Der Schuh der Diva

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Aus der Reihe: Leo Schwartz #39
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„Nicht schon wieder!“, maulte Hans, der diese Arbeit nicht mochte.

„Das ist eine Arbeit, die getan werden muss. Mich fragt auch niemand, wenn auf mich etwas Unangenehmes wartet“, konterte Krohmer, der dabei an das bevorstehende Gespräch mit dem Bürgermeister dachte, wobei es um ein Fest zu Ehren der griechischen Partnerstadt ging. Nach der langen Zeit des Lockdowns und den jetzt endlich genehmigten Lockerungen standen wieder Großveranstaltungen an, auf die Krohmer nicht scharf war. Wie ruhig war es doch während der Pandemie, wenn man von Demonstrationen und der zunehmenden Gewaltbereitschaft mal ganz absah! Großveranstaltungen waren immer anstrengend und mussten gut vorbereitet werden, vor allem nach dem Lockdown. Er kannte seine Pappenheimer und ahnte, dass eine solche Feier voll ausgenutzt werden würde und es jede Menge Probleme gab, die er und seine Polizei ausbaden mussten. Aber darum musste er sich später kümmern.

„Es gibt da etwas, dem wir nachgehen sollten“, unterbrach Leo Krohmers Gedanken, noch bevor der die gute Nachricht bezüglich der Verstärkung mitteilen konnte.

„Aha. Sie haben meine volle Aufmerksamkeit.“

„Es gab heute Nacht einen Vorfall vor der Polizei, genauer gesagt vor dem Wasserturm. Es geht dabei um eine Frau.“

„Und?“, bohrte Krohmer nach, der sich zurücklehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. War das wieder einer von Schwartz’ kümmerlichen Versuche, sich vor der stumpfsinnigen Arbeit alter Fälle zu drücken?

„Viele der Kollegen, die zu der Zeit Dienst hatten, haben Schreie einer Frau gehört. Leider waren wir zu spät, um einschreiten zu können. Mehr als Scheinwerfer konnten wir nicht sehen und mehr ist auch auf den kümmerlichen Kameraaufzeichnungen nicht drauf.“

„Und? Das ist alles?“

„Wir konnten einen Schuh sicherstellen. Weitere Spuren waren durch das Gewitter vernichtet worden.“

Krohmer sah Leo fragend an.

„Mehr haben wir momentan zwar nicht, wir sollten der Sache trotzdem nachgehen.“

„Warum? Und kommen Sie mir nicht mit Ihrem Bauchgefühl.“

„Mehr habe ich aber nicht.“

Krohmer versuchte, ruhig zu bleiben und Leo zu erklären, dass sein Bauchgefühl für Ermittlungen nicht ausreichte. Aber der blieb stur.

„Ich weiß, dass da etwas nicht stimmt, Chef. Geben Sie uns zwei Tage.“

„Nein, das werde ich nicht tun. Geben Sie mir einen einzigen handfesten Grund für Ermittlungen. Bis ich den nicht habe…“

In dem Moment ging die Tür auf und Friedrich Fuchs trat ein. Er grüßte knapp und setzte sich.

„Schön, dass Sie doch noch Zeit für uns finden, Doktor Fuchs“, blaffte Krohmer ihn an, da er Verspätungen nicht mochte.

„Hier ist die Analyse des Schuhs, den mir der Kollege Schwartz heute Nacht übergab“, sagte Fuchs, ohne auf die Bemerkung des Chefs einzugehen. Er reichte seine Mappe an ihn weiter und wartete gespannt auf die Reaktion.

Krohmer las die Auswertung. Anfangs war er immer noch verärgert, aber das verflog sehr schnell.

„Wollen Sie behaupten, dass dieser Schuh Ilona Baumgartner gehört?“

„Das behaupte ich nicht, das ist bewiesen.“

„Ilona Baumgartner? Wer ist das?“ Leo sah die Kollegen an.

„Du kennst sie nicht? Sie ist eine berühmte Schauspielerin und hat schon in vielen Filmen und TV-Serien mitgespielt.“ Hans musste sich ein Lachen verkneifen. Es war typisch für Leo, dass er Berühmtheiten nicht kannte.

„Frau Baumgartner ist eine Mühldorferin, die trotz ihrer nationalen und internationalen Erfolge bodenständig geblieben ist und ihren Erstwohnsitz immer noch in unserem schönen Mühldorf hat“, sagte Krohmer nicht ohne Stolz, der die Frau und ihr schauspielerisches Talent bewunderte.

Leo war die Berühmtheit egal. Wichtig war für ihn nur, dass der Schuh, den er heute Nacht sichergestellt hatte, ihr gehörte.

