DIE LEICHE MUSS WEG

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Aus der Reihe: Leo Schwartz #29
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6.

Die Arrestzellen der Mühldorfer Polizei waren völlig überfüllt. Es dauerte nicht lange, und die erste Toilette war verstopft. Ein unerträglicher Gestank machte sich breit, der durch die Gänge zog. Die Stimmung unter den Festgenommenen war denkbar schlecht. Einheimische, einfache Partybesucher und Mitglieder der Blauen Armee waren bunt gemischt. Mittendrin saß Diana Nußbaumer. Sie war gespannt, wie die Kollegen darauf reagierten, wenn sie ihren Fehler erkannten. Aber noch war es nicht so weit. Wie lange sie hier noch sitzen und warten musste, stand in den Sternen. Als Kampfsportlerin hatte sie gelernt, ruhig zu bleiben, was ihr jetzt entgegenkam. Es gab Pöbeleien und es kam nicht selten vor, dass Fäuste flogen. Diana war darauf gefasst, dass man ihr zu nahe kam, was aber zum Glück nicht geschah. Die Uniformierten brachten keine Ruhe in die Arrestzellen. Das Geschrei und die Übergriffe wurden von Stunde zu Stunde schlimmer.

Tatjana Struck, die Leiterin der Mühldorfer Mordkommission, hatte genug. Sie war hundemüde, außerdem fror sie immer noch. Anstatt gemütlich auf ihrer Couch zu liegen, musste sie sich die Nacht um die Ohren schlagen, was ihr aufs Gemüt schlug. Da ihr neuer Freund Erich Perzlmeier es vorzog, die Weihnachtsfeiertage und auch Silvester mit seiner Familie zu verbringen, hatte sie trotzig sämtliche Sonderschichten übernommen, die man ihr anbot. Erich hatte sie gebeten, ihn zu begleiten, aber das war ihr zu viel Familie auf einmal. Nähe und Höflichkeiten waren ihr zuwider, weshalb sie verzichtete. Erich reagierte enttäuscht, aber das war ihr egal. Sie kannten sich noch nicht lange und sie empfand es als viel zu früh, seine Familie kennenzulernen.

Wütend ging Tatjana in den Keller der Polizeiinspektion. Vor der ersten Arrestzelle nahm sie den Schlauch und pfiff laut durch die Zähne.

„Wenn nicht augenblicklich Ruhe ist, werde ich für Ruhe sorgen!“, schrie sie laut.

„Das dürfen Sie nicht“, lachte einer und stellte sich provozierend an die Gitterstäbe.

„Wollen Sie es darauf ankommen lassen?“, ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie griff mit der rechten Hand zum Wasserhahn und drehte ganz langsam. Alle konnten sehen, dass tatsächlich etwas Wasser aus dem Schlauch rann. Tatjana drehte unbeirrt weiter, woraufhin auch der letzte verstummte.

„Hören Sie auf!“, schrie einer laut, der keine Lust hatte, zu allem Übel auch noch nass zu werden.

„Sie haben gewonnen!“, sagte derjenige, der sich mit ihr anlegen wollte und kurz davor war, nasse Füße zu bekommen. „Das sind echte Stasi-Methoden!“, schob er hinterher.

„Nazi-Methoden“, schrie ein Angetrunkener von ganz hinten.

„Es ist mir egal, wie Sie das betiteln. Entweder es ist sofort Ruhe und Sie lassen uns unsere Arbeit machen, oder Sie werden klatschnass. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Ich finde das sehr demokratisch. – Das gilt übrigens auch für alle anderen!“, rief sie laut zu den anderen Arrestzellen. „Bei demjenigen, der die Toilette verstopft hat, dürfen Sie sich bedanken. Es werden Eimer bereitgestellt, die Sie gerne benutzen dürfen.“

„Pfui Teufel!“, rief einer und rümpfte die Nase. „Sie glauben doch nicht, dass wir die vor allen anderen benutzen? Es ist unser gutes Recht, eine Toilette benutzen zu dürfen! Ich werde meinen Anwalt anrufen, der wird Ihnen Ihren dicken Hintern aufreißen, Lady!“

„Machen Sie das.“ Die Eimer wurden gebracht und in die Zelle gestellt. Der Polizist war darauf bedacht, die Zellentür sofort wieder zu schließen. Es hagelte Proteste, die lauter und lauter wurden.

