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Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein

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Von dem krankhaften Gefühl aus der Unzeit im Denken

Einem Gelehrten ist das Denken ein Nahrungsmittel, ohne welches, wenn er wach und allein ist, er nicht leben kann; jenes mag nun im Lernen (Bücherlesen) oder im Ausdenken (Nachsinnen und Erfinden) bestehen. Aber beim Essen oder Gehen sich zugleich angestrengt mit einem bestimmten Gedanken beschäftigen, Kopf und Magen oder Kopf und Füße mit zwei Arbeiten zugleich belästigen, davon bringt das eine Hypochondrie, das andere Schwindel hervor. Um also dieses krankhaften Zustandes durch Diätetik Meister zu sein, wird nichts weiter erfordert, als die mechanische Beschäftigung des Magens, oder der Füße, mit der geistigen des Denkens wechseln zu lassen und während dieser (der Restauration gewidmeten) Zeit das absichtliche Denken zu hemmen und dem (dem mechanischen ähnlichen) freien Spiele der Einbildungskraft den Lauf zu lassen; wozu aber bei einem Studierenden ein allgemein gefaßter und fester Vorsatz der Diät im Denken erfordert wird.

Es finden sich krankhafte Gefühle ein, wenn man in einer Mahlzeit ohne Gesellschaft sich zugleich mit Bücherlesen oder Nachdenken beschäftigt, weil die Lebenskraft durch Kopfarbeit von dem Magen, den man belästigt, abgeleitet wird. Ebenso, wenn dieses Nachdenken mit der krafterschöpfenden Arbeit der Füße (im Promenieren11) verbunden wird. Man kann das Lukubrieren noch hinzufügen, wenn es ungewöhnlich ist. Indessen sind die krankhaften Gefühle aus diesen unzeitig (invita Minerva) vorgenommenen Geistesarbeiten doch nicht von der Art, daß sie sich unmittelbar durch den bloßen Vorsatz augenblicklich, sondern allein durch Entwöhnung, vermöge eines entgegengesetzten Prinzips, nach und nach heben lassen, und von den ersteren soll hier nur geredet werden.

Von der Hebung und Verhütung krankhafter Zufälle durch den Vorsatz im Atemziehen

Ich war vor wenigen Jahren noch dann und wann vom Schnupfen und Husten heimgesucht, welche beide Zufälle mir desto ungelegener waren, als sie sich bisweilen beim Schlafengehen zutrugen. Gleichsam entrüstet über diese Störung des Nachtschlafs entschloß ich mich, was den ersteren Zufall betrifft, mit fest geschlossenen Lippen durchaus die Luft durch die Nase zu ziehen: welches mir anfangs nur mit einem schwachen Pfeifen, und da ich nicht absetzte, oder nachließ, immer mit stärkeren, zuletzt mit vollen und freien Luftzuge gelang, es durch die Nase zu stande zu bringen, darüber ich dann sofort einschlief. – Was dieses gleichsam konvulsivische und mit dazwischen vorfallenden Einatmen (nicht wie beim Lachen ein kontinuiertes, stoßweise erschallendes) Ausatmen, den Husten betrifft, vornehmlich den, welchen der gemeine Mann in England den Altmannshusten (im Bette liegend) nennt, so war er mir um so mehr ungelegen, da er sich bisweilen bald nach der Erwärmung im Bette einstellte und das Einschlafen verzögerte. Dieses Husten, welches durch den Reiz der mit offenen Munde eingeatmeten Luft auf den Luftröhrenkopf erregt wird12, nun zu hemmen, bedurfte es einer nicht mechanischen (pharmazeutischen), sondern nur unmittelbaren Gemütsoperation, nämlich die Aufmerksamkeit auf diesen Reiz dadurch ganz abzulenken, daß sie mit Anstrengung auf irgend ein Objekt (wie oben bei krampfhaften Zufällen) gerichtet und dadurch das Ausstoßen der Luft gehemmet wurde, welches mir, wie ich es deutlich fühlete, das Blut ins Gesicht trieb, wobei aber der durch denselben Reiz erregte flüssige Speichel (saliva) die Wirkung dieses Reizes, nämlich die Ausstoßung der Luft, verhinderte und ein Herunterschlucken dieser Feuchtigkeit bewirkte. – Eine Gemütsoperation, zu der ein recht großer Grad des festen Vorsatzes erforderlich, der aber darum auch desto wohlthätiger ist.

