Bilder - Schilder - Sprache

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Das abschießende Kapitel 6 fasst die Einzelergebnisse der Analyseschritte zusammen und stellt sie in den Kontext sowohl der Linguistic Landscape-Forschung als auch der Bildlinguistik und deren Perspektiven. Darüberhinaus werden die Funktionen von Sprache, Bild und Schild als eigenständige Größen für die Konstruktion des öffentlichen Raumes beschrieben. Dabei gilt jedes Element als eigenständiges, mehrschichtiges Indexal, das für jede Schicht über eine eigene, funktionsabhängige Reichweite verfügt.

2 Linguistic Landscapes
2.1 Eine Standortbestimmung

Mit ihrem Aufsatz „Linguistic Landscape and Ethnolinguistic Vitality. An Empirical Study“ legten Landry & Bourhis (1997) den Grundstein für die wissenschaftliche Betrachtung von Linguistic Landscapes, die sich in den folgenden Jahren als Teilbereich der Soziolinguistik etablieren konnte. Landry & Bourhis definierten Linguistic Landscapes als „[t]he language of public road signs, advertising billboards, street names, place names, commercial shop signs, and public signs on government buildings“ (1997: 25) und nahmen damit einen Perspektivenwechsel vor, weg von der Erforschung gesprochener oder – allgemeiner gesagt – ‚praktizierter‘ Sprache hin zur Frage nach der Aussagekraft von schriftlich fixierten sprachlichen Äußerungen (signs) im öffentlichen Raum.

Eine der Grundannahmen der Linguistic Landscape-Forschung, die schon bei Landry & Bourhis (1997) angelegt ist, besteht darin, dass die Wahrnehmung von geschriebener Sprache im öffentlichen Raum Aussagen über den Status und den Verwendungsskopus einer gegebenen Sprache in einer Gesellschaft ermöglicht. Basis zahlreicher Linguistic Landscape Studien ist also die Annahme einer grundsätzlich asymmetrischen Beziehung von Sprechern unterschiedlicher Sprachen in einer Gesellschaft, die sich in der Verwendung ebendieser Sprachen im öffentlichen Raum widerspiegelt. Cenoz & Gorter (2006) und Puzey (2012) gehen dabei allerdings von einer positiv verstärkenden Wirkung der Präsenz von Minderheitensprachen im öffentlichen Raum aus, da eine vermehrte Wahrnehmung dieser Sprachen ihren Status erhöhen kann, was in der Folge zu einem Prestigezuwachs führt, der wiederum in einer erhöhten Verwendung der Sprache resultieren kann.

Auf dieser Basis widmet sich der Großteil der Linguistic Landscape-Studien Manifestationen von Mehrsprachigkeit und fokussiert dabei stark auf bestimmte Themenbereiche, bei denen sich nicht nur ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Sprachen dokumentieren, sondern gleichzeitig der ökonomische oder politische ‚Wert‘ bestimmter Sprache beobachten lässt. Dies gilt in Bezug auf Linguistic Landscapes besonders für Bereiche wie den Tourismus (Moriarty (2012, 2014) zum Irischen, Bruyèl-Olmedo & Juan-Garau (2015) zum Katalanischen auf Mallorca, Reershemius (2011) zur Funktion des Plattdeutschen im Tourismus, Leeman & Modan (2009, 2010) zum Chinesischen in der Chinatown von Washington D.C.) und für Auswirkungen von sprachpolitischer Maßnahmen bzw. eines Sprachmanagements1 einschließlich Revitalisierungsbemühungen (Blackwood (2010, 2013) zu französischen Regionalsprachen, Tufi (2013) zum Verhältnis von Italienisch und Slowenisch in der LL von Triest, zu ausgewählten Minderheitensprachen in den Niederlanden Edelmann (2014), grundlegend Landry & Bourhis (1997) zur Frankophonie in Kanada).

