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Jakob Passinkow

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II

Sieben Jahre waren seit der oben erwähnten Trennung vergangen. Es ist unnütz zu erzählen, was mir Alles in diesem Zeitraum begegnete. Ich durchirrte die entlegensten Provinzen des Kaiserreichs und, dem Himmel sei Dank, ich erkannte, daß diese Regionen nicht so wild sind, wie gewisse Leute sie sich vorstellen. In den entferntesten Distrikten, unter Windbrüchen in der Tiefe der Wälder fand ich mehr als eine wohlriechende Blume.

Au einem Frühlingstage riefen mich meine Geschäfte in eine kleine Stadt eines der Gouvernements des östlichen Rußland. Indem ich durch den Ort fuhr, bemerkte ich durch die trüben Scheiben meines Wagens auf dem Marktplatze, vor einem Laden einen Mann, der mir wohl bekannt schien. Ich beobachtete ihn genauer und sah, daß es Jélisséi, der Bediente Jakobs, war. Ich ließ sogleich anhalten, sprang aus dem Wagen und ging auf ihn zu.

»Guten Tag,« sagte ich mit einer Rührung, welche ich kaum zu unterdrücken vermochte. »Bist Du hier mit Deinem Herrn?«

– »Ja, mit meinem Herrn,« erwiderte er gedehnt; dann rief er plötzlich: »Ah, Sie sind es, Väterchen, ich erkannte Sie nicht«

– »Bist« Du hier mit Jakob Passinkow?«

»Natürlich . . . mit wem anders könnte ich mich hier befinden!«

– »Bring’ mich zu ihm.«

– »Mit Vergnügen. Gehen wir hier durch . . .

Wir sind in einem Wirthshause . . . Ach! wie glücklich wird mein Herr sein, Sie wieder zu sehen!«

Indem er so sprach, führte mich Jélisséi den Ort entlang. Er war von Abkunft ein Kalmück, ohne jede Erziehung und etwas wild, aber mit einem vortrefflichen Herzen und Passinkow, dem er seit zehn Jahren diente, mit Leib und Seele ergeben.

»Wie geht’s mit Jakob Iwanitsch,« fragte ich.

Jélisséi wandte sein olivenfarbnes Gesicht mir zu.

»Ach,« erwiderte er, »schlecht, Väterchen, schlecht . . . Sie würden ihn nicht wieder erkennen . . . Mir scheint, als wäre seines Bleibens nicht lange mehr in dieser Welt. Wir waren genöthigt, hier anzuhalten, und wir gehen nach Odessa, ein letztes Mittel zu versuchen.«

– »Wo kommt Ihr denn her?«

– »Von Sibirien.«

– »Von Sibirien? War er dort angestellt?«

– »Ja, Väterchen. Mein Herr hatte dort ein Amt und ist dort verwundet worden.«

– »Wie so? War er denn in Militärdienst getreten?«

– »Nein, in Civildienst.«

Wie seltsam, sagte ich zu mir. Unterdeß waren wir beim Wirthshause angekommen. Jélisséi lief eiligst hinauf, mich anzumelden. Während der ersten Zeit unserer Trennung hatten wir, Jakob und ich, uns häufig geschrieben, dann war unsere Correspondenz unterbrochen worden. Ich hatte seit vier Jahren keinen Brief von ihm erhalten und wußte nicht, was inzwischen aus ihm geworden war.

»Kommen Sie, kommen Sie!i« rief Jélisséi oben auf der Treppe, »mein Herr wünscht lebhaft, Sie zu sehen.«

Ich stieg über die schwankenden Stufen und trat in das kleine düstere Gemach, dessen Anblick mir das Herz zerriß. Auf einem schmalen Ruhebett, eingewickelt in seinen Mantel, lag mein Freund, blaß wie der Tod, schwach und abgezehrt. Er reichte mir seine magere Hand. Ich küßte ihn mit krankhaftem Entzücken.

»Jakob! Jakob!« rief ich, »was fehlt Dir?«

– »Nichts,« erwiderte er mir mit schwacher Stimme.

»Aber Du, durch welchen Zufall bist Du hier!«

Ich setzte mich neben sein Bett und seine Hand in der meinigen haltend, betrachtete ich aufmerksam sein Gesicht. Ich fand die mir so theuren Züge wieder. Der Ausdruck seines Auges, seines Lächelns war derselbe, wie sehr ihn auch sonst seine Krankheit verändert hatte.

