Die Affäre Mollenkopf

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Aus der Reihe: Leo Schwartz #6
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„Sie besitzen mehrere Immobilien und sogar ein Boot am Chiemsee?“

„Ja, aber das gehört alles meinem Mann.“

„Hat er das alles während Ihrer Ehe gekauft?“

Wieder nickte sie.

„Haben Sie irgendwelche Papiere während Ihrer Ehe unterzeichnet, wodurch Sie auf Ansprüche verzichtet haben?“

Nervös fuhr sie sich durchs Haar. Leo war sich aufgrund ihrer Reaktionen sehr sicher, dass sie die Wahrheit gesagt hatte und wirklich davon überzeugt war, dass sie ohne ihren Mann nichts besaß.

„Ich weiß es nicht.“

„Andersrum gefragt: Waren Sie mit Ihrem Mann beim Notar und haben dort Verträge oder Vereinbarungen unterzeichnet?“

„Nein, niemals, das kann ich definitiv verneinen.“

„Dann sind Sie keineswegs von Ihrem Mann finanziell abhängig. Ganz im Gegenteil, Ihnen gehört von allem die Hälfte. Sie müssen sich umgehend selbst über Ihre persönliche finanzielle Lage informieren, denn wir haben erfahren, dass Ihr Mann in letzter Zeit Immobilien veräußert hat und sogar das Boot verkauft hat.“

„Aber….Was bedeutet das?“

„Um es auf den Punkt zu bringen: Ihr Mann schafft Geld zur Seite!“

Das hatte gesessen, Alexandra Mollenkopf schrak zusammen. Sie brauchte einige Minuten, um wieder zu sich zu kommen.

„Das kann doch alles nicht stimmen. Mein Mann hat meinen Schmuck verkauft, um die Immobilien und das Boot behalten zu können. Wir hatten einen kurzfristigen finanziellen Engpass, der durch den Verkauf des Schmuckes aufgefangen werden konnte. Viele dieser Stücke waren Erbstücke meiner Familie und der Verkauf hatte mir sehr zugesetzt. Aber mit dem Erlös des Schmuckes war mein Mann nicht gezwungen, die Immobilien anzugreifen. Ich wollte meinen Teil dazu beitragen und war sehr froh darüber, als mich mein Mann um meine Hilfe und Unterstützung bat. Mein Mann würde doch niemals hinter meinem Rücken Geld zur Seite schaffen, nicht nachdem ich ihm meinen Schmuck überlassen habe. Das war doch alles, was ich hatte.“

„Sie wissen, was sich in dem Safe befand?“

Sie schüttelte den Kopf und sah ihn an.

„Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich niemals Zugang zu diesem Safe hatte.“

„Ich sage Ihnen, was sich angeblich in diesem Safe befunden hatte: 142.000 Euro Bargeld, gesammelte Einnahmen der letzten Tage. Goldmünzen im Wert von zwanzigtausend Euro und Ihr persönlicher Schmuck.“

„Wie bitte? Ich habe doch die Einnahmen der letzten Tage jeden einzelnen Tag selbst zur Bank gebracht, wie immer. Und die Goldmünzen wurden doch zusammen mit meinem Schmuck verkauft, das ist doch bestimmt schon ein halbes Jahr her. Ich besitze keinen wertvollen Schmuck mehr! Sehen Sie selbst. Die Ringe und die Kette sind Modeschmuck und keine hundert Euro wert. Wenn der Schmuck und die Goldmünzen noch hier waren, hätte mein Mann mich ja nach Strich und Faden belogen und betrogen. Nein, so sehr kann er mich doch nicht hassen.“

Leo tat diese Frau sehr leid, für sie brach in diesem Moment nicht nur eine Welt zusammen, sondern sie begriff, wie dumm und naiv es war, ihrem Mann jede Lüge zu glauben.

„Sie wissen, dass er mit Frau Schmidt ein Verhältnis hat?“

Sie nickte kaum merklich.

„Natürlich weiß ich es, und zwar schon seit Jahren. Aber unsere Ehe ist zu Ende und wenn ich ehrlich bin, bin ich froh, wenn ich Herbert nach Geschäftsschluss nicht auch noch ertragen muss. Aber das mit den beiden ist mir auch völlig egal, sie sollen doch machen, was sie wollen. Bitte helfen Sie mir! Wo soll ich anfangen und an welcher Stelle erfahre ich, was mein Mann verkauft hat und was nicht? Ich kann ihn ja schlecht selber fragen.“

„Um Gottes Willen, tun Sie das auf keinen Fall, damit würden Sie ihn nur aufschrecken. Ich spreche jetzt nicht als Polizist zu Ihnen, sondern als Privatperson: Bringen Sie so unauffällig wie möglich in Erfahrung, was hinter Ihrem Rücken alles läuft und nehmen Sie sich einen Anwalt. Sonst stehen Sie irgendwann wirklich ohne einen Cent da. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.“

„Das schaffe ich nicht, das schaffe ich niemals. Mein Mann wird sofort merken, dass ich hinter seinem Rücken agiere.“

Sie starrte auf ihre Kaffeetasse und war völlig durcheinander.