Als Problem dieser Studien erweist sich bei genauerer Betrachtung aber ein bisher nicht geklärtes methodisches Problem der Linguistic Landscape-Forschung. Zunächst wird nicht ausreichend unterschieden zwischen den unterschiedlichen Gruppen von „Minderheiten“ (autochthone vs. allochthone Minderheiten). Diese zunächst scheinbar nicht vertretbare Unterscheidung von Minderheitengruppen gewinnt an Bedeutung, wenn die hohe Mobilität moderner Gesellschaften und die damit einhergehende Migration berücksichtigt wird, die bei klassischen Migrantengruppen dazu führt, dass die Zahl unterschiedlicher Herkunftsgruppen in zahlreichen Staaten immer größer wird und einzelne (allochthone) Herkunftsgruppen in ihrer Binnenstruktur alles andere als homogen sind, da ihre Mitglieder unterschiedlich lange im Zielland leben, über unterschiedliche Sprachkenntnisse und Bildung verfügen, unterschiedlich stark integriert sind etc.

Vertovec (2007) zeigt in seinem Aufsatz zur „super-diversity“ am Beispiel Londons, dass die traditionelle Konzeption von Migrantengruppen als homogenen Großgruppen in modernen Gesellschaften überholt ist: „Meanwhile multiculturalism continues to be conceived of mainly in terms of the African-Caribbean and South Asian communities of British citizens.“ (S. 1027).

Regionale (autochthone) „Minderheiten“ mit historischer Präsenz in ihrem Siedlungsgebiet können zwar sprachlich und kulturell von der Mehrheitsgesellschaft unterschieden werden, weisen aber eben gerade aufgrund ihrer langen lokalen Geschichte andere Muster auf als klassische Migrantengruppen. Insofern muss eine Linguistic Landscape-Studie diese Unterscheidung dringend vornehmen, wenn wie z.B. bei Edelmann (2014) die Präsenz des Friesischen als Sprache einer autochthonen Minderheit mit Sprachen von Gruppen verglichen wird, die erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in den Niederlanden präsent sind und klassischen Migrantengruppen entsprechen. Darüberhinaus zeigt Blommaert (2013), dass eine weitgehende Unsichtbarkeit von Sprachen oder schlichte Formen von Signs nicht notwendigerweise auf eine Marginalisierung, sondern auch auf eine sich erst etablierende, kleine Gruppe mit geringer finanzieller Ausstattung hinweisen kann.

Auch die Frage der Ausprägung von Schriftlichkeit (Spolsky 2009b: 29-30) oder der Wunsch nach öffentlicher Präsenz einer Gruppe spielen eine große Rolle in der Bewertung der Frequenz von Minderheitensprachen im öffentlichen Raum. So gilt z.B. für das von Edelmann (2014) untersuchte Friesische, dass es traditionell von Mündlichkeit geprägt ist und über keine eigene ausgeprägte Schrifttradition verfügt. Tufi (2013) zeigt in ihrer Studie zum Slowenischen in der Provinz Triest, dass eine nur geringe Sichtbarkeit der Minderheitensprache durchaus dem Wunsch der Sprecher entsprechen kann, wenn diese ihrer Sprache eine identitätsstiftende Funktion zuweisen, die nicht auf öffentliche Wahrnehmbarkeit ausgerichtet ist. Vor diesem Hintergrund ist die verbreitete quantitativ-distributive Analyse der Daten als problematisch zu betrachten.

Eine Vielzahl von LL-Studien ist in Regionen angesiedelt, in denen aufgrund gegebener historischer Entwicklungen ein über lange Zeiträume hinweg bestehendes, festes Gefüge an Mehrsprachigkeit besteht, also autochthone Gruppen und ihre Regionalsprachen im Zentrum des Interesses stehen. Neben Spanien mit seinen zahlreichen, rechtlich in den jeweiligen Regionen dem Spanischen gleichgestellten Regionalsprachen stehen Frankreich mit der untergeordneten Stellung seiner Regionalsprachen im Vergleich zum Französischen, Irland mit seinen widersprüchlichen Ergebnissen zum Irischen sowie Israel im Zentrum von Lingustic Landscape-Forschungen. Ebenso wie im Falle der Studie von Landry & Bourhis (1997) zur Frankophonie in Kanada handelt es sich bei den aufgeführten Regionen um solche, in denen Mehrsprachigkeit durch komplexe historische Prozesse im Rahmen der Nationenbildung entstanden ist und in denen vormals vergleichsweise eigenständige Regionen und ‚ethnische‘ Gruppen in ein sprachlich und kulturell zumindest teilweise abweichendes politisches Konstrukt (Staat) eingebunden wurden, oft ohne an der Bildung des neuen Konstrukts tatsächlich beteiligt gewesen zu sein. So sind beispielsweise die frankophonen Gebiete Kanadas, an denen Landry & Bourhis ihr Konzept der LL entwickelten, 1763 als Folge der Niederlage Frankreichs im Siebenjährigen Krieg im Pariser Frieden an England abgetreten worden. Die Präsenz von Sprachen von Migrantengruppen wird dagegen seltener thematisiert und entsprechende Studien sind vor allem im außereuropäischen Raum und hier in der Regel in ‚klassischen Einwanderungsländern‘ angesiedelt (z.B. zum Chinesischen in USA Leeman & Modan 2009, 2010; Lou 2010). Für Deutschland ist e.g. auf Stoltmann (2016) hinzuweisen, der die multilingualen Muster in zwei durch massive Zuwanderung gekennzeichneten Stadtteilen von Kiel und Rostock untersucht hat. Diese sowohl quantitativ als auch qualitativ angelegte Studie findet ihre Ergänzung im Projekt der Universität Essen „Metropolenzeichen: Visuelle Mehrsprachigkeit in der Metropole Ruhr“ (2013-2018; vgl. Mühlan-Meyer, Ziegler, Uslucan 2016, Mühlan-Meyer and Lützenkirchen 2017, Cindark and Ziegler 2016, Ziegler, Eickmans, Schmitz 2017).

