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Drei Werst hinter der Stadt bog der Tarantaß plötzlich in das angenehm-weiche Dunkel eines Espenhains ein, mit dem Rauschen und Zittern der unsichtbaren Blätter, mit der duftig herben Frische des Waldes, mit dem unklaren Lichtschimmer oben – den ineinanderfließenden Schatten unten. Roth und groß stand der Mond am Himmel wie eine kupferne Scheibe. Aus dem Walde hervortauchend, befand sich der Tarantaß plötzlich vor einem kleinen gutsherrschaftlichen Gebäude. An der Vorderseite des niedrigen, einen Theil des Mondes verdeckenden Hauses traten die hellen Vierecke dreier erleuchteter Fenster ganz besonders grell hervor; das weit geöffnete Thor schien niemals geschlossen zu werden. Auf dem Hofe sah man im Halbdunkel eine Kibitka stehen, mit zwei weißen, hinten an der Equipage angebundenen Postpferden; zwei junge, ebenfalls weiße Hunde sprangen ihnen entgegen und fingen laut an zu bellen. Im Hause gerieth man in Bewegung – der Tarantaß hielt vor dem Flur – und mit Mühe aus demselben herauskriechend und mit dem Fuß nach dem eisernen Tritt umhertastend, der von irgend einem Dorfschmied wie gewöhnlich gerade an der unbequemsten Stelle angebracht war, sagte Markelow zu Neshdanow:

– Nun, jetzt sind wir zu Hause – und Sie werden hier Gäste finden, die Sie sehr gut kennen – aber durchaus nicht zu treffen erwarten. – Bitte! treten Sie ein!

Elftes Capitel

Diese Gäste waren unsere alten Bekannten, Maschurina und Ostrodumow. Sie saßen in dem nichts weniger als geräumigen, sehr schlecht möblirten Zimmer beim Schein einer Kerosin-Lampe, tranken Bier und rauchten Cigaretten. Sie waren nicht im Geringsten verwundert über die Ankunft Neshdanow’s; sie wußten, daß Markelow die Absicht hatte, ihn mitzubringen – desto größer war das Erstaunen Neshdanow’s. Als er eintrat, rief ihm Ostrodumow zu: »Guten Abend, Freund!« – das war Alles. Maschurina wurde feuerroth – dann reichte sie ihm die Hand. Markelow erklärte Neshdanow, daß Ostrodumow und Maschurina wegen des »gemeinsamen Werkes,« welches der That entgegenreife, hierher entsandt worden seien, daß sie Petersburg vor einer Woche verlassen, daß Ostrodumow hier in S. bleibe, um Propaganda zu machen, Maschurina aber sich nach K. begebe, um dort Jemanden zu sehen und zu sprechen.

