Oblomow

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Das ist kein Morgenanzug, das ist ein Schlafrock«, sagte Oblomow, sich liebevoll hineinwickelnd.

»Fühlen Sie sich nicht wohl?« fragte Wolkow.

»Gar nicht!« antwortete Oblomow gähnend, »es geht mir schlecht: meine Kongestionen quälen mich so. Und wie geht es Ihnen?«

»Mir? Ich kann nicht klagen: Ich bin gesund und lustig!« fügte der junge Mann mit Betonung hinzu.

»Woher kommen Sie so früh?« fragte Oblomow.

»Vom Schneider. Schauen Sie mich an, ob der Frack gut sitzt?« sagte er, sich vor Oblomow hin und her wendend.

»Ausgezeichnet! Er ist sehr geschmackvoll genäht«, sagte Ilja Iljitsch, »aber warum ist er rückwärts so breit?«

»Das ist ein Reitfrack: zum Ausreiten.«

»Reiten Sie denn?«

»Aber gewiß! Ich habe mir den Frack extra für den heutigen Tag bestellt. Heute ist ja der erste Mai: ich reite mit Gorjunow nach Jekaterinhof. Ach! Sie wissen nicht? Man hat Mischa Gorjunow im Rang befördert, darum feiern wir heute«, fügte Wolkow entzückt hinzu.

»So!« sagte Oblomow.

»Er hat einen Fuchs«, fuhr Wolkow fort, »sie haben in ihrem Regiment Füchse, ich aber habe einen Rappen. Wie kommen Sie: zu Fuß oder im Wagen?«

»Überhaupt nicht.«

»Am ersten Mai nicht in Jekaterinhof sein! Aber Ilja Iljitsch. Dort werden ja alle sein!«

»Wieso alle! Doch nicht alle!« bemerkte Oblomow träge.

»Kommen Sie, lieber Ilja Iljitsch! Sofja Nikolajewna wird nur mit Lydia im Wagen sein, vis-à-vis ist aber noch eine Bank, Sie könnten also mitkommen ...«

»Nein, ich habe auf der Bank keinen Platz. Und was soll ich dort anfangen?«

»Nun, dann gibt Ihnen Mischa ein zweites Pferd!«

»Gott weiß, was er sich ausdenkt!« sagte Oblomow fast flüsternd. »Was haben Sie denn mit den Gorjunows?«

»Ach!« rief Wolkow errötend aus; »soll ich's sagen?«

»Sagen Sie's!«

»Werden Sie das niemand erzählen, Ihr Ehrenwort?« sprach Wolkow weiter, sich zu ihm aufs Sofa setzend.

»Gut.«

»Ich ... bin in Lydia verliebt«, flüsterte er.

»Bravo! Schon lange? Ich glaube, sie ist sehr nett.«

»Schon drei Wochen!« sagte Wolkow tief seufzend. »Und Mischa ist in Daschenjka verliebt.«

»In welche Daschenjka?«

»Woher sind Sie, Oblomow? Sie kennen nicht Daschenjka! Die ganze Stadt ist entzückt, wenn sie tanzt! Heute sind wir zusammen im Ballett; er wird ihr ein Bukett zuwerfen. Ich muß ihn bei ihr einführen: er ist schüchtern und noch ein Neuling ... Ach! ich muß ja noch hinfahren und Kamelien kaufen ...«

»Was noch? Lassen Sie das, bleiben Sie zum Mittagessen; wir würden miteinander sprechen. Ich habe ein doppeltes Unglück gehabt ...«

»Ich kann nicht, ich esse beim Fürsten Tjumenjew zu Mittag; es werden dort alle Gorjunows sein, und auch sie, sie ... Lidinjka!« fügte er flüsternd hinzu.

»Warum haben Sie den Verkehr mit dem Fürsten aufgegeben? Was das für ein lustiges Haus ist! Was für ein Ton dort herrscht! Und das Landhaus! es ist in Blumen gebettet! Man hat eine Galerie gothique angebaut. Es heißt, man wird dort im Sommer tanzen und lebende Bilder aufführen. Werden Sie hinkommen?«

»Nein, ich glaube nicht.«

»Ach, was das für ein Haus ist! Diesen Winter gab es dort jeden Mittwoch nicht unter fünfzig Personen, und manchmal waren es sogar hundert ...«

»Mein Gott! da ist es gewiß höllisch langweilig!«

»Wie kann man so etwas sagen? Langweilig! Je mehr Menschen da sind, desto lustiger ist es ja. Auch Lydia kam hin, ich habe ihr keine Aufmerksamkeit geschenkt, und plötzlich ...

Vergebens müh' ich mich, sie zu vergessen

Und durch Vernunft die Leidenschaft zu bannen ...«

sang er und setzte sich verträumt auf den Sessel; doch dann sprang er plötzlich auf und begann sich den Staub von den Kleidern zu klopfen.

»Wie staubig es bei Ihnen überall ist!« sagte er.

