Ein Boot, ein Kuss und du

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

7. Kapitel

Angelina

»Also, Señora Morena, erzählen Sie mir etwas über sich, das ich wissen sollte.« Rafael García Lopez lehnte sich zurück, die Hände lässig auf den Armstützen seines lederbezogenen Schreibtischstuhles, und lächelte mich mit leicht schief gelegtem Kopf erwartungsvoll an.

»Ich bin fünfunddreißig Jahre alt, ledig und lebe in Portocolom, wo ich auch aufgewachsen bin.« Da er meine Bewerbungsmappe nur flüchtig durchgeblättert hatte, fing ich lieber ganz von vorne an.

»Ah, daher kennen Sie meinen Bruder«, warf er ein und ich nickte.

»Meine Ausbildung absolvierte ich in Felanitx bei ›Hermanos Ferrer‹, aber das Unternehmen löste sich auf, als die Besitzer in den Ruhestand gingen.«

Señor García nickte. »Ich erinnere mich. Ich hatte mit den Brüdern Ferrer bezüglich einer Nachfolge verhandelt, aber sie hatten total überzogene Preisvorstellungen.«

Ich bemühte mich, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Obwohl seine leicht gewellten schwarzen Haare an den Schläfen bereits ergrauten, schätzte ich ihn auf maximal fünfundvierzig, eher etwas jünger. Demnach war er zu diesem Zeitpunkt höchstens dreißig gewesen. Das Unternehmertum schien ihm im Blut zu liegen.

»Auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle landete ich im neu erbauten Supermarkt in Portocolom, wo ich seither arbeite.«

»Und warum wollen Sie wechseln?«

»Ich mag den Kundenkontakt, aber an Fischtheke und Feinkost hing mein Herz nie«, meinte ich leichthin und hoffte, damit durchzukommen.

»Das ist aber nicht erst seit Kurzem so, nehme ich an. Gibt es einen aktuellen Anlass, dass Sie gerade jetzt wegwollen?«, bohrte er weiter.

»Es stehen personelle Änderungen an, die mir nicht zusagen.« Unter seinem forschenden Blick gab ich die Ausflüchte auf und erzählte ihm von meinen Bedenken.

»Nun, Choleriker bin ich keiner, dahingehend kann ich Sie beruhigen.« Mir fiel auf, dass sich um seine Augen ein Kranz kleiner Fältchen bildete, wenn er lächelte. »Was hat Ihnen denn an Ihrem ursprünglichen Aufgabengebiet am besten gefallen? Oder anders gefragt: Was macht diese Stelle hier für sie attraktiv?«

»Die Beratung der Kunden«, antwortete ich spontan. »Ich liebe es, herauszufinden, was ihnen gefällt, was sie sich wünschen und wie ich dazu beitragen kann, dass sie sich in ihrem Zuhause wohlfühlen. Ich sehe es als meine Aufgabe, aus einem Raum das Optimum herauszuholen, damit er den gewünschten Effekt auf seine Bewohner hat.«

Der Geschäftsinhaber nickte sichtlich zufrieden mit meiner Antwort. »Wann können Sie anfangen?«

Ich stutzte. Hieß das, er wollte mich einstellen? Einfach so? Ich überlegte kurz. »Mitte oder Ende Dezember, vermute ich. Das müsste ich erst abklären.«

»Perfekt. Die Stelle ist zwar bereits ab Mitte November frei, aber einige Wochen können wir intern überbrücken. Ich führe Sie jetzt durch den Betrieb und Sie geben mir morgen Bescheid, ob Sie annehmen.« Im Hinausgehen nahm er meine Bewerbungsunterlagen in die Hand und hielt sie im Nebenraum seiner Assistentin hin. »Bereite bitte den Dienstvertrag für Señora Moreno vor, damit sie sieht, worauf sie sich mit uns einlässt.« Sie zeigte keine Überraschung, was für mich den Schluss nahelegte, dass sie an spontane Entschlüsse ihres Chefs gewöhnt war. Beeindruckend.

Mir schwirrte der Kopf, als ich eine gute halbe Stunde später mein Auto aufsperrte und mich auf den Sitz fallen ließ. »Das ist ja verrückt!«, murmelte ich vor mich hin und spürte, wie sich mein Mund zu einem breiten Grinsen verzog. Mein Herz klopfte noch immer schneller als normal, auch wenn sich mein Adrenalinspiegel während des Rundgangs etwas reguliert hatte.