Er bemerkte den Eindruck, welchen sein Aussehen auf mich machte.

»Es sind drei Tage, sagte er zu mir, daß ich mich nicht rasirt habe und meine Haare sind in Unordnung. Aber ich . . . nein, ich habe nichts.«

»Erkläre mir, ich beschwöre Dich, was mir Jélisséi berichtet hat. Bist Du verwundet worden?«

– »Ja, es ist eine ganze Geschichte, ich werde sie Dir später erzählen. Ich wurde in der That verwundet und Du erräthst niemals, wie . . . durch einen Pfeil . . .«

»Durch einen Pfeil? . . .«

– »Ja, nicht durch den mythologischen Liebespfeil, sondern von einem aus leichtem Holz geformten und mit einem spitzigen Eisen versehenen Pfeil. Es ist sehr unangenehm, von einem solchen Geschoß erreicht zu werden, besonders wenn es die Lunge trifft.«

»Wie aber ist denn das zugegangen?«

»Ich will es Dir sagen. Du weißt, daß in meinem Schicksal Alles einen wunderlichen Charakter haben soll. Erinnere Dich nur der komischen Correspondenzen, welche ich führen mußte, um zu den Papieren zu gelangen, welche ich nöthig hatte, als ich die Universität bezog: meine Verwundung ist eine eben so wunderliche Sache. Welchem gebildeten Menschen ist es in der Zeit, in welcher wir leben, begegnet, von einem Pfeil getroffen zu werden? und nicht spielend, sondern im wirklichen Kampfe?«

– »Erzähle mir doch den Hergang.«

»Es sei. Du erinnerst Dich doch, daß ich kurze Zeit nach Deiner Abreise von Petersburg nach Nowgorod versetzt wurde. Dort, ich gestehe es, lebte ich ein sehr langweiliges Leben, obgleich ich ein Wesen fand . . . Aber sprechen wir nicht jetzt davon,« fügte er seufzend hinzu. »Zwei Jahre nachher gab man mir ein hübsches Amt, etwas entfernt, allerdings, in dem Gouvernement von Irkutsk. Ich war gleich meinem Vater dazu bestimmt, Sibirien zu besuchen, ich beklage mich nicht darüber. Es ist ein herrliches Land, dies Sibirien! Die Einwohner sind wohlhabend, frei und gesellig, wie Jeder Dir sagen wird, der das Land kennt. Es gefiel mir dort sehr wohl. Ich war damit beauftragt, die Eingebornen, im Ganzen friedliche Leute, zu überwachen. Unglücklicher Weise thaten sich zehn, nicht mehr, von ihnen zusammen, um Schleichhandel zu treiben. Ich sollte sie festnehmen, und es gelang mir auch; nur einer von ihnen versuchte, sich zu vertheidigen und schoß auf mich einen Pfeil ab. Ich war dem Tode nahe, doch erholte ich mich wieder. Jetzt will ich versuchen, mich gänzlich zu heilen. Dem Himmel sei Dank, die Regierung hat mir das nöthige Geld dazu gegeben.«

Nach diesen Worten schwieg Passinkow und ließ erschöpft seinen Kopf auf das Kissen zurücksinken. Eine leichte Röthe übergoß seine Wangen und seine Augen waren geschlossen.

– »Er darf nicht viel sprechen,« sagte Jélisséi , welcher eben in das Zimmer trat, zu mir mit leiser Stimme.

Tiefe Stille herrschte um uns. Ich hörte nichts, als das schwere Athmen des Kranken. Er öffnete die Augen wieder und nahm von Neuem das Wort:

»Jetzt sind es bereits vierzehn Tage, daß ich in diesem Städtchen liege. Wahrscheinlich hab’ ich mich erkältet; der Kreisarzt behandelt mich; Du wirst ihn sehen; er scheint sein Geschäft zu verstehen. Schließlich freue ich mich dieses Unfalls noch, dem ich das Glück, Dir zu begegnen, verdanke.«

Dies sagend streckte er mir die Hand entgegen. Diese Hand, einen Augenblick früher kalt wie Eis, war jetzt glühend.

