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Hamlet und Don Quichotte

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»And thus the natvre hue od resolution
Is sicklied e’er by the pale cast of thought« . . .
(Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt.)
 

so sagt uns Shakespeare durch Hamlet’s Mund . . . Und so kommt es, daß wir einerseits denkende, selbstbewußte, oftmals vielumfassende, aber sehr oft unnütze und zur Unbeweglichkeit verdammte Hamlete vor uns haben; während es andererseits halbverrückte Don-Quichotte giebt, die nur deshalb Nutzen bringen und die Menschen vorwärts bewegen, weil sie nur Einen Punkt sehen und kennen, einen Punkt, der oftmals sogar nicht einmal in der Gestalt exisiirt, in welcher sie denselben sehen; unwillkürlich drängt sich uns die Frage auf: muß man denn nothwendig ein Verrückter sein, um an die Wahrheit zu glauben? Und muß etwa der Verstand, der sich selbst erkennt, schon deshalb allein seiner ganzen Kraft beraubt sein?

Auch eine oberflächliche Beurtheilung dieser Fragen würde uns zu weit führen.

Wir wollen und aus die Bemerkung beschränken, daß nie in dieser Trennung, in diesem Dualismus, von welchem eben die Rede war, ein fundamentales Gesetz für das gesammte menschliche Leben anerkennen müssen. Dieses gesammte Leben ist nichts Anderes, als ein ewiges Versöhnen und ein ewiger Kampf zwischen zwei Prinzipien, die immerwährend getrennt sind und beständig wieder zusammenfließen. Hätte ich nicht zu befürchten Sie durch philosophische Schlagwörter zu verwunden, so würde ich sagen: Hamlete sind der Ausdruck für die fundanmentale Centripetallkraft der Schöpfung, in Folge deren alles Lebendige sich einbildet, das Centrum der Schöpfung zu sein, und das uebrige nur als ihm zu Liebe bestehend betrachtet. (So hat sich die Mücke, indem sie sich auf die Stirn Alexanders von Macedonien setzte, in der vollkommensten Ueberzeugung ihres Rechtes von seinem Blute genährt, wie von einer ihr gebührenden Nahrung; so auch Hamlet wenngleich er sich auch verachtet – was die Mücke nicht thut, weil sie sich dazu nicht erheben kann – so auch, wiederhole ich, bezieht Hamlet Alles nur auf seine Person.) Ohne diese Centripetalkraft (die Kraft des Egoismus) könnte die Natur nicht bestehen, ebensowenig, wie sie ohne die andere, die Centrifugalkrast, existiren könnte, nach deren Gesetzen alles Daseiende nur für Andere da ist. (Diese Kraft, dieses Prinzip der Hingebung und Aufopferung – allerdings, wie schon früher erwähnt, in einem komischen Lichte gesehen, wie es keiner Fliege wehe thun will – dieses letztere Prinzip stellt der Don Ouichotte’sche Typus dar.) Diese zwei Kräfte – des Verharrens und der Bewegung, des Conservatismus und des Fortschritts, sind die Grundkräfte für Alles, was da ist. Sie erklären uns das Gedeihen der Pflanze, und sie sind es, welche uns den Schlüssel zum Verständnis der Entwickelung der mächtigsten Völker abgeben.

Wir wollen aber diese, vielleicht am unrechten Orte angebrachten Betrachtungen verlassen und uns zu anderen heimischeren Anschauungen wenden.