Ich musste jemanden davon erzählen. Sofort. Es war nicht verwunderlich, dass mir zu allererst Lorenzo einfiel. Schließlich hatte ich den Job ihm zu verdanken.

Trotzdem zögerte ich. Ich wollte nicht aufdringlich erscheinen. Schließlich waren wir nur Freunde, auch wenn der Ausflug am Vortag einige ziemlich aufregende Momente gehabt hatte. Ein Kribbeln lief durch mich hindurch, das meine Unsicherheit noch verstärkte, doch dann griff ich zum Telefon. Ich würde ihm eine Nachricht schicken, das erschien mir unverfänglicher.

Meiner Freundin Inés konnte ich ebenfalls nur eine SMS senden, weil sie in einer Mode-Boutique arbeitete, in der private Gespräche während der Arbeitszeit nicht gerne gesehen waren. Danach schob ich das Handy in meine Handtasche zurück. Noch immer fühlte ich mich zu aufgeregt, um loszufahren. Ich konnte es kaum fassen! Von gestern auf heute hatte ich meinen Traumjob gefunden, denn dass ich ihn annehmen würde, stand natürlich fest. Im selben Moment beschloss ich, es meinen Eltern erst zu sagen, wenn auch Señor García den Arbeitsvertrag unterzeichnet und ich im Supermarkt meine Kündigung abgegeben hatte. Ich hatte keine Lust, mir meine Begeisterung und Vorfreude von ihnen miesmachen zu lassen. Mein Telefon signalisierte einen Anruf und ich griff eilig danach.

»Das ist ja fantastisch«, tönte die Stimme von Inés begeistert aus dem Lautsprecher. »Ich freue mich so für dich! Du musst mir alles genau erzählen! Hast du heute Abend schon etwas vor? Mit Lorenzo vielleicht?«

Ich lachte über ihren Eifer und überging gleichzeitig die letzte Frage. »Natürlich müssen wir das feiern. Soll ich zu dir kommen?«

»Das ist eine prima Idee. Aber nicht vor acht, da bringe ich den Kleinen ins Bett. Ich habe sogar noch einen Prosecco im Kühlschrank. Das ist ja so aufregend!«

»Ja, das ist es! Bei dir ist alles okay?«

»Äh, nicht wirklich, aber davon lassen wir uns den Abend nicht verderben. Es wird mir guttun, den ganzen Mist mal für ein paar Stunden zu vergessen.«

»Ich weiß noch etwas, das dich ablenken wird. Wir müssen demnächst shoppen gehen!«

Ihr freudiges Quietschen hatte ich noch im Ohr, als ich den Motor startete, um endlich heimzufahren. Ich brauchte für den neuen Job unbedingt passende Kleidung und vertraute auf die fachkundige Beratung meiner Freundin, die ein sicheres Gespür und das perfekte Auge dafür hatte. Im Supermarkt gab es für alle Mitarbeiter die gleiche konforme Arbeitskleidung, aber bei ›Muebles García‹ wurde großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt und nur ein Namenskärtchen kennzeichnete die Mitarbeiter.

Auf dem Heimweg kam mir zu Bewusstsein, dass ich bald nicht mehr zehn Minuten Fußweg, sondern beinahe eine halbe Stunde Fahrt zu meiner Arbeitsstelle haben würde. Ein großer Pluspunkt waren hingegen die Dienstzeiten. Im Supermarkt arbeitete ich auch am Sonntag und er schloss wochentags erst um zweiundzwanzig Uhr. Dieser Schichtdienst bis in die Nacht hinein hatte bald ein Ende, denn ›Muebles García‹ hatte sechsmal die Woche von zehn bis zwanzig Uhr geöffnet, was ich als eindeutige Verbesserung empfand. Vor allem aber konnte ich mich mit dem befassen, das mir Freude und Befriedigung verschaffte, und das war das Allerwichtigste. Erst jetzt fiel mir auf, dass wir uns überhaupt nicht über die Bezahlung unterhalten hatten, aber schlechter konnte sie ohnehin nicht werden. Im Supermarkt bekam ich kaum mehr als das, was mir gesetzlich zustand.

