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Klara Militsch

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XIII

Am nämlichen Tag wiederholte Aratow seinen Besuch bei Milowidows und unterhielt sich drei Stunden lang mit Anna Ssemjonowna. Frau Milowidow hatte sich gleich nach dem Mittagessen, um zwei Uhr, hingelegt und »ruhte« bis zum Abendthee, d. h. bis sieben Uhr. Aratows Unterhaltung mit Klaras Schwester war nicht eigentlich ein Gespräch, – sie sprach fast ganz allein, Anfangs stockend, verwirrt, dann aber mit unwiderstehlichem Eifer. Daß sie ihre Schwester vergötterte, war augenscheinlich. Aratow flößte ihr Zutrauen ein, und dieses Zutrauen wuchs und befestigte sich immer mehr. Ihre Verlegenheit war verschwunden, und sie brach sogar einige Mal schweigend, vor ihm in Thränen aus. Es schien ihr, darüber ihrer Mittheilungen und Ergüsse würdig sei. In ihrem eigenen düstern Leben war dergleichen noch nie vorgekommen! Er aber nahm jedes ihrer Werte begierig in sich auf.

Es war Folgendes, was er erfuhr. Vieles allerdings blieb unausgesprochen, das mußte er selbst ergänzen.

Seit ihrer frühesten Jugend war Klara ein schlimmes Kind gewesen, das war zweifellos. Als sie heranwuchs, wurde sie etwas weniger schroff. Sie war eigensinnig, aufbrausend, empfindlich, und konnte sich mit dem Vater, den sie wegen seines Hanges zur Trunkenheit und seiner Talentlosigkeit wegen verachtete, nie vertragen. Er fühlte das und verzieh es ihr nie. Musikalische Fähigkeiten verrieth sie schon frühzeitig; der Vater aber gönnte ihnen keinen Spielraum; – die einzig berechtigte Kunst war ihm die Malerei, obschon er selbst nur Mangelhaftes darin leistete; die aber sowohl ihn, wie auch seine Familie ernährte. Die Mutter wurde von Klara geliebt, – geringschätzend, wie man eine alte Wärterin liebt. Ihre Schwester betete sie an, obschon sie sie zuweilen auch schlug und sogar biß. Allerdings kniete sie dann vor ihr nieder und küßte die gebissene Stelle. Sie war ganz gar Feuer und Leidenschaft, war voller Widersprüche: – rachsüchtig und gütig, großmüthig und nachtragend. Sie glaubte an ein unvermeidliches Schicksal – glaubte aber nicht an Gott! (diese Worte flüsterte Anna mit Grauen.) Sie liebte alles Schöne, – für ihre eigene Schönheit aber sorgte sie nicht; sie kleidete sich nachlässig und konnte es nicht leiden, wenn junge Leute ihr den Hof machten. In den Büchern überlas sie nur die Stellen, in denen von Liebe die Rede war; gefallen wollte sie nicht, Liebkosungen tuochte sie nicht, vergaß sie aber ebenso wenig wie Beleidigungen. Den Tod fürchtete sie – und tödtete sich selbst. Sie sprach zuweilen: Den, welchen ich will, finde ich nicht . . . und Andere mag ich nicht! – Wenn Du nun aber Einen findest? – fragte Anna einst. – Finde ich ihn, . . . so nehme ich ihn. – Wenn er sich nun aber nicht nehmen ließe? – Nun, dann tödte ich mich, denn das würde heißen, daß ich nichts tauge. Klaras Vater, (wenn er betrunken war, fragte er zuweilen seine Frau: – »Von wem hast Du nur diesen schwarzen Satan her? – sicher nicht von mir!«) – Klaras Vater versprach, um sie nur bald los zu werden, ihre Hand einem reichen, jungen Kaufmann, einem ganz einfältigen Menschen, der sich aber zu den Gebildeten rechnete. Zwei Wochen vor der Hochzeit (sie war erst sechzehn Jahre alt), trat sie einst zu ihrem Bräutigam hin, stellte sich mit verschränkten Armen ihm gegenüber, spielte mit den Fingern an ihren Ellbogen (das war ihre Lieblingsstellung) und gab ihm dann plötzlich mit ihrer großen, starken Hand einen Schlag auf seine rothe Wange. Er sprang in die Höhe, sperrte den Mund auf – ich vergaß zu sagen, daß er sterblich in sie verliebt war – und fragte: Wofür? – Sie lachte ihm in‘s Gesicht und ging fort. Ich befand mich grade im Zimmer – erzählte Anna – war also Zeuge gewesen: – »Katja, um Gottes Willen was thust Du?« – fragte ich sie, nachdem ich sie eingeholt hatte. Ihre Antwort war: »Wäre er ein rechter Mann, so würde er mich wieder geschlagen haben, – so aber ist er nur ein nasses Huhn! . . . frägt erst noch wofür? Wer da liebt und sich nicht rächt, der muß dulden, ohne zu fragen weshalb. Von mir hat er nichts zu erwarten, in alle Ewigkeit nicht. Und sie nahm ihn auch nicht. Das war damals, als sie die Bekanntschaft jener Schauspielerin machte, und unser Haus verließ. Die Mutter weinte, aber der Vater sagte: Fort mit der widerspenstigen Ziege aus der Heerde! Er that auch keinen Schritt, um sie aufzusuchen, er hatte überhaupt kein Verständniß für Katja. Am Tage vor ihrer Flucht erwürgte sie mich fast in ihren Umarmungen – fügte Anna hinzu – und wiederholte nur immer: »Ich kann nicht! – kann nicht anders! Und sollte mir auch das Herz brechen, – ich kann nicht! Euer Käfig ist zu eng für meine Flügel! Niemand entgeht seinem Schicksal!«

