Der Schuh der Diva

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Aus der Reihe: Leo Schwartz #39
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„Ja, den kenne ich. Herr Märklstuber ist einer unserer Dauergäste, immer sehr zuvorkommend und auch sehr großzügig. Solche Gäste sind mir die Liebsten.“

Gisela Neumaier sah immer wieder zu den Dreien.

„Die Alte spioniert schon wieder“, murmelte Doris.

„Was ist das zwischen Ihnen?“

„Das ist nichts.“ Doris war niemand, der andere anschwärzte. Sie klärte Probleme gerne persönlich und nicht über Dritte. Das war auch der Grund, warum sie sich nicht dem Chef anvertraute. Die Neumaier und sie hatten ihre Differenzen, die irgendwann eskalierten, darauf wartete Doris – denn dann würde sie der verhassten Frau endlich die Meinung geigen können. Aber noch hielt sich die Managerin zurück und ging, sobald ein Gespräch unangenehm wurde.

Leo und Hans gingen zu Gisela Neumaier, die ständig irgendwo herumschlich und versuchte, einige Worte aufzuschnappen. Jetzt tat sie so, als sei sie beschäftigt und hätte die Kriminalbeamten nicht gesehen.

„Konnte Doris helfen?“

„Ja, das konnte sie. Kennen Sie Linda Fischer?“

„Ich kenne Linda sehr gut. Linda und ich gingen in dieselbe Schule. Sie war eine Klasse über mir, obwohl sie zwei Jahre älter ist. Sie hatte immer Glück im Leben, während ich mir alles erarbeiten musste. Aber so ist das nun mal.“

„Sie wissen, dass Frau Fischer und Frau Baumgartner befreundet sind?“

„Als Freundschaft würde ich das nicht bezeichnen, eher als Arbeitsverhältnis. Linda hatte Pech mit ihrem Mann. Sie müssen wissen, dass er sie von heute auf morgen wegen einer Jüngeren verlassen hat. Linda war damals mittellos und stand quasi auf der Straße. Sie hat nie gearbeitet, das hatte sie nicht nötig gehabt. Ihr Mann verdiente genug und ihr ging es blendend – und damit war es dann plötzlich vorbei. Ohne Geld, ohne Ausbildung und ohne Job stand sie quasi auf der Straße. Wer stellt denn so jemanden ein? Ich war schon immer selbstständig und war noch nie auf einen Mann angewiesen, darauf habe ich immer großen Wert gelegt. Frau Baumgartner hat ein riesiges Herz bewiesen und hat sie bei sich aufgenommen. Linda hat wirklich sehr viel Glück gehabt. Andere Leute müssen für ihr Geld hart arbeiten, während sie bei Frau Baumgartner ein beschauliches, luxuriöses Leben führt.“

Gisela Neumaier war neidisch auf Linda Fischer, das lag auf der Hand.

„Kennen Sie auch Franz Märklstuber?“

Die Mundwinkel gingen nach unten und die Augen wurden kleiner. Sie schüttelte zwar den Kopf, aber Leo und Hans war klar, dass die Frau den Mann besser kannte, als sie zugeben wollte.

Als die Polizisten außer Sichtweite waren, griff Gisela Neumaier zum Telefon. Sie hatte seit einigen Monaten Kontakt zu einem Journalisten namens Jonas Griebl, dem sie gerne einen Gefallen tun wollte, da er ihr persönlich gefiel. Griebl war zwar über zehn Jahre jünger als sie, aber das war ihr gleichgültig. Jonas war nach langer Zeit wieder ein Mann, mit dem sie sich eine Zukunft vorstellen könnte.

„Gisela? Schön, dass du dich meldest“, schmeichelte ihr Griebl, der sich nur dunkel an die unscheinbare Frau erinnerte. Er hatte in verschiedenen Bereichen Kontakte geknüpft und auch Gisela war ein solcher Kontakt.

