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Jakob Passinkow

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»Ja,« begann er von Neuem, als spräche er mit sich selbst, »ich habe sie geliebt; ich konnte selbst dann nicht aufhören, sie zu lieben, als ich erfuhr, daß ihr Herz Assanow gehöre. Doch, welcher Kummer, als ich diese Entdeckung machte! Hätte sich ihre Neigung Dir zugewendet, so würde ich mich wenigstens für Dich darüber gefreut haben. Aber Assanow . . . wie konnte er ihr gefallen? Ich verstehe nichts davon, aber einmal eingenommen von ihm, konnte sie nicht zurückgehen. Edle Seelen verändern sich nicht.«



Mir fiel Assanow’s Besuch nach unserm unangenehmen Mittagessen ein und die Angelegenheit, in welche der arme Passinkow verwickelt wurde, und ich rief: »Du wußtest Alles und wolltest doch selbst zu ihr gehen.«



»Ja,« erwiderte er, und diese Aufklärung werde ich niemals vergessen. Damals begriff ich zum ersten Mal vollkommen die Bedeutung des großen Wortes: »Resignation.« Ich war ergeben, aber Sophie blieb, mein Traum, mein Ideal . . . Unglücklich, wer ohne Ideal leben kann!«



In diesem Augenblicke richtete Passinkow seine Blicke nach oben und seine Augen leuchteten fieberhaft. »Ich liebte sie,« fuhr er fort, »ich liebte diese ruhige, rechtschaffene, unzugängliche, unbeugsame Seele, ich liebte sie so, daß, als sie abreiste, es mir schien, ich müßte den Verstand darüber verlieren. Seit dieser Zeit ist keine andere Liebe in mein Herz gekommen. . .«



Bei diesen Worten verbarg er das Haupt in seinem Kissen und weinte.



Ich näherte mich ihm und versuchte ihn zu trösten.



»Es ist nichts,« erwiderte er, sich aufrichtend und seine Haare schüttelnd, ». . . etwas Schmerz. . . etwas Bitterkeit. Aber es ist nichts; die Verse, welche Du gelesen, haben diesen Eindruck hervorgebracht. Lies mir etwas Heiteres.«



Ich nahm Lermontow wieder und blätterte darin; aber ich verfiel immer wieder auf Dinge, welche meinen Freund von Neuem aufregen konnten. Endlich wählte ich das Gedicht:



»Die Gaben des Terek.«



Schäumt der Terek zwischen steilen

Felsen, wild, in Zornesglühn;

Seine Klagen – Sturmesheulen,

Seine Thränen – Funkensprühn.

Aber stiller zu den Füßen

Des Gebirge, die Steppe her

Fließt er, und mit Schmeichelgrüßen

Murmelt er zum Kaspimer:





»Meeresgreis, ihn meinen Wogen

Gastlich Deine Pforten auf!l

Weiten Wegs komm ich gezogen,

Suche Ruh nach langem Lauf.

Bin ein Sproß tasbék’chen Thrones,

Großgesäugt an Wolkenbrust,

Ewig gen des Erdensohnes

Fremde Macht voll Kampfeslust.





Brach bei

Darijel

 viel Steine

Aus der engen Bergschlucht los,

Schwemmte sie, zum Spiel für Deine

Kinder, her in meinem Schoß.«





Doch das Meer, am Ufer dorten

Lohnt es wie in Schlafesruh, —

Und aufs Neu‘ mit Schmeichelworten

Flüstert ihm der Terek zu:





»Sieh, ein Weihgeschenk Dir reiche

Ich, deß Blut im Kampfe floß:

Eines jungen Kriegers Leiche,

Der kabarda Heldensproß!





»Kostbar ist sein Stahlgeschmeide,

Und in goldner Schrift daran

Zieren rings den Saum vom Kleide

Heil’ge Sprüche des Koran.





Krampfhaft sich die Lippe schloß,

Und von seinem Schnurrbart nieder

Dick und roth ein Blutstrom floß.

Klar sein Auge, doch gefährlich,

Alter, tiefer Feindschaft voll.

Von dem Kopf zum Nacken, spärlich,

Schwarzen Haars ein Büschel quoll.«





Doch in seinen Ufern schweigend

Liegt das Meer in kalter Ruh —

Und aufs Neu’ sich zu ihm neigend,

Flüstert ihm der Terek zu:

»Meeresgreis, noch eine Gabe

Biet’ ich Dir, von seltner Art!

Drum vor allen andern habe

Ich zuletzt sie aufbewahrt.

Einer Bergkosakin Leiche,

Jung, voll Schönheit wunderbar:

Um die Schulter her, die bleiche,

Fließt das lange, blonde Haar.