Es ist bekannt, daß von allen Shakespeare’schen Werken Hamlel das populärste ist. Diese Tragödie gehört zu denjenigen Stücken, die zweifellos und jedesmal das Theater füllen. Bei dem jetzigen Zustande unseres Publikums, bei seinem Streben zur Selbsterkenntniß und zum Nachdenken, bei seinem Zweifel an sich selbst und seiner Jugcndkraft ist diese Erscheinung begreiflich. Abgesehen von den Schönheiten, von welchen dieses vielleicht bemerkenswertheste Erzeugniß der Neuzeit erfüllt ist, kann man nicht genug das Genie bewundern, welches, in vieler Hinsicht seinem Hamlet selbst verwandt, sich durch freie Bewegung seiner schaffenden Kraft von dem Dichter abgehoben und sein Bild zum ewigen Studium der Nachwelt fixirt hat. Der Geist, der diese Gestalt geschaffen hat, ist der Geist eines Bewohners des Nordens, der Geist der Reflexion und der Analyse – ein schwermüthiger, düsterer Geist, der Harmonie und der heilen Farben beraubt; aber ein tiefer Geist, ein machtvoller, vielseitiger, selbstständiger, leitender Geist. Aus der Tiefe seines Innern heraus hat er Hamlet geboren und damit gezeigt, daß er auf dem Gebiete der Poesie wie auf manchen Gebieten des Volkslebens höher steht, als sein Kind, dadurch eben, daß er dasselbe vollständig begreift.

Auf »Don Quichotte« ruht der Geist des Südländers – ein lichter, heiterer Geist, naiv und empfindlich, der nicht in die Tiefe des Lebens eindringt, der die Erscheinungen des Lebens nicht erfaßt, aber in sich abspiegelt Es ist schwer, der Begierde zu widerstehen, eine Parallele zwischen Shakespeare und Cervantes zu ziehen. Ich will mich auf einige Punkte beschränken die auf Verschiedenheit und Aehnlichkeit Beider Bezug haben. Shakespeare und Cervantes – wird so Mancher denken: wie kann denn hier überhaupt ein Vergleich stattfinden? Shakespeare – dieser Riese, dieser Halbgott . . . Ja wohl! Aber nicht als Zwerg erscheint Cervantes gegenüber dem Giganten, dem Schöpfer des »König Lear«, sondern als Mensch und durch und durch als Mensch. Ein Mensch aber hat das Recht, seinen Platz zu behaupten, sogar in Gegenwart eines Halbgottes. Unstreitig verdunkelt Shakespeare Cervantes – und nicht ihn allein – durch den Reichthum und die Macht seiner Phantasie, durch den Glanz der gewaltigsten Poesie, durch die Tiefe und Breite seines ganzen Geistes; aber Sie finden in dem Romane von Cervantes weder erkünstelte Witze, nach unnatürliche Vergleiche, noch faden esprit; Sie finden dort auch keine abgehauenen Köpfe, keine ausgerissenen Augen, alle diese Blutlachen, diese stähleme und stumpfe Grausamkeit die den Nachlaß des Mttelalters, des Barbarenthums bilden, welches sich aus den starren nordischen Naturen langsamer verliert. Und doch war Servantes wie Shakespeare Zeitgenosse der Bartholomäusnacht, und noch lange nach ihnen wurden Ketzce verbrannt und floß Menschenblut – wird es denn überhaupt zu fließen aufhören? Das Mittelalter findet seinen Ausdruck in »Don Quichotte« durch den Abglanz der provencalischen Poesie, durch die märchenhafte Grazie jener Romane, bei deren Lektüre Cervantes so gutmüthig gelacht hatte, und denen er selbst einen lebten Tribut in seinem »Percival und Sigismunda«1 darbrachte. Shakesspeare holt sich seine Figuren von überall her – vom Himmel, von der Erde – Nichts steht ihm entgegen, Nichts kann seinem Alles durchdringenden Blicke entgehen. Er reißt sie mit einer unwiderstehlichen Kraft an sich, mit der Kraft eines Adlers, der über seine Beute herfällt. Cervantes dagegen führt dem Leser gutmütig seine nicht eben zahlreichen Figuren vor, wie ein Vater seine Kinder; er nimmt nur das, was ihm nahe ist; aber dieses Ruhe – das ist ihm genau bekannt. Alles Menschliche scheint dem mächtigen Genius des englischen Dichters unterthan zu sein. Cervantes – schöpft seinen Reichthum nur aus seiner Seele, dieser klaren, sanften Seele, die reich an Lebenserfahrungen doch, durch sie nicht verbittert ist. Nicht umsonst hatte Cervantes, wie er selbst sagt, während seiner siebenjährigen, schweren Gefangenschaft die Wissenschaft der Geduld studiert. Der Kreis, über welchen er verfügt, ist enger als der Shakespeare‘sche; aber in ihm spiegelt sich, wie in jedem einzelnen lebendigen Geschöpfe, alles Menschliche ab. Cervantes leuchtet nicht mit Blitzesworten: er erschüttert nicht durch die titanische Kraft einer siegreichen Begeisterung; feine Poesie ist nicht die Shakespeare’sche, eine manchmal trübe See: sie ist ein tiefer Fluß, welcher ruhig zwischen buntgestalteten Ufern fließt. Allmählich mitgerissen und allseitig von seinen durchsichtigen Wellen umspielt, ergiebt sich der Leser mit Freude der wahrhaft epischen Stille und Ruhe des Stromes. Die Phantasie ruft mit Freuden die Gestalten der beiden Dichter desselben Jahrhunderts hervor, die grade an ein und demselben Tage, am 26. April 1616, ihr Leben aushauchten. Cervantes hat von Shakespeare wahrscheinlich Nichts gewußt; der große Tragiker aber konnte noch in der Stille seines Stratfordschen Hauses, wohin er sich drei Jahre vor seinem Tode zurückgezogen hatte, den berühmten Roman lesen, der damals schon in‘s Englische übertragen war . . . Ein Bild, des Pinsels eines denkenden Malers würdig: Shakesspeare den »Don Quichotte« lesend. Glücklich die Länder, wo solche Männer erstehen, wo solche Lehrer für die Zeitgenossen und Nachkommen das Leben erhalten! Der unverwelkliche Lorbeerkranz, mit weichem ein großer Mann gekrönt wird, legt sich auch um die Stirne seiner Nation.

