Die Affäre Mollenkopf

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Aus der Reihe: Leo Schwartz #6
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„Sie brauchen keine Angst zu haben. Sind Sie in der Lage, mir ein paar Fragen zu beantworten? Dazu können wir uns natürlich auch in das Café hier setzen.“

„Geht das?“

„Warum sollte das nicht gehen? Kommen Sie, junge Frau, ich lade Sie natürlich ein.“

Sie standen vor einem kleinen Café. Er hielt ihr charmant die Tür auf und ein Lächeln huschte über das hübsche Gesicht. Sie setzten sich in eine ruhige Ecke und bestellten Cappuccino, wobei sie sich zunächst über belanglose Dinge unterhielten. Nur langsam taute Frau Mollenkopf auf, was auch daran lag, dass hier keine Gäste waren, die ihr bekannt vorkamen.

„Als ich jung war, hatte ich große Pläne,“ schwärmte sie mit verträumtem Blick. „Ich hatte gerade mein Abitur in der Tasche und mich an der Kunstschule in Wien eingeschrieben. Können Sie sich vorstellen, dass ich die Aufnahmeprüfung ohne große Probleme bestanden habe?“

„Natürlich kann ich mir das vorstellen, sehr gut sogar.“

„Ich habe schon als Kind sehr gerne gezeichnet und meine Eltern haben mich dazu motiviert, meiner Neigung und Begabung zu folgen.“

„Und dann ist Ihnen Ihr Mann über den Weg gelaufen?“

Alexandra Mollenkopf wurde immer gesprächiger. Offensichtlich tat es ihr gut, dass sich jemand für sie interessierte. Hatte sie sonst niemanden, mit dem sie reden konnte?

„Ja, dann lief mir Herbert über den Weg. Was war ich damals verliebt. Er war ein großer, stattlicher Mann, der mir die Welt zu Füßen legen wollte. Wenn Sie ihn damals gekannt hätten, würden Sie mich verstehen. Herbert war ein ganz anderer Mann, als heute. Er hat mich die ersten zwei Semester unterstützt, wo er nur konnte und wir hatten gemeinsam sehr viel Spaß. Dann wurde ich schwanger und wir haben geheiratet. Ich habe mein Studium abgebrochen. Meine Schwiegereltern hatten mich davon überzeugt, dass ich in dem Modegeschäft besser aufgehoben wäre. Was war ich damals naiv und dumm. Meine Eltern, Gott hab sie selig, hatten mich gewarnt und mich eindringlich gebeten, geradezu angefleht, diesen Schritt nicht zu tun, denn sie hatten Herberts Eltern kennengelernt und mochten sie überhaupt nicht. Sie wollten unbedingt, dass ich mein Studium fortsetze, haben mir ihre Hilfe mit dem Kind angeboten. Aber ich dumme Kuh wollte damals nicht auf meine Eltern hören. Seitdem bin ich in Mühldorf.“

„Ihr Mann behandelt Sie nicht gut? Entschuldigen Sie meine Indiskretion, aber ich sehe bei Frauen sofort, wenn sie unglücklich sind. Und ich habe lange keine so unglückliche Frau mehr gesehen.“

Alexandra Mollenkopf sah Leo lange an.

„Sie sind wirklich ein sehr netter Mensch, Herr Schwartz. Verzeihen Sie meine Direktheit, aber Sie sind überhaupt nicht so, wie ich mir einen Kriminalbeamten vorstelle. Mit Ihrem lustigen, schwäbischen Akzent haben Sie es zwischen all den alteingesessenen Bayern sicher nicht leicht. Ich spreche da aus Erfahrung. Ich komme aus Österreich, genauer gesagt aus Linz. Es hat viele Jahre gedauert, bis man mich hier akzeptiert hat. Die Österreicherin hat man mich früher immer genannt, und auch heute höre ich die Bezeichnung noch ab und an. Ja es ist richtig, meine Ehe ist schon lange vorbei und Herbert demütigt mich, wo er nur kann. Aber ich muss wegen des Geschäfts durchhalten. Was soll ich alleine machen? Ich habe nichts gelernt und kann mich niemals alleine über Wasser halten. Von meinem Mann habe ich nichts zu erwarten, dafür hat er schon vor vielen Jahren gesorgt und das reibt er mir bei jeder Gelegenheit unter die Nase. Ich kann also nicht anders und muss durchhalten und versuchen, zu überleben.“