Markelow gerieth plötzlich in Aufwallung, obgleich ihn Niemand durch Widerspruch gereizt hatte; – funkelnden Auges sprach er mit aufgeregter, dumpfer, doch deutlicher Stimme über die Schändlichkeiten, die überall begangen würden, über die Nothwendigkeit unverzüglichen Handelns, äußerte, daß im Grunde schon Alles bereit sei, daß nur Feiglinge noch zaudern könnten, und daß Anwendung von Gewalt fast eben so unvermeidlich sei, wie der Lanzett-Schnitt bei einem Geschwür. Diesen Vergleich mit der Lanzette wiederholte er mehrere Male; offenbar gefiel er ihm – er hatte ihn nicht selbst ersonnen, sondern irgendwo gelesen. – Es schien, als ob ihm jetzt, da er jede Hoffnung auf Mariannen’s Gegenliebe verloren, Nichts mehr des Bedauerns werth sei und es ihm nur darauf ankomme, wie man rascher zur »That« schreite. Er sprach in kurzen, abgebrochenen Sätzen, scharf und ohne Verstellung, einfach und von Zorn ergriffen; die blassen Lippen stießen die gewichtigen Worte stets in derselben einförmigen Weise hervor: so klang seine Rede wie das kurzathmige Gebell eines alten bösen Hofhundes. Er äußerte, daß er die Bauern und die Fabrikarbeiter der Umgegend sehr gut kenne, und daß man unter ihnen sehr brauchbare Leute finde, wie z. B. den Jeremei aus Golopljok – die gleich Alles zu thun bereit seien, was man von ihnen verlange. Auf diesen Jeremei aus dem Dorfe Golopljok kam er immer wieder von Neuem zurück. Dabei schlug er bei jedem zehnten Wort mit der rechten Hand auf den Tisch – nicht mit der flachen Hand, sondern mit dem unteren Rande derselben, – während er zugleich mit dem ausgestreckten Zeigefinger der linken Hand in die Luft hieb. Diese behaartem mageren Hände, dieser – Finger, diese dumpfe Stimme, diese feurigen Augen – es war unheimlich. Während der Fahrt hatte Markelow nur wenig mit Neshdanow gesprochen, jetzt lief ihm die Galle über. Maschurina und Ostrodumow drückten oft durch ein Lächeln, durch einen Blick, durch einen kurzen Ausruf ihren Beifall aus, mit Neshdanow aber war etwas wie ein Wunder vorgegangen. Anfangs hatte er zu widersprechen versucht und auf die verderblichen Folgen der Eilfertigkeit verfrühter, unbedachter Handlungen hingewiesen; er war namentlich darüber erstaunt, daß Alles schon bestimmt und beschlossen sei, daß gar keine Zweifel ausstiegen, daß es für unnütz befunden wurde, die Verhältnisse zu überdenken oder nach den Wünschen des Volkes zu forschen . . . Dann aber kam es plötzlich über ihn, als ob alle Lebensfibern in ihm, auf’s Höchste gespannt, erzitterten und wie in größter Verzweiflung, mit Thränen der Wuth in den Augen, begann auch er, mehr schreiend als sprechend, in demselben Sinne zu reden wie Markelow, und ging noch weiter als Dieser. Was ihn hierzu antrieb – ist schwer zu sagen: war es Reue, weil er in der letzten Zeit so wenig für die Sache gethan, war es Aerger über sich selbst oder über die Anderen, das Verlangen, irgend einen tief im Herzen nagenden Wurm zu betäuben, der Wunsch endlich, sich vor den neuangekommenen Emissaren auszuzeichnen – oder waren es wirklich Markelow’s Worte, die sein Blut in Wallung gebracht, konnte der Eindruck derselben in der That so gewaltig gewesen sein?

So ging die Unterhaltung fort bis der Morgen zu grauen begann; während Maschurina und Ostrodumow wie angewurzelt auf ihren Plätzen saßen, waren Markelow und Neshdanow aufrecht geblieben. Markelow stand die ganze Zeit unbeweglich auf einer und derselben Stelle wie eine Schildwache; Neshdanow aber ging ungleichen Schrittes auf und ab. Man sprach über die Maßregeln, die man ergreifen müsse, über die zu Gebote stehenden Mittel, über die Aufgabe, die ein Jeder auf sich zu nehmen habe; man ordnete die Flugschriften, die ausländischen Broschüren, die einzelnen Bogen, und band sie in kleine Packete zusammen; dann kam die Rede auf den Raskolnik Goluschkin, einen höchst zuverlässigen, wenn auch ungebildeten Kaufmann, ferner auf einen gewissen Kissljakow, einen jungen kenntnißreichen Propagandisten, der jedoch ein wenig zu flink und auch zu eingebildet sei; Ssolomins Name wurde gleichfalls genannt. . .

– Ist das jener Ssolomin, der eine Papierfabrik leitet? – fragte Neshdanow, sich der jüngst bei Tisch geäußerten Worte Ssipjagin’s erinnernd.

– Derselbe, – antwortete Markelow; – Sie müssen, ihn kennen lernen; wir haben ihn noch nicht durchschaut, aber er ist – ein tüchtiger, sehr tüchtiger Mensch!

Dann erschien noch ein Mal der Jeremei aus Golopljok, in Begleitung Cyrill’s aus dem Ssipjagin’schen Hause und eines gewissen Mendelei; auf diesen Mendelei könne man sich jedoch nicht verlassen: Muth habe er nur, so lange er nüchtern; wenn er getrunken, sei er ein Feigling, – er war aber immer betrunken.

