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Die letzte Nacht Traupmanns

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VIII

Wir traten auf den großen Hof des Gefängnisses hinaus, und dort in einer Ecke, zur Linken vor der halb verschlossenen Thür, erfolgte etwas wie ein Appell; dann ließ man uns in ein enges, hohes und ganz leeres Zimmer mit einem ledernen Tabouret in der Mitte. »Hier geht die Toilette des Verurtheilten vor sich,« flüsterte mir Ducamp zu. Wir waren nicht Alle bis dorthin gekommen: mit dem Commandanten, dem Geistlichen, Herrn C*** und dessen Gehilfen waren wir unserer neun. Im Laufe von zwei oder drei Minuten, welche wir in diesem Zimmer zubrachten (irgend eine schriftliche Formalität wurde unterdessen voll – zogen) – flog mir der Gedanke, daß wir kein Recht haben, das zu thun, was wir thun, daß wir, indem wir mit heuchlerischer Würde der Tödtung eines unserer Mitgeschöpfe assistiren, eine unheilvolle, gesetzlos verabscheuungswürdige Komödie vollziehen – zum letzten Male durch den Kopf; sobald wir wieder weiter gingen, immer unter Führung des Herrn C*** durch einen breiten, steinernen, von zwei Nachtlampen schwach erleuchteten Corridor, empfand ich nichts mehr, als daß in dieser Stunde . . . dieser Stunde . . . dieser Minute . . . dieser Secunde . . . Eilig klommen wir zwei Treppen hinauf zu einem andern Corridor, durchschritten auch diesen, stiegen eine enge Wendeltreppe hinab und befanden uns vor einer eisernen Thür . . . »Hier!«

Der Wächter schloß vorsichtig das Schloß auf. Die Thür öffnete sich langsam und wir traten Alle still und schweigend in ein sehr geräumiges Zimmer mit gelben Wänden, einem hohen vergitterten Fenster und einem unordentlichen Bett, in welchem Niemand lag. Das gleichförmige Licht eines großen Nachtleuchters erhellte hinlänglich deutlich alle Gegenstände

Ich stand etwas hinter den Anderen und, ich erinnere mich, blinzelte unfreiwillig; sogleich jedoch erblickte ich etwas schräg gegenüber von mir – ein junges, schwarzhaariges, schwarzäugiges Gesicht, welches sich langsam von links nach rechts bewegte und auf uns Alle einen großen, stieren Blick richtete. Das war Traupmann. Er war von unserer Ankunft erwacht; er stand vor dem Tisch, auf welchem er soeben den (übrigens sehr unbedeutenden) Abschiedsbrief an seine Mutter geschrieben hatte. Herr C*** nahm den Hut ab und ging zu ihm.

»Traupmann!« sagte er mit seiner trockenen, nicht lauten, aber keinen Appell zulassenden Stimme – »wir sind gekommen, um Sie zu benachrichtigen, daß Ihr Gnadengesuch nicht angenommen worden ist und daß die Stunde der Sühne für Sie geschlagen hat.«

Traupmann wendete seine Augen auf ihn – aber dieser große Blick war in ihnen schon erloschen, er blickte ruhig, beinahe schläfrig – und sagte kein Wort.

»Mein Kindl« rief dumpf der Geistliche und trat von der andern

Seite zu ihm – »du courage!«

Traupmann sah auf ihn ebenso wie auf Herrn C***.

»Ich wußte, daß er nicht feige sein wird« – sagte mit einem überzeugten Tone Herr C***, indem er sich zu uns Alle wandte; – »jetzt, da er den ersten Stoß ausgehalten hat, bürge ich für ihn.« (So rühmt ein Lehrer, welcher den Schüler ermuthigen will, vorher seine Bravheit.)

»O, ich fürchte mich nicht,« sagte Traupmann, indem er sich wieder an Herrn C*** wendete.

Seine Stimme – ein angenehmer jugendlicher Bariton – war vollkommen gleichmäßig.

Der Geistliche zog ans seiner Tasche ein kleines Fläschchen.

