Adlerholz

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Aus der Reihe: Leo Schwartz #9
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5.

„Mit dieser Vita von Simon Rau stimmt etwas nicht,“ sagte Hiebler am Nachmittag, als er versuchte, Informationen über das frühere Leben des Opfers zu überprüfen und genau zu durchleuchten. „Lücken über Lücken, und einige Informationen so schwammig. Das stinkt!“

„Seine Arbeitsunterlagen sehen auch nicht besser aus: Ausbildung in einem Betrieb, den es schon seit Jahren nicht mehr gibt. Ein Empfehlungsschreiben einer Holzfirma in Primasens; auch die existiert nicht mehr.“

„Dann graben Sie tiefer. Ich werde meine Kontakte spielen lassen, denn verarschen können wir uns selbst,“ sagte Frau Westenhuber sauer. Sie hatte die Informationen bereits gesichtet, als sie vom Joggen zurück war und die Kollegen noch beim Mittagessen saßen. Auch ihr kam das alles merkwürdig vor, sie wollte aber nicht vorgreifen. Vor allem war sie von Natur aus allem und jedem gegenüber misstrauisch und vermutete oftmals immer das Schlimmste, wodurch sie manchmal übers Ziel hinausschoss.

Sie wählte die Nummer eines befreundeten Kollegen beim LKA, Dr. Bernhard Müller. Sie machte kurzen Smalltalk, bis sie schließlich auf den Grund ihres Anrufes kam.

„Wir haben einen Fall, bei dem ich deine Hilfe brauche. Es geht um einen Simon Rau, zu dem wir aber, sagen wir mal, sehr vage Informationen haben.“

„Sagtest du Simon Rau? Mitte 30, kräftig, ziemlich üppig tätowiert?“, rief Dr. Müller aufgeregt.

„Ja.“ Waltraud Westenhuber war nun doch irritiert über die heftige Reaktion von Dr. Müller, den sie sonst zwar als sehr extrovertierten, aber besonnen Mann kennengelernt hatte. Sie waren sich bei einigen Fortbildungen und unvermeidbaren Veranstaltungen über den Weg gelaufen. Sie mochte den Mann nicht besonders, hatte aber noch nie enger mit ihm zu tun.

„Schick mir sofort ein Bild von dem Mann, geht das?“

„Selbstverständlich. Warte kurz,“ sie tippte auf ihrem Laptop, „die Mail mit Anhang ist an dich unterwegs.“

„Verdammte Scheiße,“ hörte sie Dr. Müller, was überhaupt nicht zu ihm passte. „Das ist einer von uns. Ihr unternehmt nichts weiter, wir sind unterwegs und übernehmen den Fall.“

„Das kommt ja überhaupt nicht in Frage,“ protestierte Frau Westenhuber empört. „Selbstverständlich werden wir diesen Fall nicht einfach so abgeben, was fällt dir eigentlich ein?“

„Dir trau ich das ja noch zu, aber deine Kollegen vom Land sind solch einer Aufgabe überhaupt nicht gewachsen, glaub mir. Da steckt weit mehr dahinter, als du dir vorstellen kannst. Wie gesagt, ihr seid raus und unternehmt nichts mehr, hast du mich verstanden?“

Waltraud Westenhuber erwiderte nichts darauf, mit diesem Idioten wollte sie sich nicht länger unterhalten. Sie hatte einfach aufgelegt und lief schnurstracks zu ihrem Cousin Rudolf Krohmer. Natürlich hatten die anderen die lautstarke Auseinandersetzung gehört und sahen Frau Westenhuber nun erstaunt hinterher, als sie ohne ein Wort der Erklärung wutentbrannt aus dem Büro stürmte.

„Ich habe eben mit Dr. Müller vom LKA gesprochen. Der hat doch allen Ernstes angewiesen, dass wir den Fall Rau ans LKA abgeben sollen. Das eine sage ich dir gleich: Das kommt überhaupt nicht in Frage,“ schimpfte sie umgehend los, als sie in Krohmers Büro stürmte. Frau Gutbrod war zum Glück nicht auf ihrem Platz, denn sie hätte die aufgebrachte Kollegin nur sehr schwer zurückhalten können. Krohmer telefonierte im Moment, aber seine Cousine interessierte sich nicht dafür, nahm ihm den Hörer aus der Hand und legte auf.