– Nun, und Ihre eigenen Bauern? – fragte Neshdanow, – sind zuverlässige Leute darunter?

Markelow bejahte die Frage, ohne jedoch irgend einen zu nennen – und begann von den städtischen Kleinbürgern und Seminaristen zu sprechen, die übrigens deshalb ganz besonders von Werth seien, weil sie sich durch physische Kraft auszeichnen – wenn sie mit den Fäusten zu agiren anfangen, so fühlt man’s! – Neshdanow erkundigte sich, nach den Adligen. Markelow erwiederte, daß man wohl auf fünf bis sechs junge Männer rechnen könne; darunter befinde sich auch ein Deutscher – und der sei der radikalste von Allen; aber natürlich, auf die Deutschen ist ja kein Verlaß . . . Die betrügen und verschachern Einen sofort! – Uebrigens dann muß man noch abwarten, was Kissljakow für Nachrichten bringt! – Neshdanow erkundigte sich ferner nach dem Militär. Hier stockte Markelow, ließ seine Finger durch den langen Backenbart gleiten und erklärte endlich, daß er bis jetzt – nichts Gewisses darüber mittheilen könne . . . Vielleicht, daß man von Kissljakow etwas erfahre.

– Wer ist denn dieser Kissljakow? – rief Neshdanow ungeduldig.

Markelow lächelte bedeutungsvoll und sagte, daß er ein Mensch sei . . . ein solcher Mensch. . .

– Ich kenne ihn übrigens nur wenig, – fügte er hinzu, – da ich ihn nur zwei Mal gesehen, aber was er für Briefe schreibt, was für Briefe! Ich werde sie Ihnen zeigen . . . Sie werden staunen! ich sage Ihnen – das reine Feuer! Und welche Thätigkeit! Fünf oder sechs Mal hat er ganz Rußland kreuz und quer durchreist . . . und hat auf jeder Station einen Brief geschrieben – zehn, ja zwölf Seiten lang!!

Neshdanow blickte fragend auf Ostrodumow. Dieser saß wie leblos da. Ein bitteres Lächeln spielte um die Lippen Maschurina’s – aber auch sie blieb stumm! Neshdanow versuchte die Rede auf Markelow’s sozialistische Pläne zu bringen, – in Beziehung auf die Gutsverwaltung . . . aber da mischte sich Ostrodumow ein.

– Es verlohnt nicht der Mühe darüber zu sprechen! – bemerkte er, – es bleibt sich ja gleich – man wird später doch Alles umgestalten müssen!

Man kam in der Unterhaltung wieder auf das politische Gebiet zurück. Ein geheimer Wurm schien noch immer am Herzen Neshdanow’s zu nagen, aber je mehr er dies Nagen empfand, desto lauter und rücksichtsloser wurde seine Rede. – Er hatte im Ganzen nur ein Glas Bier getrunken, aber es war ihm, als ob er berauscht sei – sein Kopf drehte sich, krampfhaft pochte sein Herz. Als man endlich um vier Uhr Morgens auseinanderging und ein Jeder, an dem im Vorzimmer schlafenden, zur Bedienung gehörenden Knaben vorbei, seinen Winkel aufsuchte, stand Neshdanow, bevor er sich niederlegte, noch lange, mit starr auf den Boden gehefteten Augen, sinnend da. Er glaubte noch immer den weherfüllten, herzbeklemmenden Ton zu vernehmen, der aus Markelows Worten klang. Dieser Mensch mußte die Kränkungen, die er erduldet, auf’s Tiefste empfinden, er mußte leiden, alle seine Hoffnungen aus persönliches Glück waren zerstört – und doch, wie vergaß er Alles, wie gab er sich voll und ganz Dem hin, was ihm als Wahrheit erschien! Ein beschränkter Geist, sagte Neshdanow . . . Aber ist es denn nicht hundert Mal besser beschränkt zu sein, als so wie . . . wie ich?!

 

Da erhob sich aber der Stolz in ihm gegen die eigene Herabwürdigung.

