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Jakob Passinkow

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»Und wenn es so ist,« fiel sie ein, »so wissen Sie denn, daß ich diesen Mann liebe und daß mich die Meinung, welche Sie über meine und seine Liebe hegen, wenig kümmert. Weshalb mischen Sie Sich darein? Mit welchem Recht reden Sie so mit mir? Und wenn ich entschlossen bin . . .«

Hier brach sie ab und verschwand.

Ich blieb im Salon und fühlte mich plötzlich so verwirrt, daß ich mein Gesicht mit den Händen bedeckte. Ich verstand vollkommen das Unzarte, die Niedrigkeit meiner Handlungsweise, Scham und Reue schnürten mir das Herz zu; ich betrachtete mich wie ein entehrtes Wesen. »Großer Gott,« rief ich, »was habe ich gethan?«

»Anton, Anton,« rief die Magd im Vorzimmer, »bringen Sie rasch dem Fräulein Sophie ein Glas Wasser!«

»Was ist ihr begegnet?« fragte Anton.

– »Sie weint, sie weint«

Ich erschrak und trat in den Salon, meinen Hut zu holen.

»Was haben Sie denn Sophien gesagt?« fragte mich gleichgültig Barbara, dann nach einer kleinen Weile fuhr sie fort: »Da geht der Schreiber noch immer durch die Straße.«

Ich näherte mich der Thüre.

»Wo wollen Sie hin,– sagte sie, »warten Sie einen Augenblick, meine Mutter kommt gleich.«

»Nein, ich kann jetzt nicht bleiben, ich komme lieber ein andermal.« In diesem Augenblick sah ich mit Schrecken Sophie festen Schrittes in das Zimmer treten. Ihr Gesicht war noch bleicher als gewöhnlich, nur ihre Wangen überflog eine leise Röthe. Sie sah mich gar nicht an.

»Sieh doch,« sagte Barbara, – »wer mag nur der Beamte sein, der so um unser Haus herumstreicht?«

»Vielleicht ein Spion,« erwiderte Sophie mit kaltem, verächtlichem Tone.

Das war zu viel. Ich ging hinaus und weiß wahrlich nicht, wie ich meine Wohnung erreichte.

* * *

Ich kann den bitteren Schmerz, welchen ich empfand, nicht schildern. Ich war völlig niedergebeugt. An einem einzigen Tag zwei furchtbare Schläge! Ich hatte erfahren, daß Sophie einen Andern liebte und hatte für immer ihre Achtung verloren. Ich fühlte mich so beschämt, so schuldig, daß ich mich nicht einmal über mich selbst ärgern konnte. Auf meinem Sopha liegend, das Gesicht gegen die Wand gekehrt, fühlte ich eine Art grausamer Genugthuung darin, mich meiner Verzweiflung zu überlassen, als ich mit einem Male Schritte im Vorzimmer vernahm. Ich erhob den Kopf und vor mir stand einer meiner vertrautesten Freunde: Jakob Passinkow.

Ich war in diesem Augenblick schlecht ausgelegt, Besuche zu empfangen, aber es wäre mir unmöglich gewesen, Passinkow nicht willkommen zu heißen. Nein, im Gegentheil; in der Herde meines Schmerzes freute es mich, ihn zu sehen, und ich grüßte ihn mit Kopfnicken.

Er ging seiner Gewohnheit gemäß eine Weile in meinem Zimmer auf und ab, seine langen Glieder streckend und ausspannend, dann blieb er eine Weile vor mir stehen und setzte sich schweigend in eine Ecke.

Ich kannte Jakob schon lange, beinahe seit meiner Kindheit, aus der Erziehungsanstalt eines Deutschen, Namens Winterkeller her, bei welchem ich auch drei Jahre zubrachte. Sein Vater, mit dem Titel Major aus dem Dienste getreten, war ein rechtschaffener Mann, aber ohne Vermögen und etwas gestörten Geistes. Jakob war sieben Jahre alt, als er ihn zu dem deutschen Erzieher brachte. Er bezahlte sein Kostgeld ein Jahr voraus, dann verließ er Moskau und ließ nichts wieder von sich hören. Geheimnißvolle, seltsame Gerüchte hatten sich über ihn verbreitet. Acht Jahre nach seiner Abreise erfuhr man, daß er in Sibirien bei der Ueberfahrt des Irtisch ertrunken sei. Was er in Sibirien gewollt? Gott weiß es.