„Man hat immer eine Wahl, man braucht nur Mut und Willenskraft. Von beidem haben Sie leider nicht viel, das tut mir sehr leid. So gerne ich hier mit Ihnen sitze und mich mit Ihnen unterhalte, muss ich nun leider auf die Arbeit zurückkommen. Was wurde bei Ihnen gestohlen? Was war in dem Safe?“

„Gute Frage. Das weiß ich nicht. Ich habe keinen Zugang zu dem Safe und hatte damit nie etwas zu tun. Meine Aufgabe bezüglich des Geldes bestand lediglich darin, die Tasche mit den Tageseinnahmen zur Bank zu bringen, wobei mich die Summe nicht zu interessieren hatte. Ich habe auch keine Bankvollmacht oder sonstige Befugnisse, die wurden mir schon lange alle entzogen. Auch daran werde ich von meinem Mann ständig erinnert. Herbert macht mir immer wieder klar, wo mein Platz ist. Ganz unten.“

„Sie haben keinen Schlüssel für den Safe? Sorry, aber das ist ziemlich dumm, zumal dort ihr Schmuck lag.“

„Ja, das ist für Außenstehende nur schwer zu verstehen, ich verstehe es ja selbst nicht. Ich habe wirklich keinen Schlüssel für den Safe. Meines Wissens nach haben nur Herbert und Frau Schmidt einen. Anfangs habe ich nachgefragt, um einen Schlüssel gebeten, aber Herbert hat abgelehnt. Ich habe wirklich versucht, alles wieder irgendwie hinzubiegen. Ich habe mich angestrengt, mich in das Geschäft zu integrieren, habe Tag und Nacht geschuftet. Aber vergeblich. Ich konnte Herbert nichts recht machen, wir konnten uns irgendwann nicht mal mehr normal unterhalten, ohne dass er ausfallend wurde. Inzwischen habe ich längst aufgegeben.“

„Wir haben Blutflecken auf dem Boden gefunden.“

„Blutflecken? Erst gestern Abend habe ich den Boden gewischt und von Blut war da keine Spur. Deshalb hat Ihr Kollege also so einen Wind gemacht? Er hat Blutspuren auf unserem Boden gefunden? Woher kommen die?“

Frau Mollenkopf schien ehrlich überrascht. Offensichtlich hatte sie sich bereits Gedanken darüber gemacht, was die Spurensicherung gefunden hatte.

„Sie wischen den Boden? Wurden Sie auch zur Putzfrau degradiert?“

„Das macht mir nichts aus, es ist eine Arbeit, wie jede andere auch. Ich habe Probleme damit, mit Kunden umzugehen. Diese Arbeit ist mir unangenehm und liegt mir nicht. Ehrlich gesagt, hält sich mein Interesse für Mode in Grenzen, da ist es mir schon lieber, zu putzen. Sie müssen mir glauben, dass auf dem Boden wirklich kein Blut war. Was ist nur während des Einbruchs geschehen? Denken Sie, dass jemand verletzt oder gar umgebracht wurde?“

Sie sah ihn angsterfüllt an.

„Wir werden der Sache auf den Grund gehen. Über Ihren Mann und Sie konnte ich mir jetzt schon ein ungefähres Bild machen. Was können Sie mir über die anderen Mitarbeiter erzählen?“

„Käthe ist eine ganz Liebe, ich mag sie sehr gerne. Von Anfang an hat sie es immer gut mit mir gemeint, obwohl sie damals selbst in Herbert verliebt war, das habe ich sofort gespürt. Mit Frau Schmidt habe ich nicht viel zu tun. Wenn wir uns sehen, ist sie immer höflich und freundlich zu mir. Die kleine Petra ist noch nicht lange bei uns und hat immer tolle Ideen und Vorschläge, wobei sie sich regelmäßig mit meinem Mann in die Haare kriegt. Ich bewundere Petra sehr für ihren Mut und ihre Zielstrebigkeit, aus ihr wird noch was werden. Allerdings nicht bei uns, denn Herbert ist ein Sturschädel und erlaubt keinerlei Änderungen. Käthe war früher ähnlich wie Petra, hat aber längst aufgegeben und fügt sich dem Diktat meines Mannes. Auch sie würde vieles anders machen, das hat sie mir immer wieder in persönlichen Gesprächen gestanden. Aber sie hat nur noch wenige Jahre bis zur Rente und möchte sich die Zeit nicht mehr schwermachen. Sie hat schon vor vielen Jahren begriffen, dass mit meinem Mann nicht zu reden ist, dass es sich nicht lohnt, Vorschläge vorzubringen. Dabei hat sie zusammen mit Herbert früher durchaus einiges auf die Beine gestellt. Aber das ist lange her.“

Leo verstand und sie schwiegen einige Minuten.

