Tödliche Vetternwirtschaft

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Aus der Reihe: Leo Schwartz #12
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3.

Leo und Hans hatten nach ihrer Rückkehr den Kollegen ausführlich berichtet und überzeugend dargelegt, dass sie dringend in diesem Fall ermitteln sollten, obwohl Viktoria immer noch dagegen war. Aber sie hielt sich mit Gegenwind zurück, denn diese Ermittlungen waren weit angenehmer als die Prüfung der uralten Fälle, die sie endlos langweilten und die sie den letzten Nerv kosteten.

Wastl übernahm Haferstocks Laptop, was sehr ulkig aussah. Der riesige, korpulente Mann mit den dicken Wurstfingern hackte gekonnt auf der Tastatur des Laptops, wobei er mit dem Gesicht fast direkt vor dem Bildschirm saß. Wie immer hatte Wastl einen altmodischen Anzug an, der nicht richtig saß. Dazu trug er ein weißes Hemd und eine Krawatte, deren Knoten krumm und schief war. Und um das Bild abzurunden, trug er grobstollige, bequeme Schuhe, die fast aussahen wie Wanderschuhe. Wastl, also Sebastian Kranzbichler war nur zur Vertretung von Werner Grössert in Mühldorf und arbeitete sonst in Traunstein. Der 30-jährige Polizist hatte ein sonniges Gemüt und immer Hunger. Alle mochten ihn und während seines Aufenthalts bei der Mühldorfer Polizei wohnte er bei Hans Hiebler, der dessen Gesellschaft sehr genoss. Es dauerte noch, bis Werner Grössert wieder zum Dienst erscheinen konnte, denn dessen Frau ging es nach der Geburt ihres ersten Kindes zwar wieder etwas besser, aber Werner wich nicht von ihrer Seite und kümmerte sich um das Baby. Also musste, oder durfte, Wastl Kranzbichler noch bleiben, bis Werner Grössert wieder zum Dienst erschien.

Leo und Hans arbeiteten sich durch die vielen Akten des Architekturbüros, während Viktoria die Telefonliste und die Überprüfung des Aufenthalts von Christian Huber in Wien übernahm.

„Darf ich kurz stören?“ frage Krohmer, als er ins Büro der Mordkommission trat. „Haben Sie etwas Interessantes herausgefunden? Gibt es Anhaltspunkte für ein

Gewaltverbrechen?“

„Wir sind noch nicht so weit Chef. Leo und Hans vermuten, dass mit dem Tod dieses Haferstocks tatsächlich etwas nicht stimmen könnte. Ich bin noch nicht ganz überzeugt. Wir arbeiten uns gerade durch jede Menge Informationen, heute Nachmittag wissen wir mehr.“

Krohmer strahlte, dann war sein Anliegen doch nicht ganz umsonst. Zumindest zwei seiner Beamten waren auf seiner Seite.

„Was halten Sie von einer Besprechung um 17.00 Uhr?“

„Bis dahin dürften wir durch sein.“

„Dann störe ich nicht weiter. Wenn Sie erlauben, lasse ich Ihnen etwas zum Mittagessen zusammenstellen und in Ihr Büro bringen. Nicht, dass Sie meinetwegen noch hungern müssen.“

„Gerne Herr Krohmer,“ rief Wastl. „Sparen Sie nicht mit der Menge, ich habe einen Riesenhunger.“

Krohmer lachte und ging wieder.

„Der hat aber ein ganz schön schlechtes Gewissen,“ murmelte Viktoria, die nachvollziehen konnte, dass sich der Chef mit seinem Anliegen weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Was, wenn an der Sache nichts dran war und der Staatsanwalt Wind von den Ermittlungen bekommen sollte? So, wie die beiden momentan zueinander standen, wäre es durchaus denkbar, dass der Staatsanwalt das Innenministerium einschalten würde. Krohmer brauchte entweder rasch einen Beweis für ein Gewaltverbrechen, oder ein Ende der Ermittlungen.

Hans und Leo sagten kein Wort, sie hatten nur am Rande mitbekommen, dass Krohmer im Büro war. Sie hatten auf Leos Schreibtisch die verschiedenen Projekte ausgebreitet und auf einer Flipchart ein Diagramm erstellt, sonst hätten sie den Überblick längst verloren. Auch das Essen, das nach einer halben Stunde geliefert wurde, rührten sie kaum an, dafür hatten sie keine Zeit. Wastl und Viktoria machten gerne eine Pause. Viktoria war mit ihrer Arbeit fast fertig und auch Wastl kam sehr gut voran.