Passinkow hatte früh schon seine Mutter verloren. Es blieben ihm keine anderen Verwandten, als eine Tante, so arm, daß sie es nicht wagte, den Waisenknaben zu besuchen, aus Furcht, man könne ihn ihr aufbürden. Aber diese Furcht war ungegründet. Der gute Deutsche behielt Jakob bei sich, unterrichtete ihn wie seine anderen Zöglinge und ernährte ihn. Nur gab man ihm an gewöhnlichen Tagen kein Dessert und ließ ihm einen Anzug machen ans einem alten verschossenen, tabakfarbigen Ueberwurf der Mutter des Herrn Winterkeller, einer schon sehr bejahrten, aber noch rüstigen und sehr ordnungsliebenden Liefländerin.

Die Zöglinge, welche die Beziehungen und die Abhängigkeit Jakobs kannten, behandelten ihn ein wenig rücksichtslos und nannten ihn bald den Großmutterrock, bald den Nachtmützenneffen, weil seine Tante eine alte Mütze mit gelben Bandschleifen trug, welche einer Artischocke glich; bald nannten sie ihn, eingedenk seines Vaters, welcher im Irtisch umgekommen, den Sohn Jermals, des abenteuerlichen Eroberers von Sibirien.

Allein trotz diesen Beinamen, trotz allen Bemerkungen über seine eigenthümlich auffallende Kleidung und seine Armuth, liebten ihn seine Mitschüler dennoch, und es wäre unmöglich gewesen, ihn nicht zu lieben.

Ich glaube nicht, daß man in der Welt eine rechtschaffenere und bessere Natur finden konnte; überdies zeichnete er sich in seinen Studien aus.

Als ich ihn zum Erstenmale sah, war er ungefähr sechzehn, ich dreizehn Jahre alt. Ich, das verwöhnte, eitle, selbstgefällige Kind reicher Eltern, schloß, als ich in die Anstalt eintrat, zuerst Freundschaft mit einem jungen Fürsten, welcher der Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit des Herrn Winterkeller war, dann mit einigen anderen, der Aristokratie angehörenden Zöglingen. Ich bekümmerte mich nicht um die übrigen, und schenkte Passinkow nicht die geringste Aufmerksamkeit. Dieser große Junge mit seinen linkischen Bewegungen, seinem unförmlichen Rock, kurzen Hosen und groben Strümpfen kam mir vor wie eine Art Groom, wie der Sohn eines Bauern.

Passinkow zeigte sich gegen Jeden sehr zuvorkommend und höflich, ohne zudringlich zu sein. Durch Zurücksetzung fühlte er sich weder gedemüthigt noch gekränkt. Er zog sich stillschweigend zurück und wartete einen anderen Moment ab. So benahm er sich auch gegen mich. Es war ungefähr zwei Monat nach meinem Eintritt in die Schule, als ich ihn an einem schönen Sommertage, wo ich mich nach einem unserer lärmenden Spiele in den Garten begab; unter den breiten Zweigen eines spanischen Flieders auf der Bank sitzen sah; er hielt ein Buch in der Hand und, als ich mich ihm genähert hatte, las ich auf dem Einband desselben: Schiller’s Werke. Ich blieb stehen.

»Verstehen Sie Deutsch?« fragte ich ihn.

Wenn ich jetzt daran denke, mache ich mir noch Vorwürfe über den geringschätzenden Ton, in welchem ich diese Frage an ihn richtete.

Er schlug seine kleinen, ausdrucksvollen Augen zu mir auf und antwortete: »Ja, ich verstehe es, und Sie?«

»Natürlich! erwiderte ich – durch die Frage beleidigt. Ich wollte mich entfernen und doch blieb ich.

»Und was lesen Sie denn in Schiller?« fragte ich in demselben hochmüthigen Ton weiter.

»Ich las eben ein herrliches Gedicht, welches überschrieben ist: Resignation. Wollen Sie zuhören, so setzen Sie sich auf diese Bank.