– Später sahen wir sie nur selten – bemerkte Anna. Als der Vater starb, kam sie auf zwei Tage her, nahm aber vom Erbe nichts an und verschwand dann wieder. Sie konnte es bei uns nicht aushalten, das sah ich wohl. Als sie zuletzt nach Kasan kam, war sie schon Schauspielerin.

Dann fing Aratow an, Anna über das Theater, über die Rollen, in denen Klara aufgetreten war, über ihre Erfolge auszufragen. Anna berichtete von Allem ausführlich und mit der gleichen, kummervollen aber lebhaften Erregung. Sie zeigte ihm auch eine kleine Photographie, auf der Klara im Kostüm einer ihrer Rollen abgebildet war. Sie blickte abseits auf diesem Portrait, wandte sich gleichsam vom Zuschauer ab. Der mit einem Rande durchbrochtene Zopf hing, wie eine Schlange, über ihren entblößten Arm hinab. Aratow betrachtete die Photographie lange, fand sie ähnlich, fragte dann, ob Klara nicht auch an öffentlichen Vorlesungen Theil genommen habe, und erfuhr, daß es nicht der Fall gewesen; daß die Aufregung des Theaters, der Scene, ihr Bedürfniß gewesen sei; . . . aber noch eine andere Frage brannte auf seinen Lippen.

– Anna Ssemjonowna! – rief er endlich, zwar nicht laut, aber mit besonderem Ausdruck – sagen Sie mir, ich bitte inständigst, weshalb hat sie . . . weshalb faßte sie wohl diesen fürchterlichen Entschluß?

Anna senkte die Augen: – Ich weiß es nicht! flüsterte sie nach einigen Sekunden; – bei Gott, ich weiß es nicht! – fuhr sie noch eifriger fort, als sie eine Bewegung Aratow‘s, die Zweifel auszudrücken schien, bemerkte. – Seit ihrer Rückkehr nach Kasan war sie freilich fast immer nachdenklich und düster. Es muß durchaus in Moskau ihr etwas passirt sein, was ich nie errathen konnte. An jenem Tage aber war sie – im Gegentheil – wenn auch nicht grade heiterer, so doch wenigstens ruhiger wie sonst. Ich hatte nicht die geringste Ahnung fügte Anna mit einem bitteren Lächeln hinzu, als ob sie sich einen Vorwurf daraus mache.

– Sehen Sie, – begann sie wieder – es scheint, als ob es seit Klara‘s Geburt ihr Los war, unglücklich zu werden. Von Kindheit auf schon war sie davon überzeugt. Sie stützte immer den Kopf auf die Hand und sagte: »Ich lebe nicht lange!« – Sie hatte auch Ahnungen. Stellen sie sich nur vor, daß sie sogar vorher, im Traume, manchmal aber auch wachend, voraussah, was ihr begegnen wird: »Wenn ich nicht so leben kann, wie ich es will, so will ich lieber gar nicht leben!« – pflegte sie auch zu sagen. – »Das Leben ist ja in unsrer Hand!« – Und sie bewies es!

Anna bedeckte das Gesicht mit den Händen und verstummte.

