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Die letzte Nacht Traupmanns

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Die Zwecklosigkeit, man kann beinahe sagen die Abgeschmacktheit, die ganze Familie der Kinck’s auszurotten, kann bis zu einem gewissen Grade als Bestätigung dieser Ueberzeugung dienen.

IX

Jetzt war er mit seinen Stiefeln fertig – und richtete sich auf, schüttelte sich: »Fertig!«

Man zog ihm wieder die Zwangsjacke an. Herr C*** bat uns Alle, hinauszugehen und Traupmann allein mit dem Geistlichen zu lassen.

Wir warteten kaum zwei Minuten im Corridor, als schon seine kleine Gestalt mit dem gerade und kühn gehobenen Kopfe wieder unter uns erschien. Das religiöse Gefühl war in ihm schwach und er erfüllte wahrscheinlich die letzte Ceremonie der Beichte vor dem Geistlichen, der ihm seine Sünden vergab – wie eine Ceremonie. Unsere ganze Gruppe, mit Traupmann in der Mitte, trat sogleich auf die enge Wendeltreppe, auf welcher wir eine Viertelstunde vorher hinabgestiegen waren – und wir versanken in ein undurchdringliches Dunkel . . . Die Nachtlampe erlosch auf der Stiege. Es war eine schreckliche Minute. Wir Alle wollten hinauf; man hörte das eilige und starke Getrappel unserer Füße auf den Steinen der Treppenstufen; wir drängten uns, stießen uns mit den Schultern, einer von uns verlor den Hut; irgend Jemand hinten schrie ärgerlich: »Mais sacre dieu; zünden Sie ein nicht an! Leuchten Sie uns!« – Und dort, zwischen uns, bei uns in der dichten Dunkelheit befand sich unser Opfer, unsere Beute . . . Der Unglückliche . . . wird er nicht daran denken, die Dunkelheit zu benutzen und mit der ganzen Gewandtheit und Entschlossenheit der Verzweiflung sich zu werfen . . .wohin? . . . In irgend einen entfernten Winkel des Gefängnisses – und wenn er dort die Stirn an der Wand einrennen soll! Wenigstens hat er sich dann selbst das Ende gegeben . . .

Ich weiß nicht, ob diese Befürchtungen den Anderen in den Sinn kamen, aber sie zeigten sich grundlos. Unsere ganze Gruppe mit der kleinen Figur in der Mitte kam aus den Tiefen der Treppe auf den Corridor. Traupmann gehörte offenbar der Guillotine an – und es begann der Gang nach derselben.

X

Dieser Gang konnte wohl ein Lauf genannt werden. Traupmann ging voraus mit raschen, elastischem beinahe sprunghaften Schritten; er eilte offenbar und wir eilten hinter ihm. Einige liefen sogar rechts und links, um ihm noch einmal in’s Gesicht zu sehen. So durcheilten wir den Corridor, liefen die zweite Treppe hinab – Traupmann sprang über zwei Stufen auf die dritte – stürmten durch den andern Corridor, sprangen noch einige Stufen hinab – und befanden uns endlich in demselben Zimmer mit dem einzigen Tabouret, von welchem ich schon gesprochen habe und in dem die Toilette des Verurtheilten vollzogen ward. Wir traten durch die eine Thür und aus der uns gegenüberliegenden erschien, mit gravitätischem Gang, in weißem Halstuch, schwarzem Kleid, wie ein Diplomat oder ein protestantischer Pastor – der Scharfrichter, hinter ihm trat ein kleiner, dicker, alter Herr in schwarzem Ueberrock ein, sein erster Gehilfe, der Scharfrichter der Stadt Bauvais. Der Alte hielt in der Hand eine kleine lederne Tasche – Traupmann blieb bei dem Tabouret stehen; Alle stellten sich um ihn herum. Der Scharfrichter und der Alte, sein Gehilfe, stellten sich rechts von ihm, der Geistliche gleichfalls zur Rechten, etwas vorwärts, der Commandant und Herr C*** zur Linken. Der Alte öffnete mit einem Schlüssel das

Schloß der Tasche, nahm einige ungegerbte weiße Riemen mit Schnallen heraus – lange und kurze – und begann, nachdem er sich mit Mühe hinter Traupmann auf die Knie niedergelassen hatte – seine Füße zu binden. Traupmann trat unversehens auf das Ende eines dieser Riemen – der Alte versuchte denselben hervorzuziehen, zweimal murmelte er: »Pardon Monsier!« und berührte endlich Traupmann an der Wade. Dieser drehte sich sogleich um und hob mit seiner gewöhnlichen halben Verbeugung den Fuß und machte den Riemen frei. Der Geistliche las unterdessen mit halblauter Stimme Gebete in französischer Sprache aus einem kleinen Buche. Zwei andere Gehilfen traten hinzu – sie zogen Traupmann rasch das Camisol ab, führten seine Hände auf den Rücken, banden sie über Kreuz und umwickelten den ganzen Körper mit Riemen.