„Ich habe eine interessante Information für dich. Es geht um Ilona Baumgartner.“

„Um die Schauspielerin?“

„Genau um die. Ich habe eben mit der Polizei gesprochen. Bist du interessiert?“

„Und ob ich das bin! Worum geht es?“

„Nicht am Telefon, Jonas. Treffen wir uns heute Abend um zwanzig Uhr, dann ist meine Schicht zu Ende.“

„Einverstanden.“ Griebl war enttäuscht, dass er so lange warten musste. Er verstand sofort, dass die Neumaier mehr wollte, als nur Informationen weiterleiten. Er sah sich in der Redaktion um. Alle arbeiteten an kleineren Geschichten, da schon lange nichts passiert war. Ihm wurde die Berichterstattung über die heutige Veranstaltung zu Ehren der griechischen Partnerstadt übertragen, die er jetzt an einen Kollegen weiterleiten musste. Hoffentlich lohnte sich das!

„Wir brauchen mehr Informationen über Linda Fischer und Franz Märklstuber“, sagte Hans, als er mit Leo das Hotel verließ. „Außerdem sollten wir herausfinden, was Märklstuber mit der Managerin und Doris zu tun hat.“

„Auf jeden Fall!“

Die Fahrt ging jetzt direkt zum Regisseur Bernd Wachenberg nach Erding, das sie nach einer reibungslosen Fahrt nach knapp einer Stunde erreichten. Das Haus war unscheinbar, der Vorgarten mäßig gepflegt.

„Nach Reichtum sieht es hier nicht gerade aus“, murmelte Hans, der sichtlich enttäuscht war. Das Anwesen eines Regisseurs hatte er sich anders vorgestellt. Leo war das egal. Er wollte nur mit Wachenberg sprechen. Wie der lebte, interessierte ihn nicht.

Die beiden Kriminalbeamten mussten lange klingeln, bis ihnen endlich geöffnet wurde. Ein Mann in einem abgewetzten Morgenmantel öffnete ihnen.

„Was gibt es?“, fragte er mürrisch. „Ich habe eine anstrengende Nacht hinter mir und würde gerne noch etwas schlafen. Hoffentlich haben Sie einen guten Grund für Ihren penetranten Auftritt!“

„Bernd Wachenberg?“

„Ja. Und Sie sind?“

Leo und Hans wiesen sich aus.

„Kriminalpolizei Mühldorf? Was ist passiert? Ist etwas mit Ilona?“

„Dürfen wir reinkommen?“

Wachenberg drehte sich um und ging ins Haus, dabei ließ er die Tür auf. Leo und Hans folgten dem Mann, der sich keine Mühe machte, auch nur den Hauch von Höflichkeit aufkommen zu lassen. Wachenberg stand in der Küche und drückte auf die Taste eines Kaffeeautomaten.

„Wollen Sie auch Kaffee?“

„Nein, danke. Sie waren gestern Abend mit Ilona Baumgartner im Hotel Fürsthof in Mühldorf?“

„Ja, das war ich. Warum fragen Sie?“ Wachenberg löffelte jede Menge Zucker in die kleine Tasse und lehnte sich dann lässig an die Küchenzeile, die vermutlich aus den 50er-Jahren stammte. In dem Haus war alles alt, aber auch sauber und aufgeräumt.

„Wenn Sie einfach unsere Fragen beantworten, sind wir schnell wieder weg, versprochen“, sagte Hans lächelnd, auch wenn ihm das schwerfiel. Er mochte den Mann nicht. Warum das so war, konnte er nicht begründen.

„Ich traf mich mit Frau Baumgartner, um Einzelheiten unseres gemeinsamen Filmes zu besprechen. Das Gespräch war aber nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Ilona bekam einen Anruf, sprang auf und lief einfach davon. Ich wollte ihr noch hinterher, aber da war sie bereits verschwunden. Nachdem ich noch eine Stunde vergeblich auf sie gewartet habe, fuhr ich zurück nach Erding. Hier wartete noch jede Menge Arbeit auf mich, die mich bis fünf Uhr auf Trapp hielt.“

„Kann das jemand bezeugen?“

„Nein, natürlich nicht! Wie stellen Sie sich das vor? Denken Sie, dass ich einfach so nachts Mitarbeiter zu mir rufen kann? Das funktioniert vielleicht in Hollywood, aber nicht bei uns in Deutschland. Hier gibt es Arbeitsvorschriften, an die ich mich halten muss!“ Wachenberg war sauer und sah auf seine Armbanduhr.