„Und? Was denkst du?“

„Das sage ich dir später bei der Besprechung, lass dich überraschen.“ Viktoria war tatsächlich fündig geworden. Anfangs hatte sie vermutet, dass die Recherche reine Zeitverschwendung war, aber nun dachte sie anders. Wastl verstand die Geheimnistuerei nicht, denn er hatte nicht den kleinsten Hinweis finden können, der untermauerte, dass Gerald Haferstock keines natürlichen Todes gestorben war. Aber was soll‘s? Er konnte gerne warten. Und nachdem Leo und Hans an dem Essen immer noch kein Interesse zeigten, griff er ohne Hemmungen zu.

Krohmer saß den ganzen Nachmittag wie auf Kohlen und konnte es kaum erwarten, bis er endlich erfahren würde, was die Kollegen herausbekommen hatten. Seine Bekannte Susanne Bruckmayer hatte heute bereits mehrfach angerufen, aber er konnte ihr noch nichts sagen, er wusste ja selbst noch nichts. Susanne nervte immer mehr und er hatte es längst bereut, dass er sich von ihr hat überreden lassen, der Sache nachzugehen. Was, wenn überhaupt nichts dran war? Wenn sie hier nur unnötig Zeit vertrödelten und dabei auch noch jede Menge Steuergelder verschwendeten? Wie soll er das dem Innenministerium und vor allem diesem aufgeblasenen Staatsanwalt gegenüber rechtfertigen? Der Staatsanwalt hatte ihn seit dem letzten Zusammentreffen auf dem Kieker. Die Unterhaltung, die sie zusammen mit dem Mühldorfer Bürgermeister geführt hatten, artete in ein handfestes Streitgespräch aus, aus dem Krohmer als Sieger hervorging. Er hatte einfach die besseren Argumente und blieb sachlich, ganz im Gegensatz zum Staatsanwalt, der auch aufgrund des gestiegenen Alkoholkonsums vollkommen ausgerastet war und sich ordentlich blamiert hatte. Krohmer wusste nicht einmal mehr, um was es eigentlich genau ging, aber der Staatsanwalt nahm ihm übel, dass er ihn so gereizt und aus der Reserve gelockt hatte. Hatte Krohmer das wirklich getan? Nein, der Staatsanwalt war es nur gewöhnt, dass man ihm immer Recht gab und ihm in den Hintern kroch. Aber nun war er durch die Ermittlungen, die seine Leute führten, in der Zwickmühle und er hoffte darauf, dass es wirklich einen Mordfall gab. Susanne hatte so überzeugend geklungen. Er hatte die nervige Susanne auf den späten Abend vertröstet, was nicht leicht war, denn Geduld war nicht gerade ihre Stärke.

Endlich war es so weit und er war als erster im Besprechungszimmer. Er hatte den Leiter der Spurensicherung Friedrich Fuchs dazu gebeten, obwohl es dafür noch keinen Grund gab. Fuchs war wie immer mürrisch und einsilbig, als beide auf die anderen warteten. Die Tür ging auf und Frau Gutbrod, Krohmers Sekretärin, brachte Kaffee und Kekse. Was war hier los? Warum wurde diese Besprechung zu der ungewöhnlichen Zeit einberufen? Sie wusste ganz sicher, dass kein neuer Mordfall vorlag. Eigentlich wollte sie mit ihrer Nichte Karin zum Shoppen, aber das hatte sie natürlich sofort abgesagt. Sie wollte hierbleiben und herausfinden, was es Dringendes gab. Das spitzenbesetzte graue Kleid glitzerte in der Abendsonne und die vielen Armringe klimperten laut gegeneinander, als sie sich setzte. Frau Gutbrod war 62 Jahre alt und war eigentlich nur noch wenige Wochen von ihrem Renteneintritt entfernt, was sie sich nicht eingestehen wollte und wogegen sie mit Gewalt arbeitete. Sie kleidete sich nicht nur wie eine 20-jährige und achtete mit viel Disziplin auf ihre schlanke Figur, sondern färbte fast wöchentlich die grauen Haaransätze nach, ließ sich regelmäßig die Falten unterspritzen und trug seit Jahren falsche Fingernägel in den verrücktesten Variationen. Das Make-up wurde von Jahr zu Jahr dicker und auffälliger, die Röcke und Kleider immer kürzer, und die Schuhe dafür umso höher. Hilde Gutbrod wollte nicht alt werden und dachte nicht im Traum daran, jetzt schon in Rente zu gehen. Sie rechnete mit der unwahrscheinlichen Möglichkeit, dass diese Tatsache niemandem auffällt und sie noch weitere Jahre hier arbeiten durfte. Was sollte sie sonst machen? Sie hatte nie geheiratet und auch nie Kinder bekommen. Lange Zeit schob sie dieses Vorhaben vor sich her, hatte Männern gegenüber immer höhere Ansprüche; eigentlich fand sie immer etwas, was ihr nicht passte. Und irgendwann war es zu spät für eine Familie. Gleichaltrige Freundinnen waren ihr viel zu alt. Außerdem hatte sie keine Freundinnen, mit anderen Frauen außer ihrer Nichte kam sie nicht klar. Sie verbrachte ihre wenige Freizeit mit ihrer Nichte Karin. Aber die musste arbeiten. Sollte sie sich ein Hobby suchen, nur um nicht allein zu sein und irgendwie die Zeit totzuschlagen? Nein, das kam überhaupt nicht in Frage. Ihr Lebensinhalt war ihre Arbeit.