„Ich verstehe, dass das jetzt alles sehr viel für Sie ist, aber Sie müssen jetzt stark sein. Reißen Sie sich zusammen, sonst ist alles umsonst gewesen, was Sie die ganzen Jahre erdulden mussten. Was wird aus Ihnen, wenn Sie mittellos dastehen? Denken Sie an Ihre Eltern, sie würden bestimmt nicht wollen, dass ihre Tochter Sozialhilfe bezieht.“

„Nein, das würden sie wirklich nicht, da haben Sie vollkommen Recht. Ich bin froh, dass sie das alles nicht mehr miterleben müssen. Bis zu ihrem Tod habe ich ihnen vorgelogen, wie glücklich ich bin und dass sie sich keine Sorgen machen müssen, obwohl sie das ganz bestimmt bis zum Schluss getan haben. Aber ich weiß nicht, ob ich die Kraft habe, das alles durchzustehen. Ich habe auch Angst davor, herauszufinden, was wirklich hinter meinem Rücken gelaufen ist. Aber vor allem habe ich Angst vor Herbert, er kann sehr ungehalten werden.“

„Ich kann Ihre Angst nachvollziehen. Sie müssen das nicht alleine durchstehen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen helfen. Überlegen Sie in aller Ruhe, ich möchte Sie zu nichts drängen.“

„Ich bin auch für Sie da, wenn Sie Hilfe brauchen,“ fügte Hans hinzu. „Überlegen Sie es sich, Sie sind nicht allein.“

„Warum sind Sie beide so nett zu mir?“

„Weil wir solche Männer wie Ihren Mann nicht leiden können, deshalb. Was glauben Sie, was wir schon alles in unserem Beruf miterleben mussten. Wir kennen Typen wie Ihren Mann. Und dagegen sind wir allergisch.“ Hans ging nach draußen, um Luft zu schnappen. Er hasste Männer, die Frauen unterdrückten und mies behandelten. Und dass bei den Mollenkopfs eine ganz linke Tour ablief, lag auf der Hand. Dann bemerkte er Mollenkopf, wie er zusammen mit der Sekretärin das Geschäft betrat und nach wenigen Minuten wieder herauskam. Er lief direkt auf das Café zu. Rasch ging er wieder ins Café.

Leo bezahlte gerade und hakte Alexandra Mollenkopf unter.

„Mollenkopf ist zurück. Ich glaube, er kommt direkt hierher.“

Frau Mollenkopf wurde panisch, aber Leo beruhigte sie umgehend.

„Bleibt ihr beide noch hier. Ich fange ihn ab und nehme ihn mit aufs Revier, mir fällt schon noch ein Grund dafür ein.“

Alexandra Mollenkopf und Leo beobachteten, wie sich Hans und Mollenkopf heftig stritten. Dann gingen sie zu Hans‘ Wagen, stiegen ein und fuhren davon.

„Das war knapp,“ lachte Leo. Auch, um die Situation zu entschärfen.

„Das hier ist doch Irrsinn und muss ein Ende haben. Ich kann nicht mein ganzes Leben lang vor meinem Mann davonlaufen. Ich nehme Ihre Hilfe an, Herr Schwartz. Ich werde gegen meinen Mann ankämpfen.“

„Sind Sie sicher?“

„Ja, das bin ich. Ich möchte mir das unverschämte Verhalten und diese unglaublichen Lügen meines Mannes nicht mehr gefallen lassen. Sie haben mich ordentlich aufgerüttelt. Ich möchte jetzt für mich und meine Rechte kämpfen.“

Sie setzten sich wieder, um zu besprechen, was zu tun war, denn noch hatte Leo keinen Plan. Sein Handy klingelte, Viktoria war anscheinend schon auf der Suche nach ihm. Jetzt hatte er keine Zeit für sie und schaltete das Handy einfach aus. Später würde er ihr alles erklären und so, wie er sie kannte, hatte sie bestimmt Verständnis.