Als ich meine Wohnungstür aufschloss, befand ich mich in absoluter Hochstimmung. Meine Pumps stellte ich ordentlich nebeneinander, dann ging ich in mein Schlafzimmer, schlüpfte aus dem blauen Kleid und hängte es auf seinen Bügel. Ich hatte noch immer das Gefühl, unter Strom zu stehen, als ich mich in Leggins und T-Shirt mit einem Glas Orangensaft auf meinen kleinen Balkon setzte. Während ich tief durchatmete, fragte ich mich, was Lorenzo wohl gerade machte. Hatte er meine Nachricht schon gelesen? Ich stutzte und lauschte angestrengt. Ja, das war mein Klingelton! Das Telefon steckte noch in der Handtasche. Bevor ich es erwischte, wurde es still. Mein Herz fing schneller zu klopfen an, als ich sah, dass der Anruf von ihm gekommen war. Ich drückte die Rückruftaste und er hob sofort ab.

»Gratuliere! Ich wusste doch, dass das passt!« Er klang genauso euphorisch, wie ich mich fühlte.

»Danke, Lorenzo, vielen Dank! Der Laden ist toll und ich freue mich total, bald dort zu arbeiten, statt Wurst aufzuschneiden und Fische auszunehmen.«

Er lachte. »Das kann ich mir vorstellen. Rafa ist begeistert von dir!« Es entstand eine kurze Pause, bevor er fragte: »Was machst du denn heute noch? Ich finde, das sollten wir feiern!«

Mein Puls, der sich mittlerweile beinahe normalisiert hatte, erhöhte sich erneut. Wollte er mich heute schon wieder treffen?

»Am Abend bin ich bei einer Freundin.«

»Oh.« Das klang eindeutig enttäuscht. »Und davor?«

»Mittagessen.« Spontan kam mir eine Idee. Schließlich war ich ihm was schuldig. »Bist du schon hungrig? Hast du Lust, zu mir zu kommen? Ich könnte eine Kleinigkeit für uns kochen.« Mit klopfendem Herzen wartete ich auf seine Reaktion.

»Wow, ja gern!«

Rasch überschlug ich gedanklich, was meine Vorräte hergaben. »Magst du Meeresfrüchte?«

»Ja, klar. Wann?«

»In einer halben Stunde?«

»Ich freue mich!«

***

»Du hast ihn bekocht?« Inés starrte mich überrascht an. Unter ihrem Blick wurde ich verlegen, was mir gar nicht gefiel. Irgendwie fühlte ich mich ertappt, doch das war ja absolut lächerlich.

»Warum nicht? Wir sind alte Freunde und ich wollte mich bedanken.«

Sie grinste. »Ja, klar. Ihr habt als Kinder miteinander gespielt, aber alte Freunde? Na, egal. Also Spaghetti mit Meeresfrüchten. Und sonst noch? Wie ging es weiter? Was gab es zum Dessert?« Sie zuckte vielsagend mit den Augenbrauen.

Schmunzelnd verschaffte ich ihrer Fantasie einen Dämpfer: »Eis aus der besten Heladeria im Ort. Das hat er nämlich mitgebracht.«

 

Inés nickte anerkennend. »Und dann? Lass dir doch nicht alles herauskitzeln!«

Ich lachte über ihre Ungeduld. »Was denkst du denn, was wir gemacht haben?«

Meine Freundin rollte mit den Augen. »Also, wenn er nur halb so sexy ist, wie du ihn mir beschrieben hast, wäre mir an deiner Stelle so allerhand eingefallen.«

»Vielleicht sollte ich euch bekanntmachen?«, witzelte ich. »Ich könnte mir vorstellen, dass ihr eine Menge Spaß miteinander haben würdet.«

Inés winkte ab. »Im Moment hab ich die Nase voll von Männern. Außer meinem süßen Kleinen natürlich.« Ich betrachtete sie genauer und mir fiel auf, wie müde und frustriert sie aussah. Ihr von meinem unbeschwerten Nachmittag mit Lorenzo vorzuschwärmen, fand ich plötzlich keine so gute Idee. Stattdessen forderte ich sie auf: »Erzähl mir doch mal, was bei dir los ist!«

Im ersten Moment wollte sie abwehrend den Kopf schütteln, doch dann siegte ihr Mitteilungsbedürfnis. »Manuel macht Terror. Er will einfach nicht akzeptieren, dass es vorbei ist. Seit Neuestem versucht er es mit der Papa-Masche, dabei will er nur in mein Bett. Ich soll unserem Sohn nicht den Vater vorenthalten!« Sie schnaubte entrüstet und zeigte damit deutlich, was sie von diesem Argument hielt. »Dabei hat er sich all die Monate nicht für ihn interessiert. Kein einziges Mal hat er mit ihm gespielt, ihn gewickelt, oder sonst irgendetwas gemacht.«