»Wollen Sie nicht etwas Wein trinken, mein Kind?«

»Ich danke, ich habe kein Bedürfniß,« antwortete Traupmann mit einer höflichen, halben Verbeugung.

Herr C*** wendete sich wieder zu ihm.

»Sie behaupten immer noch, daß Sie an diesem Verbrechen unschuldig sind, wegen dessen man Sie verurtheilt hat?«

»Ich habe den Schlag nicht geführt.«

»Jedoch« – wollte sich der Commandant einmischen.

»Ich habe den Schlag nicht geführt.«

(In der letzten Zeit hatte Traupmann, wie bekannt, im Gegensatz zu seinen früheren Angaben, behauptet, daß er in der That die Familie Kinck auf den Schlachtplatz geführt, daß aber seine Theilnehmer sie umgebracht hätten und daß sogar die Wunde an seiner Hand daher rühre, daß er eines der Kleinen hätte vertheidigen wollen. Uebrigens log er im Verlaufe des Processes so wie wenige Verbrecher vor ihm.)

»Und Sie behaupten immer noch, daß Sie Mitschuldige haben?«

»Ja.«

»Sie können sie nicht nennen?«

»Ich kann nicht . . . ich will nicht, ich will nicht!«

Die Stimme Traupmann’s erhöhte sich und sein Gesicht nahm eine schwache Röthe an; es schien, als ob er auf dem Fleck stünde, ärgerlich zu werden . . .

»Nun, es ist gut, es ist gut,« sagte Herr C*** rasch, wie wenn er damit hätte zu wissen geben wollen, daß er nur, um eine unvermeidliche Formalität zu erfüllen, gefragt habe und daß jetzt etwas Anderes bevorstehe . . .

Traupmann mußte sich entkleiden.

Zwei Wächter traten zu ihm heran und schickten sich an, ihm die Zwangsjacke auszuziehen – eine Art Blouse von dicker blauer Leinewand mit Riemen und Schnallen hinten, mit langen, vorn zugenähten Aermeln, von deren Enden feste Peitschenschnüre um die Schenkel auf den Gürtel gehen.

Traupmann stand seitwärts zwei Schritte von mir; nichts hinderte mich, sein Gesicht gut zu betrachten. Es konnte schön genannt werden, wenn nicht der vorwärts und aufwärts wie ein Trichter thierisch unangenehm aufgeblasene Mund gewesen wäre, in welchem man fächerförmig gestellte schlechte wenige Zähne erblickte. Dichte, dunkle, leicht gekräuselte Haare, lange Brauen, ausdrucksvolle Augen, eine offene reine Stirn, eine gerade Nase mit einem kleinen Höcker, leichte Flocken schwarzen Flaumes auf dem Kinn . . .

Wenn man mit einer solchen Gestalt nicht im Gefängniß und nicht unter diesen Umständen zusammenkäme, so würde sie wahrscheinlich einen Vortheilhaften Eindruck machen. Aehnliche Gesichter kommen zu Hunderten vor unter den jungen Fabrikarbeitern, Zöglingen der öffentlichen

Institute u. s. w. Traupmann war von mittlerer Gestalt, von jugendlich magerem und schlankem Wuchs; er erschien mir wie ein ausgewachsener Knabe – übrigens war er noch nicht zwanzig Jahre alt. Seine Gesichtsfarbe war vollkommen natürlich, gesund, etwas rosig; er erblaßte auch nicht bei unserm Eintritt . . . Es war kein Zweifel, daß er wirklich die ganze Nacht geschlafen hatte; – er schlug die Augen nicht auf und athmete gleichmäßig und tief, wie ein Mensch, der vorsichtig einen hohen Berg besteigt. Zwei Mal schüttelte er die Haare, wie wenn er einen aufdringlichen Gedanken verscheuchen wollte, warf den Kopf zurück, sah rasch nach oben und stieß einen kaum bemerkbaren Seufzer aus. Mit Ausnahme dieser kaum merklichen Bewegung verrieth nichts in ihm – ich sage nicht Schrecken, sondern nicht einmal Aufregung oder Unruhe.

