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Ein Briefwechsel

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XI.
Maria Alexandrowna an Alexei Petrowitsch

Dorf . . ., den 30. Juni 1840.

Wie bin ich Ihnen dankbar« Alexei Petrowitsch« für Ihren Brief, wie großen Nutzen hat er mir gebracht! Ich sehe, Sie sind wirklich ein guter und zuverlässiger Mensch, und daher werde ich Ihnen Nichts verschweigen. Ich glaube Ihnen! Ich weiß, daß Sie meine Offenherzigkeit nicht mißbrauchen und mir freundschaftlichen Rath ertheilen werden. So hören Sie denn. Ich habe am Schlusse meines letzten Briefes einen Ausspruch gethan, der Ihnen nicht ganz gefallen hat; was mich dazu veranlaßte, will ich Ihnen heute mittheilen: Wir haben einen Nachbar . . . zur Zeit Ihres hiesigen Aufenthalts war er noch nicht da, und daher haben Sie ihn auch nicht gesehen. Er . . . ich würde ihn heirathen können, wenn ich wollte . . . er ist ein noch junger, gebildeter, wohlhabender Mann. Von Seiten meiner Verwandten stehen einer Verbindung mit ihm keine Hindernisse entgegen; im Gegentheil, sie wünschen dieselbe, wie ich bestimmt weiß, er hat ein angenehmes Aeußere und liebt mich, glaube ich . . . aber er ist so träge, so flach und alle seine Wünsche sind so beschränkt, daß ich nothwendigerweise meine Ueberlegenheit ihm gegenüber fühlen muß; er merkt das und freut sich gewissermaßen darüber, und eben dieses ist es, was mich von ihm zurückstößt; ich kann ihn trotz seines vortrefflichen Herzens nicht achten. Was soll ich beginnen, rathen Sie mir. Denken Sie für mich darüber nach und schreiben Sie mir aufrichtig Ihre Meinung. Wie dankbar bin ich Ihnen für Ihren Brief! . . . Glauben Sie mir, zuweilen bemächtigen sich meiner so trübe Gedanken . . . ja, es war so weit mit mir gekommen, daß ich mich fast jedes . . . ich sage nicht beseligenden, jedes vertraueusvollen Gefühls schämte, daß ich voll Verdruß ein Buch zerschlug, wenn in ihm von Glück und Hoffnung die Rede war; daß ich mich von dem wolkenlosen Himmel, von dem frischen Grün der Bäume, von Allem, was sich freute und lächelte, abwandte. Was war das für ein drückender Zustand! Ich sage: war . . . wie wenn er vergangen seil

Ob er vergangen ist? . . . Ich weiß es nicht; das weiß ich aber, daß, wenn er nicht wiederkehrt, ich es Ihnen verdanke. Sehen Sie, Alexei Petrowitsch, wieviel Gutes Sie gethan haben, ohne es vielleicht selbst zu ahnen! – A propos, wissen Sie, daß ich Sie sehr bedauere? Jetzt ist gerade die herrlichste Zeit des Sommers, wir haben wunderschöne Tage, blauen, klaren Himmel . . . Der Himmel Italiens kann nicht schöner sein, und Sie sitzen in der schwülen und staubigen Stadt und gehen auf dem brennenden Steinpflaster einher. Wie kann Ihnen das Vergnügen machen? Wenigstens sollten Sie doch eine Villa beziehen; hinter Peterhof, am Meeresstrande, soll es ja reizende Landhäuser geben!

Ich würde Ihnen gern noch mehr schreiben, aber ich kann nicht; aus dem Garten dringen so wundervolle Düfte herein, daß es mich im Zimmer nicht länger leidet. Ich setze den Hut auf und gehe spazieren . . . Nächstens mehr, guter Alexei Petrowitsch.

Ihre ergebene M. B.