„Woher kommt dieser Hass Ihres Mannes?“

Alexandra Mollenkopf suchte nach Worten und blickte nur auf ihre Kaffeetasse.

„Unser Sohn ist damals im Kindbett gestorben, er wurde nur wenige Tage alt. Ich kam ins Krankenhaus, weil bei mir Komplikationen aufgetreten sind. Die Ärzte haben mir dringend von einer erneuten Schwangerschaft abgeraten und ich habe mich sterilisieren lassen, wozu mir meine Eltern geraten haben. Sie hatten mich geradezu angefleht, diesen Eingriff umgehend vornehmen zu lassen. Ich musste mich binnen weniger Minuten entscheiden. Natürlich habe ich versucht, meinen Mann um Rat zu fragen. Aber ich konnte ihn nicht erreichen, er war damals bei einer Modemesse in Italien. Herbert hat erst zwei Tage später vom Tod unseres Sohnes und von der Sterilisation erfahren. Er war am Boden zerstört. Die Trauer um unseren Sohn hat ihn fast umgebracht. Seine Eltern hatten den Tod ihres Enkels hautnah mitbekommen und waren ebenfalls bestürzt, sie liebten den Kleinen abgöttisch. Aber dann erfuhren sie von der Sterilisation und machten mir noch im Krankenhaus heftige Vorwürfe. In ihren Augen hatte ich egoistisch gehandelt. Auch Herbert hat mir nie verziehen, dass ich den Eingriff ohne sein Einverständnis habe vornehmen lassen und ihm dadurch die Chance auf einen Erben zunichte gemacht habe.“

„Das ist hart. Ist das der Grund, warum ihr Mann so einen Hass auf Sie hat?“

„Ja. Seitdem erlebe ich die Hölle auf Erden. Ich habe mich damals für den Eingriff entschieden und war davon überzeugt, dass Herbert damit einverstanden gewesen sei, da schließlich mein Leben durch eine weitere Schwangerschaft auf dem Spiel stand. Wie naiv ich doch war! Ich hatte die romantische Vorstellung, dass Herbert mich so sehr liebt, dass er mich nicht nur versteht, sondern auch tröstet, schließlich litt auch ich unter der Situation. Ich glaubte daran, dass die Zeit alle Wunden heilt, aber das war nicht der Fall. Nicht nur er hat mir das nie verziehen, sondern auch meine Schwiegereltern haben mich seit der Zeit gemieden und mich verachtet.“

„Warum haben Sie sich nicht einfach scheiden lassen?“

„Eine Unternehmergattin im tiefkatholischen Bayern? Nein, das war undenkbar. Niemals hätte Herbert einer Scheidung zugestimmt. Was hätten denn die Leute gesagt? Die Familie Mollenkopf gibt es in Mühldorf bereits seit vielen Generationen und gehört zur oberen Gesellschaftsschicht, wie immer wieder gerne betont wurde. Da konnte man keine negativen Geschichten brauchen, und eine Scheidung gleich gar nicht. Meinen Eltern wollte ich das auch nicht antun, denn sie waren sehr gläubige Menschen und eine Scheidung hätte ihnen ganz schön zugesetzt. Außerdem hatte ich immer noch einen Funken Hoffnung, dass wir uns eines Tages wieder annähern, was aber leider bis heute nicht geschehen ist.“

 

Leo Schwartz war tief getroffen vom Schicksal dieser Frau. Er konnte durchaus nachvollziehen, was es für damals für ein Skandal gewesen wäre. Schließlich war er nur wenig jünger als Frau Mollenkopf. In dem kleinen, katholischen Städtchen Mühldorf, in dem jeder jeden kannte, unvorstellbar. Schon seine eigene Scheidung vor nunmehr sieben Jahren hatte sogar einige Wellen geschlagen, was ihm aber völlig egal war. Er kümmerte sich nicht um das Gerede und die Meinung anderer. Leo hatte sich damals von Karlsruhe nach Ulm versetzen lassen, um seiner geschiedenen Frau und ihrem neuen Partner nicht über den Weg laufen zu müssen. Als er jetzt nach langer Zeit über seine geschiedene Frau nachdachte, stellte er erstaunt fest, dass ihm der Gedanke an sie beinahe nichts mehr ausmachte. Er konnte sich ihr Gesicht auch nur noch schemenhaft vorstellen, die Zeit heilte tatsächlich alle Wunden. Er war trotz der erschütternden Geschichte von Frau Mollenkopf erleichtert über diese persönliche Erkenntnis. Leo bezahlte und sie gingen langsam wieder zurück. Herbert Mollenkopf kam ihnen wütend entgegen.