„Ich warne Sie noch ein letztes Mal“, rief Tatjana laut. „Entweder verhalten Sie sich ruhig oder Sie werden nass.“

Es war augenblicklich wieder ruhig.

„Vielen Dank“, sagte ein Uniformierter, der sich das niemals getraut hätte. Die Kollegin Struck hatte zwar Haare auf den Zähnen, traute sich aber mehr als mancher Mann.

Diana musste Schmunzeln. Offenbar nahm man es hier mit den Vorschriften nicht so genau, was ihr sehr entgegen kam. Es hatte zwar nicht ihre Arrestzelle betroffen, aber sie hatte jedes Wort gehört. Sie war gespannt darauf, welche ihrer Kolleginnen sich so etwas getraute.

Severin Torka und Wolf Perlinger saßen nicht in derselben Arrestzelle. Wolf hatte versucht, in Severins Nähe zu bleiben, aber sie wurden getrennt.

Wolf war ganz ruhig. Dass er verhaftet wurde, war keine große Sache. Sein Kontaktmann vom BND würde dafür sorgen, dass er schnell wieder auf freien Fuß kommen würden. Aber was geschah dann? Es lag auf der Hand, dass die Polizei gewarnt worden war und es war auch klar, dass Charly alles daransetzen würde, den Verräter zu finden. Hatte er sich irgendwie verraten? Würde Charly auf ihn kommen? Wenn ja, würde man sich an ihm rächen. Ob er das überleben würde, war fraglich. Wolf dachte für einen kurzen Moment darüber nach, alles hinzuschmeißen und aufzugeben, entschied sich dann aber dagegen. Er war sehr weit gekommen und wollte noch mehr herausfinden. Aus seinen Unterlagen, die er von Dinzinger bekommen hatte, wusste er, dass die Blaue Armee nur ein bunt zusammengewürfelter Haufen von gescheiterten Existenzen gewesen war – bis Charly Eckmann auftauchte und die Leitung übernommen hatte. Die Aktionen wurden von mal zu mal drastischer und brutaler. Heute Nacht hatten die Kameraden Frauen angegrabscht und wild zugeschlagen, was ihn sehr schockiert hatte. Durch einen gezielten Schlag konnte er einen Kameraden gerade noch davon abhalten, sein Messer zu benutzen, was der zum Glück nicht mitbekommen hatte. Ob ihn ein anderer dabei beobachtet hatte? Das riesige Banner am Stadttor war sehr beeindruckend. Es wurde enthüllt und zeitgleich mit Scheinwerfern angestrahlt, was seine Wirkung nicht verfehlt hatte. Was hatte Charly noch alles vor? Gestern hatte er die Bombe platzen lassen und bekanntgegeben, dass zwei Gruppen sich ihnen anschließen würden, deren Mitglieder auch keine Chorknaben waren. Nein, er durfte jetzt nicht aufgeben und musste an der Sache dranbleiben. Wie sollte man die Blaue Armee ohne seine Hilfe stoppen?

Severin Torka hatte beste Laune. Er hatte zwar einige Schläge abbekommen, aber er war fest davon überzeugt, dass die ganze Aktion sehr gut gelaufen war. Noch immer hatte er das Bild vor Augen, als das riesige Banner entrollt worden war. Noch niemals zuvor hatte er so viel Stolz verspürt wie in diesem Moment. Dass ein Verrat stattgefunden hatte und die Polizei gewarnt worden war, hatte er nicht verstanden. Einige Kameraden, die mit ihm in der Arrestzelle saßen, machten Andeutungen, aber die wollte er nicht hören. Er konnte es kaum erwarten, endlich mit Charly zu sprechen und mit ihm und den anderen den Sieg feiern zu können. Dass er festgenommen worden war, war zwar aufregend und wurde immer lästiger, war aber nicht zu vermeiden. Die Polizei konnte ihn nicht endlos festhalten, schließlich lagen keine ausreichenden Gründe dafür vor. Das hatte Charly ihm erklärt und das hatte er verstanden. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er endlich wieder auf freien Fuß kommen würde. Charly war sicher sehr stolz auf ihn. Er hatte viele Böller in die Menschenmenge geworfen und oft zugeschlagen, wozu er seinen Schlagring benutzte, den er von Charly geschenkt bekommen hatte. Was für eine tolle Nacht! Er hatte alles getan, was Charly von ihm verlangte, und darüber hinaus noch sehr viel mehr. Ob seine Mutter ebenfalls stolz auf ihn war, war ihm inzwischen egal. Bis er Charly traf war sie seine wichtigste Bezugsperson, aber das war lange her. Jetzt war es ihm nur noch wichtig, wie Charly über ihn dachte.