„Und Sie sind sich ganz sicher?“, wandte er sich deshalb an Fuchs.

„Ja. Da die Frau aktenkundig ist, haben wir ihre DNA in der Datenbank. Sie stimmt mit der auf dem Schuh überein.“

„Aktenkundig?“

„In früheren Jahren war die Frau auffällig geworden. Partys, Fahren unter Alkoholeinfluss, und schließlich Beamtenbeleidigung mit Körperverletzung – das war im Jahr 2008. Damals ging Frau Baumgartner auf einen Polizisten los. Sie hat ihn nicht nur geschlagen, sondern auch gekratzt, was eine Anzeige nach sich zog.“ Fuchs teilte sein Wissen nicht ganz emotionslos mit, denn er mochte die Frau schon allein wegen dieses Übergriffes nicht, auch wenn er sie noch nie hatte spielen sehen. Angriffe gegen Polizisten nahmen in den letzten Jahren zu, und das konnte er nicht leiden.

„Wer hat sie denn wegen ein paar Kratzern angezeigt?“ Leo lächelte, denn das war für ihn geradezu lächerlich.

„Das waren nicht nur ein paar Kratzer. Schauen Sie sich die Bilder an, dann denken Sie anders darüber“, konterte Fuchs.

Leo war erschrocken und wurde wütend. Wann hatte es begonnen, dass man dermaßen respektlos und brutal mit Polizisten umging?

„Ich hoffe doch, dass die gute Frau angemessen bestraft wurde?“

„Angemessen ist relativ. Ein Jahr auf Bewährung, außerdem musste sie einen Anti-Aggressions-Kurs absolvieren.“

„Lächerlich“, schüttelte Leo den Kopf und sprach das aus, was die Kollegen dachten. „Hat die Strafe wenigstens geholfen? Gab es danach noch Auffälligkeiten?“

„Nein, nichts dergleichen. Frau Baumgartner hat sich öffentlich zu ihrem Vergehen geäußert und sich mehrfach entschuldigt“, mischte sich jetzt Krohmer ein, der den Vorfall damals bearbeitet hatte. Er kannte auch das Opfer, das nicht mehr in Mühldorf arbeitete. „Sie hat sich bei dem Kollegen öffentlich entschuldigt und sich mit ihm versöhnt, was ihr sehr viele Pluspunkte einbrachte. Seitdem engagiert sie sich für Gewaltopfer, was ich sehr gut finde.“

„Das macht die gute Frau sicher auch nicht ohne die Presse, nehme ich an.“ Leo mochte solche Menschen nicht, für ihn war so ein Verhalten nicht ehrlich. Warum machte man solche Dinge nicht still und heimlich nur für sich? Warum öffentlich und immer mit der Presse an der Seite? Krohmer ging darauf nicht ein.

„Der Karriere der Frau hat dieser Vorfall nicht geschadet, im Gegenteil. Frau Baumgartner hat einen Fehler gemacht und sich dafür entschuldigt. Mehr kann man nicht verlangen. Was verlangen Sie denn noch?“

„So, wie ich Fuchs verstanden habe, war das nicht nur ein Fehler“, maulte Leo.

„Wie dem auch sei: Wir wissen jetzt, wem der Schuh gehört. Sie wissen, was Sie zu tun haben.“ Krohmer stand auf.

„Das heißt, dass wir ermitteln dürfen?“

„Selbstverständlich.“

„Nur, weil es sich um eine berühmte Schauspielerin handelt?“

„Das verbitte ich mir, Kollege Schwartz! Hier werden alle Bürger gleich behandelt! Oder wollen Sie mir unterstellen, dass dem nicht so ist?“

„Nein, natürlich nicht. Was ist mit der versprochenen Unterstützung? Wir können nicht ewig nur zu dritt arbeiten!“

Krohmer hatte das, was er eigentlich zu berichten hatte, völlig vergessen.

„Hilfe wurde angekündigt. Wann wir damit rechnen können, steht in den Sternen. Geduld, Kollege Schwartz!“, brummte er.

Alle waren enttäuscht, was Krohmer verwunderte. Hatte denn niemand verstanden, was er und der Staatsanwalt geschafft hatten? Der Antrag auf Verstärkung wurde genehmigt und viele Stellen taten alles, um den Wunsch umzusetzen – das war mehr, als man erwarten konnte.

„Ach – und ich darf nicht mit?“ Diana Nußbaumer war enttäuscht, als Leo ihr mitteilte, dass Hans und er zu der berühmten Schauspielerin fuhren und sie die Stellung halten sollte.