Mir tat bei dem Gedanken das Herz weh. »Dabei ist Luca so ein liebes Kind.«

Inés nickte, ihre Gesichtszüge wurden weich und ihre Augen bekamen diesen besonderen Glanz. »Ja, das ist er. Mein kleiner Sonnenschein. Es macht mich traurig und wütend zugleich, dass Manuel überhaupt nicht begreift, was er versäumt und was er seinem Kind damit antut. Er benutzt ihn nur als Druckmittel.«

»Das ist wirklich schlimm. Ich würde ihn am liebsten schütteln, um ihn zur Vernunft zu bringen. Es wäre höchste Zeit, dass er sein Leben auf die Reihe bekommt und Verantwortung übernimmt. Luca ist doch auch sein Kind!«

Sie nickte zustimmend. »Das hab ich ihm auch gesagt, aber mittlerweile muss ich mich nicht nur mit Manuel herumschlagen. Jetzt macht sich auch noch mein eigener Vater für ihn stark.«

Eine Bemerkung lag mir auf der Zunge, doch ich zögerte.

»Na los, spuck’s aus«, forderte sie mich mit einem müden Lächeln auf.

»Er ist ja leider sehr ähnlich gestrickt, von da her ist es kein Wunder, dass er zu Manuel hält«, stellte ich fest. Beiden gemeinsam war die schlechte Angewohnheit, zu viel Alkohol zu trinken und sowohl ihre Arbeit als auch die Familie zu vernachlässigen. »Was sagt deine Mutter?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Du weißt ja, wie sie tickt. Sie hat es nie geschafft, sich durchzusetzen. Lieber duckt sie sich und hält den Mund. Aber ich mache das ganz bestimmt nicht mit. Schlimm genug, dass ich auf den gleichen Typ Mann hereingefallen bin. Ich hätte die Anzeichen erkennen müssen.« Sie nahm einen Schluck aus ihrem Sektglas. »Wenn er wenigstens ein bisschen guten Willen zeigen und sich wieder einen Job suchen würde, könnte ich Luca zuliebe noch einmal darüber nachdenken. Aber er hängt nur rum und ich habe keine Lust mehr, ihn weiter durchzufüttern. Sollen sich doch seine Eltern wieder mit ihm herumärgern.«

»Da hast du ganz recht«, stärkte ich ihr den Rücken.

»Ich weiß gar nicht, warum ich irgendwie noch immer hoffe, er würde sich ändern.« Nun stiegen meiner Freundin auch noch die Tränen in die Augen und ich griff über den Tisch und drückte tröstend ihre Hand. »Letztens hat seine Mutter ihren Enkel für ein paar Stunden geholt und ich dachte, Manuel wäre auch dabei, weil er doch jetzt wieder bei ihr wohnt. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass sie mit dem Kleinen alleine war. Er hat es vorgezogen, mit seinen Kumpels einen trinken zu gehen. Wie konnte ich bloß auf einen solchen Kerl hereinfallen?« Energisch wischte sie sich die Augenwinkel trocken. »Er ist keine einzige weitere Träne mehr wert«, stieß sie hervor. »Sollte ich mich jemals wieder auf eine Beziehung einlassen, dann muss der Mann mich und Luca wirklich wichtig nehmen. Aber wie wahrscheinlich ist das schon?« Sie stürzte sich den Rest aus ihrem Glas in die Kehle.

Darauf wusste ich leider auch keine Antwort. Realistisch besehen wurden die Chancen mit einem Kind bestimmt nicht größer. Stattdessen griff ich nach der Sektflasche, um unsere Gläser erneut zu füllen.

»Wie gefällt es Luca im Kindergarten?« Als er ganz klein war, hatte Inés nur in Teilzeit gearbeitet und die paar Stunden hatte ihre Großmutter ihn beaufsichtigt. Sobald er laufen konnte, war er wie die meisten anderen Kinder auf Mallorca in den Kindergarten gekommen. Kaum jemand konnte es sich leisten, daheim zu bleiben. Und mit einem solchen Nichtsnutz wie Manuel als Partner schon zweimal nicht.

»Mittlerweile hat er sich eingewöhnt.« Inés fing an zu strahlen, wie immer, wenn die Sprache auf ihren süßen Sohn kam. »Es gefällt ihm und er geht gerne hin. Trotzdem ist es hart, ihn erst wieder am Abend zu sehen. Wenigstens macht mir mein Job Spaß.«

»Ja, das ist schon viel wert! Die Boutique ist toll und mit deiner Chefin hast du auch Glück! Sie ist echt nett«, erinnerte ich mich lächelnd. »Und den passenden Mann findest du auch noch, du wirst schon sehen!« Auf jeden Fall war es hilfreich, optimistisch zu bleiben.