»Woher denn? Bin ich denn nicht auch im Stande mein Leben zu opfern? Wartet nur . . . Und auch Du wirst Dich mit der Zeit überzeugen, Paklin, daß ich, wenn ich auch ein Aesthetiker bin, wenn ich auch dichte . . . «

Ergrimmt warf er mit den Zähnen knirschend das Haar zurück, riß sich eilig die Kleider vorn Leibe und sprang in das kalte, feuchte Bett.

– Gute Nacht! – ertönte die Stimme Maschurina’s hinter der Thür, – ich bin Ihre Nachbarin.

– Gute Nachts – antwortete Neshdanow, wobei es ihm einfiel, daß ihre Augen während des ganzen Abends unverwandt auf ihn gerichtet gewesen waren.

– Was will sie von mir? – flüsterte er vor sich hin – und schämte sich plötzlich. Wenn ich doch schneller einschlafen könnte!

»Es war jedoch schwer, die aufgeregten Nerven zur Ruhe zu zwingen . . . Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sich endlich ein bleierner, genußloser Schlaf auf die ermüdeten Lider senkte.

Als Neshdanow am andern Morgen spät erwachte, schmerzte ihm der Kopf. Er erhob sich, kleidete sich an, trat an das Fenster des Erkerstübchens, und sah, daß Markelow eigentlich gar keine geregelte Wirthschaft besaß. Das kleine Wohnhaus stand auf einem freien Platze unweit des Espenhaines; ein kleiner Speicher, ein Stall, ein Eiskeller, eine Hütte mit einem halbzerfallenen Strohdach erhoben sich auf der einen Seite, auf der anderen befand sich ein winziger Teich, daneben ein Gemüsegarten, ein Hanffeld und eine zweite Hütte, gleichfalls mit einem halbzerfallenen Strohdach; in der Ferne – eine Getreidedarre; eine Dreschtenne und eine leere Scheuer – das war der ganze sich den Blicken darbietende »Segen« des Gutes. Alles schien so ärmlich, so hinfällig – nicht verfallen oder vernachlässigt – sondern, als ob es gleichsam nie Blüthen treiben könnte, wie ein Bäumchen, das schlecht Wurzel gefaßt. Neshdanow ging nach unten. Im Eßzimmer saß Maschurina bei der Theemaschine, und schien ihn erwartet zu haben. Sie sagte ihm, daß Ostrodumow schon fort sei, und erst nach zwei Wochen zurückkehren werde, der Hausherr aber sich mit den Arbeitern plage. Da der Mai bereits zu Ende ging und sonst keine dringende Arbeit vorhanden war, hatte Markelow beschlossen, ein kleines Birkenwäldchen mit eigenen Arbeitskräften abzuholzen und sich schon am frühen Morgen dahin begeben.

Neshdanow fühlte sich seltsam abgespannt. Man hatte am Abend so viel von der Unmöglichkeit, noch länger zu zaudern, gesprochen, davon, daß man jetzt nur »vorzugehen« hätte. Vorgehen – aber wie? wohin? und weshalb denn gleich? – Maschurina zu fragen wäre vergebens gewesen: sie kannte keine Zweifel; was sie zu thun habe war ihr klar – nämlich: nach K. zu fahren, weiter reichte ihr Blick nicht. Neshdanow wußte nicht, was er ihr sagen sollte, nahm, nachdem er getrunken, seine Mütze und schlug die Richtung zum Birkenwäldchen ein. Unterwegs kamen ihm einige Bauern entgegen, frühere Leibeigene Markelow’s, welche eben von der Düngung ihrer Felder heimkehrten. Neshdanow ließ sich mit ihnen in ein Gespräch ein . . . brachte aber nichts aus ihnen heraus. Sie schienen gleichfalls abgespannt – aber es war ein Gefühl gewöhnlicher, physischer Abspannung und dem seinigen durchaus unähnlich – Ihr früherer Gutsherr, sagten sie, sei ein einfacher, aber etwas wunderlicher Herr; sie hätten ihm vorausgesagt, daß er sich zu Grunde richten werde, denn er wolle sich nicht mehr an die alte Ordnung halten und Alles auf seine Weise einrichten, nicht so wie die Väter es hielten. Und dann spricht er auch oft so wunderbar – es ist ganz, ganz unmöglich zu verstehen, was er denn eigentlich haben will! – aber gut ist er, herzensgut! – Neshdanow ging weiter und stieß denn auch bald auf Markelow.

