erworben. Als ich sie zum ersten Mal sah, war sie bereits eine alte magere Frau mit feinen aber unbedeutenden Zügen. Ihr Mund mit den leicht gebogenen Hasenzähnen war sehr klein; über ihre Stirn hing eine Menge kleiner gelber Locken herab und ihre Augenbrauen waren gefärbt. Sie trug beständig eine pyramidenförmige Haube mit rosa Bändern, um den Hals einen hohen Kragen, ein kurzes weißes Kleid und Schuhe mit roten Hacken. Ueber dem Kleide trug sie ein Leibchen aus hellblauem Atlas, dessen rechter Aermel frei über die Schulter herabhing. Just ein solches Kostüm hatte sie am Sankt-Peterstage des Jahres 1780 getragen! An diesem Tage nämlich hatte sie sich als junges Mädchen mit ihren Eltern nach dem Chodeskofelde begeben, um dem berühmten von dem Grafen Orloff veranstalteten Faustkampfe beizuwohnen.

»Und als der Graf Alexis Orloff mich bemerkte« – (Ach, wie oft hat sie mir diese Geschichte erzählt!) – »als der Graf Orloff mich bemerkte, trat er auf mich zu, machte eine tiefe Verbeugung, nahm den Hut in beide Hände und sprach also: ›Wundervolle Schönheit‹ sagte er, ›warum läßt du diesen Aermel über deine herrliche Schulter herabhängen? Möchtest du vielleicht auch einen Faustkampf versuchen? . . . Es sei! Aber das sag' ich dir zum voraus: du hast mich schon besiegt – ich ergebe mich! – ich bin dein Gefangener! . . ‹ Und alle, die um uns herumstanden, sahen uns an und wunderten sich.«

Und seit jenem Tage hatte sie beständig dieses selbe Kostüm getragen.

»Nur diese Haube hatte ich damals nicht auf, sondern einen Hut à la bergère de Trianon, und obgleich ich gepudert war, so glänzte und schimmerte doch mein Haar wie Gold.«

Melanie Pawlowna war, wie man zu sagen pflegt, dumm bis zur Heiligkeit. Sie plauderte vom hundertsten ins tausendste, ohne selbst recht zu wissen, was sie alles sprach – und zwar fast immer vom Grafen Orloff: Orloff war gewissermaßen der Hauptgedanke ihres Gebens geworden.

Wenn sie irgendwo in ein Zimmer trat, so schwamm sie mehr als sie ging, wobei sie gleichförmig, wie ein Pfau, den Kopf bewegte und dann mitten im Zimmer stehen blieb, indem sie den einen Fuß in seltsamer Weise heraussetzte und mit zwei Fingern das Ende des freihängenden Aermels festhielt – eine Pose, welche wahrscheinlich dem Grafen Orloff einmal ebenfalls sehr gefallen hatte – und schaute, wie es sich für eine Schönheit ziemt, mit verächtlich-stolzen Blicken um sich, – ja bisweilen warf sie sogar mit einem unhöflichen ›Was soll das!‹ um sich, als wenn irgend ein seufzender Kavalier sie mit seinen Komplimenten belästigt hätte, worauf sie dann, die Hacken aneinander schlagend und die Schultern in die Höhe ziehend, plötzlich verschwand.

Sie schnupfte ebenfalls spanischen Tabak, den sie mit einem kleinen goldenen Löffelchen aus einer zierlichen Tabatiere nahm, und von Zeit zu Zeit, namentlich, wenn sie ein neues Gesicht bemerkte, hielt sie, um ihre zierliche weiße Hand mit dem aufgehobenen kleinen Finger zeigen zu können, eine Doppellorgnette – nicht vor die Augen (denn sie konnte ausgezeichnet sehen), sondern an die Nase.