»Das ist alles Sachars Schuld!« klagte Oblomow.

»Nun, ich muß gehen!« sagte Wolkow, »ich habe noch für Mischa ein Bukett Kamelien zu besorgen. Au revoir!«

»Kommen Sie abends nach dem Ballett Tee trinken, Sie werden mir erzählen, wie es dort zugegangen ist«, lud Oblomow ein.

»Ich kann nicht, ich habe den Mussinskys versprochen, hinzukommen, heute ist bei ihnen Jour. Kommen Sie auch! Wenn Sie wollen, stelle ich Sie vor!«

»Nein, was soll ich dort anfangen?«

»Bei den Mussinskys? Aber ich bitte Sie, dorthin kommt ja die halbe Stadt. Was man dort anfangen soll? Das ist ein Haus, in dem über alles gesprochen wird ...«

»Das ist ja das Langweilige, daß über alles gesprochen wird«, sagte Oblomow.

»Besuchen Sie dann Mesdrows«, unterbrach ihn Wolkow, »dort spricht man nur von einem Gegenstand, von der Kunst; man hört nichts anderes als: die venezianische Schule, Beethoven und Bach, Leonardo da Vinci ...«

»Immer ein und dasselbe, wie langweilig! Das sind gewiß Pedanten!« sagte Oblomow gähnend.

»Man kann es Ihnen nicht recht machen. Gibt es etwa zu wenig Familien! Und alle haben sie jetzt Jours: bei den Sawinows speist man am Donnerstag, die Maklaschins empfangen am Freitag, die Wjasnikows am Sonntag, der Fürst Tjumenjew am Mittwoch. Bei mir sind alle Tage besetzt!« schloß Wolkow mit strahlenden Augen.

»Und fällt es Ihnen nicht lästig, tagaus, tagein herumzurennen?«

»Lästig! Wie kann das lästig fallen? Es ist so lustig!« sagte er sorglos. »Des Morgens liest man ein wenig, man muß immer au courantsein und alle Neuigkeiten wissen. Ich habe, Gott sei Dank, eine solche Beschäftigung, daß ich nicht ins Amt zu gehen brauche. Ich sitze nur zweimal in der Woche beim General und esse bei ihm zu Mittag; dann mache ich Leuten, bei denen ich schon lange nicht war, einen Besuch; nun, und dann ... gibt es ja immer eine neue Schauspielerin, bald im russischen und bald im französischen Theater. Die Oper wird nächstens eröffnet, ich abonniere mich. Und jetzt bin ich verliebt ... Es wird bald Sommer; man hat Mischa einen Urlaub versprochen; dann fahren wir für einen Monat auf ihr Gut, der Abwechslung halber. Dort wird gejagt. Sie haben sehr nette Nachbarn, es werden bals champêtresarrangiert. Ich werde mit Lydia im Wald spazierengehen, Boot fahren, Blumen pflücken ... Ach! ...« Und er machte einen Freudensprung ... »Es ist aber Zeit ... Adieu«, sagte er und machte vergebliche Versuche, sich im verstaubten Spiegel von vorne und von rückwärts zu betrachten.

»Warten Sie«, hielt ihn Oblomow zurück, »ich wollte mit Ihnen geschäftlich sprechen.«

»Pardon, ich habe keine Zeit«, antwortete Wolkow eilig, »ein andermal! Wollen Sie nicht mit mir Austern essen? Sie können mir dabei Ihre Angelegenheiten erzählen. Kommen Sie, Mischa ladet Sie ein.«

»Nein, was fällt Ihnen ein!« sagte Oblomow darauf.

»Also, Adieu!«

Er ging und kam zurück.

»Haben Sie das schon gesehen?« fragte er, die Hand zeigend, der der Handschuh wie angegossen saß.

»Was ist das?« fragte Oblomow verblüfft.

»Die neuen Lacets! Sehen Sie, wie gut das zusammenhält: Man braucht sich nicht zwei Stunden lang mit den Knöpfen abzuquälen, man zieht an der Schnur, und die Sache ist erledigt. Das kommt soeben aus Paris. Wollen Sie, daß ich Ihnen ein Paar zur Probe mitbringe?«

»Gut, bringen Sie mir eins mit.«

»Und sehen Sie sich einmal das an: nicht wahr, das ist sehr hübsch?« sagte er, nachdem er in dem Haufen der Berlocken eines ausgesucht hatte; es war eine Visitenkarte mit einer umgebogenen Ecke.

»Ich kann nicht entziffern, was darauf steht.«

»Pr. – Prince, M. – Michel, und der Familienname Tjumenjew ist nicht mehr daraufgegangen. Das hat er mir zu Ostern statt eines Eies geschenkt. Aber leben Sie wohl, au revoir! Ich muß noch zehn Personen aufsuchen. O Gott, wie lustig ist es auf der Welt!«

Und er verschwand.