„Wir dachten eher an eine Ehefrau, Lebensgefährtin, oder dergleichen“, warf Leo ein.

„Damit kann ich leider nicht dienen.“

„Haben Sie eine Ahnung, von wem Frau Baumgartner angerufen wurde?“

„Nein! Der Anruf kam und Ilona ging – ich habe kein Wort mitgehört. Kann ich jetzt endlich erfahren, was eigentlich los ist? Die Dreharbeiten mit Ilona gehen nächste Woche weiter. Der Film hätte längst fertig sein sollen – verdammtes Corona! Sagen Sie mir endlich, was mit Ilona los ist. Muss ich mir Sorgen machen?“

„Nur noch eine Frage: Hatte Frau Baumgartner mit irgendjemand Ärger? Gab es Drohungen oder dergleichen?“

„Warum fragen Sie mich das? Ilona und ich haben eine Geschäftsbeziehung – nicht mehr und nicht weniger. Fragen Sie doch den schönen Franz, ihren Manager. Der scharwenzelt doch den ganzen Tag um sie herum, wenn er nicht gerade hinter einer Frau her ist.“

„Sie sprechen von Franz Märklstuber?“

„Selbstverständlich! Der Mann ist unmöglich. Ich hatte zwei Mal das Vergnügen mit ihm und verzichte auf ein weiteres. Bei mir hat er Hausverbot, das habe ich Ilona auch gesagt.“

„Warum? Was ist vorgefallen?“

„Er hat drei meiner Mitarbeiterinnen angegraben, sie benutzt und dann fallengelassen. Franz hat ein Durcheinander unter meinen Leuten verursacht, das ich nicht dulde. Es hat lange gedauert, bis endlich wieder Ruhe einkehrte. Ilona ist eine sympathische Frau und eine tolle Schauspielerin, mit ihr arbeite ich sehr gerne. Aber dieser Märklstuber ist ein Arschloch, das können Sie mir glauben. Warum sich Ilona mit diesem windigen Typen abgibt, werde ich nie verstehen. Aber das ist ihr Problem und nicht meines. Was ist denn nun? Ist die Produktion meines Filmes in Gefahr?“

Leo sagte nichts darauf, denn noch hatte er nicht alle Fragen gestellt.

„Kennen Sie Linda Fischer?“

„Nein, der Name sagt mir nichts.“

„Gisela Neumaier und Doris Bednarek?“

Wachenberg schüttelte den Kopf.

„Ich habe immer noch keine Antwort auf meine Frage: Ist mein Film in Gefahr?“

„Das wissen wir noch nicht.“

„Ich glaube nicht, dass Wachenberg etwas mit dem Verschwinden von Frau Baumgartner zu tun hat.“ Hans startete den Wagen und lenkte ihn durch die engen Straßen des Wohngebietes.

„Glauben heißt nicht wissen. Wir sollten seine Angaben überprüfen. Anhand seiner Handydaten finden wir heraus, ob er die Wahrheit sagt. Bei der Gelegenheit werden wir auch die Handydaten von Märklstuber und die der Damen überprüfen“, bestimmte Leo.

„Ein ziemlicher Aufwand für einen Vermisstenfall, der eigentlich noch keiner ist. Was wohl der Chef und der Staatsanwalt dazu sagen?“

„Das werden wir sehen.“

 

Hans sah seinen Freund und Kollegen an.

„Du lässt den Chef echt raushängen.“

„Mag sein. Weißt du, warum ich das mache?“

„Nein.“

„Weil ich es kann!“

Wachenberg traute sich nicht zu telefonieren, denn er war nicht der Mutigste. Erst, als er sicher war, dass die Polizisten auch wirklich weg waren, brachte er den Mut auf. Schließlich nahm er eines der Prepaid-Handys und wählte die ihm vertraute Nummer.