„Was halten Sie von folgendem Vorschlag: Wir gehen gemeinsam zur Bank und Sie besorgen sich dort die ersten Informationen. Danach fahre ich Sie nach Hause und Sie packen das Nötigste für ein paar Tage. Dann bringe ich Sie an einen Ort, wo Sie vor Ihrem Mann sicher sind. Dort schalten Sie einen Anwalt ein, der alle juristischen Schritte einleitet.“

Alexandra Mollenkopf musste sich konzentrieren, um alles zu verstehen, und sah dabei aus wie ein erschrecktes Reh.

„Keine Angst, ich werde Sie begleiten.“

„Aber Sie können nicht immer auf mich aufpassen. Sie haben Arbeit und ein Privatleben, das will und kann ich Ihnen nicht zumuten. Außerdem wäre mir das Ganze auch peinlich, weil ich Sie ja eigentlich überhaupt nicht kenne.“

„Sie haben Recht,“ überlegte Leo, der wirklich nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen konnte. „Was halten Sie davon, wenn eine Freundin an Ihrer Seite wäre?“

„Ich habe hier keine Freundin, leider. Mein Mann hat schon vor Jahren dafür gesorgt, dass ich keine sozialen Kontakte pflegen konnte.“

Das war wirklich ein Problem und Leo überlegte lange, bis er endlich eine Idee hatte.

„Und wenn ich eine Freundin hätte, die Sie unterstützt und auf Sie aufpasst? Ich kenne eine sehr zuverlässige, vertrauensvolle und äußerst redegewandte Person, die sich so leicht vor nichts und niemandem fürchtet.“

„Das würden Sie für mich tun?“

„Klar. Ich hätte gleich auf die Idee kommen sollen.“

Alexandra Mollenkopf sah ihn ungläubig an, während Leo sein Handy wieder einschaltete. Acht entgangene Anrufe von Viktoria, das gab bestimmt mächtig Ärger. Aber das würde er später klären.

Er wählte die Nummer seiner besten Freundin Christine Künstle, Pathologin in Ulm.

„Leo? Dass du dich auch mal meldest, das grenzt ja schon an ein Wunder. Was ist los?“ Die 62-Jährige spürte sofort, dass Leos Anruf wichtig war.

Leo schilderte ihr die Situation, wobei er auf die Reaktion von Frau Mollenkopf keine Rücksicht nahm. Ihr war es sehr peinlich, dass ein Polizist sehr persönliche und auch intime Informationen an eine wildfremde Frau weitergab.

Christine hörte sich alles an und unterbrach ihn nicht. Eine Eigenschaft, die Leo sehr an ihr schätzte.

„Und deshalb brauche ich deine Hilfe,“ beendete er seine Schilderung.

 

„Verstehe. Gut, ich bin quasi unterwegs. Bring die Frau am besten zu Gerda, dort treffen wir uns.“ Sie hatte aufgelegt, denn für sie war klar: Leo brauchte ihre Hilfe, also war sie selbstverständlich zur Stelle.

„Meine Freundin ist unterwegs und wird in wenigen Stunden an Ihrer Seite sein. Sie sehen, Sie sind nicht allein.“

„Ich kann das alles gar nicht glauben. Und wo soll ich hin?“

„Zu Tante Gerda, einer ganz lieben, warmherzigen Frau, bei der Sie sich bestimmt sehr wohl fühlen.“

Leo telefonierte mit Gerda, die natürlich sofort ihre Zustimmung gab. Sie freute sich nicht nur, Leo helfen zu können, sondern vor allem auf Christine, die sie ebenfalls in ihr Herz geschlossen hatte.

Alexandra Mollenkopf war das Ganze sehr unangenehm, aber es war wie ein Glücksfall für sie, dass Leo Schwartz die Organisation übernahm, denn sie war dafür viel zu ungeschickt und zögerlich. Sie kannte weder den Polizisten näher, noch diese Christine Künstle und Gerda. Jetzt musste sie sich in völlige fremde Hände begeben und hatte unsägliche Angst davor. Aber sie vertraute Herrn Schwartz, den ihr wohl der Himmel geschickt hatte.