Wir Alle waren – ohne Zweifel – sowohl blasser, als aufgeregter wie er. Als man seine Hände aus den zugenähten Aermeln des Camisols herausnahm, hielt er mit einem Lächeln der Zufriedenheit das Camisol selbst Vorn auf der Brust, während man ihm hinten dasselbe aufschnallte. Die kleinen Kinder machen es ebenso, wenn man sie entkleidet. Dann zog er selbst das Hernd aus, nahm ein anderes reines, knüpfte sorgsam den Kragen zu . . . Es war sonderbar, die ungleichen freien Bewegungen dieses nackten Körpers, die entblößten Glieder auf dem gelben Grunde der Wand des Gefängnisses zu sehen . . .

Dann beugte er sich, zog die Stiefel an und trat mit den Absätzen und den Sohlen stark gegen den Boden und gegen die Wand auf, damit die Füße besser und fester hineingingen. Alles das that er ungezwungen, munter, ja beinahe lustig, wie wenn man ihn zu einem Spaziergange abholte. Er schwieg – auch wir schwiegen und sahen uns nur an, indem wir vor Erstaunen ein Wenig mit den Schultern zuckten. Uns Alle überraschte die Einfachheit seiner Bewegungen, eine Einfachheit, welche – wie jede vollständig ruhige und natürliche Lebenserscheinung – bis zur Schönheit ging. Einer von unseren Gefährten, welcher mit mir hernach im Laufe des Tages zufällig zusammentraf, sagte mir, daß ihm während der Zeit unserer Anwesenheit in der Zelle Traupmann’s beständig eingefallen wäre: Wir sind nicht im Jahre 1870 – sondern im Jahre 1794. Wir sind nicht einfache Bürger, sondern Jacobiner, und führen nicht einen Straßenräuber zum Schaffot, sondern einen Marquis, einen Legitimisten, einen – un ci-devant, un talon rouge Monsieur! Man hat bemerkt, daß die zum Tode Vernrtheilten, sobald ihnen das Urtheil Verkündigt wird, entweder in vollständige Gefühllosigkeit verfallen und gewissermaßen schon vorher sterben und sich auflösen, oder sie spielen die Tapfern, oder sie geben sich endlich der Verzweiflung hin, weinen, zittern, flehen um Gnade . . . Traupmann gehörte zu keiner von diesen drei Categorien und war deshalb sogar für Herrn C*** ein Räthsel. Ich will zugleich sagen, daß, wenn Traupmann geseufzt und geweint hätte, meine Nerven das nicht ausgehalten haben würden und ich geflohen wäre. Aber bei dem Anblick dieser Ruhe, dieser Einfachheit und gewissermaßen Bescheidenheit erloschen alle Gefühle in mir – das Gefühl des Abscheus vor dem unmenschlichen Mörder, vor dem Auswurfe, welcher die Kehlen der Kinder durchschnitten hatte, während sie riefen: »Maman! Maman!« – das Gefühl des Mitleids endlich gegen einen Menschen, den der Tod schon zu verschlingen bereit war, und ging in eines auf: in das Gefühl der Bewunderung. Was hielt Traupmann aufrecht? Das vielleicht, daß, wenn er auch nicht den Braven spielte, er doch vor den Zuschauern »figurirte« und seine letzte Vorstellung gab; oder angeborene Furchtlosigkeit, Selbstliebe, angeregt durch die Worte des Herrn C***; der Stolz des Kampfes, welchen er bis zu Ende ertragen mußte, oder ein anderes noch nicht enträthseltes Gefühl: das ist ein Geheimniß, welches er mit sich in das Grab nahm. Einzelne Leute sind bis zu diesem Augenblick überzeugt, daß Traupmann nicht bei vollem Verstande war. (Ich habe schon oben den Advocaten mit dem weißen Hute erwähnt, den ich übrigens nicht mehr gesehen habe.)