»Nun,« fügte er hinzu, indem er seine Decke entfernte, »erzähle mir von Dir. Gott weiß, wie lange Zeit darüber verflossen, daß wir uns nicht gesehen haben.«

Ich beeilte mich, ihm die gewünschte Auskunft zu geben, um ihn selbst am Sprechen zu hindern. Er hörte mir erst mit lebhafter Aufmerksamkeit zu, dann verlangte er zu trinken und von Neuem auf das Kissen zurücksinkend schloß er die Augen. Ich bat ihn auszuruhen, indem ich ihm versicherte, daß ich ihn nicht verlassen würde, ehe er besser sei, und daß ich ein Zimmer neben dem seinigen nehmen wolle.

»Es ist eine traurige Wohnung, diese hier,« sagte er; aber ich schloß ihm den Mund und ging auf den Zehen hinaus.

Jélisséi folgte mir.

»Aber er stirbt,« sagte ich dem treuen Diener; »siehst Du denn nicht, daß er stirbt?«

Jélisséi machte eine Handbewegung und wandte mit trauriger Miene den Kopf.

Nachdem ich meinen Kutscher zurückgeschickt und mir ein Zimmer hatte geben lassen, ging ich, um nachzusehen, ob Passinkow schlief. Au seiner Thür begegnete ich einem hochgewachsenen Manne von ungeheurem Umfang, dessen aufgedunsenes, blatternarbiges Gesicht die tiefste Gleichgültigkeit ausdrückte. Seine Augen waren geschwollen und seine Lippen glänzten von Schläfrigkeit.

»Darf ich Sie fragen,« fragte ich, »ob Sie der Arzt meines Freundes sind?«

Der dicke Mann sah mich an und bemühte sich seine Augenlider auszusperren.

»Ja,« antwortete er endlich.

»Herr Doktor, wollten Sie nicht die Güte haben, in mein Zimmer einzutreten? Ich glaube, daß Jakob Iwanitsch eingeschlafen ist und ich möchte gern wissen, was ich von seiner Krankheit, welche mich sehr beunruhigt, halten soll.«

– »Sehr gern,« antwortete er, hinter mir herschreitend, mit einer Miene, als ob er sagen wolltet Du scheinst ein sehr redseliger Herr zu sein. Mit mir bedarf es so vieler Worte und Umstände nicht.

– »Sprechen Sie offen zu mir!« sagte ich, als er sich gesetzt hatte, »ist der Zustand meines Freundes sehr bedenklich?«

– »Ja,« antwortete er ruhig.

– »Sehr gefährlich?«

– »Ja, gefährlich!«

– »So, daß er davon sterben kann?«

– »Es ist möglich.«

In diesem Augenblick betrachtete ich meinen Redner mit einem Anflug von Haß.

»Aber,« erwiderte ich, »so wäre es doch nöthig, auf Mittel der Rettung zu sinnen . . . eine ärztliche Berathung zu halten . . . Was denken Sie davon?«

– »Man kann berathen. . . warum nicht? Man kann Iwan Jephremitsch rufen.«

Der Doktor sprach schwerfällig, jeden Augenblick schöpfte er Athem, sein Magen bewegte sich sichtbar wenn er sprach, und er schien alle Worte aus der Tiefe seiner Brust zu ziehen.

»Wer ist dieser Iwan Jephremitsch?«

»Der Stadtarzt.«

»Und wenn man nun einen Arzt aus der Hauptstadt des Gouvernements holen ließe, was sagen Sie dazu? sind dort gute Aerzte zu haben?«

– »Es ist möglich.«

– »Und welcher ist der beste?«

 

– »Der Beste? Ich weiß nicht. Es war dort ein Doktor Kohlrabus; allein ich hörte, daß man ihn, ich weiß nicht wohin, versetzt habe. Uebrigens ist es nicht nöthig ihn holen zu lassen.«

– »Und warum?«

– »Der Arzt der Hauptstadt würde Ihrem Freunde nichts mehr helfen können.«

– »Ist er denn so schlecht?«

– »Eine Wunde . . . die angegriffene Lunge . . . eine Erkältung . . . dann das Fieber und das Uebrige; keine Hilfsquelle mehr in der ganzen Verfassung – was soll man da thun? Sie wissen ja selbst . . . «