Die Spurensicherung war endlich in der Lohberg-Siedlung angekommen. Friedrich Fuchs machte sich sofort an die Arbeit und wies seine Mitarbeiter an. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Leo und Hans hielten sich zurück. Der mürrische Kollege Fuchs wollte nicht gestört werden, was beide respektierten.

Charly Eckmann fand heraus, dass die beiden großen Männer Kriminalkommissare waren. Außerdem sprach es sich schnell herum, dass es wohl einen Toten gab, der vermutlich ermordet wurde. Charly wurde hellhörig. Was war da los? War einer seiner Kameraden durchgedreht? Er drängelte sich durch die Schaulustigen und achtete darauf, dass er jeden Wortfetzten der beiden Kommissare aufschnappen konnte. Die beiden unterhielten sich über alles Mögliche, bis der größere der beiden mit dem schrecklich schwäbischen Akzent endlich etwas fragte, was ihn und seine Kameraden betraf.

„Ob dieser Schlägertrupp der Blauen Armee dahintersteckt?“

„Möglich. Zuzutrauen wäre es ihnen.“ Dann klingelte das Handy des Kommissars mit dem bayerischen Dialekt. Er sprach nur sehr wenig und beendete das Gespräch. „Wir wissen jetzt, wem der Bus gehört. Der Halter ist ein Busunternehmer Wachmann aus München. Ein Mann namens Eckmann aus München hat den Bus angemietet und auch gefahren, sein Führerschein liegt beim Busunternehmen als Kopie. Wir bekommen die Daten per Fax. Da der Bus noch hier ist, müsste die Gruppe auch noch hier sein.“

„Ich bin mir sicher, dass diese Blaue Armee mit dem Bus angereist ist. Und ich verwette meine Großmutter, dass dieser Eckmann eines der Mitglieder ist.“

„Wo bleibt diese Gruppe eigentlich? Müssten die nicht längst hier sein?“

„Vielleicht haben wir alle festnehmen können. Sollten sie dennoch frei herumlaufen, werden die einen Dreck tun und hier auftauchen.“

Charly Eckmann wurde schlecht, als er seinen Namen hörte. Die Polizei wusste jetzt mehr, als ihm lieb war. Verdammter Mist! Wer hätte auch damit rechnen können, dass die Fahrzeuge mitsamt ihrem Bus abgefackelt werden? Es gab einen Toten und die Polizei vermutete, dass er und seine Leute dahintersteckten. Was sollte der Scheiß? Er musste jeden einzelnen seiner Kameraden in die Mangel nehmen und herausfinden, was passiert war. Und sollte einer seiner Leute für den Mord verantwortlich sein, dann Gnade ihm Gott!

 

7.

Die Arrestzellen leerten sich nur langsam. Tatjana war anfangs allein für die Befragungen zuständig, bis Krohmer ihr unter die Arme griff, was auch nicht sehr viel schneller ging. Irgendwann kamen Leo und Hans endlich zur Unterstützung hinzu. Eigentlich wollten sich die beiden um den Mordfall kümmern, aber Krohmer entschied, dass sie sich an den Befragungen der Festgenommenen zu beteiligen hatten, was beide murrend zur Kenntnis nahmen.

Diana Nußbaumer versuchte mehrfach, diversen Uniformierten zu erklären, wer sie war und dass es ein Versehen war, dass man sie eingesperrt hatte – aber sie hatte keinen Erfolg damit. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis sie endlich dran war.

„Sie sind Polizistin?“, sagte Leo überrascht, als er ihre Angaben überprüfte.

„Nicht nur das. Ab heute bin ich Ihre Kollegin.“

„Sie sind die Neue?“ Leo sah die Frau abschätzend an. Sie war noch sehr jung. Und wie sah sie aus? Ihre Kleidung war verschmutzt und teilweise zerrissen. Außerdem hatte sie ein sattes Veilchen und eine aufgeplatzte Lippe.

Diana schämte sich für ihr Aussehen, auf das sie immer großen Wert legte. Sie lächelte gequält.