„Ja, das ist so.“

„Warum?“

„Weil ich das so entschieden habe.“ Leo lächelte und nahm seine Jacke, auch wenn es dafür viel zu warm war. Nach dem nächtlichen Gewitter strahlte die Sonne wieder und für Mitte September war es wieder außergewöhnlich warm.

„Lässt du den Chef nicht zu sehr raushängen?“ Hans zog die Sonnenbrille auf und startete den Wagen.

„Findest du? Das ist nicht meine Absicht. Trotzdem hat diese Position etwas für sich: Ich kann lästige Diskussionen problemlos abwenden.“ Auch Leo zog seine Sonnenbrille auf und stellte die Klimaanlage höher.

„Spinnst du? Wir werden uns beide erkälten! Wenn es dir zu warm ist, zieh deine Jacke aus!“

„Damit mich die Mücken stechen? Nein, darauf habe ich keine Lust. Nach dem letzten Gewitter war ich leichtsinnig und wurde von den Biestern regelrecht überfallen, das passiert mir nicht noch einmal. Die Jacke bleibt diesmal an.“

Hans drehte die Klimaanlage wieder runter, was Leo sofort wieder korrigierte. Grinsend sah er Hans an.

„Schon vergessen, dass ich der Chef bin und das letzte Wort habe?“

„Noch ein Wort, und du darfst aussteigen. Schon vergessen, dass der Fahrer den Ton angibt?“

Das Haus der Schauspielerin lag am Rande Mühldorfs. Hans war beeindruckt und pfiff durch die Zähne. Schon allein die beiden Fahrzeuge vor der Tür überstiegen den Wert seines eigenen Hauses um einiges. Leo war das alles egal. Er wollte mit der Frau sprechen und sich von ihrem Zustand persönlich überzeugen, nur deshalb war er hier. Er drückte die Klingel drei Mal hintereinander.

„Musst du so drängeln?“ Hans sah sich um. Warum hielt sich Leo nicht einfach zurück?

„Was hast du denn? Sonst stört dich das doch auch nicht! – Ah, ich verstehe! Du willst einen guten Eindruck hinterlassen und möchtest dich bei der Frau einschleimen. Machst du jetzt auch einen Knicks und bittest um ein Autogramm, wenn die Frau gleich erscheint?“

„Halts Maul!“

„Du spinnst doch! Nur, weil die Frau in der Öffentlichkeit steht und das spielt, was andere ihr sagen, ist sie nichts Besonderes.“ Leo schüttelte den Kopf. Er hatte noch nie vor irgendjemandem gekuscht und wollte sich das auch nicht mehr angewöhnen.

 

Eine Frau öffnete ihnen, die offensichtlich nicht Frau Baumgartner war, denn Hans reagierte sofort.

„Kriminalpolizei. Wir möchten mit Frau Baumgartner sprechen.“

„Sie ist nicht hier.“

„Und wo finden wir sie?“

„Das weiß ich nicht, da müssen Sie ihren Manager fragen.“

„Und wo ist der zu finden?“

„Er schläft noch. Herr Märklstuber ist Ilonas Gast, und das schon seit Monaten. Gewöhnlich steht er gegen Mittag auf.“ Leo und Hans spürten den leisen Unterton.

„Wecken Sie ihn, wir warten.“

„Das wird Herrn Märklstuber nicht gefallen.“

„Das ist uns egal, Frau?“

„Linda Fischer, ich bin die Haushälterin und arbeite seit sechs Jahren für Ilona. Ist etwas passiert?“

„Das wissen wir nicht. Wann haben Sie Frau Baumgartner das letzte Mal gesehen?“

„Gestern Abend. Sie hatte einen Termin mit einem Regisseur wegen des neuen Filmes, der gerade gedreht wird. Ilona sagte, dass es da etwas gibt, das ihr nicht gefällt, und das wollte sie mit ihm besprechen.“

„Name?“

„Bernd Wachenberg.“

„Und wo sollte das Treffen stattfinden?“

„Im Hotel Fürsthof.“

„In Mühldorf?“

Linda Fischer nickte.

„Über den genaueren Grund des Treffens können Sie nicht mehr sagen?“

„Nein, den hat sie mir nicht verraten, aber darüber wollte sie später ausführlich mit mir sprechen. Ich habe gespürt, dass es um etwas Ernstes ging.“ Linda Fischer fuhr sich nervös durchs Haar, außerdem zitterte sie, was sie nur schlecht verbergen konnte.