„Was fällt dir ein, einfach wegzugehen? Wo warst du so lange? Und wer zum Teufel sind Sie?“

Er war knallrot vor Wut und packte seine Frau unsanft am Arm.

„Leo Schwartz, Kriminalpolizei Mühldorf. Und Sie lassen augenblicklich Ihre Frau los! Haben wir uns verstanden?“

Sofort ließ Mollenkopf los und trat einen Schritt zurück.

„Entschuldigen Sie, das konnte ich nicht wissen. Sie müssen verstehen, dass ich mir Sorgen um meine Frau gemacht habe.“

Leo ging an ihm vorbei und blieb neben ihm stehen.

„Wenn ich mitbekomme, dass Sie Ihre Frau nochmal so grob anfassen, können Sie sich auf etwas gefasst machen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Leo weiter und ließ ihn mit offenem Mund stehen.

Die Beamten hatten ihre Arbeit hier vor Ort vorerst beendet, Friedrich Fuchs war mit der Spurensicherung noch lange nicht fertig. Die Kriminalbeamten fuhren ins Präsidium, wo ihr Vorgesetzter Rudolf Krohmer ungeduldig wartete. Selbstverständlich kannte auch er das Modehaus Mollenkopf und war entsetzt, als er hörte, dass dort eingebrochen wurde. Wenig später saßen sie im Besprechungszimmer und tranken Kaffee, den ihnen Frau Gutbrod servierte. Sie war auch heute für ihre sechzig Jahre wieder viel zu modisch gekleidet. Sie trug zur Abwechslung türkisfarbene Strähnen im schwarz gefärbten langen Haar, passend zu dem türkisfarbenen Minikleid, den schwarzen Strümpfen und den viel zu hohen Schuhen. Sie trödelte auffällig, denn sie hatte läuten hören, dass in einem Modegeschäft eingebrochen wurde. Natürlich wollte sie aus erster Hand hören, um welches Geschäft es sich handelte. Als Sekretärin von Rudolf Krohmer würde sie es in Kürze sowieso erfahren, aber sie war doch zu neugierig und musste es sofort wissen. Die Kollegen warteten allerdings, bis sie das Zimmer wieder verlassen hatte. Sie wollten offensichtlich nicht in ihrer Gegenwart sprechen, was das Ganze für sie nur noch interessanter machte und wodurch ihre Neugier noch wuchs.

Jeder Einzelne trug seine Vernehmungsprotokolle vor.

„Mit Petra Knabel habe ich gesprochen,“ beendete Viktoria ihre Ausführungen. „Sie ist seit eineinhalb Jahren in dem Modehaus beschäftigt und hat bereits eine neue Anstellung, da sie an ihrem Arbeitsplatz, sowie mit dem - ich zitiere – „sturen, überheblichen und völlig verblödeten Herrn Mollenkopf“ nicht mehr länger arbeiten möchte.“

Rudolf Krohmer hatte wortlos zugehört und war sehr erstaunt über das, was er über das Ehepaar Mollenkopf hörte. Er war den beiden in den letzten Jahren ab und zu bei verschiedenen Veranstaltungen über den Weg gelaufen und hatte immer den Eindruck gehabt, dass die beiden ein schönes Paar abgaben und absolut harmonierten. Auch wenn Krohmer bei Mode-Mollenkopf einkaufte, gab sich der Inhaber immer charmant und wortgewandt, es fiel nicht ein böses Wort. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er nicht von Frau Mollenkopf bedient wurde, sondern immer nur von Herbert Mollenkopf und Heidi Schmidt.