„Die Polizei war bei mir und hat Fragen zu Ilona gestellt. Was ist da los, Raimund?“

„Verdammter Mist!“ Es entstand eine längere Pause. „Hast du dichtgehalten?“

„Natürlich! Was denkst du denn?“

„Was haben sie gesagt?“

„Nicht viel.“

„Vielleicht vermisst sie jemand und deshalb wurde die Polizei eingeschaltet.“

„Warum dann gleich die Kriminalpolizei? Die wissen etwas!“

„Nein, das kann nicht sein. Wenn die die Unterlagen hätten, hätten Sie dich gleich mitgenommen. Die Kameras vor der Polizei haben ganz sicher nichts aufgezeichnet, ich habe mich persönlich davon überzeugt. Trotzdem ist es merkwürdig, dass die Kriminalpolizei Fragen stellt.“

„Es ging nicht nur um Ilona, sondern auch um Märklstuber, Linda Fischer und zwei Frauen mit Namen Doris Bednarek und Gisela Neumaier. Kennst du die Namen?“

„Wiederhole nochmals die Namen.“ Raimund machte sich Notizen. „Ich kümmere mich darum.“

„Was machen wir? Ich habe kein gutes Gefühl, Raimund!“

„Wir machen nichts, hörst du? Wir bleiben schön ruhig und tun so, als wäre nichts passiert.“

„Und was ist, wenn Ilona geplaudert hat? Vielleicht hat sie sich ihrer Freundin Linda Fischer anvertraut, könnte doch sein.“

„Ich kümmere mich auch darum. Du hättest besser aufpassen müssen, Bernd!“

„Glaubst du, ich weiß nicht, dass das meine Schuld ist? Wie hätte ich damit rechnen können, dass Ilona meine Schubladen durchwühlt?“

„Es ist jetzt nun mal, wie es ist, auch wenn dein Versagen für uns zur Katastrophe hätte werden können. Vielleicht kommen wir auch mit einem blauen Auge davon.“

Wieder entstand eine längere Pause.

„Mach jetzt keine Dummheiten, Bernd, du hast uns schon genug Ärger gemacht. Ich kläre die offenen Punkte ab und melde mich wieder. In der Zwischenzeit verhältst du dich ganz normal, verstanden?“

„Ja, mache ich. Was ist mit Ilona? Geht es ihr gut?“

Statt einer Antwort wurde die Verbindung unterbrochen. Wachenberg wurde übel. Alles lief doch prima. Warum hatte Ilona seine Schubladen durchwühlt und den Umschlag an sich genommen? Und warum wollte sie alles verraten? Man konnte sich immer auf Ilona verlassen. Sie war keine Verräterin, aber gerade jetzt hatte sie ihr Gewissen entdeckt. Wenn sie nicht bei ihm gewesen wäre, wäre alles gut und alles würde problemlos nach Plan laufen. Aber jetzt war nichts mehr so, wie es vorher war, und daran war nur Ilona schuld! Sie hatte eine Strafe verdient.

Wenig später dachte er anders darüber. Je länger er sich über Ilona und die vielen Begegnungen Gedanken machte, desto mehr veränderte sich seine Sichtweise. Wie es ihr wohl ging? Und warum hatte er vorhin Raimund gegenüber Linda Fischer erwähnt? Hätte er nicht einfach den Mund halten können? Was hatte Raimund vor? In Wachenbergs Kopf entstanden die schrecklichsten Bilder. Er rannte ins Bad und übergab sich. Mehr und mehr reifte in ihm der Wunsch, dass er sich niemals auf diesen Mist eingelassen hätte. Aber jetzt war es zu spät, er kam aus der Sache nicht mehr raus.

3.

Kirsten wachte langsam auf. Sie verstand nicht, wo sie war. Alles war dunkel, kalt und feucht. Ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit. Stück für Stück schaffte sie es, Umrisse zu erkennen. Sie lag auf einer Matratze auf dem blanken Boden, sie war mit einer Decke zugedeckt. Alles roch muffig und alt. Ihre Hände und Füße waren nicht gefesselt, was ihr trotz der Lage ein Lächeln entlockte. Mit der Hand tastete sie die Wand, danach den Boden vorsichtig ab. Da standen zwei Plastikflaschen und ein Teller mit Brot. Als sie den Deckel der einen Flasche öffnete, bemerkte sie zufrieden, dass es sich um eine frische Flasche handelte – gierig trank sie. Was war geschehen? Wie kam sie hier her? Nur langsam erinnerte sie sich an das, was geschehen war. Zwei Männer standen vor ihrer Tür und überwältigten sie. Sie konnte noch kurz mit Jörg sprechen, dann wurde alles dunkel. Wo war sie hier? Und was sollte das alles? War es Tag oder Nacht?