Zehn Personen an einem Tage aufsuchen – der Unglückliche! dachte Oblomow. Und das ist ein Leben!, und er zuckte heftig die Achseln. Wo bleibt denn dann der Mensch? In wieviel kleine Teile löst er sich auf und zerfällt er? Es ist gewiß nicht übel, ins Theater hineinzugucken und sich in irgendeine Lydia zu verlieben ... Sie ist hübsch! Es ist schön, mit ihr auf dem Lande Blumen zu pflücken und spazierenzufahren! – Aber an einem Tage zehn Personen aufzusuchen – der Unglückliche!, schloß er, sich auf den Rücken umwendend und sich freuend, daß er keine so leeren Wünsche und Gedanken hatte, sondern daliegen und seine menschliche Würde und Ruhe aufrechterhalten konnte.

Ein neues Läuten unterbrach seine Betrachtungen.

Es kam wieder ein Gast.

Das war ein Herr in einem dunkelgrünen Frack mit Uniformknöpfen; er hatte ein glattrasiertes Kinn, einen dunklen Backenbart, der sein Gesicht gleichmäßig umrahmte, einen angestrengten, aber ruhigen und intelligenten Ausdruck in den Augen, ein welkes Gesicht und ein nachdenkliches Lächeln.

»Guten Tag, Sudjbinskij!« begrüßte Oblomow ihn freudig. »Schaust du dich auch einmal nach deinem alten Kollegen um! Komm nicht so nahe heran! Du bringst Kälte herein.«

»Guten Tag, Ilja Iljitsch. Ich wollte schon lange zu dir«, sprach der Gast, »aber du weißt ja, was für einen teuflischen Dienst wir haben! Da, schau einmal, ich habe hier einen ganzen Koffer voll Berichte, und ich habe dem Boten befohlen, herzurennen, wenn man dort nach irgend etwas fragt. Ich kann keinen Augenblick über mich verfügen.«

»Gehst du erst jetzt ins Amt? Warum so spät?« fragte Oblomow, »du pflegtest ja um zehn Uhr anzufangen ...«

»Ja, ich pflegte; jetzt ist's aber anders: ich fahre um zwölf Uhr hin.« Er betonte: fahre.

 

»Ah! ich errate!« sagte Oblomow, »du bist Bureauchef! Schon lange?«

Sudjbinskij nickte bedeutungsvoll.

»Seit Ostern«, sagte er. »Aber wieviel zu tun ist – schrecklich! Von acht bis zwölf Uhr arbeite ich zu Hause, von zwölf bis fünf Uhr in der Kanzlei, und dann habe ich noch abends zu tun. Ich bin jetzt gar nicht mehr gewohnt, mit Menschen zusammen zu sein.«

»Hm! Bureauchef, so!« sagte Oblomow. »Gratuliere! Du bist aber einer! Wir waren ja zusammen Kanzleibeamte. Ich denke, du wirst nächstes Jahr Regierungsrat.«

»Aber! Was fällt dir ein! Ich muß noch in diesem Jahr den Orden bekommen; ich habe gehofft, man würde mich ›für geleistete Dienste‹ vorschlagen, ich habe aber jetzt ein neues Amt übernommen. Das geht nicht, zwei Jahre nacheinander ...«

»Komm zu mir zum Essen, wir werden zu Ehren deines Avancements ein Glas leeren!« sagte Oblomow.

»Nein, ich bin heute beim Vizedirektor geladen. Ich muß für Donnerstag einen Bericht ausarbeiten – eine Höllenarbeit! Man kann sich auf den Rapport aus den Gouvernements nicht verlassen. Man muß die Register selbst kontrollieren. Foma Fomitsch ist so mißtrauisch: er will alles selbst prüfen. Wir machen uns heute nachmittag daran.«

»Wirklich, noch heute nachmittag?« fragte Oblomow ungläubig.

»Ja, was glaubst du denn? Es ist noch gut, wenn ich etwas früher damit fertig werde und Zeit habe, nach Jekaterinhof zu fahren ... Ja, also, ich bin gekommen, um dich zu fragen, ob du nicht mit mir spazierenfahren willst? Ich würde dich abholen.«

»Ich bin nicht ganz wohl, ich kann nicht!« sagte Oblomow, indem er das Gesicht verzog, »ich habe auch viel zu tun ...«

»Schade!« erwiderte Sudjbinskij, »es ist ein so schöner Tag. Ich hoffe wenigstens heute aufzuatmen.«

»Nun, was gibt es Neues bei euch?« fragte Oblomow.

»Vieles! Man hat jetzt festgesetzt, in den Briefen statt ›ergebener Diener‹ ›seien Sie versichert‹ zu schreiben; es ist angeordnet worden, nicht mehr zwei Exemplare Formularbogen einzureichen. Man hat unser Bureau um drei Tische und zwei Beamte vergrößert. Man hat unsere Kommission aufgehoben ... Und noch viel anderes!«

»Nun, und was ist mit unseren früheren Kollegen?«

»Vorläufig gar nichts; Swinkin hat seine Akten verloren!«

»Wirklich? Was hat denn der Direktor gesagt?« fragte Oblomow mit zitternder Stimme. Er erschrak in der Erinnerung an die alten Zeiten.