Von den Folgen dieser Angewohnheit des Atemziehens mit geschlossenen Lippen

Die unmittelbare Folge davon ist, daß sie auch im Schlafe fortwährt, und ich sogleich aus dem Schlafe aufgeschreckt werde, wenn ich zufälligerweise die Lippen öffne und ein Atemzug durch den Mund geschieht: woraus man sieht, daß der Schlaf und mit ihm der Traum, nicht eine so gänzliche Abwesenheit von dem Zustande des Wachenden ist, daß sich nicht auch eine Aufmerksamkeit auf seine Lage in jenem Zustande mit einmische: wie man denn dieses auch daraus abnehmen kann, daß die, welche sich des Abends vorher vorgenommen haben, früher als gewöhnlich (etwa zu einer Spazierfahrt) aufzustehen, auch früher erwachen, indem sie vermutlich durch die Stadtuhren aufgeweckt werden, die sie also auch mitten im Schlaf haben hören und darauf acht geben müssen. – Die mittelbare Folge dieser löblichen Angewöhnung ist: daß das unwillkürliche abgenötigte Husten (nicht das Aufhusten eines Schleims als beabsichtigter Auswurf) in beiderlei Zustande verhütet und so durch die bloße Macht des Vorsatzes eine Krankheit verhütet wird. – Ich habe sogar gefunden, daß, da mich nach ausgelöschtem Licht (und eben zu Bette gelegt) auf einmal ein starker Durst anwandelte, den mit Wassertrinken zu löschen ich im Finstern hätte in eine andere Stube gehen und durch Herumtappen das Wassergeschirr suchen müssen, ich darauf fiel, verschiedene und starke Atemzüge mit Erhebung der Brust zu thun und gleichsam Luft durch die Nase zu trinken, wodurch der Durst in wenig Sekunden völlig gelöscht war. Es war ein krankhafter Reiz, der durch einen Gegenreiz gehoben ward.

Denkgeschäft – Alter

Krankhafte Zufälle, in Ansehung deren das Gemüt das Vermögen besitzt, des Gefühls derselben durch den bloßen standhaften Willen des Menschen, als einer Obermacht des vernünftigen Tieres, Meister werden zu können, sind alle von der spastischen (krampfhaften) Art: man kann aber nicht umgekehrt sagen, daß alle von dieser Art durch den bloßen festen Vorsatz gehemmet oder gehoben werden können. – Denn einige derselben sind von der Beschaffenheit, daß die Versuche sie der Kraft des Vorsatzes zu unterwerfen, das krampfhafte Leiden vielmehr noch verstärken: wie es der Fall mit mir selber ist, da diejenige Krankheit, welche vor etwa einem Jahr in der Kopenhagener Zeitung als »epidemischer, mit Kopfbedrückung verbundener Katarrh« beschrieben wurde13 (bei mir aber wohl ein Jahr älter aber doch von ähnlicher Empfindung ist) mich für eigene Kopfarbeiten gleichsam desorganisiert, wenigstens geschwächt und stumpf gemacht hat, und, da sich diese Bedrückung auf die natürliche Schwäche des Alters geworfen hat, wohl nicht anders als mit dem Leben zugleich aufhören wird.

 

Die krankhafte Beschaffenheit des Patienten, die das Denken, insofern es ein Festhalten eines Begriffs – der Einheit des Bewußtseins verbundener Vorstellungen – ist, begleitet und erschwert, bringt das Gefühl eines spastischen Zustandes des Organs des Denkens (des Gehirns) als eines Drucks hervor, der zwar das Denken und Nachdenken selbst ingleichen das Gedächtnis in Ansehung des ehedem Gedachten eigentlich nicht schwächt, aber im Vortrage (dem mündlichen oder schriftlichen) das feste Zusammenhalten der Vorstellungen in ihrer Zeitfolge wider Zerstreuung sichern soll, und bewirkt selbst einen unwillkürlichen spastischen Zustand des Gehirns, als ein Unvermögen, bei dem Wechsel der aufeinander folgenden Vorstellungen die Einheit des Bewußtseins derselben zu erhalten. Daher begegnet es mir, daß, wenn ich, wie es in jeder Rede jederzeit geschieht, zuerst zu dem, was ich sagen will, den Hörer oder Leser vorbereite, ihm den Gegenstand, wohin ich gehen will, in der Aussicht, dann ihn auch auf das, wovon ich ausgegangen bin, zurückgewiesen habe – ohne welche zwei Hinweisungen kein Zusammenhang der Rede stattfindet – und ich nun das letztere mit dem ersteren verknüpfen soll, ich auf einmal meinen Zuhörer, oder stillschweigend mich selbst, fragen muß: Wo war ich doch? Wovon ging ich aus? Welcher Fehler nicht sowohl ein Fehler des Geistes, noch des Gedächtnisses allein, sondern der Geistesgegenwart (im Verknüpfen), d. i. unwillkürliche Zerstreuung, und ein sehr peinigender Fehler ist, dem man zwar in Schriften – zumal den philosophischen, weil man da nicht immer so leicht zurücksehen kann, von wo man ausging – mühsam vorbeugen, aber mit aller Mühe nie völlig vergüten kann.