– Anna Ssemjonowna, – begann nach einer Weile Aratow – Sie haben gewiß gehört, welche Ursache die Zeitungen . . .

– Eine unglückliche Liebe? – unterbrach ihn Anna, und entfernte ihre Hände vom Gesicht, – das ist Verleumdung, pure Verleumdung und Erfindung! – Meine keusche, unnahbare Katja! . . . Katja! und eine unglückliche, unerwiederte Liebe? . . . Und ich sollte das nicht erfahren haben? Alle, Alle waren in sie verliebt . . . sie aber . . . Wen hätte sie auch hier lieben sollen? wer von allen diesen Männern hier wäre wohl ihrer würdig gewesen? Wer hätte wohl an dieses Ideal von Ehre, Wahrhaftigkeit, Reinheit – insbesondere Reinheit – welches, trotz all‘ ihrer Fehler, ihr beständig vorschwebte, herangereicht? Sie zu verschmähen . . . sie!

Die Stimme versagte ihr, ihre Finger bebten. Sie errötete plötzlich errötete vor Verachtung – und war in diesem Momente, und nur einen Moment lang, der Schwester ähnlich.

Aratow wollte sich entschuldigen.

– Hören Sie – unterbrach ihn Anna wieder: – Ich will durchaus, daß Sie diese Verleumdung nicht glauben und daß Sie, wenn es möglich ist, sie widerlegen. Sie wollen ja einen Aufsatz oder dergleichen über sie schreiben, – da haben Sie also Gelegenheit ihr Andenken zu vertheidigen. Und dies ist auch hauptsächlich der Grund, weshalb ich so offen mit Ihnen rede. Hören Sie also: Katja hat ein Tagebuch hinterlassen! . . .

Aratow fuhr auf. – Ein Tagebuch? – flüsterte er.

– Ja, ein Tagebuch . . . das heißt, es sind blos ein paar Seiten. Katja schrieb nicht gern, . . . Monatelang schrieb sie nichts auf . . . auch ihre Briefe waren immer sehr kurz. Aber stets war sie aufrichtig, sie log nie! . . . Sie, mit ihrer großen Eigenliebe – und lügen! . . . Ja, . . . ich will Ihnen dieses Tagebuch zeigen! Sie werden dann selbst sehen, ob wohl auch nur eine Spur von einer unglücklichen Liebe darin zu finden ist.

Anna holte aus der Tischschublade ein dünnes Heftchen von höchstens zehn Seiten hervor und reichte es Aratow. Dieser ergriff es hastig, erkannte die unregelmäßigen, weitläufigen Schriftzüge – die Handschrift jenes namenlosen Briefchens, – entfaltete es auf‘s Gerathewohl und stieß sogleich auf folgende Zeiten:

»Moskau. Dienstag . . . Juni. Ich sang und recitirte auf einer literarischen Matinée. Ein bedeutungsvoller Tag für mich. Er muß mein Schicksal entscheiden . . .« (Diese Worte waren zweimal unterstrichen.) »Ich sah wieder . . . « hier folgten einige sorgfältig ausgestrichene Zeilen. . . . Und dann: – »Nein! nein! nein! Ich muß wieder, wie früher . . . wenn nur . . .«

Aratow ließ die Hand sinken, in der er das Heft hielt, und sein Kopf fiel sachte auf die Brust nieder.

 

– Lesen Sie! – rief Anna; – weshalb lesen Sie denn nicht? Lesen Sie von Anfang au . . . . In fünf Minuten ist Alles durchlesen, obschon das Tagebuch einen Zeitraum von zwei Jahren umfaßt. In Kasan schrieb sie gar nichts mehr hinein.

Aratow erhob sich langsam und stürzte vor Anna auf die Kniee nieder.

Diese war vor Erstaunen und Schreck wie versteinert.

– Geben Sie, . . . geben Sie mir dies Tagebuch – begann Aratow mit sterbensschwacher Stimme, und streckte Anna beide Hände entgegen. Geben Sie es mir . . . und die Photographie . . . Sie haben gewiß noch eine andere; das Tagebuch gebe ich Ihnen zurück . . . Aber ich muß, ich muß . . .

In seinem Flehen, in den entstellten Gesichtszügen lag etwas so Verzweiflungsvolles, daß es fast wie Groll, wie tiefes Leiden aussah . . . Er litt aber auch wirklich. Es war, als ob er selbst es nicht geahnt habe, daß ihn ein solches Elend heimsuchen könne – und in tiefer Erregung flehte er um Schonung, um Rettung . . .