Ines nickte zustimmend, sah aber auch nicht wirklich überzeugt aus. »Ich bin schon gespannt, was dein Chef sagt, wenn du jetzt auch noch kündigst. Zwei Mitarbeiterinnen innerhalb einer Woche. Ob ihm das mal zu denken gibt?«

»Da bin ich eher skeptisch. Was die Lernfähigkeit von Männern anbelangt, bin ich mittlerweile sehr ernüchtert. Aber wenn wir ehrlich sind, haben wir auch noch viel zu lernen.«

Inés nickte. »Ja, vor allem, uns nicht mehr mit Männern einzulassen, die uns überhaupt nicht verdienen.«

»Du sagst es!« Wir hoben unsere Gläser und stießen darauf an.

8. Kapitel

Lorenzo

Ich lag lang ausgestreckt auf meinem Sofa und zappte mich durch das Fernsehprogramm. In den Sommermonaten würde es mir wochenlang nicht einmal auffallen, wenn der Fernseher kaputt wäre. Dafür genoss ich es umso mehr, nach sieben Monaten ohne einen freien Tag, einfach mal herumzugammeln. Es war herrlich, mich nach einem lauten, hektischen Sommer in meine Wohnung zurückzuziehen und mich um nichts kümmern zu müssen. Der Vorspann eines Action-Thrillers, den ich nur dem Titel nach kannte, erregte mein Interesse und erwartungsvoll rückte ich das Kissen in meinem Rücken noch etwas bequemer zurecht.

Während des Werbeblocks drosselte ich die Lautstärke und holte mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank. Dabei stellte ich fest, dass ich langsam hungrig wurde. Die Gedankenkette zum Supermarkt und zu Angelina knüpfte sich ganz von selbst. Bei der Erinnerung an ihre spontane Einladung zu dem leckeren Mittagessen lief mir das Wasser im Mund zusammen. Danach waren wir schwimmen. Verwandte von ihr besaßen in der Nähe des Leuchtturms von Portocolom ein schönes, altes Haus direkt am Ufer, schon mehr eine Villa, die sie in deren Abwesenheit betreute. Dort gab es einen privaten, versteckten Zugang zum Meer. Auch wenn es sich dabei nur um eine Metallleiter handelte, die von einer betonierten Plattform ins Wasser führte, war es ein ganz anderes Vergnügen, als auf dem überfüllten Strand zu liegen. Ich schmunzelte bei dem Gedanken daran, was mir bei der abgeschiedenen Lage so alles eingefallen wäre, aber auch nur dort zu baden, war ein schönes Erlebnis. Normalerweise war ich keine ausgeprägte Wasserratte. Ich mochte das Meer, aber ich war lieber auf dem Wasser als darin. Außer mit Angelina. Mit ihr zu schwimmen, ihren geschmeidigen Körper in dem knappen Bikini in Aktion zu erleben und zu sehen, wie elegant und mühelos sie sich bewegte, war ein unerwartetes Vergnügen.

Unwillkürlich drängte sich die Überlegung auf, wie sie sich wohl beim Sex bewegen würde. Eine Vision von ihr auf mir und dem langen, dunklen Haar, das nach vorne fiel und meinen Brustkorb streifte, ließ mich hart werden. Sie war definitiv heiß, das stand außer Frage. Ebenso wie die Tatsache, dass sie sich auf der Suche nach einer festen Partnerschaft befand. Seufzend griff ich nach der Fernsteuerung und schaltete den Ton lauter, um mich wieder der Handlung des Filmes zu widmen.

Ich stöhnte genervt, als nun auch noch die Darsteller sich näher kamen, statt die Bösewichte ordentlich aufzumischen. Der leidenschaftliche Sex auf dem Bildschirm ließ meine permanent auf standby schlummernde Libido aufflammen. Ungeniert schob ich die Hand in meine Jogginghose. Ich schloss die Augen und ohne meine Fantasien bewusst zu lenken, glitten sie sofort wieder zu der hinreißenden Frau, mit der ich den Nachmittag verbracht hatte. Nun bewegte sich ihr geschmeidiger Körper unter mir und ihre langen Beine umklammerten meine Hüften. Ihr berückender Duft umgab mich, gierige Lippen streiften meinen Hals, als sie die Arme um mich schlang und ihre weichen Brüste verführerisch an meinen Brustkorb drückten. Ich schloss meine Faust noch fester um meinen pulsierenden Schwanz und pumpte schnell. Die Vorstellung, wie sie unter mir zum Orgasmus kam, sich wand und stöhnte, ließ mich kommen. Kraftlos ließ ich den Kopf in den Nacken sinken und genoss die Lust, die durch meinen Körper flutete und mich für ein paar grandiose Sekunden komplett außer Gefecht setzte.

