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Was heißt: sich im Denken orientieren?

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Es ist also nicht Erkenntnis, sondern gefühltes4 Bedürfnis der Vernunft, wodurch sich MENDELSSOHN (ohne sein Wissen) im spekulativen Denken orientierte. Und da dieses Leitungsmittel nicht ein objektives Prinzip der Vernunft, ein Grundsatz der Einsichten, sondern ein bloß subjektives (d. i. eine Maxime) des ihr durch ihre Schranken allein erlaubten Gebrauchs, ein Folgesatz des Bedürfnisses ist und für sich allein den ganzen Bestimmungsgrund unsers Urteils über das Dasein des höchsten Wesens ausmacht, von dem es nur ein zufälliger Gebrauch ist, sich in den spekulativen Versuchen über denselben Gegenstand zu orientieren: so fehlte er hierin allerdings, daß er dieser Spekulation dennoch so viel Vermögen zutraute, für sich allein auf dem Wege der Demonstration alles auszurichten. Die Notwendigkeit des ersteren Mittels konnte nur stattfinden, wenn die Unzulänglichkeit des letzteren völlig zugestanden war: ein Geständnis, zu welchem ihn seine Scharfsinnigkeit doch zuletzt würde gebracht haben, wenn mit einer längeren Lebensdauer ihm auch die den Jugendjahren mehr eigene Gewandtheit des Geistes, alte gewohnte Denkungsart nach Veränderung des Zustandes der Wissenschaften leicht umzuändern, wäre vergönnet gewesen. Indessen bleibt ihm doch das Verdienst, daß er darauf bestand, den letzten Probierstein der Zulässigkeit eines Urteils hier wie allerwärts nirgend als allein in der Vernunft zu suchen: sie mochte nun durch Einsicht oder bloßes Bedürfnis und die Maxime ihrer eigenen Zuträglichkeit in der Wahl ihrer Sätze geleitet werden. Er nannte die Vernunft in ihrem letzteren Gebrauche die gemeine Menschenvernunft; denn dieser ist ihr eigenes Interesse jederzeit zuerst vor Augen, indes man aus dem natürlichen Geleise schon muß getreten sein, um jenes zu vergessen und müßig unter Begriffen in objektiver Rücksicht zu spähen, um bloß sein Wissen, es mag nötig sein oder nicht, zu erweitern.

Da aber der Ausdruck: Ausspruch der gesunden Vernunft, in vorliegender Frage immer noch zweideutig ist und entweder, wie ihn selbst MENDELSSOHN mißverstand, für ein Urteil aus Vernunfteinsicht oder, wie ihn der Verfasser der Resultate zu nehmen scheint, ein Urteil aus Vernunfteingebung genommen werden kann, so wird nötig sein, dieser Quelle der Beurteilung eine andere Benennung zu geben, und keine ist ihr angemessener als die eines Vernunftglaubens. Ein jeder Glaube, selbst der historische, muß zwar vernünftig sein; (denn der letzte Probierstein der Wahrheit ist immer die Vernunft), allein ein Vernunftglaube ist der, welcher sich auf keine andere Data gründet als die, so in der reinen Vernunft enthalten sind. Aller Glaube ist nun ein subjektiv zureichendes, objektiv aber mit Bewußtsein unzureichendes Fürwahrhalten; also wird er dem Wissen entgegengesetzt. Andrerseits, wenn aus objektiven, obzwar mit Bewußtsein unzureichenden Gründen etwas für wahr gehalten, mithin bloß gemeinet wird, so kann dieses Meinen doch durch allmähliche Ergänzung in derselben Art von Gründen endlich ein Wissen werden. Dagegen, wenn die Gründe des Fürwahrhaltens ihrer Art nach gar nicht objektiv gültig sind, so kann der Glaube durch keinen Gebrauch der Vernunft jemals ein Wissen werden. Der historische Glaube z. B. von dem Tode eines großen Mannes, den einige Briefe berichten, kann ein Wissen werden, wenn die Obrigkeit des Orts denselben, sein Begräbnis, Testament usw. meldet. Daß daher etwas historisch bloß auf Zeugnisse für wahr gehalten, d. i. geglaubt wird, z. B. daß eine Stadt Rom in der Welt sei, und doch derjenige, der niemals da gewesen, sagen kann: Ich weiß, und nicht bloß: Ich glaube, es existiere ein Rom, das steht ganz wohl beisammen. Dagegen kann der reine Vernunftglaube durch alle natürliche Data der Vernunft und Erfahrung niemals in ein Wissen verwandelt werden, weil der Grund des Fürwahrhaltens hier bloß subjektiv, nämlich ein notwendiges Bedürfnis der Vernunft ist (und, solange wir Menschen sind, immer bleiben wird), das Dasein eines höchsten Wesens nur vorauszusetzen, nicht zu demonstrieren. Dieses Bedürfnis der Vernunft zu ihrem sie befriedigenden theoretischen Gebrauche würde nichts anders als reine Vernunfthypothese sein, d. i. eine Meinung, die aus subjektiven Gründen zum Fürwahrhalten zureichend wäre; darum, weil man, gegebene Wirkungen zu erklären, niemals einen andern als diesen Grund erwarten kann und die Vernunft doch einen Erklärungsgrund bedarf. Dagegen der Vernunftglaube, der auf dem Bedürfnis ihres Gebrauchs in praktischer Absicht beruht, ein Postulat der Vernunft heißen könnte; nicht, als ob es eine Einsicht wäre, welche aller logischen Forderung zur Gewißheit Genüge täte, sondern weil dieses Fürwahrhalten, (wenn in dem Menschen alles nur moralisch gut bestellt ist), dem Grade nach keinem Wissen nachsteht,5 ob es gleich der Art nach davon völlig unterschieden ist.