– Geben Sie es mir, – wiederholte er.

– Ja . . . Sie . . . Waren Sie in meine Schwester verliebt? – rief Anna endlich.

Aratow lag noch immer auf den Knieen.

– Ich sah sie nur zwei Mal . . . glauben Sie es mir! – und wenn es nicht Grüne gäbe, die ich selbst weder zu begreifen, nach zu erklären vermag – so würde ich Sie nicht anflehen, würde ich nicht zu Ihnen gekommen sein. Ich muß aber . . . ich bin gezwungen . . . Sie sagten ja selbst, daß ich verpflichtet sei, ihr wahres Bild wieder herzustellen!

– Und Sie waren wirklich in meine Schwester nicht verliebt? wiederholte Anna.

Aratow antwortete nicht sogleich; er wandte sich, vom Schmerz bewältigt, ab.

– Nun ja, . . . ja doch!. . . Ich war es, und bin es noch! rief er verzweiflungsvoll.

Im Nebenzimmer wurden Schritte hörbar.

– Stehen Sie auf! Stehen Sie auf! . . . flüsterte Anna hastig. Die Mutter kommt.

Aratow erhob sich.

– Nehmen Sie das Tagebuch und die Photographie, Gott sei mit Ihnen! Die arme, arme Katja! Aber geben Sie mir das Tagebuch wieder! – fügte sie lebhaft hinzu. Und wenn Sie etwas schreiben, so schicken Sie es mir jedenfalls. . . Hören Sie?

– Das Erscheinen der Frau Milowidow überhob Aratow der Nothwendigkeit zu antworten. Er konnte nur noch flüstern: Sie sind ein Engel! Danke! Alles was ich schreiben werde, sende ich Ihnen.

Frau Milowidow war noch so verschlafen, daß sie nichts merkte. – Und so reiste Aratow, mit der Photographie in der Tasche, aus Kasan ab. Das Heft hatte er zurückgegeben, hatte aber das Blatt, auf welchem sich die unterstrichenen Worte befanden, unbemerkt herausgeschnitten.

Auf dem Rückwege nach Moskau verfiel er wieder in die nämliche Teilnahmslosigkeit. Obschon er sich insgeheim freute, den Zweck seiner Reise erreicht zu haben, so verschob er doch alles Nachdenken über Klara bis zu seiner Rückkunft nach Moskau. Er dachte jetzt weit mehr an ihre Schwester Anna. Dieses prächtige, sympathische Wesen. Welch‘ ein inniges Verständniß, welch‘ ein liebendes Herz, welche Selbstlosigkeit! Und solche Mädchen entfalten sich bei uns, in der Provinz! und noch dazu in solcher Umgebung! – Sie ist kränklich und unschön, auch nicht mehr jung, – und doch, was wäre sie für eine vorzügliche Gefährtin für einen tüchtigen, gebildeten Mann! In sie hätte man sich verlieben müssen! . . . So dachte Aratow. . . . Nach seiner Ankunft in Moskau aber nahm die Sache eine ganz andere Wendung.

XIV

Platonida Iwanowna freute sich unsäglich über die Rückkehr ihres Neffen. Was hatte sie nicht Alles während seiner Abwesenheit gefürchtet! – »Sibirien, das ist noch das Geringste!« – flüsterte sie, regungslos in ihrem Stübchen sitzend, – »auf ein Jahr wenigstens!« – Dazu kam noch die Angst der Köchin, welche immer die allersichersten Nachrichten von dem Verschwinden dieses oder jenes jungen Mannes in der Nachbarschaft mitzutheilen hatte. Die vollständige Unschuld Jascha‘s und sein äußerstes Wohlverhalten konnten die Alte durchaus nicht beruhigen. – »Denn . . . Vieles was . . . er beschäftigt sich ja mit Photographie . . . das genügt schon . . . Packt ihn! – Und jetzt war ihr Jaschenka heil und unversehrt wieder da. Sie bemerkte allerdings, daß er anscheinend magerer geworden, daß sein Gesicht abgezehrt sei . . . nun das war ja natürlich . . . so lange ohne Pflege! . . . aber sie wagte es nicht ihn über diese Reise auszufragen. Blos bei Tische erkundigte sie sich: – Ist Kasan eine hübsche Stadt? – O ja, – antwortete Aratow. – Da leben ja wohl lauter Tataren, – nicht?-« – Nicht nur Tataren allein! – Hast Du Dir nicht einen Schlafrock von dort mitgebracht? – Nein! – Damit endete das Gespräch.