„Ich fasse nochmals zusammen: Die Ehe der Mollenkopfs ist zu Ende. Mollenkopf erniedrigt scheinbar mit Vorliebe seine Frau, die sich das wiederum gefallen lässt, da sie von ihrem Mann finanziell abhängig ist. Mollenkopf hat ein Verhältnis mit Heidi Schmidt.“ Das Verhältnis wurmte Krohmer am meisten, denn er kannte und schätzte die junge Frau bisher sehr. „Dann haben wir die Verkäuferin Käthe Hiendlmaier, die kurz vor der Rente steht und sich Mollenkopf nicht widersetzt. Die junge Angestellte Petra Knabel widersetzt sich ihrem Arbeitgeber und tritt in Kürze eine neue Stellung an. Wie ich verstanden habe, glauben Sie keinesfalls an das, was Mollenkopf als gestohlen angegeben hat?“

Er blickte in die Runde und bekam allseits Zustimmung. Auch er selbst glaubte nicht daran. Das Bargeld konnte er vielleicht noch nachvollziehen, obwohl er es selber wahrscheinlich umgehend zur Bank gebracht hätte. Aber welcher normal denkende Mensch legt den Schmuck seiner Frau und auch noch eine Sammlung Goldmünzen in den Safe seines Geschäfts? Dafür wählte man doch das Privathaus oder die Bank. Nein, für ihn war Mollenkopfs Angabe nicht nachvollziehbar.

„Nehmen Sie sich den Laden genauer vor und überprüfen Sie, ob das Modegeschäft tatsächlich kurz vor der Schließung steht.“

„Wie sieht es mit den Privatkonten der Mollenkopfs aus? Bekommen wir die Genehmigung?“

Rudolf Krohmer schüttelte energisch den Kopf.

„Keine Chance, das kriege ich nicht durch. Die beiden sind angesehene Personen der Mühldorfer Gesellschaft. Was glauben Sie, was das für Wellen schlägt? Außerdem geht es offiziell nur um einen Einbruch. Hat sich Fuchs bezüglich der Blutspuren gemeldet?“

„Noch nicht. Ich glaube, er ist noch nicht zurück.“

Krohmer war sauer. Fuchs arbeitete nun schon seit Stunden vor Ort und wie er ihn kannte, bestimmt nicht gerade diskret und unauffällig. Ihn grauste jetzt schon vor den Problemen, die das mit sich bringen würde. Ohne ein weiteres Wort ging er in sein Büro und dachte über das nach, was er eben gehört hatte. Sein Telefon klingelte, es war Herbert Mollenkopf.

„Herr Krohmer, ich grüße Sie. Sie haben bestimmt schon gehört, welches Unglück uns widerfahren ist?“

Krohmer atmete tief durch, der Horror ging bereits los.

„Ich habe eben mit meinen ermittelnden Beamten gesprochen. Es tut mir sehr leid, was passiert ist. Für Sie und vor allem für Ihre Frau muss das Ganze schrecklich sein. Sie können versichert sein, dass meine Kollegen mit Hochdruck an dem Fall arbeiten.“

„Jaja, danke für Ihr Mitgefühl. Ich muss gestehen, dass ich von Ihren Beamten nicht sehr freundlich behandelt wurde, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Wissen Ihre Leute nicht, wer ich bin? Natürlich möchte ich keine Sonderbehandlung, aber ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher. Die Umgangsformen Ihrer Mitarbeiter lassen sehr zu wünschen übrig.“

„Das tut mir leid, Herr Mollenkopf. Sie sehen das bestimmt aufgrund Ihres Schocks zu eng. Meine Leute machen nur ihre Arbeit und waren bestimmt nicht mit Absicht unfreundlich zu Ihnen, das kommt Ihnen nur so vor. Sie wollen doch auch, dass der Einbruch so rasch wie möglich aufgeklärt wird. Vor allem die Blutspuren bereiten uns Kopfschmerzen.“

Mollenkopf ging nicht darauf ein. Offensichtlich interessierte er sich nicht für die Blutspuren, die mit ihm und seinem Geschäft absolut nichts zu tun hatten.

„Ich habe immer noch die Polizei im Haus. Wann gedenken Ihre Leute, meinen Laden wieder freizugeben, damit ich meinen Kunden ungehindert Zugang gewähren kann?“

„Das kann ich leider noch nicht sagen. Ich verspreche Ihnen, mich umgehend darum zu kümmern und melde mich wieder bei Ihnen, sobald wir grünes Licht geben können.“

„Ich verlasse mich auf Ihr Wort. Grüße an Ihre Gattin.“

Mollenkopf war sehr ungehalten und hatte aufgelegt. Krohmer selbst hatte kaum den Hörer aufgelegt, als es erneut klingelte; diesmal war es der Bürgermeister.

„Rudolf, ich grüße dich. Was musste ich von Herrn Mollenkopf hören?“

Die Geschichte war bereits durch Mollenkopf verbreitet worden. Krohmer konnte dem Bürgermeister auch nicht mehr sagen und musste ihm versprechen, gerade in diesen Fall mit äußerster Diskretion zu behandeln. Hätte er ihm von den Blutspuren berichten sollen, von denen der Bürgermeister offensichtlich nichts wusste? Warum sollte er? Das waren Ermittlungsinterna, die keinen Außenstehenden etwas angingen.