„Was fällt dir ein?“, schrie er, bis er endlich die Worte seiner Cousine verstand. „Das LKA will den Fall mit dem Toten aus der Alz? Das gibt es doch nicht. Setz dich und erzähl von Anfang an.“

„Bei dem Toten Simon Rau handelt es sich offenbar um einen Polizisten, mehr weiß ich auch nicht. Dr. Müller vom LKA, den ich um eine Information über den Toten bat, hat angeordnet, dass wir den Fall ans LKA abgeben sollen. Er hat uns als Landpolizisten bezeichnet, die dem Fall nicht gewachsen wären.“

„Das ist eine Unverschämtheit,“ sagte Krohmer sauer, der sich durch die Aussage persönlich angegriffen und beleidigt fühlte. „So einfach geht das nicht. Macht euch sofort mit Hochdruck an die Arbeit. In der Zwischenzeit führe ich einige Telefonate und melde mich, sobald ich etwas Neues habe. – Frau Gutbrod!“

Die Sekretärin war wieder an ihrem Platz. Sie erkannte sofort an der Stimme ihres Chefs, dass etwas passiert sein musste.

„Veranlassen Sie an der Pforte, dass keine Personen außer unseren eigenen reingelassen werden. Der Diensthabende soll mich persönlich über jeden einzelnen Besucher informieren. Veranlassen Sie, dass Gäste in den Wartebereich geführt werden und unter Aufsicht gestellt werden. Die bewegen sich hier auf keinen Fall unkontrolliert. Sie haften persönlich dafür. Außerdem bin ich ab sofort für Niemanden zu sprechen, vor allem nicht fürs LKA.“

„Herr Kollege Sauerwein,“ sprach Frau Gutbrod den Diensthabenden an der Pforte an. „Jeden Fremden, auch wenn er Polizist ist, vorerst nicht reinlassen, sondern direkt beim Chef oder besser noch bei mir melden. Ich werde mich dann um die Leute kümmern.“

„Dicke Luft?“, fragte der Diensthabende flapsig. Frau Gutbrod nickte. „Von mir aus, wird erledigt.“

„Hört mal alle her,“ rief Frau Westenhuber mit aufgeregter Stimme ins Büro. „Der Tote aus der Alz ist ein Polizist, Einzelheiten sind mir nicht bekannt. Das LKA will uns den Fall wegnehmen, die Kollegen aus München dürften bereits unterwegs sein. Obwohl man uns den Fall nicht zutraut, bin ich sehr wohl der Meinung, dass wir das können und auch Krohmer ist auf unserer Seite. Er lässt seine Beziehungen spielen und ich hoffe, dass er erfolgreich ist. Bis zur endgültigen Klärung werden wir mit Hochdruck an dem Fall arbeiten. Den Feierabend können Sie vergessen, Überstunden sind angesagt. Wer Probleme damit hat, soll es lieber gleich sagen.“

Leo Schwartz, Hans Hiebler und Werner Grössert konnten kaum glauben, was sie hörten. Natürlich war es für sie selbstverständlich, dass sie den Fall nicht kampflos ans LKA abgeben und machten sich umgehend an die Arbeit.

„Bezüglich der Waffe gibt es nichts Neues. Die Spuren am Tatort und in der Wohnung des Opfers haben auch nichts Neues ergeben. Interessant ist nur, was nicht gefunden wurde: Ein Laptop, das Handy, irgendwelche persönliche Unterlagen oder Fotos.“ Hiebler las den Bericht der Spurensicherung laut vor.

„Die Mitarbeiter und die Chefin des Sägewerks Krug sind soweit sauber,“ sagte Grössert enttäuscht, der sich mehr von den Überprüfungen versprochen hatte.