Im Bereich des Tourismus wird zudem häufig die Präsenz von Regionalsprachen nicht mit der Sprache der Mehrheitsgesellschaft verglichen, sondern mit den Sprachen der größten Touristengruppen (Bruyèl-Olmedo & Juan-Garau 2015) oder mit dem Englischen als internationaler Verkehrssprache und moderner lingua franca. Neben der Untersuchung der „Wertigkeit“ der regionalen Sprachen unter dem Stichwort Kommodifizierung (Heller, Jaworski, Thurlow 2014; Heller, Pujolar, Duchêne 2014, Leeman & Modan 2009, 2010), stehen hier weniger gesellschaftliche Machtgefüge zur Diskussion als vielmehr ökonomische Diskurse, zu denen auch die über die Daten laufende Kommunikation zwischen Produzenten und Rezipienten von Signs gehört.

Darüberhinaus werden in diesem Bereich zunehmend weitere Aspekte wie die semiotische Unterstützung von Sprache in den Blick genommen und untersucht, in welchem Umfang die Verwendung von Regionalsprachen, Minderheitensprachen oder Dialekten durch weitere Mittel wie Farben, Fonts oder Hinweise auf besondere kulturelle Verfahren unterstützt bzw. verstärkt wird (vgl. Kapitel 2). Für Studien, die diese erweiterte Form von Zeichen berücksichtigen, hat sich die Bezeichnung Semiotic Landscape etabliert. Semiotic Landscape-Studien weisen somit über die reine Betrachtung von Sprache hinaus, legen aber in der Regel den Schwerpunkt auf diese und betrachten die weiteren semiotischen Elemente als unterstützende Faktoren.

 

Die Datenerfassung im Rahmen von LL-Studien mittels Fotodokumentation findet in der Regel in städtischen Räumen statt. Diese Auswahl ist Gegenstand der Kritik, die aber sowohl im Hinblick auf die Art der Daten als auch den historischen Entstehungskontext von LLs zu relativieren ist (s.u.). Städtische Räume bieten im Gegensatz zu dörflichen Strukturen eine Vielzahl unterschiedlicher Orte, an denen die benötigten Daten auffindbar sind. Eine abnehmende Ortsgröße geht in der Regel mit einem geringeren Anteil an Daten-liefernder Infrastruktur in Form von Geschäften, Werbetafeln, gastronomischen Angeboten, Nahverkehr, Straßenschildern etc. einher, so dass eine Auswahl der Orte im Hinblick auf eine ausreichende Datenmenge vertretbar ist. Gleichzeitig muss die Ortsauswahl gegenstandsangemessen sein, was heißt, dass kleinere Ortschaften nicht per se ausgeschlossen werden. Einige Studien zeigen, dass gerade diese kleinen Ortschaften in Bezug auf bestimmte Fragestellungen sehr wohl zum Erkenntnisgewinn beitragen können (z.B. Tufi (2013) komparativ zum Slowenischen oder Reershemius (2011) zum Niederdeutschen).