Wie so trüb die Züge scheinen,

Wie so sanft das Auge ruht!

Von der Brust, aus einer kleinen

Wunde, quillt das rothe Blut.

Und von den Kosakensöhnen

Im Grebén’schen Reiterheer,

Um den Tod der jungen Schönen

Klagt selbst nicht der Eine mehr.«





»Hat sich auf sein Roß geschwungen,

Ritt hinaus durch Nacht und Graus,

Haucht’ im Kampf, vom Dolch durchdrungen

Des Tchetschén sein Leben aus.«





Und es schwieg der Strom, der wilde,

Aber schneeweiß eingehaucht,

Feucht, ein wundersam Gebilde

Aus den dunklen Fluten taucht.





Bei dem Blick, gleich Ungewittern

Hebt das Meer die mächt’ge Flut,

Dunkelblaue Augen zittern

In der Leidenschaften Glut.





Rauschend hoch vor Lust und Liebe

Breitet es die Arme aus,

Nimmt den Strom im Wellgetriebe

Gastlich auf in seinem Haus.



»Rhetorische Emphase!« sagte Jakob im Schulmeistertone; »indeß hat es auch sehr schöne Stellen. Ich habe mich, seitdem ich Dich verlassen, auch etwas in der Dichtkunst versucht und habe ein Gedicht: »Der Kelch des Lebens« begonnen, aber es ist mir nicht gelungen. Unsere Aufgabe ist, mitzuempfinden, – aber nicht zu schaffen . . . Indeß ich bin nun erschöpft und muß ein wenig schlafen; was sagst Du dazu? welche Wohlthat ist der Schlaf, der Traum! Das ganze Leben ist ein Traum; das Beste, was es in sich schließt, ist ebenfalls ein Traum.—



– »Und die Poesie?«



»Ist auch ein Traum, aber ein paradiesischer.«



Passinkow schloß die Augen.



Ich blieb eine Weile an seinem Lager. Sein Athem war regelmäßiger und ruhiger. Ich schlich auf den Zehen hinaus, ging in mein Zimmer und legte mich auf das Sopha. Lange dachte ich an das, was mir Jakob gesagt, ich rief mir die Vergangenheit in’s Gedächtniß zurück, dann schlief ich endlich ein.



Es zog mich Jemand am Arm; ich erhob mich. Vor mir stand Jélisséi.



»Kommen Sie zu meinem Herrn, ich bitte Sie!« sagte er.



»Was ist ihm?«



»Er ist im Delirium.«



– »Im Delirium? Ist ihm das schon einmal begegnet?«



– »Ja, in der letzten Nacht: aber dies Mal ist es auffallender.«



Ich trat in Jakob‘s Zimmer. Er lag nicht, sondern saß im Bette, den Körper nach vorne gebeugt, die Blicke von einer Seite zur andern irrend, die Arme auseinander bewegend. Er lächelte und redete mit schwacher Stimme und undeutlich, dem Rauschen des Röhrichts gleich. Eine Nachtlampe, auf dem Boden stehend und verdeckt durch ein Buch, warf an die Decke einen unbeweglichen Schimmer. Jakobs Gesicht schien in diesem Halbdunkel noch bleicher zu sein. Ich näherte mich ihm, ich rief ihn: er antwortete mir nicht. Ich horchte, was er sagte. Er träumte von sibirischen Wäldern und lächelte öfters im Traum.



»Welche Wälder« – sagte er – »so groß, so majestätisch . . . und das Eis und der Schnee. Auf dem Schnee zarte Fußspuren, bald solche von Hasen, bald von Hermelin . . . Nein, es ist mein Vater, welcher da mit meinen Papieren gegangen ist. Da ist er. . . da ist er. . . Ich muß gehen. . . Der Mond leuchtet. . . ich muß gehen, um meine Pariere zu suchen . . . Und die Blume, die kleine, rothe Blume . . . da ist Sophie . . . die Glöckchen klingen das Eis kracht unter den Füßen der Pferde. Ach nein, es sind die dummen Dompfaffen, welche, hüpfen und pfeifen unter den Zweigen der Bäume. Es ist kalt. Ach! da ist Assanow . . . ein Geschütz von Erz, eine grüne Lafette . . . das ist’s, was ihm so gefallen hat . . . die Sternschnuppe . . . Nein, es ist ein Pfeil, welcher fliegt. Ach, wie er mich gerade in’s Herz getroffen! Wer hat ihn auf mich abgeschossen? Du, Sophie . . .«



Er neigte das Haupt und stammelte unzusammenhängende Worte.