„Und bei der Firma selbst sind auch keine weiteren Unregelmäßigkeiten zu erkennen. Das Sägewerk steht tatsächlich finanziell auf wackligen Füßen; die Geschichte, die uns Frau Krug erzählt hat, scheint zu stimmen,“ Leo sah dabei seine Vorgesetzte an, die trotzdem nicht zufrieden schien.

„Das kann ja alles sein, aber ich bin dafür, dass wir das Sägewerk nochmals genauer unter die Lupe nehmen. Jetzt seht mich nicht so skeptisch an, sonst haben wir doch absolut nichts. Weder der Wagen, noch das Handy oder ein Laptop des Opfers sind bislang aufgetaucht.“

„Und sie glauben wirklich, dass wir die auf dem Firmengelände finden?“

Waltraud Westenhuber zuckte nur mit den Schultern, sie hatte keine Antwort darauf. Natürlich hoffte sie darauf.

„Und wie wollen Sie einen Durchsuchungsbeschluss bekommen? Wir haben nicht den kleinsten Grund für eine Durchsuchung in der Hand.“

„Den Durchsuchungsbeschluss bekomme ich niemals, das ist mir auch klar. Ich baue einfach auf die Kooperationsbereitschaft dieser Frau Krug. Sie können doch so gut mit ihr, Kollege Schwartz. Lassen Sie Ihren Charme spielen.“

„Ich werde mein Bestes geben.“

Die Polizisten mussten zugeben, dass dieses Sägewerk tatsächlich momentan die einzige Spur war, obwohl sie davon überzeugt waren, dass sie damit nur unnötig Zeit vertrödelten. Aber wo sollten sie sonst ansetzen?

„Was ist mit Fuchs? Hat er sich bezüglich der Garage von Rau oder dem Spind bei dem Sägewerk Krug schon gemeldet?“

„Nein noch nicht.“

„Was dauert denn da so lange.“

Sie rief Fuchs an, der immer noch mit der Durchsuchung der Garage beschäftigt war. Er hatte versprochen, sich zu beeilen und sich umgehend wieder bei ihr zu melden, sobald er fertig war.

Sie wollten eben auf dem Parkplatz der Polizeiinspektion Mühldorf in ihre Wagen steigen, als das LKA vorfuhr. Dass es sich dabei ums LKA handelte, sah man sofort. Drei gleiche, protzige, dunkle Fahrzeuge mit getönten Scheiben, alle mit Münchner Kfz-Kennzeichen.

„Runter mit den Köpfen,“ rief Frau Westenhuber und sie versteckten sich allesamt hinter ihren Fahrzeugen. Mit energischen Schritten gingen die LKA-Beamten auf das Gebäude der Polizeiinspektion Mühldorf zu.

„Die haben wohl zu viele amerikanische Filme gesehen,“ flüsterte Grössert lachend.

Die insgesamt sechs Beamten trugen alle dunkle Anzüge und Sonnenbrillen.

„Wofür haben die denn so riesige Aktentaschen dabei?“

„Irgendwo muss die Brotzeit ja hin,“ sagte Hiebler, worauf Frau Westenhuber schallend lachen musste.

Nachdem die Kollegen vom LKA im Gebäude des Polizeipräsidiums verschwunden waren, konnten sie endlich losfahren.

Nach einer halben Stunde fuhren sie auf das Firmengelände des Sägewerks Krug in Unterneukirchen. Wieder herrschte eine rege Betriebsamkeit; gerade wurde ein Lastwagen entladen, der randvoll mit Brennholz beladen war.

Leo betrat das Büro, wo Frau Krug vor dem Bildschirm ihres alten Rechners saß.

„Ich grüße Sie, Frau Krug,“ rief er fröhlich, worauf sie lächelte und leicht errötete, was Leo aber überhaupt nicht bemerkte. Er war in solchen Dingen vollkommen unbedarft und vor allem, seit er seine Viktoria hatte, auch nicht daran interessiert.