Der oberste Scharfrichter leitete dies Geschäft, indem er mit dem Finger bald hier, bald dorthin zeigte. Es fand sich, daß an den Riemen keine genügende Anzahl Löcher für die Dörner der Schnallen angebracht worden war: wer die Löcher gemacht hatte, hatte wahrscheinlich auf einen dicken Mann gerechnet. Der Alte suchte zuerst in dem Sacke, dann stöberte er der Reihe nach alle seine Taschen durch – und nachdem er lange getastet, zog er endlich aus einer derselben eine kleine, krumme Pfrieme heraus, mit welcher er die Riemen mit Anstrengung zu durchbohren begann: seine ungeschickten, von Gicht geschwollenen Hände gehorchten ihm schlecht, auch war das Leder dick und neu. Er macht ein Loch, probirt . . . der Dorn geht nicht hinein; er muß wieder bohren. Der Geistliche errieth wohl, daß die Sache nicht in Ordnung ist, sich verzögert, nachdem er zweimal verstohlen über die Schulter geblickt hatte, fing er an die Worte der Gebete zu dehnen, um dem Alten Zeit zu lassen, zurecht zu kommen. Endlich ist die Operation – in deren Verlauf mich, ich gestehe es offen, kalter Schweiß überrieselte – beendigt, die Dörner saßen, wo es sich gehört . . . es begann eine andere. Nun bat er Traupmann sich auf das Tabouret zu setzen, vor welchem er stand und derselbe Alte mit der Gicht trat an ihn heran, um ihm die Haare zu schneiden. Er langte eine Scheere heraus und indem er die Lippen verzog, schnitt er sorgfältig den Kragen des Hemdes Traupmann’s ab, desselben Hemdes, welches er soeben angezogen hatte und dessen Kragen man so leicht hätte vorher abtrennen können. Die Leinwand war grob, ganz in Falten und wich der kaum scharfen Schneide. Der Oberscharfrichter gab Acht und war unzufrieden; der Ausschnitt war nicht hinreichend groß. Er zeigte mit der Hand: der alte Gichtbrüchige machte sich wieder an die Arbeit und schnitt noch ein ordentliches Stück Leinwand heraus. Der oberste Theil des Rückens war entblößt, man sah die Schultern. Traupmann zuckte leicht mit ihnen: im Zimmer war es kalt. Jetzt machte sich der Alte an die Haare. Er legte seine geschwollene linke Hand auf den Kopf Traupmanns, der ihn sogleich willig beugte, und fing mit der Rechten an zu schneiden. Flocken dunkelbraunen starren Haares glitten die Schultern hinab, fielen an den Boden, eine flog bis zu meinem Stiefel. Traupmann hielt immerfort den Kopf nieder; der Geistliche dehnte die Worte der Gebete noch mehr. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden von diesen einst von unschuldigem Blute gerötheten, jetzt hilflos eine auf der andern liegenden Händen – und besonders von diesem seinen jugendlichen Halse. – Die Phantasie zog auf demselben unwillkürlich quer über einen Strich. In wenigen Augenblicken wird dort, so dachte ich bei mir, das centnerschwere Beil, den Wirbel zerschmetternd, die Muskeln und Adern zerschneidend, hindurchgehen . . . und der Körper, so schien es, erwartete nichts dergleichen . . . so glatt, so weiß, so gesund war er . . .

Unwillkürlich stellte ich mir die Frage: an was denkt in diesem Augenblick dieser so demüthig geneigte Kopf? Hält er sich hartnäckig und, wie man sagt, die Zähne zusammenbeißend, an den einen Gedanken: »Ergeben wir uns nicht – wahrlich nicht;« gehen im Wirbelwind durch ihn die verschiedensten und wahrscheinlich auch die unbedeutendsten Erinnerungen der Vergangenheit? Tritt vielleicht eines der Glieder der Familie Kinck mit irgend einer Todesfratze vor ihn – oder versucht er einfach an nichts zu denken, dieser Kopf – und redet sich nur selbst ein: »Es ist nichts, ja, ja, wir werden ja sehen« . . . und wird er sich das auch sagen bis zum Augenblick, wo der Tod sich auf ihn stürzt und nirgends ein Entrinnen ist? . . .

Der Alte schor, schor immer noch. Die Haare knirschten, wie sie von der Scheere gefaßt wurden. Endlich war auch diese Operation beendet. Traupmann stand schnell auf, schüttelte den Kopf . . . Gewöhnlich wenden sich in diesem Augenblicke diejenigen Delinquenten, welche noch sprechen können, mit einer letzten Bitte an den Director des Gefängnisses, erinnern an die Sachen und an das Geld, welches sie hinterlassen, danken den Wächtern, bitten, ihren Verwandten das letzte Billet oder eine Haarlocke zukommen zu lassen, wechseln den letzten Gruß; aber Traupmann war augenscheinlich kein gewöhnlicher Delinquent; er verachtete solche »Zierereien«; er sprach nicht ein Wort, er wartete schweigend. Man warf ihm eine kurze Jacke über die Schultern – der Scharfrichter faßte ihn unter den Arm.

»Hören Sie, Traupmann,« ertönte inmitten der Grabesstille die Stimme des Herrn C***. »Jetzt, in einer Minute ist Alles aus. Sie bleiben dabei, daß Sie Mitschuldige haben?«

»Ja, mein Herr, ich bleibe dabei,« antwortete Traupmann mit demselben angenehmen, festen Bariton und indem er sich leicht vorwärts beugte, wie wenn er sich höflich entschuldige und es sogar bedaure, daß er nicht anders antworten könne.

»Eh bien! Allons!« sagte Herr C*** und wir setzten uns Alle in Bewegung; wir gingen auf den großen Hof des Gefängnisses hinaus.