PS. Ich habe vergessen Ihnen zusagen denken Sie sich, der Witzbold, von dem ich Ihnen letztens schrieb, hat mir – stellen Sie sich‘s vor – vor einigen Tagen seine Liebe erklärt, und zwar in den feurigsten Ausdrücken. Ich glaubte anfangs, daß er sich über mich lustig machen wolle, aber er endigte mit einem förmlichen Antrage – und das nach all seinen Verläumdungen. Aber er ist jedenfalls viel zu alt. Gestern setzte ich mich Nachts, ihm zum Aerger, vor dem offenen Fenster an‘s Klavier und spielte beim Scheine des Mondes eine Sonate von Beethoven. Wie war es so erquickend, des Mondes kaltes Licht auf meinem Antlitz zu fühlen, so wohlthuend die aromatische Nachtluft mit den herrlichen Klängen der Musik zu erfüllen, die von Zeit zu Zeit vom Schlagen der Nachtigall übertönt wurden! Ich bin lange nicht so glücklich gewesen. Schreiben Sie mir indessen, worüber ich Sie im Anfange dieses Briefes zu schreiben gebeten habe, das ist sehr wichtig. —

XII.
Alexei Petrowitsch an Maria Alexandrowna

St. Petersburg, den 8. Juli 1840.

Liebe Maria Alexandrowna, hier meine Meinung in zwei Worten: sowohl den alten Junggesellen, als auch den jugendlichen Anbeter – Beide über Bord! Da ist Nichts zu überlegen. Weder der eine noch der andre ist Ihrer werth – das ist klar, wie zwei Mal zwei vier ist. Der junge Nachbar mag ein ganz guter Mensch sein, doch – Gott befohlen! Ich bin überzeugt, daß es zwischen ihm und Ihnen nichts Gemeinsames gibt, daher können Sie sich vorstellen, wie angenehm Ihnen das Zusammenleben mit ihm sein würde! Und wozu sich beeilen? Ist es möglich, daß eine Frau wie Sie – ich will keine Schmeicheleien sagen und führe daher das Thema nicht weiter aus – Keinen finden sollte, der sie zu schätzen versteht? Nein, Maria Alexandrowna, hören Sie auf mich, wenn Sie wirklich glauben, daß ich Ihr Freund bin und mein Rath von Nutzen für Sie ist. Gestehen Sie selbst, es würde Ihnen doch angenehm sein, den alten Verläumder zu Ihren Füßen zu sehen? . . . Ich würde ihn, an Ihrer Stelle, zwingen, die ganze Nacht hindurch die Adelaide von Beethoven zu singen und den Mond zu betrachten.

Uebrigens lassen wir sie, lassen wir Ihre Anbeter! Von etwas Anderem will ich Ihnen heute schreiben. Ich befinde mich nämlich in Folge eines gestern erhaltenen Briefes in einer eigenthümlichen, halb gereizten, halb erregten Stimmung. Ich sende Ihnen eine Abschrift desselben. Er ist von einem meiner ehemaligen Freunde und Collegen, einem guten, aber ziemlich beschränkten Menschen. Vor zwei Jahren reiste er in‘s Ausland und hatte mir bisher nicht ein einziges Mal geschrieben. Hier folgt sein Brief:

NB. Er ist ein sehr wohl aussehender Mann.

»Cher Alexis!

»Ich bin in Neapel und sitze in meinem Zimmer auf der Chiaja am Fenster. Das Wetter ist herrlich. Ich habe zuerst lange auf das Meer hinausgeschaut, darauf erfaßte mich eine Ungeduld und plötzlich kam mir der prächtige Gedanke, an Dich zu schreiben. Ich habe, weiß Gott, für Dich, lieber Freund, stets eine herzliche Zuneigung empfunden. Und jetzt trieb es mich, Dir mein Herz auszuschütten . . . so glaube ich, sagt man in Eurer erhabenen Sprache . . . Ungeduldig aber wurde ich, weil ich eine gewisse Dame erwarte. Wir wollen zusammen nach Bajä fahren, um dort Austern und Apfelsinen zu essen, anzusehen, wie die dunkelbraunen Hirten mit rothen Mützen die Tarantella tanzen, um uns in der Sonne wie Eidechsen braten zu lassen, mit einem Worte, um das Leben in vollen Zügen zu genießen. Lieber Freund, ich bin so glücklich, daß ich es gar nicht sagen kann. Wenn ich so geschickt mit der Feder umzugehen wüßte, wie Du – ach! welches Bild würde ich vor Deinen Augen entfalten! Aber zum Unglück bin ich, wie Du weißt, kein Schriftsteller. Diese Dame, welche ich erwarte und die mich schon länger als eine Stunde beständig emporfahren und nach der Thür blicken läßt, liebt mich. . . »Wie ich sie aber liebe – das, glaube ich, könntest selbst Du mit Deiner beredten Feder nicht beschreiben.