Vor allem Leo spürte, dass die Haushälterin nicht die ganze Wahrheit sagte, dafür kannte er Menschen und deren Körpersprache zu gut. Auch Hans hatte bemerkt, dass Frau Fischer etwas verbarg. Leo setzte nochmals nach, aber Linda Fischer bedauerte erneut, den Grund des Treffens nicht zu kennen. Was für eine sture Frau!

„Würden Sie bitte den Manager für uns wecken?“

Frau Fischer zögerte. Man konnte ihr ansehen, dass ihr das sehr unangenehm war.

„Wenn Sie wollen, könnte ich das für Sie übernehmen“, bot Hans ihr lächelnd an.

„Herr Märklstuber kann sehr ungehalten reagieren, wenn ihm etwas nicht passt“, versuchte sie Hans zu warnen.

„Damit komme ich zurecht. Wo ist das Schlafzimmer?“

Frau Fischer trat einen Schritt zur Seite und bat die beiden Kriminalbeamten ins Haus. Hier war alles vom Feinsten, was Hans genau so erwartet hatte. Die Haushälterin zeigte die Treppe nach oben.

„Die zweite Tür rechts.“

„Gab es in letzter Zeit irgendwelche Drohungen gegen Frau Baumgartner? Hat sie Feinde?“

„Nein, da war nichts, alles war wie immer. Wie gesagt, gab es Probleme mit dem neuen Film, mehr weiß ich wirklich nicht.“

„Worum geht es in dem Stück?“

„Eine Love-Story in den bayerischen Bergen, die bis nach Berlin führt. Nichts Besonderes. Ilona gab mir das Drehbuch, ich fand es gut.“

„Macht sie das immer so?“

„Ja, sie bat mich schon immer um Rat.“

„Schon immer? Sie arbeiten erst seit sechs Jahren hier.“

„Vorher waren wir befreundet. Als mein Mann mich verließ, stand ich mittellos da – ohne Geld und ohne Job. Ilona hat mich sofort eingestellt, sie behandelt und bezahlt mich sehr anständig. Ich habe ihr viel zu verdanken.“

Leo sah die Frau an und bemerkte ein Zucken um die Mundwinkel – ein eindeutiges Zeichen dafür, dass nicht alles so rosig war, wie sie behauptete.

„Was ist mit dem Manager? Warum mögen Sie ihn nicht?“

„Ist das so offensichtlich?“

„Allerdings.“

Linda Fischer biss sich auf die Unterlippe. Ob sie dem Polizisten die Wahrheit sagen sollte? Warum nicht!

„Herr Märklstuber nutzt Ilona nur aus. Vor Monaten erschien er einfach vor unserer Tür und erzählte eine rührende Geschichte, die ich ihm nicht geglaubt habe, Ilona aber schon. Sie hat sofort reagiert und ihm ihre Hilfe angeboten.“

„Was hat er erzählt?“

„Seine Frau hätte ihn auf die Straße gesetzt und dadurch wäre er obdachlos. Und nicht nur das. Sie hätte ihm alle Konten gesperrt und dadurch sei er momentan auch mittellos. Ilona hat ihm sofort angeboten, bei ihr einzuziehen und unterstützt ihn seitdem auch finanziell. Immer wieder habe ich versucht, Ilona zur Vernunft zu bringen, aber sie wollte mir nicht zuhören. Da sie keine eigene Familie hat, zählt sie Märklstuber und mich zu ihrer Familie. Das ist schmeichelhaft, aber auch ziemlich naiv. Je länger Märklstuber hier ist, desto fester nistet er sich hier ein. Er spielt sich inzwischen auch als Hausherr auf und kommandiert nicht nur mich, sondern auch Ilona herum. Die lässt sich das gefallen. Oft merkt sie es nicht einmal, wenn sie fremdbestimmt wird. Märklstuber ist raffiniert und weiß, wie er mit ihr reden muss, um seinen Willen zu bekommen. An seiner finanziellen Lage hat sich seitdem nichts geändert, obwohl er anfangs versprochen hatte, dass das nur ein momentaner Engpass sei und er sich darum bemühe, sich mit seiner Frau zu einigen. Märklstuber ist ein Lügner, dem darf man kein Wort glauben. Ich traue ihm zu, dass längst alles geregelt ist und er weiterhin auf Ilonas Kosten lebt.“

Das Gespräch beider wurde jäh unterbrochen, denn von der ersten Etage drangen Schreie bis zu ihnen. Linda Fischer zuckte zusammen.

„Aha, der Herr Manager ist offenbar aufgewacht“, lächelte Leo.