 

„Servus Herr Schwartz. Sie schon wieder?“

„Wir bräuchten Ihre Hilfe. Wir sind immer noch auf der Suche nach dem Handy und dem Laptop von Simon Rau. Würden Sie uns erlauben, uns auf dem Firmengelände umzusehen?“

„Meinetwegen,“ sagte Sie knapp. Sie dachte nicht eine Sekunde daran, dass dafür eigentlich ein Durchsuchungsbeschluss vorliegen müsste, was Leo zusätzlich darin bestärkte, dass sie nichts zu verbergen hatte.

Sie suchten das ganze Firmengelände ab und fanden nicht die geringste Spur. Völlig frustriert standen sie an Hieblers Wagen.

„Das war vollkommen überflüssig, verdammt nochmal,“ fluchte Frau Westenhuber. „Was jetzt?“

„Keine Ahnung. Wir haben nichts mehr. Wenn wir wenigstens wüssten, was dieser Simon Rau hier wollte? Was war seine Aufgabe? Drogen? Waffen?“

„Jetzt mach aber mal `nen Punkt Hans,“ warf Grössert empört ein, „hier in Unterneukirchen? Niemals!“

„Und wie erklärst du dir, dass ein Mann Undercover offensichtlich hier eingeschleust wurde? Und das LKA? Wieso mischen die sich jetzt ein und wollen den Fall übernehmen? Ich weiß ja, dass du davon überzeugt bist, dass es bei uns so etwas nicht gibt – aber wieso sollte so etwas hier nicht passieren?“

„Jetzt beruhigen wir uns wieder. Ich versuche herauszubekommen, was der Kollege Rau hier wollte. Ich habe noch einige einflussreiche Personen in der Hinterhand, die mir vielleicht helfen könnten. Wartet hier, ich rufe vom Wagen aus an, im Präsidium hätten wir wegen dem LKA sowieso keine Ruhe.“

Hiebler, Grössert und Schwartz standen in der prallen Sonne und schwiegen frustriert, während Frau Westenhuber endlos lange telefonierte. Als sie aus dem Wagen stieg, konnte man an ihrem Gesicht ablesen, dass die Gespräche nicht sehr erfolgreich waren.

„Nichts zu machen, ich habe nichts rausbekommen, verdammt nochmal. Offenbar wurde eine Informationssperre diesen Fall betreffend verhängt, denn sonst wäre ich irgendwie an Informationen gekommen,“ sagte sie schließlich enttäuscht.

„Zurück ins Präsidium?“

Frau Westenhubers Handy klingelte, es war Fuchs.

„Wir sind hier in Kastl fertig.“

„Haben Sie etwas Brauchbares für uns? Jede Kleinigkeit wäre hilfreich, denn wir stehen ziemlich auf dem Schlauch.“

„In allen Kartons war so ziemlich das Gleiche drin. Merkwürdig an dem Ganzen ist, dass es so aussieht, als wären diese Kartons zielgerichtet aufgebaut worden, als eine Art Wand.“

„Eine Wand wofür? War irgendetwas dahinter versteckt?“ Frau Westenhuber wurde ungeduldig, man musste diesem Fuchs wirklich jedes einzelne Wort aus der Nase ziehen.

„Nur Brennholz, sonst nichts.“

„Dann kommen Sie nach Unterneukirchen ins Sägewerk Krug. Der Spind von unserem Opfer muss untersucht werden.“

„Und?“, war die knappe Frage von Grössert.

„Nichts. In den Kartons offenbar nur belangloses Zeug und dahinter nur Brennholz. Fuchs meint, dass diese Kartons als eine Art Wand verwendet wurden. Was hatte dieser Rau damit bezweckt? Verdammt nochmal, wir haben nichts in der Hand.“

Sie schwiegen frustriert und sahen dabei dem Treiben auf dem Hof zu.