Der 38-jährige Friedrich Fuchs stöhnte hörbar mehrfach auf und saß mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl. Krohmer versuchte, ein Gespräch mit ihm zu führen, was aber nicht möglich war. Fuchs bockte und war sauer, dass er hier seine Zeit vertrödelte und nicht wusste, was er hier eigentlich sollte. Es war schon viertel nach fünf, als die anderen endlich auftauchten. Krohmer atmete erleichtert auf.

„Schön, dass Sie hier sind, wir haben Sie schon sehnsüchtig erwartet. Setzen Sie sich und berichten Sie, was Sie herausgefunden haben.“

„Ich habe mir den Laptop des Verstorbenen vorgenommen,“ begann Wastl Kranzbichler. „Leider habe ich nichts gefunden, was für einen eventuellen Fall relevant wäre. Sorry.“

Das Lächeln war aus Krohmers Gesicht verschwunden und er sah Viktoria voller Erwartung an.

„Ich habe einige Informationen, die sehr interessant sein könnten. Die Mitarbeiterin des Verstorbenen hat uns freundlicherweise die Telefonliste überlassen und die letzten beiden Gespräche wurden mit einem Christian Huber in Mühldorf geführt. Ich habe das Alibi des Mühldorfer Hoteliers überprüft und seine Aussage stimmt, er war im fraglichen Zeitraum, also zum Zeitpunkt des Todes von Haferstock, in Wien und kann somit nicht mit ihm telefoniert haben.“

„Christian Huber vom Hotel Alpenblick?“ Krohmer war irritiert. Was hatte der Mann mit diesem Haferstock zu tun? Er kannte Huber persönlich.

 

„Richtig Chef. Huber und Haferstock waren befreundet. Nach dessen Aussage haben er und Haferstock zusammen an einem Projekt gearbeitet. Dabei soll es um einen Umbau eines alten Hotels in Braunau gehen, das Huber kürzlich erworben hat. Am Abend vor Haferstocks Tod wurden zwei Telefonate mit dem Anschluss Hubers geführt.“

„Dafür gibt es ganz bestimmt eine einfache Erklärung. Vermutlich nur eine Zimmerreservierung.“

„Das glaube ich kaum. Das erste Telefonat wurde 32 Minuten geführt, und das zweite 21 Minuten. Mit wem hat Haferstock gesprochen, wenn nicht mit Christian Huber?“

„Huber hat eine Tochter, die am Empfang arbeitet,“ sagte Hans, der wie die anderen auch über die Länge der Telefongespräche überrascht war. „Ihr Name ist Margit und sie ist 19 Jahre alt. Sie ist im dritten Ausbildungsjahr zur Hotelfachfrau und soll einmal in die Fußstapfen ihres Vaters treten, zumal sie sein einziges Kind ist.“

„Das stimmt so nicht ganz Chef. Huber hat auch einen Sohn, der ebenfalls im Hotel Alpenblick arbeitet. Was er genau macht, weiß ich nicht, aber ein Anruf im Hotel genügte und ich hatte meine Information. Der Name des Sohnes, der aus Hubers erster Ehe stammt, ist Karsten Huber. Er ist 26 Jahre alt und ist so etwas wie die rechte Hand seines Vaters. Das hatte ich so zumindest verstanden. Ob das der Wahrheit entspricht, ist fraglich. Wir sollten dringend mit ihm sprechen.“

Krohmer wurde nervös, denn er hatte mehrfach mit Christian Huber bei den verschiedensten Anlässen gesprochen und ihm war nicht bekannt, dass Huber einen Sohn hatte. Warum? Von seiner Tochter Margit erzählte Huber immer wieder, er war sehr stolz auf sie, obwohl sie auf ihn nicht gerade den intelligentesten Eindruck machte. Aber sie war immer freundlich und höflich zu ihm gewesen. Warum hatte Huber ihm den Sohn verschwiegen?