Plötzlich hörte sie ein leises Wimmern, woraufhin sie zusammenzuckte.

„Hallo? Ist da jemand?“ Ihre eigenen Worte erschreckten sie, denn sie hörten sich sehr laut an. Da war doch jemand! Sie spürte, dass sie nicht allein war. „Hallo?“

Es folgte ein Stöhnen, das eindeutig von einer Frau kam. Für einen kurzen Moment freute sich Kirsten, sie war also nicht allein. „Hallo? Sagen Sie doch etwas!“

Wieder ein Stöhnen, das eindeutig von der anderen Seite kam. Vorsichtig stand Kirsten auf. Sie hatte nur Strümpfe an, durch die sie die Kälte des Bodens spürte.

„Hallo?“

Der Raum war nicht klein, außerdem standen einige Möbel im Weg. Sie konnte einen Tisch und zwei Stühle erkennen. Dann fand sie schließlich, wonach sie suchte: Hier am Boden, am anderen Ende des Raumes, lag eine weitere Frau auf einer Matratze.

„Was ist mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut?“

Die Tür ging auf, das grelle Licht blendete Kirsten.

„Ihr habt euch schon bekannt gemacht, sehr gut.“ Die drohende Stimme des Maskierten erfüllte den Raum. „Sie ist verletzt, kümmere dich um sie.“

„Was fehlt ihr?“

„Ein kleiner Unfall. Sieh dir alles genau an. Wenn du Probleme machst, siehst du genau so aus.“

Kirsten besah sich die Frau, die ihr irgendwie bekannt vorkam. Solange das Licht brannte, konnte sie die Wunden sehen, die echt nicht gut aussahen.

„Ich brauche Verbandsmaterial, Desinfektions- und Schmerzmittel.“

„Du hast hier nichts zu verlangen, verstanden?“

„Wie soll ich die Frau denn versorgen?“ Kirsten war mutig. Woher das kam, konnte sie sich selbst nicht erklären. „Außerdem brauche ich Licht, damit ich etwas sehen kann.“

„Kannst du vergessen! Du willst doch nur Dummheiten damit machen! Ich kenne euch Weiber, euch ist nicht zu trauen.“

„Wenigstens ein paar Kerzen, gegen die wird doch nichts einzuwenden sein. Sicher haben Sie irgendwo einen Jogginganzug, denn die Kleidung der Frau ist nicht mehr zu gebrauchen.“

„Sonst noch etwas? Du spinnst doch!“

„Die Kleidung ist dünn und zerschlissen, sie wird sich hier den Tod holen!“ Kirsten sah den Mann mit großen Augen an. Ob er auf ihre Forderungen einging? Er musste, denn sonst konnte sie nichts für die Verletzte tun. „Sie wird das hier ohne Versorgung nicht überleben. Eine Blutvergiftung, eine ordentliche Grippe und es ist vorbei!“, setzte sie nach.

Brummend ging der Mann davon, ließ aber das Licht an. Jetzt konnte sich Kirsten die Frau in Ruhe ansehen. Es gab neben drei offenen Wunden, die echt übel aussahen, auch einige Prellungen, die dick angeschwollen waren. Vorsichtig zog sie die Frau aus. Wenn der Mann zurückkam, hatte sie gute Vorarbeit geleistet. Wenn nicht, musste sie sie eben wieder anziehen. Vor allem musste sie verbergen, dass die Frau jetzt nackt war, bevor der Mann noch auf dumme Gedanken kam. Dafür stopfte sie die Kleidung unter ihre eigene Decke. Jetzt galt es zu warten. Sie stand auf und machte sich mit allen Kleinigkeiten des Raumes vertraut, bevor das Licht wieder gelöscht wurde. Neben der Tür standen zwei Sixpack mit Wasser, ein Eimer Wasser und ein Eimer mit Deckel. Sie kombinierte, dass der eine wohl fürs Waschen und der andere für die Notdurft gedacht war. Widerlich, aber machbar.