Wie oft hat mir Melanie Pawlowna ihre Trauung in der Himmelfahrtskirche – einer der schönsten Kirchen! – geschildert; und wie ganz Moskau zugegen gewesen . . . »Welch entsetzliches Gedränge! Vierspännige Wagen, vergoldete Karossen . . . und Schnellläufer – der des Grafen Sawadowski fiel sogar unter die Räder . . . Und der Erzbischof selbst traute uns! Und welch eine Rede er hielt! Alle weinten; wohin ich auch blickte – Thränen, nichts als Thränen! . . . und die Pferde des Generalgouverneurs waren tigerfarbig . . . und welche Menge von Blumen! . . . wir wurden förmlich damit überschüttet! Und bei dieser Gelegenheit nahm sich ein sehr, sehr reicher Fremder aus Liebe das Leben – und der Graf Orloff war ebenfalls bei der Trauung zugegen . . . er näherte sich meinem Manne, gratulierte ihm und nannte ihn den glücklichsten Sterblichen . . . ›Du bist der glücklichste Sterbliche, mein Lieber, obgleich du ein Taugenichts bist!‹ sagte er. – Und wie zur Antwort auf diese Worte machte mein Mann eine wunderbar zierliche Verbeugung und schwenkte seine Hutfeder auf den Boden von links nach rechts, als hatte er sagen wollen: ›Euer Hoheit, jetzt gibt es zwischen Ihnen und meiner Frau eine Linie, die Sie nicht überschreiten werden!‹ – Und Graf Orloff begriff das sofort und belobte ihn . . . O, welch ein Mann das war, welch ein Mann . . . Ein anderes Mal war ich mit Alexis – es war nach meiner Verheiratung – von ihm zu Balle geladen, und welch wundervolle Brillantknöpfe er hatte! Und ich konnte mich nicht enthalten, ihm deshalb mein Kompliment zumachen: ›Welch wundervolle Brillanten Sie haben, Herr Graf!‹ sagte ich. – Da nahm er ein Messer vom Tisch, schnitt einen der Knöpfe ab und präsentierte ihn mir mit den Worten: ›Ihre Augen, mein Täubchen, sind hundertmal schöner als die schönsten Brillanten; stellen Sie sich nur vor den Spiegel und vergleichen Sie!‹ – Und ich trat vor den Spiegel, und er stellte sich neben mich und sagte: Nun, wer hat recht? Und er wandte die Augen gar nicht von mir; er sah mich so aufmerksam von allen Seiten an! Und Alexis, mein Mann, ward so unruhig; aber ich sagte zu ihm: ›Alexis‹ sagte ich, ›bitte, beunruhige dich nicht; du sollt'st mich doch besser kennen!‹ – Und er antwortete mir: ›Sei nur unbesorgt, Melanie!‹ – Und diese selben Brillanten befinden sich jetzt um das Medaillon des Grafen Orloff, das ich noch besitze, – du wirst bemerkt haben, mein lieber Neffe, daß ich es an den Festtagen an der Schulter trage: am Bande des Sankt- Georgsordens; denn er war ein sehr tapferer Held, ein echter Sankt-Georgsritter – er hat die Türken verbrannt!«3

Bei alledem war Melanie Pawlowna eine ausgezeichnete Frau, namentlich gab sie sich leicht mit allem zufrieden. »Es liegt nicht in ihrer Art, einen Menschen zu quälen und zu peinigen,« sagten die Dienstmädchen von ihr.

Melanie Pawlowna hatte eine leidenschaftliche Vorliebe für alles Süße, und eine alte Frau, welche ausschließlich mit der Bereitung von Eingemachtem und Kuchen beauftragt war und deshalb »die Küchenfrau« genannt wurde, brachte ihr wohl zehnmal des Tages auf einem kleinen chinesischen Teller bald verzuckerte Rosenblätter, bald Honigberberitze, bald ein Sorbet aus Ananas.

Sie fürchtete sich vor der Einsamkeit – »wegen der schrecklichen Gedanken, die einen dann überkommen« – und war deshalb fast immer von Schmarotzern umgeben, zu denen sie in eindringlichem Tone sprach: »Aber so redet doch, sagt doch irgend etwas, sitzt doch nicht immer da, als wolltet ihr nur eure Plätze wärmen!« – und die Schmarotzer fingen sofort an zu schnattern wie Kanarienvögel.

Eben so fromm wie ihr Mann, liebte sie es ganz besonders viel zu beten; aber da sie nach ihrer Behauptung nicht gelernt hatte, Gebete gut zu lesen, so hielt sie sich zu diesem Zweck eine fromme Frau, die Witwe des Küsters, welche so »geschmackvoll« zu beten verstand! Sie betete ohne Unterlaß bis ins Unendliche. Und in der Thai verstand diese Küsterswitwe die Gebete in einem Zuge herzusagen, ohne sich auch mir während des Atemholens zu unterbrechen – und Melanie Pawlowna hörte ihr aufmerksam zu und war ganz Inbrunst.

Sie hatte noch eine andre arme Witwe um sich; diese mußte ihr während der Nacht Märchen erzähle», – »aber nur alte,« bat Melanie Pawlowna, »die, welche ich schon kenne; die neuen sind alle erlogen.«

Sie war sehr leichtsinnig, und manchmal auch argwöhnisch: zuweilen hatte sie plötzlich die wunderlichsten Einfälle! So mochte sie z. B. den Zwerg Janus nicht leiden; sie bildete sich immer ein, er würde ihr eines schönen Tages unversehens zurufen: »Wissen Sie denn nicht, wer ich bin? Ich bin der Fürst der Burjäten! Sie haben mir zu gehorchen!« – und in melancholischen Augenblicken befürchtete sie, Janus könnte das Haus in Brand stecken.