„Wir sind die Unterlagen des Architekturbüros der letzten 6 Monate durchgegangen, was nicht ganz einfach war, denn von diesem Metier verstehen wir überhaupt nichts,“ sagte Leo. „Wir haben das Objekt gefunden, von dem Huber gesprochen hat und das Viktoria vorhin erwähnte. Dabei geht es tatsächlich um den Umbau eines Hotels in Braunau, das Huber sehr günstig ersteigert hat. Daneben hat sich Haferstock mit einigen Neubauten und Umgestaltungen verschiedener Großprojekte beschäftigt, die sich bis nach München erstrecken. Haferstock war sehr fleißig und offenbar auch sehr gut in seinem Job, die Auftraggeber und Geschäftspartner sprechen nur gut von ihm.“ Krohmer nickte. Das war ihm alles bekannt, denn das wusste er alles schon von seiner Bekannten Susanne. „Allerdings haben wir ein Projekt entdeckt, das etwas aus dem Rahmen fällt. Haferstock hat einen Plan eines riesigen Freizeitparks am Rande Altöttings entworfen. So wie wir das verstanden haben, sind noch nicht alle erforderlichen Grundstücke gekauft worden und das Projekt ist noch in der Schwebe.“

„Das soll vorkommen,“ murmelte Krohmer enttäuscht, denn er hatte sich mehr Informationen und Hinweise auf eine Gewalttat versprochen. „Ich glaube nicht, dass dieses Vorhaben für eine Morduntersuchung relevant ist.“

„Auch nicht, wenn einer der Investoren dieses riesigen Projekts ein Christian Huber aus Mühldorf ist? Uns gegenüber hat er mit keinem Wort dieses Projekt erwähnt, obwohl den Unterlagen zufolge neben dem Plan bereits ein Großteil der benötigten Grundstücke erworben wurde. Die Sache läuft also bereits. Wir haben mit dem Grundbuchamt gesprochen und es ist tatsächlich so, dass die Grundstücke in den Besitz einer Investorengruppe übergegangen sind. Neben Christian Huber und dem Verstorbenen Gerald Haferstock sind Helmut Burgmeister und Dr. Theo Unger als Teile dieser Investorengruppe eingetragen. Um wen es sich bei den beiden Personen genau handelt, wissen wir noch nicht. Aber einen der Investoren kennen wir genau, bitte erschrecken Sie nicht: Die katholische Kirche.“

„Das ist nicht Ihr Ernst!“ rief Krohmer, der Burgmeister und auch Unger kannte. „Burgmeister ist Geschäftsführer der Großmetzgerei Müh-Gro-Fleisch in Mühldorf und Dr. Unger ist Arzt in Altötting. Und die katholische Kirche beteiligt sich an diesem Freizeitpark? Sind Sie sicher?“

„Natürlich bin ich mir sicher. Ich habe mich informiert: Die katholische Kirche, übrigens wie alle anderen Kirchen auch, investiert gerne Geld in lukrative Großprojekte. Dies ist gängige Praxis und nicht ungewöhnlich. Warum auch nicht? Wir kennen alle das momentane Zinsniveau, wodurch es sich kaum mehr lohnt, Gelder konventionell bei der Bank anzulegen. Und wie alle, die zu viel Geld haben, legt auch die Kirche gerne Geld gewinnbringend an. Manchmal risikoreich, was vielleicht den besonderen Nervenkitzel ausmacht. Die Kirchen investieren in Immobilien-Großprojekte wie etwa Gewerbegebiete, Mietshäuser, Theater- und Musicalgebäude und so weiter und so fort. Und eben auch in Vergnügungs-und Freizeitparks.“ Leo hatte bis vor wenigen Minuten noch mit der zuständigen Dame im Grundbuchamt telefoniert, deshalb waren sie zu spät gekommen. Die Dame war äußerst freundlich und hilfreich gewesen; und sie hatte unbürokratisch geholfen, denn auch die Polizei durfte nicht einfach so ohne entsprechenden Beschluss Einblick ins Grundbuch nehmen. Leo hatte ihr versprechen müssen, den erforderlichen Beschluss nachzureichen, was spätestens nach Nennung des Namens Christian Huber eine reine Formsache sein dürfte.

