Existenzielle Psychotherapie

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D. B. Friedman beschreibt einen zwanghaften Patienten, dessen Todesangst die Form des zwanghaften Gedankens annahm, dass er von jedem vergessen würde. Damit verknüpft war seine fixe Idee, dass er immer die aufregenden Sachen in der Welt um ihn herum verpasste: »Etwas wirklich Neues geschieht nur, wenn ich nicht da bin, vor meiner Zeit oder nach meiner Zeit, bevor ich geboren wurde oder nachdem ich tot bin.«40

Die Todesangst wird bei dem hypochondrischen Patienten, der ständig mit der Sicherheit und dem Wohlbefinden seines oder ihres Körpers beschäftigt ist, nur spärlich verkleidet. Hypochondrische Krankheit bei einem Patienten beginnt häufig nach einer ernsten Erkrankung des Patienten oder von jemandem, der ihm oder ihr nahesteht. Früh im Verlauf dieser Krankheit, bemerkt V. Kral, gibt es eine direkt erfahrene Furcht vor dem Tod, die später in viele Körperorgane diffundiert.41

Mehrere klinische Untersuchungen haben von der zentralen Rolle der Todesangst beim Depersonalisations-Syndrom berichtet.42 Martin Roth zum Beispiel fand heraus, dass Tod oder ernste Erkrankung das bestürzende Ereignis bei über fünfzig Prozent der Patienten war, die von einem Depersonalisations-Syndrom berichteten.43

Diese neurotischen Syndrome haben einen gemeinsamen Zug: Obwohl sie unbequem sind und einen Patienten einengen, sind sie erfolgreich darin, ihn oder sie vor offener und erschreckender Todesangst zu beschützen.

Todesangst: Empirische Forschung

Während der letzten dreißig Jahre gab es einen kontinuierlichen, aber schwachen Strom empirischer Sozialforschung über den Tod. Praktisch jeder Forschungsbericht über den Tod beginnt mit einem Fanfarenruf für die Forschung und entweder einem Lamentieren oder einem verachtungsvollen Protest über das Fehlen sorgfältiger Untersuchung. Nachdem ich die Literatur durchgesehen habe, komme ich nicht umhin, eine ähnliche Beschwerde zu wiederholen. Auffällig ist der starke Kontrast zwischen spekulativer oder impressionistischen Literatur über den Tod einerseits und seiner methodischen Erforschung. Beispielsweise werden in einer Bibliografie über den Tod bis zum Jahre 1972 über 2.600 Bücher und Artikel aufgeführt; aber weniger als zwei Prozent sind empirische Forschungen, und nur eine Handvoll von ihnen hat direkte Bedeutung für die existenzielle Theorie und Therapie.

Diejenige Forschung, die auch nur im entferntesten bedeutsam ist für meine gegenwärtige Fragestellung, versucht die folgenden Fragen zu untersuchen: die Häufigkeit von Todesangst, Studien über die Korrelation des Ausmaßes an Todesangst mit einer Anzahl von Variablen – demografische (Alter, Geschlecht, Familienstand, Beruf, Religion, Bildung und so weiter), persönliche Faktoren (MMPI Dimensionen – Minnesota Multiple Personality lnventory; allgemeine Angst oder Depressionsniveaus) und Lebenserfahrungen (früher Verlust, Heimunterbringung) – und die Beziehung zwischen Todesangst und Psychopathologie oder anderen psychologischen Erfahrungen, besonders Fantasien, Träumen und Albträumen.

So weit, so gut. Wie jedoch Robert Kastenbaum und Ruth Aisenberg in ihrem wohldurchdachten Überblick feststellen, sind die Studien mit wenigen Ausnahmen entweder extrem begrenzt in ihrer Reichweite oder methodisch sehr fehlerhaft.44 Viele Studien untersuchen den Tod auf ungenaue Weise; beispielsweise versäumen sie es, zwischen der Furcht, die man vor seinem eigenen Tod, vor dem Tod eines anderen oder vor der Wirkung seines eigenen Todes auf die anderen hat, zu unterscheiden.