Ich liebte dieses Gefühl der Entspannung, das einsetzte, sobald sich mein Herzschlag langsam beruhigte, und normalerweise einige Stunden anhielt. Deshalb irritierte es mich, dass ich, kaum hatten die Bösewichte ein unrühmliches Filmende gefunden, erneut von sexuellen Fantasien heimgesucht wurde. Und natürlich auch diesmal von meinem schwarzhaarigen Engel. War es tatsächlich erst einen Tag her, dass ihre Hände scheinbar unschuldig über meinen Körper geglitten waren? Unvermittelt hatte ich wieder den Duft der Sonnencreme in der Nase und meinen Penis in der Faust. Ich erinnerte mich an jede ihrer sanften Berührungen, doch dann gab es eine Programmänderung: Die Vorstellung, wie sie ihre vollen, weichen Lippen um meine Eichel schloss und mit der Zungenspitze jedes Detail erkundete, löste den zweiten explosiven Höhepunkt aus.

Der nächste Film hatte angefangen, ohne dass ich von der Handlung auch nur irgendetwas mitbekommen hatte. Mittlerweile knurrte mein Magen heftig und ich beschloss, den Kühlschrank zu plündern. Viel war da allerdings nicht mehr zu holen. Ich bedeckte den Boden einer Pfanne mit ein paar Scheiben Sobrasada und briet darauf zwei Spiegeleier. Die würzige, streichfähige Wurst lieferte genug Fett, dass die Kruste schön knusprig wurde. Ein paar Scheiben Brot vervollständigten die Mahlzeit. Während ich aß, versuchte ich, mich zu erinnern, ob mir Angelina ihre Dienstzeiten für diese Woche verraten hatte, und fragte mich gleichzeitig, warum mich das überhaupt interessierte. Als Nächstes fiel mir auf, dass ich sie, sobald sie in Rafaels Einrichtungshaus in Manacor arbeitete, noch weniger zu Gesicht bekommen würde. Jedenfalls nicht zufällig und das ging mir ziemlich gegen den Strich. Das wiederum ärgerte mich erst recht. Was war es nur, das mich so zu ihr hinzog, obwohl sie nichts von mir wollte? Das war ja beinahe so, als wäre ich süchtig nach dieser Frau!

Erbost beschoss ich, dass es höchste Zeit war, mein Sex-Leben wieder anzukurbeln. Ich nahm mein Smartphone zur Hand und rief die Kontakte auf.

Es gab da eine Reihe von Frauen, die mir zu verstehen gegeben hatten, dass sie sich weitere Treffen durchaus vorstellen konnten. Zumindest war das zu dem Zeitpunkt der Fall gewesen, als wir nach einem befriedigenden Zusammensein wieder getrennte Wege gegangen waren. Nun würde ich mich daran machen, abzuchecken, wie weit das Angebot noch aktuell war.

Ich scrollte mich von A bis Z durch meine Kontakte und kehrte unentschlossen zum Anfang zurück. Als mein Blick bei A wie Angelina hängen blieb, warf ich das Handy ärgerlich auf das Sofa und verzog mich in die Küche, um das Geschirr abzuwaschen.

Vielleicht brauchte ich einfach erst einmal etwas Erholung von der anstrengenden Saison, bevor ich mich für heiße Dates bereit fühlte? Ja, das musste es sein!

Ein greller Blitz und der darauffolgende Donner rissen mich aus meinen Gedanken. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass uns die für den nächsten Morgen angekündigte Schlechtwetterfront bereits erreicht hatte. Rasch lief ich durch die Wohnung, um die Fensterbalken zu schließen und zu überprüfen, ob alles dicht war. Es dauerte keine fünf Minuten, bis der Regen hart gegen die Balken prasselte und nach einem weiteren Blitz war der Strom weg. Es war so stockdunkel, dass mir sofort klar war, dass auch die Straßenbeleuchtung ausgefallen sein musste. Vorsichtig tastete ich mich in den Vorraum, um die Taschenlampe zu holen, die ich dort in einer Kommode aufbewahrte. Ich stolperte über meine Schuhe, die mitten auf dem Flur lagen und fluchte laut. Prompt hatte ich die Stimme meiner Mutter im Ohr, die mich ermahnte, nicht so schlampig zu sein. Na, vielen Dank, das war genau das, was ich zu dem pochenden Schmerz in meinem großen Zeh noch brauchte!