Hans konnte dem Wasserglas gerade noch ausweichen. Noch bevor Märklstuber die dazugehörige Flasche nach ihm werfen konnte, war Hans bei ihm und verhinderte das. Da Märklstuber immer noch aufgewühlt und gewaltbereit war, zog Hans den schmächtigen Mann aus dem Bett und legte ihm Handschellen an.

„Sie beruhigen sich jetzt erstmal“, sagte Hans und zeigte ihm seinen Ausweis.

„Was fällt Ihnen ein? Das ist Hausfriedensbruch und Körperverletzung! Ich werde Sie anzeigen, darauf können Sie sich verlassen! Ich werde dafür sorgen, dass Sie Ihren Job verlieren!“

„Atmen Sie tief durch, bevor Sie mich auch noch beleidigen, denn das kann teuer werden.“

„Was erlauben Sie sich? Sie sind in mein Haus eingedrungen und haben mir Gewalt angetan! Nehmen Sie sofort die Handschellen ab!“

„Erst, wenn Sie sich beruhigt haben.“ Hans nahm einen Stuhl und setzte sich. Nach einigen Minuten schien der Mann ruhiger zu sein. „Geht es wieder? Können wir uns wie Erwachsene unterhalten?“

Märklstuber nickte, auch wenn er Hans am liebsten immer noch den Hals umdrehen würde.

„Wenn Sie vernünftig sind und mir versprechen, dass Sie ruhig bleiben, nehme ich Ihnen die Handschellen ab.“

„Ja, Mann, Sie haben gewonnen.“

Hans blieb vorsichtig, diesem Mann traute er einiges zu.

„Ich werde mit meinem Anwalt sprechen. Hausfriedensbruch und Körperverletzung stehen immer noch im Raum.“

„Machen Sie, was Sie nicht lassen können. Sie sollten bei Ihrem Anwalt in dem Zusammenhang zur Sprache bringen, dass uns die Haushälterin der Eigentümerin ins Haus gelassen hat und ich Sie mit deren Einverständnis geweckt habe, da sie selbst Angst vor Ihnen und Ihren Gewaltausbrüchen hat.“

„Das hat Linda gesagt? Die Alte spinnt doch!“

„Wir wollen doch nicht vergessen, dass Sie mich tätlich angegriffen haben. Außerdem ist die Tatsache, dass das hier nicht Ihr Haus ist, nicht unerheblich. Welche Rolle Sie hier innehaben, werden wir klären. Gehen wir.“

„Darf ich mich wenigstens duschen und anziehen?“

„Anziehen ja, duschen nein, wir haben unsere Zeit nicht gestohlen.“

„Was ist denn eigentlich los? Warum sind Sie hier? Warum diese Dringlichkeit?“

„Wir sehen uns unten, dann klären wir Ihre Fragen.“

Linda Fischer hatte für alle Kaffee gemacht, aber nicht für sich selbst. Für die Polizisten hatte sie eingeschenkt, für Märklstuber selbstverständlich nicht. Sie war Ilonas Angestellte, nicht die von dem Kotzbrocken. Während die Herren im Salon Platz nahmen, blieb sie neben der ausladenden Sitzgarnitur stehen. Sie vermied auch sonst den Kontakt zu Märklstuber und daran änderte sich auch heute nichts.

„Wir sind auf der Suche nach Ilona Baumgartner. Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?“

„Warum? Was wollen Sie von ihr? Alle Fragen, die sie beruflich und auch privat betreffen, können Sie auch gerne an mich stellen. Ich bin ihr Manager und weiß alles“, prahlte Märklstuber, der sich für den Besuch fein angezogen hatte. Der Anzug hatte sicher ein Vermögen gekostet, was Hans sofort bemerkte. Schon allein die Krawatte war mehr wert als seine eigene Uhr. Leo war das Aussehen des Mannes egal, auch weil er die Werte von Kleidung und Accessoires noch nie einschätzen konnte.

„Beantworten Sie einfach nur unsere Fragen“, drängelte Leo, der den Mann nicht mochte. Auch die Haushälterin kam ihm suspekt vor.

„Ilona ging gestern Abend ohne eine Erklärung aus dem Haus. Ich vermute, dass sie shoppen wollte.“

Linda Fischer konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ilona hatte diesen Widerling also nicht ins Vertrauen gezogen. Leo und Hans war diese kurze Regung nicht entgangen.

„Sie kennen Bernd Wachenberg?“

„Den Regisseur? Selbstverständlich! Ich verstehe nicht…“

„Sehen Sie sich bitte das Foto an. Ist das der Schuh von Frau Baumgartner?“

„Keine Ahnung. Ilona hat sehr viele Schuhe, für meine Begriffe zu viele.“

Leo zeigte Linda Fischer das Foto auf seinem Handy.