„Ich hätte meinen ersten Arbeitstag auch gerne sauber gewaschen und in angemessener Kleidung angetreten, aber dazu hatte ich leider keine Möglichkeit. Statt mich zuhause aufzuhübschen und pünktlich meinen Dienst anzutreten, musste ich die letzten Stunden eingepfercht in einer ungemütlichen Arrestzelle verbringen. Das war kein Vergnügen, das können Sie mir glauben.“

Leo besah sich den Bericht, der ihre Festnahme begründete.

„Hier steht, dass Sie einen Mann zusammengeschlagen haben?“

„Stimmt. Allerdings war er nicht der einzige, der Schläge kassiert hat. Da es gegen mich und meine Begleiter Übergriffe gab, sah ich mich zur Verteidigung gezwungen. Ich bin Kampfsportlerin“, fügte Diana erklärend dazu.

„Dann hat der Kollege keinen Fehler gemacht, als er sie festnahm.“ Leo musste sich ein Lachen verkneifen, denn der Bericht schilderte eine brutale Schlägerin, die er in der neuen Kollegin nicht sah.

„Der Kollege hat sich nur dahingehend geirrt, dass ich mich lediglich gewehrt habe, was auch als Polizistin mein gutes Recht ist. Heute Nacht ging alles drunter und drüber, ich mache dem Kollegen keinen Vorwurf, Schwamm drüber. Was hat am Stadtplatz nicht gestimmt? Was war da los? Steckt diese Blaue Armee dahinter?“

„Sie haben das Banner gelesen, verstehe. Durch den BND wurden wir informiert, dass es eine Aktion dieser Gruppe während der Silvesterfeier auf dem Stadtplatz geben soll.“

„Ich verstehe. Die Polizei war vorgewarnt.“

Leo stand auf und reichte ihr die Hand.

„Leo Schwartz. Willkommen im Team.“ Leo gab ihr die Tasche, die ihr bei der Festnahme abgenommen wurde.

„Vielen Dank. Sie sind Schwabe?“

„Hört man immer noch, ich weiß. Den Dialekt verliert man nie. Jetzt werde ich Sie erst mal den Kollegen vorstellen, dann können Sie nach Hause gehen.“

Alle waren überrascht, dass die neue Kollegin viele Stunden in der Arrestzelle verbringen musste. Das war peinlich, aber jetzt nicht mehr rückgängig zu machen. Die beiden Frauen musterten sich.

„Waren Sie diejenige, die mit dem Wasserschlauch gedroht hatte?“

„Ja.“

„Sie haben was?“ Krohmer hörte solche Maßnahmen nicht gerne.

„Es blieb mir keine andere Wahl. Hätten wir zusehen sollen, wie sich die Leute in den Arrestzellen die Köpfe einschlagen? Meine Drohung hat gewirkt, was wollen Sie mehr? Außerdem war es nur Wasser.“

„Hoffen wir, dass das kein Nachspiel geben wird.“

„Und wenn schon.“ Tatjana sah auf die Uhr. Die Befragungen zogen sich endlos hin und sie waren noch lange nicht fertig damit.

„Ich möchte Sie herzlich in unserem Team begrüßen, Frau Nußbaumer. Wir sind hier…“

„Könnten wir den formellen Teil verschieben?“, unterbrach Diana.

„Natürlich können wir das. Sie wollen sicher nach Hause gehen, was ich durchaus verstehen kann.“

„Wenn Sie erlauben, würde ich mich nur kurz frischmachen und Sie dann unterstützen. So, wie ich das sehe, können Sie meine Hilfe gut brauchen.“

Leo, Tatjana, Krohmer und vor allem Hans waren begeistert von der neuen Kollegin. Sie fackelte nicht lange und war trotz der letzten Stunden sofort bereit zu helfen.

„Ich werde Ihnen meinen Jogginganzug bringen. Der wird Ihnen zwar zu groß sein, aber er ist sauber.“

Als Diana in den Spiegel auf der Damentoilette sah, erschrak sie. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie derangiert sie aussah und versuchte, das Notdürftigste mit dem wenigen Make-up und der Haarbürste aus ihrer Handtasche zu kaschieren. Als sie fertig war, sah sie zwar etwas besser, aber immer noch sehr schlimm aus. Dass sie gleich solch einen schlechten Eindruck vermittelte, war ihr peinlich und sie ärgerte sich darüber. Aber es half nichts, mehr war aus ihr im Moment mit dem Wenigen, was ihr zur Verfügung stand, nicht rauszuholen. Tatjana brachte ihr den Jogginganzug, nickte ihr zu und verschwand wieder. Diana warf einen kurzen Blick in den Spiegel. Warum mussten diese Dinger nur immer so hässlich sein? Konnte man die nicht endlich ansprechend und modern gestalten?