»Er hat ihm die Remuneration vorenthalten lassen, bis er die Akten findet. Es war ein wichtiges Dokument: ›Über die Steuereintreibung‹. Der Direktor glaubt«, fügte Sudjbinskij fast flüsternd hinzu, »daß er es ... absichtlich verloren hat.«

»Also so ist die Sache: du arbeitest immer!« sagte Oblomow, »du mühst dich ab.«

»Schrecklich, schrecklich! Aber es ist natürlich angenehm, mit einem solchen Menschen wie Foma Fomitsch zusammenzuarbeiten: Bei ihm bleibt niemand ohne Remuneration; er vergißt selbst die nicht, die nichts tun. Sobald die Zeit des Avancements da ist, schlägt er gleich vor; und dem, der noch kein Amt und keinen Orden bekommen kann, verschafft er Geld ...«

»Wieviel bekommst du?«

»1200 Rubel Gehalt, 750 Diäten, 600 Wohnungsgeld, 900 Zulagen, 500 Meilengeld und an 1000 Rubel Remuneration.«

»Aber zum Teufel!« sagte Oblomow, vom Sofa aufspringend, »hast du eine so schöne Stimme? Das klingt ja wie bei einem italienischen Sänger!«

»Das ist noch gar nichts! Pereswjetow bekommt Gratifikationen und arbeitet weniger als ich, er versteht auch nichts. Nun, er hat natürlich auch nicht dieses Renommee. Ich werde sehr geschätzt«, fügte er bescheiden, mit gesenkten Augen hinzu, »der Minister hat sich neulich ausgedrückt, daß ich die Zierde des Ministeriums sei.«

»Du bist ein Hauptkerl!« sagte Oblomow. »Aber diese Arbeit! Von acht bis zwölf und von zwölf bis fünf, und dann noch zu Hause – oh, oh!«

Er schüttelte den Kopf.

»Was sollte ich denn tun, wenn ich keinen Posten hätte?« fragte Sudjbinskij.

»Man kann Verschiedenes tun! lesen, schreiben ...« sagte Oblomow.

»Ich tue ja auch jetzt nichts als lesen und schreiben.«

»Das ist doch ganz was anderes; du würdest deine Sachen drucken lassen ...«

»Es können nicht alle Schriftsteller sein, du schreibst doch auch nicht!«

»Dafür habe ich ein Gut, das auf mir lastet«, sagte Oblomow seufzend. »Ich überlege mir einen neuen Plan; ich führe allerlei Reformen ein. Ich quäle mich damit ab ... Und du beschäftigst dich ja nicht mit Eigenem, sondern mit Fremdem.«

»Was soll man tun! Man muß arbeiten, wenn man bezahlt wird. Im Sommer werde ich ausruhen: Foma Fomitsch verspricht eigens für mich eine Dienstreise auszudenken ... dann bekomme ich Reisegeld, das für fünf Pferde berechnet wird, drei Rubel tägliche Diäten und Extragelder ...«

»Das geht ja wie geschmiert!« sagte Oblomow voll Neid; dann seufzte er und vertiefte sich in seine Gedanken.

»Ich brauche Geld, ich heirate im Herbst«, fügte Sudjbinskij hinzu.

»Was?! Wirklich? Wen denn?« fragte Oblomow teilnahmsvoll.

»Scherz beiseite, die Muarschin. Weißt du noch, sie haben neben mir auf dem Lande gewohnt! Du hast bei mir Tee getrunken und hast sie, scheint mir, gesehen.«

»Nein, ich erinnere mich nicht! Ist sie hübsch?«

»Ja, sie ist lieb. Wenn du willst, können wir zum Mittagessen zu ihnen hinfahren ...«

Oblomow wurde verlegen.

»Ja ... gut, aber ...«

»Nächste Woche«, sagte Sudjbinskij.

»Ja, ja, nächste Woche«, willigte Oblomow erfreut ein, »mein Anzug ist noch nicht fertig. Machst du eine gute Partie?«

»Ja, der Vater ist Hofrat; er gibt ihr zehntausend, und dann bekommen wir eine Amtswohnung. Er hat für uns die Hälfte seiner Wohnung bestimmt, zwölf Zimmer; außerdem bekommen wir die dazugehörigen Möbel und freie Beheizung und Beleuchtung: man kann also leben ...«

»Ja, man kann! Und ob! Bist du aber ein Kerl, Sudjbinskij!« fügte Oblomow nicht ohne Neid hinzu.