„Ja, das ist ihr Schuh. Was ist passiert?“ Die Frau war aschfahl geworden und zitterte jetzt noch mehr. Leo ging nicht auf die Frage ein.

„Wo waren Sie beide heute Nacht gegen drei Uhr?“

„In meinem Bett, wo sonst?“ Märklstuber wurde langsam ungeduldig und sah auf die Uhr.

„Und Sie, Frau Fischer?“

„Ich auch, allerdings wurde ich von dem Gewitter geweckt. Ich war wach und kontrollierte alle Fenster im Haus. Das dauerte etwa bis halb vier Uhr, danach habe ich mich wieder ins Bett gelegt.“

„Sie wohnen hier?“

„In der Einliegerwohnung über der Garage. Ilona hat mir damals die Wohnung zur Verfügung gestellt. Eigentlich sollte das nur eine Übergangslösung sein, bis ich etwas anderes gefunden habe.“

„Und trotzdem bist du immer noch hier“, maulte Märklstuber.

Linda überhörte den Kommentar.

„Ilona und ich kamen überein, dass es sehr praktisch ist, dass ich in der Wohnung bleibe. Sie fühlte sich in dem riesigen Haus manchmal sehr einsam und war froh, dass ich in der Nähe war.“

„Aber jetzt bin ich hier und du könntest langsam wieder verschwinden. Ich denke, dass du Ilonas Gutmütigkeit lange genug ausgenutzt hast.“ Märklstubers Augen strahlten blanken Hass aus.

„Wenn es um das Ausnutzen von Ilonas Gutmütigkeit geht, stehst du doch ganz oben auf der Liste“, konterte Linda. Man konnte die Feindseligkeit zwischen den beiden förmlich greifen.

„Gab es in der letzten Zeit Drohungen oder nervende Fans?“ Leo wollte weg hier und stellte die Fragen, die ihn interessierten. Ob sich die beiden mochten oder sogar anfeindeten, war ihm gleichgültig.

„Nein, nichts dergleichen. Ilona ist überall beliebt.“ Märklstuber trank einen Schluck Kaffee. „Darf ich jetzt endlich erfahren, worum es eigentlich geht?“

„Sie haben sich keine Sorgen gemacht, dass Frau Baumgartner heute Nacht nicht zuhause war?“, fuhr Leo unbeirrt fort.

„Nein, warum sollte ich? Sie ist eine erwachsene Frau und muss sich mir gegenüber nicht rechtfertigen.“ Märklstuber gab sich gelassen, was ihm die Kriminalbeamten nicht abnahmen.

„Das war es vorerst“, entschied Hans, der den Mann inzwischen auch nicht besser leiden konnte. „Sie halten sich zu unserer Verfügung – beide.“

„Aha. Und warum sollte ich Ihrer Anweisung Folge leisten?“

„Weil ich es sage.“

„Was wollte Ilona mit Wachenberg besprechen?“ Märklstuber war Linda Fischer bedrohlich nahe gekommen. „Los, raus mit der Sprache! Du steckst doch deine Nase in alles, was dich nichts angeht und hast sicher wieder gelauscht.“

„Das habe ich nicht nötig!“ Linda baute sich vor dem verhassten Mann auf, vor dem sie keine Angst hatte. „Im Gegensatz zu dir vertraut mir Ilona.“

„Jetzt sag schon! Was ist mit diesem Film?“

Linda grinste nur überlegen und ließ Märklstuber stehen. Der war wütend. Er hätte Wachenberg anrufen und ihn fragen können, aber die beiden hatten sich überworfen und sprachen kein Wort mehr miteinander. Wo war dieses verdammte Drehbuch, für das er sich bisher nicht interessiert hatte? Die Tür zum Büro war zugeschlossen. Linda! Sie würde ihm niemals den Schlüssel geben. Ob das Drehbuch überhaupt im Büro lag? Er fing an, alle Schubladen zu durchwühlen.

 

Linda beobachtete das Treiben Märklstubers und grinste. Sie wusste, wonach er suchte. Dass sie das Drehbuch an sich genommen hatte, würde sie ihm nicht auf die Nase binden. Sollte er doch danach suchen!

Sie ging in ihre Wohnung und schloss die Tür hinter sich ab, Märklstuber vertraute sie nicht. Sie setzte sich. Die Polizei suchte Ilona! Warum hatte sie nicht die Wahrheit gesagt? Sie war feige gewesen, was sie jetzt bereute. Wo war Ilona? Ging es ihr gut?