Bevor wir unsere, bei weitem noch nicht vollständige Studie zu Ende führen, dürfte es wohl erlaubt sein, noch einige Bemerkungen zu machen.

Ein englischer Lord (ein in dieser Hinsicht sachkundiger Beurtheiler) nannte in meiner Gegenwart Don Quichotte das Muster eines echten Gentleman. Und in Wahrheit: wenn Einfachheit und Gelassenheit im Benehmen als Merkmale für einen anständigen Menschen gelten, so hat Don Quichotte volles Recht auf diesen Namen. Er ist ein wahrer Hidalgo, auch dann noch, als die spottlustigen Dienerinnen des Herzogs ihm das ganze Gesicht einseifen. Die Einfachheit seiner Manieren entstammt der Abwesenheit einer Eigenschaft, die ich nicht Eigenliebe, sondern Eigendünkel nennen möchte. Don Quichotte ist nicht mit sich selber beschäftigt, und indem er sich und Andere achtet, fällt es ihm nicht ein, zu affektiren. Hamlet aber erscheint mir bei all’ seiner eleganten Auststattnng – Sie müssen mir den französischen Ausdruck verzeihen – wie »ayant des airs d‘un parvenu.« Er ist unruhig, manchmal sogar grob, thut ernsthaft und ist spöttisch. Dafür ist ihm auch die Kraft der eigentljümtichen und scharfen Rede gegeben, eine Kraft, die jeder grübelnden und sich selbst bearbeitenden Persönlichkeit eigen und daher Don Quichotte nicht entsprechend ist. Die Tiefe und Feinheit der Analyse bei Hamlet, seine vielseitige Bildung (wit dürfen nicht vergessen, daß er an der Universität zu Wittenberg studirte) haben bei ihm einen fast unfehlbaren Geschmack ausgebildet. Er ist ein vortrefflicher Kritiker; die Rathschläge, die er den Schauspielern ertheilt, sind erstaunlich richtig und klug. Das aesthetische Gefühl ist bei ihm vielleicht eben so stark, wie das Pflichtgefühl bei Don Quichotte.

 
1Es ist bekannt, daß der ritterliche Roman »Percival und Sigismunda« nach dem ersten Theile des »Don Quichotte« erschien.