Dieser war von einer ganzen Schaar von Arbeitern umgeben. Schon aus der Ferne sah Neshdanow, wie er ihnen etwas erklärte, auseinandersetzte – und sich dann mit einer ungeduldigen Handbewegung abwandte, da sie ihn offenbar nicht zu verstehen schienen! Neben ihm stand der Aufseher, ein junger Mann mit schwachen Augen, dessen Haltung und Physiognomie gewiß keine Achtung einzuflößen vermochten. Zum Aerger seines Herrn, der ihm größere Selbstständigkeit zugetraut hatte, wiederholte dieser Aufseher beständig: »Wie Sie befehlen!« Neshdanow trat zu Markelow heran, und bemerkte auf seinem Antlitz den Ausdruck derselben Abspannung, die auch er empfand. Sie begrüßten sich; Markelow fing gleich wieder an – freilich nur in kurzen Worten – über die gestrigen »Fragen« zu sprechen, über die Veränderungen, die bald eintreten würden; der Ausdruck der Abspannung wollte ihm jedoch nicht vom Antlitz weichen. Er war ganz in Schweiß und mit Staub überdeckt; Hobelspäne und grüne Moosfäden hingen an seinen Kleidern – die Stimme war heiser . . . Die Arbeiter, die ihn umgaben, schwiegen: die Einen schienen eingeschüchtert, während Andere den Mund zu einem spöttischen Lächeln verzogen . . . Neshdanow sah Markelow an und erinnerte sich plötzlich der Worte Ostrodumow’s: »es bleibt sich ja gleich – man wird später doch Alles umgestalten müssen!« Einer, von den Arbeitern, der sich Etwas hatte zu Schulden kommen, lassen, näherte sich Markelow und bat, ihm die Strafe zu erlassen . . . Markelow fuhr zuerst zornig auf, und schrie ihn wüthend an – dann verzieh er ihm . . . »Es bleibt sich gleich – man wird später doch Alles umgestalten müssen! . . .« Neshdanow ersuchte ihn um Pferde und Equipage zur Rückfahrt; Markelow schien darüber erstaunt, erwiderte aber, daß gleich Alles bereit sein werde.

Sie machten sich zusammen auf den Weg nach Hause . . . Marielow war so matt, daß er nur schwankenden Schrittes neben Neshdanow einhergehen konnte.

– Was ist Ihnen? – fragte ihn dieser.

– Ich bin todtmüde!! – rief Markelow voll Ingrimm aus. – Man mag mit diesen Leuten sprechen, wie man will, sie verstehen doch nichts, und thun auch nicht, was ihnen befohlen wird . . . Kennen nicht einmal die russische Sprache. – Das Wort »Antheil« ist ihnen wohlbekannt . . . aber »theilnehmen« . . . Was heißt das: theilnehmen? Sie begreifen es nicht! Es war Markelow eingefallen, den Bauern das Prinzip der Genossenschaften zu erklären und dieselben bei sich einzuführen – sie aber widerstrebten. Einer unter ihnen hatte bei dieser Gelegenheit sogar gesagt: »Die Grube war tief . . . jetzt ist aber auch der Grund nicht zu sehen . . .« und die Uebrigen Alle hatten sogleich tief aufgeseufzt – was Markelow vollends entmuthigte.

Als sie das Haus betraten, entließ er sein Gefolge und traf die nöthigen Anordnungen für die Fahrt – und zu einem Frühstück. Die Dienerschaft seines Hauses bestand aus einem aufwartenden Knaben, einer Köchin, einem Kutscher und einem uralten Diener mit behaarten Ohren, in einem langen, aus einem wollähnlichen Zeuge verfertigten Rock – einem früheren Kammerdiener seines Großvaters. Dieser Greis sah beständig mit tiefer Wehmuth auf seinen Herrn, that übrigens gar nichts, und war wohl auch schwerlich im Stande, irgend etwas zu thun, obgleich er, auf dem Geländer der Freitreppe kauernd, stets zugegen war.