Ich zögerte einen Augenblick, dann ließ ich mich nieder.

Passinkow fing an zu lesen. Er verstand die deutsche Sprache viel besser als ich und erklärte mir aufs Verständlichste den Sinn mehrerer Verse.

Aber ich schämte mich nicht mehr meiner Unwissenheit, noch seiner Ueberlegenheit. Von diesem Tage, dieser Stunde an, wo er mir unter den Zweigen des Flieders vorgelesen, liebte ich ihn aufrichtig; ich suchte ihn auf und ordnete mich ihm ganz unter.

Ich erinnere mich noch vollkommen seines damaligen Aussehens, wie es auch späterhin im Allgemeinen dasselbe blieb. Er war groß, hager und etwas linkisch in seinen Bewegungen. Seine schmalen Schultern, seine flache Brust gaben ihm ein kränkliches Aussehen; doch klagte er niemals über seine Gesundheit. Sein starker, runder Kopf neigte sich etwas zur Seite und spärliche, blonde Locken fielen auf seinen Nacken und seinen Hals nieder. Sein Gesicht war, aufrichtig gesagt, nicht schön; es hatte einen fast lächerlichen Charakter durch die aufgedunsene, lange, etwas geröthete Nase, welche sieh auf die breiten Lippen herunterbog.

Aber seine Stirn war prächtig und wenn er lächelte, so hatten seine kleinen, grauen Augen einen solchen Ausdruck von Freundlichkeit und einschmeichelnder Güte, daß man ihn nicht ansehen konnte, ohne sich daran zu erfreuen. Ich erinnere mich auch seiner sanften, ruhigen Stimme und einer Art eigenthümlicher Heiserkeit, welche sehr angenehm war. Im Allgemeinen sprach er wenig und mit Anstrengung; aber war er angeregt, so floß seine Rede frei und seltsamer Weise wurde sie sanfter, sein Blick schien sich in sein Innerstes zurückzuziehen und sein ganzes Antlitz war leicht entflammt. Von seinen Lippen klangen die Worte: Güte, Wahrheit, Leben, Wissen, Liebe, wie begeistert er sie auch aussprach, nie phrasenhaft, sondern machten immer den ihrem Sinne entsprechenden Eindruck. Ohne Anstrengung gelangte er in das Reich des Idealen. Zu jeder Zeit war seine keusche Seele bereit, »vor der heiligen Schönheit zu erscheinen;« sie erwartete nur das Begegnen und die sympathische Annäherung einer anderen Seele.

Passinkow war Romantiker, einer der letzten, denen ich begegnet bin. Heutzutage weiß Jeder, daß sie fast verschwunden sind; man findet sie wenigstens nicht mehr in den Reihen der jetzigen Jugend. Desto schlimmer für diese Jugend.

Ich wohnte gegen drei Jahre mit Passinkow unter einem und demselben Dach; wir waren, wie man zu sagen pflegt, Ein Herz und Eine Seele, und ich wurde der Vertraute seiner ersten Liebe.

Mit welcher dankbaren Aufmerksamkeit, mit welch’ lebhaftem Interesse nahm ich seine Geständnisse auf! Der Gegenstand seiner Leidenschaft war eine Nichte Winterkeller’s, eine niedliche Deutsche, blond und rund, mit einem Kindergesicht und zutraulichen blauen Augen. Sie hatte ein gutes, gefühlvolles Herz, liebte die Dichtungen Matthisson’s, Uhland’s und Schiller’s und sagte mit ihrer jungfräulichen, silberhellen Stimme ihre Verse sehr angenehm her. Die Liebe Passinkow’s war wesentlich platonisch. Er sah seine schöne Friederike nur Sonntags, (wenn sie kam um mit ihren Cousinen um Pfänder zu spielen), wo sie wenig mit ihm sprach. Eines Abends, als sie zu ihm gesagt hatte: »Lieber, lieber Herr Jakob,« konnte er die ganze Nacht vor Entzücken nicht schlafen. Das fiel ihm nicht ein, daß das junge Mädchen alle anderen Zöglinge ebenfalls mit »mein lieber« anredete.