»Ich muß Dir sagen, daß ich sie schon vor drei Monaten kennen lernte, und daß vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an meine Liebe immer brennende, wie eine chromatische Tonleiter höher und höher steigt und im gegenwärtigen Augenblicke sich schon bis über den siebenten Himmel emporgeschwungen hat. Ich scherze – aber in der That, meine Anhänglichkeit für dies süße Geschöpf ist etwas Ungewöhnliches, Uebernatürliches. Stelle Dir vor, ich spreche fast gar nicht mit ihr, sehe sie immer nur an und lache wie ein Narr. Ich setze mich zu ihren Füßen und fühle, daß ich furchtbar dumm und glücklich, wirklich unerlaubt glücklich bin. Zuweilen kommt es vor, daß sie mir die Hand auf-'s Haupt legt . . . Nun dann, ich sage Dir . . . aber das kannst Du nicht verstehn, Du bist eben ein Philosoph und zeitlebens ein Philosoph gewesen. Sie heißt Nina, auch Ninetta, und ist die Tochter eines hiesigen reichen Kaufmannes! Sie ist schön – was sind alle Deine Raphaels gegen sie, – rasch auflodernd wie Pulver, heiter, klug, so klug, daß es wirklich erstaunlich ist, wie sie sich in mich Dummkopf hat verlieben können; sie singt wie ein Vogel in den Zweigen, und die Augen —

»Entschuldige diesen unfreiwilligen Gedankenstrich. . . mir kam es vor, als ob die Thür knarrte . . . Nein, sie kommt noch nicht, die Unartiget Du wirst mich fragen, womit das Alles endigen soll, und was ich mit mir vorhabe und ob ich noch lange hier bleiben werde. Ich weiß das Alles nicht, Freund, und will es auch nicht wissen. Mag kommen, was da wolle . . . Ach! wer da immer wieder stehen bleiben und überlegen wollte . . .

»Sie kommt! . . . Sie läuft die Treppe heraus und singt . . . Sie ist da! Nun Freund, lebe wohl . . . jetzt habe ich keine Zeit mehr für Dich. Verzeih – sie hat den ganzen Brief bespritzt; mit einem feuchten Blumenstrauß schlug sie auf‘s Papier. Anfangs glaubte sie, daß ich an eine Dame schreibe, als sie aber erfuhr, daß es ein Freund sei, – ließ sie Dich grüßen und fragen, ob Ihr auch Blumen habt und ob sie duften? Nun, lebe wohl . . . Wenn Du gehört hättest, wie sie lachte . . . kein Silber hat einen solchen Klang; und welche Gutherzigkeit liegt in jedem Laut – ich möchte sogleich ihre Füßchen mit Küssen bedecken. Doch wir fahren, wir fahren! Lebe wohl! Sei nicht böse über mein abgeschmacktes Geschmier und beneide Deinen

M.