Die beiden gingen direkt zur Bank. Frau Mollenkopf war sehr ruhig, ihr gingen die wildesten Gedanken durch den Kopf. Vielleicht übertrieb der Polizist ja doch und Herbert hatte nichts hinter ihrem Rücken gemacht. Aber was war mit dem Schmuck? Warum lag der Schmuck immer noch im Safe, obwohl ihr Mann glaubhaft versichert hatte, ihn verkaufen zu müssen, um die Firma zu retten? Das hätte er nicht tun dürfen! Sie hing sehr an dem Schmuck, den sie zum größten Teil von ihren Eltern geerbt hatte. Einige Stücke davon waren seit Generationen in Familienbesitz. Sie erinnerte sich schmerzlich an den Brief ihrer Mutter, der ihr zusammen mit dem Schmuck nach deren Tod übergeben wurde. Ihre Mutter hatte nochmals den Wert der Stücke verdeutlicht, der später einmal Teil ihrer Altersabsicherung sein sollte. Wenn der Schmuck tatsächlich immer noch im Safe lag, hatte Herbert sie belogen und betrogen. Das konnte sie sich nicht gefallen lassen.

„Was soll ich sagen? Ich kann doch nicht fragen, ob ich eine Kontovollmacht besitze, die lachen mich doch aus.“

„Versuchen Sie einfach, Geld von Ihrem Konto abzuheben, dann sehen wir, was passiert. Nur Mut, ich bin bei Ihnen, egal was passiert.“

„Guten Tag, Frau Mollenkopf,“ begrüßte sie der Schalterbeamte, vor dem ein riesiges Schild mit dem Namen SCHNEIDER stand. „Sie kommen heute außergewöhnlich früh. Ich habe gehört, bei Ihnen wurde eingebrochen?“

„Guten Tag, Herr Schneider. Ja, eine schreckliche Geschichte, wir sind alle noch fix und fertig. Ich würde gerne von unserem Privatkonto Geld abheben.“

Sie war nervös, ihr wurde schlecht und sie musste sich an Leos Arm festhalten. Sie drohte, augenblicklich umzukippen. Leo legte seine Hand beruhigend auf ihre, was sie nicht zu merken schien. Sie war ganz auf Schneiders Reaktion fokussiert. Was würde jetzt passieren? Nach den Informationen ihres Mannes hatte sie keinen Zugang zu den Konten. Würde der nette Herr Schneider sie jetzt vor aller Augen auslachen und sie unverrichteter Dinge wieder wegschicken?

Zu Ihrer Überraschung war die Reaktion aber eine ganz andere.

„Sehr gerne, Frau Mollenkopf. Wie viel hätten Sie gerne?“

Jetzt war sie beinahe überrumpelt, denn sie hatte sich überhaupt noch nicht überlegt, welche Summe sie abheben wollte. Sie war davon überzeugt gewesen, dass sie kein Geld bekommen würde.

„Zehntausend Euro,“ hörte sie sich selber sagen.

„Gerne.“

Das war kein Problem? Sie bekam einfach so diese riesige Summe ausbezahlt? War das möglich? Könnte sie auch eine höhere Summe verlangen? Wie würde Herr Schneider darauf reagieren?

„Warten Sie,“ sagte sie jetzt deutlich selbstbewusster, „dreißigtausend Euro wären mir lieber.“

„Wie Sie wünschen.“ Herr Schneider tippte auf seinem Computer und legte ihr einen Beleg vor. „Wenn Sie mir hier bitte unterschreiben?“

Sie nahm den ihr gereichten Kugelschreiber und unterschrieb mit zitternder Hand. Niemand interessierte sich für ihre Unsicherheit, denn weder Herr Schneider noch die anderen Bankangestellten, die sie freundlich grüßten, nahmen davon Notiz. Das Geld wurde unendlich lange direkt vor ihren Augen abgezählt und Herr Schneider steckte das Bündel in einen Umschlag. Warum hatte Herbert ihr erzählt, dass sie einen finanziellen Engpass hatten, wenn es überhaupt kein Problem war, so eine hohe Summe einfach so abzuheben? Hatten sie sich zwischenzeitlich vielleicht wieder deutlich erholt? Jetzt wollte sie es wissen: Wie viel Geld war auf dem Konto?

„Den aktuellen Kontoauszug würde ich gerne mitnehmen, habe aber meine Karte für den Auszugsdrucker vergessen.“

„Das ist doch kein Problem, Frau Mollenkopf.“ Er tippte auf seinem Computer. „Ich kann Ihnen nur die Auszüge für das Girokonto geben, für die anderen beiden Konten wurden entsprechende Vermerke hinterlegt.“

„Es gibt noch zwei Konten?“, rief sie überrascht aus.

Herr Schneider nickte nur. Er bemerkte schon seit Jahren, dass dieser Unsympath von Mollenkopf seine Frau nicht nur kurz hielt, sondern seine Bankgeschäfte hinter ihrem Rücken abwickelte.