Mit dem Mathematiker, der seine Begriffe, oder die Stellvertreter derselben (Größen- und Zahlenzeichen), in der Anschauung vor sich hinstellen und, daß, soweit er gegangen ist, alles richtig sei, versichert sein kann, ist es anders bewandt als mit dem Arbeiter im Fache der, vornehmlich reinen, Philosophie (Logik und Metaphysik), der seinen Gegenstand in der Luft vor sich schwebend erhalten muß, und ihn nicht bloß teilweise, sondern jederzeit zugleich in einem Ganzen des Systems (d. r. V.), sich darstellen und prüfen muß. Daher es eben nicht zu verwundern ist, wenn ein Metaphysiker eher invalid wird als der Studierende in einem anderen Fache, ingleichen als Geschäftsphilosophen; indessen daß es doch einige derer geben muß, die sich jenem ganz widmen, weil ohne Metaphysik überhaupt es gar keine Philosophie geben könnte.

Hieraus ist auch zu erklären, wie jemand für sein Alter gesund zu sein sich rühmen kann, ob er zwar in Ansehung gewisser ihm obliegenden Geschäfte sich in die Krankenliste müßte einschreiben lassen. Denn, weil das Unvermögen zugleich den Gebrauch und mit diesem auch den Verbrauch und die Erschöpfung der Lebenskraft abhält, und er gleichsam nur in einer niedrigeren Stufe (als vegetierendes Wesen) zu leben gesteht, nämlich essen, sehen und schlafen zu können, was für seine animalische Existenz gesund, für die bürgerliche (zu öffentlichen Geschäften verpflichtete) Existenz aber krank, d. i. invalid, heißt: so widerspricht sich dieser Kandidat des Todes hiemit gar nicht.

Dahin führt die Kunst das menschliche Leben zu verlängern: daß man endlich unter den Lebenden nur so geduldet wird, welches eben nicht die ergötzlichste Lage ist14.

Hieran aber habe ich selber schuld. Denn warum will ich auch der hinanstrebenden jüngeren Welt nicht Platz machen und um zu leben mir den gewöhnten Genuß des Lebens schmälern: warum ein schwächliches Leben durch Entsagungen in ungewöhnliche Länge ziehen, die Sterbelisten, in denen doch auf den Zuschnitt der von Natur schwächeren und ihre mutmaßliche Lebensdauer mit gerechnet ist, durch mein Beispiel in Verwirrung bringen, und das alles, was man sonst Schicksal nannte (dem man sich demütig und andächtig unterwarf), dem eigenen festen Vorsatze unterwerfen; welcher doch schwerlich zur allgemeinen diätetischen Regel, nach welcher die Vernunft unmittelbar Heilkraft ausübt, aufgenommen werden und die therapeutische Formeln der Offizin jemals verdrängen wird?