Ein reiner Vernunftglaube ist also der Wegweiser oder Kompaß, wodurch der spekulative Denker sich auf seinen Vernunftstreifereien im Felde übersinnlicher Gegenstände orientieren, der Mensch von gemeiner, doch (moralisch) gesunder Vernunft aber seinen Weg, sowohl in theoretischer als praktischer Absicht, dem ganzen Zwecke seiner Bestimmung völlig angemessen vorzeichnen kann; und dieser Vernunftglaube ist es auch, der jedem anderen Glauben, ja jeder Offenbarung zum Grunde gelegt werden muß.

Der Begriff von Gott, und selbst die Überzeugung von seinem Dasein, kann nur allein in der Vernunft angetroffen werden, von ihr allein ausgehen und weder durch Eingebung, noch durch eine erteilte Nachricht von noch so großer Auctorität zuerst in uns kommen. Widerfährt mir eine unmittelbare Anschauung von einer solchen Art, als sie mir die Natur, soweit ich sie kenne, gar nicht liefern kann, so muß doch ein Begriff von Gott zur Richtschnur dienen, ob diese Erscheinung auch mit allen dem übereinstimme, was zu dem Charakteristischen einer Gottheit erforderlich ist. Ob ich gleich nun gar nicht einsehe, wie es möglich sei, daß irgendeine Erscheinung dasjenige auch nur der Qualität nach darstelle, was sich immer nur denken, niemals aber anschauen läßt, so ist doch wenigstens soviel klar, daß, um nur zu urteilen, ob das Gott sei, was mir erscheint, was auf mein Gefühl innerlich oder äußerlich wirkt, ich ihn an meinen Vernunftbegriff von Gott halten und darnach prüfen müsse, nicht ob er diesem adäquat sei, sondern bloß, ob er ihm nicht widerspreche. Ebenso: wenn auch bei allem, wodurch er sich mir unmittelbar entdeckte, nichts angetroffen würde, was jenem Begriffe widerspräche, so würde dennoch diese Erscheinung, Anschauung, unmittelbare Offenbarung oder wie man sonst eine solche Darstellung nennen will, das Dasein eines Wesens niemals beweisen, dessen Begriff, (wenn er nicht unsicher bestimmt und daher der Beimischung alles möglichen Wahnes unterworfen werden soll), Unendlichkeit der Größe nach zur Unterscheidung von allem Geschöpfe fodert, welchem Begriffe aber gar keine Erfahrung oder Anschauung adäquat sein, mithin auch niemals das Dasein eines solchen Wesens unzweideutig beweisen kann. Vom Dasein des höchsten Wesens kann also niemand durch irgendeine Anschauung zuerst überzeugt werden; der Vernunftglaube muß vorhergehen, und alsdann könnten allenfalls gewisse Erscheinungen oder Eröffnungen Anlaß zur Untersuchung geben, ob wir das, was zu uns spricht oder sich uns darstellt, wohl befugt sind für eine Gottheit zu halten und nach Befinden jenen Glauben bestätigen.

4Die Vernunft fühlt nicht; sie sieht ihren Mangel ein und wirkt durch den Erkenntnistrieb das Gefühl des Bedürfnisses. Es ist hiemit wie mit dem moralischen Gefühl bewandt, welches kein moralisches Gesetz verursacht; denn dieses entspringt gänzlich aus der Vernunft, sondern durch moralische Gesetze, mithin durch die Vernunft verursacht oder gewirkt wird, indem der rege und doch freie Wille bestimmter Gründe bedarf.
5Zur Festigkeit des Glaubens gehört das Bewußtsein seiner Unveränderlichkeit. Nun kann ich völlig gewiß sein, daß mir niemand den Satz: Es ist ein Gott, werde widerlegen können; denn wo will er diese Einsicht hernehmen? Also ist es mit dem Vernunftglauben nicht so wie mit dem historischen bewandt, bei dem es immer noch möglich ist, daß Beweise zum Gegenteil aufgefunden würden, und wo man sich immer noch vorbehalten muß, seine Meinung zu ändern, wenn sich unsere Kenntnis der Sachen erweitern sollte.