Leo war sehr stolz auf Frau Mollenkopf, da sie trotz der Aufregung an die Kontoauszüge gedacht hatte. Die Aussage und der Gesichtsausdruck des Herrn Schneider überraschten ihn und er wurde hellhörig. Eins war sicher: Herbert Mollenkopf war ein durchtriebenes, rücksichtsloses Schwein. Leo musste diesen Konten so schnell wie möglich nachgehen. Aber dafür war später Zeit.

Herr Schneider tippte auf seinem Computer, ging zum Drucker und überreichte Frau Mollenkopf die gewünschten Kontoausdrucke.

„Bitteschön, Frau Mollenkopf. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, bis später.“

Sie wagte es nicht, einen Blick auf den Kontoauszug zu werfen, sie wollte nur noch weg. Leo und Frau Mollenkopf bedankten sich und verließen die Bank. Nach wenigen Metern versagten ihre Beine, sie sank förmlich in sich zusammen. Leo half ihr auf und zog sie in eine Seitenstraße, wo sie sich ganz langsam beruhigte.

„Das hat geklappt, das hat wirklich geklappt. Herbert hat mich angelogen, ich habe Zugang zu unserem Konto. Sie haben mitbekommen, wie einfach es war, dreißigtausend Euro auf den Tisch zu blättern. Und was hat es mit diesen beiden anderen Konten auf sich? Sie hatten recht, Herr Schwartz, mein Mann bescheißt mich.“

„Darum kümmern wir uns später. Wie sieht es mit dem Kontoauszug aus? Darf ich?“

Leos Mund stand sperrangelweit auf, als er den Betrag in der Habenspalte las: Auf diesem Konto waren über eine halbe Million Euro! Wortlos gab er Frau Mollenkopf den Ausdruck. Sie brauchte lange, bis auch sie begriffen hatte, welch hohe Summe auf dem gemeinsamen Konto war.

„Dieser hinterfotzige Arsch,“ entfuhr es ihr in österreichischem Dialekt. „Sehen Sie sich das an,“ sie übergab Leo die Kontoauszüge. Sie war geschockt und wütend. „Von diesem vermeintlich finanziellen Engpass haben wir uns offensichtlich sehr gut erholt. Mein Schmuck und die Goldmünzen mussten nicht verkauft werden, sondern befanden sich immer noch in Herberts Besitz. Können Sie sich vorstellen, wie ich mich jetzt fühle? Der Mann hat mich nicht nur richtiggehend belogen und betrogen, sondern hält mich für unsagbar dumm. War ich die ganze Zeit wirklich so naiv und so leicht zu betrügen? Warum habe ich nie nachgehakt oder wenigstens seine Aussagen hinterfragt? Mein Gott, was bin ich nur für eine dusselige, naive Kuh.“

Sie war fassungslos und konnte lange nicht begreifen, was eben passiert war. Leo nahm sie einfach mit sich, setzte sie in seinen Wagen und fuhr los Richtung Altötting. Das Ziel war Tante Gerda. Er verzichtete darauf, zuhause bei Frau Mollenkopf anzuhalten, um persönliche Dinge zu packen, denn das hätte die Frau momentan emotional nicht geschafft. Das war auch nicht so wichtig, das konnten sie später erledigen. Frau Mollenkopf war fix und fertig und sprach nun nach diesem Redeschwall kein einziges Wort mehr. Sie blickte nur starr vor sich hin. In ihr zerbrach einfach alles, an das sie geglaubt und festgehalten hatte. Ihr ganzes Leben kam ihr wie eine Lüge vor. War das die Realität oder nur ein schlechter Film? Nein. Das, was sie eben erlebt hatte, war real. Sie wünschte sich weit weg in eine andere Welt. Warum konnte sie nicht einfach irgendwo anders sein? Sie erträumte sich ein Haus am Meer, bis sie das Wasser rauschen und die Möwen schreien hörte. Das hatte sie schon als Kind immer so gemacht, wenn etwas passiert war, mit dem sie nichts zu tun haben wollte. Und jetzt fühlte sie sich wieder daran erinnert und war mit ihren Gedanken ganz, ganz weit weg.

Tante Gerda besaß ein kleines Anwesen bei Altötting, wo auch Leo im neu ausgebauten ersten Stock wohnte. Die Frau wurde überall nur Tante Gerda genannt, weil sie tatsächlich die Tante von Hans Hiebler war und von allen geliebt wurde. Sie hatte ein sehr freundliches, warmherziges Wesen und hatte sich nach der kurzen Schilderung von Leo natürlich sofort bereiterklärt, das Gästezimmer zur Verfügung zu stellen und sich um die Frau zu kümmern. Um wen es sich dabei handelte, war ihr völlig egal. Es genügte ihr, dass Leo sie um Hilfe bat. Tante Gerda besaß ein so großes Herz, dass sie immer und überall ihren Freunden und Verwandten sehr, sehr gerne half. Allerdings nur, soweit es in ihrer Macht stand, denn mit ihren 72 Jahren war auch sie nicht mehr die Jüngste, obwohl sie sich alle Mühe gab, fit zu bleiben.