11Studierende können es schwerlich unterlassen, in einsamen Spaziergängen sich mit Nachdenken selbst und allein zu unterhalten. Ich habe es aber an mir gefunden und auch von andern, die ich darum befrug, gehört: daß das angestrengte Denken im Gehen geschwinde matt macht; dagegen, wenn man sich dem freien Spiel der Einbildungskraft überläßt, die Motion restaurierend ist. Noch mehr geschieht dieses, wenn bei dieser mit Nachdenken verbundenen Bewegung zugleich Unterredung mit einem andern gehalten wird, so, daß man sich bald genötigt sieht das Spiel seiner Gedanken sitzend fortzusetzen. – Das Spazieren im Freien hat gerade die Absicht durch den Wechsel der Gegenstände seine Aufmerksamkeit auf jeden einzelnen abzuspannen.
12Sollte auch nicht die atmosphärische Luft, wenn sie durch die Eustachische Röhre (also bei geschlossenen Lippen) zirkuliert, dadurch, daß sie auf diesem dem Gehirn naheliegenden Umwege Sauerstoff absetzt, das erquickende Gefühl gestärkter Lebensorgane bewirken, welches dem ähnlich ist, als ob man Luft trinke; wobei diese, ob sie zwar keinen Geruch hat, doch die Geruchsnerven und die denselben naheliegende einsaugende Gefäße stärkt? Bei manchem Wetter findet sich dieses Erquickliche des Genusses der Luft nicht; bei andern ist es eine wahre Annehmlichkeit sie auf seiner Wanderung mit langen Zügen zu trinken: welches das Einatmen mit offenem Munde nicht bewährt. – Das ist aber von der größten diätetischen Wichtigkeit, den Atemzug durch die Nase bei geschlossenen Lippen sich so zur Gewohnheit zu machen, daß er selbst im tiefsten Schlaf nicht anders verrichtet wird und man sogleich aufwacht, sobald er mit offenem Munde geschieht, und dadurch gleichsam aufgeschreckt wird; wie ich das anfänglich, ehe es mir zur Gewohnheit wurde auf solche Weise zu atmen, bisweilen erfuhr. – Wenn man genötigt ist stark oder bergan zu schreiten, so gehört größere Stärke des Vorsatzes dazu, von jener Regel nicht abzuweichen und eher seine Schritte zu mäßigen, als von ihr eine Ausnahme zu machen; ingleichen, wenn es um starke Motion zu thun ist, die etwa ein Erzieher seinen Zöglingen geben will, daß dieser sie ihre Bewegung lieber stumm als mit öfterer Einatmung durch den Mund machen lasse. Meine jungen Freunde (ehemalige Zuhörer) haben diese diätetische Maxime als probat und heilsam gepriesen und sie nicht unter die Kleinigkeiten gezählt, weil sie bloßes Hausmittel ist, das den Arzt entbehrlich macht. – Merkwürdig ist noch: daß, da es scheint, beim lange fortgesetzten Sprechen geschehe das Einatmen auch durch den so oft geöffneten Mund, mithin jene Regel werde da doch ohne Schaden überschritten, es sich wirklich nicht so verhält. Denn es geschieht doch auch durch die Nase. Denn wäre diese zu der Zeit verstopft, so würde man von dem Redner sagen, er spreche durch die Nase (ein sehr widriger Laut), indem er wirklich nicht durch die Nase spräche, und umgekehrt, er spreche nicht durch die Nase, indem er wirklich durch die Nase spricht: wie es Hr. Hofrat Lichtenberg launicht und richtig bemerkt – das ist auch der Grund, warum der, welcher lange und laut spricht (Vorleser oder Prediger), es ohne Rauhigkeit der Kehle eine Stunde lang wohl aushalten kann; weil nämlich sein Atemziehen eigentlich durch die Nase, nicht durch den Mund, geschieht, als durch welchen nur das Ausatmen verrichtet wird. – Ein Nebenvorteil dieser Angewohnheit des Atemzuges mit beständig geschlossenen Lippen, wenn man für sich allein wenigstens nicht im Diskurs begriffen ist, ist der: daß die sich immer absondernde und den Schlund befeuchtende Saliva hiebei zugleich als Verdauungsmittel (stomachale), vielleicht auch (verschluckt) als Abführungsmittel wirkt; wenn man fest genug entschlossen ist sie nicht durch üble Angewohnheit zu verschwenden. H.
13Ich halte sie für eine Gicht, die sich zum Teil aufs Gehirn geworfen hat.
14Dies Resultat, so wenig tröstlich es ist, ist vollkommen richtig, sobald wir an das, was der Mensch im vollkommenen Sinn ist und sein soll, denken. Aber selbst das Beispiel des würdigen Herrn Verfassers gibt ja einen sprechenden Beweis, was der Mensch auch im Alter noch für andere sein kann, wenn die Vernunft immer, wie hier, seine oberste Gesetzgeberin war. – Und gesetzt auch, es fehlte ganz an dieser objektiven und bürgerlichen Existenz, sind uns nicht auch die Ruinen eines schönen und großen Gebäudes heilig und schätzbar? dienen sie uns nicht als Denkzeichen des Vergangenen, als Winke der Zukunft, als Lehre und Beispiel? H.