Ein schwierigeres Problem ist jedoch, dass die meisten Studien bewusste Einstellungen zum Tod oder bewusste Erscheinungsformen der Angst gemessen haben. Und um das Problem noch schwieriger zu machen: Die Studien benutzen (mit wenigen Ausnahmen45) Instrumente, die schnell konstruiert wurden, »selbstgestrickte« Skalen, deren Reliabilität oder Validität nicht erhärtet wurden.

Eine berufsbezogene Studie ist jedoch interessant. Medizinstudenten wurden untersucht, indem eine bewusste Todesangst-Skala und die »Autoritäts«- Skala (California Personality Inventory F scale) benutzt wurden. Eine negative Beziehung wurde zwischen der Todesangst und Autoritarismus festgestellt das heißt, je höher der Autoritarismus, desto niedriger die Todesangst und umgekehrt. Darüber hinaus hatten Medizinstudenten, die sich für die Psychiatrie entschieden, größere Todesangst (und waren weniger autoritär) als jene, die zur Chirurgie gingen.46 Vielleicht sind die Chirurgen gegen Todesangst besser gewappnet und Psychiater sich ihrer Todesangst mehr bewusst (vielleicht haben die grünschnäbeligen Psychiater auch mehr absolute Todesangst und kommen zum Berufsfeld für psychische Erkrankungen auf der Suche nach persönlicher Erleichterung).

Verschiedene Projekte berichten davon, dass tief religiöse Personen weniger Todesangst haben.47 Studenten, die einen Elternteil verloren haben, haben höhere Todesangst.48 Die meisten Studien zeigen wenig Unterschiede in Bezug auf das Alter,49 obwohl es eine positive Beziehung zwischen den Sorgen um den Tod und die Nähe des Todes gibt.50 Eine Studie über die verbreitetsten Ängste von eintausend Studenten koedukativer Colleges weist darauf hin, dass die Ängste, die mit dem Tod in Beziehung stehen, extrem wichtig in dieser Population sind.51

Verschiedene Projekte haben zwar demonstriert, aber nicht versucht zu erklären, dass Frauen ein höheres Bewusstsein der Todesangst haben als Männer.52

Eine groß angelegte Studie (N = 825) berichtet von keinen Männer-Frauen-Unterschieden, aber eine genaue Prüfung der Daten zeigte, dass die Frauen weniger geneigt waren als die Männer, beunruhigende Fragen im Fragebogen zu beantworten; zum Beispiel wurde ein Item (»Stellst du dir lebhaft dich selbst vor, wie du stirbst oder wie du tot bist«) nur von 78 Prozent der Frauen und von 98 Prozent der Männer beantwortet.53

Eine Betrachtung der bewussten Todesangst hat, auch wenn sie von einigem Interesse sein mag, wenig Bedeutung für das Verständnis der Persönlichkeitsstruktur und der Psychopathologie. Der Eckpfeiler dynamischer Psychologie ist genau der, dass starke Angst nicht bewusst bleibt: Sie wird verdrängt und »verarbeitet«. Einer der Hauptschritte im Umgang mit der Angstquelle besteht darin, sie abzuspalten oder den Affekt von dem Gegenstand zu isolieren. Deshalb kann man über den Tod mit nur geringem Unbehagen nachdenken und man kann verschobene Angst erleben mit geringem Zugang zu ihren wahren Quellen. Ein paar Studien, auf die ich gleich zurückkommen werde, waren sensibel für den Unterschied zwischen bewusster und unbewusster Todesangst und haben versucht, die Todesangst auf unbewussten Ebenen zu untersuchen. Sie haben Instrumente verwendet wie den TAT (Thematic Apperception Test), den Rorschach-Test, die Traumanalyse, den Wortassoziati onstest, den Satzvervollständigungstest sowie die tachistoskopische Projektion und galvanische Hautreaktion.