 

Ich erinnere mich auch seines Schmerzes, seiner Niedergeschlagenheit, als er plötzlich erfuhr, daß Fräulein Friederike einen reichen Eßwaarenkrämer, Namens Kniftus – einen übrigens sehr hübschen und für seinen Stand sehr gebildeten Mann – heirathe, und zwar nicht blos nach dem Willen ihrer Eltern, sondern auch ans eigener Neigung. Wie traurig war nun der arme Passinkow und wie litt er an dem Tage, als das neue Paar unserm Erzieher den ersten Besuch machte.

Friederike stellte ihn, indem sie ihn immer noch ihren lieben Herrn Jakob nannte, ihrem Manne vor, an welchem Alles glänzte: die Augen, die schwarzen frisirten Haare, die Stirn, die Zähne, die Rockknöpfe, die Stickereien und die Weste bis auf die Stiefeln, welche seine breiten Füße bekleideten, die auswärts gekehrt waren, wie die der Tänzer.

Passinkow reichte Herrn Kniftus die Hand und wünschte ihm das vollkommenste, das dauerhafteste Glück. Ich bin überzeugt, daß seine Wünsche aufrichtig waren. Ich wohnte diesem Auftritte bei; ich betrachtete meinen Freund mit einem Gefühl von Mitleid und Bewunderung. In diesem Augenblick kam er mir vor wie ein Held; dann folgten traurige Gespräche zwischen uns.

»Du mußt deinen Trost in der Wissenschaft suchen,« sagte ich zu ihm.

»Ja,« erwiderte er, »und in der Poesie.«

– »Und in der Freundschaft,« fügte ich hinzu.

– »Und in der Freundschaft,« wiederholte er.

O, die guten Tage von ehedem! . . .

Ich trennte mich von ihm mit schwerem Herzen. Vor meinem Austritt aus der Anstalt erhielt er nicht ohne langes Nachsuchen und zahllose Unterhandlungen seine Zeugnisse und bezog die Universität. Aber er lebte fort bei Herrn Winterkeller, nur hatte man ihm statt seiner plumpen Tracht einen kleidsamen Anzug machen lassen, als Belohnung für den Unterricht, welchen er den jüngeren Zöglingen ertheilte.

So lange ich in der Anstalt blieb, änderte Passinkow seine freundschaftlichen Beziehungen zu mir nicht, obgleich zwischen uns eine Altersverschiedenheit war, welche anfing, mir fühlbar zu werden, und ich entsinne mich, daß ich eifersüchtig auf seine neuen Studiengenossen war.

Sein Umgang übte auf mich einen sehr heilsamen Einfluß. Unglücklicher Weise wurde er zu früh abgebrochen. Ich erinnere mich eines der Eindrücke desselben.

In meiner Kindheit hatte ich die schlechte Gewohnheit zu lügen; vor Passinkow würde ich nie eine Unwahrheit über die Lippen gebracht haben. Mein größtes Vergnügen bestand darin, mit ihm allein spazieren zu gehen oder in meinem Zimmer auf und ab zu wandeln, während er, ohne mich anzusehen, mit seiner sanften, wohlklingenden Stimme Verse vorlas. Alsbald schien es mir, als wenn ich mich nach und nach von den irdischen Regionen losrisse und mich aufschwänge zu einer geheimnißvollen Welt in geweihter Sphären.

Ich erinnere mich noch einer Nacht, wo wir uns unter den Flieder setzten, den wir zum Ort unserer Vorlesungen erkoren hatten. Wir liebten dies trauliche Plätzchen Alle unsere Kameraden schliefen schon. Wir erhoben uns ganz sachte, nahmen unsere Kleider, im Finstern tappend, und gingen heimlich hinaus, um zu träumen. Draußen wehte eine kühle Luft, welche uns zwang, uns an einander zu schmiegen. Wir schwatzten so lebhaft, daß Einer den Andern jeden Augenblick unterbrach, aber ohne uns zu zanken. Der Himmel war funkelnd, Jakob hob seine Augen auf und, meine Hand drückend, murmelte er die Verse:

 
»Der Himmel wölbt sich über uns voll Pracht,
»Und hoch im Himmel thront des Schöpfers Macht.«
 

Ich empfand eine Art religiöser Gemüthsbewegung und stützte mich auf seine Schulter. Das Herz schlug mir vor heftiger Bewegung.