Die Fahrt war bis auf das ständige Klingeln von Leos Handy sehr ruhig. Alexandra Mollenkopf sprach immer noch kein einziges Wort.

„Wir sind da,“ sagte Leo leise, während er ihr die Wagentür aufhielt.

Tante Gerda hatte sie längst gehört und lief ihnen zusammen mit dem Mischlingshund Felix entgegen. Den ehemaligen Hofhund, der von klein auf an der Kette hing und ein jämmerliches Dasein fristete, hatte Leo bei einem Fall vom Sinder-Hof in Tüßling völlig verwahrlost und abgemagert gerettet. Tante Gerda nahm ihn zu sich und Felix führte nun hier bei der alten Dame ein regelrechtes Luxusleben. Alle Wunden waren längst verheilt und er war inzwischen sogar etwas zu dick geworden. Darüber hinaus hatte Felix dank der Hilfe von Tante Gerda wieder Vertrauen zu Menschen gefunden.

Christine Künstle war schon seit über einer Stunde auf dem Weg von Ulm nach Altötting. Sie hatte nur schnell das Nötigste eingepackt. Der Vorgesetzte Michael Zeitler, bei dem es sich zum Glück auch noch um ihren Bruder handelte und der ihr keinen Wunsch abschlagen konnte, gab grünes Licht und sie nahm unbefristeten Urlaub. Seit einigen Monaten arbeitete ein junger Pathologe in ihrer Abteilung, der eines Tages ihre Arbeit übernehmen sollte. Christine hatte nicht mehr lange bis zur Rente, was sie sich natürlich nicht eingestand. Das Zepter wollte sie sich so schnell nicht aus der Hand nehmen lassen. Ihr Kollege war sehr erfreut über die Nachricht ihres spontanen Urlaubs und sehr glücklich darüber, für die nächste Zeit Ruhe vor ihr zu haben. Von Christine konnte man zwar sehr viel lernen, aber sie war als Chefin gefürchtet und verlangte ihren Mitarbeitern sehr viel ab. Sie blieb ihrem harten Image treu, auch wenn sie im Grunde eine warmherzige, gutmütige und sehr mitfühlende Person war. Sie hatte sich zu Beginn ihrer Karriere eine raue Schale zugelegt, um ernst genommen zu werden. Als sie damals mit ihrer Ausbildung anfing, war es nicht selbstverständlich, dass Frauen in diesem Beruf Karriere machten. Sie musste meist viel besser sein, als ihre männlichen Kollegen, und sich immer wieder dumme Sprüche und frauenfeindliche Witze gefallen lassen. Nur ihre engsten Freunde, zu denen Leo zählte, kannten bislang ihren wahren Charakter. Und seit dem letzten Fall in Oberbayern, an dem sie aktiv mitgearbeitet hatte, nun auch Leos hiesige Kollegen und Tante Gerda, die sie sehr mochte.

Christine war flott unterwegs. Sie freute sich riesig auf Leo, den sie schon seit vielen Wochen nicht mehr gesehen hatte.

Alexandra Mollenkopf wurde von Tante Gerda mit offenen Armen empfangen. Felix begrüßte die Fremde auf seine Art, indem er ständig an ihr hochsprang. Natürlich kannte Tante Gerda Frau Mollenkopf von diversen Zeitungsfotos und auch aus dem Modegeschäft, hatte aber persönlich noch nie mit ihr zu tun gehabt. Sie setzte die immer noch stille Frau auf ihre neue Couch. Felix nutzte die Gelegenheit, sprang auf ihren Schoß und leckte ununterbrochen ihre Hand. Er sah sie mit seinen dunklen Kulleraugen an und wollte die Fremde für sich zu gewinnen, denn bislang hatte sie sich nicht um ihn gekümmert, was er nicht verstand. Sonst stand er bei allen Besuchern stets im Mittelpunkt und wurde mit einem Leckerbissen belohnt. Heute war das nicht so und er musste sich anstrengen.

 

Tante Gerda hatte starken Kaffee gekocht, den sie der Frau nun servierte. Dann setzte sie sich ihr gegenüber. Frau Mollenkopf war vollkommen abwesend und schien nicht das Geringste um sich herum zu bemerken.