Der Brief war in der That ganz wasserfleckig und roch nach Orangenblüthen . . . zwei weiße Blumenblättchen klebten an dem Papier. Dieser Brief regte mich auf . . . ich dachte an meinen Aufenthalt in Neapel . . . Auch damals war das-Wetter herrlich, der Mai hatte eben begonnen; ich war vor Kurzem zweiundzwanzig Jahr alt geworden, kannte aber keine Ninetta. Ich strich allein umher und verging vor Durst nach Glückseligkeit, einem Durst, der zugleich quälend und süß, ja, so süß war, daß er fast der Glückseligkeit selbst glich . . . Was doch die Jugend macht! . . . Ich erinnere mich einer Nacht, in der ich auf dem Golf spazieren fuhr. Wir waren unser zwei, . . . der Bootsmann und ich . . . ja, der Bootsmann . . . Erwarteten Sie etwas Andres? Was das aber für eine Nacht war, was für ein Himmel, was für Sterne, wie sie auf den Wellen zitterten und strahlten, wie das Wasser gleich flüssigen Flammen wogte und unter den Ruderschlägen aufspritzte, welcher Wohlgeruch über das ganze Meer hinwehte – das Alles zu beschreiben, ist mir nicht möglich, so »beredt« auch meine Feder sein mag. Auf der Rhede lag ein französisches Linienschiff. Es glühte roth von den darauf brennenden Lichtern und in langen Streifen von rother Farbe lag der Wiederschein der erleuchteten Fenster fast regungslos auf dem dunkeln Meer. Der Capitain des Schiffes gab einen Ball. Eine heitere Musik drang in einzelnen Tonwellen bis zu mir; ich erinnere mich besonders des Trillers einer kleinen Flöte zwischen den dumpfen Tönen der Trompeten, dieser Triller schien mein Boot gleich einem Schmetterlinge zu umflattern. Ich ließ an's Schiff rudern und umfuhr es zwei Mal. Weibliche Gestalten flogen an den Fenstern vorüber, getragen vom wilden Wirbel des Walzers . . . Ich ließ den Bootsmann abstoßen, fort in die Ferne, in die tiefste Dunkelheit . . . Ich erinnere mich, daß mir die Töne noch lange und als ob sie von mir nicht lassen wollten, nachfolgten . . . endlich erstarben sie. Ich erhob mich im Boote und breitete im stummem Sehnsuchtsschmerze meine Arme über das Meer aus . . . O! wie mir damals weh um‘s Herz wurde! Wie meine Einsamkeit mir drückend war! Mit welcher Freude hätte ich mich ganz hingegeben, ganz, – ganz, wenn nur Jemand dagewesen wäre, dem ich mich hätte hingeben können. Mit welch bitterem Gefühl in der Seele warf ich mich mit dem Angesicht auf den Boden des Bootes! Ich wollte weiter . . . gleichviel wohin . . .

 

nur fort!

Mein Freund aber hat Nichts von alledem erfahren. Ja, wie sollte er auch? Er hat es viel klüger angefangen als ich. Er lebt . . . und ich . . . Er hat mich nicht umsonst einen Philosophen genannt . . . Merkwürdig! man nennt Sie auch eine Philosophin . . . Weßhalb hat sich ein solches Unglück über uns entladen? . . .

Ich lebe nicht . . . Aber wer ist daran schuld? Weßhalb sitze ich hier in Petersburg? was thue ich hier? wozu schlage ich hier einen Tag nach dem andern todt? warum fahre ich nicht auf das Land? Läßt sich‘s nicht auch in unsern russischen Steppen leben? Hat man nicht Raum und Luft genug in ihnen? Welcher Unsinn, leeren Phantasien nachzuhängen, wenn man vielleicht nach dem Glück nur die Hand auszustrecken braucht! Es ist entschieden! Ich fahre, fahre morgen, wenn es möglich ist; ich fahre zu mir nach Hause, daß heißt zu Ihnen – das ist ja dasselbe; wir wohnen ja nur zwanzig Werst von einander. Was soll ich in der That hier versauern! Wie ist mir dieser Gedanke doch nicht früher gekommen! Liebe Maria Alexandrowna, wir werden uns bald wiedersehen. Es ist wirklich unbegreiflich, daß mir dieser Gedanke bis hierzu nicht in den Sinn gekommen ist. Ich hätte schon längst fahren sollen. Auf Wiedersehen, Maria Alexandrowna!«

Den 9. Juli.

Ich habe mir absichtlich vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit gegeben und mich jetzt schließlich überzeugt, daß ich hier nicht bleiben kann. Der Staub auf den Straßen ist so, beißend, daß die Augen schmerzen. Heute fange ich an, einzupacken, übermorgen reife ich wahrscheinlich von hier ab und nach ungefähr zehn Tagen werde ich das Glück haben, Sie zu sehen. Ich hoffe, Sie werden mich ebenso freundlich empfangen wie früher.