Motiviert machte sie sich an die Arbeit, wozu ihr ein Vernehmungsraum zur Verfügung gestellt wurde. Auf den ihr von Leo angebotenen Kaffee verzichtete sie.

„Sie trinken keinen Kaffee?“ Leo war überrascht, denn bisher tranken alle seiner Kollegen sehr gerne und sehr viel Kaffee.

„Ich bevorzuge Tee, von Kaffee wird mir übel.“ Ihre erste Befragung in Mühldorf konnte beginnen.

Leo verdrehte die Augen und machte sich wieder an die Arbeit. Ob die Neue ins Team passte? Er hatte seine Zweifel.

Severin Torka war an endlich an der Reihe. Hans Hiebler hatte das Vergnügen mit dem bockigen Mann aus München. Dass er bereits die fünfte Person aus München war, überraschte ihn nicht. Es lag auf der Hand, dass auch Torka zu dieser ominösen Gruppe gehörte, die heute Nacht den Stadtplatz unsicher gemacht hatte. Hans gab sein Bestes, aber Torka schwieg vehement und grinste dämlich. Nachdem die Personalien festgestellt worden waren, konnte er gehen.

Tatjana hatte nur eine halbe Stunde später Wolf Perlinger vor sich. Als sie verstand, dass er der Informant des BND war, reagierte sie skeptisch.

„Was glauben Sie, wie viel Mist ich mir heute schon anhören musste? Können Sie Ihre Aussage beweisen?“

„Rufen Sie beim BDN an und verlangen Sie Theo Dinzinger. Er kann Ihnen meine Identität bestätigen.“

„Meinetwegen.“ Tatjana rief beim BND an und ließ sich mit Dinzinger verbinden.

„Sie haben Perlinger festgenommen? Sind Sie wahnsinnig? Lassen Sie den Mann sofort wieder laufen!“

„Nicht in dem Ton, Herr Dinzinger!“, schrie Tatjana zurück.

„Ich bitte Sie – nein, ich befehle Ihnen, den Mann sofort gehen zu lassen! Wir haben viel Zeit und Geld in seine Tarnung investiert, die ich mir von Ihnen nicht kaputtmachen lassen!“ Theo Dinzinger war außer sich. Er hatte die ganze Nacht über auf eine Nachricht von Wolf Perlinger gewartet. Was er jetzt hörte, gefiel ihm absolut nicht. „Hören Sie, Kollegin – wie auch immer Sie heißen! Machen Sie, was ich Ihnen sage, sonst….“

„Was sonst? Wollen Sie mir drohen?“

„Geben Sie mir Ihren Vorgesetzten! Geben Sie mir Krohmer! Sofort!“

Tatjana war stinksauer. Es kam nicht oft vor, dass man so mit ihr sprach. Sie war übernächtigt und hatte noch lange nicht Feierabend, was ihre Laune allein schon stark belastete. Und dazu dann noch dieser Befehlston dieses aufgeblasenen Mannes – das brachte das Fass fast zum Überlaufen. Trotzdem nahm sie sich zusammen und zwang sich, ruhig zu bleiben, obwohl sie Dinzinger am liebsten die Meinung gegeigt hätte. Dass sie und Dinzinger keine Freunde werden würden, war klar. Sie bat einen Kollegen, auf Perlinger aufzupassen und suchte nach Krohmer.

Rudolf Krohmer befasste sich gerade mit einem jungen Burschen aus Waldkraiburg, der wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl kauerte. Die letzten Stunden und die Befragung hatten ihn sehr eingeschüchtert.

„Chef? Haben Sie eine Minute?“

Krohmer und Tatjana traten auf den Gang.

„Ich habe einen gewissen Wolf Perlinger bei mir sitzen. Er sagt, dass er ein Informant des BND sei, was ein Herr Dinzinger vom BND bestätigt hat. Er möchte mit Ihnen sprechen. Der hat einen Ton drauf, dass man kotzen könnte“, fügte sie hinzu, als sie Krohmer das Telefon reichte.