 

Die Taschenlampe brachte nur einen schwachen Lichtkegel zustande. Vermutlich waren die Batterien beinahe leer und würden nicht mehr lange halten. Ich beschloss, ihre letzten Reserven zu nutzen, um mir die Zähne zu putzen und mich ins Bett zu verziehen. Ein heftiger Donnerschlag ließ die Fensterscheiben vibrieren. Kaum lag ich, fing auch noch der Wind an, ums Haus zu pfeifen. An Schlaf war wohl noch länger nicht zu denken.

Ich starrte im Dunkeln an die Decke, als mir einfiel, dass sich Angelina mit ihrer Freundin getroffen hatte. Ob sie es noch vor Ausbruch des Unwetters nach Hause geschafft hatte? War es aufdringlich, mich nach ihrem Befinden zu erkundigen? Schließlich waren wir Freunde, da durfte man sich doch Gedanken machen, oder? Dass mir das noch vor ein paar Tagen im Traum nicht eingefallen wäre, schob ich geflissentlich weit in die hinteren Regionen meines Gehirns, als ich nach dem Mobiltelefon tastete, um ihr eine Nachricht zu schicken. Ihre Antwort kam schnell.

›Ich bin gerade noch rechtzeitig nach Hause gekommen. Hast du auch keinen Strom?‹

›Nein, der ganze Ort ist dunkel. Sonst alles in Ordnung bei dir? Was machst du gerade?‹

›Ich liege auf der Couch und ziehe mir die Decke über den Kopf.‹

Ich runzelte die Stirn. Wozu das denn? Hatte sie am Ende Angst? ›Ist vielleicht eine dumme Frage, aber fürchtest du dich bei Gewitter?‹

›Keine dumme Frage. Ja, auch wenn ich weiß, dass mir in meiner Wohnung nichts passieren kann.‹

Ein ungewohnter Anfall von Beschützerinstinkt wallte in mir auf, als ich mir vorstellte, wie sie da so alleine in ihre Decke gehüllt auf dem Sofa kauerte. Da kam auch schon die nächste Nachricht:

›Mit dir zu schreiben, lenkt mich ab. Das tut gut.‹

Angelina wohnte nur zweimal um die Ecke von mir entfernt. Ein Katzensprung. Allerdings würde keine Katze freiwillig bei diesem Wetter draußen herumspringen. Ich lauschte. Der Regen schien nachgelassen zu haben, doch der Wind rüttelte an den Balken. Spontan drückte ich auf die Anruf-Taste. Sie hob sofort ab.

»Hola, Lorenzo. Lieb, dass du anrufst.«

Deutlich konnte ich das angstvolle Zittern in Angelinas sonst so fröhlicher, fester Stimme hören. Donner krachte und ihr entschlüpfte ein Schreckenslaut.

»Soll ich vorbeikommen?« Im selben Moment, als ich es aussprach, fragte ich mich, ob ich verrückt geworden war, doch da war es schon zu spät.

»Das würdest du wirklich tun? Danke! Das ist so lieb von dir!«

Oh, Mist. Das hatte ich nun davon. Allerdings hatte ich das Gefühl, gar keine andere Wahl zu haben. Sie klang so erleichtert, dass ich keinen Rückzieher mehr machen konnte. »Ich bin in ein paar Minuten bei dir.«

Ich tastete nach meinen Klamotten, die ich neben das Bett geworfen hatte, und zog sie wieder an. Im Schein der Taschenlampe stopfte ich ein T-Shirt und eine Jogginghose in einen Plastikbeutel und verknotete ihn, damit darin alles trocken blieb. Ein Regenschirm würde mir nichts nützen, also wählte ich eine wasserdichte Jacke und schlüpfte barfuß in Flip-Flops. Je weniger ich anhatte, umso weniger konnte nass werden. Als ich die Treppe hinunter tappte, hoffte ich, dass meine Taschenlampe durchhielt.

Kaum trat ich aus dem Haus, wollte mir der Sturm auch schon die Kapuze vom Kopf reißen. Schnell griff ich danach und zog sie mit der Kordel fest. Der Regen fiel dichter, als ich erwartet hatte, und es hatte seit dem Nachmittag empfindlich abgekühlt. Ich fröstelte.