„Das mag ja alles richtig sein. Aber im Wallfahrtsort Altötting? Hier bei uns auf dem Land?“

„Warum nicht? Hier sind die Grundstückspreise noch erschwinglich. Was glauben Sie, warum große Vergnügungs- und Freizeitparks außerhalb gebaut werden? Bestimmt nicht, weil es in der Natur so schön ist, sondern weil die Grundstücke weit ab vom Sog der Großstädte noch bezahlbar sind. Und warum soll bei uns auf dem Land solch ein Park nicht funktionieren? Auch die Menschen hier wünschen sich Ablenkung und Vergnügen. Was spricht dagegen? Weil Altötting ein Wallfahrtsort ist? Unterschätzten Sie die Mengen von Touristen nicht, die neben der Wallfahrt dazugewonnen werden. Was glauben Sie, wie das dem Hotelgewerbe, der Gastronomie und vielen anderen Wirtschaftszweigen guttun würde.“ Hans fand diese Idee genial. Er würde es gern sehen, wenn hier in der Gegend mehr los wäre.

„Das sehe ich alles ein und grundsätzlich ist die Idee ja nicht schlecht. Aber wie soll ein Wallfahrtsort wie Altötting und ein Freizeitpark zusammenpassen? Für mich beißt sich das, und zwar gewaltig.“ Krohmer bekam Zustimmung von Viktoria und sogar von Frau Gutbrod, die beide für solche Vergnügen nichts übrig hatten.

„Entschuldigen Sie bitte, aber mir ist die ganze Diskussion um diesen Freizeitpark herzlich egal,“ unterbrach Fuchs die Diskussion. „Warum genau bin ich eigentlich hier?“

„Sie haben den ganzen Sachverhalt mitbekommen. Wo würden Sie ansetzen?“

„Ich? Wieso ich?“ Fuchs schrie beinahe, denn er war es gewohnt, Anweisungen entgegenzunehmen. Bisher wurde nicht von ihm verlangt, selbst Vorschläge zu unterbreiten.

„Weil Sie auf Ihrem Gebiet genial sind. Wie würden Sie vorgehen?“

„Gut, wie Sie wollen. Ich war bei den genauen Befragungen der Kollegen nicht dabei. Aber so, wie ich das sehe, dürften die bisherigen Ermittlungen für eine Durchsuchung des Architekturbüros und auch des Büros dieses Hoteliers auf keinen Fall ausreichen. Das Haus des Verstorbenen steht leer?“

Hans nickte.

„Sie sind sehr schlau Herr Fuchs. Wenn wir die Genehmigung von der Familie des Toten bekommen, könnten wir uns dort in aller Ruhe umsehen. Sie meinen, man könnte dort etwas fallrelevantes finden?“

„Das kann ich natürlich nicht versprechen, aber es wäre zumindest eine Möglichkeit.“ Fuchs war nun erstaunlicherweise etwas freundlicher als sonst. Sollten sie den Mann öfter in Entscheidungen einbinden?

„Das kläre ich sofort ab,“ sagte Hans und wählte die Nummer von Frau Haferstock und hatte Paula Ritter am Apparat. Da er wusste, wie sie für den Verstorbenen fühlte und dass sie auch an der natürlichen Todesursache zweifelte, entschied er spontan, sie auf seine Seite zu ziehen. Er erklärte ihr, worum es ging.

„Ich spreche mit Frau Haferstock und rufe Sie zurück. Ich weiß, wie man die alte Dame nehmen muss. Heute hatte sie einen sehr guten Tag und ist nicht ganz so biestig wie sonst.“

Es dauerte tatsächlich nicht lange und Paula Ritter rief zurück; sie hatten die Genehmigung von Frau Haferstock bekommen, das Haus ihres Sohnes durchsuchen zu lassen, woraufhin Fuchs spontan aufsprang.

„Sachte Herr Fuchs, das muss doch nicht sofort sein, morgen ist auch noch ein Tag. Es ist schon nach 18.00 Uhr und für heute ist es genug. Morgen früh gehen wir alle frisch ans Werk.“

Leo fuhr mit Viktoria nach Hause. Beide wohnten zusammen auf dem Bauernhof von Hans Hieblers Tante Gerda, der vor den Toren Altötting inmitten von Wiesen und Feldern lag. Sie hatte das obere Stockwerk ausgebaut und an Leo vermietet, als dieser von Ulm nach Mühldorf versetzt wurde und eine Bleibe suchte. Viktoria war vor einigen Monaten zu Leo gezogen. Inzwischen waren die drei eine Familie geworden und verbrachten gerne Zeit zusammen. Wie so oft hatte Tante Gerda für die beiden mitgekocht und das Essen auf den Herd gestellt. Leo und Viktoria waren begeistert, denn keiner hatte Lust, heute noch großartig zu kochen. Die Post lag auf dem Wohnzimmertisch, daneben stand ein frischer Strauß Tulpen.