„So ein Arschloch“, schimpfte Hans, als er sich in den Wagen setzte. „Ein Weiberer, wie er im Buche steht!“

„Ein was?“

„Ein Weiberer. Hast du den Ausdruck noch nie gehört?“

„Sonst würde ich nicht fragen.“

„Einer, der bei den Frauen nichts anbrennen lässt und sie nach Strich und Faden ausnutzt.“

„Also so einer, wie du einer früher warst?“

„Das verbitte ich mir!“ Hans war sauer. „Ich war nie ein Weiberer! Ich habe Frauen nie ausgenutzt. Nimm das zurück!“

„Ist ja gut, beruhige dich wieder.“ Leo musste sich ein Lachen verkneifen – er hatte den Unterschied verstanden.

„Märklstuber steht für mich ganz oben auf der Liste, solche Typen kann ich auf den Tod nicht ausstehen.“

„Das sehe ich ähnlich. Allerdings ist die gute Frau Fischer auch nicht ohne. - Könntest du dir vorstellen, bei mir als Angestellter zu arbeiten?“

„Niemals! Dieses schwäbische Gesabbel den ganzen Tag – das erträgt doch keiner!“

„Du Weichei! Ich muss diesen bayrischen Dialekt schon seit Jahren ertragen, und zwar von allen Seiten. Da sieht man mal, wie geduldig und tolerant ich bin.“

Hans musste lachen, von der Seite hatte er es noch nie gesehen.

„Könntest du dir vorstellen, für mich privat zu arbeiten und auch bei mir zu wohnen?“

„Nein, niemals. Allerdings war ich auch noch nie in einer Notlage, die mich dazu gezwungen hätte. Trotzdem würde ich nicht auf die Idee kommen, für einen Freund oder eine Freundin zu arbeiten und in deren Garagenwohnung zu leben. Es gibt so viele andere Jobs, die nicht so demütigend für mich wären.“

Für beide war klar, dass sie nicht nur Märklstuber, sondern auch Linda Fischer überprüfen mussten.

Leo brauchte nicht zu fragen, wohin die Fahrt ging – es war klar, dass das nächste Ziel das Hotel Fürsthof in Mühldorf war. Danach war der Regisseur Wachenberg dran, der in Erding kurz vor München lebte. Das war zwar eine Strecke von rund einer Stunde, aber die nahmen die beiden gerne auf sich.

Das junge Mädchen hinter der Rezeption erschrak und wurde knallrot, als sie die Ausweise der Kriminalbeamten sah.

„Ich hatte noch nie mit der Polizei zu tun.“

„Das ehrt Sie, aber wir sind nicht wegen Ihnen hier“, beschwichtigte Hans lächelnd.

„Das hätte mich auch gewundert, denn ich habe keinen Führerschein.“

„Führerschein?“

„Sie sind doch Polizisten.“

„Und Sie meinen, dass wir wegen eines Verkehrsvergehens hier sind?“

„Ja.“

„Wir sind keine Verkehrspolizisten, sondern von der Kriminalpolizei.“ Hans versuchte, der jungen Frau den Unterschied zu erklären, aber die hörte nicht richtig zu.

„War diese Frau gestern Abend bei Ihnen?“, schritt Leo schließlich ein, da das Gespräch nur unnötig Zeit kostete und sowieso nichts brachte.

„Bei mir?“

„Nein, in diesem Hotel.“ Mein Gott, war das Mädl dämlich.

„Das weiß ich nicht. Fragen Sie bitte meine Kollegin, die hatte gestern Abend Schicht. Doriiiiiiiiis!“, rief sie quer durch die Halle. Einige drehten sich um, andere schüttelten den Kopf. Besonders eine Frau regte sich tierisch auf. Sie kam schnurstracks auf die Rezeption zu.

„Bitte etwas leiser, Ingrid! Hab ich dir nicht gesagt, dass bei uns nicht geschrien wird?“ Sie versuchte, ruhig zu sprechen, was ihr nicht gelang. Es war offensichtlich, dass das nicht das erste Mal war, dass über dieses Thema gesprochen wurde. „Ich bin die Managerin des Hotels, mein Name ist Neumaier, Gisela Neumaier“, wandte sie sich an Hans. „Kann ich helfen?“

„Wir sind von der Kriminalpolizei. Mein Name ist Schwartz, das ist der Kollege Hiebler. Nach unseren Informationen war diese Frau gestern Abend hier“, hielt Leo ihr sein Handy vor die Nase.