»Was für ein Scheißwetter! Ich muss echt verrückt sein«, murmelte ich vor mich hin. Die wenigen hundert Meter legte ich im Laufschritt zurück, während ich den Blick auf den Boden gesenkt hielt, wo der schwache Strahl meiner Lampe eine glitzernde Spur in der Nässe zog. Ich wollte gerade nach dem richtigen Klingelknopf suchen, als die Haustür aufgerissen wurde. Angelina musste mich durch die kleine vergitterte Glasscheibe gesehen haben, die im Türblatt eingelassen war.

Schnell trat ich ein und schloss die Tür. Sie beugte sich mit langem Hals zu mir, um nicht anzustreifen, während sie mir einen Kuss auf die Wange gab. »Danke!« Ihr Lippen waren warm und bildeten einen aufregenden Gegensatz zu meiner regennassen, kühlen Haut. »Lass uns raufgehen.«

Sie ging voraus und das Licht ihrer LED-Lampe erhellte das Treppenhaus wesentlich wirkungsvoller als meine Taschenlampe. Aber immerhin funktionierte sie noch und das war schon mehr, als ich befürchtet hatte.

Wieder krachte der Donner und Angelina zuckte so heftig zusammen, dass sie beinahe die Lampe fallen ließ. Sie stieß einen wimmernden Laut aus, der so gar nicht zu der toughen Frau passen wollte, die ich zu kennen glaubte.

In ihrer Wohnung angekommen, leuchtete sie mir, während ich die Jacke auszog. Sie streckte die Hand danach aus und zog sie über einen Kleiderbügel. »Ich hänge sie in die Dusche.«

»Okay, warte einen Moment.« Meine Jogginghose war bis über die Knie nass und ich schob sie mir über die Hüften nach unten. Wortlos nahm sie sie mir ab und verschwand damit in der nächstgelegenen Tür, wo ich das Badezimmer vermutete. Rasch schlüpfte ich in die trockene Hose, die ich mitgebracht hatte. Angelina tauchte wieder neben mir auf und ich folgte ihr und dem Lichtstrahl ins Wohnzimmer, wo einige Kerzen ein heimeliges Licht verbreiteten. Ein greller Blitz erhellte den Raum für eine Sekunde, gefolgt von einem beeindruckenden Donnerschlag, der den Boden unter meinen nackten Füßen vibrieren ließ. Angelina stieß einen kleinen Schrei aus und schmiegte sich Schutz suchend an mich. Es war eine vollkommen natürliche Reaktion, meine Arme um sie zu legen. Ihr Zittern wäre der wirkungsvollste Beweis gewesen, dass sie tatsächlich Angst hatte, falls ich einen gebraucht hätte.

Sanft dirigierte ich sie zum Sofa, setzte mich und zog sie auf meinen Schoß. Angelina kuschelte sich an mich und verbarg ihr Gesicht an meinem Hals wie ein kleines Mädchen. Der erleichterte Seufzer schickte einen federleichten, warmen Hauch über meine Haut. Wieder donnerte es so heftig, dass alles vibrierte. Nach dem harten Trommelwirbel an den Fensterscheiben zu schließen, wurde auch der Regen wieder schlimmer. Zusammen mit dem Pfeifen des Windes und dem in unregelmäßigen Abständen krachenden Donner ergab das eine beeindruckende Geräuschkulisse. Während ich das eher nüchtern analysierte, zitterte die Frau in meinen Armen unkontrolliert.

»Ist ja gut. Dir kann nichts passieren«, murmelte ich an ihrem Ohr.

»Mein Verstand weiß das auch, aber ich komme einfach nicht dagegen an«, gestand sie kleinlaut. Ich spürte deutlich, wie peinlich es ihr war.

»Alles gut.« Beruhigend strich ich ihr über den Rücken und registrierte gleichzeitig den feinen Duft ihres seidigen Haares, das ihr offen über die Schultern fiel.

»Ich habe nicht damit gerechnet, dass das Unwetter schon heute Abend kommt«, meinte sie und hob den Kopf, um mich anzusehen. »Am Nachmittag war doch noch keine Rede davon.«

»Stimmt, mich hat es auch überrascht, aber du weißt ja, wie das hier ist. Wenn der Wind sich dreht oder stärker wird als vorausgesagt, kann sich das Wetter schnell ändern. Ist es für dich in der Nacht schlimmer als am Tag?«