Nach dem Gespräch lehnte sich Krohmer zurück. Er musste mit einem Menschen seines Vertrauens sprechen, nahm den Hörer in die Hand und rief seine Frau an, die ihm geduldig zuhörte. Wie immer fand sie die richtigen Worte, um ihn zu beruhigen, was auch nötig war, denn er wusste genau, was jetzt auf ihn zukam. Das Telefon würde ab sofort nicht mehr stillstehen, von der Presse natürlich ganz zu schweigen. Rudolf Krohmer hasste so etwas und es war das Einzige, was er an seinem Job hasste.

2.

Am Nachmittag gingen Viktoria und Hans zum Konkurrenzgeschäft von Mode-Mollenkopf. Es trug den Namen Fashion-Star, und war genau auf der anderen Straßenseite des Stadtplatzes und wurde vor über einem Jahr eröffnet. Die Inhaberin Jutta Tauscher war über den Besuch der Kripobeamten nicht überrascht, sie schien sie sogar zu erwarten.

„Sie kommen wegen Mollenkopf? Mich wundert es schon, dass bei ihm eingebrochen wurde, bei dem Trottel ist doch nichts zu holen.“

Die 39-jährige, rothaarige, schlanke Frau sah die beiden mit ihren stechend grünen Augen und einem fetten Grinsen an.

„Sie haben davon gehört?“

„Davon gehört? Hey, das ist Stadtgespräch. Ihr kleiner Sheriff mit dem weißen Kittel hat einen Wind gemacht, dass man gar nicht umhin kam, auf das Geschehen aufmerksam zu werden. Wir saßen da vorn im Schaufenster und haben zugesehen, wie der Mann mit seiner Spürnase nur knapp über dem Boden arbeitete, wir hatten ihn daher mit Lassie verglichen.“ Jutta Tauscher lachte laut. „Das war sehr interessant, ein Krimi im Fernsehen ist ein Dreck dagegen.“

„Sie haben wirklich zugesehen?“

„Klar! Am Stadtplatz passiert doch sonst nichts. Wir sind alle wie gebannt dort gesessen und haben zugesehen, auch unsere Kundschaft. Wenn ich es mir recht überlege, war das schon toll, endlich war mal was los. Es stimmt also doch, dass bei Mollenkopf eingebrochen wurde? Ich hielt das für ein Gerücht.“

Viktoria musste über die drollige Beschreibung des Kollegen Fuchs beinahe lachen, denn die entsprach aus ihrer Sicht absolut den Tatsachen.

„Das mit dem Einbruch stimmt. Aber wie kommen Sie darauf, dass bei ihm nichts zu holen sei?“

„Weil der Trottel pleite ist, das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. Gehen wir in mein Büro, dort können wir ungestörter reden. Im Gegensatz zu Mollenkopf habe ich jede Menge Kundschaft, die unser Gespräch besser nicht mithören sollten. Ich möchte nicht gerne als Klatschtante dastehen.“

Sie folgten der munteren, aufgeweckten Frau in ein gemütliches Büro und sie setzte den beiden ungefragt einen Kaffee vor. Hans mochte die Frau sofort, denn sie hatte nicht nur blendende Laune, sondern war auch offen und ehrlich.

„Wie lange waren Sie bei Mode-Mollenkopf beschäftigt?“

Viktoria hatte ihren Block in der Hand und machte sich eifrig Notizen. Auch sie fand Frau Tauscher sehr sympathisch und konnte sich durchaus vorstellen, dass sie und Mollenkopf überhaupt nicht gut miteinander auskamen.

„Das waren sieben Jahre, sieben sehr lange Jahre. Mit diesem Trottel von Mollenkopf konnte man einfach nicht reden. Systematisch hat der mit seinen Ansichten und seinem Starrsinn das Geschäft an die Wand gefahren. Sie können sich nicht vorstellen, was das mal für eine Goldgrube war. Aber Mollenkopf ist unflexibel, hält an Lieferanten und alten Strukturen fest. Wie oft habe ich versucht, ihm begreiflich zu machen, dass man mit der Zeit gehen muss, aber für jeden Verbesserungsvorschlag war er immun. Irgendwann hatte ich dann genug. Das Glück hat mir einen Geschäftsfreund zugespielt, mit dem ich hier diesen Laden aufgemacht habe. Und was soll ich sagen? Er läuft super.“

 

„Woher wissen Sie, wie Mode-Mollenkopf finanziell dasteht?“

Jutta Tauscher sah Hans erstaunt an.