Kaum aber war Aratow allein in seinem Kabinett, da fühlte er, daß er wie in einem Netze gefangen sei, er fühlte sich in der Gewalt eines andern Wesens, in der Macht einer fremden Existenz. Obschon er während jenes Anfalls einer plötzlichen Sinnesverwirrung Anna gesagt hatte, daß er in Klara verliebt sei, so schien ihm jetzt dieses Wort seltsam, ja sinnlos. – Nein, nicht verliebt! – wie kann man sich in eine Todte verlieben, die sogar als sie noch lebte ihm nicht gefallen, die er fast schon vergessen hatte? Nein! – aber in fremder Gewalt ist er doch, . . . in ihrer Gewalt, . . . er gehört sich nicht mehr selbst an – er ist gefangen. So sehr gefangen, daß er sich nicht einmal zu befreien vermag, weder durch Spott über seine eigene Unsinnigkeit, noch durch Belebung der Gewißheit, oder wenigstens der Hoffnung, daß dies Alles vorüber gehen wird, daß es blos die Nerven sind; noch dadurch, darüber Beweise dafür ausfindig zu machen sucht, noch durch sonstige Gründe! – »Finde ich ihn, – so nehme ich ihn!« – waren Klaras Worte, die Anna ihm wiedergegeben hatte, . . . nun hatte sie ihn genommen! – Aber sie ist ja todt . . . Ja, ihr Leib ist wohl todt . . . aber die Seele? – ist die Seele nicht unsterblich? . . . braucht sie denn den menschlichen Leib, um ihre Macht zu äußern? Beweist uns nicht der Magnetismus den Einfluß der lebenden menschlichen Seele auf andere lebende Menschenseelen?

Warum sollte sich denn dieser Einfluß nicht auch über den Tod hinaus erstrecken, wenn es doch feststeht, daß die Seele leben bleibt! Zu welchem Zwecke aber? Was soll daraus entstehen? Können wir überhaupt ergründen, welches das Endziel ist von Allem was da geschieht? Diese Gedanken beschäftigten Aratow so sehr, daß er beim Thee Platoscha plötzlich fragte, ob sie an die Unsterblichkeit der Seele glaube? Diese verstand Anfangs die Frage gar nicht, – dann aber bekreuzte sie sich und antwortete, die Unsterblichkeit der Seele sei ja doch ganz selbstverständlich. – »Und wenn es nun so ist, kann sie denn da nach dem Tode eine Thätigkeit ausüben?« – fragte Aratow wieder. Die Alte antwortete, daß die Seele für uns – beten könne; das heißt nur dann, wenn sie alle Uebergänge und Zustände, die sie in der Erwartung des Jüngsten Gerichts ertragen muß, überstanden habe. In den ersten vierzig Tagen nach dem Tode des Leibes ist sie aber nur in der Nähe des Ortes, wo der Tod den Körper betroffen, gegenwärtig.

– Die ersten vierzig Tage?

– Ja; – dann beginnen die Prüfungen.