»Ich lade dich zu meiner Hochzeit als Kranzherr ein, denke daran ...«

»Aber gewiß! Nun, was ist mit Kusnezow, mit Wassiljew, mit Mochow?«

»Kusnezow ist längst verheiratet, Mochow hat meinen früheren Posten eingenommen, und Wassiljew ist nach Polen versetzt worden. Iwan Petrowitsch hat den Wladimirorden bekommen, Oleschkin ist Exzellenz geworden.«

»Er ist ein guter Kerl!« sagte Oblomow.

»Ja, ja; er verdient es.«

»Ein sehr guter Kerl, er hat einen so sanften, gleichmäßigen Charakter«, fügte Oblomow hinzu.

»Er ist auch so dienstfertig«, bemerkte Sudjbinskij – »und weißt du, er hat nicht dieses Bestreben, sich vorzudrängen, einem zu schaden, ein Bein zu stellen oder zuvorzukommen ... er tut alles, was er kann.«

»Ein prachtvoller Mensch! Wenn man manchmal in den Akten etwas verdreht oder nicht beachtet hat und eine andere Folgerung, ein anderes Gesetz unterschoben hat, hat er gar nichts gesagt; er hat's nur von jemand anderem verbessern lassen. Ein ausgezeichneter Mensch!« schloß Oblomow.

»Unser Sjemjon Sjemjonitsch ist dagegen unverbesserlich«, sagte Sudjbinskij, »er versteht nur, Sand in die Augen zu streuen. Was er da vor kurzem angestellt hat: Aus den Gouvernements ist ein Prospekt eingelaufen, daß an den zu unserem Departement gehörigen Gebäuden Hundehütten, zum Schutze des Staatseigentums gegen Raub, errichtet werden; unser Architekt, ein tüchtiger, gebildeter und ehrlicher Mann, hat einen sehr mäßig berechneten Kostenanschlag zusammengestellt; das ist ihm plötzlich zu teuer erschienen, und er hat sich darangemacht, Erkundigungen darüber einzuziehen, was das Fertigstellen einer Hundehütte kosten kann. Er hat irgendwo herausgefunden, daß es um dreißig Kopeken weniger kostet, und reicht sofort einen Bericht ein.«

Es wurde wieder geläutet.

»Adieu«, sagte der Beamte, »ich hab' mich verplaudert, man wird mich dort gewiß schon brauchen ...«

»Bleib noch«, hielt ihn Oblomow zurück. »Ich werde mich bei der Gelegenheit mit dir beraten; ich habe ein doppeltes Unglück gehabt ...«

»Nein, nein, ich komme lieber dieser Tage wieder«, sagte er im Fortgehen.

Der liebe Freund ist im Schlamm versunken, er ist über die Ohren versunken, dachte Oblomow, ihm mit den Augen folgend. Er ist für die ganze übrige Welt blind, taub und stumm. Er wird es aber zu etwas bringen, wird mit der Zeit im Amte schalten und walten und einen hohen Rang erreichen ... Auch das heißt bei uns Karriere! Und wie wenig wird dabei beansprucht; wozu braucht man seinen Verstand, seinen Willen, seine Gefühle? Das ist ein Luxus! Er wird seine Spanne Zeit leben, und vieles, vieles, vieles wird in ihm nicht wach werden ... Und dabei arbeitet er von zwölf bis fünf in der Kanzlei und von acht bis zwölf zu Hause – der Unglückliche!

Er hatte das Gefühl friedlicher Freude bei dem Gedanken, daß er die Zeit von neun bis drei und von acht bis neun auf seinem Sofa verbringen konnte, und war stolz darauf, daß er keine Berichte zu erstatten und keine Akten zu schreiben brauchte und daß seine Gefühle und seine Phantasie freien Spielraum hatten.

Oblomow philosophierte und bemerkte nicht, daß neben ihm ein sehr schmächtiges, schwarzes Herrchen stand, das mit einem Backenbart, einem Schnurrbart und einer Fliege ganz bewachsen war. Er war mit absichtlicher Nachlässigkeit gekleidet.

»Guten Tag, Ilja Iljitsch.«

»Guten Tag, Pjenkin; kommen Sie nicht so nahe heran, Sie bringen Kälte herein!« sagte Oblomow.

»Ach, Sie Sonderling!« sagte jener, »Sie sind noch immer derselbe unverbesserliche, sorglose Faulenzer!«

»Ja, sorglos!« sagte Oblomow, »ich werde Ihnen gleich den Brief vom Dorfschulzen zeigen; ich zerbreche mir in einem fort den Kopf, und Sie sagen, ich bin sorglos. Woher des Weges?«

»Aus der Buchhandlung. Ich hatte mich erkundigt, ob die Zeitschriften noch nicht erschienen sind. Haben Sie meinen Artikel gelesen?«

»Nein.«

»Ich schicke ihn her, lesen Sie ihn.«

»Worüber?« fragte Oblomow, heftig gähnend.