Todesangst und Psychopathologie

Bewusste Todesangst. Ein paar verstreute Berichte versuchen, bewusste Todesangst und Psychopathologie zu korrelieren. Es gibt eine positive Korrelation bei freiwilligen studentischen Versuchspersonen zwischen Todesangst und Neurotizismus (Neurotizismusskala von Eysenck).54 Gefängnisinsassen, die wegen »kleinerer« Vergehen eingesperrt waren (über die Vergehen werden keine weiteren Details angegeben), haben signifikant mehr Todesangst, Sorge um den Tod und mehr Angst vor Begräbnissen und medizinischen Krankheiten und sind sich häufiger bewusst, dass sie Gedanken über den Tod unterdrücken, als normale Kontrollgruppen.55 Bewusste Todesangst korreliert positiv mit der MMPI Depressionsskala bei alten Psychiatriepatienten; die Korrelation war tatsächlich so hoch, dass die Untersucher vorschlugen, die erhöhte Todesangst als Teil des depressiven Syndroms bei alten Menschen zu betrachten. Die gleiche Studie enthüllte keine Korrelation zwischen Todesangst und somatischer Symptomatologie (nach dem Cornell Medical Index).56 Möglicherweise taucht Somatisierung als Reaktion auf die Todesangst auf und dient als Auffangbecken für sie.

Obwohl die Studien auf ein Fehlen offener Todesangst bei der normalen älteren Bevölkerung hinweisen,57 zeigen diejenigen älteren Menschen, die psychologisch unreif oder psychiatrisch gestört sind, hohe Todesangst.58 Adoleszente tendieren dazu, höhere Todesangst zu zeigen als andere Altersgruppen; und wieder finden wir, dass Individuen, die Psychopathologien aufweisen (in dieser Studie werden sie als delinquente Handlungen von beträchtlicher Größenordnung, die Gefängnisstrafe rechtfertigen würden, definiert), mehr Todesangst ausdrücken als die Kontrollgruppen.59 Eine Studie über normale Mädchen und solche, die »subnormal« sind und in Heimen leben, zeigte, dass diejenigen, die im Heim lebten, offenere Furcht vor dem Tod hatten.60 In ähnlicher Weise fand ein anderer Forscher heraus, dass High School-Mädchen mit schlechten Leistungen erheblich größere Angst vor dem Tod hatten – »Oft so überwältigend, dass sie nur indirekt mitgeteilt werden kann.«61

Unbewusste Todesangst. Aber diese Studien über bewusste Einstellungen zum Tod und über Todesängste helfen wenig beim Verständnis der Rolle der Todesangst in der Psychodynamik. Verschiedene Forscher haben dementsprechend versucht, die unbewussten Besorgnisse über den Tod zu untersuchen. Feifel und seine Mitarbeiter haben drei Niveaus der Besorgnis definiert: (l) bewusst (gemessen durch die Einschätzung der Antworten auf die Frage »Fürchtest du dich vor deinem eigenen Tod?«); (2) Fantasie (gemessen durch Kodierung der Positivität oder Negativität der Reaktionen auf die Anweisung »Welche Ideen oder Bilder kommen dir in den Sinn, wenn du über deinen Tod nachdenkst?«); (3) unterhalb der Bewusstheitsebene (gemessen durch die durchschnittliche Reaktionszeit auf Todeswörter in einem Wortassoziationstest und einem Interferenztest mit Farbwörtern).62

 

Die Untersucher fanden heraus, dass die Sorgen bezüglich des Todes auf jeder dieser drei Ebenen stark variierten. Auf der bewussten Ebene verleugnete die größte Zahl der Personen (über 70 Prozent) eine Furcht vor dem Tod. Auf der Fantasie-Ebene verleugneten 27 Prozent Todesfurcht, 62 Prozent antworteten ambivalent und 11 Prozent zeigten deutliche Todesangst. Auf einem Niveau unterhalb der Bewusstheitsebene zeigten die meisten Personen eine beträchtliche Abneigung gegenüber dem Tod. Der wesentliche Unterschied zwischen normalen Neurotikern und Psychotikern war, dass die psychotische Person vermehrt eine übergreifende Todesangst zeigte als die anderen. Auf einem bewussteren Niveau nahmen ältere und religiösere Personen den Tod in einer »ziemlich positiven Stimmung wahr, erlagen aber der Angst in ihrem Innersten.«63 Obwohl diese Studien grobe Instrumente benutzen, zeigen sie dennoch die Notwendigkeit auf, die Sorge um den Tod auf verschiedenen Ebenen der Bewusstheit zu untersuchen.