„Moment Mal,“ sagte Leo, „sagten Sie eben, dass im hinteren Teil der Garage Brennholz lagerte? Rau hatte keinen Holzofen in der Wohnung.“

„Stimmt. Vielleicht Holz für den Verkauf?“

„Hinter Kisten aufgeschichtet? Unwahrscheinlich.“

„Vielleicht hat Rau damit gegrillt?“

„Hinter Kisten versteckt? Wie sollte er da rankommen? Außerdem haben wir keinen Grill gefunden.“

„Und ich kenne kaum einen Mann, der mit Holz seinen Grill befeuert, dafür nimmt man Kohle.“

„Warum sollte dieses verdammte Brennholz für uns wichtig sein? Rau hatte seine Gründe, vielleicht ist das auch überhaupt nicht von Belang und Rau oder der Vormieter hatte das Holz schlicht und einfach nur vergessen. Denkt nach Leute, sonst müssen wir in den sauren Apfel beißen und die ganze Sache tatsächlich dem LKA überlassen.“ Frau Westenhuber war verzweifelt, denn außer ihrer Ungeduld war Verlieren ebenfalls nicht ihre Stärke.

„Nicht so schnell,“ sagte Leo. „Seht euch den Lkw genauer an: Er hat ein italienisches Kennzeichen. Meint ihr, auch das Holz kommt aus Italien? Das wäre überaus unwirtschaftlich.“

„Stimmt. Wir befinden uns mitten in einem holzreichen Gebiet, warum sollte man da Holz aus Italien importieren.“

Waltraud Westenhuber wollte eben einschreiten, denn dieses ganze Holz interessierte sie überhaupt nicht. Aber sie wollte die Kollegen auch nicht unterbrechen.

„Seht euch die Schuhe des Fahrers an - ich habe noch nie einen Lkw-Fahrer gesehen, der so teure und dazu auch noch so saubere Schuhe trägt,“ sagte Hiebler. Nicht nur, dass er Ahnung von teurer Kleidung hatte, er fuhr früher nach der Bundeswehr und vor seiner Ausbildung bei der Polizei einige Zeit selbst Lkw und da trug man keine solch teure Kleidung. Die Beamten gingen einige Schritte näher an den Lkw, wobei sie von dem Fahrer beobachtet wurden, der sie nun freundlich grüßte. Sie waren jetzt nur noch wenige Meter vom Lkw entfernt. Die Fahrertür stand offen und der Fahrer stand neben dem Lkw und beobachtete das Entladen des Brennholzes. Er schien nun nervös zu werden, denn seine Blicke wanderten zwischen dem Brennholz und den Polizisten hin und her.

„Seht euch diese teure Armbanduhr an. Die sind limitiert, mein Vater hat sich so eine zu Weihnachten gewünscht und die war sehr schwer zu bekommen“, flüsterte Grössert, der förmlich riechen konnte, dass hier etwas nicht stimmte.

„Die kann er billig irgendwo im Ostblock gekauft haben, das sagt noch nicht viel,“ warf Frau Westenhuber ein, die ihrerseits überhaupt nichts Auffälliges an diesem Lastwagen, dem Fahrer oder geschweige denn an der Ladung fand. Für sie war das alles reine Zeitverschwendung. Sie sollten sich Gedanken in eine andere Richtung machen und sich nicht an solchen Nichtigkeiten festhalten.

„Ich finde, das sind sehr viele Ungereimtheiten auf einmal,“ sagte Leo. „Wenn wir schon mal hier sind, sollten wir uns diesen Lkw und auch den Fahrer genauer ansehen.“

Als sich die Beamten dem Lkw noch mehr näherten, drehte sich der Fahrer um und rannte los so schnell er konnte. Natürlich hatte er die Polizisten von Anfang an im Auge gehabt. Dass es sich bei den Personen um Polizisten handelte, wusste er sofort, die konnte er förmlich riechen. Und jetzt, da sie gezielt auf ihn zukamen und sich viel zu sehr für ihn interessierten, musste er so schnell wie möglich hier weg. Anfangs hoffte er noch darauf, dass sie sich aus einem anderen Grund hier herumtrieben, was auch danach aussah. Aber sie standen schon viel zu lange dort bei ihren Autos und unterhielten sich, bis sie sich schließlich zusehends für ihn zu interessieren schienen. Jetzt kamen sie allesamt auf ihn zu und er musste weg. Er gab ein Signal mit seinem Handy und rannte los. Wenn die Polizei nur 10 Minuten eher hier gewesen wäre, hätte er niemals seinen Lkw abladen lassen, hätte gewartet und das auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, wenn wieder Ruhe auf dem kleinen Firmengelände eingekehrt wäre. Warum hatte niemand auch nur ein Wort darüber verloren, dass sich die Polizei hier herumtrieb? Egal, die Sache ging schief und er musste weg, und zwar so schnell wie möglich.