Leo ging vor die Tür und rief Viktoria an, die ihm zunächst eine kräftige Standpauke hielt.

„Was fällt dir ein, dich nicht zu melden? Weißt du, wie oft ich schon versucht habe, dich zu erreichen? Wir haben uns die größten Sorgen gemacht! Was um alles in der Welt ist passiert?“

„Ich würde es dir ja sagen, wenn du mich zu Wort kommen lassen würdest. Frau Mollenkopf hat ihren Mann verlassen. Ich habe sie zu Tante Gerda gebracht. Christine ist unterwegs und wird sich um sie kümmern.“

„Was erzählst du mir da? Spar dir deine Erklärungen, die sind jetzt nicht wichtig. Einzelheiten brauche ich jetzt nicht zu wissen. Bleib du bei den Damen. Ich komme nach Dienstschluss, dann kannst du mir alles haarklein erklären. Ich gehe davon aus, dass niemand wissen darf, wo sich Frau Mollenkopf aufhält?“

„So ist es. Ich hoffe, du kannst den Mund halten.“

„Natürlich kann ich das,“ rief sie empört. „Mollenkopf hat schon mehrfach bei der Polizei angerufen, er sucht seine Frau. Der Mann macht ein Theater, das kannst du dir nicht vorstellen. Weißt du etwas von einer größeren Summe, die vom Konto der beiden abgehoben wurde? Sag mir nichts, ich kann es mir denken. Krohmer gegenüber habe ich gesagt, dass du beim Zahnarzt bist. Bis später.“

Leo musste lachen. Wie gescheit Viktoria doch war! Auf sie konnte er sich verlassen.

Er ging zurück ins Haus und sah die beiden Damen stumm im Wohnzimmer sitzen.

„Sie spricht kein Wort, Leo. Ist sie in Ordnung?“

Leo versuchte, beruhigend auf Frau Mollenkopf einzureden, aber sie reagierte einfach nicht. Irgendwann hupte es vor der Tür, Christine war endlich angekommen. Leo, Tante Gerda und Felix liefen hinaus und begrüßten die Frau mit großem Hallo, was diese sichtlich genoss. Sie gingen ins Wohnzimmer, wo Christine sofort den Zustand von Frau Mollenkopf bemerkte, die völlig in sich gesunken und apathisch dasaß und nur vor sich hinstarrte.

Christine reagierte sofort und kramte in ihrer riesigen schwarzen Ledertasche, die aufgrund des Zustandes offensichtlich schon lange in ihrem Besitz und auch in Gebrauch war. Mit ihrem Stethoskop hörte sie Frau Mollenkopf ab, maß Puls und Blutdruck und kontrollierte die Reflexe. An Christines Gesichtsausdruck konnte man sehen, dass sie zufrieden war. Gott sei Dank! Sie kramte erneut in ihrer Tasche und nach wenigen Sekunden hielt sie eine Spritze in der Hand. Ohne Frau Mollenkopf zu fragen gab sie ihr ein Beruhigungsmittel, was diese nicht einmal zu bemerken schien.

„Bringen wir sie ins Bett, die Frau ist völlig fertig. Keine Sorge, sie wird jetzt schlafen und dann kommt sie schnell wieder auf die Beine.“

Sie gingen wieder zurück ins Wohnzimmer. Leo machte sich wegen Frau Mollenkopfs Zustandes die größten Vorwürfe. War es wirklich so klug, sie zu der ganzen Sache zu überreden?

„Ich sehe es dir an der Nasenspitze an, dass du ein schlechtes Gewissen hast. Erzähl ausführlich, was hier eigentlich los ist.“

Auch Tante Gerda war neugierig, denn sie wusste keine Einzelheiten. Das Leben auf dem Hof war recht eintönig und sie freute sich über jede Abwechslung, die ihr geboten wurde. Sie stellte Getränke und belegte Brote auf den Tisch. Vor allem Christine, die noch nichts gegessen hatte, langte kräftig zu.

Leo erzählte ausführlich und bemühte sich, kein Detail auszulassen. Zum Glück konnte er gegenüber den beiden Frauen offen reden und musste sich keine Gedanken darüber machen, was er wie sagen durfte. Er erhoffte sich von beiden Zustimmung für sein Verhalten. Als er geendet hatte, wagte er nicht, in die Gesichter zu blicken. Er war unsicher, da er bis dato keinerlei Reaktionen von den beiden bekam. Er konnte nun noch schlechter einschätzen, ob er richtig gehandelt hatte.