In einem interessanten Experiment demonstrierte W. W. Meissner das Vorhandensein bedeutsamer unbewusster Angst.64 Er testete die galvanische Hautreaktion (GSR = Galvanic Skin Response) von normalen Personen, denen eine Serie von fünfzig Items vorgelegt wurde: dreißig neutrale Begriffe und zwanzig Todessymbole (zum Beispiel schwarz, eine niederbrennende Kerze, eine Reise, eine schlafende Person, einen Schweigsamen, eine Brücke überqueren). Die Todessymbole riefen eine signifikant größere GSR-Reaktion hervor als die Kontrollwörter.

Klass Magni testete unbewusste Todesangst auf andere Weise.65 Todesbedeutsame Szenen (Bilder von Begräbnissen, zerfallene und verstümmelte Körper und so weiter) wurden tachistoskopisch zunehmend längere Zeit projiziert. Magni maß die Zeit, die eine Person brauchte, um die Szene zu identifizieren und er wies nach, dass Theologiestudenten, die als Pfarrer in eine Gemeinde zu gehen planten, signifikant weniger Zeit brauchten, um die Szene zu identifizieren (und hatten daher vermutlich signifikant weniger unbewusste Todesangst) als Studenten, die in die Forschung oder Lehrerlaufbahn gehen wollten, wo sie weniger intensiv damit beschäftigt sein würden, anderen beizustehen. Mehrere Studien, die Interviewdaten66 oder TAT-Daten67 verwendeten, zeigen, dass Personen mit höherem neurotischen Niveau größere Todesangst haben.

Studien über unbewusste Todesangst bei älteren Menschen, die den TAT und Satzvervollständigungstests verwendeten, zeigen, dass ältere Personen, denen eigene Wohnräume, vergleichbar mit einem Familiensetting, zugewiesen wurden, signifikant weniger Todesangst haben als jene Personen, die in traditionellen Altersheimen wohnen.68 Darüber hinaus haben die alten Menschen weniger unbewusste Todesangst, wenn sie mit vielen Lebensaktivitäten beschäftigt sind.69 Todesangst nach dem TAT korreliert bei alten Menschen positiv mit den MMPI Neurose-Indikatoren (Hypochondrie, Abhängigkeit, Impulsivität und Depression).70 Eine Studie über unbewusste Todesangst (eine projektive Satzvervollständigungstechnik) bei einer Population von Erwachsenen mittleren bis höheren Alters zeigte, dass die jüngeren Erwachsenen mehr Todesangst hatten als die älteren Gruppen.71

Wenn die Furcht vor dem Tod eine primäre Quelle der Angst ist, dann sollte man sie in Träumen finden, wo unbewusste Themen oft in relativ unverkleideter Form auftauchen. Eine große normative Studie der Träume zeigte, dass offene Todesangst in 29 Prozent der Träume gefunden werden kann.72 Eine umfangreiche Studie von Albträumen deckte auf, dass die häufigsten Angstthemen in Träumen von Erwachsenen darin bestehen, entweder zu sterben oder ermordet zu werden. Die anderen gewöhnlichen Themen waren auch mit dem Tod verbunden: Ein Familienmitglied oder andere Personen, die sterben, oder das Leben des Träumenden wird durch einen Unfall bedroht oder dadurch, dass jemand ihn oder sie verfolgt.73 Korreliert das Maß an bewusster Todesangst mit der Anzahl an Albträumen über den Tod? Die Studien zeigen widersprüchliche Ergebnisse in Abhängigkeit von der spezifischen Todesangstskala, die verwendet wurde. Eine Person jedoch (besonders, wenn sie unter zehn Jahren alt ist), die den Tod naher Freunde oder von Verwandten erlitten hat, neigt häufiger dazu, Todesalbträume zu haben.74 Eine Studie berichtet von einem faszinierenden Befund: Es gibt eine nichtlineare Beziehung zwischen bewusster Todesangst und Todesthemen in Träumen.75 Mit anderen Worten: jene Personen, die sehr große oder sehr geringe bewusste Todesangst haben, tendieren dazu, vom Tod zu träumen. Möglicherweise spiegelt hohe bewusste Angst hohe unbewusste Angst in der Weise wider, dass diese nicht kontrolliert werden kann und in schlechte Träume (Albträume) sowie in das Bewusstsein eindringt. Sehr geringe bewusste Todesangst (weniger als man bei einem durchschnittlichen Menschen erwarten würde) kann starke unbewusste Todesangst widerspiegeln, die im Wachzustand durch Verleugnung und Verdrängung kontrolliert wird, aber die im Schlafzustand den Traumzensor überwältigt.