„Tante Gerda ist ein Schatz,“ rief Viktoria entzückt und roch an den Blumen, die herrlich nach Frühling dufteten.

Sie ließen es sich schmecken und zappten durch die Programme, bis sie endlich an einer Gameshow hängenblieben, deren Teilnehmer sehr lustig waren. Das war die Ablenkung, die sie jetzt brauchten, denn beide wussten genau, dass sie sich doch nur über den heutigen Tag unterhalten würden, wenn das Programm langweilig war.

4.

Friedrich Fuchs war mit seinen Leuten bereits um 7.00 Uhr im Ortsteil Waldfrieden in Töging. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er gestern Abend noch angefangen, das Haus zu durchsuchen. Aber der Chef war anderer Meinung und natürlich fügte er sich den Anweisungen Krohmers, vor dem er sehr großen Respekt hatte. Dieses ganze Gequatsche während der gestrigen Besprechung war ihm zuwider, er arbeitete lieber. Er wies seine Leute an und alle waren mit Eifer dabei, denn die letzten Wochen gab es nicht allzu viel Interessantes zu tun. Fuchs hatte verstanden, dass es keinen Anhaltspunkt für ein Gewaltverbrechen gab und daher spürte er die ganze Last auf seinen Schultern. Er und seine Leute durften nicht den kleinsten Hinweis übersehen, der auf ein Verbrechen hindeuten könnte. Er hasste es, wenn oberflächlich oder gar schlampig gearbeitet wurde. Und wenn sich dieser Todesfall tatsächlich als Mord herausstellen sollte, dann hatte der betreffende Arzt schlampig gearbeitet, was für Fuchs absolut nicht akzeptabel war. Das würde seine ständigen Eingaben untermauern, mit denen er seit Jahren dafür plädierte, dass nicht jeder Arzt einen Tod feststellen und den Totenschein ausstellen durfte, sondern dies durch besonders geschultes Personal geschehen sollte. Er hatte sich darüber schon oft mit Krohmer unterhalten, der seine Argumente grundsätzlich unterstützte, aber ihm die Hoffnung nahm, dass seine Forderung in den nächsten Jahren berücksichtigt werden würde. Dafür fehlten einfach die finanziellen Mittel! Pah! Immer wieder diese dämliche Geldfrage, als ob die immer an erster Stelle stehen sollte! Fuchs war es egal, was sein Vorschlag kostete, er dachte nur an die Opfer und vor allem an die Hinterbliebenen, die in seinen Augen ein Recht darauf haben, von einem Fachmann zu erfahren, woran der Tote starb. Mit diesen Gedanken arbeitete er auf Hochtouren und verlangte dies selbstverständlich auch von seinen Mitarbeitern, die ihn auch dafür hassten. Aber trotz allem waren die Jobs bei Fuchs heiß begehrt, denn es eilte ihm der Ruf voraus, dass es kaum jemanden gab, der seine Arbeit mit einer solchen Hingabe und Akribie erfüllte und bei dem man so unendlich viel lernen konnte. Außerdem behandelte Fuchs jeden gleich, so etwas wie Sympathie gab es bei ihm nicht. Und er verlangte von seinen Leuten nichts, was er selbst auch nicht tat.

Leo und Hans fuhren zu Helmut Burgmeister, Viktoria und Wastl wollten mit Dr. Theo Unger sprechen.

Die Großmetzgerei Müh-Gro-Fleisch im Industriepark II in Mühldorf war größer als erwartet. Hans war die letzten Jahre nicht mehr hier gewesen und war erstaunt, was hier zwischenzeitlich angebaut wurde; Leo war in dieser Ecke Mühldorfs noch nie gewesen. Die riesige Anlieferzone für Lkws sah aus wie bei einem Möbelgeschäft und an der Anzahl der parkenden Mitarbeiter-Fahrzeuge konnte man in etwa abschätzen, wie viele Menschen hier arbeiteten und wie groß dieses Unternehmen war. Das Verwaltungsgebäude bildete das Zentrum des Komplexes und erinnerte mit seinen üppigen Pflanzen am Eingang, der Drehtür und dem gläsernen Aufzug an der Außenseite ebenfalls an ein Möbelhaus. Sie zeigten ihre Ausweise am Empfang und wurden umgehend zu Burgmeister in dessen Büro vorgelassen.