Krohmer wusste genau, mit wem er es zu tun hatte. Theo Dinzinger war es gewöhnt, dass man machte, was er verlangte. Widerspruch ließ er nicht zu. Dinzinger hatte Kontakte zu den obersten Stellen, was man nicht unterschätzen durfte. Krohmer musste bei dem Mann diplomatisch aber bestimmt vorgehen, sonst würde er ihn nicht ernst nehmen.

Die Diskussion zwischen den beiden Männern war kurz und heftig, wobei sich keine Seite zurückhielt.

„Sie gefährden eine verdeckte Ermittlung, die wir sehr lange vorbereitet haben. Lassen Sie den Mann sofort frei!“

„Wieso weiß ich von dem Mann nichts? Warum wurde ich nicht informiert?“ Krohmer war sauer. „Was ist das für eine Vorgehensweise, Herr Dinzinger? Wäre es nicht richtig gewesen, wenigstens mich in Kenntnis zu setzen?“

„Sie werden verstehen, dass wir jede Möglichkeit einer undichten Stelle ausschließen müssen. Deshalb unterliegt diese Angelegenheit oberster Sicherheitsstufe.“

„Soll das heißen, dass Sie mir nicht vertrauen? Übertreiben Sie es nicht, Dinzinger. Sie wissen, mit wem Sie sprechen!“

Dinzinger wusste das sehr wohl. Seine Antwort war unüberlegt, jetzt war Krohmer, dessen Kontakte auch er fürchtete, zu Recht sauer.

„Ich entschuldige mich, falls das für Sie so geklungen hat, Herr Krohmer. Lassen Sie unseren Informanten frei. Sorgen Sie dafür, dass sein Name nicht die Runde macht. Ich sehe ein, dass es richtig gewesen wäre, Sie zu informieren und schlage vor, das heute Nachmittag nachzuholen. Darf ich Sie gegen fünfzehn Uhr anrufen?“

„Gerne.“

„Dann lassen Sie Perlinger jetzt frei?“

„Selbstverständlich!“

Dass Tatjana längst geplaudert hatte, wusste Krohmer nicht. Die Neuigkeit über einen Informanten machte unter den Kollegen schnell die Runde. Warum hätte sie das auch nicht erzählen sollen, schließlich nannte sie keine Namen. Schnell begann das Rätselraten, um wen es sich handeln könnte, aber niemand kam darauf, dass es der unscheinbare Wolf Perlinger war. Der Mann sah durchschnittlich aus und verhielt sich wie alle anderen auch. Er pöbelte und machte keine Aussagen, zumindest nicht vor anderen. Wer war es?

Krohmer ging in den Vernehmungsraum zu Wolf Perlinger. Krohmer bat den Uniformierten, hinauszugehen, damit er mit dem Mann allein sprechen konnte.

„Dinzinger hat Ihre Angaben bestätigt.“

„Na also! Kann ich jetzt endlich gehen?“

„Noch nicht. Was können Sie mir über die Mitglieder berichten?“

„Moment! Warum mischen Sie sich da ein? Das ist eine Sache zwischen mir und Dinzinger.“

„Nicht ganz. Sie und Ihre Leute haben bei uns randaliert und somit Schaden angerichtet. Sicher werden Sie verstehen, dass ich als Mühldorfer Polizeichef ein Interesse an mehr Informationen habe, was die Aktion auf dem Stadtplatz und natürlich die Mitglieder der Blauen Armee betrifft.“

„Firlefanz! Das, was heute Nacht passiert ist, war doch nichts. Es wurde niemand ernsthaft verletzt.“ Wolf Perlinger lehnte sich zurück und sah demonstrativ auf die Uhr. Was wollte dieser Provinzbulle von ihm? Er sprach nur direkt mit Dinzinger, sonst mit niemandem.

„Es gibt einen Toten.“

„Was? Damit haben wir nichts zu tun!“ Wolf wurde schlecht. Hatte es einer seiner Kameraden übertrieben? Nein, das konnte nicht sein, das würde Charly niemals dulden.