„Denk dir nichts, Schätzchen, das war genau richtig,“ sagte Christine schließlich zu Leos Erleichterung. „Ich hatte mal eine Nachbarin, der es ähnlich ergangen war. Nur hatte sie leider keine Hilfe bekommen und die Sache ist unschön ausgegangen. Ich bin wirklich stolz auf dich, Leo.“

„Und ich war früher beinahe genauso. Mit mir konnte man machen, was man wollte. Ich habe mich nicht gewehrt und erst jetzt, im hohen Alter, habe ich die Courage und den Mut, aufzustehen und mich zu wehren. Ach wenn ich doch früher auch jemanden wie dich an meiner Seite gehabt hätte.“

Tante Gerda hatte Tränen in den Augen, war spontan aufgesprungen und drücke und küsste Leo, was der zu genießen schien.

„Wir dürfen trotzdem nicht übersehen, dass es sich bei Frau Mollenkopf um eine Tatverdächtige handelt.“ Viktoria Untermaier stand in der Tür. Sie hatte offensichtlich Leos Ausführungen mitgehört. Niemand hatte bemerkt, dass sie an der Tür stand.

„Hast du mich erschreckt! Wo zum Teufel kommst du denn auf einmal her?“, rief Christine, sprang auf und umarmte Viktoria. „Ich grüße dich. Schön, dich wiederzusehen. Komm zu uns und setz dich.“

„Ich habe Leo gesagt, dass ich nach Dienstschluss vorbeikomme, hat er nichts gesagt? Ich habe alles mitgehört und weiß, worum es geht. Ich denke auch, dass du richtig gehandelt hast, Leo. Ich mochte diesen Kotzbrocken von Mollenkopf von Anfang an nicht. Und nach dem, was du erzählt hast, mag ich ihn noch weniger. Trotzdem ist und bleibt Frau Mollenkopf eine Tatverdächtige. Wir wissen noch nicht, wer den Inhalt des Tresors entnommen hat und wo die Blutspuren herkommen. Vor allem bin ich über deinen Alleingang nicht begeistert. Das nächste Mal informierst du mich vorher und ziehst mich ins Vertrauen.“

„Versprochen, hoch und heilig. Ich dachte, ich muss schnell handeln, für alles andere war keine Zeit. Ich glaube nicht, dass Frau Mollenkopf irgendetwas damit zu tun hat. Du etwa?“

„Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe persönlich noch nicht mit ihr gesprochen, verlasse mich aber vorerst auf dein Urteil. Wo ist die Frau jetzt?“

„Christine hat ihr ein Beruhigungsmittel gegeben, sie schläft nebenan im Gästezimmer. Die Frau war vollkommen fertig, sie hat kein einziges Wort gesprochen.“

„Dann warten wir ab, bis sie aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Dann werde ich mir die Frau zur Brust nehmen,“ sagte nun Christine, für die die Angelegenheit vorerst erledigt war. Sie wusste nun Bescheid und die Frau schlief. Zeit, zu essen, zu trinken und sich mit den Freunden zu unterhalten, die sie lange nicht gesehen hatte.

Sie saßen noch lange beieinander, lachten, scherzten und alle genossen die Gesellschaft.

„Schon so spät? Ich bin hundemüde und fahre nach Hause. Sobald Frau Mollenkopf aufwacht, rufst du mich an, verstanden?“ Viktoria gähnte herzhaft und Leo gab ihr das gewünschte Versprechen. Dann fuhr Viktoria nach Hause. Sie sehnte sich nach einer Dusche und ihrem warmen, weichen Bett.

Tante Gerda ging es ähnlich. Sie verschwand im Schlafzimmer und dann gähnte auch Leo.

„Ich lege mich hier auf die Couch. Ich möchte Frau Mollenkopf im Auge behalten. Du kannst dich in meiner Wohnung austoben.“

„Lieb von dir. Sei so gut und bring meine Sachen nach oben.“

Leo streckte sich auf der neuen Couch aus, die er sich mit Felix teilen musste. Der war nicht sehr erfreut darüber, was Leo aber herzlich egal war. Er musste sich seinen Platz erkämpfen, bis Felix endlich nachgab. Es dauerte nicht lange, und die beiden schnarchten um die Wette.

Trotz des Alkohols lag Christine noch lange wach. Die Geschichte von dieser Frau Mollenkopf gefiel ihr überhaupt nicht. Früher konnte man mit einer Frau so umgehen, aber in der heutigen, aufgeklärten Welt? Schrecklich, dass es so etwas immer noch gab.

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