Zusammenfassend lassen sich Linguistic oder Semiotic Landscape-Studien im Hinblick auf die Fragestellung als Untersuchungen zur Präsentation und Repräsentation von Sprachen im öffentlichen Raum als Ausdruck der den Sprachen zugewiesenen Funktion(en) beschreiben, greifen damit allerdings in der vorwiegend distributiv beschreibenden Analyse häufig deutlich zu kurz.

Die Linguistic Landscape-Forschung berücksichtigt in der qualitativen Analyse weiterführende semiotische und multimodale Aspekte lediglich als Hilfsargumente zur Beschreibung rein linguistischer Daten, während weiterreichende semiotische Studien zu wenig auf die spezifische Rolle von Sprache abheben. Die sich in den aktuellen Formen und Funktionen multimodaler Konstruktionen widerspiegelnde historische Entwicklung auch in den sich wandelnden Anforderungen und Erwartungshaltungen an entsprechende Konstruktionen im öffentlichen Raum (Kress 2010) wird in den i.d.R. rein synchron ausgerichteten Studien ebenfalls selten thematisiert.

Der dialogische Charakter von verschrifteter Sprache allein und in Kombination als semiotisches Genre unterschiedlicher Funktion und Reichweite im öffentlichen Raum bleibt in der LL-Forschung bis dato weitgehend unbeachtet und wird gegebenenfalls nur hinsichtlich seiner Auswirkungen im Bereich der Sprachpolitik und dem möglicherweise wechselseitigen Einfluss der Präsenz von Minderheitensprachen im öffentlichen und ihrem Status in einer gegebenen Gesellschaft betrachtet (z.B. Puzey 2012).

Ein ebenfalls noch junger Bereich der Sprachwissenschaft ist die Bildlinguistik, die in einem interdisziplinären Ansatz Bildwissenschaft und Teilbereiche der Sprachwissenschaft (Diskurs-, Medien-, Text-, Kognitionslinguistik) zur Erforschung komplexer Text-Bild-Beziehungen vereinigt.

Untersuchungen zur Bildlinguistik als eigenständiges Forschungsthema sind bisher selten. Die existierende Literatur setzt ihre Schwerpunkte derzeit noch in der Diskussion und Beschreibung methodischer und analytischer Verfahren. Grundlegend für theoretische Ansätze sind u.a. die Arbeiten von Diekmannshenke et al. (2011) und Große (2011), sowie Bateman (2008, 2014). Weitere Arbeiten zum Thema Bildlinguistik untersuchen die Verbindung von Sprache und Bild vor allem in Bezug auf Massenmedien und Medienkommunikation (Stöckl 2004a) oder Werbekontexte (Stöckl 2008). Diese intermediale Ausrichtung will den vor allem durch moderne Massenmedien zunehmenden Visualisierungstendenzen und z.B. als „visuelle Zeitenwende“ beschriebenen Paradigmenwechsel (Straßner 2002) Rechnung tragen.

Allerdings weisen Duvigneau (1975) und sowie Ilgen & Schindelbeck (2006) in ihren Arbeiten zur Entwicklung der Werbung und besonders des Plakatwesens auf die große Bedeutung hin, die der gestalterischen Komposition von Plakaten auch im Hinblick auf die Integration von Text und Bild schon in der Frühzeit beigemessen wurde und welche Funktionen diesen Elementen jeweils zukommen. Wischermann (1995:14) beschreibt Werbung als neue Dimension gesellschaftlicher Repräsentation der Moderne und fasst diese unter dem Stichwort „visuelle Kultur“ zusammen. Diese historische Perspektive verdeutlicht, dass der Untersuchungsgegenstand der Bildlinguistik auf historische Dimensionen sowie auf alle weiteren Medien, die auf eine Text-Bild-Integration zur Botschaftsvermittlung setzen, ausgeweitet werden kann und dass so auch das Plakat, Schaufenster und damit bis zu einem gewissen Grad auch die Architektur öffentlicher Räume (s.u.) mit den Mitteln der Bildlinguistik beschreibbar werden, womit sich eine Schnittstelle zu den Fragestellungen und Analysegrößen der LL ergeben würde, da sich beide Bereiche in dieser Perspektive zumindest teilweise überlappen.