 

„Kriminalpolizei? Wer hat uns denn jetzt wieder angeschwärzt? Wieder diese militanten Tierschützer? Erst vorgestern hat der Werksschutz wieder zwei von diesen Idioten vom Firmengelände geworfen. Am Ostermontag! Das muss man sich mal vorstellen!“ Helmut Burgmeister war ein 60-jähriger, cholerischer, kleiner und sehr dicker Mann mit einer furchteinflößenden Stimme. Vor allem die Lautstärke ließ einen erschrecken. Er thronte hinter seinem riesigen, überladenen, uralten Schreibtisch, vor dem zwei unbequeme Stühle standen. Burgmeister hielt offenbar nichts von einem gemütlichen, ordentlichen Büro, denn auch an den Wänden und vor allem in den Ecken herrschte Chaos und Unordnung in und über uralten, bunt zusammengewürfelten Möbelstücken. Hans konnte nicht ein persönliches Stück finden, woran man erkennen konnte, wessen Büro das war. Burgmeister bot den beiden keinen Platz an und die Polizisten zogen es vor, stehen zu bleiben, denn sie befürchteten, dass die klapprigen Stühle unter ihrer Last zusammenbrechen würden.

„Es geht um Gerald Haferstock,“ sagte Leo sehr leise, um damit auch Burgmeisters Stimme etwas zu senken, denn er vertrug dieses Geschrei überhaupt nicht und bekam davon Kopfschmerzen.

„Gerald? Warum? Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Er ist doch an einem Herzinfarkt hEhHHHH gestorben. Er wurde auch schon beerdigt, ich war selbst dabei.“

„Sie waren mit Herrn Haferstock befreundet?“ half ihm Hans auf die Sprünge.

„Das würde ich nicht behaupten. Gut, unsere Wege haben sich ab und zu gekreuzt, vor allem, als der Anbau und die neue Werkshalle geplant und dann gebaut wurden. Gerald bekam den Auftrag von der Firmenzentrale zugesprochen, dabei haben wir uns kennengelernt. Aber mehr hatten wir nicht miteinander zu tun.“

„Vergessen Sie nicht den geplanten Freizeitpark in Altötting,“ fügte Hans ruhig an.

„Sie wissen davon?“ Burgmeister war aufgesprungen, beugte sich über den Schreibtisch und fuchtelte vor Hans‘ Gesicht mit seinem Zeigefinger herum. „Woher zum Teufel wissen Sie das? Das ist alles noch nicht spruchreif und es wurde diesbezüglich noch nicht das letzte Wort gesprochen. Das Projekt hängt noch in der Schwebe. Eins sage ich Ihnen gleich: Wenn Sie diese Information vorschnell an die Medien weiterleiten, kann ich sehr ungehalten werden. Wenn irgendwelche Verleumdungen in Umlauf kommen, schalte ich sofort meinen Anwalt ein und mache Sie für die Konsequenzen haftbar.“ Burgmeisters Kopf war knallrot geworden und drohte gleich zu platzen. Natürlich schrie er wieder.

„Jetzt beruhigen Sie sich. Wir sehen keinen Grund, dieses Großprojekt an die große Glocke zu hängen.“ Noch blieb Hans ruhig, aber wenn sich dieser Typ nicht unter Kontrolle bekommen würde und ihm nochmals auf die Pelle rücken sollte, dann würde er ganz andere Saiten aufziehen. Offenbar bemerkte Burgmeister, dass er übertrieben reagiert hatte, setzte sich wieder und sprach nun wieder mit normaler Lautstärke.

„Ich verlasse mich auf Ihre Verschwiegenheit. Ein Freund kam eines Tages mit dieser Idee eines Freizeitparks an und ich habe mich aus verschiedenen Gründen, vor allem auch aus Steuergründen dazu entschlossen, mich daran zu beteiligen. Wie gesagt, alles legal. Und warum soll dieses Konzept nicht funktionieren? Bevor ich auch nur einen Cent in dieses Unternehmen investiert habe, beauftragte ich eine Münchner Firma damit, eine Marktanalyse anzufertigen. Als die positiv ausfiel und Gerald Haferstock über Beziehungen um tausend Ecken auch noch die katholische Kirche für das Projekt gewinnen konnte, habe ich schließlich investiert. Fragen Sie nicht, wie Gerald das gemacht hat, aber er hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, zu dem Projekt nicht nur einen finanzkräftigen, sondern auch einen sehr gewichtigen Investor zu finden, was ihm durch die katholische Kirche auch gelungen ist. Wir hatten schnell ein geeignetes Areal gefunden. Mein Freund wollte sich darum kümmern, die Grundstücke in unseren Besitz zu bringen. Und er kümmert sich auch um die entsprechenden Genehmigungen, die mit dem Projekt verbunden sind. Das Bauamt und die Stadt Altötting haben vorab signalisiert, dass auch sie Interesse an diesem Freizeitpark haben, natürlich noch nicht offiziell und es liegt auch noch nichts Schriftliches vor. Mein guter Freund boxt das schon durch, daran habe ich keine Zweifel. Ich weiß jetzt, was Sie denken: Es werden Schmiergelder fließen, und so weiter, und so weiter. Ich kenne die ganzen Vorurteile,“ sagte Burgmeister nun wieder lauter und regte sich gleich wieder auf.