Zusammengefasst können wir sagen, dass die Literatur über Todesangst eine begrenzte Hilfe bei der Erweiterung unseres Verständnisses von der Rolle der Todesfurcht in der Psychopathologie und Psychotherapie bietet. Die meisten Forschungen bestehen aus Korrelationsstudien zwischen bewusster Todesangst (auf grob konstruierten Skalen) und einer Fülle von demografischen und psychometrischen Variablen. Diese Studien zeigen einige positive Korrelationen zwischen hoher Todesangst und Depression, frühem Verlust, fehlendem religiösen Glauben und beruflicher Entscheidung. Andere Studien erforschen tiefere Schichten des Bewusstseins und zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der Todesangst außerhalb der Bewusstheit liegt; dass Todesangst zunimmt, wenn man sich von der bewussten zur unbewussten Erfahrung bewegt; dass uns die Furcht vor dem Tod in unseren Träumen beschleicht; dass alte Menschen den Tod mehr fürchten, wenn sie psychisch unreif sind oder wenn sie weniger Lebensaktivitäten haben, mit denen sie sich beschäftigen; und schließlich, dass Todesangst, sowohl bewusste wie auch unbewusste, mit Neurotizismus zusammenhängt.

Die Unaufmerksamkeit gegenüber dem Tod in der Theorie und Praxis der Psychotherapie

All die zuvor genannten Perspektiven des Todes – kulturelle Tradition, klinische Erfahrung und empirische Forschung – haben starke Implikationen für die Psychotherapie. Das Hineinnehmen des Todes in das Leben bereichert das Leben; es befähigt die Menschen, sich von erdrückenden Alltäglichkeiten zu befreien, zweckvoller und authentischer zu leben. Die volle Bewusstheit des Todes kann radikalen persönlichen Wandel unterstützen. Jedoch ist der Tod eine primäre Quelle der Angst; er durchdringt unsere innere Erfahrung, und wir verteidigen uns dagegen durch eine Anzahl persönlicher Dynamiken. Darüber hinaus resultiert Todesangst, mit der in einer schlecht angepassten Weise umgegangen wird, in einer breiten Variation von Anzeichen, Symptomen und Charakterzügen, die wir als »Psychopathologie« bezeichnen, wie ich im vierten Kapitel ausführen werde.

Trotz dieser zwingenden Gründe schließt der Dialog in der Psychotherapie den Todesbegriff selten ein. Der Tod wird in fast jeder Hinsicht im Bereich der psychischen Gesundheit übersehen, und zwar auf eklatante Weise: in der Theorie, in der Grundlagenforschung und in klinischer Forschung, in klinischen Berichten und in allen Formen klinischer Praxis. Die einzige Ausnahme liegt in dem Bereich, in dem der Tod nicht ignoriert werden kann – der Versorgung eines sterbenden Patienten. Die sporadischen Artikel, die vom Tod handeln und die tatsächlich in der psychotherapeutischen Literatur erscheinen, sind normalerweise in zweit- oder drittklassigen Zeitschriften zu finden und bleiben anekdotisch. Es sind Kuriositäten am Rande des Hauptstroms der Theorie und Praxis.

Klinische Fallberichte

Das Auslassen der Furcht vor dem Tod in klinischen Fallberichten, um ein Beispiel zu nehmen, ist so offensichtlich, dass man versucht ist, auf nicht weniger als eine Verschwörung des Schweigens zu schließen. Es gibt drei Hauptstrategien, wie man in klinischen Fallberichten mit dem Tod umgeht.

• Erstens, die Autoren lassen dieses Thema selektiv aus und berichten keinerlei Material, das mit dem Tod zusammenhängt.