Sowohl theoretische Ansätze als auch konkrete Untersuchungen aus dem Bereich der Bildlinguistik zielen derzeit vor allem eine gedruckte, filmische oder virtuelle Datenbasis. Das Zusammenspiel von Bild und Sprache in der Konstruktion und Strukturierung des öffentlichen Raums ist bisher noch nicht thematisiert worden. Dabei zeigen sich auch im Bereich der Schaufenster Strukturen, die in ihrer Kombination aus Bild/Plakat, Warenpräsentation und Text ähnlich komponiert sind und zum Teil explizit auf massenmediale Auftritte des eigenen Labels zurückgreifen.

So hat zum Beispiel das Label Esprit im Herbst/Winter 2015/2016 die Kampagne #ImPerfect durchgeführt, die sowohl TV-Spots, Print- und Online-Anzeigen sowie Außenwerbung umfasste und auch Teil der Schaufensterdekoration in Esprit-Shops wurde (Bild 1). Einfachere Text-Bild-Kombinationen finden sich auf bzw. in Schaufenstern, wobei der Schrift bzw. dem Text unterschiedliche Funktionen zukommen, da er sowohl das Thema der Schaufensterdekoration vorgeben, als auch Teil der Dekoration sein kann (vgl. Bild 2 und Bild 3).

Bild 1:

Schaufenster Fa. Esprit, Kaufingerstraße 24.

Bild 2:

Schaufenster Fa. Hunkemöller, OEZ.

Bild 3:

Schaufenster Fa. Hirmer, Kaufingerstraße 28.

2.2 Der öffentliche Raum als Bühne der LL

Linguistic Landscapes sind das Signum eines öffentlichen und weitgehend anonymen Raums, in dem die Kommunikation zwischen zentralen Akteuren (Produzent/Händler-Kunde) nur noch indirekt, vermittelt über Signs stattfindet. Definitionen dessen, was als öffentlicher Raum zu verstehen ist, kreisen vornehmlich um die Frage der Zugänglichkeit sowie der Bestimmung von ‚Raum‘ als gedachtem vs. geografischem Areal, wobei letzteres vornehmlich durch Menschen geschaffene oder von ihnen in ihrer Struktur wesentlich geprägte Räume meint und weniger auf Naturräume wie z.B. Wälder Bezug nimmt.

Zentral ist zunächst die Unterscheidung von ‚privat‘ und ‚öffentlich‘, da nicht alle Teile der von Menschen geschaffenen Räume für jedermann zugänglich sind. Dabei kann die Selektion der Zugangsberechtigung unterschiedliche Dimensionen annehmen. Grundlegend ist zunächst die Trennung zwischen privaten (Wohn-)Räumen und öffentlich zugänglichen Räumen wie Straßen, Plätzen und Gebäuden aller Art (Geschäfte, Schulen, Behörden, Museen, Schwimmbäder etc.).

Damit wird die doppelte Struktur des öffentlichen Raumes sichtbar, die sowohl den Raum außerhalb von Gebäuden umfasst als auch den Raum innerhalb o.g. Gebäudetypen. Diese sind vor allem im Bereich der Geschäfte durch den Eigentümer häufig als Privatbesitz, aber aufgrund ihrer ökonomischen Funktion nicht als privater Raum zu sehen, da die Nutzung durch anonyme, dem Eigentümer unbekannte Personen erwünscht ist. Klamt (2007) beschreibt in diesem Zusammenhang Fensterfronten von Geschäften (Schaufenster) und Arkadengänge als Übergangszonen, in denen die Trennung von Innen (Geschäft) und Außen (Straße) nicht mehr eindeutig gegeben ist. Eine andere Interpretation in Bezug auf Arkaden findet sich bei Scollon & Scollon (2003), die in ihnen eine typisch europäisch geprägte Ästhetik sehen, in der „urban surfaces without signs as an expression of high levels of elegance“ gewertet werden.

Allerdings kann bei prinzipiell öffentlich zugänglichen Gebäuden durch bestimmte Merkmale eine Selektion hinsichtlich der Nutzergruppe erreicht werden. Diese wird in der Regel dadurch erzielt, dass bestimmte Zielgruppen über Marker angesprochen werden. Diese Marker sind häufig Teil und prägendes Element der Linguistic oder Semiotic Landscape eines gegebenen Raumes und verweisen auf gelernte Wissens- und Interpretationsstrukturen, die bei den Nutzern des öffentlichen Raumes gegeben sind. Grundsätzlich führt diese Perspektive zu einem weiteren Verständnis von öffentlichem Raum als heterogenem, von der und für die Öffentlichkeit konstruiertem Orten unterschiedlicher Form und Funktion (Klamt 2007).