»Über den Handel, die Frauenemanzipation, über die uns zuteil gewordenen schönen Apriltage und über das neu erfundene Mittel gegen Feuerschaden. Wieso lesen Sie denn nicht? Das ist ja unser tägliches Leben. Am meisten kämpfe ich aber für die realistische Richtung in der Literatur.«

»Haben Sie viel zu tun?«

»Ja, genügend. Ich schreibe wöchentlich zwei Artikel für die Zeitung, dann Kritiken über Belletristik, und jetzt habe ich eine Erzählung verfaßt ...«

»Wovon handelt sie?«

»Davon, wie in einer Stadt der Polizeimeister die Kleinbürger ins Gesicht schlägt ...«

»Ja, das ist wirklich eine realistische Richtung«, sagte Oblomow.

»Nicht wahr?« bestätigte der erfreute Journalist. »Ich führe folgenden Gedanken aus, von dem ich weiß, daß er neu und kühn ist. Ein Vorüberreisender war Zeuge dieser Behandlung und beklagte sich bei seinem Zusammensein mit dem Gouverneur darüber. Dieser beauftragte den Beamten, welcher daselbst inspizieren sollte, sich nebenbei von der Sache zu überzeugen und überhaupt über die Persönlichkeit und das Benehmen des Polizeimeisters Erkundigungen einzuziehen. Der Beamte ließ die Kleinbürger kommen, angeblich um über den Handel zu sprechen, machte sich aber statt dessen daran, sie über jene Angelegenheit auszufragen. Wie haben sich aber die Kleinbürger dabei verhalten? Sie haben sich verbeugt und gelacht und haben das Lob des Polizeimeisters gesungen. Der Beamte begann, sich anderwärts zu erkundigen, und man sagte ihm, die Kleinbürger wären schreckliche Betrüger, sie handelten mit fauler Ware und übervorteilten selbst den Staat beim Wiegen und Messen, sie wären alle sehr unmoralisch, so daß die Schläge sich als eine gerechte Strafe erwiesen ...«

»Die Schläge des Polizeimeisters spielen also in der Erzählung die Rolle des Fatums der alten Tragiker?« sagte Oblomow.

»Sehr richtig«, fiel Pjenkin ein. »Sie haben viel Takt, Ilja Iljitsch. Sie sollten schreiben! Und dabei ist es mir gelungen, das eigenmächtige Verfahren des Polizeimeisters, die Sittenverderbtheit des Volkes, die schlechte Organisation der Beamten und die Notwendigkeit von strengen, aber gerechten Gesetzen zu zeigen ... Nicht wahr, dieser Gedanke ist ... ziemlich neu?«

»Ja, besonders für mich«, sagte Oblomow, »ich lese so wenig ...«

»Man sieht in der Tat keine Bücher bei Ihnen!« bemerkte Pjenkin. »Aber ich beschwöre Sie, lesen Sie das eine; es erscheint ein, man kann sagen, wunderbares satirisches Poem: ›Die Liebe des Bestechlichen zum gefallenen Weibe.‹ Ich kann Ihnen nicht sagen, wer der Autor ist. Das ist noch ein Geheimnis.«

 

»Wie ist denn der Inhalt?«

»Es wird darin der Mechanismus unserer ganzen sozialen Bewegung bloßgelegt, und das alles in poetischen Farben. Alle Federn werden berührt; alle Stufen der sozialen Leiter werden untersucht. Der Autor richtet darin den schwachen, aber verderbten Edelmann, den ganzen Schwarm der ihn betrügenden bestechlichen Beamten und alle Rangstufen der gefallenen Frauen ... Französinnen, Deutsche und Finninnen, und das alles wird mit verblüffender, lebensvoller Wahrheit geschildert ... Ich habe Bruchstücke daraus gehört – der Autor ist groß! Man glaubt in ihm bald Dante und bald Shakespeare zu vernehmen ...«

»Das will aber viel heißen!« sagte Oblomow und richtete sich erstaunt auf.

Pjenkin verstummte plötzlich, da er sah, daß er tatsächlich übertrieben hatte.

»Wenn Sie es lesen, werden Sie selbst sehen«, fügte er schon ruhiger hinzu.

»Nein, Pjenkin, ich werde es nicht lesen.«

»Warum denn nicht? Es hat Lärm gemacht, man spricht davon ...«

»Und wenn! Manche haben ja nichts anderes zu tun, als zu sprechen. Es gibt einen solchen Beruf.«

»Lesen Sie es doch aus Neugierde.«

»Was ist denn Neues darin?« sagte Oblomow. »Warum schreiben Sie bloß so zum Zeitvertreib ...«

»Wieso denn? Wie wahr, wie wahr alles ist! Es ist zum Lachen ähnlich. Wie lebendige Porträts. Wenn Sie irgend jemand vornehmen, einen Kaufmann, einen Beamten, einen Offizier oder einen Wächter – ist es, als druckten sie ihn lebend ab.«