Leo und Frau Westenhuber liefen ihm sofort hinterher. Der Fahrer kannte sich offenbar sehr gut aus, denn an den hinteren Teil des Firmengeländes grenzte ein Feldweg, den er sofort einschlug und Richtung Hauptstraße lief. Leo und Frau Westenhuber näherten sich ihm immer mehr, sie waren nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Als der Fahrer die Hauptstraße erreichte, hielt direkt neben ihm ein Wagen, in den er einstieg. Die Beamten konnten nur noch völlig außer Atem hinterhersehen.

„Haben Sie das Kennzeichen?“, keuchte Frau Westenhuber.

Leo nickte nur, er konnte nicht mehr sprechen, war vollkommen fertig und musste erst wieder zu Atem kommen. Obwohl seine neue Vorgesetzte einige Jahre älter war, war sie deutlich fitter und er hatte sich ranhalten müssen, um mit ihr Schritt zu halten.

„Ich denke, der hat hier auf ihn gewartet. Das stinkt, das stinkt zum Himmel. Aber eine gute Sache hat das Ganze: Wir haben eine heiße Spur.“

„Es ist ein italienisches Kennzeichen,“ keuchte Leo, „keine Ahnung, aus welcher Gegend, aber das kriegen wir schon raus.“ Leo rief umgehend einen Mühldorfer Kollegen an, der sofort die Fahndung nach dem Fahrzeug einleitete.

Sie gingen eiligen Schrittes zu den anderen zurück, zu denen sich auch Frau Krug gesellte, die das Ganze vom Büro aus beobachtet hatte.

„Was ist hier los Frau Krug?“

„Keine Ahnung. Ich kenne den Fahrer nicht, ich kenne keinen der Fahrer. Ich habe mich immer nur um die Papiere gekümmert und die waren immer völlig in Ordnung. Diese Firma bringt regelmäßig Brennholz aus Italien und es gab noch nie Probleme damit. Diese Lieferung und auch der Fahrer haben ganz bestimmt nichts mit Simons Tod zu tun, das kann ich mir einfach nicht vorstellen.“

„Aber genau davon gehen wir aus. Denken Sie doch mal nach: Der Fahrer rennt einfach davon, er hat bestimmt mitbekommen, dass wir von der Polizei sind. Und es ist ganz offensichtlich, dass bei dieser Holzlieferung ein Begleitfahrzeug dabei war, denn es ist unstrittig, dass der Fahrer in dieses Begleitfahrzeug gestiegen ist. Und beide Fahrzeuge haben ein italienisches Kennzeichen – nur Zufall?“

Sie gingen ins Büro und Annemarie Krug schien nun langsam zu begreifen, sie blätterte aufgeregt wieder und wieder die Lieferpapiere durch.

„Aber wir haben doch nur Brennholz geliefert bekommen. Die gleiche Lieferung mit der gleichen Spedition, sehen Sie selbst, es ist immer alles problemlos abgelaufen.“ Sie war vollkommen aufgelöst und drohte, augenblicklich umzukippen. Hiebler nahm sie zur Seite und nötigte sie, sich zu setzen.

„Beruhigen Sie sich Frau Krug, das klärt sich alles auf, dafür sind wir ja hier,“ sprach er mit ruhigem Ton auf sie ein, wodurch sie tatsächlich langsam wieder flacher atmete.

„Die Ladung ist beschlagnahmt, auch das Zeug, das bereits abgeladen wurde.“ Sie sahen vom Fenster aus, dass Fuchs mit seinen Leuten in den Hof fuhr und sie ging ihm entgegen.