Ich sah mich nach Jélisséi um . . . dieser stand aufgerichtet, die Arme auf dem Rücken gekreuzt, mit Schmerz seinen Herrn betrachtend.



»Mein Freund!« rief plötzlich Jakob, auf mich einen so hellen und durchdringenden Blick heftend, daß er mich zittern machte, »du bist ein praktischer Mann geworden, und ich habe es nicht dahin bringen können. Was ist zu thun? Ich bin ein Träumer. . . Ach die Träume, die Träume. Nichts gleicht den Träumen . . .! Der Gatte Sophiens . . . Es ist auch ein Traum.



Passinkow hörte vor dem Morgen nicht auf, so zu phantasiren. Endlich beruhigte er sich etwas, sank von Neuem auf sein Kissen und schlummerte ein. Ich ging zurück in mein Zimmer. Diese Schmerzensnacht hatte mich erschöpft; ich versank in tiefen Schlaf.



Jélisséi weckte mich abermals.



»Ach, Väterchen,« sagte er mit zitternder Stimme, »ich glaube, mein Herr stirbt.«



Ich eilte zu ihm; er war unbeweglich; beim Schimmer des erwachenden Tages hatte er das Aussehen: eines Leichnams; indeß, er erkannte mich. »Lebe wohl,« sagte er mir, mit dem Kopfe nickend, »Lebe wohl, grüße sie von mir . . . es ist vorbei.«



»Jakob!« rief ich, »sprich nicht so. Du wirft s leben!«



– »Nein, nein, ich sterbe . . . Nimm,« fügte er hinzu, mit seiner Hand in den Busen greifend, »nimm dieses Andenken . . . Was sehe ich?« murmelte er nach einer kleinen Pause, ». . . das Meer. . . grüne Inseln. . . Ufer, in goldenem Schimmer, marmorne Kirchen . . . Palmen . . . Weihrauch . . . «



Er schwieg und streckte sich auf seinem Lager; eine halbe Stunde später hauchte er den letzten Seufzer aus. Jélisséi fiel weinend zu seinen Füßen nieder; ich drückte ihm die Augen zu.



Er trug auf der Brust ein Amulet in Seide, an einem schwarzen Band um den Hals befestigt; ich nahm es, Zwei Tage nachher beerdigten wir ihn. Wir trugen das edelste Herz, das jemals geschlagen, zu Grabe. Ich warf die erste Schaufel Erde auf den Sarg.



III

Im darauf folgenden Jahre riefen mich Geschäfte nach Moskau. Ich stieg in einem der besten Gasthöfe der Stadt ab. Eines Tages warf ich, über den Vorplatz gehend, einen Blick auf die schwarze Tafel, worauf die Namen der im Gasthofe Wohnens den geschrieben waren und da fand ich einen Namen, welcher mich dergestalt in Erstaunen setzte, daß ich beim Lesen desselben fast einen Schrei ausstieß. Es war der Name Sophie Nikolajewna’s, der mit Kreide neben Nr. 12 an die Zimmerthür geschrieben war. Ich hatte in der letzten Zeit zufällig viel Trauriges von ihrem Manne erzählen hören; man sagte, daß er sich dem Trunk und dem Spiel ergeben habe, daß er sich zu Grunde richte und sich in jeder Beziehung schlecht benehme Dahingegen sprach man von seiner Frau mit großer Achtung. Ich ging sehr aufgeregt in mein Zimmer zurück, nachdem ich erfahren, daß sie mir so nahe sei. Mein Herz schlug, als sei meine längst entschlummerte Leidenschaft plötzlich wieder erwacht. Ich beschloß, Sophie aufzusuchen. Es sind so viele Jahre seit unserer Trennung verflossen, sagte ich mir, daß sie vergessen haben wird, was zwischen uns vorgegangen.

 



Ich rief Jélisséi, den ich seit Jakob’s Tod in meine Dienste genommen, und sandte ihn mit einer Karte zu Sophien, indem ich ihn beauftragte, sie zu fragen, ob sie mich wohl empfangen wolle.



Eine Weile nachher kam er zurück, um mir anzukündigen, daß sie mich erwarte.



Ich fand sie in ihrem Zimmer in Unterredung i mit einem vierschrötigen Individuum.



»Wie Sie wünschen,« sagte das Individuum mit schneidender Stimme zu ihr; »aber ich wiederhole Ihnen, daß es ein schädlicher Mensch ist; er thut nichts und in einer Gesellschaft, welche, wie die unsrige, ihren Obliegenheiten so regelmäßig nachkommt, sind; solche Menschen schädlich, sehr schädlich.«



Nach diesen Worten zog er sich zurück; Sophie näherte sich mir.



