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Die letzte Nacht Traupmanns

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IV

Vor dem Thore selbst stand ein massiver, bedeckter Lastwagen, mit drei Pferden im Zug bespannt; ein zweiter, zweirädrigen kleiner und niedriger Lastwagen, der das Aussehen eines länglichen Kastens hatte und nur mit einem Pferde bespannt war, hielt etwas seitwärts. (Dieser Wagen war, wie wir später erfuhren, dazu bestimmt, unmittelbar nach der Hinrichtung den Leichnam aufzunehmen und nach dem Kirchhof zu bringen) Einige Arbeiter in kurzen Blousen waren neben den Lastwagen zu sehen und ein großer Mann in rundem Hute, weißem Halstuch, in einem leichten, auf die Schulter geworfenen Paletot, ertheilte halblaut Befehle . . . Es war der Henker. Alle Autoritäten, der Commandant, Herr C***, der Polizeichef des Viertels 2c., umgaben und begrüßten ihn schon. – »Ah! Monsieur Fedric! Bon soir! Monsieur Fedrici!« hörte man rufen. (Sein wirklicher Name ist Heidenreich; er ist ein Elsasser.) Auch unsere Gruppe ging zu ihm; er wurde ihr Centrum. In dem Verkehr mit ihm zeigte sich eine gewisse, forcirte, respektvolle Familiarität. Wir – so zu sagen – ekeln uns nicht vor Ihnen, Sie aber sind immer doch – eine wichtige Person. Einige von uns drückten ihm sogar, wahrscheinlich des Chics halber – die Hand. (Er hat schöne, auffallend weiße Hände.) Der Vers aus Puschkin’s Poltawa fiel mir ein:

 
Der Henker
Mit weißen Händen spielend.
 

Monsieur Fedrici selbst verhielt sich nur sehr einfach, weich und höflich, nicht ohne eine gewisse patriarchalische Wichtigkeit. Es schien, er fühlte es, daß er in dieser Nacht – in unseren Augen die zweite Person nach Traupmann und gewissermaßen sein erster Minister war. Die Arbeiter deckten den Wagen ab und machten sich daran, aus ihm die einzelnen Bestandtheile der Guillotine herauszunehmen, welche sie eben dort, fünfzehn Schritte vom Thore, aufrichten sollten.1 Zwei Laternen bewegten sich dicht an der Erde hin und her und beleuchteten mit hellen kleinen Kreisen die behauenen Steine des Pflasters. Ich sah nach der Uhr . . . Es war erst halb Eins! Die Luft war noch trüber und kälter geworden. Es hatte sich schon ziemlich viel Volk versammelt – und hinter den Reihen der Soldaten, welche den leeren Raum vor dem Gefängniß umgaben, begann ein langer, wirrer Lärm von Menschen sich zu erheben. Ich ging an die Soldaten heran: sie standen unbeweglich, nur waren die Reihen nicht mehr ganz so regelmäßig, als im Anfang. Ihre Gesichter drückten nichts aus, als Langeweile, kalte und geduldig-ergebene Langeweile; aber auch die Gesichter, welche man hinter den Tschakos und den Uniformen der Soldaten, hinter den Dreispitzen und den Ueberröcken der Polizeisergeanten sah, drückten beinahe dasselbe nur mit Beimischung eines gewissen unbestimmten Lächelns aus. Von Weitem, aus dem Haufen, welcher sich mit Macht bewegte und andrängte, ertönten Rufe, wie Ohé Traupmann! Ohé Lambert! Fallait-pas qu’y aille! Schreien, lautes Pfeifen, endlich vernahm man plötzlich einen Streit mit Schimpfworten um einen Platz, dazwischen schlängelte sich das Bruchstück eines cynischen Liebchens, plötzlich erhob sich ein scharfes Lachen, welches sogleich von Anderen aufgegriffen wurde und in einem breiten Gewieher. Die »wirkliche Sache« hatte noch nicht angefangen. Man hörte weder die vor Allem erwarteten antidynastischen Rufe, noch die so bekannten drohenden Strophen der Marseillaise. Ich kehrte in die Nähe der allmälig wachsenden Guillotine zurück. Ein Herr mit krausem Haar und dunklem Gesicht, mit einem weichen, grauen Hute, wahrscheinlich ein Advocat, stand daneben und redete, indem er mit dem vorgestreckten Zeigefinger der rechten Hand von unten nach oben stark und einförmig stieß und vor Anstrengung sogar die Kniee beugte. Er hatte es unternommen, zwei oder drei neben ihm stehenden Herren, welche die Paletots bis oben hinauf zugeknöpft hatten: zu beweisen, daß Traupmann kein Mörder, sondern ein Wahnsinniger war: »Un maniaque! Je vais vous la prover. Suivez mon raisonnement!« wiederholte er. »Son mobile n’était pas l’assassinat, mais un orgueil, que ja ne nominerais volontiers démesure! Suivez mon raisonnement!« Die Herren im Paletot »folgten seinem Raisonnement«, aber nach ihren Physiognomien zu urtheilen, überzeugte er sie schwerlich und ein Arbeiter, welcher auf dem Trittbret der Guillotine saß, sah sogar mit offenbarer Verachtung auf ihn. Ich kehrte in die Wohnung des Commandanten zurück.