Wesentlich für die Entstehung eines öffentlichen Raumes im obigen Sinne sind zwei weitere, bisher nicht thematisierte Elemente. Die beschriebenen Strukturen verweisen auf eine hohe Nutzungsdichte, die eine gute Erreichbarkeit der jeweiligen Orte sowie einen hohen Frequentierungsgrad und damit eine starke Integration in den Alltag andeuten. Gleichzeitig liegt eine stark ökonomisch geprägte Ausrichtung dieser Orte vor, in denen Kommunikation zwischen den Gruppen bzw. Akteuren nur unter bestimmten Bedingungen möglich ist.

Dies gilt zunächst auch für kleinere Ortschaften, in denen z.B. der Dorfplatz, die zentrale Dorfstraße oder das Dorfwirtshaus die Funktion des öffentlichen Raumes im hier beschriebenen Sinne erfüllen. Dort trifft man sich, dort sind u.U. Schule, Kindergarten und Läden angesiedelt, in denen Einkäufe gemacht werden. In diesem überschaubaren Rahmen, in dem eine gewisse Vorhersagbarkeit im Hinblick auf die anwesenden Personen herrscht, kann Kommunikation sowohl zwischen den Nutzern als auch zwischen den Nutzern und den Anbietern (Wirt, Ladenbesitzer) noch weitestgehend direkt als face-to-face-Kommunikation ablaufen. In urbanen Räumen hingegen ist zum einen eine Kommunikation zwischen den Nutzern aufgrund der großen anonymen Masse nicht Ziel des Aufenthalts im öffentlichen Raum, zum anderen ist eine unmittelbare Kommunikation Anbieter-Kunde ebenfalls nicht mehr möglich.

Gleichzeitig ist jedoch gerade diese Kommunikation zentral für die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes, da sie wesentlich zu seiner konkreten Ausprägung beiträgt und damit Teil seiner Konstruktion ist. Klamt (2007) verwendet den Begriff „Wahrnehmungsraum“ als Gegenbegriff zum „objektiven Raumverständnis der Naturwissenschaften“1 und betont damit die Konstruiertheit und Subjektivität des öffentlichen Raumes, da dieser durch seine konkrete Form zwar (konventionalisierte) Wahrnehmungen und Interpretationen vorschlägt, der Nutzer diesen aber nicht folgenden muss und insgesamt eine Umgestaltung und Uminterpretation jederzeit möglich ist.

Daraus leitet sich ab, dass in Anlehnung an die Ausführungen von Friedrich & Schweppenhäuser (2010) zum Kommunikationsdesign die Konstruktion des öffentlichen Raums kulturspezifische Elemente und deren Interpretationen und Bewertungen umfasst, die sich auf die konkrete Ausgestaltung dieses Raumes in architektonischer, infrastruktureller und ökonomischer Hinsicht beziehen und auswirken. Friedrich & Schweppenhäuser (2010) verweisen hier z.B. auf die Sehschulung und deren Einfluss darauf, ob bestimmte Kombinationen von ‚Objekt‘ und ‚Text‘ als passend empfunden werden sowie auf die von der kulturellen Prägung vorgegebenen Konnotationen zentraler Elemente der Wahrnehmung.

Auch wenn Friedrich & Schweppenhäuser (2010) sich in ihren Ausführungen auf Werbung und Marketing und das Zusammenspiel von beworbenem ‚Objekt‘ und passender ‚Schrift‘ bzw. passendem ‚Text‘ beschränken2, können ihre Ausführungen durchaus auf die Wahrnehmung des öffentlichen Raums übertragen werden, wenn die architektonischen3 und/oder natürlichen Gegebenheiten bzw. deren Kombination (Gebäude, Wege, Straßen, Grünflächen, Wälder4 etc.) als ‚Objekt‘ und die Präsenz von Sprache in verschrifteter Form, Piktogrammen etc. als ‚Text‘ verstanden wird, die zusammen den öffentlichen Raum und erst in der jeweils spezifischen Kombination einen bestimmten Typus desselben bilden.