Wir blieben eine Weile uns stumm gegenüber, der schwerfällige Arzt nahm wieder das Wort und sagte, mir einen Seitenblick zuwerfend:

»Wenn man es mit der Homöopathie versuchte?«

»Wie so? Sie sind ja Allopath!«

»Was schadet’s? Sie denken vielleicht, ich verstände nichts von der Homöopathie? Ich kenne sie aber eben so gut, wie ein Anderer. Es ist hier ein Apotheker, welcher sich damit beschäftigt, die Leute mit Homöopathie zu kuriren, ohne Arzt zu sein. Ich bin wirklich geprüfter Arzt.«

»Das sind schlechte Aussichten,« sagte ich zu mir selbst.

»Nein,« fuhr ich dann laut fort, »es ist besser, sich an die gewöhnliche Methode zu halten.«

»Wie es Ihnen recht ist.«

Er erhob sich stöhnend.

»Sie gehen zu ihm?«

»Ja, ich muß einmal nach ihm sehen.«

Er ging hinaus.

Ich ebenfalls. Aber diesen Mann am Lager meines Freundes zu sehen, war mir unmöglich. Ich rief meinen Diener, befahl ihm, sofort in die Hauptstadt des Gouvernements zu eilen, nach dem besten Arzt zu fragen und ihn aufs Rascheste herzubringen. Ich hörte auf dem Vorplatze gehen und öffnete meine Thür. Es war der Arzt, welcher aus dem Zimmer Passinkow’s kam.

»Nun, wie steht’s?« fragte ich mit leiser Stimme.

»Nichts Neues. Ich habe eine Mixtur verordnet.«

»Ich bin entschlossen, nach einem Arzt in der Stadt zu schicken, ich zweifle zwar nicht an Ihrem Wissen, aber Sie kennen das Sprichwort:

Ein geschickter Mann ist gut, zwei sind besser.«

»Sie haben wohl daran gethan,« antwortete er, indem er die Treppe hinunterstieg. Augenscheinlich langweilte ich ihn. Ich kehrte zurück zu Jakob.

»Du sahst meinen Aesculap?« fragte er.

»Ja.«

»Was mir an ihm gefällt, ist seine merkwürdige Ruhe. Das Phlegma behagt an einem Arzt, nicht wahr? Das stärkt den Kranken.«

Ich antwortete ihm nichts; ich wollte ihm sein Vertrauen nicht nehmen.

* * *

Am Abend befand sich, wider mein Erwarten, Jakob besser. Er befahl Jélisséi den Samovar herzurichten, lud mich ein, Thee zu trinken, trank selbst eine kleine Tasse davon und wurde heiter. Indeß ich sollte ihn am Sprechen verhindern und fragte ihn, ob er wünsche, daß ich ihm etwas vorlese.

»Wie früher in dem Winterkeller’schen Pensionat,« erwiderte er mir. »Ja, mit Vergnügen, aber was willst Du lesen? Siehe, da an dem Fenster sind Bücher.«

Ich nahm das erste Buch, welches mir in die Hand fiel.

»Was ist’s?« fragte er mich.

»Lermontow’s Gedichte.«

»Ach, Lermontow, ein vortrefflicher Dichter! Steht er auch nicht so hoch wie Puschkin, von dem wir uns so vieler wundervoller Verse erinnern, so liebe ich Lermontow dennoch; öffne sein Buch nach Zufall und lies die erste Seite, welche sich deinem Auge: bietet.

Ich gehorchte und fühlte mich verlegen. Mein Finger ruhte auf einem Gedicht, welches den Titel: »Das Testament« führte; ich wollte ein anderes suchen; Jakob bemerkte die Bewegung und sagte: »Nein, nein, gehe nicht weiter; lies, was Du zufällig gefunden. Was war zu thun? Ich mußte mich fügen und las

»Das Testament«
 
Ich wollte leben in der Welt,
Bruder, mit Dir allein,
Doch wird noch – sagt man – in der Welt
Nur kurz mein Leben sein!
Treibt bald nach Hans Dich Dein Geschick,
Liegt schon mein Leib in Trümmern,
So sieh . . . doch glaub’ ich, mein Geschick
Wird Wenige bekümmern.
 