Irgendwann tauchte der Mann tatsächlich wieder auf. Er legte einen Verbandskasten, einen Jogginganzug und eine Tüte ohne Kommentar auf den Tisch. Dann zog er einige dünne Kerzen und ein Päckchen Streichhölzer aus der Tasche. Er kam dem provisorischen Bett der Frau sehr nahe, was Kirsten unruhig werden ließ. Zum Glück gab er sich mit einem Blick auf sie zufrieden.

„Du machst keine Dummheiten, verstanden? Ihr werdet hier einige Tage verbringen müssen, geht sparsam mit den Kerzen um. In der Tasche ist euer Essen, teilt es euch gut ein.“

„Wann kommen Sie zurück? Wann dürfen wir hier raus?“

Der Mann drehte sich um und ging, nachdem er das Licht wieder ausgedreht hatte. Kirsten zündete eine der Kerzen an und kümmerte sich um die Frau. Nachdem sie es geschafft hatte, sie anzuziehen, flößte sie ihr etwas Wasser ein. Sie trank nur wenige Schlucke, aber das war besser als nichts. Kirsten pinkelte in den Eimer und kontrollierte den Deckel, der fest aufsaß. Dann nahm sie die Kerze und die Streichhölzer und setzte sich auf ihre Matratze. Es war Zeit, die Kerze auszublasen, denn damit musste sie sparsam umgehen.

Sie dachte an Jörg. Ging es ihm gut? Sie kannte ihn, er machte sich sicher Sorgen. Aber das war jetzt ihr kleinstes Problem. Viel wichtiger war: Kam sie jemals wieder hier raus?

4.

Die Kriminalkommissarin Diana Nußbaumer war froh, als die Kollegen endlich anriefen. Sie hatte nur wenig zu tun. Sobald der Chef in der Nähe war, tat sie ganz geschäftig, damit er nicht auf die Idee kam, ihr irgendwelche Aufgaben zu geben. Sie kannte Krohmer. Wenn er merkte, dass jemand Zeit hatte, kam er immer mit den alten Fällen um die Ecke. Die waren nicht nur gähnend langweilig, sondern brachten auch immer jede Menge Ärger mit sich. Kollegen fühlten sich auf den Schlips getreten, was sie sehr gut nachvollziehen konnte.

„Was habt ihr herausgefunden?“

„Überprüf bitte die Handydaten von Bernd Wachenberg und Franz Märklstuber. Sie behaupten beide, zur fraglichen Zeit nicht in Mühldorf und an der Polizei gewesen zu sein.“

„Und du glaubst das nicht?“

„Ich zweifle von Haus aus, das müsstest du eigentlich wissen.“

„Gut, mache ich. Eine Frau Fischer hat angerufen, sie möchte eine Aussage machen.“

„Linda Fischer?“

„Ja. Sie sagte, dass sie in einer Stunde hier sei.“

„Super. Danke für die Info.“

„Wann seid ihr zurück?“

„In gut einer Stunde.“

„Dann sage ich Frau Fischer, dass sie auf euch warten soll.“

„Danke, Diana. Gibt es irgendwelche Neuigkeiten bezüglich Frau Baumgartner?“

„Nein.“

„Bis später.“

Die Anforderung der Handydaten drang leider bis zu Krohmer durch.

„Wer hat das autorisiert?“, wandte er sich an Diana, da sonst niemand her war.

„Das war Leo.“

„Aha.“ Mehr sagte Krohmer dazu nicht. Jetzt, da Schwartz Leiter der Mordkommission war, konnte er ihn vor den Kollegen nicht bloßstellen. Warum dieser Aufwand? Was war da los? Schwartz war für sein Bauchgefühl bekannt. Konnte er sich auch diesmal darauf verlassen, oder ging die neue Verantwortung mit ihm durch?

Sobald Schwartz zurück war, musste er ihm Rede und Antwort stehen.

Aber dazu kam es nicht mehr, denn die Ereignisse überschlugen sich.

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