 

Dabei stehen die architektonischen Gegebenheiten und die spezifische Ausprägung von geschriebener Sprache in der Regel in einem reziproken Verhältnis zu einander und verweisen zumindest in der Tendenz auf besonders prägnante Formen des jeweils anderen Elements. So lassen bestimmte architektonische Strukturen eine entsprechende Nutzung und eine für sie typische LL sowohl in Bezug auf die Qualität (hier verstanden sowohl hinsichtlich der Form als auch des Inhalts) als auch der Quantität erwarten. Diese Beziehung gilt dabei nicht nur für die in dieser Betrachtung im Zentrum stehende ökonomische Nutzung urbaner öffentlicher Räume (vgl. Fn. 7).

Für Naturräume, wie z.B. Wälder, werden nur wenige, nutzungsspezifische Signs im Sinne von Wegweisern für Wander- oder Radwege, ggf. Rastplätze o.ä. erwartet, die in ihrer äußeren Form deutlich von Signs urbaner Strukturen abweichen. Auch für den hier wesentlichen öffentlichen Raum in urbanen Strukturen zeigen sich ebenfalls spezifische architektonische Formen, die auf bestimmte Signtypen verweisen. Die Wahrnehmung von Wohngebäuden ggf. in Verbindung mit umgebenden Grünanlagen (Gärten), Parkmöglichkeiten und ‚normalen‘ Eingängen verweisen auf Wohngegenden ohne umfangreiche ökonomische Nutzung. Entsprechend werden keine oder nur wenige sehr spezifische Schilder erwartet, die einen ökonomischen Hintergrund haben (Bäcker, Arzt, sonstige Dienstleister). Stattdessen kann erwartet werden, dass Signs mehrheitlich aus Straßenschildern, Verkehrsschildern einschl. ggf. Hinweisschildern des ÖPNV (Haltestellenschildern, Fahrpläne etc.) und Namensschildern an Klingeln bestehen.

Im Gegensatz dazu reicht schon eine abweichende Gestaltung des Erdgeschosses mit besonderen Fensterformen (Schaufenster), die sich durch eine größere Glasfläche und eine entsprechend abweichende Integration in die Fassade auszeichnen, um eine andere Erwartungshaltung zu wecken, da diese Fensterstrukturen auf eine ökonomische Nutzung bzw. Teilnutzung des Gebäudes schließen lassen. Die Art der Wegegestaltung kann zusätzlich Hinweise auf die Nutzung eines Raums geben. Eine fehlende Trennung zwischen Gehwegen und Straßen evtl. einschließlich entsprechender Bepflanzung kann z.B. ein Hinweis auf eine Fußgängerzone sein, was wiederum auf eine ökonomische Struktur verweist, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Präsenz von Geschäften, Gastronomiebetrieben und möglicherweise Vertretern der Unterhaltungsbranche (Kino, Theater) geprägt ist.

Bild 4:

Fußgängerzone München.

Verbunden mit der Wahrnehmung des umgebenden Raums ist demnach eine Hypothese über dessen Nutzung und demzufolge über das Angebot von Informationssystemen (Signs), die den vorgefundenen Raum in seiner konkreten Nutzung erläutern. Zusammen mit den architektonischen Gegebenheiten bilden die Signs so die Struktur eines Raums und machen diesen zu einem eigenständigen ‚Exemplar‘ einer allgemeineren, übergeordneten Struktur, sind also eine konkrete Ausprägung eines ‚Genres‘ (vgl. Bawarshi und Reiff (2010: 78): „[G]enres dynamically embody a community‘s ways of knowing, being, and acting”).

Die genannten Informationssysteme repräsentieren zwei unterschiedliche, jedoch gleichermaßen konventionalisierte Formen von Sprache im Verbund mit weiteren semiotischen Systemen im öffentlichen Raum. Dies betrifft zunächst nur am Rande die in der LL-Forschung übliche Unterscheidung zwischen public und private signs, bzw. top-down und bottom up, die eine Unterscheidung im wesentlichen nach dem Sign-Produzenten vornimmt und grob gesagt institutionelle Produzenten (Regierungen, öffentliche Verwaltungen aller Ebenen und deren Einrichtungen etc.) und private Produzenten im Sinne von natürlichen Personen sowie Unternehmen als juristische Personen zivilen Rechts trennt.