»Weswegen mühen Sie sich denn ab? Des Spaßes halber, daß jeder, den Sie vornehmen, ähnlich herauskommt? Es ist aber kein Leben darin; es fehlt das Verständnis dafür, das Mitfühlen, das, was bei euch Humanität heißt. Es ist nichts wie Eitelkeit dabei. Sie beschreiben die Diebe und die gefallenen Frauen, als fingen Sie sie auf der Straße ein und führten sie ins Gefängnis. Man hört in Ihren Erzählungen nicht die unsichtbaren Tränen, sondern nur sichtbares, rohes Lachen und Zorn ...«

»Was braucht man denn noch? Das ist ja ausgezeichnet, Sie haben es ja selbst ausgesprochen: Dieser flammende Zorn, das gallige Verfolgen des Lasters, das verächtliche Lachen dem gefallenen Menschen gegenüber ... darin ist ja alles!«

»Nein, nicht alles!« ereiferte sich plötzlich Oblomow. »Schildere einen Dieb, ein gefallenes Weib, einen aufgeblasenen Narren, vergiß aber dabei nicht den Menschen. Wo ist denn die Menschlichkeit? Ihr wollt nur mit dem Kopf schreiben?« sagte Oblomow fast zischend. »Ihr glaubt, man braucht beim Denken kein Herz zu haben? Nein, der Gedanke wird durch die Liebe befruchtet. Reicht dem gefallenen Menschen die Hand, um ihn aufzurichten, oder weint bitterlich über ihn, aber verhöhnt ihn nicht. Liebt ihn, denkt bei ihm an euch selbst und behandelt ihn wie euch selbst, dann werde ich beginnen, euch zu lesen, und werde vor euch mein Haupt neigen ...« sagte er und legte sich wieder bequem auf das Sofa hin. »Sie schildern einen Dieb, ein gefallenes Weib«, sagte er, »und vergessen, den Menschen zu schildern, oder Sie können es nicht. Was ist denn das für eine Kunst, was für poetische Farben haben Sie dabei herausgefunden? Verfolgt das Laster, den Schmutz, aber bitte, ohne Anspruch auf Poesie.«

»Wollen Sie also die Natur dargestellt haben? Rosen, die Nachtigall oder einen frostigen Morgen, während alles um Sie herum braust und wirbelt? Wir brauchen die nackte Physiologie der menschlichen Gesellschaft; wir sind jetzt nicht zu Liedern aufgelegt ...«

»Gebt mir den Menschen, den Menschen!« sagte Oblomow, »liebt ihn ...«

»Den Wucherer, den Heuchler, den diebischen oder stumpfsinnigen Beamten lieben – hören Sie! Was sagen Sie da? Man sieht, daß Sie sich nicht mit Literatur befassen!« sagte Pjenkin erregt. »Nein, man muß sie strafen, aus der Mitte der Bürger, aus der Gesellschaft ausstoßen ...«

»Sie aus der Mitte der Bürger ausstoßen!« begann plötzlich Oblomow voll Begeisterung, sich vor Pjenkin erhebend, »das heißt vergessen, daß in diesem schlechten Gefäß ein höherer Ursprung eingeschlossen war; daß er ein verderbter Mensch, aber doch immerhin ein Mensch, das heißt einer wie ihr ist. Ausstoßen! Und wie wollt ihr ihn aus dem Kreise der Menschheit, aus dem Schoße der Natur, aus Gottes Barmherzigkeit ausstoßen?« schrie er fast mit flammenden Augen.

»Sie übertreiben aber!« sagte Pjenkin, an den jetzt die Reihe zu erstaunen gekommen war.

Oblomow sah, daß auch er zu weit gegangen war. Er verstummte plötzlich, blieb eine Weile stehen, gähnte und legte sich langsam auf das Sofa nieder.

Sie schwiegen beide.

»Was lesen Sie denn?« fragte Pjenkin.

»Ich? ... meistens Reisebeschreibungen.«

Ein erneutes Schweigen.

»Werden Sie also das Poem lesen, wenn es erscheint? Ich würde es Ihnen bringen ...« sagte Pjenkin.

Oblomow schüttelte verneinend den Kopf.

»Dann werde ich Ihnen meine Erzählung schicken!«

Oblomow nickte zum Zeichen der Zustimmung.

»Jetzt muß ich aber in die Druckerei!« sagte Pjenkin. »Wissen Sie, warum ich zu Ihnen gekommen bin? Ich wollte Ihnen den Vorschlag machen, mit mir nach Jekaterinhof zu fahren; ich habe einen Wagen. Ich muß morgen einen Artikel über den Korso schreiben; wir würden zusammen beobachten, wenn mir etwas entginge, würden Sie es mir mitteilen; das wäre lustiger. Kommen Sie mit ...«

»Nein, ich bin unwohl«, sagte Oblomow, das Gesicht verziehend und sich in die Decke einhüllend; »ich fürchte die Feuchtigkeit, es ist jetzt noch nicht trocken. Kommen Sie aber heute zum Mittagessen; wir würden miteinander einiges besprechen ... Mir ist ein doppeltes Unglück passiert ...«