„Das ist Frau Baumgartner, die berühmte Schauspielerin und eine Berühmtheit in Mühldorf.“

„Richtig. War sie gestern hier?“

„Ja, das war sie. Sie kommt oft und gerne in unser Haus, was uns natürlich sehr freut. Sie kam gestern Abend gegen zwanzig Uhr, ich habe sie persönlich begrüßt. Wann sie gegangen ist, weiß ich nicht. Sicher ist, dass sie um zweiundzwanzig Uhr nicht mehr hier war. Ich habe vorhin von unserer Doris erfahren, dass Frau Baumgartner nichts gegessen hat, auch ihr Glas hat sie nicht ausgetrunken, was sehr ungewöhnlich ist. Vielleicht hatte sie es eilig.“

„Mit wem war sie hier?“

„Das weiß ich nicht, ich habe sie nach der Begrüßung nicht mehr gesehen.“

Leo wunderte sich, dass die Frau trotzdem so genau Bescheid wusste.

„Können wir mit Doris sprechen?“

„Selbstverständlich. Wenn Sie mir bitte folgen würden?“

Eine junge Frau im Dirndl deckte die Tische für den Mittag ein, wobei sie sehr routiniert vorging.

„Das ist unsere Doris“, stellte Gisela Neumaier die Mitarbeiterin vor. Es war offensichtlich, dass sich die beiden Damen nicht mochten, denn die Blicke sprachen Bände. Leo bekam eine Gänsehaut, als er das bemerkte. „Beantworte bitte die Fragen der Polizisten“, wies die Neumaier nicht gerade freundlich an.

Doris verschränkte die Arme vor der Brust.

„Danke, Sie können gehen, Frau Neumaier“, entschied Leo, der sofort verstand, dass Doris ohne sie gesprächiger war.

Die Managerin zog davon, was Doris mit einem hämischen Lächeln quittierte.

Leo und Hans wiesen sich formell aus – so, wie sich das gehörte.

„Wie ist Ihr Name?“

„Doris Bednarek. Weshalb sind Sie hier? Hat mich die alte Neumaier schon wieder angeschwärzt?“

„Nein, deshalb sind wir nicht hier. Es geht um Frau Baumgartner. Wie wir eben erfuhren, haben Sie die Frau gestern Abend bedient?“

„Ja, das habe ich. Ich habe Frau Baumgartner bedient so wie jeden anderen Gast, ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Das habe ich der Neumaier gesagt. – Hat sich die Frau über mich beschwert?“

„Nein, darum geht es nicht. Kommen wir auf den gestrigen Abend zurück. Mit wem saß Frau Baumgartner am Tisch?“

„Mit einem Mann um die fünfzig. Die beiden haben sich sehr angeregt unterhalten. Vor allem der Mann hat sehr eindringlich auf Frau Baumgartner eingeredet. Worum es ging, habe ich nicht mitbekommen, das ist auch nicht mein Job. Die Neumaier hatte mir befohlen, die Frau bevorzugt zu behandeln. Ich nehme die Bestellungen auf und bediene die Gäste, wobei ich alle gleich behandle. Mir ist es egal, ob jemand berühmt ist oder nicht. Das habe ich auch der Neumaier gesagt.“

„Das glauben wir Ihnen gerne“, lächelte Hans. „Wann ging Frau Baumgartner?“

„Gegen zweiundzwanzig Uhr stand sie auf und ging schnurstracks zum Ausgang. Ihr Begleiter ging ihr hinterher, kam aber kurz darauf wieder zurück.“

„Hat sie bezahlt, bevor sie ging?“

„Nein, das hat ihr Begleiter übernommen. Einen Euro Trinkgeld bei einer Rechnung von vierundsechzig Euro.“

„Wie hat der Mann bezahlt?“

„Mit Kreditkarte.“

„Könnten Sie uns den Beleg zeigen?“

„Selbstverständlich.“

„Bernd Wachenberg“, las Leo ab und verglich den Namen mit denen seiner Liste. „Das muss der Regisseur sein, mit dem sie verabredet war.“

„Kann sein, ich kenne den Mann nicht.“

„Ist Ihnen an Frau Baumgartner irgendetwas aufgefallen?“

„Nein. – Doch! Sie sah immer wieder auf ihr Handy. Das ist nicht ungewöhnlich, das machen viele Gäste, aber sie schien auf etwas zu warten. Außerdem kam sie mir sehr nervös vor, beinahe ärgerlich.“

„Kennen Sie Linda Fischer?“

„Nein, der Name sagt mir nichts.“

„Was ist mit Franz Märklstuber?“

Bei dem Namen hellte sich ihr Gesicht auf, sie strahlte geradezu.