»Wie lange ist es her, daß wir uns nicht gesehen haben! Ich bitte, setzen Sie Sich.«



Wir ließen uns nieder und ich betrachtete sie.



Ach, ein ehemals so geliebtes Gesicht nach langer Trennung wieder zu sehen, es kennen und doch nicht wieder kennen; theure Züge, welche man nicht vergessen konnte, suchen und eine Physiognomie wiederfinden, ähnlich und doch so verschieden von der, welcher man sich erinnert, unwillkürlich hier und da die Spuren der Zeit entdecken . . . Das ist ein trauriger Eindruck . . . Und ich auch bin verändert! muß man sich sagen.



Uebrigens war Sophie Nikolajewna nicht sehr gealtert. Als ich sie zum ersten Mal gesehen, war sie erst sechzehn Jahre alt und seit dieser Zeit waren neun Jahre verflossen. Ihre Züge kamen mir jetzt regelmäßiger und strenger vor, und sie zeigten dieselbe Offenheit und Festigkeit, wie ehemals. Aber früher waren sie ruhig und nun zeigten sie Spuren geheimen Leidens und der Aufregung. Ihre Augen schienen tiefer zu liegen und trüber zu sein. Ihr Aussehen fing an, dem ihrer Mutter ähnlich zu werden.



»Wir haben uns Beide verändert,« sagte sie zu mir; . . . »wo sind-Sie denn während der ganzen Zeit gewesen?«



»Ich bin weit umhergeirrt . . . Und Sie? Ich hörte, Sie hätten auf Ihren Gütern gelebt.«



»Ja, ich bin auf dem Lande geblieben und nur hier aus der Durchreise.«



»Und Ihre Eltern?«



»Meine Mutter ist todt; mein Vater ist in Petersburg, mein Bruder im Dienst und Barbara wohnt bei uns.«



»Und Ihr Gemahl?«



»Mein Mann,« erwiderte sie hastig, – »er ist im südlichen Rußland, um die Jahrmärkte zu besuchen . . . Sie wissen, daß er immer ein großer Pferdeliebhaber war . . . Er hat ein Gestüt angelegt . . . und das ist der Grund, warum er jetzt Pferde kauft.«



In diesem Augenblick trat ein kleines, achtjähriges Mädchen,

à la chinoise

 frisirt, mit lebhaftem, geistvollem Gesicht und großen, dunkelgrauen Augen ein. Sie blieb bei meinem Anblick stehen, machte einen allerliebsten Knicks und ging dann auf Sophie zu.



»Ich stelle Ihnen meine Tochter vor,« sagte Sophie, – die Hand unter das Kinn des Kindes legend, zu mir. »Sie wollte durchaus nicht zu Hause bleiben und so mußte ich sie mit hierher nehmen.«



Das kleine Mädchen sah mich eine Weile mit ihren großen Augen etwas blinzelnd an.



»Ein Mädchen,« fuhr Sophie fort, »welches, man muß gerecht sein, sich vor nichts fürchtet und auch nicht übel lernt.«



»

Comment se nomme Monsieur

?« fragte leise die Kleine, sich an ihre Mutter schmiegend.



Sophie sagte ihr meinen Namen.



Das Kind betrachtete mich von Neuem.



»Und Du,« erwiderte ich, »wie heißt Du?«



»Lydia,« antwortete sie, mir fest in’s Auge blickend.



»Ah, ich bin überzeugt, daß man Dich sehr verhätschelt.«



»Wer sollte mich verhätscheln?«



»Nun, sicherlich alle Welt; zuerst Deine Eltern.«



Lydia sah ihre Mutter stillschweigend an.



»Dein Vater,« fügte ich hinzu . . .



»Ja, ja,« sagte eilig Sophie, während ihr Töchterchen die Augen auf sie heftete. »Ja, mein Mann gewiß . . . er liebt die Kinder sehr.«



Das kleine Gesicht Lydia’s nahm einen eigenthümlichen Ausdruck an . . . ihre Lippen erzitterten leicht ihre Augen senkten sich.



»Aber sagen Sie mir,« nahm Sophie schnell wieder das Wort, »sind Sie in Geschäften hier?«



– »Ja . . . und Sie auch, denke ich!«



– »Natürlich! In der Abwesenheit meines Mannes bin ich gezwungen, Manches zu ordnen.«



»

Maman

!« rief das Kind.



»

Quoi, mon enfant?

«



»

Non – rien . . . je te dirai après.

«



Sophie lächelte und zuckte; die Achseln. Wir schwiegen beide und Lydia kreuzte ernst ihre Arme über der Brust.



»Apropos,« sagte Sophie, »Sie hatten einen Freund, fällt mir ein . . . wie hieß er doch? . . .