»Nein, unsere ganze Redaktion versammelt sich heute im Restaurant Saint-Georges, von dort aus fahren wir zum Korso. Und in der Nacht muß ich schreiben und beim Morgengrauen in die Druckerei schicken. Auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen, Pjenkin!«

In der Nacht schreiben, dachte Oblomow, wann soll man denn schlafen? Er verdient aber sicher fünftausend jährlich! – Das ist ein Brot! Aber immer schreiben, seine Gedanken, seine Seele auf Kleinigkeiten ausgeben, die Überzeugungen ändern, mit dem Verstande und der Phantasie Handel treiben, seine Natur vergewaltigen, sich aufregen, immer glühen und entflammt sein, keine Ruhe kennen und sich immer weiter bewegen ... Und immer schreiben, immer schreiben, wie ein Rad, wie eine Maschine: morgen, übermorgen; es kommen Feiertage, es kommt der Sommer, und er muß immer schreiben! Wann soll man da stehenbleiben und ausruhen? Der Unglückliche!

Er wandte den Kopf zum Tische hin, wo alles leer war, wo das ausgetrocknete Tintenfaß stand und keine Feder zu sehen war, und freute sich, daß er sorglos wie ein neugeborenes Kind dalag, sich nicht mit so viel Dingen zu befassen und sich nicht zu verkaufen brauchte. »Und der Brief des Dorfschulzen und die Wohnung?« erinnerte er sich plötzlich und wurde nachdenklich.

Jetzt aber ertönte wieder ein Läuten.

»Bei mir ist ja heute der reinste Jour!« sagte Oblomow und wartete, wer eintreten würde.

Es kam ein Mann von unbestimmtem Alter mit einem indifferenten Gesicht herein; er befand sich in einer Periode, in der es schwer ist, die Zahl der Jahre zu bestimmen; er war nicht schön und nicht häßlich, nicht groß und nicht klein gewachsen, weder blond noch brünett. Die Natur hatte ihm keinen einzigen ausgeprägten, bemerkbaren Zug verliehen, weder einen bösen noch einen guten. Viele nannten ihn Iwan Iwanitsch, andere – Iwan Wassiljitsch und noch andere Iwan Michailitsch. Sein Familienname wechselte auch beständig; manche sagten, er hieße Iwanow, andere nannten ihn Wassiljew oder Andrejew, noch andere Alexejew. Ein Fremder, der ihn zum ersten Male sah und dem man seinen Namen nannte, merkte sich weder diesen noch das Gesicht; er merkte sich auch nicht, was er sagte. Seine Anwesenheit bietet der Gesellschaft gar nichts, ebenso wie seine Abwesenheit ihr nichts raubt. Sein Geist besitzt weder Scharfsinn noch Originalität, noch sonst welche hervorragenden Eigenschaften, ebenso wie seinem Körper besondere Merkmale fehlen. Er hätte vielleicht das, was er gesehen und gehört hat, erzählen können und die Anwesenden wenigstens auf diese Weise amüsieren, er kam aber nirgends hin; seit er in Petersburg geboren wurde, fuhr er nirgends hin, er sah und hörte folglich nur das, was auch den anderen bekannt war. Ist ein solcher Mensch sympathisch? Liebt er? Haßt er? Leidet er? Er müßte doch lieben und nicht lieben und leiden, da ja niemand davon befreit wird. Er bringt es aber zuwege, alle zu lieben. Es gibt Menschen, in denen man, so sehr man sich auch abmüht, unmöglich Widerspruchsgeist oder Rachedurst usw. hervorrufen kann. Man mag mit ihnen tun, was man will, sie bleiben immer zärtlich. Obwohl man von solchen Menschen sagt, daß sie alle lieben und infolgedessen gut sind, lieben sie doch im Grunde niemand und sind nur darum gut, weil sie nicht böse sind. Wenn andere in seiner Anwesenheit einem Bettler ein Almosen geben, wirft auch er ihm einen Nickel hin, wenn sie den Bettler aber beschimpfen, ihn fortjagen oder verhöhnen, wird auch er mit den anderen schimpfen und höhnen. Man kann ihn nicht reich nennen, weil er nicht reich, sondern eher arm ist; man kann ihn aber auch nicht ausgesprochen arm nennen; übrigens nur darum nicht, weil es noch viel ärmere Menschen gibt als ihn. Er bezieht von irgendwo ein Einkommen von dreihundert Rubel jährlich, außerdem hat er eine mittelmäßige Anstellung und bekommt ein mittelmäßiges Gehalt; er leidet nicht Not und borgt bei niemand Geld, und es fällt niemand ein, bei ihm zu borgen. In seinem Amte wird ihm keine bestimmte, ständige Beschäftigung zugewiesen, weil weder seine Kollegen noch seine Chefs es auf irgendeine Weise herauszubringen vermögen, was er schlechter und was er besser ausführt, um beurteilen zu können, wozu er eigentlich befähigt ist.