V

Einige unserer Gefährten waren dort schon versammelt. Der liebenswürdige Commandant bewirthete sie mit Glühwein. Es begannen wieder die Gespräche darüber, ob Traupmann noch immer schläft, und was er empfinden muß und ob der Lärm der Menge trotz der Entfernung seiner Zelle von der Straße zu ihm dringt und so weiter. Der Commandant zeigte uns einen ganzen Haufen an Traupmann adressirter Briefe, die derselbe, nach der Versicherung des Commandanten, nicht hatte lesen mögen. Der größte Theil derselben waren schlechte Scherze, Mystificationen, doch gab es auch ernsthafte darunter, in denen man ihn beschwor, zu bereuen und Alles zu gestehen; ein methodistischer Geistlicher schickte sogar eine theologische Abhandlung von zwanzig Seiten; es gab auch Billets von Damen: in einigen derselben befanden sich sogar Blumen – Gänseblümchen, Immortellen. Der Commandant sagte uns, daß Traupmann versucht habe, sich von dem Gefängnißapotheker Gift zu verschaffen und darüber an ihn einen Brief geschrieben hatte, den dieser, wie es sich versteht, sogleich an die rechte Adresse abgeliefert. Nur schien es, daß unser verehrter Wirth sich nicht recht erklären konnte, aus welchem Grunde wir an einem, nach seinem Begriffe, so bösen und häßlichen Vieh, wie Traupmann, Theil nahmen und schrieb unsere Neugierde wohl dem Müßiggange vornehmer Leute und Civilisten zu.

Nachdem wir uns etwas unterhalten hatten, fingen wir an herumzukriechen, der Eine hierhin, der Andere dorthin. Während dieser ganzen Nacht irrten wir, nach dem französischen Ausdruck, wie die Seelen der Verdammten, umher, traten in die Zimmer, setzten uns der Reihe nach auf die Stühle des Saales, erkundigten uns nach Traupmann, sahen auf die Uhren, gähnten, stiegen die Treppen hinab aus den Hof, auf die Straße, kamen zurück, setzten uns wieder . . . Einige erzählten dann Anecdoten pikanter Natur, beschossen sich mit mit kleinen persönlichen Neuigkeiten, raisonnirten obenhin über die Politik, das Theater, die Ermordung Noir’s, Andere versuchten zu scherzen und Witze zu machen – aber es wollte nicht recht bei ihnen gehen und rief ein gewisses unangenehmes, sogleich abbrechendes Lachen, eine gewisse erlogene Zustimmung hervor. Ich suchte ein kleines Sopha im ersten Zimmer auf, legte mich, wie es gerade ging, darauf und versuchte zu schlafen – und schlief, wie es sich versteht, nicht, ja, konnte nicht einen Augenblick einschlummern. Der Lärm der Menge wurde immer stärker, immer dichter, immer ununterbrochener. Gegen drei Uhr Morgens hatten sich, wie Herr C*** meinte, der hereinkam, sich auf einen Stuhl setzte, sofort einschlief und, von irgend einem seiner Untergebenen herausgerufen, sofort wieder verschwand, schon mehr als fünfundzwanzigtausend Menschen versammelt. Dieser Lärm hatte für mich eine auffallende Aehnlichkeit mit dem fernen Brüllen des brandenden Meeres: ein eben solches unendliches Wagner’sches Crescendo, das sich nicht beständig, sondern mit ungeheurem Schwellen und Schenkeln erhebt; die scharfen Noten der Weiber- und Kinderstimmen erhoben sich wie seiner Gischt über diesem kolossalen Summen: die rohe Macht der elementaren Kraft zeigte sich in ihm. Es wird auf einen Augenblick still, wie wenn es sich in sich selbst zurückzöge und sich glättet – und wieder lärmt es und wächst und bläht sich – und nun, nun stürmt es an, wie wenn es Alles hinwegreißen wollte – und wieder zurück und beruhigt sich und wieder wächst es und noch kein Ende . . . Und was drückt dieser Lärm aus, überlegte ich bei mir: Ungeduld, Freude, Erbitterung? – Nein!i Keinem besonderen, keinem menschlichen Gefühl wird er zum Widerhall . . . Es ist einfach der Lärm und das Tosen der Elemente.

1Ich verweise die Leser, welche sich nicht nur mit allen Einzelheiten der »Exekution«, sondern mit Allem, was ihr vorausgeht und auf sie folgt, bekannt machen wollen, auf den trefflichen Aufsatz des Herrn Ducamp: La Prison de la Roquett. Revue des deux mondes, 1870.