 
Wenn aber Jemand – wer’s auch sei! —
Verlangt von mir nach Kunde,
Sag ihm, mich traf ein tödtlich Blei,
Daß an der schweren Wunde
Ich starb für meinen Zaren,
Was sehr den Tod versüße, —
Daß schlecht die Aerzte waren
Und ich die Heimat grüße.
 
 
Die Eltern sind wohl lange schon
In’s feuchte Grab gesenkt,
In Neue fühlt der ferne Sohn,
Wie oft er sie gekränkt;
Doch triffst Du sie im Leben gar
Noch an auf Deinem Wege,
So sprich: Wohl oft zum Schreiben war
Der ferne Sohn zu träge.
 
 
Bald war er träg’, bald mußt’ er auch
Hinweg mit den Standorten —
Es war beim Heere niemals Brauch,
Auf euren Sohn zu warten, —
Doch hat er oft wohl in der Schlacht,
Im Kampfgewühl und Feuer
Der fernen Eltern treu gedacht,
Er hielt sie lieb und theuer!
 
 
Sie hatten eine Nachbarin,
Du denkst wohl ihrer noch —
Und kommt’s ihr auch nicht in den Sinn,
Nach mir zu fragen – doch
Sag’ Alles, was Du weißt von mir,
Gesteh’ ihr’s frei und ehrlich —
Entlockt es auch viel Thränen ihr . . .
Es ist nicht sehr gefährlich.
 

»Es ist entzückend,« sagte er zu mir, als ich zu Ende war. »Aber wie seltsam, daß Du gerade auf dieses Gedicht verfielst Ist es in der That nicht sehr seltsam?«

Ich fing an, andere Verse zu lesen, Jakob hörte mir nicht zu. Sein Blick war von mir abgewendet und er wiederholte: »Das ist sehr seltsam. « Ich schloß das Buch.

»Sie hatten eine Nachbarin,« murmelte er, und plötzlich fuhr er laut fort, sich nach mir umwendend . . . »Hör’, Freund, erinnerst Du Dich an Sophie Slotnitzky?«

Ich erröthete und erwiderte: »Wie sollte ich mich ihrer nicht erinnern?«

»Sie ist verheirathet?«

»Ja schon lange, mit Assanow. Ich schrieb Dir in meinen Briefen davon.«

»Ja, ja, der Vater hat am Ende verziehen.«

»Er verzieh ihr, aber Assanow hat er nicht bei sich sehen wollen.«

»Halsstarriger Alter! Was sagt man denn von ihnen? Leben sie glücklich zusammen?«

»Ich weiß wirklich nicht; nur vernahm ich, daß sie in einem Dorfe des Gouvernements . . . wohne. Ich bin nahe daran vorbeigekommen und habe nicht angehalten.

»Hat sie Kinder?«

»Ich glaube, ja . . . Passinkow!«

Er sah mich an.«

»Gestehe nur, Du hast ihr damals gesagt, daß ich sie liebe?«

»Ja, ich habe ihr Alles gesagt, die ganze Wahrheit. Es würde unrecht gewesen sein, ihr Dein Geheimniß zu verbergen.« Nach einer kleinen Pause fuhr er fort:

»Ist Deine Liebe zu ihr schnell verflackert?«

»Nein, nicht schnell verflackert; aber ich habe aufgehört, sie zu lieben; warum eine Liebe ohne Hoffnung nähren?«

»Und ich,« murmelte er mit zitternder Stimme, das Gesicht wegwendend, »ich, mein Freund, habe es nicht wie Du gemacht. Ich habe nicht aufgehört sie zu lieben.«

»Wie,« rief ich mit unbeschreiblicher Ueberraschung, »Du hast sie geliebt?«

»Ich habe sie geliebt,« sagte er, sein Gesicht mit den Händen bedeckend; »Gott allein weiß, wie ich sie liebte. Ich habe davon Niemanden in der Welt gesagt . . . ich konnte es keinem lebenden Wesen gestehen . . . Doch,« fügte er hinzu, indem er Lermontow citirte, »doch – sagt man – wird noch in der Welt nur kurz mein Leben sein.«

Ich war betroffen von diesem unerwarteten Geständniß; » wie ist es möglich – dachte ich – daß niemals eine Vermuthung davon in mir aufstieg?«