In Bezug auf die Strukturierung des öffentlichen Raums spielt diese Trennung insofern eine Rolle, als dass die Signs der jeweiligen Produzenten eine unterschiedliche spezifische Funktion im öffentlichen Raum innehaben und somit auch auf die Rollen der hinter den Signs stehenden Produzenten für die Genese und Konstruktion des Raums verweisen. Gerade im Hinblick auf die Public Signs fällt auf, dass ihre Visibilität häufig im infrastrukturellen Bereich liegt und sich auf die Weiterleitung bzw. den Transport von Personen (Busse, U- und S-Bahnen, Straßenschilder etc.) im öffentlichen Raum sowie dessen weiterer Ausgestaltung (pflanzen und pflegen von Bäumen, Blumen, Aufstellen von Bänken etc.) bezieht. Im Gegensatz hierzu verweisen Private Signs in überdurchschnittlichem Maße auf ökonomisches Geschehen und zielen auf eine direkte Ansprache und Bindung des Passanten.

Bei einer allgemeineren Betrachtung können beiden Signtypen jeweils unterschiedliche Funktionen zugewiesen werden. Public Signs sind im Wesentlichen strukturierend und informierend, womit sich ihre Bedeutung auf die denotative Ebene beschränkt. Private Signs teilen diese Eigenschaften, haben aber zusätzlich eine stark konnotative Ebene, die diese Signs emotional auflädt5. Diese konnotative, emotive Ebene in Privat Signs liegt in der erweiterten Funktionalität dieses Signtyps begründet.

Er umfasst häufig Firmennamen (Labels) und Werbeslogans, die verkaufsfördernd und kundenbindend wirken sollen (Friedrich & Schweppenhäuser 2010). Signs mit Firmennamen sollen vor allem das sorgsam aufgebaute Firmenimage transportieren und haben damit über bzw. an einem konkreten Objekt sowohl eine deiktische und damit informative als auch konnotative und emotive Funktion, da sie letztendlich die kondensierte Version des Narrativs sind, das das Unternehmen in Form seines Images aufgebaut hat.

Werbeslogans zu bestimmten Anlässen oder passend zu einer bestimmten Saison wirken stärker noch als das Firmenimage emotional, da sie auf den Wunsch der Zielgruppe nach Realisierung bestimmter Lifestyle-Vorgaben abzielen, wie z.B. Mode, Make-up, Accessoires, Mobilität. Unterstützung erhalten die klassischen semiotischen Verfahren durch die Kombination mit ausgestellten und sorgsam arrangierten Produkten, die als ‚verlängerter Arm‘ des jeweiligen Labels mit dem Versprechen aufgeladen sind, das jeweilige Lebensgefühl bzw. die Emotionen, die dem Label entgegengebracht werden, auf sich selbst zu übertragen (Bateman 2008, 2014).

Aus dieser Konstellation ergibt sich die eingangs bereits erwähnte verlagerte und damit indirekte Kommunikation zwischen den Akteuren im öffentlichen Raum. Ein weiteres prägendes Merkmal dieser Kommunikation ist ihre Ortsgebundenheit durch ihre Präsenz auf Signs, die i.d.R. längerfristig vorhanden sind und am Anbringungsort verbleiben.6 Insofern tragen auch die Signs zur Konstruktion des öffentlichen Raumes bei, weil sie konstitutiv sind für die funktionale Bewertung dieses Raumes, Handlungsoptionen und –vorgaben machen und die Interaktion zwischen den einzelnen Akteuren ermöglichen, dabei aber aufgrund ihrer eigenen Immobilität die Präsenz des Rezipienten zwingend voraussetzen7.

Domke (2014: 66) bettet diese Konstruktionsleistung der Signs in die „Herstellung des Raums durch soziale, interaktive, sprachliche Praktiken“ ein, während Papen (2012) die doppelte, oben angesprochene Konzeption von Raum als Bedingung und Ergebnis sozialer Prozesse betont. Diese Bewertungen umfassen damit eine bisher nur implizit angesprochene Eigenschaft des Raums: seine Diskursivität (vgl. auch Jaworski & Thurlow 2010: 12).

Der öffentliche Raum ist geprägt von und wird geformt durch unterschiedliche, parallel stattfindende Diskurse. Diese sind monodirektional in dem Sinne, dass sich nur die Signproduzenten an die Nutzer des Raumes wenden, welche ihrerseits nicht direkt in den Diskurs eintreten können. Zu fragen bleibt, in welchem Umfang die durch die Diskurse bzw. Diskursteile initiierten Handlungsformen als Replik interpretierbar sind.