„Es gibt eine verbrannte Leiche, die wir noch nicht identifiziert haben. Der Bus, mit dem Sie und Ihre Leute angereist sind, stand in unmittelbarer Nähe. Er ist ebenfalls ausgebrannt.“

„Das besagt überhaupt nichts! Es ist reiner Zufall, mehr nicht! Dass unser Bus abgefackelt ist, müsste Ihnen sagen, dass wir Opfer und nicht Täter sind. Ich versichere Ihnen, dass weder ich, noch meine Kameraden, irgendetwas damit zu tun haben. Und jetzt lassen Sie mich gehen. Je länger ich hier noch sitze, desto mehr gerät meine Tarnung in Gefahr, verstehen Sie das nicht?“

 

„Sie können gehen. Seien Sie versichert: Sollte sich herausstellen, dass einer Ihrer Gruppe, oder gar Sie selbst, irgendetwas mit dem Toten zu tun haben, werde ich Sie drankriegen.“

„Dazu müssten Sie mich erstmal finden“, lachte Wolf und stand auf.

„Sie haben eine Eigenart, die Ihnen irgendwann das Genick brechen wird, Perlinger: Sie überschätzen sich und unterschätzen andere. Und jetzt machen Sie, dass Sie wegkommen, bevor ich es mir anders überlege!“ Es war offensichtlich, dass Krohmer den Mann nicht mochte. Er lehnte sich zurück und rieb sich die Augen. War es ein Fehler, einen Tatverdächtigen gehen zu lassen? War Perlinger überhaupt verdächtig? Oder einer seiner Kameraden? Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er diesen aufgeblasenen Möchtegern-Gangster in die Zelle zurückgebracht. Aber nach ihm ging es nicht.

Leo Schwartz stand am Fenster auf dem Flur und hielt einen Kaffeebecher in der Hand. Der wievielte Kaffee das war, wusste er nicht mehr.

„Was gibt es Interessantes“, wollte Hans Hiebler wissen, der sich ebenfalls einen weiteren Kaffee geholt hatte. Während Leo inzwischen der einzige war, der in den beheizten Räumen richtig gekleidet war, schwitze Hans in seiner Thermohose, obwohl er schon vor zwei Stunden die lange Unterhose und das dicke Unterhemd ausgezogen hatte.

„Siehst du den Mann dort mit den dunklen Haaren, der auf den Kleineren zugeht?“

Hans sah aus dem Fenster auf den Parkplatz.

„Ja, ich sehe ihn. Was ist mit ihm?“

„Ich vermute, dass er der Informant ist, von dem Tatjana sprach.“

„Aha. Und wie kommst du darauf?“

„Er kam vorhin aus dem Vernehmungszimmer 3, in dem Krohmer sitzt.“

„Und das allein sagt dir, dass das der Informant ist?“

„Krohmer hat allein mit dem Mann gesprochen.“

„Das ist allerdings interessant. Sehr interessant sogar.“

Beide schwiegen und beobachteten, wie sich die beiden Männer unterhielten.

„Was meinst du, Leo? Lust auf eine kleine Beschattung?“

„Auf jeden Fall! Was sagen wir den Kollegen?“

„Die werden auch ohne uns klarkommen. So viele Befragungen stehen ja nicht mehr an, außerdem ist die Neue da und somit wären sie zu dritt.“

„Und der Tote?“

„Um den kümmern wir uns später. Bis wir die Auswertung der Spurensicherung haben, haben wir sowieso nichts in der Hand.“

„Dann los!“

„Du willst Krohmer wirklich nicht informieren?“

„Vorerst nicht. Wir verfolgen die beiden Männer und sehen, was passiert. Sollte sich etwas ereignen, das für den Chef von Bedeutung ist, können wir ihn immer noch informieren.“

„Einverstanden.“

Severin Torka wurde ungeduldig. Wie lange wollte die Polizei seinen Kumpel Wolf noch in die Mangel nehmen? Er hatte gesehen, wie er in einen der Vernehmungsräume geführt wurde und das war ewig her. Müsste Wolf nicht längst fertig sein? Es hätte nicht viel gefehlt, und Severin wäre misstrauisch geworden, aber dann kam Wolf endlich. Sie rauchten eine Zigarette und machten sich über die Polizisten lustig.

„Was wollten die Trottel von dir?“

„Das übliche.“

„Hast du den Bullen etwas gesagt?“

„Kein einziges Wort! Hast du gehört, dass es einen Toten gab?“

„Einen Toten?“ Severin erschrak.

„Keine Sorge, mein Freund. Wenn das wirklich stimmt, woran ich meine Zweifel habe, dann haben wir ganz sicher nichts damit zu tun. Suchen wir Charly, der wird sicher schon auf uns warten.“

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