„Wir denken überhaupt nichts. Um wen handelt es sich bei diesem sogenannten Freund?“

„Ein Hotelier aus Mühldorf, der Name dürfte für Sie nicht relevant sein.“

„Christian Huber?“

„Ja verdammt, es ist Christian. Woher sind Sie eigentlich so gut informiert? Ich dachte bisher, dass es mit unserer Polizei nicht weit her ist, Sie überraschen mich wirklich. Christian und ich sind schon seit vielen Jahren im selben Golfclub. Er aktiv, ich nur noch passiv. Trotzdem kennen wir uns schon seit Jahren, beruflich und privat.“

„Sind Sie bereits im Besitz aller erforderlichen Grundstücke für diesen Freizeitpark?“

„Nein. Einzelne Besitzer sträuben sich noch, aber das dürfte nur eine Frage des Preises sein. Jeder hat seinen Preis, glauben Sie mir. Sobald das erledigt ist, folgt die Eingabe an die Behörde und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste Spatenstich erfolgen kann. Das wird groß in allen Medien aufgezogen. Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir: Neuer Freizeitpark in Altötting! Das wird die Sensation!“ Jetzt rieb sich Burgmeister begeistert die Hände und lachte wie ein Schuljunge. „Deshalb wäre es fatal, wenn vorher Informationen durchsickern, die nicht nur das Projekt gefährden und den Gegnern genug Zeit geben, sich zu organisieren, sondern auch die Grundstückspreise in astronomische Höhen treiben. Das darf einfach nicht passieren, deshalb bitte ich Sie nochmals, Stillschweigen zu bewahren, um das Projekt nicht zu gefährden. Denken Sie doch nur mal daran, wie viele Arbeitsplätze so ein Freizeitpark mit sich bringt? Abgesehen von der Attraktivität unserer schönen Gegend, die außer von Gläubigen kaum von Touristen aufgesucht wird. Ein moderner, attraktiver Freizeitpark ist da schon ein ordentlicher Anziehungspunkt vor allem für Familien. Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe selbst drei Enkelkinder. Was meinen Sie, was man mit diesem Projekt alles machen kann? Konzerte, Filmvorführungen, und so weiter, und so weiter. Die Münchner Firma, von der ich vorhin gesprochen habe, hat eine schöne Liste mit Möglichkeiten zusammengestellt.“ Burgmeisters Augen strahlten, das Projekt war ihm sehr wichtig.

„Waren Sie bezüglich des Todes von Gerald Haferstock nicht bestürzt?“

„Natürlich hat mich die Nachricht geschockt, ich bin ja kein Unmensch. Aber ich kannte den Mann nicht näher und Herzversagen passieren nun mal, niemand ist davor gefeit. Das kann jeden von uns jederzeit treffen, auch Sie und mich. Christian hat mir erzählt, dass Gerald immer gesund gelebt hat und immer Ausdauer-Sport getrieben hat. Was hat ihm das gebracht? Sehen Sie mich an! Ich habe schon immer nur gegessen, was mir schmeckt und auch nicht immer gesund ist. Und Ausdauer- und Fitness-Sport ist für mich reine Zeitverschwendung, ist mir viel zu anstrengend und kostet zu viel Zeit. Außerdem schwitze ich nicht gerne. Und was soll ich Ihnen sagen? Trotz meines ungesunden Lebenswandels und der Tatsache, dass ich fünf Jahre älter bin als Gerald, lebe ich immer noch. Wenn man einen Job macht, der einem Spaß macht und dazu noch ein funktionierendes Privatleben hat, ist ein langes Leben vorprogrammiert, davon bin ich absolut überzeugt. Wenn man einem Job nachgeht, auf den man schon nach dem Aufstehen keine Lust hat, und dann noch Probleme im Privatleben hat, wird man krank. Das mit dem Gesundheitswahn ist doch nur Humbug. Ich könnte nicht den ganzen Tag nur verzichten, Kalorien zählen und auf leerem Gemüse und harten Körnern herumknabbern. Nein, die Vorstellung allein bereitet mir eine Gänsehaut.“ Jetzt lachte Burgmeister. Der Tod seines Geschäftspartners ging ihm wirklich nicht nahe, aber er machte auch keinen Hehl daraus.