„Ihnen ist klar, dass Mühldorf im wahrsten Sinne des Wortes ein Dorf ist? In Mühldorf kennt beinahe jeder jeden, und die Gerüchteküche brodelt nicht nur gewaltig, sondern zieht auch gewaltige Kreise. Mollenkopf hat in der Vergangenheit einige Immobilien verkaufen müssen und damit sicher den maroden Laden gesponsert. Eines seiner Häuser hat einer meiner Cousins von einem Arzt gekauft, der seinerseits nur ganz kurz im Besitz des Hauses war. Warum das so war entzieht sich meiner Kenntnis, mein Cousin hat das aus den Kaufunterlagen entnommen. Aber ich könnte darauf wetten, dass sowohl Mollenkopf und auch dieser Arzt gut daran verdient haben. Als ich mitbekommen habe, dass der Vorbesitzer Mollenkopf war, habe ich meinen Cousin von dem Kauf abgeraten, da ich die sogenannten Großkopferten gut kenne. Die wirtschaften alle nur in die eigene Tasche, und zwar so viel wie möglich. Aber mein Cousin wollte ja nicht auf mich hören, er wollte das Haus unbedingt.“

Nach diesem Redeschwall musste sie einen Schluck Kaffee trinken, dann erzählte sie weiter.

„Mollenkopfs letzte beiden Autos waren geleast, das weiß ich von einer Kundin, die in dem betreffenden Autohaus arbeitet. Ihren Namen erfahren Sie von mir aber nicht, das müssen Sie schon selber rauskriegen.“ Sie trank noch einen Schluck Kaffee. „Und beim Juwelier ist Mollenkopf schon lange nicht mehr gesehen worden, obwohl er früher für eine seiner diversen Freudinnen gerne mal das eine oder andere Schmuckstück erstanden hat. Das weiß ich übrigens aus sehr sicherer Quelle, denn die Angestellte des Juweliers ist meine Nachbarin. Ich gebe Ihnen noch mehr Informationen, jetzt bin ich eh schon dabei: Mollenkopfs Urlaube, die er sich früher nur in exklusiven Luxusschuppen gönnte, verbringt er heute im Allgäu oder im Harz. Und zwar in simplen Ferienwohnungen, so wie Sie und ich eben auch. Man munkelt sogar, dass er sein Boot am Chiemsee verkaufen musste, da er sich den Anlegeplatz nicht mehr leisten konnte. Aus sicherer Quelle, die ich Ihnen auch nicht nennen kann, habe ich ebenfalls erfahren, dass Mollenkopf Geld zur Seite schafft. Gehen Sie den Informationen nach, für Sie als Polizisten dürfte das doch kein Problem sein.“

„Woher wissen Sie das alles?“, fragte Hans erstaunt. Er wunderte sich, ob die Frau eigentlich auch mal Luft holte.

„Glauben Sie mir, die Welt ist klein und man erfährt doch oft mehr, als es einem manchmal lieb ist.“

Viktoria kam mit ihren Notizen nach dieser Fülle von Informationen kaum nach und musste über die erfrischende Art der Frau herzlich lachen. Auch sie hatte die Gepflogenheiten hier auf dem Land auch schon am eigenen Leib erfahren müssen, denn über sie und ihre Scheidung wusste tatsächlich halb Mühldorf Bescheid, ohne dass sie auch nur einer Person davon erzählt hatte.

Für Hans war es völlig normal, dass man Informationen und Neuigkeiten austauschte, man lebte auf dem Land nun mal nicht anonym. Er mochte es, wenn man sich kannte und übereinander sprach, auch wenn er auf die Geschichten und Gerüchte nichts gab.