„Sehr schön Herr Fuchs. Kümmern Sie sich zuerst um diesen Lkw und die Ladung. Und auch dieser Haufen hier gehört dazu. Um den Spind können Sie sich später kümmern.“

„Wird gemacht,“ sagte Fuchs und wies seine Kollegen an. Frau Westenhuber ging wieder zurück ins Büro.

„Grössert,“ fuhr Frau Westenhuber mit ihren Anweisungen fort. „Sie sehen so aus, als würden Sie sich mit Computern am besten auskennen. Sie übernehmen die Firmenunterlagen! Schwartz, Sie kommen mit mir, wir befragen die Mitarbeiter. Hans, du bleibst hier am Hof und behältst alles im Auge. Keiner verlässt oder betritt das Firmengelände! Verdammt nochmal, was ist denn los?“, schimpfte Frau Westenhuber, deren Handy klingelte, was sie jetzt nicht brauchen konnte. Es war Krohmer.

„Was willst du?“, herrschte sie ihn an.

„Wir können die Leute vom LKA nicht länger hinhalten, Frau Gutbrod tut wirklich ihr Bestes, aber die machen hier einen Aufstand, das kannst du dir nicht vorstellen. Bislang konnte ich mich erfolgreich verleugnen lassen, aber so langsam muss ich mich persönlich dem Problem stellen. “

„Was ist mit deinen Kontakten?“

„Ich brauche einfach mehr Zeit.“

„Die brauchen wir auch. Wir sind hier beim Sägewerk Krug auf eine heiße Spur gestoßen. Du musst das LKA noch hinhalten, streng dich gefälligst an.“

Sie hatte aufgelegt, denn sie hatte andere Dinge zu tun. Ihr Cousin kam schon irgendwie zurecht und fand ganz bestimmt eine Lösung.

Frau Gutbrod trat völlig genervt in Krohmers Büro.

„Chef, tun Sie was, bitte!“, flehte sie ihn an. „Die Männer sind inzwischen echt genervt, vor allem dieser Dr. Müller lässt sich kaum noch zu einem Gespräch hinreißen. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll.“

„Ich brauche noch etwas Zeit Frau Gutbrod. Ich weiß, dass ich Ihnen einiges abverlange, aber Sie müssen noch durchhalten. Es ist fast Mittag. Sagen Sie den Kollegen vom LKA, dass Sie mich erreicht haben und dass ich ab 14.00 Uhr wieder im Büro bin. Gehen Sie mit den Männern chic essen.“ Er sah an ihrem Gesicht, dass sie überhaupt nicht begeistert war, aber mit einem Bonbon konnte er sie vielleicht überreden. „Nehmen Sie doch zur Unterstützung Ihre reizende Nichte Karin mit.“

 

Das war keine schlechte Idee. Sechs Polizisten, von denen drei noch unverheiratet waren, das hatte sie inzwischen herausbekommen. Außerdem brauchte sie die Hilfe ihrer Nichte bezüglich der Grössert-Sache und musste auch ihr einen Köder vorwerfen, denn nach dem letzten Fall beim Landratsamt Altötting war sie bestimmt für einen weiteren Einsatz nur sehr schwer zu gewinnen. Da Karin Urlaub hatte, war sie zeitlich flexibel. Die Idee mit dem Essen war nicht mehr völlig ausgeschlossen, das war sogar eine sehr gute Idee. Und Karin zu überreden war eine Kleinigkeit. Während Frau Gutbrod nachdachte, hellte sich ihr Gesicht immer mehr auf und Krohmer wusste nun, dass er mit ihrer Hilfe rechnen konnte. Er war sehr erleichtert, denn irgendwie musste er noch Zeit rausschinden und irgendjemand musste die LKA-Leute beschäftigen, und dafür war Frau Gutbrod genau die Richtige.

„Gut Chef, einverstanden, ich helfe Ihnen. Aber nur dieses eine Mal noch. Und Sie sind mir dafür etwas schuldig.“

„Auf jeden Fall, Sie haben mein Wort drauf. Vielen Dank, Frau Gutbrod, Sie glauben nicht, welchen Gefallen Sie mir damit tun. Viel Spaß und guten Appetit.“

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