Aratow wunderte sich über die Kenntnisse seiner Tante – und ging in sein Kabinett. Die Macht, unter deren Einfluß er sich befand, sprach sich auch darin aus, daß Klaras Bild ihm fortwährend gegenwärtig war, und zwar so sehr bis in alle Details, darüber selbst solche sah, die er sich nicht erinnerte früher beachtet zu haben. Er sah ihre Finger, ihre Nägel, die Löckchen an den Schläfen, ein kleines Muttermal unter dem linken Auge; sah die Bewegungen ihrer Lippen, Nasenflügel, Brauen . . . sah ihren Gang und die Haltung ihres Kopfes, ein wenig nach rechts hin . . . Alles sah er! Es war dies nicht etwa ein Liebäugeln mit all‘ diesen Dingen, sondern nur die Unmöglichkeit nicht daran zu denken, sie nicht zu sehen. Übrigens träumte er in der ersten Nacht, nach seiner Rückkehr, nicht von ihr; er war so sehr ermüdet, daß er wie ein Todter schlief. Dagegen aber, kaum erwacht war sie wieder in seiner Stube und blieb darin, als ob sie hier daheim sei, als ob sie sich durch ihren freiwilligen Tod dies Recht erkauft habe, ohne ihn zu fragen und ohne seiner Erlaubniß zu bedürfen. Er nahm ihre Photographie um sie zu vervielfältigen und zu vergrößern. Dann kam es ihm in den Sinn diese Photographie für das Stereoskop zuzurichten. Es war eine schwierige Aufgabe, – endlich gelang sie ihm. Er erbebte, als er ihre Figur, wie sie körperlich geworden zu sein schien, durch das Glas sah. Diese Figur sah grau, wie verstaubt aus, – aber die Augen, die Augen! . . . sie blickten immer abseits, als ob sie sich von ihm abgewandt hätten. Er blickte lange, lange hin, als ob er erwarte, daß sie sich ihm zuwenden würden . . . er blinzelte sogar etwas . . . die Augen aber blieben unbeweglich und die ganze Figur sah wie eine Puppe aus. Dann trat er zurück, warf sich in einen Sessel, nahm das herausgerissene Blatt ihres Tagebuchs mit den unterstrichenen Worten hervor und dachte: – Man sagt ja, daß Verliebte die Zeilen küssen, welche von der Angebeteten geschrieben sind, – ich aber habe gar kein Verlangen danach, – auch gefallen mir diese Schriftzüge durchaus nicht. In dieser Zeile aber – liegt mein Urtheilsspruch. – Dann dachte er wieder an das Versprechen, das er Anna in Betreff des Aufsatzes gegeben hatte. Er setzte sich an den Tisch um ihn zu schreiben; aber Alles, was er schrieb, kam so unwahr, so rhetorisch, – hauptsächlich aber unwahr – heraus. als ob er weder an das Geschriebene, noch an seine eigenen Gefühle glaube. Klara selbst kam ihm sogar unbekannt, unverständlich vor. Er konnte sie nicht fixieren. – »Nein, dachte er und warf die Feder hin, – entweder ist die Schriftstellerei überhaupt nicht meine Sache, oder ich muß damit noch warten! . . . Er rief sich seinen Besuch bei Milowidows, und die ganze Erzählung Annas, dieser guten, wundervollen Anna, ins Gedächtniß zurück. Das von ihr gebrauchte Wort: »unberührt!« fiel ihm plötzlich auf. Es war, als ob ihn etwas versenge und erleuchte. – Ja, sagte er laut, sie war unberührt. . . und ich bin unberührt; – das ist‘s was ihr diese Macht gab.

Wieder kamen ihm Gedanken über die Unsterblichkeit der Seele, über das Leben nach dem Tode. »Steht nicht in der Bibel: – Tod, wo ist dein Stachel!« – Und bei Schiller: – Auch die Todten sollen leben! – Oder auch, wenn ich nicht irre, bei Miczkiewiez: – Ich werde lieben bis an der Welt Ende – und bis nach dem Ende der Welt! – Ein englischer Dichter sagte auch: – Die Liebe ist stärker als der Todt!« Aber der Bibelspruch war es hauptsächlich, der den stärksten Eindruck auf Aratow machte. Er wollte die Stelle, wo diese Worte stehen, aufsuchen; da er aber keine Bibel hatte, so ging er zu Platoscha, um sich eine auszubitten. Diese wunderte sich sich wenig; holte aber doch eine ganz alte Bibel, mit gekrümmtem Lederdeckel und Messingklammern, ganz mit Wachstropfen bedeckt, hervor und übergab sie Aratow. Er nahm sie mit in seine Stube, konnte aber lange den Ausspruch, den er suchte, nicht finden. Dafür aber fand er einen andern:

– Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde. (Ev. Johannis, Kap. 15. V. 13)

Er dachte: – Das ist nicht richtig gesagt, – es müßte heißen: Niemand hat größere Macht . . .

– Wenn sie nun aber gar nicht um meinetwillen ihr Leben gelassen hätte? Wenn sie vielleicht nur deshalb in den Tod gegangen wäre, weil das Leben ihr zur Last geworden? Wenn es schließlich gar nicht Liebeserklärungen waren, die sie von der Zusammenkunft erwartet hatte?

»In diesem Moment aber erschien Klara vor ihm. Er sah den kummervollen Ausdruck ihres Antlitzes, ihre Thränens er hörte die Worte: – »Ach, nichts haben Sie begriffen! . . .«

Nein, er konnte nicht zweifeln, weshalb und für wen sie ihr Leben dahin gegeben hatte.

So verging dieser ganze Tag, bis zur Nacht.