„Was können Sie über das Eheleben der Mollenkopfs berichten? In den sieben Jahren haben Sie doch bestimmt einiges mitbekommen.“

„Sicher habe ich das. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Mollenkopf früher immer eine Geliebte hatte und seine Frau nach Strich und Faden beschissen hat. Aber in den letzten Jahren hat er ein Verhältnis mit der Heidi, und zwar nur noch mit ihr. Die beiden glauben wirklich, dass es niemandem auffällt, wenn Mollenkopfs Wagen vor Heidis Haus steht. Sie gehen auch nur in Neuötting oder Altötting zum Essen, weil sie denken, dass sie dort niemand kennt. Ich hätte den alten Mollenkopf und seine Torte für intelligenter gehalten, ich habe sie sogar selbst dort beim Essen gesehen. Frau Mollenkopf ist eine ganz liebe, arme Frau, die von ihrem Mann nicht gut behandelt wird. Keiner kann verstehen, warum sie dieses Arschloch nicht schon längst verlassen hat. Wenn sie das wirklich machen würde, wäre dieses Rindvieh erledigt. Vielleicht hat sie einfach noch nicht verstanden, in welcher Machtposition sie sich befindet.“

„Wie meinen Sie das?“

Jetzt waren die beiden erstaunt, denn nach den Ausführungen von Leo blieb Frau Mollenkopf aus finanzieller Sicht nichts anderes übrig, als bei ihrem Mann zu bleiben.

„Die haben damals keine Gütertrennung vereinbart, das weiß doch jeder. Wenn Frau Mollenkopf jetzt geht, ist die Hälfte des restlichen Vermögens futsch. Und dann natürlich auch das, was der feine Herr zur Seite geschafft hat.“

Hans entschied, umgehend Leo zu informieren, der zusammen mit Werner die umliegenden Geschäfte aufsuchte und Befragungen vornahm. Viktoria blieb noch und hörte sich sehr gerne verschiedene Anekdoten aus dem Geschäftsleben von Mode-Mollenkopf an.

Leo war sehr überrascht, was er von Hans zu hören bekam, und die beiden machten sich sofort auf den Weg, um Frau Mollenkopf erneut zu befragen. Hatte die Frau gelogen? Oder wusste sie nicht, wie es tatsächlich um alles stand?

Als Alexandra Mollenkopf Leo bemerkte, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Es war lange her, dass jemand so freundlich und höflich zu ihr war. Friedrich Fuchs und die Mitarbeiter seiner Spurensicherung waren gerade dabei aufzuräumen - ihre Arbeit hier war endlich erledigt. Petra Knabel und Käthe Hiendlmaier halfen beim Aufräumen. Frau Mollenkopf hatte einen Wischmopp in der Hand, was ihr nun in Leos Gegenwart sehr unangenehm war. Von Herrn Mollenkopf und Frau Schmidt war nichts zu sehen, sie waren bei Tisch.

„Würden Sie Ihre Arbeit für einen Moment unterbrechen? Das ist mein Kollege Hiebler. Wir beide haben noch einige Fragen, die keinen Aufschub erlauben.“

„Ich mache nur noch eben fertig.“

„Lassen Sie das bitte eine Ihrer Angestellten machen. Frau Knabel?“, rief Leo durch den Ladenraum die junge Mitarbeiterin, die umgehend zu ihm kam.

„Ich muss mich nochmals dringend mit Frau Mollenkopf unterhalten. Würden Sie hier bitte fertigwischen?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er Frau Mollenkopf den Wischmopp aus der Hand und übergab ihn der völlig überraschten Frau Knabel. Er hakte die überrumpelte Frau Mollenkopf unter und zog sie aus dem Geschäft.

„So delegiert man Angestellte, es ist ganz einfach.“

„Das hätte ich mich niemals getraut. Sie rennt jetzt bestimmt zu meinem Mann und petzt, die lässt sich das nicht so einfach gefallen.“

Leo lachte nur, ihm war das völlig egal, es gab jetzt Wichtigeres. Sie gingen in dasselbe Café, ihr Platz von heute Vormittag war frei. Nur wenige Tische waren belegt.

„Was gibt es so dringendes?“

Frau Mollenkopf sah ihn mit großen Augen an. Er beschloss, langsam vorzugehen, damit die Frau ihn auch verstand. Vor allem musste er ihre Reaktionen genau beobachten, um zu sehen, ob sie ihn nicht doch angelogen hatte.

„Sie haben mir erzählt, dass Sie keinen Zugang zu den Konten haben?“

Sie nickte und hatte keinen blassen Schimmer, auf was das hier hinauslief.

„Ist es richtig, dass Sie bei Ihrer Hochzeit keine Gütertrennung vereinbart haben?“

Wieder nickte sie nur und sah Leo an. Was sollte das?

„Wie kommen Sie darauf, dass Sie von Ihrem Mann finanziell abhängig sind und ohne ihn mittellos dastehen?“

„Weil er es mir in der Vergangenheit immer wieder gesagt hat, und zwar bei jeder Gelegenheit. Was wollen Sie eigentlich von mir, ich verstehe Sie nicht.“