• Zweitens, die Autoren präsentieren umfangreiche klinische Daten in Bezug zum Tod, aber ignorieren das Material vollständig bei der Formulierung der Dynamik des Falles. Dies ist beispielsweise der Fall in Freuds Fallgeschichten, und ich werde später Beweise dafür liefern.

• Drittens, die Autoren können klinisches Material präsentieren, das auf den Tod bezogen ist, aber wenn sie den Fall beschreiben, übersetzen sie »Tod« in ein Konzept, das mit einer bestimmten Ideologierichtung übereinstimmt.

In dem viel zitierten Artikel Die Einstellungen von Psychoneurotikern zum Tod, der in einer führenden Zeitschrift veröffentlicht wurde, präsentieren zwei hervorragende Kliniker, Walter Bromberg und Paul Schilder, mehrere Fallgeschichten, in denen der Tod eine herausragende Rolle spielt.76

Beispielsweise entwickelte eine weibliche Patientin akute Angst nach dem Tod einer Freundin, der gegenüber sie erotische Gefühle empfand. Obwohl die Patientin ausdrücklich feststellte, dass ihre persönliche Furcht vor dem Tod dadurch entfacht wurde, dass sie ihre Freundin sterben sah, schließen die Autoren, dass »ihre Angstreaktion gegen die unbewusste homosexuelle Bindung, mit der sie kämpfte, gerichtet war … ihr eigener Tod bedeutete die Wiedervereinigung mit der homosexuellen Geliebten, die verschieden war … sterben bedeutete eine Wiedervereinigung mit dem verleugneten Liebesobjekt.«

Eine andere Patientin, deren Vater Leichenbestatter war, beschrieb ihre starke Angst: »Ich habe mich immer vor dem Tod gefürchtet, ich fürchtete, ich würde aufwachen, während sie mich einbalsamierten, ich habe diese seltsamen Gefühle unmittelbar bevorstehenden Todes. Mein Vater war ein Leichenbestatter. Ich habe niemals an den Tod gedacht, wenn ich mit Leichen zu tun hatte … aber jetzt habe ich das Gefühl, ich möchte wegrennen … ich denke ständig daran … ich fühle mich, als ob ich ihn wegkämpfen würde.« Die Autoren schließen daraus, dass »die Angst vor dem Tod der Ausdruck eines unterdrückten Wunsches ist, passiv zu sein und von dem Vater-Leichenbestatter versorgt zu werden.« Ihrer Ansicht nach ist die Angst der Patientin das Produkt ihrer Selbstverteidigung gegen diese gefährlichen Wünsche und ihres Wunsches nach Selbstbestrafung für ihren inzestuösen Wunsch.

Die anderen Fallgeschichten im gleichen Artikel liefern weitere Beispiele der Übersetzung von Tod in das, was die Autoren für grundlegendere Ängste halten: »Tod bedeutet für diesen Jungen letzte sadomasochistische Befriedigung in einer homosexuellen Wiedervereinigung mit dem Vater« oder »Tod bedeutet für ihn die Trennung von der Mutter und ein Ende des Ausdrucks von seinen unbewussten libidinösen Wünschen.«

Man kann offensichtlich nur darüber staunen, warum es solch einen Drang zur Umdeutung gibt. Wenn das Leben eines Patienten durch eine Furcht beschnitten ist, sagen wir, vor offenen Räumen, Hunden, radioaktiven Störfällen, oder wenn jemand ständig mit zwanghaften Grübeleien über Sauberkeit, oder ob die Türen verschlossen sind, beschäftigt ist, dann scheint es einen Sinn zu haben, diese oberflächlichen Besorgnisse in grundlegendere Bedeutungen zu übersetzen. Aber res ipsa loquitur, eine Todesfurcht kann eine Todesfurcht sein und ist nicht übersetzbar in eine »tiefere« Furcht. Vielleicht ist es, wie ich später ausführen werde, nicht eine Übersetzung, die der neurotische Patient braucht; er oder sie ist vielleicht nicht außer Kontakt mit der Realität, sondern stattdessen zu nahe an der Wahrheit, weil er nicht in der Lage ist, normale »Verleugnungsmechanismen« wirken zu lassen.