O, Tage der Begeisterung, wo seid ihr?

Wo seid ihr hin, Jahre der Jugend?

Acht Jahre nachher sah ich Passinkow in Petersburg wieder.

Ich wollte in Staatsdienste treten und er hatte eine kleine Stelle in der Kanzlei erlangt. Mit welcher Freude sahen wir uns wieder! Niemals werde ich den Augenblick vergessen als ich, allein in meiner Wohnung, plötzlich seine Stimme im Vorzimmer vernahm; mit welcher Hast sprang ich auf, mit wie bewegtem Herzen warf ich mich in seine Arme, ohne ihm Zeit zu lassen, Mantel und Shawl abzulegen! Mit welcher Begierde betrachtete ich ihn durch die Freudenthränen, die unwillkürlich meinen Augen entströmten. In diesem Zeitraum von acht Jahren war er etwas gealtert. Leichte Falten, wie die Züge einer Nadelspitze, zeichneten sich auf seiner Stirn, seine Wangen waren eingefallen, seine Haare dünner geworden; aber sein Bart war nicht gewachsen und sein Lächeln war dasselbe geblieben, wie auch sein bezauberndes, innerliches, dem Ohre kaum vernehmbares Lachen.

Gott! was hatten wir uns Alles an diesem Tage mitzutheilen; wie viel Lieblingsverse uns zu wiederholen! Ich beschwor Jakob, bei mir zu wohnen, indeß er wollte darauf nicht eingehen. Doch versprach er mir jeden Tag zu kommen, und er erfüllte sein Versprechen.

Sein Herz hatte sich nicht geändert; es war dieselbe romantische Natur, welche ich kannte. Der Frost des Lebens, die strenge Kälte der Erfahrung hatte ihn nicht umgewandelt. Die früh im Herzen meines Freundes entfaltete zarte Blüthe hatte sich in ihrer ganzen frischen Schönheit erhalten. Keine Spur von Sorgen und trüben Gedanken zeigte sich auf seinem Antlitz. Er war zurückhaltend wie ehemals, aber die Seele war heiter.

In Petersburg lebte er zurückgezogen, als wäre er in einer Wildniß, sich um die Zukunft nicht kümmernd und beinahe mit Niemandem verkehrend. Ich führte ihn zu Slotnitzky‘s und er ging mit Vergnügen sehr oft wieder hin; da er nicht eitel war, so war er nicht schüchtern.

In diesem, wie in jedem anderen Hause sprach er wenig, aber er bewahrte dieser Familie eine rührende Zuneigung. Selbst der unzugängliche Alte, der Gemahl Tatiana Wassiljewna’s, empfing ihn freundlich und die beiden schweigsamen Mädchen gewöhnten sich rasch an ihn.

Zuweilen brachte er in seiner großen Tasche irgend ein neu erschienenes Buch mit; er zögerte erst lange daraus vorzulesen, und beschränkte sich darauf, von Zeit zu Zeit den Hals zu recken und um sich zu schauen wie ein scheuer Vogel. Endlich setzte er sich in einen Winkel (wo es ihm immer am liebsten war), nahm sein Buch und begann die Lectüre, erst mit gedämpfter Stimme, dann in festerem, lauterem Ton, sich selbst von Zeit zu Zeit durch kurze Anmerkungen oder Ausrufungen unterbrechend. Ich bemerkte, daß bei solchen Gelegenheiten Barbara sich ihm mehr näherte als ihre Schwester, und daß sie ihm mit Aufmerksamkeit zuhörte, obgleich sie wohl nicht verstand, was er las; denn sie hatte wenig Verständniß für Literatur. Ihm gegenüber sitzend, das Kinn auf die Hand gestützt, betrachtete sie ihn aufmerksam, den Blick nicht auf die Augen, sondern auf das ganze Gesicht heftend, und sprach kein Wort; nur stieß sie hin und wie- der plötzlich einen Seufzer ans.