Melanie Pawlowna wetteiferte mit ihrem Manne an Freigebigkeit; aber niemals verschenkte sie Geld, – um ihre feine zarte Hand nicht zu beschmutzen – sondern Taschentücher, Ohrenringe, Kleider und Bänder; oder sie schickte dem Betreffenden von ihrem Tische ein Stück Kuchen oder Braten oder ein Glas Wein. An den Festtagen bewirtete sie gern die alten Frauen im Dorfe und bat sie zu tanzen, während sie selbst mit den Hacken den Takt schlug und eine Tanzstellung einnahm.

Telegin wußte sehr wohl, daß seine Frau dumm war: aber gleich vom ersten Jahre ihrer Verheiratung an hatte er sich den Anschein gegeben, als glaubte er, sie habe eine sehr scharfe Zunge und liebe es, mit spitzen boshaften Worten um sich zu werfen. Wenn sie allzusehr ins Gelag hinein redete, pflegte er ihr mit dem kleinen Finger zu drohen und zu sagen: »O, diese kleine boshafte Zunge? ! Im Jenseits wird sie dafür büßen müssen! Man wird sie mit einer glühenden Nadel durchbohren!«

Melanie Pawlowna fühlte sich durch diese Worte durchaus nicht beleidigt; im Gegenteil, sie empfand etwas wie eine geheime Genugthuung darüber: »Nun,« schien sie zu sagen, »ist es meine Schuld, daß ich geistreich bin?« Ihren Mann vergötterte sie förmlich, und während ihres ganzen Gebens war sie das Muster ehelicher Treue gewesen; und doch hatte auch sie einen »Gegenstand« gehabt. Es war dies ein junger Cousin, ein Husar, der, wie sie sich einbildete, ihretwegen im Duell gefallen, aber glaubwürdigen Nachrichten zufolge an einem Schlage gestorben war, den er bei einem Streit in der Schenke mit dem Billardstock an den Kopf erhalten hatte. In einer geheimen Lade bewahrte sie noch das Aquarellbild ihres »Gegenstandes«, und Melanie Pawlowna errötete bis an die Ohren, so oft der Name Kapiton genannt wurde – so hatte der »Gegenstand« geheißen —, während Telegin eine finstere Miene annahm, ihr mit dem kleinen Finger drohte und sagte: »Traue dem Pferde nicht auf dem Felde und der Frau nicht im Hause. Hm, dieser Kapiton scheint mir ein kleiner Kupido gewesen zu sein!« – dann sprang Melanie Pawlowna heftig auf und rief: »Alexis, schämst du dich nicht! – Alexis! Ich bin überzeugt, in deiner Jugend hast du selbst verschiedene junge Damen umflattert, und da bildest du dir ein . . . « – »Nun, nun, Melanchen,« unterbrach sie Telegin lächelnd, »beruhige dich nur, dein Kleid ist weiß, aber deine Seele ist noch weißer!« – »Ja, noch weißer, Alexis, noch weißer!« – »O, diese kleine Zunge; auf Ehre, diese kleine Zunge!« wiederholte ihr Alexis und tätschelte ihr die Hand.

 

Bon den »Ueberzeugungen« Melanie Pawlownas zu sprechen wäre noch weniger angebracht, als wenn ich mich über die »Ueberzeugungen« ihres Mannes verbreiten wollte. Indes war ich doch eines Tages Zeuge eines seltsamen Ausbruches verhaltener Gefühle bei meiner Tante. Von ungefähr erwähnte ich in einem Gespräche des bekannten Scheskowsti. Melanie Pawlowna erbleichte plötzlich – sie ward geradezu leichenblaß und grün, trotz des aufgelegten Weiß und Rot, und mit dumpfer, vollkommen aufrichtiger Stimme sagte sie – (was sehr selten bei ihr der Fall war, denn in der Regel sprach sie in etwas affektiert schnarrendem Ton): »Ach, warum hast du das gesagt! Und noch spät am Abend! Sprich diesen Namen nie wieder aus!« Ich war sehr erstaunt: welche Bedeutung konnte denn dieser Name für ein so unschuldiges Wesen haben, das etwas Unerlaubtes nicht bloß nicht zu begehen, sondern nicht einmal zu denken vermochte? . . . Dieser fast nach einem halben Jahrhundert sich offenbarende Schrecken brachte mich auf eigentümliche, nicht sehr fröhliche Gedanken.

3Anspielung auf die Seeschlacht bei Tschesmeh, in welcher die türkische Flotte von der russischen, deren nomineller Admiral Graf Orloff war, verbrannt wurde.