Nachdem sie ein aus hart gesottenen Eiern, Strömlingen und kalter Kwaßsuppe mit Fleisch und Gurken bestehendes Frühstück eingenommen – der Senf wurde in einem Pomadennäpfchen, der Essig in einer Eau-de-Cologne-Flasche gereicht – setzte sich Neshdanow in denselben Tarantaß, in welchem er gekommen war; statt der drei Pferde waren jetzt nur zwei vorgespannt: das dritte war schlecht beschlagen worden und hinkte. Während des Frühstücks sprach Markelow sehr wenig, aß auch nicht und athmete mit Anstrengung . . . ließ ein paar bittere Worte über seine Gutswirthschaft fallen – und schlug mit der Hand in die Luft . . . »Es bleibt sich gleich – man wird später doch Alles umgestalten müssen!« . . . Maschurina bat Neshdanow, sie bis zur Stadt zu bringen; – zurück kann ich auch zu Fuß kommen – oder mich zu irgend einem Bauern in den Karren setzen. – Während er sie in den Flur geleitete, bemerkte Markelow, daß er in kurzer Zeit wieder nach Neshdanow schicken werde – und dann . . . dann – er ermannte sich und wurde lebhaft – dann müsse Alles endgültig besprochen und bestimmt werden; Ssolomin werde dann ebenfalls kommen; er, Markelow, warte nur noch auf Nachrichten von Wassili Nikolajewitsch – und dann sei nur noch das Eine zu thun: sogleich »vorzugehen« – da das Volk – dasselbe Volk, welches das Wort »theilnehmen« nicht verstehen konnte – da das Volk nicht mehr warten wolle!

– Sie wollten mir noch einige Briefe zeigen: von diesem . . . wie hieß er doch? . . . Kissljakow? – fragte Neshdanow.

– Später . . . später, – sagte Markelow eilig. – Ich zeige sie Ihnen nächstens.

Der Tarantaß setzte sich in Bewegung.

– Halten Sie sich bereit! – ertönte Markelow’s Stimme zum letzten Mal. Er stand auf dem Flur – neben ihm, immer mit demselben wehmüthigen Blick, mit auf dem Rücken gekreuzten Händen, den gekrümmten Körper so gut es ging emporstreckend und einen Geruch von Schwarzbrod, vermischt mit der Ausdünstung seines Rockes um sich verbreitend – ohne etwas zu hören – der »Diener par excellence« – der altersschwache Kammerdiener seines Großvaters.

Schweigend saß Maschurina neben Neshdanow und rauchte ihre Cigarette. Erst als sie in die Nähe des Schlagbaums kamen, entrang sich ihrer Brust ein tiefer Seufzer.

– Ssergei Michailowitsch ist doch sehr zu bedauern! – sagte sie – und ihr Gesicht verfinsterte sich.

– Er macht sich viel zu schaffen, – bemerkte Neshdanow, – wie es scheint, geht’s mit der Wirthschaft auf dem Gut nicht besonders.

– Nicht deshalb bedauere ich ihn.

– Weshalb denn?

– Weil er ein unglücklicher Mensch ist, dem nichts gelingen will! . . . Wer kann denn besser sein . . . und doch! Es geht nicht!

Neshdanow sah seine Reisegefährtin an.

– Ist Ihnen vielleicht Etwas bekannt?

– Mir ist nichts bekannt . . . aber es fühlt das ein Jeder und schließt von sich aus. Leben Sie wohl, Alexei Dmitritsch.

Maschurina stieg aus dem Tarantaß. Eine Stunde darauf war Neshdanow im Hof des Ssipjagin’schen Hauses. – Er fühlte sich unwohl . . . Die Nacht hatte er ohne Schlaf verbracht und dann – diese Gespräche . . . diese Reden. . .

Ein schönes Frauenantlitz neigte sich aus dem Fenster und lächelte ihm freundlich zu. . . Es war Frau Ssipjagin, die ihn begrüßte.

»Was sie für Augen hat!« dachte er.